Die Idee des Schönen und der Eros. Zu Platons Ästhetik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Dialog
2.1 Zur Form des „Symposion“
2.2 Vorreden
2.3 Der sokratische Eros

3. Interpretation der ‚Diotima-Rede‘
3.1 Frage nach dem Wesen des Eros
3.2 Objekt des Eros
3.3 „Zeugung im Schönen“
3.4 Eros und Philosophie
3.5 Sokrates als Eros
3.6 Neue Subjektivität
3.7 Erotik der Philosophie
3.8 Dialektik

4. Auftritt des Alkibiades

5. Resümee

Literaturverzeichnis

„Wie süß ist es, lange vor dem Objekt dieses Verlangens auszuharren, uns lebend im Verlangen zu erhalten, statt bis zum Äußersten zu gehen und zu sterben, dem Exzess des gewaltsamen Verlangens nachzugeben.

Wir wissen, daß Besitz dieses Objektes, das uns glühend erregt, uns unmöglich ist. Wir müssen zwischen zwei Dingen wählen: Das Verlangen wird uns verzehren, oder sein Objekt wird aufhören, uns zu erregen. Wir können es nur unter der einen Bedingung besitzen, daß nach und nach das Verlangen, das es in uns weckt, nachläßt. Aber lieber der Tod des Verlangens als unser eigener Tod! Wir begnügen uns mit einer Illusion. Ihr Objekt wird uns durch seinen Besitz, ohne daß wir sterben, das Gefühl verschaffen, unser Verlangen bis zum Äußersten zu treiben.”[1]

Platons “Symposion”

1. Einleitung

Platons Dialog “Symposion”, der sich mit der Natur des Eros auseinandersetzt, ist Inhalt meiner Hausarbeit. Daran fasziniert mich, daß es sich zum einen um ein sehr umfassendes, zum anderen um ein stark idealisiertes Konzept handelt, welches sich vom modernen Begriff der Erotik unterscheidet. Ich werde mich der Frage widmen, was seine Eroskonzeption für das einzelne Subjekt bedeuten kann, und welches Menschenbild dem zugrunde liegt. Außerdem soll es um die ästhetische Dimension des Dialogs gehen.

Ansatzpunkte für Platon sind das Verlangen, die Begierde, die Lust, welchen er eine hohe Bedeutung zumißt. Seine Philosophie setzt hier, an der Erotik, an. Doch er beschränkt sich nicht auf die Sexualität, sondern beschreibt das Verlangen als eine Möglichkeit, die eigene Begrenztheit zu überwinden. Der intellektuelle Akt des Erkennens entsteht im Sinnlichsten.

Meine Wahl fällt unter anderem auf Platons Philosophie, und im Besonderen auf diesen Dialog, da mich sein ganzheitliches Denken reizt: sowohl was den Menschen als leib-seelisches Wesen, als auch was die umfassende Theorie angeht, die grundsätzliche philosophische und anthropologische Fragen betrifft.

Platon bleibt im "Symposion" nicht auf der konkreten Ebene des Sichtbaren, der schönen Gestalt, sondern sucht dahinter das Schöne als Idee oder auch den Logos des Schönen, den seienden Grund für das Schönsein der Einzelphänomene. Trotzdem geht er von dem sinnlich erfahrbaren Schönen aus, was jedoch seinen wahren Ursprung in einer wahrnehmungs-transzendenten Sphäre haben soll. Hinter dieser Annahme scheint die Unveränderlichkeit des Schönen selbst garantiert.

Seine “Ästhetik” unterscheidet sich von den Kunsttheorien der Moderne, die sich meist auf das Kunstschöne beziehen. Platon räumt der Schönheit von Menschen Vorrang gegenüber dem Kunstschönen ein, und fragt weiter nach den Konsequenzen, die sich für den Menschen und seiner Beziehung zur Welt daraus ergeben. Das Schöne rückt in enge Relation zur Erkenntnissphäre und enthält immer auch eine ethisch-praktische Dimension.[2] Ontologie, Erkenntnistheorie und Ethik bilden bei ihm noch eine untrennbare Einheit.

