Das Verhältnis von Herr und Knecht in Hegels Phänomenologie des Geistes aus inter- bzw. intrasubjektiver Perspektive


Studienarbeit, 2014

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Das Verhältnis von Herr und Knecht aus intersubjektiver Perspektive
1.1. Der Kampf um Anerkennung bei Axel Honneth
1.2. Das intersubjektive Verhältnis von Herr und Knecht

2. Das Verhältnis von Herr und Knecht aus intrasubjektiver Perspektive
2.1. Philosophie des Selbstbewusstseins von Pirmin Stekeler-Weithofer
2.2. Das intrasubjektive Verhältnis von Herr und Knecht

3. Kritik beider Lesarten und Versuch einer Synthese

Zusammenfassung und Schluss

Einleitung

In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, das als sehr schwer lesbar geltende vierte Kapitel aus Hegels Phänomenologie des Geistes (kurz: PdG), genauer die Passagen zur Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewusstseins, speziell und explizit ent- lang der Begriffe von Herrschaft und Knechtschaft, mithilfe zweier Lesarten zu erschlie- ßen. Freilich kann der Originaltext Hegels hier nicht im Detail interpretiert werden, auch wenn die Absicht dazu (im Sinne einer Kritik der zu vergleichenden Lesarten) zunächst an- gedacht war, würde dieser Ansatz den Rahmen der Arbeit um ein vielfaches übersteigen. Darum wird eine Betrachtung der Problematik von Herrschaft und Knechtschaft überwie- gend durch die zu verwendenden Sekundärtexte erfolgen, wobei der Primärtext (die PdG; speziell das oben genannte Kapitel) vorausgesetzt und an Schlüsselstellen auch entspre- chend eingearbeitet wird.

Die beiden Lesarten, die vorzustellen das primäre Ziel dieser Arbeit ist, stehen in einem ge- wissen Spannungsverhältnis zueinander. Es handelt sich bei den beiden Deutungen/ Lesar- ten zum einen um eine „intersubjektive“ und zum anderen um eine „intrasubjektive“ Per- spektive auf das Verhältnis von Herr (bzw. Herrschaft) und Knecht (bzw. Knechtschaft). Das heißt, dass der Kampf um Anerkennung respektive das Verhältnis der beiden näher zu bestimmenden Größen von Herr und Knecht, den Hegel beschreibt, als Kampf verschiede- ner Subjekte mit- und gegeneinander (intersubjektive Lesart/ Perspektive) oder als Kampf innerhalb eines Subjektes bzw. einer Person (intrasubjektive Lesart/ Perspektive) gedeutet wird.

Die beiden Perspektiven werden hier exemplarisch vertreten bzw. im Sinne dieser Arbeit vergleichend zunächst gegeneinander positioniert; von Axel Honneth mit seinem Werk Kampf um Anerkennung 1 und Pirmin Stekeler-Weithofer mit seinem Werk Philosophie des Selbstbewusstseins 2 . Ziel dieser Gegenüberstellung ist die Herausarbeitung der systemati- schen Differenzen beider Ansätze und die Bewertung/ Beurteilung des eventuell auffindba- ren (zu explizierenden) philosophischen Gewinns bzw. Verlusts, welcher durch die jeweili- ge perspektivische Verkürzung oder Erweiterung zu erwarten ist. Wobei zu erwähnen bleibt, dass auch andere Philosophen (gerade für den Fall der intersubjektiven Deutung/ Lesart) für diese Zwecke hätten herangezogen werden können - hier wurde eine repräsen- tative, zumindest aber eine für die Zwecke dieser Arbeit dienliche Auswahl getroffen. Der umfängliche Schwerpunkt der Arbeit wird dabei auf der Darstellung der intrasubjektiven Lesart Stekeler-Weithofers liegen, weil diese der traditionellen (und als inhaltlich mehr oder weniger bekannt unterstellten) Lesart in einem gewissen Sinne entgegensteht und sie daher neue Erkenntnisse verspricht; außerdem weil ihr Textbezug zum Original detaillierter und expliziter ausformuliert ist, was sich in seinem vollen Umfang erst mitten in der eigentlichen Textproduktion im Rahmen dieser Arbeit gezeigt hat.

