Sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter


Bachelorarbeit, 2014

79 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Begrifflichkeiten des sexuellen Missbrauchs
2.1 Definition ´Sexueller Kindesmissbrauch´
2.1.1 Definition ´Inzest´ und ´Pädophilie´
2.1.2 Rechtliche Grundlagen
2.2 Häufigkeiten sexuellen Missbrauchs

3 Die Rolle der Mutter in der Gesellschaft
3.1 17. und 18. Jahrhundert
3.2 19. Jahrhundert
3.3 20. Jahrhundert und aktuelle Entwicklungen

4 Wahrnehmungsbarrieren von sexuellen Kindesmissbrauch durch Mütter

5 Typologien
5.1 Die Liebhaberin
5.2 Die Mittäterin
5.3 Die prädisponierte Täterin
5.4 Die atypische Täterin

6 Der Tatzyklus

7 Formen und Strategien des sexuellen Missbrauchs

8 Erklärungsansätze für sexuell missbrauchendes Verhalten von Müttern
8.1 Eigener Missbrauch und negative Bindungserfahrungen
8.2 Soziale Isolation
8.3 Bildung und sozialer Status
8.4 Alter der Täterinnen zum Zeitpunkt des Missbrauchs
8.5 Gewalterfahrungen und Gefühle der Machtlosigkeit
8.6 Kognitive Dissonanz
8.7 Symbiotische Mutter-Kind-Beziehung
8.8 Suchtmittelabhängigkeit und psychische Erkrankungen

9 Folgen
9.1 Psychische und soziale Folgen
9.2 Selbstschädigendes Verhalten und Suizidalität
9.3 Dissoziative Störungen
9.3.1 Ambivalente Gefühle
9.3.2 Störungen der Identitätsentwicklung
9.4 Reviktimisierung und Gewaltweitergabe
9.5 Ängste

10 Interventionsansätze
10.1 Voraussetzungen
10.1.1 Kognitive Dissonanz
10.1.2 Vertrauensverhältnis
10.1.3 Therapievertrag
10.2 Opferorientierte Interventionen
10.2.1 Einzel- und Gruppentherapie
10.2.2 Rollenspiele
10.2.3 Weitere Ansätze
10.3 Täterinnenorientierte Interventionen
10.3.1 Phasenmodell
10.3.2 Medikamentöse Therapie

11 Fazit

Literaturverzeichnis

Erklärung

Anhang I

Abstract

Die vorliegende Bachelorarbeit setzt sich mit der Thematik Sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter auseinander. Sie beleuchtet den aktuellen Forschungsstand und kristallisiert die wichtigsten Forschungserlebnisse heraus. Bisher liegen nur sehr wenige empirische Untersuchungen in diesem Bereich vor. Die Arbeit soll einen Beitrag zur Wahrnehmung der Tatsache leisten, dass auch Frauen Kinder sexuell missbrauchen. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass sexueller Missbrauch, der von Frauen verübt wird, in der Mehrheit Mütter sind. Die Rolle der Mutter in der deutschen Gesellschaft und der von Müttern verübte sexuelle Missbrauch an Kindern und die Gefahr, dass aufgrund dieser Widersprüchlichkeit diese Straftat zunächst nicht wahrgenommen wird, sind Themenschwerpunkte der vorliegenden Bachelorarbeit. Es werden Erklärungsansätze aufgezeigt, die die Beweggründe der Mütter offenlegen und daraus Mütter zu Täterinnen werden lassen. Darauffolgend wird der Frage nachgegangen, was für Folgen der sexuelle Kindesmissbrauch durch die Mutter für die Kinder hat. Abschließend werden Überlegungen zur Intervention und Ansätze zur Prävention vorgestellt.

The following thesis deals with the topic of sexual abuse of children by their mothers. It highlights the current state of research and shows the most important results. Up to now there have only been a few empirical studies dealing with this topic. This bachelor thesis wants to create awareness of the fact that women, indeed mostly mothers, are also perpetrators of sexual abuse against children. The role of mothers in German society, the cases of sexual abuse they paradoxically inflict on their own children as well as the clandestine character of this crime, constitute the focal points of this thesis. It explores the motivations of mothers that turn them into perpetrators. The consequences for the children are corollary considerations. The closing chapters deal with possible intervention and prevention.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Weggabe eines Kindes (Pro-Heraldica)

Abb. 2 Die Supermutter (ZDF)

Abb. 3 Der allgemeine Tatzyklus

Abb. 4 Ansätze zur Erklärung von sexuellem Missbrauch durch Mütter

Abb. 5 Das Phasenmodell zur Therapie von Sexualstraftäterinnen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Anteil der Mütter in Fällen von Frauen verübter sexueller Missbrauch

1 Einleitung

„Im September 2009 wandte sich die Koordinatorin der Familienhilfe an die Unterzeichnerin und machte eine Gefährdungsmeldung bezüglich sexuellen Missbrauchs der Kinder. Die Mutter hatte gegenüber der Familienhelferin geäußert, dass sie“ (Fachbereich für Soziale Dienste 2009, Anhang I) Thomas[1] „am Penis angefasst habe, ihm über den Rücken gestreichelt habe und dabei gestöhnt habe. Es habe sie erregt. Weiter erklärte die Mutter der Familienhelferin, dass ihre eigene Mutter“ (ebd., Anhang I) Sarah[2] „bereits beim Wickeln an der Scheide berührt habe und sie sich hier Sorgen mache. […] In dem gemeinsamen Gespräch mit den Eltern, gab die Mutter die sexuellen Übergriffe zu. Es kam in dem Gespräch raus, dass sie selbst von ihrer Mutter als Kind sexuelle Übergriffe erlebt hat.“ (ebd., Anhang I f.)