Das Konzept meiner Hausarbeit orientiert sich am Aufbau des Dialogs. Zunächst werde ich die Inhalte der einzelnen Reden schon im Hinblick auf den Schwerpunkt meiner Hausarbeit, der Interpretation der ‚Diotima-Rede‘, kurz umreißen. Dabei interessiert mich weniger die historische Verortung des Dialogs, als - weswegen ich mich auch nur auf das “Symposion” beziehen werde - seine philosophische Dimension. Da mir dieser Dialog als sehr gehaltvoll und mehrdimensional erscheint, habe ich mich für eine relativ textnahe Interpretation entschieden.

Die Vorlesung von Georg Picht, “Platons Dialog “Symposion”” hat mir den Einstieg in den Dialog sehr erleichtert. Außerdem enthalten die Texte von Wilhelm Schmid, “Die Geburt der Philosophie im Garten der Lüste”, welcher auf Foucaults Interpretation eingeht, Seth Benardete, “On Plato’s Symposion” und Ulrich Irion, “Eros und Thanatos in der Moderne” meiner Meinung nach sehr gute Aspekte, welche ich teilweise in meine Hausarbeit aufgenommen habe.

2. Der Dialog

2.1 Zur Form des “Symposion”

Die Situation eines Gastmahls wird, wie aus dem Vorgespräch deutlich wird, von Apollodoros, der es wiederum von Aristodomos erzählt bekam, geschildert. Das Symposion, welches auf die Einladung von Agathon, dem Sieger des damaligen "Tragödienwettstreites", stattfindet, ist somit in eine Rahmenhandlung eingebettet. Durch diese besondere literarische Form der erinnerenden Wiedergabe wird eine gewisse Distanz zum Geschehen geschaffen. Der Leser wird auf diese Weise in den Dialog mit einbezogen, als würde für ihn die Reden beim Gastmahl nacherzählt. Auf der anderen Seite wird die Authentizität des Berichts von Aristodomos unterstrichen, da Apollodoros Sokrates sogar noch selbst befragt habe. Demnach geht es im Dialog neben der inhaltlichen Reflexion auch darum, den ‚wahren Sokrates‘ darzustellen.[3]

2.2 Vorreden

Man trifft sich bei Agathon, um bei Speis und Trank, Lobreden auf den Eros zu halten. Bevor Sokrates zu Wort kommt, werden erst die anderen Teilnehmer des Symposion der Reihe rund den Eros preisen. Es handelt sich bei ihnen um bedeutende Gestalten aus der attischen Geschichte. Im Folgenden sollen die einzelnen Reden nur kurz in den für die platonische Auslegung wichtigen Punkten, umrissen werden.

Phaidros lobt die Tugenden, die im Liebenden, welcher göttlicher sei als der Geliebte, zu Tage treten. Der Liebende sei ein tapferer Kämpfer, was mit der Scham vor dem Geliebten begründet wird. Die wahre Liebe gehe sogar bis zu Selbstaufopferung des Liebenden.[4] Phaidros bezieht sich auf die Intensität der Liebespraxis, ihre positive, dennoch verwirrende Macht im vom Eros Ergriffenen. Die Macht des Eros wird von ihm jedoch nicht hinterfragt; er schildert lediglich seine Erlebnisse und Beobachtungen.

Dem schließt sich die Rede von Pausanias an. Dieser geht von zwei Eroskonzepten aus: dem allgemeinen, welches für die ‚rechte Knabenliebe‘ steht und dem himmlischen, wonach der Leib mehr als die Seele betont wird. Nur der himmlische Eros, der nach dem Schönen strebt, sei jedoch recht. Dieser sei nicht automatisch an das Verliebtsein gekoppelt. Für ihn wäre es das Ideal, wenn man um der Tüchtigkeit willen liebe, um ein besserer Mensch zu werden.[5] Pausanias geht es um die richtige Form der Liebe, welche vom bloß körperlichen Begehren zu unterscheiden ist.

