Hilft Mobilitätsmanagement wirklich? Auswirkungen betrieblicher Maßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl der Mitarbeiter


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

24 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Gegenstand und Erkenntnisinteresse

2 Fragestellung

3 Stand der Forschung
3.1 Verkehrs- und Mobilitätsforschung
3.2 Umweltpsychologie und Verhaltensforschung
3.3 Forschung zum Mobilitätsmanagement

4 Theoretisches Modell
4.1 Das Stage Model of self-regulated behavioral change
4.2 Annahmen
4.3 Untersuchungsmerkmale im betrieblichen Mobilitätsmanagement

5 Hypothesen und Forschungsfragen
5.1 Hypothesen
5.2 Forschungsfragen

6 Forschungsdesign
6.1 Sampling
6.2 Baustein A: Erhebung von betrieblichen und Projektmerkmalen
6.2.1 Empirische Methoden
6.2.2 Operationalisierung
6.3 Baustein B: Mitarbeiterbefragung
6.3.1 Empirische Methoden
6.3.2 Operationalisierung der persönlichen Merkmale
6.4 Baustein C: Interviews mit Projektträgern und ausgewählten Mitarbeitern (nur Projektgruppe)

7 Literatur

1 Gegenstand und Erkenntnisinteresse

Die Politik beschränkt sich in ihrem Bestreben, die Treibhausgasemissionen im Verkehr zu senken, zum Großteil auf Forschungsprogramme und Modellprojekte, die das Ziel haben, den Antrieb des Autos durch alternative Technologien zu ersetzen oder verbrauchsärmer zu machen. Aber während Effizienzsteigerungen bei Verbrennungsmotoren in den letzten Jahren stets durch eine immer stärke Motorisierungsrate zunichte gemacht wurden und Biosprit erwiesenermaßen kaum zur Senkung des CO2-Ausstoßes beiträgt und sogar neue Probleme schafft, werden Elektro-Antriebe auf absehbare Zeit kaum bezahlbare Nischenprodukte bleiben.

Aus energie-, klima-, umweltschutz- und stadtverträglichkeitspolitischen Gründen ist ein Modal Shift, eine nachhaltige und deutliche Reduktion des Pkw-Verkehrs mittels Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel wie Fahrrad, Bus und Bahn deswegen dringend notwendig. In der Mobilitätsforschung dürfte Konsens sein, dass eine erfolgreiche und nachhaltige Beeinflussung der Verkehrsmittelnutzung nicht nur der richtigen politischen Rahmenbedingungen und infrastrukturellen Angebote bedarf, sondern v.a. auch verhaltenspsychologische und soziologische Erkenntnisse berücksichtigen muss.

Neue Impulse zur aktiven Beeinflussung des Modal Splits von „oben“ gab es in den letzten Jahren – den internationalen Entwicklungen mit einiger Verzögerung folgend – auch in Deutschland. Das Instrumentarium, das inzwischen als „Mobilitätsmanagement“ in der Fachwelt bekannt ist, wird als eine Lösung für das Problem angeboten, den Verkehr auf umweltfreundliche Verkehrsmittel zu verlagern, ohne mit als staatlich-autoritär wahrgenommenen restriktiven ordnungspolitischen Maßnahmen zu stark in die individuelle Verhaltensfreiheit einzugreifen, oder teure neue Infrastrukturen bzw. Buslinien finanzieren zu müssen. Mit v.a. kommunikativen, motivierenden, nachfrageorientierten, also anreizsetzenden und gleichzeitig relativ kostengünstigen Maßnahmen sollen z.B. Angestellte eines Betriebes, Einwohner einer Kommune, Eltern einer Schule oder Besucher eines Krankenhauses dazu gebracht werden, den ÖPNV, das Fahrrad oder wenigstens Fahrgemeinschaften zu nutzen, um den motorisierten Individualverkehr an einem Standort zu reduzieren. Besonders auf betrieblicher Ebene wird dieses Instrument in letzter Zeit verstärkt eingesetzt, um entweder Verkehrs- und Parkraumdruck zu reduzieren, Kosten zu sparen, die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern oder im Unternehmen bzw. in einer Stadtverwaltung ein Nachhaltigkeitsleitbild zu unterstreichen (Vgl. dena 2010, Schreiner, Beckmann, ILS, Posch).