Dieses Zitat stammt aus einem Antrag auf Gewährung von Hilfen zur Erziehung aus dem Jahr 2009, der mich durch meine Arbeit als Erzieherin auf einer stationären Wohngruppe gemäß §§34 und 35a KJHG erreicht hat. Die Kinder, die auf der stationären Wohngruppe leben, auf der ich arbeite, haben alle psychische und physische Gewalt erlebt. Diese wurde sowohl von männlichen als auch von weiblichen Bezugspersonen ausgeübt. Vier von den sechs Kindern haben außerdem sexuelle Übergriffe erlebt. Jedoch wurden diese, zumindest ist nichts Gegenteiliges bekannt, von männlichen Bezugspersonen verübt. Ich stellte mir in diesem Moment viele Fragen. Gibt es noch mehr Kinder wie Thomas und Sarah, die von ihrer Mutter sexuell missbraucht werden, oder sind Thomas und Sarah ein Einzelfall. Was bewegt eine Mutter dazu ihr eigenes Kind zu missbrauchen. Wie sieht der sexuelle Missbrauch durch eine Mutter aus. Thomas´ und Sarah´s Mutter hat gegenüber der Familienhelferin geäußert, dass sie selbst von ihrer Mutter missbraucht wurde. Diese Missbrauchserfahrungen hat sie an Sarah und ihren Bruder Thomas weitergegeben. Was hat der sexuelle Missbrauch durch die Mutter noch für Folgen außer der Generationsweitergabe. Anschließend stellte ich mir die Frage, wie in solchen Fällen interveniert werden kann.

Die vorliegende Bachelorarbeit geht diesen Fragen auf den Grund. Zunächst ist zu erwähnen, dass aus wissenschaftlicher Korrektheit sowohl die Begriffe Mütter als auch Frauen und Mütter verwendet werden. Denn, wie sich im Kapitel 2.2 zeigen wird, sind nicht alle Frauen, die Kinder sexuell missbrauchen, Mütter. Sie bilden aber die Mehrheit. Des Weiteren werden Stiefmütter unter Mütter gezählt, da diese die gleichen Erziehungsaufgaben in einer Familie übernehmen, wie dies die biologischen Mütter tuen. Daher werden sie unter dem Begriff mit einbezogen und gleichwertig behandelt.

Zu Beginn der vorliegenden Bachelorarbeit werden Begrifflichkeiten des sexuellen Missbrauchs, sowie die rechtlichen Grundlagen geklärt, da diese die Grundlage der Arbeit darstellen und es daher von Nöten ist, ein einheitliches Verständnis herzustellen. Die Begriffe ´Sexueller Missbrauch´, ´Pädophilie´ und ´Inzest´ werden definiert. Daran anschließend wird der Hypothese nachgegangen, dass, wenn Frauen überhaupt Kinder sexuell missbrauchen, es dann in der Mehrheit die eigenen Mütter sind. Hierfür werden Studien ausgewertet, die sich mit sexuellem Missbrauch durch Frauen beschäftigt haben, und es werden die Ergebnisse vorgestellt. Das dritte Kapitel setzt sich mit der Rolle der Mutter in der Gesellschaft auseinander. Es beleuchtet die Rolle der Mutter in den verschiedenen Jahrhunderten und zeigt auf, wie sich der Begriff der Mütterlichkeit und der Mutterliebe entwickelt hat. Hier wird der Frage nachgegangen, was eine ´gute´ Mutter auszeichnet und was für Erwartungen die Gesellschaft an die Rolle der Mutter stellt. Im Unterkapitel 3.3, das das 20. Jahrhundert behandelt, wurde der Blick auf die Psychoanalyse von Freud und auf die Bindungstheorie nach Bowlby gerichtet. Auf die Geschehnisse der Weltkriege wird nicht weiter eingegangen. Die Hintergrundinformationen werden vorausgesetzt. Darauf aufbauend werden Wahrnehmungsbarrieren vorgestellt, die der Frage nachgehen, wie es dazu kommt, dass sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter nicht wahrgenommen wird. Die Aufdeckung dieser Wahrnehmungsbarrieren kann einen Teil zur Interventions- und Präventionsarbeit leisten. Es folgt der Hauptteil der Bachelorarbeit. Zunächst werden Typologien (Kapitel 5) vorgestellt, die einen ersten Eindruck über die Motive und Beweggründe von Frauen und Müttern bieten, die Kinder sexuell missbrauchen. Daran anschließend wird zum besseren Verständnis der Tatzyklus vorgestellt, der offenlegt, wie in etwa eine Mutter vorgeht und welche Gedanken und Phantasien sie hegt bis sie zur eigentlichen Tat übergeht. Formen und Strategien des sexuellen Missbrauchs stellen das nächste Thema dar. Das Problem beim sexuellen Kindesmissbrauch durch Mütter ist unter anderem, dass sich viele nicht vorstellen können, wie diese so etwas begehen können. Dieser Frage geht das 7. Kapitel nach und stellt die Formen und Strategien der Mütter vor, die zum sexuellen Missbrauch an ihren Kindern führen. Nachdem geklärt wurde, wie sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter konkret aussieht, wird im nächsten Kapitel nach Erklärungsansätzen gesucht, die diese Straftat der Frauen und Mütter erklärt. Hier geht es darum zu verstehen, was Mütter dazu bewegt, sich an ihren Kindern sexuell zu missbrauchen. Die Erkenntnisse aus diesem Kapitel dienen dazu, um angemessene Interventions- und Präventionsansätze zu entwerfen, um zukünftig weiteren sexuellen Missbrauch durch Mütter an ihren Kindern verhindern zu können. Im Anschluss werden die Folgen für die Kinder dargestellt. Hier wird deutlich, was für massive Auswirkungen der sexuelle Missbrauch durch die eigene Mutter hat. Das letzte Kapitel setzt sich mit Ansätzen zur Intervention auseinander. Dadurch, dass sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter noch keinen Eingang in das Bewusstsein der Gesellschaft gefunden hat, liegen hier nur sehr wenige Informationen vor. Diese werden vorgestellt, denn sie bieten eine Grundlage zur zukünftigen Entwicklung weiterer Interventionsansätze. Zunächst wird geklärt, was Interventionen für Voraussetzungen erfüllen müssen, damit sie zum Erfolg führen können. Darauf aufbauend werden opferorientierte Interventionen herausgearbeitet, sowie im Anschluss Interventionen, die sich auf die Täterinnen beziehen. Abschließend werden die zu Beginn formulierten Fragestellungen noch einmal aufgegriffen und die gewonnenen Erkenntnisse offengelegt und reflektiert.

