Essstörungen im Leistungssport


Bachelorarbeit, 2013

46 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Leistungssport
2.1 Ernährung im Leistungssport

3. Essstörungen
3.1 Klassische Essstörungen
3.1.1 Anorexia nervosa
3.1.2 Bulimia nervosa
3.1.3 Atypische Formen
3.2 Sportinduzierte Essstörungen
3.2.1 Anorexia athletica
3.2.2 Bulimia exercise

4 Prädisponierende Faktoren
4.1 Sportarten mit hohem Erkrankungsrisiko
4.1.1 Ausdauersportarten
4.1.2 Ästhetische Sportarten
4.1.3 Gewichtsabhängige Sportarten
4.2 Psychosoziale Faktoren
4.2.1 Persönlichkeitsmerkmale
4.2.2 Familiäres Umfeld
4.2.3 Adoleszenz
4.3 Biologische Faktoren
4.4 Soziokulturelle Faktoren
4.5 Sportspezifische Faktoren
4.5.1 Anforderungen und Belastungen
4.5.2 Rolle des Trainers

5 Fallbeispiel: Eva-Maria Fitze
5.1 Leben und sportliche Karriere
5.2 Interview

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Meine Trainerin hat mir oft gesagt, dass ich abnehmen soll,

wenn ich Erfolg haben will […] Das sei nötig, weil Eiskunstlaufen nun mal eine ästhetische Sportart sei“

(Geyer & Pfeil; „2000, S. 244).

Dieser Satz stammt aus einem Interview mit der ehemals Deutschen Meisterin im Eiskunstlaufen, Eva-Maria Fitze, die selbst jahrelang an schweren Essstörungen litt und aufgrund dessen im Alter von 17 Jahren ihre sportliche Karriere unterbrechen musste. (vgl. Geyers & Pfeil, 2000).

Das Interview hat mich auf das Thema aufmerksam gemacht und mich dazu veranlasst, den Zusammenhang von Essstörungen und Leistungssport genauer zu recherchieren. Dabei hat sich gezeigt, dass Essstörung ein sehr präsenter Begriff in unserer heutigen Gesellschaft ist. Besonders in der Modelbranche, steht er verstärkt im Zusammenhang mit der sogenannten Size-Zero-Größe. Und auch in den Medien sind Essstörungen längst kein Tabuthema mehr.

In Bezug auf den Sportler1 bzw. den Leistungssport ist dieses Thema, mit Ausnahme weniger Berichte in den Medien über prominente Athleten, öffentlich jedoch recht wenig diskutiert. Dennoch zeigen Untersuchungen der Wissenschaft, dass Fälle von Essstörungen im Bereich des Leistungssports durchaus vorhanden sind und nicht so selten auftreten, wie man vermuten mag (vgl. Lebenstedt et al., 2004, S.1).

Im Laufe der Jahre gewinnt der Leistungssport in unserer aktuellen Leistungsgesellschaft immer mehr Bedeutung. Die Athleten wollen immer schneller, weiter, besser und stärker sein. Aber auch die Trainer, die Medien, Sponsoren und sogar die Eltern erwarten immer bessere Leistungen. Was zählt, sind Siege, Rekorde und Medaillen (vgl. Andrey, 2009, S.1).

Demzufolge führt der Druck auf die Athleten, ihre Leistungsfähigkeit nach Möglichkeit permanent zu steigern, einer ästhetischen Norm zu entsprechen oder eine bestimmte Gewichtsklasse zu erreichen, immer häufiger zu Anstrengungen, ein oftmals unrealistisch niedriges Köpergewicht erreichen zu wollen. Dabei kann eine kontrollierte Gewichtsreduktion in einem gesunden und unbedenklichen Rahmen durchaus eine Leistungssteigerung bringen, wird jedoch das individuell optimale Verhältnis zwischen Körper- bzw. Muskelmasse und Leistungsanforderung gestört, können neben einer Leistungsminderung auch gesundheitliche Beeinträchtigungen auftreten. Meistens erreichen die Athleten auf diese Weise keine langfristigen Erfolge und müssen ihre sportliche Karriere frühzeitig beenden (vgl. Lebenstedt et al., 2004, S.8 f.).