Befürworter von Mobilitätsmanagement verweisen auf messbare Verkehrsverlagerungseffekte nach gewissen Projektlaufzeiten. Allerdings fehlt in der Praxis häufig ein Nachweis für die kausale Wirkung der Maßnahmen, weil die Veränderungen im Modal Split lediglich auf aggregierter Ebene festgestellt, aber nicht auf individueller Ebene erhoben und evaluiert werden. Es ist unklar, ob die eingesetzten Maßnahmen verhaltenswirksam in dem Sinne sind, dass die festgestellten globalen Veränderungen auf Mikroebene (individuell) wirklich auf diese zurückzuführen sind. Abgesehen vom „Ob“ ist das „Wie“, das „Wie stark“ oder „Unter welchen Randbedingungen“ der Wirksamkeit der einzelnen Mobilitätsmanagement-Maßnahmen bisher auch höchstens theoretisch untersucht (Bamberg 2011, Umweltpsychologie).

Unbestritten ist, dass die Berücksichtigung der tatsächlichen Verkehrsbedürfnisse, die örtlichen Gegebenheiten, die Unterstützung der Ziele durch zentrale Akteure, die räumlichen Strukturen sowie die Qualität der Maßnahmen bzw. die Dauer der Kampagne die Wirksamkeit des Mobilitätsmanagement-Projekts beeinflussen. Auch die planungs-, steuer- und verwaltungsrechtlichen sowie institutionellen Rahmenbedingungen für nachweisbare Verkehrsverlagerungseffekte auf betrieblicher Ebene sind inzwischen hinlänglich bekannt (ILS, MOST).

Aber die soziologischen und psychologischen Zusammenhänge auf individueller Handlungsebene bleiben bisher im Dunklen. Bei Nachfragen zu den Gründen stark divergierender Verhaltensmuster wird häufig auf die jeweiligen persönlichen Umstände oder die spezifischen Einstellungen derjenigen Mitarbeiter verwiesen, die ihr Verhalten nicht geändert haben. Die implizite Behauptung dahinter ist also, dass soft policy -Maßnahmen einen bestimmten Teil von Mitarbeitern erreichen können, und andere nicht. Aus wissenschaftlicher Perspektive lohnt es sich jedoch, hier ein großes Fragezeichen zu setzen, da die Gründe für die Verhaltensänderung, also den messbaren Modal Shift, nicht nachgewiesen sind. Es ist genauso gut möglich, dass andere Faktoren (auch) eine Rolle spielten und dazu geführt haben, dass einige Mitarbeiter weniger den eigenen Pkw nutzen. Dies ist deswegen nicht unwahrscheinlich, weil häufig nur ein relativ geringer Anteil an Verkehrsverlagerung gemessen wird, und weil in der verkehrswissenschaftlichen Handlungstheorie davon ausgegangen wird, dass das alltägliche Verkehrshandeln stark routinisiert ist und außer im Rahmen von Kontextänderungen (Umzug, Veränderungen im Haushalt, neuer Arbeitsplatz, Kinder etc.) nur äußerst schwer von außen zu beeinflussen ist, wenn nicht starke Anreize oder Restriktionen eine Änderung erzwingen.

2 Fragestellung

Die Hauptfrage dieser Arbeit wird also sein, ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen kommunikative, also informierende und motivierende bzw. anreizsetzende Maßnahmen im betrieblichen Mobilitätsmanagement einen messbaren Einfluss auf das Mobilitätsverhalten haben und eine langfristig stabile Verhaltensänderung hervorrufen können. Konkret möchte ich untersuchen, ob diese „weichen“ Maßnahmen des Mobilitätsmanagements neben erwartbaren Einflussfaktoren wie individuelle oder betriebliche Kontextänderungen oder infrastrukturelle Veränderungen in der Umgebung wirklich relevant sind, wenn Personen, die mit ihrer Verkehrssituation grundsätzlich zufrieden sind, ihre Routinen brechen und ihr Verhalten ändern. Welche Rolle spielen dabei soziologische Personenmerkmale (Einstellungen, Lebenslage), unternehmensbezogene Charakteristika (Betriebsklima, Leitbild, Corporate Identity, Vorbilder) sowie die Qualität und Art der Maßnahmen (inhaltlich und organisatorisch) für den Erfolg von betrieblichem Mobilitätsmanagement. Kurz gesagt: Wirkt Mobilitätsmanagement wirklich? Und wenn ja, warum genau?

