Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1 Einleitung
2 Potenziale sozialer Medien im Arabischen Frühling: Online-Feminismus als Empowerment?
2.1 Das Internet als alternative Öffentlichkeit und 'Safe Space'
2.2 Frauen als politische Leitfiguren
2.3 Das Internet und transnationaler Feminismus
3 "Collective Action" im digitalen Zeitalter: Fallbeispiele
3.1 „Women2Drive“
3.2 „HarassMap“
4 Fazit
Literaturverzeichnis
Abstract
Die Teilnahme von Frauen an den Protesten des Arabischen Frühlings weckte bei feministischen AktivistInnen in den betroffenen Ländern die Hoffnung, aus den gesellschaftlichen Umbrüchen würde auch eine verbesserte gesellschaftliche Stellung der Frau folgen. Der Arabische Frühling bot ihnen eine Plattform, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Dennoch wurde die Partizipation von Frauen an den Protestbewegungen durch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen in vielen der betroffenen Ländern erschwert, und feministische Themen marginalisiert.
Am Beispiel von Frauen in arabischen Ländern und im Kontext des Arabischen Frühlings untersucht diese Arbeit welche Chancen das Internet für marginalisierte Bevölkerungsgruppen während sozialer Bewegungen bietet. Während des Arabischen Frühlings hat das Internet für Frauen die Möglichkeit geschaffen, sich auch dann aktiv an den Protesten zu beteiligen, wenn es ihnen aufgrund der patriarchalischen Strukturen nicht möglich war, im physischen Raum teilzunehmen. Nicht nur durch ihre physische, sondern auch schon durch ihre virtuelle Präsenz machten sie ihre Partizipation sichtbar und konnten so für einen Veränderung des traditionellen passiven Frauenbildes sorgen. Sie konnten ihre Anliegen auch dann in die Öffentlichkeit tragen, wenn ihnen der Zugang zu anderen Medienarten oder zum physischen Raum erschwert wurde oder verwehrt blieb. Feministischer Diskurs im Internet ist potentiell transnational und bot damit die Möglichkeit, neue cross-kulturelle Erkenntnisse zu gewinnen und einen "Bumerang-Effekt" zu erzeugen. Als Fallbeispiele werden in dieser Arbeit zwei Online-Kampagnen beziehungsweise Online-Projekte genauer betrachtet: Zum einen 'HarassMap', ein ägyptisches Projekt, bei dem partizipativ Fälle von sexueller Gewalt dokumentiert wurden, sowie 'Women2Drive', eine Social-Media-Kampagne, die sich gegen das Fahrverbot für saudi-arabische Frauen richtete. Anhand der Beispiele sollen die Durchführung sowie kurz- und - soweit möglich - langfristige Wirkungen von Online-Kampagnen beschrieben werden.
1 Einleitung
Zwei Dinge fielen im Verlauf der Protestbewegungen des Arabischen Frühlings besonders auf: zum einen die Bedeutung, die dem Internet und insbesondere sozialen Netzwerken zugeschrieben wurde, zum anderen die sichtbare Teilnahme von Frauen, die, entgegen des westlichen Stereotyps der schweigenden, unterdrückten Muslimin, Seite an Seite mit Männern und ebenso lautstark wie diese protestierten. Diese Arbeit versucht, beide Aspekte miteinander zu verknüpfen. Frauen waren während der Proteste sowohl im Internet als auch im öffentlichen Raum sichtbar. Im Gegensatz zu männlichen Aktivsten mussten sie sich jedoch nicht nur gegen ein gewalttätiges Regime, sondern auch gegen die gesellschaftlichen Zwänge des Patriarchats durchsetzen, das in vielen arabischen Ländern die Gesellschaft bestimmt und Frauen - oft auch gesetzlich - benachteiligt.
Wie kann das Internet dazu beitragen, die gesellschaftliche Position von diskriminierten Bevölkerungsgruppen zu stärken? Diese Frage soll am Beispiel von Frauen in arabischen Ländern und im Kontext des Arabischen Frühlings untersucht werden.
