Ursachen und Verlauf der Asienkrise


Seminararbeit, 2014

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Situation vor Krisenausbruch
2.1 Wechselkurssystem
2.2 Wachstumsraten

3. Ursachen und Verlauf der Asienkrise
3.1 Mikroökonomische Problemfelder
3.1.1 Institutionelle Schwächen im Banksektor
3.1.2 Kurzfristige Auslandsverschuldung
3.2 Makroökonomische Problemfelder
3.2.1 Bilanzdefizite und Wechselkursraten
3.2.2 Kapitalabflüsse

4. Theoretische Modelle
4.1 Modelle erster und zweiter Generation
4.2 Moral Hazard-Ansatz
4.3 Überinvestition und Asset-Inflation
4.4 Finanzmarktpanik und Bank-Run

5. Lehren aus der Asienkrise

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Dieter, H. (1999)

Tabelle 2:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Institute of International Finance Inc. (1998), entnommen aus: Radelet, S., Sachs, J. (1998)

1. Einleitung

Die ostasiatische Währungs- und Finanzkrise ist in mehrfacher Hinsicht außergewöhn- lich gewesen. Sie traf die am schnellsten gewachsenen Volkswirtschaften der Welt und veranlasste die bis dato größte Finanzrettungsaktion der Geschichte. Weiterhin war sie zum damaligen Zeitpunkt die am wenigsten erwartete Finanzkrise, und nur wenige Be- obachter konnten eine solche Entwicklung voraussehen. Einerseits resultierte der Kol- laps des Finanzsystems aus korrupten und schlecht verwalteten Bankensystemen, man- gelnder Transparenz in Unternehmensführungen sowie fehlerhaften staatlicher Eingrif- fe. Andererseits trug neben inländischen Defiziten das internationale Finanzsystem ei- nen erheblichen Teil zur Lage der sogenannten Tigerstaaten bei. Die Krise ist somit ebenfalls ein Beleg für das Versagen internationaler Kapitalmärkte und deren Anfällig- keit für eine plötzliche Umkehr des Marktvertrauens. Überdies traten im Nachhinein ernsthafte Zweifel im Hinblick auf das Management des internationalen Währungsfonds von finanziellen Störungen an privaten Kapitalmärkten auf. Schließlich zeigten die Tur- bulenzen wie politische Fehlentscheidungen und hastige Reaktionen von Regierungen, der internationalen Gemeinschaft als auch der Marktteilnehmer eine allgemeine Fi- nanzmarktpanik und Krise hervorrufen können.1

Bemerkenswert hierbei ist, dass der wirtschaftliche Totalschaden einem anhaltenden Aufschwung und Markteuphorie folgte. Damit einher gingen weitgehende Privatisie- rung sowie Liberalisierung mehrerer wirtschaftlicher Zweige, insbesondere des Banken- systems. Im Fall Koreas gelang überdies eine politische Demokratisierung ohne Ge- fährdung des Wachstumsrekords. Allgemein resultierte der Zusammenbruch in den be- troffenen Ländern damit nicht aus einer anhaltenden Rezession, sondern aus einer un- verhältnismäßigen Markteuphorie, verbunden mit einem Kapitalfluss, der nicht aufrecht erhalten werden konnte.2

Die Asienkrise kann somit als eine „Erfolgskrise“ bezeichnet werden, die durch exzes- sive internationale Kreditvergabe, dem ein plötzlicher Mittelabfluss folgte, veranlasst wurde. Der Kern und als Auslöser geltende Grund der Asienkrise waren hohe ausländi- sche Kapitalzuflüsse in Finanzsysteme, die anfällig für Panik waren. Damit kann der Kollaps nicht nur als das Platzen einer Blase bezeichnet werden, da der Großteil der Wirtschaftszweige sehr produktiv war und der Verlust an wirtschaftlicher Aktivität erst mit der Umkehr der Kapitalströme folgte. Zwar erwarteten die Märkte Anfang 1997 einen Rückgang der Kapitalflüsse in Thailand, jedoch nicht im gesamten asiatischen Marktraum. Eine Kombination aus Panik seitens der internationalen Investitionsgemeinschaft, politischer Fehler zu Krisenbeginn und schlecht konzipierter internationaler Rettungsprogramme führten schlussendlich zu einem viel tieferen wirtschaftlichen Schaden, als es hätte sein müssen.

Ziel dieser Arbeit ist es, nach einer Skizzierung der Situation in Südostasien vor der Krise die makro- bzw. mikroökonomischen Fehlentwicklungen zu definieren, um im Folgenden auf die theoretischen Modelle einzugehen, welche den wirtschaftlichen Kol- laps der Region aus wissenschaftlicher Sicht erklären. Das Abschlusskapitel gibt neben einer Zusammenfassung der herausgearbeiteten Punkte Erkenntnisse, die aus der Asien- krise gewonnen werden konnten, wieder und diskutiert gefolgte Krisenszenarien.

2. Die Situation vor Krisenausbruch

2.1 Wechselkurssystem

Die Wechselkurse der Währungen in Malaysia, Thailand und den Philippinen folgten einem festen Wechselkurssystem und waren eng an den Dollar gekoppelt. In anderen Ländern wie Taiwan und Indonesien herrschte eine etwas flexiblere Wechselkurssteue- rung, insofern als beide Währungen mit dem Dollar um einen bestimmten Prozentsatz auf- und abwerteten. Dies wird als „crawling peg“ bezeichnet. Das einzige Land, das keinem festen Wechselkurssystem unterlag, war Südkorea, dessen Währung entspre- chend stärker schwankte.3

Ziel der ostasiatischen Staaten war, durch die Bindung der heimischen Währung an den US-Dollar wechselkursbedingte Risiken zu minimieren und ausländischen Kapitalgebern die externe Finanzierung inländischer Projekte zu erleichtern.4

2.2 Wachstumsraten

Die asiatischen und ostasiatischen Länder Hong Kong, Singapur, Taiwan, Korea, China, Malaysia, Thailand und Indonesien wuchsen im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts mit einem durchschnittlichen Anstieg des BIP von 5,5% vergleichsweise schnell, wobei dies nicht für alle asiatischen Staaten galt.5 Folgende Tabelle verdeutlicht dies am Beispiel der Wachstumsraten von Korea, Indonesien, Malaysia, Philippinen und Thailand, die auch als Tigerstaaten bezeichnet werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Dieter, H. (1999)