3 Stand der Forschung

3.1 Verkehrs- und Mobilitätsforschung

Die (klassische) raumbezogene Verkehrsforschung beschäftigt sich mit den externen, objektiven Faktoren des Verkehrssystems und untersucht z.B. Siedlungs- und Raumstrukturen, Verkehrsangebote, Infrastrukturen und soziodemographische Entwicklungen wie Haushaltsgrößen, Einkommen oder Motorisierungsgrade (MID 2008, KONTIV, BBR., Beckmann 2007).

Die transdisziplinäre Mobilitätsforschung versucht die (Personen-)Verkehrsentwicklung nicht mehr nur aus dieser planerisch-steuerbaren, quasi-naturwissenschaftlichen, sondern auch aus einer soziologischen Perspektive zu erklären. Sie versteht die Verkehrsteilnehmer als menschlich handelnde Subjekte mit Bedürfnissen, Einschränkungen, Möglichkeiten und Motiven, die nicht immer rational-vorhersagbar und modellierbar sind. Im Fokus der Untersuchungen stehen Merkmale wie die soziale Lage, Lebens- bzw. Mobilitätsstile und -biographien, Einstellungen oder Präferenzen und weitere Personenmerkmale. Jüngst ist als neues Konzept u.a. von Martin Lanzendorf zur Erklärung von Verhaltensmustern auf Mesoebene die „Mobilitätskultur“ hinzugekommen (Wulfhorst u.a.). Die Forschungen in den letzten Jahren brachten neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge und Wechselwirkungen von räumlichen Faktoren wie Versorgungsstruktur, Wohnmilieu oder Wohnlage, von verkehrlichen Entwicklungen wie Pkw-Verfügbarkeit, Verkehrsmittelnutzung, Wegezwecken und den individual-psychologischen bzw. sozio-ökonomischen Einflüssen hervor. Eine einigermaßen akzeptierte These scheint die der „Subjektivierung der Verkehrsgenese“ zu sein, die behauptet, dass gesellschaftliche Faktoren wie soziodemographische Entwicklungen oder auch sozioökonomische Umstände das individuelle Verkehrsverhalten immer weniger gut erklären können, sondern dass die erklärenden Faktoren im unmittelbaren sozialen Umfeld und in der Verhaltenspsychologie zu suchen sind. (Scheiner 2007, Harms et al 2007, Bamberg 2011).

3.2 Umweltpsychologie und Verhaltensforschung

Mobilitätsmanagement ist vor allem Information, Motivation und Kommunikation (s.o.) Die Umweltpsychologie und die Werbewirkungsforschung gehen davon aus, dass kommunikative Maßnahmen unter bestimmten Bedingungen Präferenzen und Einstellungen beeinflussen können. Die Einstellungs-Verhaltens-Forschung und die soziologischen Handlungstheorien wiederum haben seit den früher 80er Jahren große Fortschritte dabei gemacht, auf Grundlage sozialpsychologischer Experimente die Wirkung von vorhandenen Überzeugungen, kommunikativen Einflüssen, situativen Reizen, Normen u.a. Faktoren auf die Art der kognitiven Informationsverarbeitung, auf Einstellungsänderungen und Verhaltensabsichten sowie auf konkretes Verhalten zu modellieren und theoretisch zu begründen.