Nach der Theorie des technologischen Determinismus rufen neue Technologien, wie das Internet, gesellschaftlichen und sozialen Wandel hervor. Technischer Fortschritt produziere "Sachzwänge ... denen eine funktionalen Bedürfnissen gehorchende Politik folgen muss" (Habermas, 2003, S. 81). Demzufolge trägt das Internet durch seine potentielle Offenheit und Horizontalität auch zur Emanzipation der Frau und zum Abbau beziehungsweise zum Aufbrechen von patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen bei: "It is impossible to do hierarchy in cyberspace. ... Women are now in a position where they can own the means of production. In the information age, where information and knowledge are an economic ressource they can create, share distribute, and use it as they wish" (Myburgh, 1997-98, S. 22 f.). Dem damit umschriebenen Begriff des "Empowerments" fehlt eine einheitliche wissenschaftliche Definition; ein zentraler Bestandteil ist jedoch das Erreichen der Möglichkeit eine Wahl zu treffen, die vorher nicht getroffen werden konnte, und im Speziellen der Prozess dieses Erreichens, beziehungsweise eine Erweiterung der Wahlmöglichkeiten (Mehra, 1997, S. 138; Cattane, 2012, S. 8). Vor dem Hintergrund dieser Definition soll in den folgenden Kapiteln untersucht werden, inwieweit das Internet und soziale Netzwerke im Rahmen des Arabischen Frühlings dazu beigetragen haben, Frauen größere Entscheidungsfreiheit und mehr Wahlmöglichkeiten zu geben. Dies bezieht sich dabei sowohl auf ihre Teilhabe am Arabischen Frühling als auch auf ihre generelle gesellschaftliche Position.
2 Potenziale sozialer Medien im Arabischen Frühling: Online-Feminismus als Empowerment?
2.1 Das Internet als alternative Öffentlichkeit und 'Safe Space'
Nach Stamm (1988) ist Gegenöffentlichkeit beziehungsweise alternative Öffentlichkeit"ein Gegenbegriff gegenüber einer von Massenmedien und politischen Autoritäten manipulierten Öffentlichkeit, der sich gegen das den Herrschaftszusammenhang legitimierende Mediensystem wendet" (S. 40). Das Internet bietet Möglichkeiten, eine Alternative zu traditionellen Massenmedien anzubieten, wie zum Beispiel "die kritischen Öffentlichkeiten der Nichtregierungsorganisationen (NGOs), verschiedenartige Medienaktivisten oder Weblogs und andere partizipative Formen" (Engesser & Wimmer, 2009, S. 44). Der Zugang von Minderheiten beziehungsweise diskriminierten Bevölkerungsgruppen zu öffentlichen Diskussionsforen wird als Voraussetzung für eine demokratische Öffentlichkeit gesehen (King & Wood, 2001). Dies ist in der MENA-Region (Nordafrika und Nahost) nur unzureichend gegeben: Der Arab Human Development Report (Regional Bureau for Arab States, 2005) kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen die Beteiligung an medienpolitischer und medienplanerischen Entscheidungsprozessen verwehrt bleibt (S. 14). Generell werden Frauen in arabischen Massenmedien überwiegend stereotypisiert als schwach und sanftmütig, oft in der Rolle der Hausfrau dargestellt; zudem werden die Errungenschaften von Politikerinnen und Frauenrechtsorganisationen nur unzureichend oder überhaupt nicht behandelt (Allam, 2008). Hier kann die Schaffung einer alternativen Öffentlichkeit im Cyberspace zu einem ausgewogeneres Frauenbild beitragen und Frauen über ihr traditionelles Rollenbild hinaus eine Stimme geben:
"The emergence of small media that rivals the scope and reach of mass media helped shift the balance of power between mainstream, authoritative state voices embedded in broadcast and print media, which are primarily male-owned, and alternative, individual voices" (Radsch, 2012, S. 6).
Genau wie männliche Aktiviten nutzten Frauen während des Arabischen Frühlings soziale Netzwerke und Blogs, um zu Protesten im physischen Raum aufzurufen, Informationen und bürgerjournalistische Inhalte zu verbreiten und um ihre persönlichen Erfahrungen festzuhalten. Dies geschah oft ergänzend zum Protest auf der Straße; das Internet bot den Frauen aber auch die Möglichkeit, sich aktiv an Protesten zu beteiligen, ohne sich im physischen Raum möglicherweise in erhebliche Gefahr zu begeben. Aufgrund der stark patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen in der Region werden Frauen auch unter gewöhnlichen Umständen sehr häufig Opfer von sexueller Belästigung. Geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt wurde während der Proteste jedoch von Polizei und Militär gezielt gegen Frauen angewandt.