Diese Staaten galten bis dahin als die wachstumsstärksten Volkswirtschaften, und kein anderes Land konnte einen deutlicheren Rückgang der Armutsraten verzeichnen.6 Indo- nesien konnte beispielsweise sein BIP von 1970 bis 1992 von $9,6 Mrd. auf $126 Mrd. steigern und Nahrungsmittelengpässe weitgehend vermeiden, was sich am Anstieg des Kalorienangebots von 1.791 kcal auf 2.750 kcal zeigt. Vergleichsweise wohlhabende Staaten wie Hongkong und Japan brachten 2853 kcal bzw. 2.956 kcal auf. Auch die Ärztedichte konnte von 31.700 auf 7.030 Menschen pro Arzt verbessert werden.7

Gleichzeitig waren die Länder mit den stärksten Wachstumsraten auch diejenigen mit den höchsten Exportzuwächsen. Dies waren vor allem Industriegüter, die nicht oder nur wenig ressourcenbasiert waren.8 Das verarbeitende Gewerbe erfordert enge Beziehun- gen mit internationalen Unternehmen, welche Vorleistungen, Technik sowie Investiti- onsgüter bereitstellen und Abnehmer, die die verarbeiteten Ressourcen importieren. Dadurch kann ein Prozess entstehen, der als „learning by doing“ bezeichnet wird. Be- reits ab den siebziger Jahren kauften südostasiatische Unternehmen einen Großteil ihrer Maschinen und Anlagen im Ausland. Da es auf politischer Ebene versäumt wurde, in- ländische Produzenten zu schützen, beispielsweise durch Schutzzölle und Subventio- nen, wurde diese Vorgehensweise begünstigt und es entstand eine immer höhere Ab- hängigkeit von ausländischer Technologie. Beispielsweise entfielen zwischen 1991 und 1994 73% aller Anlageinvestitionen auf importierte Investitionsgüter, was diese Abhän- gigkeit verdeutlicht.9

Ein weiteres Problem, das sich neben der Abhängigkeit ergab, war der hohe Bedarf an Devisen. Die überwiegende Mehrheit der Länder, die der Strategie der Importsubstituti- on folgten, wies mit der Zeit immer stärkere Zahlungsbilanzprobleme auf, da die erfor- derlichen Devisen, um Rohstoffe und Investitionsgüter zu bezahlen, auf die Dauer nicht generiert werden konnten.10

3. Ursachen und Verlauf der Asienkrise

3.1 Mikroökonomische Problemfelder

3.1.1 Institutionelle Schwächen im Banksektor

Da in Asien Mitte der neunziger Jahre der Markt für Anleihe- und Aktieninvestments noch weitegehend rückständig war, traten hauptsächlich Banken als Finanzintermediäre auf. Diese nahmen Kapital größtenteils im Ausland auf und vergaben dies in Form von Krediten an inländische Firmen. Als diese wegen schlechter Performance in Zahlungs- schwierigkeiten gerieten und die Kredite nicht mehr bedienen konnten, führte dies zu institutionellen und politischen Defiziten, da die Banken ihrerseits nicht ausreichend kapitalisiert waren. Hieran lässt sich erkennen, wie schlecht reguliert der Finanzsektor bereits vor der Krise war. In Thailand beispielsweise war die Kreditexpansion zwar be- schränkt, wurde jedoch durch die Liberalisierung des Finanzsektors Mitte der neunziger Jahre, in dessen Zuge sich zunehmend der Schattenbanksektor entwickelte, ausgehebelt. Zusätzlich sorgte die thailändische Regierung für steuerliche Anreize bei Offshore- Darlehen, besonders in der Immobilienbranche.11

In Indonesien hingegen zeigen Statistiken der Zentralbank von 1996, dass 15 von 240 Banken die Kernkapitalquote von 8% nicht erreichten, 41 die Ausgabengrenze nicht einhielten und 12 von 77 Devisenbanken die Overnight Position nicht bereithielten. Überdies expandierte nach umfassenden Reformen 1988/89 der Banksektor immer mehr im privaten Bereich, nachdem zu Beginn der neunziger Jahre lediglich fünf staatlich geführte Banken für etwa 90% der Kreditvergaben verantwortlich waren. Dies führte zu einem System kleiner, unterkapitalisierter Banken, das anfällig für schlecht ausgewählte und betrügerische Kreditvergaben war. Statt jedoch marode Banken zu schließen, be- vorzugte die indonesische Regierung Unternehmensfusionen oder andere Rettungsfor- men. Mit dieser Aussicht auf staatliche Unterstützung wurde für kleine, unterkapitali- sierte Banken erst recht ein Anreiz für riskante Projekte geschaffen. Bei Staatsbanken war die Qualität der Vermögensgegenstände sogar noch schlechter, da diese bei dro- hendem Bankrott auf Staatshilfe hoffen konnten.12

Obgleich die Probleme im Banksektor in Malaysia zwar nicht so schwerwiegend waren wie in Indonesien, gab es dort ebenfalls Vorfälle exzessiver Kreditvergaben für riskante Projekte, die Mitte 1996 und zu Beginn 1997 zusammenbrachen. 1996 sank das Ver- hältnis von faulen Krediten zur Gesamtheit an Krediten kurzfristig von 5,5% auf 3,9%, was vor allem am wirtschaftlichen Aufschwung und an Abschreibungen lag. Dies führte unmittelbar zu einem Anstieg des Kreditvolumens um 27,6%, welches sich vom produ- zierenden Gewerbe in den Aktienmarkt bewegte. Dadurch fiel der Anstieg an Kredit- vergaben in diesem Bereich auf 14%, wohingegen das Kreditvolumen für Aktien von 4% auf 20,1% stieg. Diese verhältnismäßig rasante Zunahme führte zu Preisanstiegen von bis zu 25% am Gütermarkt. Zwar intervenierte die malaysische Zentralbank, um das Wachstum an Krediten für den Immobilienmarkt zu verlangsamen und Aktienkäufe einzudämmen. Allerdings waren diese Maßnahmen nicht ausreichend und griffen au- ßerdem zu spät.13

3.1.2 Kurzfristige Auslandsverschuldung

Liquiditätsengpässe treten häufig auf, wenn externe Kreditgeber laufende Kredite nicht verlängern. Dies kann aufgrund von kurzfristigen Abwertungen der Währung gesche- hen.14