Petty und Cacioppo z.B. gehen mit dem Elaboration-Likelihood-Model (ELM) als zentralem Element des Cognitive Response-Ansatzes davon aus, dass es zu einer langfristig stabilen Veränderung der Einstellung i.S. der Botschaft kommen kann, wenn es eine ausreichend hohe Motivation und Fähigkeit zur intensiven Informationsverarbeitung bei der betreffenden Person gibt und die Argumente auf einen geeigneten „kognitiven Nährboden“ fallen. Das Konstrukt der persönlichen Verantwortungsübernahme steht im Zentrum des Norm-Aktivations-Modells (NAM) (Schwartz & Howard, 1981). Es nimmt an, dass diese Selbsterkenntnis zutage tritt, wenn jemand erfährt und akzeptiert, dass sein oder ihr Verhalten schädliche Konsequenzen hat. Die Selbsterkenntnis führt dann zu der Neigung, das eigene Verhalten mit eigenen Normen abzugleichen. Die dabei entstehenden Schuldgefühle steigern den Druck, sich normgerecht zu verhalten. Unterstützt wird dieses Gefühl durch Angst vor sozialer Missbilligung, wenn wichtige nahe Personen ein entsprechendes Verhalten erwarten. Das NAM nimmt an, dass das Einhalten der Norm mit positiven Gefühlserwartungen (Stolz, Befriedigung) verknüpft ist und diese den Anreiz setzen für die Absicht, sich anders zu verhalten, wenn dieses unter den individuellen Umständen erreichbar ist (Bamberg 2011, S.4ff.). Bei Beeinflussungsversuchen von außen warnen Verhaltenspsychologen jedoch auch vor dem Phänomen der Psychologischen Reaktanz (Brehm), welches vermutlich gerade bei passionierten Autofahrern auftreten könnte, wenn auf sie moralischer Druck ausgeübt wird.

Das Handeln im Verkehrsbereich wird in der Forschung hauptsächlich mit der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen/Fishbein, TPB) versucht zu erklären. Die Einstellung, die subjektive Norm und die wahrgenommene Kontrolle bzgl. des fraglichen Verhaltens werden auf der einen Seite von tiefer liegenden Überzeugungen gebildet, beeinflussen sich gegenseitig und modulieren zusammen die Verhaltensintention. Wenn die tatsächliche Verhaltenskontrolle es zulässt und sie so wahrgenommen wird, kommt es zum Verhalten.

Die TPB versucht, die Intentionalität einer einzelnen Handlung in der Logik eines systematisch-rationalen Prozessierens von Informationen zu erklären. Verkehrshandeln ist aber gerade im Alltag stark routinisiert und somit nicht systematisch-rational durchdacht. Menschen haben zwar Einstellungen zu einzelnen Verkehrsmitteln, normative Überzeugungen und nehmen die Kontrollmöglichkeiten ihres Verkehrshandelns wahr. Aber die Logik der TPB wird nicht jeden Tag neu prozessiert, sondern abgespeichert und immer wieder nur unbewusst abgerufen. Dieser Informationsverarbeitungsmodus erfordert kaum kognitive Leistung und ist für das menschliche Gehirn stark ressourcenschonend. Die TPB erklärt nicht, wie, wann und warum neue Einflüsse wie Mobilitätskampagnen etc. diese Routinen durchbrechen und den Wechsel vom quasi-spontanen zum überlegt-rationalen Prozessmodus zumindest für eine Weile hervorrufen, und wie es zu einer Neubewertung der Verhaltenskontrolle und zu einer Einstellungsänderung kommen kann (Mayerl).

In Laborexperimenten konnten Harms und Probst nachweisen, dass durch Maßnahmen zur Beeinflussung der Verkehrsnachfrage „neue Suchrationalitäten [nach Informationen) eingeleitet werden, die auf Deroutinisierungsprozesse hinweisen“. Außerdem würden „mit der Einführung der Politikmaßnahmen eher härtere Verkehrsmittelattribute (Zeit, Kosten) abgefragt“, was darauf hinweist, dass die Personen anfangen, rational zu überlegen und zu handeln, wenn sie aus ihrem gewohnten Verhaltensmuster herauskommen (Harms/Probst 2008, S. 96). Da die TPB diesen Moduswechsel nicht erklären kann, lohnt sich ein Blick auf das Modell der Frame-Selektion (MdFS) von Esser, das aus der Weiterentwicklung der Rational Choice Theory hervorgegangen ist. Diese „general theory of action“ erweitert die relativ beziehungslose Perspektive der TPB und integriert die Logik der Situation und der Selektion, um eine handlungstheoretische Verknüpfung der Mikro- und Mesoebene herzustellen. Mayerl hat das MdFS um einige Axiome und Theoreme ergänzt, um u.a. gerade den vorbewussten „Ausstieg“ aus dem automatisch-spontanen Handeln vor dem eigentlichen Framing zu erklären, einstellungstheoretische Annahmen besser zu integrieren sowie Kosten-Nutzen-Kalküle zu konkretisieren (Mayerl).