Aber was veranlasst Sportler dann dazu, dieses Risiko einzugehen? Welche Ursachen und Faktoren spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle? Und gibt es Sportarten, in denen die Wahrscheinlichkeit, also das Risiko einer Erkrankung, erhöht ist? Genau mit diesen Fragen möchte ich mich in der vorliegenden Arbeit auseinandersetzen.

Unter dem Thema Essstörungen im Leistungssport werde ich untersuchen, ob das Leistungssportmilieu an sich bereits ein Auslöserfaktor für eine Essstörung sein kann oder ob die Verbindung mit anderen Faktoren und Komponenten das Auftreten begünstigt. Dazu versuche ich gezielt einige Faktoren aufzugreifen, die für mich mutmaßlich in engem Zusammenhang mit dieser Erkrankung stehen könnten.

In einem ersten Schritt werde ich zunächst einige Begriffe zur Eingrenzung des Themas erläutern. Dabei werde ich neben dem Begriff des Leistungssports und der Bedeutung von Ernährung im Sport, vor allem den Bereich der Essstörungen differenziert darstellen.

Danach gehe ich zum Hauptteil meiner Arbeit über, in welchem ich gezielt auf Faktoren eingehe, die die Entstehung einer Essstörung begünstigen bzw. beeinflussen können. Dazu werde ich zum Teil Ursachen einer klassischen Essstörung auf das Leistungssportmilieu übertragen, aber darüber hinaus auch einige sportspezifische Faktoren anführen. Zuerst möchte ich auf einige sportliche Kategorien bzw. Disziplinen zu sprechen kommen, um herauszustellen, inwiefern Körperform und Gewicht hier verstärkt eine Rolle spielen und in welchem Zusammenhang die Anforderungen dieser einzelnen Sportarten mit dem Essverhalten der Athleten stehen können. Dazu habe ich drei Kategorien gebildet: Ausdauersportarten, ästhetische Sportarten und Sportarten, in denen Gewichtsklassen eine Rolle spielen.

Des Weiteren möchte ich in diesem Kapitel einige psychosoziale Faktoren darlegen, zu denen z.B. Merkmale der Persönlichkeit, das familiäre Umfeld und die Adoleszenz gehören. Kurz werde ich auch auf genetisch-biologische Ursachen hinweisen, die allerdings wissenschaftlich wenig belegt sind und daher nur kurz angesprochen werden. Eine weitere Kategorie bilden die soziokulturellen Faktoren. Hier möchte ich den Einfluss von Gesellschaft und Medien auf den Sportler näher beleuchten. Also welche Rolle spielen Öffentlichkeit und Medien im Leben des Sportlers? Werden von der derzeitigen Gesellschaft Körperbilder vermittelt und zugleich erwartet, die den Athleten dazu veranlassen, ihr eigenes Körperbild als falsch wahrzunehmen?

Zuletzt habe ich mir zwei Bereiche herausgesucht, die speziell im Leistungssportbereich von Bedeutung sind und unter dem Aspekt sportspezifische Faktoren zusammengefasst. Zuerst sollen in dem Kapitel Anforderungen und Belastungen die verschiedenen Anforderungsprofile und der damit verbundene Leistungsdruck, dem die Sportler ausgesetzt sind, herausgestellt werden. Dazu gehören zum Beispiel die Doppelbelastungen durch Schule und Sport, enorme Trainingsumfänge sowie der Umgang mit Sieg, Niederlage und Verletzungen. Anschließend soll auch die Rolle des Trainers betrachtet werden. Das Zitat zu Beginn meiner Arbeit lässt bereits darauf schließen, welchen Einfluss die Trainer auf ihre Athleten haben und wie sich dessen Aussagen und Maßnahmen auf den Sportler auswirken können.