2 Begrifflichkeiten des sexuellen Missbrauchs

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit sexuellem Kindesmissbrauch durch Mütter. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, den Begriff des sexuellen Missbrauchs zunächst zu definieren, um ein einheitliches Verständnis dafür zu haben.

2.1 Definition ´Sexueller Kindesmissbrauch´

In der Literatur sind zahlreiche unterschiedliche Definitionsansätze zum Begriff des sexuellen Missbrauchs zu finden. Eine allgemein gültige Definition gibt es nicht, denn der Begriff des sexuellen Missbrauchs wirft viele Schwierigkeiten auf. Dies geht zum einem bereits bei der Begriffswahl los. Die einen Autorinnen und Autoren reden von sexualisierter Gewalt, die anderen von sexueller Misshandlung, andere wiederum von sexuellem Missbrauch. Für die vorliegende Bachelorarbeit wird der Begriff des sexuellen Missbrauchs verwendet, da dieser in der bearbeiteten Literatur am häufigsten verwendet wurde. Auch im Gesetz ist der Begriff ´Sexueller Missbrauch´ die Bezeichnung für sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Bestimmung des Begriffs ´Kind´ dar. Viele Autorinnen und Autoren unterscheiden zwischen Kindern und Jugendlichen, andere fassen alle Personen bis zum 18. Lebensjahr als Kinder zusammen. In der hier vorliegenden Arbeit bezeichnet der Begriff ´Kind´ alle Personen bis zum 14. Lebensjahr, da dies ebenfalls im deutschen Strafrecht so definiert ist. Sexuelle Kontakte zwischen Gleichaltrigen gelten nicht als sexueller Missbrauch. Schwierigkeiten stellt auch die Festlegung der Grenzbereiche dar. Bei einigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beginnt sexueller Missbrauch bereits durch verbale Äußerungen, d.h. ohne Körperkontakt, andere wiederum erkennen sexuellen Missbrauch erst an, wenn Körperkontakt im Spiel ist. Einig sind sich aber die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darüber, dass sexueller Missbrauch immer auch Machtmissbrauch ist. Sexueller Missbrauch ist eine beabsichtigte Handlung. Dadurch, dass Kinder aufgrund ihrer körperlichen, psychischen, kognitiven und sprachlichen Entwicklung auf Erwachsene angewiesen sind und dies auch gesetzlich so geregelt ist, sind sie dem Erwachsenen untergeordnet und somit von ihm abhängig. Dies stellt ein vorgegebenes Machtgefälle dar und schließt Kinder somit als gleichrangige Personen neben dem Erwachsenen aus. Der Erwachsene nutzt demnach seine Autorität aus, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Dies beinhaltet sowohl verbale Drohungen, als auch körperliche Gewalt, die dazu führen, dass das Kind zum sexuellen Missbrauch gezwungen wird. Sexueller Missbrauch passiert also immer gegen den Willen und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kindes, auch wenn die Mutter versichert, dass das Kind dies auch wollte. Aber aufgrund des genannten Machtgefälles und der entwicklungsbedingten Unreife des Kindes, „ist jeder sexuelle Kontakt zwischen einem Kind und einem Erwachsenen sexueller Missbrauch“ (Bange 2002, S. 50). Denn Kinder verfügen über eine andere Sexualität als die der Erwachsenen und können die Reichweite der Folgen nicht einschätzen (vgl. Bange 2002, S. 47 ff.; Engfer 2005, S. 12; Wolfers 1995, S. 161).

Kavemann (1994, S. 35, zit. n. Gerber 2004, S.25) nennt zum besseren Verständnis konkrete Handlungen, die zum sexuellen Missbrauch an Kindern zählen:

„Sexuelles Bewerten/Taxieren der Tochter; Mädchen/Jungen zwingen, sexuell motivierte Mißhandlungen; Aufdrängen eigener sexueller Erfahrungsberichte; Ein Mädchen/einen Jungen masturbieren, sexuell stimulieren; die Tochter/den Sohn in den Geschlechtsverkehr der Eltern einbeziehen; ein Mädchen/ einen Jungen vor der Kamera mit Gegenständen vergewaltigen; dem 18-jährigen Sohn die Genitalien waschen; sich am Körper eines Mädchens/Jungen reiben bzw. befriedigen; Zungenküsse; die 6-jährige Tochter veranlassen, die Brust der Mutter zu saugen; sich von Mädchen/von Jungen lecken lassen; einem Mädchen/einen Jungen im Genitalbereich Schmerzen zufügen; Sexualmord; ein Mädchen/einen Jungen zur Prostitution zwingen; ein Mädchen/einen Jungen mit Pornographie konfrontieren; vor einem Mädchen/einem Jungen masturbieren; ein Mädchen/einen Jungen einem Mann zur Vergewaltigung überlassen; Mädchen bzw. Jungen zur Herstellung von Pornographie benutzen“.

Sexueller Missbrauch kann demnach sowohl Handlungen des Missbrauchenden am Körper des Kindes beinhalten oder das Kind wird vom Missbrauchenden dazu gezwungen, sexuelle Handlungen an dessen Körper zu begehen. Auch zählt zu sexuellen Missbrauch das Zeigen von Fotos mit sexuellen Szenen, das Zusehen lassen sexueller Akte zwischen Erwachsenen, sowie Gespräche im Beisein des Kindes über Sexualität, die nicht mit dem Entwicklungsstand des Kindes übereinstimmen (vgl. Longdon 1995, S. 100).

2.1.1 Definition ´Inzest´ und ´Pädophilie´

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit sexuellem Kindesmissbrauch durch Mütter. Dies stellt eine besondere Form des sexuellen Missbrauchs dar und wird als Inzest bezeichnet. „Unter Inzest wird jeder sexuelle Kontakt zwischen Verwandten unabhängig vom Verwandtschaftsgrad verstanden.“ (Bange 2002, S. 48) In der folgenden Bachelorarbeit wird daher auch vom inzestösen sexuellen Missbrauch und Inzestopfern gesprochen.