Wenn etwa ein Großteil der Fremdverschuldung eines Landes kurzfristig erfolgt, kann eine Krise in Form von Zahlungsausfall auftreten. Das Verhältnis von kurzfristigen Schulden zu Devisenreserven betrug 1996 54% für Korea, 177% in Indonesien, 41% für Malaysia, 79% für die Philippinen sowie 100% in Thailand.15 Weiterhin wird der hohe Anteil an inländischen Banken, die Fremdkapital von ausländischen Kreditgebern auf- nahmen, an folgenden Zahlen verdeutlicht. In Korea betrugen diese 77%, in Thailand und Taiwan 86% bzw. 62% sowie 77% für Malaysia. In Korea etwa stieg das Gesamt- volumen an ausländischen Krediten von 30 Mrd. USD 1993 auf 80 Mrd. USD 1997. Der Großteil davon lag bei koreanischen Banken (58Mrd.). In den ostasiatischen Nach- barländern waren ähnlich hohe Brutto- sowie Nettoverschuldungen zu beobachten. Da- bei wuchs das Verhältnis von ausländischen Verbindlichkeiten zu Gütern ebenfalls ste- tig. Am stärksten war dies in Thailand und Indonesien zu sehen, wo 1996 die Quote 1103% bzw. 424% betrug.16

Das Hauptproblem hierbei lag im Missverhältnis von ausländischen Verbindlichkeiten zu ausländischen Vermögensgegenständen bei Banken und Nicht-Banken. Inländische Banken nahmen zu viel Kapital bei ausländischen Banken auf und reichten dies in Kre- ditform lediglich an inländischen Investoren weiter statt sich hierbei zu diversifizieren und abzusichern. Dazu kam, dass diese Verbindlichkeiten in der Regel kurzfristig waren und in Verbindung mit einer raschen Währungsabwertung irgendwann nicht mehr be- dient werden konnten. Der Anteil der Kredite, deren Laufzeit weniger als ein Jahr be- trug, lag in Korea bei 67%, in Thailand bei 65%, in Indonesien bei 61%, in Taiwan bei 84% sowie bei 92% in Singapur. Dies führte mittelfristig dazu, dass ausländische Kre- ditgeber die Verbindlichkeiten nicht mehr prolongierten und es zu Zahlungsausfällen bei einem Großteil der ostasiatischen Banken kam.17

3.2 Makroökonomische Problemfelder

3.2.1 Bilanzdefizite und Wechselkursraten

Seit Beginn der neunziger Jahre wiesen die sogenannten Tigerstaaten (Korea, Indonesi- en, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand sowie Hong Kong und China) mit Aus- nahme von Singapur beinahe jedes Jahr eine negative Leistungsbilanz auf.18 Aufgrund der Wechselkursbindung dieser Länder an den US-Dollar oder Währungskörbe, deren Hauptgewicht allerdings ebenfalls auf dem US-Dollar lag, werteten die inländischen Währungen ab 1995 im Zuge einer schnellen Aufwertung des Dollars ebenfalls stark auf. Dies führte zu Wettbewerbsverlusten und einer strukturellen Verschlechterung der Handelsbilanz. Hohe Kapitalzuflüsse, angetrieben von hohen Zinsraten und niedrigem Wechselkursrisiko, begünstigten eine Inflation zusätzlich. Somit war eine Abwertung der Währung kaum möglich, obwohl die Inflationsraten in Südostasien zu diesem Zeit- punkt hoch waren.19

Datenmessungen zufolge korrelierte die Überbewertung der heimischen Währungen mit einer Verschlechterung der Leistungsbilanz.20 Weiterhin führte eine Abwertung des chinesischen Renminbi, dessen Wechselkursrate flexibel war, Anfang der neunziger ebenfalls zu Wettbewerbsnachteilen auf Seiten der übrigen ostasiatischen Staaten. Da- bei konzentrierte sich China auf industrielle Zweige, die den Hauptanteil der Exporte der Nachbarländer ausmachte. Darüberhinaus führte ein Rückgang der Gesamtnachfra- ge nach Halbleitern, die ein wichtiges Exportgut für die meisten Tigerstaaten waren, 1995-96 zusätzlich zu bilanziellen Defiziten. Schließlich drückte die anhaltende Wirtschaftsschwäche in Japan die Nachfrage regionaler Exporte, die etwa 30% der asiatischen Exporte ausmachten.21

Um die Währungskrise im Jahr 1997 und seine Verbreitung von einem Land auf das andere zu verstehen, ist es wichtig, zu beachten, dass das Ausmaß der Wechselkursab- wertung, die nach der anhalten Aufwertung folgte, ebenfalls zu Wettbewerbsnachteilen benachbarter Länder führte, deren Währung noch nicht abgewertet worden war. Dies wird deutlich am Beispiel des koreanischen Won. Als die Währungen von Thailand, Malaysia, Indonesien und den Philippinen im Sommer 1997 abzuwerten begannen, blieb der koreanische Won bis Oktober relativ stabil, was zu einem Verlust der Wett- bewerbsfähigkeit für den koreanischen Export führte. In Zahlen gesprochen wertete der Thai Bat von Ende 1996 bis Ende September 1997 gegenüber dem US-Dollar um 42%, die indonesische Rupiah um 37%, der malaysische Ringitt um 26% und der Philippini- sche Peso um 28% ab. Der koreanische Won hingegen hatte bis dahin lediglich um 8% abgewertet. Dies bedeutete, dass der Won bis Ende September, bezogen auf die Wäh- rungen von Thailand, Indonesien, den Philippinen und Malaysia, nominal um 34%, 29%, 20% bzw. 18% aufgewertet hat. Dadurch, dass ein Großteil dieser Länder an den- selben Märkten konkurrierte, verlor eine Währung nach der anderen immer mehr an Wert, und Wettbewerbsnachteile vergrößerten sich.22

Dies führte zu weiteren Krisentreibern, welche die Situation zusätzlich verschlimmer- ten. Zunächst verschlechterte die Abwertung der Währungen die reale Auslandsschul- denlast von Regierungen, Finanzinstituten und Unternehmen, die mit Fremdwährungen finanziert waren. Dadurch erkannte man, dass deren finanzielle Probleme sich weitaus schlimmer als angenommen darstellten, was zu Bank-Runs, Kapitalabflüssen und Spe- kulationen auf Währungen führte, die eine Abwertung weiter begünstigten.23

