Die Regeln des Sprachspiels. Zu Ludwig Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Sprachspiel

2. Eine Sprache erfinden

3. Spiele und Sprachspiele

4. Sprachspiel der Benennung

5. Regeln im Spiel

6. Mit Sprache spielen

7. Grenzen

Resümee

Literaturverzeichnis

Einleitung

Wittgenstein geht es um das Sprechen, um die tägliche Interaktion als das allgegenwärtige Spiel, und wie sich dieses strukturiert. Er nähert sich dem Phänomen der Sprache von „innen“, betritt ihr Spielfeld und fragt nicht, nach dem „Was“, welches die Diskurse hervorbringt und lenkt. Ihn interessieren zuvorderst die internen Funktionsweisen.

Der Schwerpunkt der Hausarbeit wird deshalb auf der Struktur des Sprachspiels und seinen internen Mechanismen liegen. Diesbezüglich folgende Leitfragen: Inwieweit wird ein Spiel durch Regeln begrenzt? Was kann als eine Regel angesehen werden, und wie konstituieren sich die Regeln eines Spiels? Lassen sie sich beschreiben? Wie läßt sich Neues integrieren?

Und welchen Unterschied gibt es in dieser Hinsicht zwischen einem Spiel, einem Sprachspiel und der Sprache allgemein?

Ansatzpunkte bilden Wittgensteins Kommentare zu den Regeln und dem Regelhaften des Sprachspiels und zu dessen Grenzen. In diesem Zusammenhang halte ich allerdings auch eine kurze Einführung in den Sprachspielbegriff Wittgensteins für sinnvoll. Seine Bedeutungstheorie soll jedoch in diesem Kontext nicht ausführlich behandelt werden.

Es ergibt sich eine Schwierigkeit bei der Interpretation von Wittgensteins Spätphilosophie, die sich allerdings bei jeder Theorie über die Sprache stellt: Instrument und Objekt fallen zusammen. Wittgenstein versucht dieser Schwierigkeit zu entkommen, indem er sich fast ausschließlich auf konkrete Situationen bezieht. Aus diesem Grund lassen seine „Zettelsammlungen“ viel Raum für die Interpretation. Dabei stellt sich die Frage, ob es legitim ist, Wittgensteins Spätphilosophie zu systematisieren, was dieser doch gerade vermeiden wollte. Doch für eine Auseinandersetzung ist es meiner Ansicht nach unumgänglich. In diesem Sinne werde ich Wittgenstein Gewalt antun. Doch „wittgensteinianisch“ handelt es sich gar nicht um eine Meta-Perspektive: Ich werde das Sprachspiel der Beschreibung und Interpretation von Wittgensteins Philosophie spielen.

Neben „Philosophische Untersuchungen“ werden einige seiner Spätwerke als Quelle dienen: „Philosophische Grammatik“, „Blaue Buch“, „Philosophische Bemerkungen“ und „Über Gewißheit“.

1. Sprachspiel

Wittgensteins „Sprachspieldefinition“:

„Wir können uns auch denken, daß der ganze Vorgang des Gebrauchs der Worte in (2) eines jener Spiele ist, mittels welcher Kinder ihre Muttersprache erlernen. Ich will diese Spiele „Sprachspiele“ nennen (...). Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das „Sprachspiel“ nennen.“[1]

Er bezieht den Begriff des „Sprachspiels“ sowohl auf spezielle, umgrenzte Situationen im alltäglichen Sprechhandeln, z. B. auf solche, in denen Kinder die Sprache erlernen, und ebenso auf „das Ganze“, auf Sprache und Tätigkeit, abgelöst vom situativen Kontext. Das „Sprechhandeln“ fungiert dabei als Sinnbild des menschlichen Daseins insgesamt.

Sprache und Tätigkeit sind für Wittgenstein nicht separat denkbar. Im Ausdruckshandeln, wenn Ziele formuliert, Intentionen offengelegt werden etc., also in der verbalen Praxis wird offensichtlich, dass die Sprache nicht vom handelnden Individuum, das sich ihrer bedient, loszulösen ist.

Im Alltag trifft man auf unterschiedlichste kommunikative Situationen mit dementsprechend vielfältigen Verhaltens- und Redeweisen. Sie richten sich u. a. an bestimmten Zwecksetzungen im Interaktionsprozess aus.[2]

„- Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige Arten der Verwendung alles dessen, was wir „Zeichen“, „Worte“, „Sätze“ nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen. (...) Das Wort „Sprach spiel“ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“[3]

Im Prozess des täglichen Sprechens, des täglichen Handelns sind die Verwendungsweisen von sprachlichen Ausdrücken Veränderungen unterworfen. Die mannigfaltigen Wort- und Satzarten werden kontextabhängig aktualisiert und modifiziert. Es handelt sich um eine prinzipielle Offenheit.

Auch hier zeigt sich, dass die Sprache nicht losgelöst von Handlungskontexten zu betrachten ist. Die gesamte Praxis und Lebenstätigkeit läßt sich nach Wittgenstein als ein Netzwerk zusammenhängender Sprachspiele begreifen.

Er unterstellt ein dialektisches Verhältnis zwischen Sprache und Praxis. Dem natürlichen Lebensraum entsprechen typische Handlungszusammenhänge, in welche die kommunikative Verwendung der betreffenden sprachlichen Ausdrücke normalerweise eingebettet ist und von denen her sie ihre Bedeutung empfängt.[4] Die Sprache strukturiert aber ebenso die Erkenntnis und Welterfahrung des Menschen. Die Sprachspiele liefern die Struktur, mit deren Hilfe man sich in der Wirklichkeit orientiert und in ihr agiert:

„Die Sprache selbst ist das Vehikel des Denkens.“[5]

Der Gebrauch der Sprache ist damit nicht nur fundamentaler Bestandteil unseres Lebens, sondern er greift gleichzeitig in unser Leben ein. Die Sprache ist es, die unsere Erfahrung in bestimmte Kanäle leitet. Die Konstitution der Objekte unserer Erfahrung ist nach Wittgensteins Vorstellung durch unsere grammatische Praxis geregelt.