Des Weiteren könnte in einigen Fällen sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter als Pädophilie bezeichnet werden. Pädophile (oder auch Pädosexuelle) sind erwachsene Menschen, die einen sexuellen Vorzug ausschließlich für Kinder haben. Diese Präferenz ist im anerkannten Diagnoseklassifikationssystem unter dem ICD-10-Code F65.4 folgendermaßen diagnostiziert:

Sexuelle Präferenz für Kinder, Jungen oder Mädchen oder Kinder beiderlei Geschlechts, die sich meist in der Vorpubertät oder in einem frühen Stadium der Pubertät befinden.

Pädophilie wird definiert als ein anhaltendes sexuelles Interesse an vorpubertären Kindern. Pädophilie ist in Deutschland gemäß §176 StGB unter Strafe gestellt und ist im Bereich des sexuellen Missbrauchs angeordnet. Allerdings ist nicht jede Frau, die Kinder missbraucht, auch pädophil. Pädosexuelle haben ihre sexuelle Ausrichtung vorrangig auf Kinder gerichtet, aber können dennoch auch sexuelle Beziehungen zu Erwachsenen haben. Pädophilie wird bisher nur als eine sexuelle Orientierung bei Männern anerkannt, auch wenn es Hinweise darüber gibt, dass auch Frauen pädophile Neigungen haben. Jedoch wird dies bisher eher selten wahrgenommen und nur langsam anerkannt (vgl. Kavemann/Lohstöter 1984, S. 110 ff.; Miller 2013 S. 507). Basierend auf klinischen Beobachtungen und den wenigen vorliegenden empirischen Belegen scheint es, dass Frauen weniger pädophile Tendenzen und Veranlagungen aufzeigen männliche Sexualstraftäter (vgl. Gannon/Rose 2008, S. 452; Guidry 2009, S. 202).

2.1.2 Rechtliche Grundlagen

Nach dem deutschen Gesetz ist gemäß §§ 174, 176 und 176a Strafgesetzbuch sexueller Missbrauch an Kindern strafbar. Im Gesetz wird zwischen sexuellen Missbrauch an Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauch von Kindern und schweren sexuellen Missbrauch von Kindern unterschieden:

§ 174 StGB Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen

(1) Wer sexuelle Handlungen

1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
3. an seinem noch nicht achtzehn Jahre alten leiblichen oder angenommenen Kind vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3

1. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder
2. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 oder des Absatzes 2 in Verbindung mit Absatz 1 Nr. 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen das Unrecht der Tat gering ist.

Gemäß Abs. 1 Nr. 1 machen sich Personen strafbar, die Sorge dafür tragen, dass das Kind bzw. der Jugendliche eine positive Entwicklung durchlaufen und ihr Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen. In erster Linie wird hier von den Sorgeberechtigen, in den meisten Fälle, von dem Vater und der Mutter ausgegangen. Aber auch Personen wie die Großeltern, Lehrerinnen und Lehrer des Kindes bzw. Jugendlichen oder Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten von Vater oder Mutter zählen zu diesem Personenkreis, wenn davon ausgegangen werden kann, dass diese ebenfalls in der Erziehung des Kindes oder des Jugendlichen mitwirken. Personen, die gelegentlich zu Besuch kommen, sind aus diesem Paragraphen ausgenommen. Hierzu zählen unter anderem Babysitterinnen und Babysitter und Jugendherbergseltern sowie Ärztinnen und Ärzte, da diese ein Betreuungsverhältnis auf begrenzte Zeit übernehmen und davon ausgegangen wird, dass dieses Verhältnis weniger Einfluss auf die Entwicklung des Kindes bzw. des Jugendlichen nimmt. Nach Abs. 2 Nr. 1 muss die sexuelle Handlung mit körperlicher Berührung verbunden sein, bei Nr. 2 reicht es auch aus, wenn es zu einer sexuellen Handlung kommt, die ohne Körperkontakt stattfindet (vgl. Joecks 2012, o. S.).

§ 176 StGB Sexueller Missbrauch von Kindern

(1) Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt.

(3) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen.

(4) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt,
2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz 1 oder Absatz 2 mit Strafe bedroht ist,
3. auf ein Kind durch Schriften (§ 11 Abs. 3) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, oder
4. auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(5) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen 1 bis 4 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(6) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 4 Nr. 3 und 4 und Absatz 5.

Der Paragraph beinhaltet sowohl hetero-, als auch homosexuelle Handlungen mit direktem Körperkontakt. Unwichtig dabei ist, ob das Kind die sexuelle Bedeutung erfasst. Abs. 1 regelt, dass auch Handlungen dazu zählen, die die Täterin oder der Täter vom Kind an sich vornehmen lässt. Die Täterin oder der Täter müssen dieses Verhalten beim Kind veranlassen oder zulassen, eine passive Duldung reicht nicht aus. Das Veranlassen des Verhaltens des Kindes kann durch positive Belohnungen, wie das Versprechen von Geschenken, Überreden oder negativen Sanktionen, wie das Androhen von Gewalt, beeinflusst werden. Zärtlichkeiten, die Eltern mit ihren Kindern austauschen, wie ein Kuss auf die Wange, gehören nicht dazu. Abs. 2 gibt an, dass auch zum sexuellen Missbrauch gehört, wenn die Täterin oder der Täter veranlasst, dass ein Dritter sexuelle Handlungen an dem Kind verübt oder veranlasst oder dass das Kind sexuelle Handlungen an einem Dritten begeht. Es reicht aber nicht aus, dass die Täterin oder der Täter eine Gelegenheit schafft, sondern es muss bewusst auf den Willen des Dritten eingewirkt werden, damit dieser zur sexuellen Handlung bereit ist. Der sogenannte Dritte kann jede denkbare Person jeden Alters sein und auch hier ist es unwichtig, dass dieser die sexuelle Bedeutung erfasst. Somit zählen auch sexuelle Handlungen zwischen Kindern dazu, wenn diese durch eine Täterin oder Täter veranlasst werden (vgl. Joecks 2012, o. S.). Abs. 4 Nr. 4 regelt sexuelle Handlungen, die ohne Körperkontakt stattfinden. Hierzu zählen exhibitionistische Handlungen gemäß § 183 SGB, das Zeigen pornographischer Bilder, „Masturbation in Anwesenheit eines Kindes“ (Engfer/Hardt 2012, S. 684), sowie die Unterhaltung über sexuelle Handlungen vor dem Kind. Hierbei ist nicht wichtig, dass das Kind versteht, dass es um sexuelle Handlungen geht, sondern es muss dieses Gespräch lediglich selbst wahrnehmen (vgl. Joecks 2012, o. S.; Engfer/Hardt 2012, S. 684).