3.2.2 Kapitalabflüsse

Als am meisten schwerwiegend und wahrscheinlich auslösend für die Asienkrise gelten private Kapitalflüsse, die sich schnell umkehrten. Folgende Tabelle zeigt dies, aggre- giert am Beispiel von Korea, Indonesien, Malaysia, Thailand und den Philippinen. Diese Länder gelten als am schwersten von der Krise betroffen.24

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Institute of International Finance Inc. (1998), entnommen aus: Radelet, S., Sachs, J. (1998)

In dieser Tabelle wird der rapide Abfluss privater Kapitalflüsse von $93 Mrd. auf -$12,1 Mrd. deutlich, was zusammengefasst ein Defizit von etwa $105 Mrd. ergibt. $77 Mrd. dieser $105 Mrd. Rückgang an Kapitalfluss stammt aus dem Bankenbereich, dessen plötzlicher Stopp an Kreditvergaben einer anhaltenden Periode von grenzüberschreitenden Bankkrediten gefolgt war.25 Insgesamt stieg die Kreditvergabe von $210 Mrd. Ende 1995 auf $261 Mrd. Ende 1996 und nochmal um weitere $274 Mrd. Ende 1996 bis Mitte 1997, bevor sie Ende 1997 stoppte und langsam zurückging. In Bezug auf das BIP machten Kapitalzuflüsse von Banken 5,9% 1996, 2,8% in der ersten Hälfte von 1997 und -3,6% in der zweiten Hälfte von 1997 aus. Zusammengefasst ergibt dies eine Änderung von 9,5% im Zeitraum von knapp einem Jahr.26

Der Rückzug ausländischen Kapitals hatte mehrere ineinander greifende Effekte. Zu- nächst werteten die Wechselkurse in den genannten Ländern, nachdem die Wechsel- kursanbindung an den Dollar aufgehoben war, rapide ab. Inlandszinsen stiegen durch den Rückzug ausländischer Kredite, was unmittelbar zu einem Straffen heimischer Kre- ditkonditionen führte, noch bevor die Zentralbanken auf die Krise reagieren konnten. Da der Rückzug von Krediten unmittelbar zu einer Einschränkung des Aufnahmever- mögens führte, sank neben dem nominalen ebenfalls der reale Wechselkurs.27

Die Wechselwirkung von einer Abwertung der realen Wechselkursrate und steigenden Zinsen führte zu einem Anstieg notleidender Kredite im Bankensektor, besonders da hierdurch Immobilienprojekte bankrott gingen. In vielen Fällen hatten Immobilienge- sellschaften Geld aus ungesicherten, in Dollar notierenden Krediten geschöpft, die auf- grund der massiven Abwertung der heimischen Währung nicht mehr bedient werden konnten. Dies führte wiederum zu einem Kapitalverlust auf Seiten der Banken.28 Dadurch brach zusätzlich zu den Kapitalabflüssen der Banksektor zusammen und be- schränkte Darlehen, um die durch die Bankenaufsicht geforderte Eigenkapitalquote ge- währleisten zu können. Aufgrund von Gläubiger-Panik, Bank-Runs und folgenden Her- abstufungen durch die Rating Agenturen rutschten Korea, Indonesien und Thailand in den Teilzahlungsausfall.

4. Theoretische Modelle

4.1 Modelle erster und zweiter Generation

Die Währungskrisenmodelle, in der Wissenschaft als Modelle erster Generation be- zeichnet, beruhen auf dem Standardmodell von Paul Krugmann (1979).29 Diese be- schreiben ungünstige volkswirtschaftliche Fundamentalfaktoren, wie etwa wirtschaftli- che Rezession oder Stagnation, als Auslöser von Währungskrisen, die auf ein Ungleich- gewicht zwischen Innenpolitik und dem Versuch, einen festen Wechselkurs beizubehal- ten, zurückzuführen sind.30 Zentrales Element dieses Modells ist die Kaufkraftparitäten- theorie in Verbindung mit der Quantitätstheorie sowie rationale Erwartungen, sog. per- fect foresight, in Bezug auf Geldmengen- und Inflationsentwicklung. Unter perfect fore- sight versteht man das Vorhandensein vollständiger Informationen über alle relevanten Größen und notwendigen Daten, die dem Modell zugrunde liegen, um die Entwicklung dieser Einflussgrößen vorhersehen zu können.31

Elementare Erkenntnisse zur Erklärung von Währungskrisen, die sich aus diesem Mo- dell gewinnen lassen, sind ungünstige makroökonomische Faktoren wie Wechselkurs und schlechte Zahlungsbilanzen, spekulative Angriffe seitens rational handelnder Anle- ger, der Umfang ausländischer Währungsreserven sowie die Machtlosigkeit der Zent- ralbank bei Krisenausbruch.32 Kritisiert werden bei diesem Modell erster Generation jedoch die modellspezifischen, theoretischen Annahmen wie etwa Konstanz der Um- laufgeschwindigkeit des Geldes und konstantes Vollbeschäftigungseinkommen sowie das perfect foresight, welches faktisch nicht vorhanden ist. Daneben bildet es Hand- lungsspielräume von Staaten und Zentralbanken nur unzureichend ab und konzentriert sich weitgehend auf realwirtschaftliche Einflussfaktoren wie Arbeitslosigkeit oder Wirt- schaftswachstum.33

Die Schwachpunkte dieser Modellannahmen aufgreifend, bilden die Währungskrisen- modelle zweiter Generation die Existenz multipler Gleichgewichte am Devisenmarkt ab, die aus Markterwartungen und Glaubwürdigkeitsproblemen der Wirtschaftspolitik resultieren.34 Weiterhin führen sie sich selbst erfüllende spekulative Angriffe sowie Herdenverhalten und Ansteckungseffekte als mögliche Ursachen für Währungskrisen an.35

Beide Modellgenerationen liefern jeweils Erklärungsansätze, welche die Ursachen für die Asienkrise zwar teilweise, jedoch nicht vollständig beschreiben können. Obwohl das Modell der ersten Generation aufgrund der unterstellten deterministischen Situation die Realität nicht ausreichend widerspiegelt, zeigt es, wie eine mit der Wechselkursbindung uneinheitliche Wirtschaftspolitik zu einer spekulativen Attacke gegen die Währung füh- ren kann.36 Solange Leistungsbilanzdefizite in Asien durch Kapitalimporte gedeckt wa- ren, gab es keinen Anlass für interventionsbedingte Abflüsse an Währungsreserven, um die Wechselkursbindung an den Dollar aufrecht zu erhalten. Interventionen seitens der Zentralbanken waren erst erforderlich, als Kapitalflüsse stoppten und in umgekehrte Richtung verliefen.37 Daher beeinträchtigten fundamentale Faktoren wie Fremdwäh- rungsverschuldung in Verbindung mit knappen Währungsreserven die Situation zusätz- lich, wodurch es nach den Modellen erster Generation zumindest Signale für eine Wäh- rungskrise gab.38