Zudem wird an geeigneten Stellen das Werk HEGEL ON SELF-CONSCIOUSNESS 3 Ro- bert B. Pippins hinzugezogen; zum einen, weil dessen Verweise auf den intrasubjektiven Ansatz von Pirmin Stekeler-Weithofer für diese Arbeit nützlich und der Sache nach ange- bracht sind, zum andern, weil Pippins eigener Interpretationsansatz (intersubjektive Deu- tung) der Problematik von Herr und Knecht in der PdG eventuell hilfreich sein kann.

1. Das Verhältnis von Herr und Knecht aus intersubjektiver Perspektive

1.1. Der Kampf um Anerkennung bei Axel Honneth

In Axel Honneths Werk Kampf um Anerkennung (Untertitel: Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte) wird eine intersubjektive Perspektive auf das Verhältnis von Herr und Knecht eingenommen, welche die sozialen und politischen Konflikte und Kämpfe zwi- schen Menschen und verschiedenen Gruppen in den Fokus rückt. Das Werk ist dabei inspi- riert von Hegels „Denkmodell“ eines Kampfes um Anerkennung, welcher als Grundlage und Ausgangspunkt für eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie fruchtbar gemacht werden soll, ohne dabei alle idealistischen Voraussetzungen Hegels zu teilen.4

Diese einleitenden Bemerkungen aus dem Vorwort geben uns grob die Richtung und den Ansatz der intersubjektiven Perspektive vor und werden im Nachwort und im Rahmen ei- ner auf das eigne Werk reflektierenden Rückschau Honneths durch die folgende Absichts- erklärung ergänzt:

„ [...] im wesentlichen lag dem die Absicht zugrunde, die von Hegel analysierten Struktu- ren der wechselseitigen Anerkennung nicht länger nur als Voraussetzungen des Selbstbe- wusstseins, sondern als praktische Bedingung eines positiven Selbstverhältnisses der Men- schen zu begreifen. “ 5

Das Zitat ist dabei für diese Arbeit in doppelter Weise nützlich, zum einen, weil es die intersubjektive Lesart Hegels voraussetzt und zum anderen, weil es bereits eine weitere Lesart oder Deutung beschreibt, nämlich den Bezug (und die Anerkennung) zu anderen Personen als eine Voraussetzung für eine intakte Selbstbeziehung. Eine ähnliche Bewegung über die ursprünglich eigene Lesart und Perspektive hinaus gibt es auch bei Stekeler-Weithofer zu beobachten, woraus sich die Möglichkeit einer Vermittlung6 beider Positionen ergibt, was hier aber zunächst nur erwähnt sein soll.

Honneth folgte der Idee, dass Formen der wechselseitigen Anerkennung sich unterscheiden lassen und zwar nach ihrem jeweiligen Beitrag zur Ermöglichung bzw. Konstituierung ei- ner bestimmten Form der individuellen Selbstbeziehung. Er unterschied demzufolge drei Anerkennungsmodi: Den der Liebe, den des Rechts und den der Solidarität.7 Aus dem Zitat und mit Blick auf die zusammengetragenen Gedanken Honneths wird klar, dass hier die jeweiligen Anerkennungsverhältnisse, in denen Menschen sich befinden kön- nen, in ihrer Bedeutung für das jeweilige Selbstverhältnis beleuchtet werden sollen. Dass diese Verhältnisse sogar konstitutiv für das jeweilige Selbstverhältnis sind, ist eine Idee, welche sich direkt auf Hegels Einfluss zurückführen lässt, wie es Honneth im obigen Zitat auch explizit macht. Hierauf wird Stekeler-Weithofer in seinem eigenen Ansatz Bezug neh- men und diesen Gedanken bejahen, aber als nicht ausreichend bemängeln, aber dazu an ge- gebener Stelle mehr. Eine aufschlussreiche Auflistung8 aller Anerkennungsverhältnisse, in- klusive des Ausweises ihrer verschiedenen sozialen und psychologischen Dimensionen und Effekte (z.B. auch die Missachtungsformen), vermittelt einen Eindruck von der Komplexi- tät und von dem umfassenden Erklärungsanspruchs dieses Ansatzes, dem aber in all diesen Facetten hier nicht nachgegangen werden kann.