§ 176a StGB Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern

(1) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist.

(2) Der sexuelle Missbrauch von Kindern wird in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn

1. eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind,
2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder
3. der Täter das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt.

(3) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3, 4 Nr. 1 oder Nr. 2 oder des § 176 Abs. 6 als Täter oder anderer Beteiligter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand einer pornographischen Schrift (§ 11 Abs. 3) zu machen, die nach § 184b Abs. 1 bis 3 verbreitet werden soll.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer das Kind in den Fällen des § 176 Abs. 1 bis 3 bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(6) In die in Absatz 1 bezeichnete Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die im Ausland abgeurteilt worden ist, steht in den Fällen des Absatzes 1 einer im Inland abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine solche nach § 176 Abs. 1 oder 2 wäre.

Der Paragraph unterscheidet sich im Vergleich zu Paragraph §176 StGB darin, dass die sexuellen Handlungen mit dem Eindringen in den Körper verbunden sein müssen, um des schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt zu werden. Das Berühren des kindlichen Körpers wie in §176 StGB reicht nicht aus. Es muss demgemäß der Geschlechtsverkehr vollzogen werden. Demnach würden gemäß diesen Paragraphen Mütter als Täterinnen ausschließen, da es ihnen durch die biologischen Gegebenheiten nicht möglich ist, Geschlechtsverkehr mit einem Kind zu vollziehen. Aber der Abs. 2 Nr. 1 regelt des Weiteren, dass auch das Benutzen von festen Gegenständen mit dem Einführen in Vagina und Anus hinzuzählen. Diese Maßnahmen können auch Mütter vollziehen, sodass sie auch nach §176a StGB belangt werden können. Im gleichen Absatz wird auch das Alter der Täterinnen und Täter geregelt. Demnach können nur Personen, die über 18 Jahre alt und somit volljährig sind, zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern verurteilt werden, sowie Kinder und Jugendliche, die Doktorspiele spielen und sich beim Spielen Gegenstände in Körperöffnungen einführen, nicht bestraft werden (vgl. Joecks 2012, o. S.).

2.2 Häufigkeiten sexuellen Missbrauchs

Zunächst ist anzumerken, dass Kriminalstatistiken nur einen groben Überblick darüber geben, wie viele Mütter ihre Kinder sexuell missbrauchen. Die unterschiedlichen Prävalenzraten in den einzelnen Studien variieren unter anderem aufgrund der unterschiedlichen Definitionsansätze von sexuellem Missbrauch, wie in 2.1 beschrieben, denn in jeder Definition wird eine andere Altersspanne festgestellt und zwischen Handlungen mit Körperkontakt und ohne Körperkontakt unterschieden. Auch die Erhebungsmethode und die unterschiedlichen Festlegungen beeinflussen die Ergebnisse der einzelnen Studien. Je nachdem an welcher Definition sich die Statistik orientiert und welche Handlungen als sexuellen Missbrauch anerkannt werden, entstehen unterschiedliche Zahlen (vgl. Engfer 2005, S. 72).

Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass es beim sexuellen Missbrauch durch Frauen und Mütter ein hohes Dunkelfeld gibt. Es muss, trotz niedriger Zahlen, davon ausgegangen werden, dass die Verbreitung sexuellen Missbrauchs durch Mütter größer ist als bisher angenommen und das zukünftig die Zahlen verübten sexuellen Missbrauchs durch Mütter ansteigen werden, da diese Straftat immer mehr in das Bewusstsein der Menschheit fällt (vgl. Braun 2001, S. 5; Heyne 1993, S. 276). Statistiken beruhen nämlich auf dem Aufdecken und dem Anzeigen von Straftaten. Offenbaren die Opfer ihr Schicksal nicht, taucht dieser Fall auch nicht in der Statistik auf (vgl. Elliot 1995, S. 47; Heyne 1993, S. 270). Dies kann verschiedene Hintergründe haben. Der sexuelle Missbrauch wird zum einen häufig verdrängt, da er hochgradig traumatisierend ist (vgl. Heyne 1993, S. 276), zum anderen sind die Kinder erfahrungsgemäß noch sehr jung, sodass sie die Handlungen ihrer Mutter nicht einschätzen oder sich meist gar nicht daran erinnern können. Auch plagen sie Schuld- und Schamgefühle und diese verhindern die Aufdeckung der Straftat und somit die Aufnahme in die Statistik (vgl. ebd., S. 269 f.). Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass Jungen sexuellen Missbrauch durch eine Frau eher selten gestehen, da die Opferrolle nicht in das gesellschaftliche Bild der Männlichkeit passt. Auch Mädchen haben Angst, dass ihnen niemand glaubt, da sie immer nur von Männern gewarnt wurden. Hinzukommt die Öffentlichkeit und ihr gesellschaftliches Bild von Frauen und Müttern, welches nicht mit sexuellem Missbrauch an Kindern vereinbar ist. Diese Wahrnehmungsbarrieren werden im Kapitel 4 weiter erläutert (vgl. Braun 2001, S. 5; Heyne 1993, S. 276).

Das Bundeskriminalamt hat im Jahr 2012 in seiner polizeilichen Kriminalstatistik 12.623 Fälle gemäß §§ 176, 176a, 176b StGB registriert. Davon waren von den 9.027 Tatverdächtigen 8.658 männlich (95,9%) und 369 weiblich (4,1%) (vgl. Bundeskriminalamt 2013, S. 133 f.). Wie viele von den weiblichen Tatverdächtigen Mütter sind, gibt das Bundeskriminalamt nicht an.

