Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Von einer feministischen Geschlechterforschung zur Technoscience
2. Der Cyborg als Bindeglied
2.1 Die theoretische Herleitung des Begriffes ‚geschlechtlicher Körper‘
2.2 Wissen, (Natur-) Wissenschaft & Natur
2.3 Die Verortung des Cyborgs
2.4 Die Rolle der Science Fiction
2.5 Le Guins »Left Hand of Darkness«
3. Fazit
4. Bibliographie
Abbildungsverzeichnis
1. Von einer feministischen Geschlechterforschung zur Technoscience
Well, cyborgs are real, from grandmothers with
pace-makers to astronauts in space, and whether
you like the label postmodern or not, it is clear
that the times are drastically changing.
(Gray 2002, 13)
Die großen Fortschritte der modernen Wissenschaft und Technik – insbesondere der Kybernetik, der Informationstechnik, der Computertechnik, der Sensorik, der Robotik, der künstlichen Intelligenz und der Konstruktion von ‚Cyborgs‘ – lassen auch traditionelle Problemstellungen verschiedener Wissenschaften in neuem Licht erscheinen. Das trifft besonders auf das Konzept des Cyborg zu, weshalb sich eine ganze Reihe von Veröffentlichungen speziell mit dessen Auswirkungen auf verschiedene Wissensgebiete befassen. Der Begriff ‚Cyborg‘ geht auf eine Wortneuschöpfung aus ‚cyber‘ und ‚Organismus‘ zurück. Eine Internetrecherche zu diesem Begriff zeigt auf unzähligen Bildern vor allem Menschen, die wie Maschinen aussehen sowie Maschinen, die wiederum wie Menschen aussehen (vgl. Abb. 1). Jedoch auch Cyborg-Tiere sind unter den Ergebnissen. Erst spätere Treffer zeigen Menschen, die mit Hilfe von technischen Prothesen besser sehen, gehen oder greifen können. Aus den Bildern blicken uns vorrangig kriegerische und gefährliche Geschöpfe entgegen. Eine Cyborg-Welt scheint, nach diesen Bildern zu urteilen, von unheimlichen und unberechenbaren künstlichen Kreaturen bevölkert zu sein.
Ein anderes Bild von Cyborgs zeichnet Chris Hables Gray in seiner Untersuchung des Cyborg Citizen. Gray betont, dass Cyborgs durchaus real seien – für ihn fallen sowohl Astronauten mit ihrer technischen Ausstattung als auch Großmütter mit Herzschrittmachern unter den Sammelbegriff Cyborg. Damit wird ersichtlich, dass der Cyborgbegriff weitaus mehr umfasst als medial vermittelte dystopische Science Fiction Figuren. Anne Balsamo umschreibt dies wie folgt: „Whatever label they attract, the cyborg serves not only as the focal figure of the mass-mediated popular culture of American techno-science, but also as the figuration of posthuman identity in postmodernity“ (1996, 18).
Obwohl der Begriff „post-humane Identität in der Postmoderne” einer kritischen Analyse bedürfte, auf die hier nicht eingegangen werden kann, trifft es zweifellos zu, dass sich eine Untersuchung des Begriffs Cyborg nicht nur mit Technologie und Wissenschaft auseinandersetzen muss, sondern auch mit bisherigen Konzepten des menschlichen Körpers, der Persönlichkeit und der Identität. Damit setzt sich Donna Haraway in ihrem 1985 erstmals erschienenen Cyborg Manifesto auseinander und versucht eine Revision dieser Konzepte. Darin macht sie zudem deutlich, welche Rolle Geschlecht in einer solchen Auseinandersetzung spielt.
Mit Geschlecht befasst sich auch die Science Fiction und Fantasy Autorin Ursula K. Le Guin. In ihrem bereits 1969 erschienenen Roman entwirft sie eine extraterrestrische Welt ohne binäres Geschlechtersystem. Denn die Bewohner des fiktiven Planeten Gethen sind die meiste Zeit ihres Lebens nicht geschlechtlich markiert. Nur für die Fortpflanzung nehmen sie vorübergehend ein Geschlecht an. Trotz der zeitlichen Differenz der Erscheinungsdaten finden sich in Le Guin's Roman Anknüpfungspunkte zu Haraways Theorie. Das Bindeglied zwischen diesen Punkten stellt der Cyborg dar.
Um die beiden Texte in Bezug zu setzen, muss zunächst erläutert werden, wie Geschlecht und Körper sowie ihre kausale Wechselbeziehung zueinander beschrieben werden. Im Anschluss daran wird auf das Verhältnis von Wissen, (Natur-) Wissenschaft und Natur eingegangen sowie der Cyborgbegriff im Rahmen der theoretischen Vorstellungen beider Autorenverortet. Desweiteren muss geklärt werden, welche Rolle Science Fiction-Vorstellungen in der Erörterung dieser Probleme spielen.