Im spieltheoretischen Ansatz der Modelle der zweiten Generation spielt die Frage, ob solche Spekulationen gegen ein Festkurssystem koordiniert erfolgen oder nicht, eine zentrale Rolle.39 Nach Zweifeln an der Dauerhaftigkeit der Wechselkursbindung des Baht und den ersten spekulativen Attacken, verringerten sich die Währungsreserven zunehmend und eine Abwertung der inländischen Währung war aufgrund kurzfristiger Fremdwährungsverbindlichkeiten Thailands schwierig, da sich diese sonst weiter ver- größert hätten. Aus diesem Grund erfolgte die Freigabe des Wechselkurses erst im Nachhinein und nicht direkt nach der spekulativen Attacke im Mai 1997.40

4.2 Moral Hazard-Ansatz

Nachdem die Modelle der ersten und zweiten Generation zwar zum Verständnis von Wirtschafts- und Finanzkrisen beitrugen, spezifische Probleme im Finanzsektor jedoch nicht erklären konnten, wurde in jüngeren Modellen das Verhalten von Marktteilneh- mern im Hinblick auf Moral Hazard näher untersucht.41 Moral Hazard ist jede Situation, in der eine Person eine Entscheidung darüber trifft, wie viel Risiko sie aufzunehmen bereit ist, während eine andere Person die Kosten trägt, wenn etwas schief geht.42

Zwar erhielten Gläubiger in der Asienkrise keine expliziten Staatsgarantien für einen Verlustausgleich. Jedoch lassen Presseberichte annehmen, dass die meisten Marktteil- nehmer davon ausgingen, vor einem Verlustrisiko geschützt zu sein. Dies stellte für Investoren einen zusätzlichen Anreiz dar, hohe Risiken aufzunehmen und damit ent- sprechende Renditen zu generieren.43 Dadurch wächst wiederum die Nachfrage nach solchen Objekten und Preise steigen im Rahmen einer „Asset Inflation“. Kehrt sich die- se um, können Probleme im Finanzsektor auftreten, welche neben anderen zur Asienkri- se geführt haben.44

Das Problem in Asien begann mit Finanzintermediären, insbesondere Banken, die ho- hen Zinsänderungs-, Wechselkurs- und Kreditausfallrisiken ausgesetzt waren und auf- grund von impliziten staatlichen Garantien als sichere Investitionen angesehen wur- den.45 Obwohl solche Staatsgarantien nie explizit ausgesprochen wurden, legten die Erfahrungen mit den internationalen Finanzhilfen in der Tequila-Krise 1994/95 eine Absicherung nahe.

Eine weitere Gefahr bestand in der geringen Eigenkapitalausstattung der Banken, wodurch deren Anreiz, mit Fremdkapital hohe Risiken einzugehen, verstärkt worden ist. Dadurch waren sie an Verlusten nicht beteiligt und versuchten, Erträge ohne Rücksicht auf mögliche Verluste zu maximieren. Diese hätten vom Staat ausgeglichen werden müssen, wodurch die Einlagen der Finanzintermediäre schließlich doch staatlich garan- tiert sind. Risikoneutrale Investoren erhalten somit ihre Einlagen unabhängig von Erfolg oder Misserfolg zurück, obwohl die Anlagen unsicher sind.46

Auch die Finanzintermediäre, sprich Banken und Versicherungen, bevorzugen risiko- reiche Investitionen, da sie bei Gewinneintritt an diesem beteiligt werden und bei Ver- lust mangels ausreichenden Eigenkapitals ausfallversichert sind. Auf Staatsseite entste- hen bei positiv verlaufenden Investitionen keine finanziellen Effekte, bei negativen je- doch in Höhe des Schadens. Die Wohlfahrt der gesamten Volkswirtschaft ist damit niedriger als der erwartete Wert der Investoren, was negativ zu bewerten ist.47

In Moral-Hazard Situationen orientieren sich Intermediäre bei ihren Anlageentschei- dungen lediglich an positiv verlaufenden Entwicklungsszenarien, da sie angesichts staatlicher Garantien und mangels ausreichend Eigenkapitalausstattung keine Verlustri- siken in ihre Entscheidungen einbeziehen.48 Im Verlauf der Asienkrise zeigte sich je- doch, dass nicht alle erwarteten Garantien eingelöst werden konnten, was aufgrund von steigenden Kosten für finanzielle Hilfen zur Schließung von Unternehmen im Finanz- sektor führte.49

An Thailand, dem Ausgangsland der Asienkrise, wird deutlich, welche Rolle sich selbst erfüllende Erwartungen in Bezug auf die Preisbildung spielen. Hier kamen, nach vorhe- rigen Preissteigerungen am Aktien- und Immobilienmarkt, ab einem bestimmten Zeit- punkt Zweifel hinsichtlich impliziter Staatsgarantien auf. Als es infolgedessen in der zweiten Hälfte des Jahres 1996 zu Preisstürzen am Aktienmarkt kam, bestätigten sich diese Erwartungen mit der Schließung mehrerer Finanzinstitute ab Anfang 1997. Wie es zu solchen spekulativen Blasen kommen kann, zeigt Krugman an einem Drei-Perioden- Modell.