In den letzten Jahren haben Verhaltenspsychologen versucht, auf der Grundlage dieser sehr sozialtheoretischen Überlegungen ein für die empirische Sozialforschung anwendbares Modell zu entwickeln, um verkehrliche Maßnahmen auf ihre tatsächliche Wirkung untersuchen zu können. Das „Max Self Regulation Model – Max Sem” ist aus dem „MAX“-Projekt (s.u. Kap. 3.3) hervorgegangen, indem die wichtigsten Aspekte, die für die individuelle Verkehrsmittelwahl und den Umstieg auf nachhaltigere Transportmöglichkeiten entscheidend seien, identifiziert wurden. Das Modell wurde im Rahmen der MAX-Laufzeit auch validiert, u.a. in interkulturellen Umfragen in sieben europäischen Ländern und dann als Teil einer breit angelegten Mobilitätskampagne in München (Carreno, S. 2). „MaxSem“ geht davon aus, dass eine Verhaltensänderung grundsätzlich in vier Stufen abläuft, die sich mit entsprechenden Fragen messen lassen. Ein zufriedener Autofahrer in der ersten „pre-contemplative stage“ müsse erst die Zielabsicht entwickeln, sein Verhalten zu ändern, um zur „contemplative stage“ zu kommen, auf der er ein Problembewusstsein entwickelt und seine Verantwortung erkannt hat, aber noch unsicher ist über seine Handlungsmöglichkeiten. Wenn er eine Verhaltensabsicht gebildet hat, und bereit ist zum (teilweisen) Umstieg, kann man ihn auf der Stufe „Preparation / Testing“ einordnen, wo er erste Erfahrungen mit alternativen Verkehrsmitteln macht. Mit der Absicht, diese Erfahrungen umzusetzen und gar nicht oder selten das Auto zu nutzen, kommt er zur Stufe „Maintenance“, der stabilen neuen Verhaltensweise. Rückschritte oder das Überspringen von Stufen sind gemäß den Entwicklern des Modells durchaus möglich (ebd.).

Sebastian Bamberg war maßgeblich an der Entwicklung von MaxSem beteiligt, und hat es nach Abschluss des Projektes weiterentwickelt (Bamberg 2011, S. 4ff.). Sein „Stage Model of Self-Regulated Behavioral Change“ (SSBC) arbeitet (analog zu MaxSem) mit der zentralen Annahme, dass eine Verhaltensänderung einer Person am ehesten als eine Art Übergangsphase durch vier aufeinanderfolgende, sich qualitativ unterscheidende Stufen zu verstehen ist. Die Person muss auf jeder Stufe einen bestimmten Schritt vorankommen, um an Ende ihr Verhalten zu ändern. Im SSBC heißen die Stufen „pre-decisional”, “preactional”, “actional” und “postactional”. Durch das Reflektieren von widerstreitenden Absichten entsteht in der Person anfangs eine Selbstverpflichtung, das Ziel ihr Verhalten zu ändern. Auf der zweiten Stufe muss eine Strategie gewählt werden, um das Ziel zu erreichen. Durch Abwägung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten entscheidet sich die Person im Idealfall dann für eine bestimmte Verhaltensabsicht. Auf der dritten Stufe muss die gewählte Strategie in entsprechende Handlungen umgesetzt werden. Bamberg geht davon aus, dass eine Person eine solche Umsetzungsabsicht automatisch initiiert wird, sobald die Person an einer entscheidenden Situation angekommen ist und das Ziel quasi „vor Augen hat“. Auf der vierten Stufe müsse die Person das bisher Erreichte bewerten und entscheiden, ob das Hauptziel erreicht ist, oder ob weitere Schritte nötig sind. Außerdem muss hier der Versuchung widerstanden werden, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen.

Bamberg bezieht sich auf das Norm-Aktivations-Modell, um zu begründen, dass soziale Normen im SSBC im Gegensatz zur Theorie des geplanten Verhaltens nicht mehr als direkter Einflussfaktor für die Verhaltensabsicht angesehen werden. Sie wirken hier schon vorgelagert bei der Zielformulierung. Mit Bezug auf Gollwitzer and Sheeren (2006) sowie Schwarzer (2008) werden im SSBC weitere Annahmen gemacht für die Ausgestaltung der Umsetzungsabsicht, sowie für die Fähigkeit, in der „postactional“-Stufe Rückschläge auszuhalten. Diese Ansätze scheinen eine starke Ähnlichkeit mit dem Konzept der Verhaltenskontrolle aus der TPB zu haben. Getestet hat Bamberg das SSBC in einer Sozialmarketing-Kampagne zum Verkehrsmittelwechsel in Berlin, bei der die Teilnehmer in mehreren Wellen telefonisch befragt und je nach Stufe mit Informationen versorgt wurden (ebd.).