"Harassment and brutalization by the police ... and the army often has sexual connotations for women. Egyptian female protesters have been strip-searched; pictures have been taken while they were without clothes; they have been accused of prostitution and in some cases forced to undergo virginity testing." (Al-Ali, 2012, S. 29)
Nicht nur die Massenmedien, sondern auch der physische öffentliche Raum ist in vielen arabischen Ländern männlich beherrscht. Zwar ist zu bezweifeln, dass der Cyberspace als geschlechtsneutraler Raum gelten kann; tatsächlich scheint aber die männliche Dominanz in sozialen Netzwerken im Vergleich zum physischen Raum von den Nutzern selbst als deutlich geringer eingeschätzt zu werden: "One hundred percent of the interviewees asserted that Facebook is not a male dominant space. Cyber space is an alternative space for women where they can voice their ideas freely" (Slaoui, 2014, S. 169). Eine Studie von Cattane (2012) zeigte, dass weibliche Blogger in Ägypten ihren Blog betreiben, weil sie online größere Freiheit empfinden ihre Meinung zu äußern als offline, oder sich in der öffentlichen Sphäre überhaupt nicht entsprechend äußern können (S. 65 f.). Das Internet verbessert also die Möglichkeit für Frauen zur freien öffentlichen Meinungsäußerung, zumal die Möglichkeit besteht, anonym zu bleiben; für viele schafft das Internet sogar erstmals die Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern. Das Internet hat "insbesondere jungen Frauen, die bei ihren Familien wohnen und sich mit Rücksicht auf die herrschenden sozialen Normen nicht einfach abends mit jungen Männern in einem Café treffen können, ermöglicht, sich zu beteiligen." (Perthes, 2011, S. 12) Das Internet hat schon vor, aber auch während des Arabischen Frühling Frauen eine Möglichkeit gegeben, unabhängig von patriarchalischen und hierarchischen Strukturen aktiv Medieninhalte zu erstellen, zu teilen und zu diskutieren.
Allerdings ist fraglich, ob hier tatsächlich von einer alternativen Öffentlichkeit gesprochen werden kann. Internetnutzung erfordert sowohl ökonomische Ressourcen als auch Technik-, Medien- und Sprachkompetenz. Viele Menschen in der MENA-Region haben überhaupt keinen Zugang zum Internet (Internetworldstats.com, 2012). In Syrien hat beispielsweise nur 22,5% der Bevölkerung Internetzugang, im Jemen 14,9%, in Ägypten 35,6% (Internetworldstats.com, 2012). Zudem ist die Analphabetenrate in vielen arabischen Ländern hoch. Hier muss auch auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede hingewiesen werden: Frauen sind von Analphabetismus häufiger betroffen als Männer (Hammoud, 2005, S. 4 f.) In Ägypten sind 33% der jungen Frauen (15 - 24 Jahre) Analphabeten, im Vergleich zu 21% der Männer derselben Altersgruppe; im Jemen sogar 49% der jungen Frauen im Vergleich zu 17% der jungen Männer. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich auch in Internetnutzung: In Ägypten nutzen 22,8% der Männer das Internet im Vergleich zu 17,6% der Frauen (International Telecommunication Union, 2011, S. 117). Diese Unterschiede schlagen sich auch in der Nutzung von sozialen Netzwerken nieder: Während global gesehen die Anzahl männlicher und weiblicher Facebook-Nutzer in etwa gleich ist, machen Frauen in der arabischen Region nur etwa ein Drittel der Nutzer aus (Dubai School of Government, 2011, S. 2). Es lässt sich also zusammenfassen, dass neben der generellen niedrigen Durchdringungsrate in vielen arabischen Ländern insbesondere Frauen der Zugang zum Internet häufig verwehrt bleibt. Zu vermuten ist außerdem, dass dies gerade in ärmeren - häufig konservativeren - Gesellschaftsschichten, der Fall ist. Die Online-Partizipation bleibt ein Privileg von Frauen der gebildeten Elite.
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