4.3 Überinvestition und Asset-Inflation

In Asien war vor Beginn der Krise das Angebot an Investitionsgütern vollkommen elastisch, sodass die Zunahme der Investitionsnachfrage aufgrund finanzieller Überschüsse zu einer Erhöhung des tatsächlichen Investitionsvolumens führte. Dadurch erlebten die asiatischen Volkswirtschaften stark schwankende Auf- und Abschwünge sowohl in den Investitions-, als auch in den Vermögenspreisen.50

Dies wird an einem Zwei-Perioden-Modell, in welchem die Wirkung der Intermediäre auf Menge und Preis gezeigt wird, deutlich:

In einem Zahlenbeispiel könnte die Miete für eine Landeinheit mit einer Wahrschein- lichkeit von ! 25 Geldeinheiten oder mit einer Wahrscheinlichkeit von [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 100 Geldein- heiten betragen. Risikoneutrale Investoren wäre dann bereit, für die Rechte an diesem Grundstück 50 Geldeinheiten [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] aufzubringen. Jetzt nimmt man an, dass Finanzintermediäre Kapital zu einem Zinssatz von null aufnehmen können, weil sie als ausfallsicher gelten. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass Investoren nicht ihr eigenes Kapital zur Verfügung stellen müssen. Infolgedessen werden Intermediäre bereit sein, nicht auf Basis des Wertes der zukünftigen Miete für die Landeinheit zu bieten, sondern auf Basis des optimistischen Wertes - in diesem Fall 100. Dies wird nach Krugman dazu führen, dass sich am Ende der Wert dieser Grundstücke verdoppeln wird, was zu einer Verzerrung der Wirtschaft führt.51

In einem weiteren Schritt wird dieses Modell auf ein dreistufiges erweitert. Hier können wieder Zufallspachtzahlungen erfolgen, mit einer Wahrscheinlichkeit von ⅔ für 50 und ⅓ für 100 Geldeinheiten sowie einer dritten Periode. Der Zinssatz bleibt weiterhin bei null. In einer nicht verzerrten Wirtschaft könnte man den Preis für Periode 3 rückwärts bestimmen. Die zu erwartende Miete in Periode 3 und damit der Preis des Landes am Ende der Periode 2 wäre dann 50. Die erwartete Rendite für das Land, das in Periode 1 gekauft wurde, entspricht daher der erwarteten Miete in Periode 2 (50), zuzüglich des erwarteten Preises, zu dem es verkauft werden kann (ebenfalls 50). Dabei wird ange- nommen, dass die Intermediäre Kapital mit Garantien aufnehmen können. Zurückge- rechnet wären sie am Ende der zweiten Periode wiederum bereit, den optimistischen Wert von 100 Geldeinheiten zu bezahlen, der als Miete für Periode 3 angenommen wird. Somit werden sie in Periode 1 bereit sein, so viel wie nötig für die Landeinheit zu bezahlen, nämlich die optimistische Miete von Periode 2 (100) plus den optimistischen Wert am Ende dieser Periode (wiederum 100). Damit wäre der Preis in Periode 1 künst- lich auf 200 Geldeinheiten „aufgeblasen“. Deswegen spricht man bei solchen künstli- chen Inflationen auch von einer Blase.52

In einer Multi-Perioden-Version des Modells, in dem ein Teil der Investitionsrückflüsse von zukünftigen Preisen für Vermögensgegenstände abhängt, könnten diese Preise theoretisch ins Unendliche wachsen.

4.4 Finanzmarktpanik und Bank-Run

Vertreter der These der Finanzmarktpanik bzw. des Herdings beurteilen den Moral- Hazard-Ansatz als nicht ausreichend zur Erklärung der Währungs- und Finanzkrise in Asien.53

Nach dem Bank-Run-Modell von Dybvig-Diamond (1983) ist Finanzpanik ein Fall von multiplen Gleichgewichten in den Finanzmärkten. Dies ist ein Ergebnis von Gleichge- wichtsstörungen, wenn Gläubiger kurzfristiger Kredite diese plötzlich vom Kreditneh- mer zurückfordern. Im Allgemeinen kann dies auftreten, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:

- kurzfristige Schulden übersteigen kurzfristige Vermögenswerte
- kein privater Gläubiger kann den Umfang an Krediten liefern, der zur Tilgung kurzfristiger Verbindlichkeiten nötig wäre
- es gibt keinen Kreditgeber in letzter Instanz

In diesem Fall wird es für jeden Gläubiger rational, seine Kredite so schnell wie mög- lich zurückzufordern, besonders wenn andere Gläubiger dies ebenfalls tun. Eine solche Panik kann zu hohen wirtschaftlichen Verlusten wie etwa vorzeitige Aussetzung von Investitionsprojekten oder Liquidation von Kreditnehmern führen.54 Eine weiteres, begünstigendes Element für Finanzmarktpanik ist ein unmittelbarer Ver- trauensverlust des internationalen Kapitalmarkts in die Fähigkeiten der Finanzsektoren, Kredite weiterhin bedienen zu können. Die angesprochenen fundamentalwirtschaftli- chen Mängel signalisierten eine gewisse Krisenanfälligkeit bereits im Vorfeld.55 Damit kann man hier nicht nur von sich selbst erfüllenden Erwartungen der Marktteilnehmer sprechen.

Im modelltheoretischen Rahmen stellen Banken eine wohlfahrtssteigernde Institution dar, indem sie kurzfristig illiquiden, langfristig jedoch profitablen Investitionsprojekten Kapital zur Verfügung stellen. Zudem bleiben die Wirtschaftssubjekte über ihre Einla- gen im Banksystem weiterhin flexibel. Diese können jederzeit liquidiert, d.h. zurückge- fordert werden, und da nur ein Teil der Bankkunden dies pro Periode verlangt, ist es Banken über das Gesetz der großen Zahlen möglich, die Forderungen zu bedienen. Dadurch wird es Banken ermöglicht, einen Teil für langfristig profitable Investitionen zu verwenden und diese über kurzfristige Einlagen zu finanzieren.56 Allerdings ergibt sich hierdurch auch die Möglichkeit von Bankkrisen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit, was zum Zusammenbruch des gesamten Sektors führen kann. Da Banken aufgrund ihrer illiquiden Aktiva ebenfalls illiquide sind, ist es ihnen unmöglich, die gesamten Auszahlungsverpflichtungen bedienen zu können, falls alle Wirtschafts- subjekte gleichzeig ihre Einlagen fordern. Geschieht dies, spricht man von einem Bank- Run.57

Stellen die Einlagen nicht nur Verbindlichkeiten gegenüber Inländern, sondern auch ausländischen Kapitalgebern dar, bietet das modifizierte Bankmodell von Chang / Ve- lasco (1998) einen modellierten Erklärungsansatz.58 Dieses erklärt eine Bankenkrise und damit verbundene Bank-Runs mit der Befürchtung einzelner Kreditgeber, die übri- gen internationalen Gläubiger würden das Bankensystem durch kurzfristiges Einfordern ihrer Einlagen in die Zahlungsunfähigkeit drängen. Dies würde zu panikartigen Kapital- abflüssen führen.59