Der Arzt Eryximachos, welcher als Vertreter der Mäßigkeit auftritt, kommt als nächstes zu Wort. Er geht von einem ambivalenten Eros aus, und bezieht sich zunächst auf die Physis, thematisiert das Gesunde und das Kranke im Körper. Das Ziel sei es, eine Harmonie der Gegensätze im Körper herzustellen. Dieses bezieht er darauffolgend auf die Musik, erklärt die Harmonie als ein “Einverständnis von Auseinanderstrebenden”. Nur in diesem Zustand handele es sich um den Eros zum Guten, zur Glückseligkeit.[6] Eros bezieht sich bei Eryximachos auf alles Seiende, begründet außerdem die Verbindung zwischen Menschen und Göttern. Seine Konzeption ist nicht moralisch, sondern ontologisch zu verstehen. Indem er die auseinanderstrebenden Gegensätze im Seienden problematisiert und eine Harmonie unter diesen propagiert, greift er damit bereits ein für den Dialog elementares Motiv auf, ohne es jedoch auf das einzelne Individuum zu beziehen.

Aristophanes, der Komödiendichter, hält seine Rede auf den Eros, indem er ihn als das Begehren und den Drang der Menschen nach ihrer ursprünglichen Einheit bestimmt. Er erzählt den ‚Mythos von den Kugelmenschen‘, welche von Zeus als Bestrafung in der Mitte geteilt wurden; der jetzige Mensch sei demnach nur eine Hälfte der vormaligen Kugelform. Das sei der Grund, warum ihr Streben darin bestünde, sich wieder mit ihrer zweiten ursprünglichen Hälfte zu einer Einheit zu verbinden.[7] Doch es erscheint bei Aristophanes als ein zum Scheitern verurteiltes Verlangen, die Individualität kann nicht überwunden werden, die Sehnsucht nach (Wieder-)Vereinigung kann nur temporär gestillt werden, in einer gleichsam selbstbezüglichen Befriedigung.

Bevor Sokrates seine Rede halten darf, ist Agathon, der Tragödiendichter, an der Reihe. Sein Reden zeichnet sich durch kunstvolle Rhetorik aus. Er preist den Eros als Gott, als den schönsten, besten und glücklichsten. Zudem sei er der Jüngste unter den Göttern, zart, geschmeidig, ebenmäßig, formvollendet. Was nur an attraktiven Attributen denkbar ist, scheint ihm anzuhaften. Jeder diene ihm freiwillig, ihm, der Gerechtigkeit und Besonnenheit verkörpere, da er Lüste und Begierden beherrsche. Durch die Liebe zur Schönheit entstehe Gutes.[8] Agathon unterscheidet zwischen dem Gott Eros und den Wirkungen, deren Ursache er ist.

Die ‚Vorredner‘ legen ihren Schwerpunkt auf eine ‚Ästhetik des Begehrens‘, auf die vorbildliche Liebespraxis, ohne aber das Bedürfnis im Menschen zu hinterfragen. Eine Ausnahme bildet Aristophanes, der den Menschen als geteilten, nur halben, nicht allein existenzfähigen darstellt. Doch das Begehren zur anderen Hälfte ist nur eine egoistische Wiedervereinigung, die, da sie das Individuum nicht über sich hinausführt, aussichtslos bleibt. Das Verlangen wird in den Reden nicht problematisiert, sondern nur als Phänomen beschrieben. Das Ziel des erotischen Strebens scheint hiernach die Befriedigung zu sein.