2. Der Cyborg als Bindeglied
2.1 Die theoretische Herleitung des Begriffes ‚geschlechtlicher Körper‘
Carmen Hammer und Immanuel Stieß betonen in ihrer Einleitung zur deutschen Ausgabe von Haraways Die Neuerfindung der Natur, dass die sex/gender-Unterscheidung der siebziger Jahre mit dem Begriff des sozial konstruierten Geschlechts (gender) vorwiegend eine analytische Kategorie lieferte, um „die gesellschaftliche und symbolische Ordnung der Geschlechter und die individuelle Geschlechtsidentität [zu] untersuchen“ (1995, 11), jedoch die Auseinandersetzung mit dem biologisch-anatomischen Geschlecht den Biowissenschaften überließ. In diesem Zusammenhang argumentiert Judith Butler, dass die Herstellung eines geschlechtlichen Körpers nicht auf einer natürlich gegebenen biologisch-anatomischen Zweigeschlechtlichkeit basiert, sondern in der Wiederholung von performativen Akten produziert und bekräftigt wird (Butler 1995). Dadurch wird ersichtlich, dass der Körper nicht per se mit einer natürlich gegebenen Geschlechtlichkeit ausgestattet ist, sondern diese über kulturell-gesellschaftlichen Handlungen konstruiert wird. Den Körper als kulturellen Text zu interpretieren, bedeutet folglich: „To claim that the body is a discoursive construction, and therefore can be read, already effects a deconstruction of its natural posture“ (Balsamo 1996, 20). Diese Konstruktion erfolgt laut Foucault wiederum über soziale, aber auch wissenschaftliche sowie medizinische diskursive Praktiken, die eine Zweigeschlechtlichkeit des menschlichen Körpers sowohl als natürlich gegebene als auch als institutionell bewiesene Wahrheit erscheinen lassen. Technologie ist hierbei eng mit Kontrolle und Macht verzahnt:
Technology names the process whereby discoursive practises work interdependently with other cultural forces to produce effects at the level of the body. These effects, in turn, become part of an apparatus of control (dies., 21).
Anne Balsamo überträgt Foucaults Annahme auf die Arbeit von feministischen Theoretikerinnen wie Mary Douglas und Donna Haraway, die Geschlecht als einen primären Apparatus der wissenschaftlichen Biomacht deuten, die den Körper als intelligibles Objekt[1] konstruiert. Douglas liest den Körper als Symbol. Er stellt eine Interaktion zwischen seiner gegebenen, individuellen Materialität und seiner in eine gegebene Kultur eingebettete soziale Konstruktion dar. Zu beachten ist hierbei, dass die Bedeutung des physischen Körpers durch seine soziale, also symbolische Repräsentation strukturiert ist. So kann der physische Körper zwar ein natürlich erscheinender Referent (sex) für symbolische Referenten (gender) sein. Daraus abzuleiten, dass seine eigene Bedeutung durch eine biologische Natürlichkeit bestimmt ist, wäre daher ein Trugschluss. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es zwar Repräsentationen des sozusagen natürlichen Körpers gibt, Symbole jedoch nicht durch Natürlichkeit definiert sind (Balsamo 1996). An diesem Punkt setzt auch Haraway an, indem sie unterstreicht, dass der Körper nicht als „eine dem Diskurs vorgängige Realität“ (Hammer/ Stieß 1995, 13) angenommen werden darf: „Gender kann nicht einfach die kulturelle Aneignung einer biologischen sexuellen Differenz bedeuten. Tatsächlich ist die sexuelle Differenz selbst die fundamentale Konstruktion“ (Haraway, zit. n. Hammer/ Stieß, 1995, 14). Ihr Ansatz dagegen ist, mit Fiktion zu arbeiten, um ausgehend vom diskursiv konstruierten materiellen Körper eine re-konstruierte Fiktion von Geschlechtsidentität zu erzählen (Balsamo 1996). Für dieses Vorgehen spielt auch die Wechselbeziehung zwischen Wissen und (Natur-) Wissenschaft eine Rolle.
2.2 Wissen, (Natur-) Wissenschaft & Natur
Davon ausgehend, dass das biologisch-anatomische Geschlecht „ein Wissensobjekt […] [und] seine Aushandlung und Konstruktion das Ergebnis eines sozialen Interaktionsprozesses [ist], der von einer Vielzahl kognitiver, gesellschaftlicher und kultureller Faktoren abhängig ist“ (Hammer/ Stieß 1995, 16), ist auch ein anderer Blick auf die Wissenschaft als Produzent von Wahrheit bzw. Fakten nötig. Denn das Wissensobjekt Geschlecht ist von Werten abhängig, die im Rahmen von Erzählungen erzeugt werden, da sie ein kulturelles Vorverständnis der Welt voraussetzen. Dies ist besonders im Bezug zu den Naturwissenschaften zu beachten, die diese scheinbar aus der Natur fest gegebene Fakten produziert. Haraway beschreibt dagegen die Naturwissenschaft als eine Form von Erzählung: „Fakten sind beladen mit Theorie, Theorien mit Werten und Werte mit Geschichten. Daher sind Fakten innerhalb von Geschichten voll Bedeutung“ (zit. n. dies, 17). Die machtvolle Position der Institution (Natur-) Wissenschaft besteht folglich darin, „zwischen Fakt und Fiktion […] zu unterscheiden, d.h. festzulegen, was als Deutungsmuster von Wirklichkeit öffentlich anerkannt werden kann und was nicht“ (ebd.). Dementsprechend ist die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft als Produzent von Wissen eine Auseinandersetzung mit lokalen Praktiken, die definieren, was als wahr zählt sowie wer berechtigt ist, diesen Wahrheits- oder Wissensgehalt zu beurteilen. Wissen bzw. Wahrheit wird erst durch Wissenschaft hervorgebracht bzw. hergestellt und kann nicht als natürlich gegeben angenommen werden. In diesem Zusammenhang plädiert Haraway dafür,
[...]
[1] Butler betont, dass eine Person oder ein Körper erst intelligibel wird durch ihre geschlechtliche Markierung, da die Sprache als Vorstellungsraum und Begrenzung von Geschlecht mit binären Kategorien arbeitet und somit eine ungeschlechtliche Markierung nicht denkbar macht (1991).