Die Sprachspiele bilden den Interaktionshorizont, in dem sich kulturelle Repräsentationen eingeschrieben haben, und die nun als Strukturierungshilfe, als Ordnungsprinzip und erste Voraussetzung zur Kommunikation - ob mündlich oder schriftlich, ob Schrift- oder Bildsprache - fungieren. Demnach ist der Mensch also abhängig von der Beherrschung von Sprachspielen, von Kulturtechniken im weiteren Sinne, wenn er sich ausdrücken und „interagieren“ will.

Nur in einem bestimmten Rahmen ist es möglich sich auszudrücken, gleichzeitig ist innerhalb dieses Rahmens eine hohe Varianz von Ausdrucksmöglichkeiten gegeben. Diese Ausdrucksmöglichkeiten sind allerdings nicht statisch festgelegt, sondern Veränderungen unterworfen, die sich in der täglichen „Sprachspiel-Praxis“ zeigen.

„Stellen wir uns die Tatsachen anders vor als sie sind, so verlieren gewisse Sprachspiele an Wichtigkeit, andere werden wichtig. Und so ändert sich, und zwar allmählich, der Gebrauch des Vokabulars der Sprache.“[6]

Wittgenstein kann man nicht im Sinne eines rein strukturalen Denkens verstehen, wonach Tatsachen selbst als Zuschreibungen angesehen werden.

Dennoch sind die Sprachspiele das Übergeordnete, was den Begriffen Bedeutungen verleiht. Die Bedeutungen der Begriffe konstituieren sich im Kontext der Sprachspiele.[7]

Die Frage nach dem sprachlichen Ursprung und nach dem Ursprung diskursiver Veränderungen kann und soll für Wittgenstein jedoch letztendlich nicht beantwortet werden, da sie nicht gelöst werden kann und letztendlich in einer zirkulären Argumentation endet. Es handelt sich um ein komplexes Wechselverhältnis zwischen kulturellen Codes und Lebensform, zwischen Kultur und darin agierenden Individuen.

2. Eine Sprache erfinden

Was ist der Charakter einer Sprache? Gesetzt dem Fall, man könnte eine Sprache erfinden, welche Bedingungen müßte sie erfüllen?

„Eine Sprache erfinden, könnte heißen, auf Grund von Naturgesetzen (oder in Übereinstimmung mit ihnen) eine Vorrichtung zu bestimmtem Zweck erfinden; es hat aber auch den anderen Sinn, dem analog, in welchem wir von der Erfindung eines Spiels reden.“[8]

Wittgenstein betont zunächst die Abhängigkeit der Sprache von den „Naturgesetzen“. Die Umwelt, die Kultur möge man auch darunter fassen, gibt vor, was „ausdrückbar“ sein muss. Dieses hängt eng mit dem funktionellen Charakter von Sprache zusammen. Es wird Ausdrücke geben, die nicht bloße Konventionen in einem geistig-sozialen Rahmen sind, sondern in einer bestimmten Umwelt und Lebensform ihre Funktion haben.

Die Sprache läßt sich jedoch nicht bloß als Werkzeug zur Erreichung bestimmter Zwecke verstehen. Wittgenstein spricht von dem Sinn der „Erfindung eines Spiels“. Ein Spiel hat zunächst keinen bewußten Zweck. Es geht um das Vergnügen an der Tätigkeit als solcher bzw. an ihrem Gelingen, was mit Lustempfindungen verbunden ist. Die Sprache läßt sich also nicht nur funktionell erklären, da längst nicht jedes menschlichen Handeln offensichtlich als zweckgebunden angesehen werden kann, wenn man nicht das Vergnügen, die Lust etc. als solche Zwecke anerkennt.

[...]


[1] PU 7.

[2] Wittgenstein hebt im folgenden die unterschiedlichen Funktionen, welche ein Wort erfüllen kann, hervor. Siehe ÜG 64: „Die Bedeutung eines Worts vergleiche mit der „Funktion“ eines Beamten. Und „verschiedene Bedeutungen“ mit „verschiedene Funktionen“.

[3] PU 23.

[4] Die „Lebensformen“ finden in den Sprachspielen ihre Verkörperung. Für Lebensformen dürfen wir nach Wittgenstein nicht versuchen Gründe anzugeben. PU 19: „Und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.“

[5] PU 329.

[6] ÜG 63.

[7] ÜG 65: „Wenn sich die Sprachspiele ändern, ändern sich die Begriffe, und mit den Begriffen die Bedeutungen der Wörter.“

[8] PU 492.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Regeln des Sprachspiels. Zu Ludwig Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V28254
ISBN (eBook)
9783638300834
ISBN (Buch)
9783638842600
Dateigröße
592 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Regeln, Sprachspiels, Ludwig, Wittgensteins, Philosophische, Untersuchungen, Sprachphilosophie, Wittgenstein, Kommunikation, Philosophische Untersuchungen, Sprachspiel, Tractatus Logico-Philosophicus
Arbeit zitieren
Jessica Heyser (Autor:in), 2002, Die Regeln des Sprachspiels. Zu Ludwig Wittgensteins "Philosophische Untersuchungen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28254

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