Damit wäre die Asienkrise nicht, wie in den Modellen erster und zweiter Generation, mit schwachen ökonomischen Fundamentaldaten zu erklären, sondern mit der Instabili- tät des internationalen Finanzmarktes, der anfällig für sich selbst erfüllende Krisen ist.60 Jedoch lässt sich diese These nicht eindeutig beweisen, da die Finanzmarktpanik in Asi- en ebenfalls durch Moral Hazard oder das Platzen der Blase am Asset-Markt erklärt werden kann (vgl. Krugman). Allerdings spricht für die Finanzmarktpanik und gegen den Moral-Hazard-Ansatz, dass die Krise nicht vorhersehbar war und überraschend kam. Lediglich in Thailand scheint eine krisenhafte Entwicklung bereits im Vorfeld erahnt worden zu sein.61 Im Moral-Hazard-Ansatz wird die Krise als Konsequenz der fundamentalökonomischen Mängel interpretiert, weswegen die Verantwortung der Wirtschaftspolitik zuzuweisen wäre. Diese hätte geeignete Maßnahmen zur Behebung der strukturellen Schwächen durchführen müssen, wobei das internationale Finanzsys- tem in diesem Modell als effizient gesehen wird.62

Das Modell der Finanzmarktpanik weist eine Erklärung der Krise mit fundamentalökonomischen Schwächen zwar nicht zurück, leitet daraus aber nicht zwingend eine Finanzkrise ab. Das Missverhältnis zwischen langfristigen illiquiden Aktiva und internationalen kurzfristigen Verbindlichkeiten wird nur als grundlegende Bedingung gesehen. Zum Krisenausbruch führen erst spontane und von außen wirkende Veränderungen der Markterwartungen. Damit trägt in dieser Sichtweise die Wirtschaftspolitik nur eine Teilschuld, wobei für den Ausbruch der Krise die Instabilität der internationalen Finanzmärkte verantwortlich gemacht wird.63

5. Lehren aus der Asienkrise

In erster Linie ist die Asienkrise ein warnendes Beispiel bezüglich schneller Liberalisie- rung der Finanzmärkte in Schwellenländern. Die asiatischen Volkswirtschaften sind bei der Schaffung eines stabilen makroökonomischen Umfelds und in der Liberalisierung des Kapitalmarkts sowie des Handels mit Industriegütern zu schnell vorangeschritten. Die meisten ihrer Schwachstellen, die Mitte der neunziger Jahre zutage traten, entstan- den als Ergebnis der schnellen Liberalisierung der Finanzmärkte in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. Gut funktionierende Finanzsysteme erfordern eine viel stärkere rechtliche und regulatorische Infrastruktur als Regelung für den offenen Handel und ausländische Direktinvestitionen. In fortgeschrittenen Industrienationen werden Finanztransaktionen stärker überwacht und in einem viel größeren Maße als Handels- und Investitionsgeschäfte geregelt. Als die Finanzmärkte im 19. und 20. Jahrhundert dort weniger weit entwickelt waren, kam es in den heutigen westlichen Industriestaaten ebenfalls zu Finanzkrisen und Finanzmarktpanik, die in vielerlei Hinsicht der Asienkri- se ähnlich waren. Diese Probleme wurden nach und nach durch die Schaffung einer Reihe von Institutionen, wie dem Federal Reserve System, beseitigt. Dadurch gelangten diese Finanzsysteme zu mehr Robustheit und sind seitdem weniger anfällig für Krisen. Darüber hinaus war in Asien die grenzüberschreitende Kreditvergabe viel weniger regu- liert und daher instabiler als die Inlandsfinanzierung. Kurzfristige Kapitalbewegungen sind daher anfälliger für Schwankungen als vergleichbare Vermögenswerte in der hei- mischen Wirtschaft. Daher scheint es sinnvoll, in der Liberalisierung inländischer Bankgeschäfte und der Portfolio-Märkte langsamer voran zu schreiten, bis entsprechen- de Regulierungsinstitutionen vorhanden sind. Insbesondere sollte die kurzfristige, grenzüberschreitende Schuldenaufnahme als letztes liberalisiert werden, da diese In- strumente besonders anfällig für Volatilität und Panik sind. Besteuerung kurzfristiger Kapitalzuflüsse sowie Beschränkungen derselben könnten hierfür geeignete Maßnah- men sein.64

Ferner macht die Asienkrise die Gefahren fester bzw. nahezu fester Wechselkurse deutlich. Starre Wechselkursraten gelten zwar als Mittel zur Reduzierung der Volatilität an relativ schwachen Devisenmärkten und können als Preisanker zur Vermeidung einer Inflation dienen. Allerdings sind feste Wechselkursraten weitaus anfälliger für große Verschiebungen, wenn sie nicht mehr aufrecht erhalten werden können. Versuche, sowohl in Thailand als auch Korea, Wechselkurse gegen spekulative Attacken zu verteidigen, führten lediglich zu einer Erschöpfung der Devisenreserven und letztlich zu einer Abwertung der Währungen. Außerdem sind solche Systeme anfällig für Gläubigerpanik als auch für sich selbst erfüllende Prophezeiungen.65