Nachdem ich die genannten Faktoren dargelegt habe, möchte ich einige davon anhand eines Fallbeispieles noch einmal aufgreifen. Dafür habe ich ein Interview der Deutschen Eiskunstläuferin Eva-Maria Fitze mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL gewählt. In diesem Interview spricht die junge Sportlerin, die selbst an Bulimie erkrankte, unter anderem über Ursachen, die zu ihrer Erkrankung geführt haben. Diese möchte ich dann auf die von mir erarbeiteten Faktoren beziehen.

In einem abschließenden Fazit werde ich dann die Ergebnisse meiner Arbeit noch einmal zusammenfassen und kurz auf eine mögliche Entwicklung hinweisen bzw. einen kleinen Ausblick auf präventive Maßnahmen geben.

2. Leistungssport

Um den Begriff des Leistungssports von dem des Freizeit- bzw. Breitensports abzugrenzen, muss man die verschiedenen Schwerpunktsetzungen betrachten. Der Breitensport dient in erster Linie der körperlichen Fitness, der Freizeitgestaltung und der Pflege sozialer Kontakte. Hier steht vor allem auch die Freude an der Bewegung im Vordergrund, da die Teilnahme an regelmäßigem leistungsintensivem Training und an Wettkämpfen nicht verpflichtend ist (vgl. Röthing, 1992, S.12).

Im Gegensatz dazu liegt der Fokus beim Leistungssport deutlich auf der Leistung des Sportlers, dem Erfolg bei Wettkämpfen und dem Erzielen von neuen Rekorden. Das Sportwissenschaftliche Lexikon differenziert darüber hinaus zwischen den Begriffen Leistungssport, also Sport, der mit dem Ziel der persönlichen Höchstleistung betrieben wird, und Hochleistungssport bzw. Spitzensport, der auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene betrieben wird, mit dem Ziel der absoluten Höchstleistung. (vgl. ebd.,1992, S. )

Aber auch das Training spielt in diesem Zusammenhang eine maßgebliche Rolle, da das Training im Leistungssportbereich wettkampforientiert und sehr zeitintensiv ist. Wischmann (1971, S.14) meint dazu: „Die körperlichen Leistungen im Spitzensport werden anhand eines Trainingsplans entwickelt, der Tag für Tag eingehalten werden muss, damit am Höhepunkt des sportlichen Lebens, dem Wettkampf, der höchste Leistungsstand erreicht wird.“ Daraus lässt sich schließen, dass der Leistungssport einen Großteil der Zeit eines Sportlers in Anspruch nimmt, teilweise sogar als Beruf ausgeübt wird.

Ist ein Sportler im Leistungsbereich tätig, gibt es einige grundlegende Faktoren, die unabhängig von der Altersklasse zu beachten sind, um einen optimalen Leistungsstand erreichen zu können. Dazu zählt zum Beispiel ein regelmäßiges und leistungsintensives Training in Zusammenarbeit mit einem Trainer, regelmäßige Trainingskontrollen in Form von Wettkämpfen oder standardisierten Leistungstests sowie eine trainingsgemäße ausgewogene Ernährung (vgl. Andrey, 2009, S.19).

2.1 Ernährung im Leistungssport

„Wenn man sich richtig ernährt, kann man Gesundheit und Leistungsfähigkeit steigern, während man durch eine falsche Ernährung das Gegenteil erreicht“ (Konopka, 2001, S.9).

Der Leistungssport stellt einen hohen körperlichen und geistigen Anspruch an den Organismus des Athleten, weshalb eine an entsprechend hochwertige und an den Leistungssport angepasste Ernährung erforderlich ist, die sich von der Ernährung der allgemeinen Bevölkerung unterscheidet. Voraussetzung dafür ist, dass die Sportler wissen, welche Nahrungsmittel sich positiv auf den Trainingseffekt auswirken und welche besser gemieden werden sollten (vgl. ebd. S. 10). Demzufolge sollte die richtige Menge an Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen eingehalten werden.

