Der Zusammenhang von körperlicher Belastung und Gleichgewichtssinn. Der Einfluss definierter Radergometrie auf die Körperschwankung


Examensarbeit, 2012

64 Seiten, Note: 1,33 (13 Punkte)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Forschungsstand
2.1 Zentrale Begriffe
2.2 Energiebereitstellung, Laktat und Leistungsdiagnostik
2.2.1 Grundlagen der Energiebereitstellung
2.2.2 Laktatleistungsdiagnostik
2.3 Anatomische und physiologische Grundlagen zum Gleichgewicht
2.3.1 Der Vestibularapparat
2.3.2 Das visuelle System
2.3.3 Das propriozeptive und somatosensorische System
2.3.4 Zentrales vestibulares System
2.3.5 Muskelreflexe
2.4 Gleichgewicht und Belastung
2.5 Fragestellung und Arbeitshypothesen

3 Methodik
3.1 Testinstrumente und -materialien
3.1.1 Kraftmessplatte und Software
3.1.2 Radergometer und Software
3.1.3 Laktatanalyse
3.1.4 Herzfrequenzmesser
3.1.5 Sonstiges
3.2 Probanden
3.3 Testprogramm
3.3.1 Testvorbereitungen
3.3.2 Die GG-Messung
3.3.2.1 Die Standbedingungen
3.3.3 Ausdauerbelastung
3.3.3.1 Stufentest
3.3.3.2 Dauertests
3.3.3.3 Abbruchkriterien
3.4 Datenverarbeitung und Statistik

4 Ergebnisse

5 Diskussion
5.1 Methodenkritik

6 Zusammenfassung

7 Verzeichnis der Abkurzungen

8 Verzeichnis der Tabellen

9 Verzeichnis der Abbildungen

10 Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

„Weltraummissionen mussten schon abgebrochen werden, weil Astronauten unter massiven Schwindelerscheinungen und Erbrechen litten. Schuld daran war ein Sinnessystem, dessen Existenz man vor ca. 150 Jahren noch nicht einmal erahnte, der Gleichgewichtssinn“ (Klinke 2010b, S. 596).

Tatsachlich spielt die Fahigkeit aufrecht zu stehen und sich fortzubewegen auch im alltaglichen Leben des Menschen eine entscheidende Rolle. Wer von A nach B kommen mochte, nutzt in erster Linie seine Beine und FuBe. Sicher sind heutzutage Hilfsmittel wie Kraftfahrzeuge, Aufzuge, etc. dafur zustandig, uns das Leben zu erleichtern und in Abhangigkeit davon, wie weit A und B voneinander entfernt liegen, ist ein Verzicht auf diese Hilfsmittel gar nicht moglich. So sorgen sie dafur, dass die von einem Menschen taglich zu FuB zuruckgelegte Strecke heute sehr viel geringer ist, als beispielsweise noch vor 10.000 Jahren. Der Jager und Sammler der damaligen Zeit bewaltigte im Schnitt zwischen 9,5km (Frauen) und 14,1km taglich (Manner) (Marlowe 2005, S. 63). Heute belauft sich die taglich zu FuB zuruckgelegte Strecke auf einen Bruchteil dieses Wertes. Doch trotz dieses bequemeren Lebenswandels ist die Funktionstuchtigkeit aller zum Gleichgewicht beitragenden Systeme jedoch auch heute unerlasslich. Zudem gibt es auch Situationen, mit denen man sich fruher nicht auseinanderzusetzen hatte und welche deutlich erhohte Anforderungen an den Menschen haben. Man stelle sich vor, dass der Bus, in welchen man soeben eingestiegen ist, anfahrt ehe man einen Sitzplatz erreicht hat. Selbst wenn man in diesem Moment einen Griff zum festhalten hat, kann diese Situation sehr herausfordernd sein. Nahezu unmittelbar und mit einer fur den Menschen kaum spurbaren Verzogerung reagieren vor allem die Muskeln der unteren Extremitat auf die Beschleunigung des eigenen Korpers durch den anfahrenden Bus. Fur diese Reaktion sind vor allem drei Systeme des menschlichen Korpers verantwortlich. Sie liefern Informationen, welche vom zentralen Nervensystem (ZNS) verarbeitet werden und so zum aufrechten Gang beitragen (Wiest, Diefenthaeler, Mota und Carpes 2011, S. 406). Der Vestibularapparat im Innenohr nimmt Positionen und Beschleunigungen des Kopfes in Relation zum Rumpf wahr und stellt somit eines der wichtigsten Systeme dar. Desweiteren ist das visuelle Sehen fur die Orientierung im Raum in Relation zu anderen Bezugspunkten zustandig. Das propriozeptive System in Muskeln und Gelenken gibt Informationen uber die Stellung und die Bewegungen einzelner Korperteile zueinander. Letztendlich ist es das sensorisch-motorische Zusammenspiel der genannten Systeme mit dem Stutz- und Bewegungsapparat, welches dafur sorgt, dass der Korperschwerpunkt uber der Unterstutzungsflache bleibt (Duarte und Zatsiorsky, 2002). Eine Einschrankung der Funktion eines oder mehrerer dieser Systeme kann das Gleichgewicht negativ beeinflussen und bis zu der Unfahigkeit fuhren, den aufrechten Stand oder Gang zu erhalten. Allerdings konnen auch lokale und zentrale Ermudung, zum Beispiel durch eine vorherige Belastung auf einem Radergometer, Einfluss auf das Gleichgewicht nehmen, wie unter anderem Studien von Gauchard, Gangloff, Voudroit, Mallie und Perrin (2002) oder auch Nardone, Tarantola, Giordano und Schieppati (1997) gezeigt haben. Haufig wurden neben der Ermudung durch Belastung zusatzlich weitere Faktoren in die Untersuchungen mit eingeschlossen. Das groBte Interesse galt hierbei bislang dem Beitrag des visuellen Systems (Creath, Kiemel, Horak, Peterka und Jeka 2005), aber auch eine Deprivation des Vestibularapparates (Pinsault und Vuillerme 2007) oder des propriozeptiven Systems (Bove, Nardone und Schieppati 2003) wurden vorgenommen. Weitgehend unberucksichtigt blieben bislang verschiedene Beanspruchungsniveaus. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, soll es Aufgabe der vorliegenden Studie sein, zu untersuchen, welchen Einfluss verschiedene Ausdauerbelastungen auf den ungestorten, bipedalen Stand des Menschen haben. Zu diesem Zweck wird zunachst der aktuelle Forschungsstand dargelegt, woraus im folgenden Schritt die Fragestellung erarbeitet wird. Das Kapitel Methodik wird Aufschluss daruber geben, wie die Studie im Detail durchgefuhrt wurde. Im Ergebnissteil werden die Resultate dargelegt und in der Folge deren Bedeutung diskutiert.