Zuletzt hat die Asienkrise aufgezeigt, dass es nur wenige wirksame Mechanismen gibt, um eine internationale Finanzmarktpanik in Schwellenländern zu stoppen. Wie bereits erwähnt, haben die Industrieländer eine Reihe von Institutionen und Maßnahmen, wie etwa Bankenaufsicht und Regulierung sowie Einlagensicherung und Insolvenzrecht, entwickelt, um schwere Finanzkrisen innerhalb ihrer Binnenwirtschaft zu vermeiden. Allerdings existierte bislang keine solche Einrichtung, die effektiv in einem internatio- nalen Kontext arbeitet. Statt ausschließlich die Schuldner verantwortlich zu machen, wie dies in Asien der Fall war, hätte frühzeitiger erkannt werden müssen, dass freie Fi- nanzmärkte nicht immer gut funktionieren und anfällig für Panik und Herdenverhalten sind. Die Lösung hierfür wäre, eine Institution zu entwickeln, die eine solide Basis für gut funktionierende internationale Kapitalmärkte schaffen kann. Der internationale Währungsfonds kann in seiner gegenwärtigen Struktur nicht effektiv genug die Rolle des Kreditgebers der letzten Instanz ausfüllen. Möglicherweise könnte der IWF eine neue Einrichtung begeben, die nur solchen Ländern zur Verfügung stünde, die bestimm- te Standards erfüllen. Dies könnte ähnlich dem System der Zentralbanken gestaltet sein, die Banken nur den Betrieb genehmigen, wenn diese strenge Anforderungen erfüllen. Um dafür qualifiziert zu sein, müssten Länder ausgeglichene Haushalte, niedrige Infla- tion, ein niedriges Niveau kurzfristiger Schulden sowie ein solides Bankensystem auf- weisen. Außerhalb von Krisenzeiten würde die Eignung für eine solche Einrichtung, auch wenn sie nicht in Anspruch genommen wird, dazu beitragen, die Risikoprämien in internationalen Kapitalmärkte zu senken, sodass ein zusätzlicher Anreiz für diese Län- der bestünde. Wenn dann eine Krise auftritt, könnte eine unmittelbare Zwischenfinan- zierung zur Verfügung stehen, ohne dass Bedingungen des IWF umgesetzt werden müssten, da diese bereits vorhanden wären. Eine solche Einrichtung würde die Bedin- gungen des IWF beschleunigen, bevor die Krise eintritt, ähnlich wie das der Fall bei Zentralbanken ist, die bei Kriseneintritt Auflagen an Geschäftsbanken stellen.66

Eine letzte Lektion, die aus dem asiatischen Dilemma gezogen werden kann, ist das anhaltende Unverständnis globaler Märkte bezüglich der Finanzkrisen. Selbst nach den Lehren der Krise in Mexiko / Argentinien von 1994 bis 1995 und deren wissenschaftli- cher Aufarbeitung traf die Asienkrise zwei Jahre später die Märkte weitgehend unerwar- tet. Auch die Überhitzung der Märkte Ende die neunziger Jahre bzw. Anfang des 21. Jahrhunderts blieb insgesamt unvorhergesehen, ähnlich wie die Subprime-Hypotheken- Krise 2007.

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Stiglitz, J., Furman, J. (1998): Economic Crises: Evidence and Insights from East Asia, in: Economic Studies Program 1998, Vol. 29, Nr. 2, S. 1-136

[...]


1 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 1.

2 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 1f.

3 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 21f.

4 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 24.

5 Vgl. Radelet, S., Sachs, J., Lee, J. (1997), S. 3.

6 Vgl. Stieglitz, J., Furman, J. (1998), S. 2

7 Vgl. Dieter, H. (1999), S. 21.

8 Vgl. Radelet, S., Sachs, J., Lee, J. (1997), S. 24.

9 Vgl. Radelet, S., Sachs, J., Lee, J. (1997), S. 25.

10 Vgl. Radelet, S., Sachs, J., Lee, J. (1997), S. 26.

11 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 30.

12 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 31.

13 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 32.

14 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 33.

15 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 34.

16 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 35.

17 Vgl. Corsetti, G., Pesenti, P., Roubini, N. (1998), S. 36.

18 Vgl. Roubini, N. (1998), S. 25.

19 Vgl. Roubini, N. (1998), S. 26.

20 Vgl. Roubini, N. (1998), S. 27.

21 Vgl. Roubini, N. (1998), S. 27.

22 Vgl. Roubini, N. (1998), S. 27f.

23 Vgl. Roubini, N. (1998), S. 28f.

24 Vgl. Radelet, S., Sachs, J. (1998), S. 5.

25 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 6.

26 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 6.

27 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 7.

28 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 7.

29 Vgl. Resinek, M. (2001), S. 11.

30 Vgl. Krugman, Paul (1997).

31 Vgl. Krugman (1979), S.314f.

32 Vgl. Eichengreen, B., Rose, A., Wyplosz, C. (1997), S. 6ff.

33 Vgl. Resinek, M. (2001), S. 17f.

34 Vgl. Jeanne, O. (2000), S. 14ff.

35 Vgl. Obstfeld, M. (1986), S3f., S.11ff.

36 Vgl. Angermüller (2002), S. 95.

37 Vgl. Angermüller (2002), S. 95.

38 Presenti, P., Tille, C. (2000), S. 11.

39 Vgl. Obstfeld, M. (1994), S. 193f.

40 Vgl. Angermüller (2002), S. 96.

41 Vgl. Angermüller (2002), S. 98.

42 Vgl. Krugman (2008), S. 63.

43 Vgl. Krugman (1998), Abschn. 2

44 Vgl. Krugman (1998), Abschn. 3

45 Vgl. Krugman (1998), Abschn. 2

46 Vgl. Krugman (1998), Abschn. 2.

47 Vgl. Angermüller (2002), S. 102.

48 Vgl. Angermüller (2002), S. 103.

49 Vgl. Angermüller (2002), S. 104.

50 Vgl. Krugman (1998), Abschn. 3.

51 Vgl. Krugman (1998), Abschn. 3.

52 Vgl. Krugman (1998), Abschn. 3.

53 Vgl. Berger, W., Wagner, H. (2000), S. 14.

54 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 3.

55 Vgl. Berger, W., Wagner, H. (2000), S. 14.

56 Vgl. Berger, W., Wagner, H. (2000), S. 15.

57 Vgl. Berger, W., Wagner, H. (2000), S. 16.

58 Vgl. Chang, R., Velasco, A. (1998), S. 11ff.

59 Vgl. Chang, R., Velasco, A. (1998), S. 12f.

60 Vgl. Radelet, S., Sach, J. (1998), S. 15f.

61 Vgl. Berger, W., Wagner, H. (2000), S. 17.

62 Vgl. Berger, W., Wagner, H. (2000), S. 17f.

63 Vgl. Berger, W., Wagner, H. (2000), S. 18.

64 Vgl. Radelet, S., Sachs, J. (1999), S. 13.

65 Vgl. Radelet, S., Sachs, J. (1999), S. 14.

66 Vgl. Radelet, S., Sachs, J. (1999), S. 18.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Ursachen und Verlauf der Asienkrise
Hochschule
FOM Essen, Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige GmbH, Hochschulleitung Essen früher Fachhochschule
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
24
Katalognummer
V282059
ISBN (eBook)
9783656762218
ISBN (Buch)
9783656762201
Dateigröße
689 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ursachen, verlauf, asienkrise
Arbeit zitieren
Philipp von Schoenfeldt (Autor:in), 2014, Ursachen und Verlauf der Asienkrise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282059

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