Seth Bernadete sieht darin den fundamentalen Unterschied zur sokratischen Problematisierung der Liebe, welche auf diese Reden folgt: “Der Lobpreis des Eros, wie die Redner ihn verstehen, schließt den Lobpreis der Befriedigung ein. Der eros ist für sie nicht, wie für Sokrates, ein Dazwischen, sondern eine Erfüllung.”[9] Der Geliebte wird in den Vorreden mit dem Eros identifiziert, doch er verweist nach Sokrates nur auf etwas, was über ihn hinausgeht. Doch um nicht mehr vorwegzunehmen, soll nun die Rede des Sokrates vor dem Hintergrund der Vorreden interpretiert werden.

2.3 Der sokratische Eros

Als letzter darf nun Sokrates seine Rede halten; zunächst wendet er sich, wie es seiner philosophischen Praxis entspricht, an die Vorredner, um nachzufragen. Er thematisiert die Rhetorik, welche Agathon so exzellent beherrscht, grenzt sich von ihr ab, da er nicht schönreden, sondern die Wahrheit sagen wolle. An ihn, der den Eros so hoch gepriesen hat, wendet er sich, richtet sein Augenmerk auf das Verlangen: Denn der Eros strebe immer nach etwas, das er begehrt, folglich nicht besitzt. Wie könne man da von Freiwilligkeit ausgehen, wenn sich das Verlangen auf etwas richte, was man nicht hat? Agathon muß Sokrates Einwand stattgeben, daß, wenn Eros nach dem Schönen strebe, er demnach selbst nicht schön sein kann, und damit auch nicht gut.[10]

Sokrates gibt nicht seine eigene Ansicht wieder, sondern erscheint selbst als der Lernende, indem er sein Gespräch mit Diotima, “einer Frau aus Mantinea”, darstellt. Eros sei weder schön noch häßlich, weder wissend noch unwissend, ein Dazwischen, was mit seinem Streben nach dem Schönen und der Weisheit begründet wird. Er sei somit kein Gott, da er nicht glückselig, nicht vollständig, nicht aus sich genug sei, sondern müsse einen Mangel empfinden. In seiner Position als Dämon, vermittle er zwischen Gott und Sterblichen. Als Begründung führt Diotima die Geschichte der Erzeugung des Eros an: Gemäß seines Charakters sei Eros ein Kind von Klugheit und Armut, an Aphrodites Geburtsfest gezeugt. Selbst “hart und rauh und barfuß und unbehaust” stelle er dem Guten und Schönen nach. “Denn zu dem Schönen zählt das Wissen; Eros aber ist ein Streben, das dem Schönen gilt; und so wird Eros notwendig ein Philosoph sein und als Philosoph zwischen Wissen und Unwissenheit stehen.”[11] Eros ist der Liebende, nicht der Geliebte.[12]

[...]


[1] Georges Bataille: Der heilige Eros, S. 139.

[2] Vgl. Brigitte Scheer: Einführung in die philosophische Ästhetik, S. 7-15.

[3] Vgl. Georg Picht: Vorlesungen und Schriften. Platons Dialog “Symposion”, S. 336-350.

[4] Vgl. Platon: Symposion, S. 23-27.

[5] Vgl. ebenda, S. 27-39.

[6] Vgl. ebenda, S. 41-49.

[7] Vgl. ebenda, S. 49-63.

[8] Vgl. ebenda, S. 65-71.

[9] Seth Bernadete: On Plato’s Symposion, S. 40.

[10] Vgl. Platon: Symposion, S. 75-83.

[11] Ebenda, S. 91.

[12] Vgl. ebenda, S. 83-91.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Idee des Schönen und der Eros. Zu Platons Ästhetik
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Hauptseminar: 'Theorien des Schönen in der Antike und im Mittelalter'
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
19
Katalognummer
V28256
ISBN (eBook)
9783638300858
ISBN (Buch)
9783638842624
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Idee, Schönen, Eros, Platons, Hauptseminar, Schönen, Antike, Mittelalter“, Ästhetik, Platon, Eros-Begriff, Phaidros, Sokrates, Erotik, Diotima, Alkibiades, Symposion
Arbeit zitieren
Jessica Heyser (Autor:in), 2000, Die Idee des Schönen und der Eros. Zu Platons Ästhetik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28256

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