Eine Tabelle zeigt den Vergleich einer normalen und gesunden Ernährung mit einer idealen Sporternährung:

(vgl. Konopka, 2001, S. 10)

Das Nährstoffverhältnis bzw. der Nährstoffbedarf ist allerdings von Sportart zu Sportart verschieden und richtet sich nach dem jeweiligen Energieverbrauch (siehe Anhang, S. ІІ).

Kohlenhydrate benötigen bei ihrer Verbrennung weniger Sauerstoff als Fette und Proteine. Sie ergeben also mehr Energie pro verbrauchten Liter Sauerstoff, was bei einer hohen sportlichen Belastung wichtig ist, da dann nur wenig Sauerstoff verfügbar ist. Ebenso wichtig ist eine eiweißreiche Ernährung. Diese dient dem Aufbau der Muskulatur, der muskulösen Leistung sowie der Konzentrations- und Koordinationsfähigkeit. Generell sollten Leistungssportler eine fettarme, dafür proteinreiche Ernährung bevorzugen.

Darüber hinaus sind Vitamine und essentielle Mineralstoffe für den Ablauf der Stoffwechselvorgänge unverzichtbar und werden bei Leistungssportlern umso mehr benötigt, da sie durch das vermehrte Schwitzen schneller verloren gehen. Der Bedarf an Vitaminen ist also neben dem Grundbedarf auch vom Trainingsumfang des Sportlers abhängig. In der Regel verbrauchen Leistungssportler viermal mehr Vitamine als Nichtleistungssportler.

Mineralstoffe, werden vom Körper selbst nicht bereitgestellt und müssen daher über die Nahrung supplementiert werden. Ein Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen kann die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft des Athleten nachhaltig senken (vgl. ebd., 2001, S.12 f).

Die Ernährung wirkt sich außerdem auch auf die Regenerationsprozesse aus.

Wird auf eine bedarfsgerechte Ernährung geachtet, kann sich der Körper schneller regenerieren und begünstigt dadurch eine Steigerung der Leistungsfähigkeit (vgl. ebd., S.11).

Ebenso bedeutsam ist eine regelmäßige Flüssigkeitszufuhr des Körpers. Aufgrund der Wärmeproduktion bei intensiver sportlicher Betätigung, verdunstet das Wasser auf der Hautoberfläche schnell. Wassermangel führt zu verminderter Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit, weshalb der Flüssigkeitshaushalt stetig versorgt werden sollte (vgl. ebd., S.15).

Athleten, die im Bereich des Leistungssports aktiv sind, durchlaufen in der Regel vier Trainingsphasen und dementsprechend vier Ernährungsphasen. Eine Trainings- bzw. Aufbauphase, die Vorwettkampfphase, die Wettkampfphase und eine Nachwettkampfphase. In diesen einzelnen Abschnitten der Wettkampfvor- und Nachbereitung richten sich die Athleten nach den speziell für die jeweilige Phase gestalteten Ernährungsplänen. Solche Pläne werden hinsichtlich der Anforderungen und des Nährstoffbedarfs innerhalb des Trainingsprogramms entwickelt und dienen der optimalen Trainingsergänzung (vgl. ebd., S. 22f).

3. Essstörungen

Allgemein lassen sich Essstörungen als Störungen in der Regulation der Nahrungsaufnahme definieren, deren Auslöser in der Regel keine körperlichen Faktoren wie Krankheiten sind.

Demnach handelt es sich um psychosomatische Erkrankungen, bei denen ein gestörtes Verhältnis zum Essen und zum eigenen Körpergewicht besteht, was sowohl negative medizinische sowie psychische und soziale Konsequenzen haben kann (vgl. Lebenstedt & Bußmann, 2004, S. 14).

Gerlinghoff & Backmund (2000, S.14) fassen zusammen: „Im medizinischen Sinn sind Essstörungen seelische Krankheiten“.