Im europäischen Gebiet liegen, bis auf die empirische Untersuchung von Gerber und Burger und Reiter, keine Studien zum sexuellen Kindesmissbrauch durch Mütter vor. Aus diesem Grund bezieht sich die vorliegende Bachelorarbeit auf Studien aus den USA und Großbritannien. Generell gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass zirka 90 % der Missbrauchsfälle in den USA und Großbritannien durch Männer begangen wurden und nur zehn Prozent der Fälle durch Frauen verübt wurden (vgl. Finkelhor 1994, S. 31; Kavemann 1995, S. 15). Des Weiteren gehen Finkelhor und Russel davon aus, dass Frauen einen höheren Anteil an Jungen missbrauchen, als wie sie Mädchen sexuell missbrauchen (vgl. Elliott 1995, S. 47). Auch Miller (vgl. 2013, S. 509) ist von dieser Annahme überzeugt. Einen möglichen Erklärungsansatz zu dieser Hypothese lässt sich im 8. Kapitel der vorliegenden Bachelorarbeit finden.

Die nachfolgende Tabelle zeigt neun Studien an, die sich mit dem Thema ´Sexueller Kindesmissbrauch durch Frauen´ beschäftigt haben. Diese wurden weitergehend auf das Verhältnis zwischen Täterin und Opfer untersucht. Daraus haben sich folgende Zahlen, wie in Tabelle 1 dargestellt sind, ergeben:

Tabelle 1 Anteil der Mütter in Fällen von Frauen verübter sexueller Missbrauch (eigene Darstellung)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es lässt sich erkennen, dass in acht der neun Studien über die Hälfte der Täterinnen die eigene (Stief-) Mutter war. Nur in der Studie von O´Connor aus dem Jahr 1987 bilden die Mütter eine Minderheit ab. Hier wurden die Opfer in der Mehrheit von Frauen sexuell missbraucht, die ihnen nahe standen.

3 Die Rolle der Mutter in der Gesellschaft

Das vorliegende Kapitel beschäftigt sich mit den Fragen, wie eine ´gute´ Mutter sein soll und was Mütterlichkeit auszeichnet. Folgende Fragestellungen treten im Rahmen dieser Betrachtung auf: Welche Aufgaben bringt Mutterschaft mit sich und wie hat sich eine Mutter zu verhalten, damit sie als ´gute´ Mutter bezeichnet wird. Letztlich geht es um die Frage, ob Mütterlichkeit angeboren ist und welche gesellschaftlichen Erwartungen an die Rolle der Frau als Mutter gestellt werden.

Seit jeher zählt die Erziehung und Versorgung von Kindern zur traditionellen Frauenrolle (vgl. Beck 1986, S. 183) und prägt die Ausrichtung und Identität der weiblichen Geschlechtsrolle (vgl. Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller 2007, S. 187). Es kann gesagt werden, dass die Kindessorge sogar eine Pflicht ist, deren Erfüllung von Frauen erwartet wird (vgl. Braun 2001, S. 6). Der Auftrag von Frauen lautet in der deutschen Gesellschaft, dass sie Mütterlichkeit leisten sollen. „Frauen, so die Idee, hätten einen besonderen Beitrag zur Kultur und gesellschaftlichen Entwicklung zu leisten: ihre Mütterlichkeit.“ (Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller 2007, S. 188) Wie Mütterlichkeit auszusehen hat, legen die in der Gesellschaft vorherrschenden Mutterbilder fest. „Mutterbilder sind Leitbilder, die wie alle Leitbilder normative Ansprüche transportieren. Mutterbilder sind keine Abbilder der Realität, sondern in ihnen spiegeln sich die in den jeweiligen Epochen vorherrschenden gesellschaftlichen Erwartungen an die Beziehungen der Mutter zu ihrem kleinen Kind.“ (Schütze 2010, S. 179) Dieses Bild der Mutter unterliegt dem ständigen Wandel und „wird in einem öffentlichen Diskurs produziert und mit Rückgriff auf normative Konzepte ständig reproduziert“ (Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller 2007, S. 190). Mutterbilder zeigen nicht die Realität, sondern geben lediglich ein Idealbild vor wie sich eine Mutter gegenüber ihrem Kind zu verhalten hat. Die normativen Bilder von Müttern variieren je nach sozialer Umgebung und den aktuellen führenden Meinungen der jeweiligen Expertinnen und Experten, wie Ärztinnen und Ärzte, Pädagoginnen und Pädagogen und Politikerinnen und Politikern. Ihre Meinungen sind richtungsweisend und geben an, wie sich eine Mutter zu verhalten hat, damit sie eine ´gute´ Mutter ist und das Kind sich nach gesellschaftlichen Vorstellungen bestmöglich entwickeln kann (vgl. Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller 2007, S. 180). Der Umgang der Mütter gegenüber ihren Kindern wird durch diese Bilder der Gesellschaft unbewusst beeinflusst und sich diesen zu entziehen ist nahezu unmöglich (vgl. ebd., S. 189 ff.).