Die theoretisch modellierten und in Laborexperimenten oder Realversuchen nachgewiesenen Wirkungen laut Verhaltenspsychologie und Handlungstheorie sollen in der angestrebten Dissertation für betriebliche Mobilitätsmanagementmaßnahmen in der Praxis überprüft und hinsichtlich ihrer Randbedingungen (Personenmerkmale, externe Faktoren) eingegrenzt werden.

3.3 Forschung zum Mobilitätsmanagement

Die kritisch-wissenschaftliche Forschung zum Mobilitätsmanagement steht im deutschsprachigen Raum noch am Anfang. Die bisherigen (Auftrags-)Arbeiten zu diesem Thema sind sehr praxisbezogen und häufig auf die Marktanalyse, die Untersuchung von fiskalischen, politischen und planerischen Rahmenbedingungen sowie die (verkehrliche) Evaluierung von einzelnen Projekten bezogen (ILS, MOST, Schreiner). Es gibt elaborierte Kalkulationshilfen zur Potenzialanalyse von einzelnen Maßnahmen auf Grundlage von Wohnstandortuntersuchungen, Mitarbeiterbefragungen und geographischen Gegebenheiten (ISB), und durchgeführte Mobilitätsmanagementprojekte wurden hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf den Modal Split untersucht, aber die eigentlich interessanten Wirkmechanismen von Bewusstseinskampagnen, Aktionstagen, Wettbewerben, Schnuppertickets, Fahrradabstellanlagen oder Parkraumbewirtschaftung etc. auf betrieblicher und individueller Ebene waren zumindest in Deutschland bis vor kurzem kein Thema akademischer Forschung (Lanzendorf, Müller, Bäumer/Stiewe, Kemming et al, Hornberg/Ilmenau, Bamberg 2011, Trivector Traffic / ILS, S. 4).

Auf europäischer Ebene hat das Forschungsprojekt „MAX” („Successful Travel Awareness Campaigns and Mobility Management Strategies“) einen neuen Meilenstein gesetzt. „MAX“ wurde von 2006 bis 2009 von einem Konsortium aus 28 internationalen Partnern innerhalb des 6. Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Union durchgeführt und hatte zum Ziel, Mobilitätsmanagement theoretisch und methodisch zu fundieren, seinen Einsatz zu systematisieren, standardisieren und zu verbreiten sowie ein neues Verhaltensänderungsmodell zu entwickeln und testen. Viele der ehrgeizigen Ziele konnten die Programmpartner erreichen. Neben allgemeinen Definitionen wurden für Praktiker nützliche Leitfäden für die Maßnahmenauswahl, für das Kampagnendesign und für begleitende raumplanerische Maßnahmen, Hilfsmittel für ein Qualitätsmanagement und eine internetgestützte europaweite Projektdatenbank zur Verfügung gestellt. Die für die angestrebte Arbeit aber relevanten Ergebnisse von „MAX“ sind das Verhaltensänderungsmodell „MaxSem“ und der Planungs-, Überwachungs- und Evaluationsleitfaden „MaxSumo“ (MAX Final Report / Posch / Trivector Traffic, ILS).

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Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Hilft Mobilitätsmanagement wirklich? Auswirkungen betrieblicher Maßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl der Mitarbeiter
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Humangeographie)
Veranstaltung
AG Mobilitätsforschung
Autor
Jahr
2012
Seiten
24
Katalognummer
V282326
ISBN (eBook)
9783656820734
ISBN (Buch)
9783656820765
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
hilft, mobilitätsmanagement, auswirkungen, maßnahmen, verkehrsmittelwahl, mitarbeiter
Arbeit zitieren
Robert Rädel (Autor:in), 2012, Hilft Mobilitätsmanagement wirklich? Auswirkungen betrieblicher Maßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl der Mitarbeiter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282326

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