Typisch ist, dass sich Betroffene übermäßig mit Körpergewicht, Ernährung und der eigenen Figur beschäftigen und dieses Verhalten eine Art Suchtcharakter aufweist (vgl. Sonnenmoser, 2006, S.314). Das heißt aber nicht, dass jeder, der seine Nahrungsaufnahme kontrolliert, intensiv Sport treibt oder gelegentlich Heißhungerattacken verspürt, automatisch an einer Essstörung leiden muss. (vgl. Gerlinghoff & Backmund, 2000, S.14). „[…] Essgestörtes Verhalten ist, für sich genommen, keine Krankheit.“(ebd. S.14). Dennoch hat sich gezeigt, dass die Übergänge von einem gestörten Essverhalten bis hin zu einer tatsächlich diagnostizierten Essstörung, mit einem offensichtlichen Krankheitsbild, meist fließend sind (vgl. ebd. S.12).

Ein gestörtes Essverhalten kann durch unterschiedliche Verhaltensmuster charakterisiert werden, wie z.B. das Verzichten auf bestimmte Nahrungsmittel, das bewusste Reduzieren der Nahrungsmenge, aber auch Kontrollverluste beim Essen, Heißhunger- oder Fressattacken (vgl. Cuntz & Hillert, 2008, S.48).

Daraus lässt sich schließen, dass eine Essstörung ein ernst zu nehmendes Problem ist, welches die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränkt. Gesellschaftliche Isolation, verminderte Leistungsfähigkeit oder körperliche Beeinträchtigungen sind häufige Begleiter dieser Krankheit.

Es gibt verschiedene Formen und Ausprägungen der Krankheit, im Rahmen meiner Arbeit erscheint mir allerdings eine Differenzierung zwischen den sogenannten klassischen (auch klinischen) Essstörungen und den sportinduzierten Essstörungen als besonders sinnvoll.

3.1 Klassische Essstörungen

3.1.1 Anorexia nervosa

„Die Bezeichnung Anorexia bedeutet so viel wie Appetitlosigkeit. Der Zusatz nervosa verweist auf die psychischen Ursachen des Phänomens.“ (Sorge & Schwarze, 2006, S.25). Diese wörtliche Übersetzung ist jedoch keine korrekte Beschreibung der Erkrankung, da den Betroffenen weniger der Appetit oder das Verlangen nach Nahrung fehlt, sondern viel mehr eine Sucht nach Hunger entsteht. Die synonym verwendete Bezeichnung Magersucht erscheint daher passend. „Magersüchtige sind süchtig nach Hunger“ (Hoffmann, 2009, S.3).

Anorektische Menschen haben als zentrales Motiv den Wunsch nach extremer Schlankheit und Selbstbestimmtheit (vgl. Gerlinghoff, 2002, S.12). Im Fokus der Betroffenen steht demzufolge die permanente Beschäftigung mit dem eigenen Körpergewicht und einer schnellen Gewichtsreduktion.

Sie nehmen nur sehr wenig Nahrung zu sich und achten zudem meist äußerst genau auf die Zusammensetzung der Nahrungsmittel, welche sie zuvor häufig in erlaubte und verbotene Lebensmittel einteilen. Somit werden zucker- und fetthaltige Lebensmittel meist komplett gemieden und mit Fortschreiten der Krankheit wird auch die Auswahl und Menge der Nahrungsmittel immer stärker eingeschränkt bzw. reduziert (vgl. Hoffmann, 2009, S.3).

Demzufolge ist die Krankheit durch starken Gewichtsverlust gekennzeichnet, denn nicht selten liegt das Körpergewicht der Erkrankten sogar mehr als 15% unterhalb des medizinischen Normbereichs (vgl. Bruch, 2000, S.9).

Zu beobachten ist in vielen Fällen, dass die Betroffenen unter starken Körperschemastörungen leiden, was bedeutet, dass sie ein völlig verschobenes Körperbild haben und sich auch bei extremem Untergewicht noch immer als zu dick empfinden. Obwohl ein massives Untergewicht vorliegt, setzen sich die Betroffenen im Laufe der Krankheit immer niedrigere Gewichtsgrenzen, wobei die Waage bzw. das zwanghafte Wiegen mehrmals täglich zur wichtigsten Kontrollinstanz wird, um zu überprüfen, ob eine weitere Gewichtsabnahme stattgefunden hat.