Dass der Kampf um Anerkennung seinen Platz zwischen den Subjekten (und Gruppen) hat, wird von Honneth vorausgesetzt, denn erst in einem Anerkennungsverhältnis, welches in diesem Sinne intersubjektiv ausgeformt ist, kann sich ein davon abhängiges Selbstverhält- nis etablieren. Letztendlich teilt Honneth mit Hegel die Einsicht (so liest jedenfalls Hon- neth Hegel), dass es einen asymmetrischen Kampf um Anerkennung zwischen den Men- schen gibt, welcher sich in einem Zustand der wechselseitigen Anerkennung als freie und verantwortliche Personen aufhebt, wobei Honneth den metaphysischen und spekulativen Gehalt der Hegelschen Theorien durch eine Aktualisierung und durch empiristische Ansätze (z.B. denen von G. H. Mead) entschärfen und modernisieren will.9

1.2. Das intersubjektive Verhältnis von Herr und Knecht

Eine kleine Skizze der „traditionellen“ Lesart (intersubjektiver Anerkennungsprozess) sei vorab erlaubt, lediglich um den Kontrast zur intrasubjektiven Lesart zu veranschaulichen. Das Verhältnis von Herr (Herrschaft) und Knecht (Knechtschaft) ist in diesem Sinne als eine Auseinandersetzung zwischen zwei Personen zu denken. In einem weiteren Sinne auch als der Kampf (auf Leben und Tod)10 verschiedener Personen, Gruppen, Klassen oder Parteien gegeneinander, wobei sich durch diesen Kampf und die folgende Niederlage bzw. den Sieg einer Person oder Gruppe, die Unterwerfung der unterlegenen anderen Person oder Gruppe ergibt. Die unterlegene Partei wird so Knecht der siegreichen, welche von nun an die Herrschaft über den Knecht ausübt. Auf diese Weise wird dann auch alles Tun des Knechts ein Tun des Herrn11, weil der Herr in Freiheit und Selbstbestimmung handelt, hin- gegen der Knecht nur mehr den Willen des Herrn wie ein Werkzeug auszuführen hat. Die- ser Zustand ist eben nicht dauerhaft und stabil, sondern folgt einer (dialektischen) Bewe- gung, welche am Ende diese Verhältnisse wieder auflöst oder gar umkehrt, da beide Partei- en die eigentliche Wahrheit und Gewissheit ihrer Selbst in diesem asymmetrischen Aner- kennungsverhältnis nicht verwirklichen können. „Ziel“ des auf diese Weise gerichteten Prozesses ist das zur Ruhe kommen dieser Kämpfe und der sie antreibenden Begierden12 der Menschen in einem stabilen bürgerlichen Friedens- und Rechtszustand, in dem die Menschen als Personen frei und zugleich einander verpflichtet sind. So weit die sehr grobe Skizze des instabilen Verhältnis von Herr und Knecht, als ein Verhältnis zwischen zwei Menschen auf dem Wege zur Person.

Die Instabilitäten im Verhältnis der Menschen und Gruppen zueinander sind der Grund für die weitere Entwicklung dieser Verhältnisse, wobei die Ausformung von Recht und also die Frage nach der Gerechtigkeit relevant wird. So ist das Recht (die Rechtsverhältnisse) eine Anerkennungsform oder ein Ausdruck der Anerkennung eben auf dieser institutionalisier- ten Ebene, welche durch Missachtung und Verletzung zu weiteren Kämpfen um Anerken- nung (inklusive der damit verbundenen sozialen und politischen Konflikte) führt.13 Im Prinzip ringen hier aus einer höheren Perspektive positives Recht und die Idee eines erst noch zu realisierenden idealen Rechtes miteinander, aber ganz konkret eben auch immer das bereits geltende positive Recht und dessen jeweilige fragwürdige Umsetzung. Auf diesen Ebenen lässt sich diese Problematik untersuchen und lässt sich auch das Modell von Herr und Knecht mehr oder weniger sinnvoll/ treffend anwenden.