3.1 17. und 18. Jahrhundert

Ein erstes Mutterbild entstand laut Badinter mit dem 17. Jahrhundert. Im 17. und 18. Jahrhundert war es durchaus verbreitete Praxis gewesen, dass Mütter aus allen Bevölkerungsschichten ihre Kinder zum Stillen und zur Pflege einer Amme übergaben (vgl. Badinter 1996, S. 45). Die adelige Mutter lehnte das Stillen ihres eigenen Kindes ab, denn sie wollte nicht zu Hause bleiben und auf ihre gesellschaftlichen Aktivitäten verzichten, was aber für das Stillen notwendig gewesen wäre (vgl. ebd., S. 69). Dies tat ihr die bürgerliche Frau gleich, denn sie war stets darum bemüht, mehr Ansehen zu gewinnen und zur damaligen Zeit galt das Stillen des eigenen Kindes als „Eingeständnis, daß man nicht zur besseren Gesellschaft gehörte.“ (ebd., S. 71) Die Mütter im 17. und 18. Jahrhundert verweigerten jegliche mütterliche Aufgaben, denn sie brachten ihnen keine Anerkennung und Achtung und dies führte dazu, dass sie darin keine Notwendigkeit sahen, diese auszuführen (vgl. ebd., S. 74). Je nach wirtschaftlichen Verhältnissen zog für das Stillen der Kinder eine Amme ins Haus, oder das Kind wurde der Amme gebracht, die meist mehrere Stunden entfernt wohnte und wo die Kinder mehrere Jahre blieben (vgl. ebd., S. 45). Oftmals waren jedoch die Ammen durch die mangelnde Hygiene von Krankheiten betroffen und dieses wirkte sich auch auf die Muttermilch aus, die die Kinder tranken. Aus diesem Grund kamen die Kinder häufig schlecht ernährt und krank zurück zu ihren leiblichen Eltern (vgl. ebd., S. 95 ff.). Kaum war das Kind zurück bei seinen Eltern, wurden die Jungen in ein Internat und die Mädchen in eine Klosterschule geschickt und somit fand eine erneute Trennung zwischen den Eltern und den Kindern statt (vgl. ebd., S. 103 ff.). Die Jungen sollten im Internat gebildet und die Mädchen erzogen werden (vgl. ebd., S. 207). Für die Mädchen war eine „intellektuelle Bildung“ (ebd., S. 82) verboten, aber sie sollten zu „fromme[n] Ehefrauen und tüchtige[n] Hausfrauen und Hausherrinnen“ (ebd., S. 82) erzogen werden.

Badinter (vgl. 1996, S. 61) weist daraufhin, dass die Verweigerung des Stillens der Mütter den Eindruck von Herzlosigkeit gegenüber den Kindern erwecken könnte. Jedoch merkt sie an, dass diese Haltung wahrscheinlich als Eigenschutz diente, denn die hohe Kindersterblichkeit war ein weit verbreitetes Problem, und die fehlende Bindung an das Kind bedeutete weniger Leiden für die Eltern, wenn es verstarb. Die hohe Kindersterblichkeit, die in den vorherigen Jahrhunderten dazu gehörte und nichts Außergewöhnliches darstellte, wurde aber im späten 18. Jahrhundert zu einem großen Problem, denn durch den anstehenden ersten Weltkrieg war es von höchster Wichtigkeit, dass der Staat genügend Soldaten zur Verfügung hatte (vgl. Schlumbohm 2012, S. 25). Darum zeigte der Staat im späten 18. Jahrhundert zum ersten Mal Interesse am Kind und forderte die Gesellschaft auf, dass sie dafür zu sorgen habe, dass sich die Überlebenschancen für Kinder verbessern (vgl. Badinter 1996, S. 114).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Weggabe eines Kindes (Pro-Heraldica)

Es entstanden die ersten Findelhäuser, die versuchten, die Kinder, die ausgesetzt wurden, vor dem Tod zu retten, damit diese ihre Dienste zum Wohl des Staates absolvieren konnten (vgl. Schlumbohm 2012, S. 26). Dadurch, dass der Staat erkannte, dass er ohne die Mütter dieses Ziel nicht erreichen konnte, da „die Sterblichkeit bei den Kindern, die von ihrer Mutter gehütet und genährt werden, halb so hoch“ (Badinter 1996, S. 108) war, wurde Ende des 18. Jahrhunderts durch eine Vielzahl an Veröffentlichungen Müttern nahegelegt, die Betreuung ihrer Kinder wieder selbst zu übernehmen und vor allem sie selbst zu stillen. Vor allem Jean-Jacques Rousseau beeinflusste durch seine Veröffentlichung des ´Emile´ im Jahr 1762 das Verhalten der Mütter im hohen Maße und wies darauf hin, dass die Mütter die volle Verantwortlichkeit zum Überleben der Kinder haben (vgl. ebd., S. 143). Es gab somit einen ersten Anreiz zur Mutterliebe (vgl. ebd., S. 35 f.).

3.2 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert änderte sich das Leitbild der Mutter. „Mutterliebe wird [nun] als Pflichterfüllung“ (Schütze 1991, S. 72) angesehen. „Wehe dem Mutterherzen, welchem die Vollziehung dieser Pflicht (das Stillen Y.S.) nicht süß, nicht leicht wird, wehe der Mutter, die sich nicht jedem Verlangendes Säuglings nach ihrem Busen, in dem sichtbaren Wachstum des Kindes, in dem Lächeln nach dem Genusse, in dem Suchen seiner Händchen für die Beschwerden zehnfach belohnt fühlt. Was ist schöner als das Bild einer glücklichen Mutter. Liebe und Sitte und wahre Kindesliebe sind das Element des Weibes! Und jede Pflichterfüllung trägt ihren Lohn, wie jede Pflichtversäumnis ihre Strafe in sich selbst“ (v. Ammon 1851, S. 41, zit. n. Schütze 2010, S. 182)

Der Nationalsozialismus beeinflusste das Mutterbild erheblich und vertrat eine klare Vorstellung darüber, wie die Mutter die Kinder zu erziehen hatte. Ihre Achtsamkeit sollte sich hauptsächlich auf das körperliche Wohlbefinden des Kindes richten (vgl. Friebertshäuser/Matzner/Rothmüller 2007, S. 187 f.), denn es war nun von höchster Bedeutung, dass es überhaupt Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gab, die für den Staat für die anstehenden Kriege zur Verfügung stehen konnten (vgl. Badinter 1996, S. 114). „Das Kind gehörte nicht mehr allein den Eltern, sondern wurde zum Eigentum des Staates“ (Schütze 1991, S. 59). Es setzte sich die Ansicht durch, dass das Wohlergehen nur durch die Mutter sichergestellt werden konnte und ihre Liebe unersetzlich für ihre Kinder ist (vgl. Badinter 1996, S. 161). Um dies zu gewährleisten, wurden die Rollen ganz klar festgelegt. Die Frau wird Mutter und kümmert sich um das Kind und den Haushalt, der Mann wird Vater und verrichtet seine Pflichten im Beruf (vgl. Schütze 1991, S. 72).