„Um das Krankheitsbild der Magersucht eindeutig diagnostizieren zu können, wurden Kriterien entwickelt, die einem internationalen Klassifikationssystem zuzuordnen sind“ (Saß et al., 2003).

Die Anorexie ist nach dem DSM-IV2 durch vier Kriterien gekennzeichnet:

a) Weigerung ein normales Körpergewicht zu halten/ zu erreichen oder die Feststellung von Untergewicht (Ermittlung über BMI3 )
b) massive Angst vor Gewichtszunahme
c) Störung der eigenen Körperwahrnemung
d) Eintreten einer Amenorrhoe4 (vgl. Andrey, 2009, S.6).

Darüber hinaus ist für die Diagnose und Behandlung der Krankheit eine Unterscheidung in zwei Subtypen notwendig. Man unterscheidet den Restriktiven Typus und den Binge-Eating/ Purging Typus. Ersteres beschreibt eine Gewichtsreduktion, die ausschließlich durch eine verringerte Nahrungsaufnahme oder das Meiden von hoch kalorischen Nahrungsmitteln erfolgt. Beim zweiten Typ hingegen erfolgen regelmäßige Fressanfälle, selbstinduziertes Erbrechen und/oder der Missbrauch von Abführmitteln (vgl. Fechner, 2007, S. 2).

3.1.2 Bulimia nervosa

Der Begriff Bulimia kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt Ochsenhunger, was im weitesten Sinne mit dem Begriff Heißhunger gleichgesetzt werden kann (vgl. Lebenstedt et al., 2004, S. 18), nervosa verweist wiederum auf die psychische Ursache dieses Verhaltens (s. Kapitel 3.1.1).

Gekennzeichnet ist die Bulimia nervosa, kurz Bulimie, durch immer wieder auftretende Heißhungerattacken und Essanfällen, welche durch die zuvor stattfindende starke Einschränkung der Nahrungsaufnahme provoziert bzw. ausgelöst werden.

Bei einem solchem Essanfall werden große Mengen meist hochkalorischer Nahrungsmittel schnell und suchtartig verzehrt, wobei die Menge der Nahrung erheblich größer ist als die Menge, die die meisten Menschen durchschnittlich in gleichem Zeitraum zu sich nehmen würden. Daraus wird ersichtlich, dass die Betroffenen während dieser Essattacken zumeist die Kontrolle über die gegessene Menge verlieren und folglich mehrere tausend Kalorien verzehren (vgl. Jacobi & Thiel, 2004, S.5).

Im Anschluss kommt es dann bei bulimischen Personen in der Regel zu Reuegefühlen und Angst vor einer möglichen Gewichtszunahme. Da die Betroffenen eine Gewichtszunahme nicht akzeptieren, leiten sie oft Gegenmaßnahmen in Form von strengsten Diäten, übermäßiger sportlicher Betätigung und/oder selbst herbeigeführtem Erbrechen ein. Nicht selten treten diese Prozesse auch in Kombination mit dem Missbrauch von Abführmitteln und Entwässerungsmedikamenten auf (vgl. Gerlinghoff, 2002, S. 16). Aus diesem Verhalten leitet sich auch die Bezeichnung Ess-Brech-Sucht ab.

Im Gegensatz zur Anorexie handelt es sich bei der Bulimie um eine sogenannte heimliche Erkrankung, da die Betroffenen meist von ihrem äußeren Erscheinungsbild eher unauffällig sind und auch ein im Normbereich liegendes Körpergewicht aufweisen. Auch das Essverhalten in der Öffentlichkeit ist bei dieser Form der Essstörung sehr kontrolliert, was häufig dazu führt, dass selbst das engere Umfeld nichts von der Erkrankung bemerkt (vgl. Bruch, 2000, S.13).

