Seit der Bankenkrise 2007, die sich mittlerweile zu einer Staatsschulden- und Eurokrise entwickelt hat, hört man fast täglich von Hiobsbotschaften aus ganz Europa. Doch Deutschland scheint von der Krise kaum betroffen: „Es hat drei Gründe, weshalb Deutschland heute so gut dasteht. Da sind zum einen die Reformen der Agenda 2010. Dann hilft uns in der Globalisierung, dass wir in Deutschland eine starke Industrie und einen starken Mittelstand haben. Und die Sozialpartnerschaft, also das verantwortliche Miteinander von Arbeitgebern und Gewerkschaften, ist ein Wettbewerbsvorteil. Das zeigt sich gerade in Krisenzeiten.“ (Schröder nach Martens, 2012)
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Auf den ersten Blick scheint dies zu stimmen, hat sich doch zum Beispiel die Zahl der Erwerbslosen seit Einführung der Hartz-Reformen 2005 stetig verringert: 2011 waren 2,9 Millionen Menschen erwerbslos, der niedrigste Stand seit 1992. (vgl. Destatis, 2012) Schon 1999 machte Schröder in Zusammenarbeit mit Tony Blair deutlich, dass er Deutschland an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen wolle. (vgl. Blair, Schröder,1999)
Kritisiert dagegen wird stark, dass nicht erst seit der rot-grünen Regierung die soziale Polarisierung extrem steigt, sondern auch, dass der Sozialstaat im Vergleich zu 2006 ein Drittel schlechter wirkt1, so Matthias Birkwald (MdB, Die Linke): „Das ist die Folge der verheerenden rot-grünen Hartz-Reformen, von der die schwarz-gelbe Regierung, aber ebenso wenig SPD und Grüne partout nicht abweichen wollen." (Birkwald, 2008: S.1)
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) konstatiert sinkende Reallöhne, eine wachsende Kluft zwischen armen und reichen Bevölkerungsschichten, eine schwindende Mittelschicht (vgl. DIW, 2008), und die Zeitung Financial Times Deutschland nennt Gerhard Schröder bereits 2005 den „Kanzler der Bosse“. (Fricke, 2005)
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Doch wie dagegen vorgehen? Gerade wegen der vielen gesellschaftlichen Probleme sollte es doch möglich sein, dass sich Menschen zusammenschließen, um handlungsfähige Bürgerplattformen zu gründen. Hier könnte transformative organizing2 Abhilfe schaffen. Während Kritiker Reformen wie die Agenda 2010 als Versuch sehen, die Gesellschaft so zu ökonomisieren und zu individualisieren, dass der einzelne Mensch zum „nicht–sozialen Wesen“ (Castel, 2000: S.403) wird, könnte transformative organizing ein Mittel sein, um die Gemeinschaft zu stärken und somit die Basis schaffen, auf der eine Transformation der Gesellschaft möglich wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Umbau des Sozialstaats und die Wiederentdeckung des community organizing
- Die Krise des Sozialstaats und die Entwicklung zur Leistungsgesellschaft
- Ökonomisierung der Sozialpolitik
- Individualisierung der Lebensrisiken
- Hartz IV – Fördern und Fordern
- Community organizing
- Gewerkschaftliches organizing
- Soziale Arbeit und community organizing
- Wandel der Sozialen Arbeit
- Die Krise des Sozialstaats und die Entwicklung zur Leistungsgesellschaft
- Eine Analyse des Umbaus des Sozialstaats
- Die Regulationstheorie als Instrument der Analyse
- Akkumulationsregime
- Regulationsweise
- Kapitalistische Formation
- Die neue Hegemonie: Mehr Markt und Wettbewerb
- Soziale Arbeit im Kontext der Regulation
- Bedingungen für Soziale Arbeit
- Soziale Arbeit im Wettbewerbsstaat
- Die Regulationstheorie als Instrument der Analyse
- Transformative organizing als Reaktion auf den Umbau des Sozialstaats
- Transformative organizing
- Gesellschaftliche Transformation
- Abgrenzung zum community organizing
- Beispiele aus der Praxis
- Soziale Arbeit und transformative organizing
- Transformative organizing
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Auswirkungen des Umbaus des deutschen Sozialstaats, insbesondere im Kontext der Hartz-Reformen, auf die Soziale Arbeit. Sie analysiert die Argumente der Reformbefürworter und stellt alternative Sichtweisen aus der Regulationstheorie gegenüber.
- Die Krise des Sozialstaats und die Entwicklung zur Leistungsgesellschaft
- Die Ökonomisierung von Sozialpolitik und Soziale Arbeit
- Die Rolle von community organizing und transformative organizing
- Der Wandel der Sozialen Arbeit im Kontext des Wettbewerbsstaats
- Die Potenziale von transformative organizing für die Soziale Arbeit
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel zwei beleuchtet die Veränderungen im deutschen Sozialstaat, insbesondere die Folgen der Agenda 2010 und der Hartz-Reformen. Es analysiert die Ökonomisierung der Sozialpolitik, die Individualisierung der Lebensrisiken und die Veränderungen im Arbeitsrecht. Außerdem wird gezeigt, wie Gewerkschaften und Soziale Arbeit bereits Organizing-Methoden nutzen.
Kapitel drei untersucht den Umbau des Sozialstaats aus der Perspektive der Regulationstheorie. Die Theorie der Regulation ermöglicht eine umfassendere Analyse, die sowohl ökonomische als auch gesellschaftliche Faktoren berücksichtigt. Es wird die Bedeutung von Akkumulationsregimen, Regulationsweisen und kapitalistischen Formationen für die Analyse des Sozialstaats beleuchtet.
Kapitel vier widmet sich dem Konzept des transformative organizing als Mittel zur Reaktion auf den Umbau des Sozialstaats. Es werden die Ziele, die Methoden und die Unterschiede zu community organizing dargestellt. Der Zusammenhang zwischen transformative organizing und Theorien des gesellschaftlichen Wandels wird beleuchtet, und es werden Praxisbeispiele aus den USA und Deutschland vorgestellt.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen dieser Arbeit sind der Umbau des Sozialstaats, die Hartz-Reformen, die Ökonomisierung von Sozialpolitik und Soziale Arbeit, community organizing, transformative organizing, die Regulationstheorie, der Wettbewerbsstaat, soziale Ausschließung und die Potenziale von transformativem Organizing für die Soziale Arbeit.
- Quote paper
- Tilo Dornbusch (Author), 2013, Soziale Arbeit und der Sozialstaat im Umbau, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282135