Die Frau erlebte im 19. Jahrhundert eine erste Anerkennung. So wurde die Mutterschaft ein anzustrebendes Ziel (vgl. Badinter 1996, S. 113). Vor allem die Frauen des Bürgertums strebten im 19. Jahrhundert freiwillig eine Mutterschaft an und nahmen die neuen mütterlichen Aufgaben gerne wahr, denn sie trugen, durch die entstandene Wertschätzung der Mütter, dazu bei, dass sie wie die aristokratischen Frauen Macht und Einflussnahme erhielten. Neben dem Haushalt wurde ihnen nun auch die Erlaubnis erteilt, ihre Kinder zu erziehen (vgl. ebd., S. 177 f.). Den Müttern, denen es möglich war, fingen an, ihre Kinder selber zu stillen und waren um das körperliche Wohlbefinden der Kinder besorgt. Die Hygiene, sowie die Ernährung verbesserte sich und die Mütter übernahmen nun wieder persönlich die Betreuung der Kinder und wollten sie nicht mehr in Klöster und Internate geben. Die Mütter waren bereit, sich für die Kinder aufzuopfern, denn die Kinder gaben ihnen den „Daseinsgrund“ (ebd., S. 169) in der Gesellschaft. Dafür mussten aber die Mütter ihre Arbeit auf dem Feld aufgeben und den Aristokratinnen war es nicht mehr möglich, an gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen (vgl. ebd., S. 160 ff.). Aus diesem Grund war das neue Bild der Frau nicht für alle Frauen eine Wohltat. Manche erlebten dies als Last (vgl. ebd., S. 178 ff.). So kam es, dass viele ihre Kinder weiterhin zu einer Amme gaben oder aussetzten (vgl. ebd., S. 109), um dafür wiederum fremde Kinder zum Stillen zu sich zu nehmen, um ein paar Pfund dazuverdienen zu können (vgl. ebd., S. 54). Da der Staat die Kinder für seine militärische Macht brauchte, „galt es, die Mütter davon zu überzeugen, sich der vergessenen Aufgaben anzunehmen.“ (ebd., S. 114). So entstand „der Mythos vom Mutterinstinkt“ (ebd., S. 113), den jede Mutter in sich trägt und „eine grenzenlose Hingabe, Geduld und Liebe“ (ebd., S. 205) zu ihrem Kind auslöst und damit die Rechtfertigung, dass die Natur vorgibt, dass eine Mutter sich um ihre Kinder zu kümmern und aufzuopfern hat (vgl. ebd., S. 204 f.). Die Annahme, dass die Natur die Aufgabe und Pflicht der Kinderversorgung der Mutter zugeordnet hat, unterstützte Rousseau im hohen Maße, denn auch er schrieb im ´Emile´, dass die Frau lediglich durch die Ausübung mütterlicher Pflichten, wie das Stillen und die Betreuung ihres Kindes Tag und Nacht, ihr einziger Weg ist, um glücklich zu werden (vgl. ebd., S. 196). Auch wurde den Frauen viele Versprechungen gemacht, damit diese bereit waren, sich ihrer Pflichten als Mutter anzunehmen. Ihnen wurde versichert, dass sie durch eine Mutterschaft Ansehen in der Gesellschaft erlangen. „Seien Sie eine gute Mutter, und Sie werden glücklich und geachtet sein. Machen Sie sich in der Familie unentbehrlich, und Sie werden das Bürgerrecht erhalten.“ (ebd., S. 114) Gerade das Bürgertum erhoffte sich damit einen gesellschaftlichen Aufstieg und war bereit, die Rolle der Mutter auszuführen und sich persönlich um das Kind zu kümmern, denn die Mutterschaft stellte für sie eine besondere Aufgabe dar, die sie vom Mann unterscheidet (vgl. ebd., S. 114 f.). Des Weiteren wurde den Frauen zugesichert, dass die Mutterschaft der Weg zum Glück sei und sie für ihre Aufopferung belohnt werden (vgl. Badinter 1996, S. 212). „Verbindet eine Mutter bei dem Aufziehen ihres Kindes vernünftige Grundsätze in der Wahl der ihrem Kinde zukommenden Nahrungsmittel, mit Reinlichkeit, und diese mit strenger Ordnung, pflegt sie mit eigener Aufopferung ihr Kind, und überläßt sie die Abwartung nur im Nothfalle einer fremden Hand, so wird, wenn sie sich dabei einer vernünftigen gewählten ärztlichen Aufsicht mit ihrem Kind anheimstellt, das Gedeihen ihres Kindes sie für tausend Opfer, für tausend Beschwerden süß und reichlich belohnen.“ (v. Ammon 1827, S. 140, zit. n. Schütze 1991, S. 30)

Jedoch wurde den Müttern im selben Zug, in denen ihnen bei der Ausübung ihrer Pflichten Glück und Anerkennung versprochen wurde, auch gleichzeitig Strafe angedroht, wenn sie diesen Pflichten nicht genügten. Denn wenn das Kind keine positive Entwicklung durchlebte, wurde die Schuld der Mutter zugeordnet (vgl. Badinter 1996, S. 216). Es wurde von der Mutter erwartet, dass sie sich rund um die Uhr um ihr Kind kümmert und sich ausgiebig mit ihm beschäftigt. Geht sie ihrer Pflicht, die ihr von Natur aus gegeben ist, nicht nach, begeht sie die größte Sünde, die sie als Mutter begehen kann (vgl. Badinter 1996, S. 167 f.). Es wurde von der Mutter eine bedingungslose Hingabe und damit Verzicht auf eigene Bedürfnisse erwartet, um so eine gesunde Entwicklung des Kindes und somit den Besitz des Staates sicherzustellen (vgl. Schütze 1991, S. 148).

[...]


[1] Name wurde geändert

[2] Name wurde geändert

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter
Hochschule
Hochschule Fulda
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
79
Katalognummer
V281193
ISBN (eBook)
9783656746973
ISBN (Buch)
9783656746980
Dateigröße
3128 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexueller Missbrauch, Mütter, Mutter, Rolle der Mutter, Kindesmissbrauch, Folgen, Strategien, Inzest, Pädophilie, Erklärungsansätze, Interventionen, Gewalt, Täterin, Kind, Kinder, Missbrauch
Arbeit zitieren
Teresa Peh (Autor:in), 2014, Sexueller Kindesmissbrauch durch Mütter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281193

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