Bulimia nervosa zeichnet sich nach dem Standard des DSM-IV anhand folgender Diagnose-Kriterien aus:

a) Wiederholte episodische Fressattacken mit Kontrollverlust
b) Maßnahmen gegen eine Gewichtszunahme
c) Dauer des gestörten Verhaltens (drei Monate, zweimal pro Woche)
d) unverhältnismäßige Selbstbewertung von Figur und Körpergewicht
e) Störung folgt nicht der Anorexia nervosa (vgl. Andrey, 2009,S.13).

Darüber hinaus unterscheidet man auch bei der Bulimia nervosa zwei verschiedene Subtypen, den Nicht Abführenden Typ (Non-Purging-Typus) und den Abführenden Typ (Purging-Typus). Ersterer ist gekennzeichnet durch regelmäßige Ausübung von exzessiver sportlicher Betätigung und Fasten in der gegenwärtigen Phase zur Kompensation der Fressanfälle. Bei dem zweiten Typ wird in der gegenwärtigen Phase regelmäßiges Erbrechen induziert und zudem häufig ein Medikamentenmissbrauch von Laxantien5 und Diuretika6 praktiziert (vgl. Fechner, 2007, S. 5).

3.1.3 Atypische Formen

Unter der Kategorie Atypische Formen, auch nicht näher klassifizierte Essstörungen genannt, sind diejenigen Essstörungen zusammengefasst, die nicht alle Kriterien der spezifischen Essstörungen erfüllen oder mindestens eins nicht. Eine atypische Anorexie kann zum Beispiel vorliegen, wenn das Gewicht nach einer erheblichen Gewichtsabnahme noch im normalen Bereich liegt. Von einer atypische Bulimie kann man beispielsweise sprechen, wenn die Essattacken weniger häufig als einmal pro Woche auftreten und seit weniger als drei Monaten auftreten (vgl. Jacobi & Thiel, 2004, S.8).

Ein weiteres Beispiel der nicht näher bezeichneten Essstörungen ist die sogenannte Binge-Eating-Störung, auch latente Ess-Brech-Sucht genannt. Dieses Krankheitsbild erscheint ähnlich dem der Bulimia nervosa, allerdings werden in diesem Fall nach den episodischen Essanfällen keine regelmäßigen Kompensationsmaßnahmen eingeleitet, weshalb Binge-Eating-Erkrankte auch oft an Übergewicht leiden (vgl. ebd., S.8).

Auch Adipositas7 zählt auch zu den atypischen Essstörungen, da Übergewicht und Adipositas aber im Rahmen des Leistungssports in der Regel keine Rolle spielen, wird in der vorliegenden Arbeit nicht detaillierter darauf eingegangen.

[...]


1 Der Einfachheit halber verzichte ich im Rahmen meiner Arbeit auf eine geschlechtsspezifische Trennung. Demzufolge impliziert der maskuline Ausdruck (Athlet, Sportler, etc.) auch die jeweilige feminine Form.

2 Diagnostisches und Statisches Manual psychischer Störungen

3 Body Mass Index: entspricht dem Körpergewicht in Kilogramm durch die Körpergröße in Meter (vgl. DHS, 2004)

4 Das Ausbleiben der Regelblutung bei Frauen in mindestens drei aufeinanderfolgenden Monaten (vgl. Andrey, 2009)

5 Arzneimittel zur Beschleunigung der Darmentleerung (vgl. Antwerpes, 2008)

6 Arzneimittel zur Ausschwemmung von Wasser aus dem Körper (vgl. Antwerpes, 2008)

7 Ernährungs- bzw. Stoffwechselkrankheit mit starken Übergewicht; auch als Fettsucht bekannt (vgl. Antwerpes, 2008)

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Essstörungen im Leistungssport
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
46
Katalognummer
V281405
ISBN (eBook)
9783656831488
ISBN (Buch)
9783656829294
Dateigröße
728 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Essstörungen, Leistungssport, Risikofaktoren, Ernährung, Magerssucht, Sport, Essverhalten
Arbeit zitieren
Anne Schillingmann (Autor:in), 2013, Essstörungen im Leistungssport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281405

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