Honneth betont an einer aufschlussreichen Stelle seines Werkes, dass der junge Hegel:

„ [ … ] einem geradezu materialistisch anmutenden Programm gefolgt ist: den sittlichen Bildungsprozess der Menschengattung als einen Vorgang zu rekonstruieren, in dem ü ber die Stufen eines Konfliktes ein moralisches Potential zur Verwirklichung gelangt, das in den Kommunikationsbeziehungen zwischen den Subjekten strukturell angelegt ist. “ 14

Honneth übernimmt die Idee eines Kampfes um Anerkennung von Hegel, weist aber ein „übergreifendes Vernunftgeschehen“ als metaphysische Prämisse zurück, wobei er selbst- kritisch eingesteht, dass er die inhärente moralische Kraft, welche auch er als vorhanden voraussetzt, welche doch den Kampf um Anerkennung zwischen den „Subjekten“ über- haupt erst entfacht und antreibt (und so für eine eine positive Entwicklung und für Fort- schritt sorgt), nicht empirisch aufzeigen kann.15 Die Geschichte wurde laut Honneth in die- ser Tradition (Hobbes, Hegel, Marx) oft als ein gestufter Kampf um Anerkennung gedeutet bzw. gedacht, wobei der konkrete Textbezug Honneths stets eher vage bleibt, was die ge- plante Anwendung und einen Vergleich im Detail sehr schwierig macht, aber gleichzeitig den guten Grund liefert, seine Überlegungen in eben dieser Weise zu kritisieren: Sie sind oft abstrakt und ohne expliziten Textbezug.

[...]


1 Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 2012.

2 Pirmin Stekeler-Weithover, Philosophie des Selbstbewusstseins, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 2005.

3 Robert B. Pippin, HEGEL ON SELF-CONSCIOUSNESS, Princeton University Press, 2011.

4 Vgl. dazu Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 7.

5 Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 308.

6 Welche durchaus in beiden zu untersuchenden (sich scheinbar ausschließenden) Lesarten zwar verschieden ausgeprägt und explizit gemacht, aber doch auf jeden Fall angelegt ist. Dies wird ein wichtiger Anknüpfungspunkt im dritten Kapitel dieser Arbeit sein.

7 Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 309.

8 Ebd., S. 211.

9 Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 107 ff.

10 Vgl dazu G.W.F. Hegel, Pänomenologie des Geistes, S. 149.

11 Ebd., S. 152.

12 Ebd., S. 150 ff.

13 Vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 7 - 9.

14 Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 107.

15 Vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 227.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis von Herr und Knecht in Hegels Phänomenologie des Geistes aus inter- bzw. intrasubjektiver Perspektive
Hochschule
Universität Leipzig  (Sozialwissenschaft und Philosophie)
Veranstaltung
Erkenntnistheorie und Metaphysik / Subjekte der Begierde
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
17
Katalognummer
V281801
ISBN (eBook)
9783656762836
ISBN (Buch)
9783656762447
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hegel, Idealismus, Honneth, Stekeler, Phänomenologie, Geist, Dialektik, Herr, Knecht, Kampf, Anerkennung, Intersubjektivität, Analytische Philosophie, Selbstbewusstsein, Macht, Herrschaft, Knechtschaft, Pippin, Subjekt, Begierde, Wille
Arbeit zitieren
Ronny Daniel Kupfer (Autor:in), 2014, Das Verhältnis von Herr und Knecht in Hegels Phänomenologie des Geistes aus inter- bzw. intrasubjektiver Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/281801

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