Zwecks besserer Lesbarkeit wird in den folgenden Kapiteln bei Personen oder Gruppen von Personen lediglich die mannliche Form genannt, gemeint sind dennoch immer beide Geschlechter.

2 Forschungsstand

Im folgenden Kapitel werden alle fur die Durchfuhrung dieser Studie notwendigen Grundlagen erlautert. Dazu gehoren die Definition zentraler Begriffe, relevante anatomische und physiologische Grundlagen, die Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zum Thema Gleichgewicht sowie zum Zusammenhang von Belastung und Gleichgewicht. Aus diesem Forschungsstand werden in der Folge die Fragestellung und die Arbeitshypothesen fur diese Studie entwickelt.

2.1 Zentrale Begriffe

Zum Verstandnis der folgenden Ausfuhrungen ist es unerlasslich, zunachst die folgenden Begriffe zu erlautern.

Zum Begriff Ermudung ist zunachst eine Unterscheidung in lokale und zentrale Ermudung zu treffen. Erstere bezieht sich auf einzelne Muskelgruppen. Zentrale Ermudung hingegen ist eine durch verschiedenartige Beanspruchungen oder Situationen ausgeloste Leistungs- und Funktionsminderung des Organismus und fuhrt zu einem diffusen nicht genau zu lokalisierenden Ermudungsgefuhl (Rothig, Becker, Carl und Kayser 1987, S.207). In anderen Werken werden desweiteren eine nervale, eine globale oder eine psychische Ermudung teilweise synonym mit der zentralen Ermudung und groBtenteils ahnlichen Symptomen genannt (vgl. Schnabel und ThieB 1993; Rothig, Becker, Carl, Kayser und Prohl 1992). Bove, Faelli, Tacchino, Lofrano, Cogo und Ruggeri (2007, S. 276) konstatieren, dass es sich bei einer Ermudung in Folge physischer Aktivitat immer um eine Kombination aus zentraler und lokaler Ermudung handelt. Als MaB der Ermudung werden in dieser Studie vor allem die Blutlaktatkonzentration, aber auch die Herzfrequenz und der RPE-Wert nach der Borg-Skala (siehe Anhang 1) herangezogen. Eine umfassende Ubersicht der wichtigsten Studien und Erkenntnisse zu diesem Thema bieten Rozzi, Yuktanandana, Pincivero und Lephart (2000).

Neben kognitiven, koordinativen oder sonstigen Leistungen ist fur diese Arbeit nur die physikalische Leistung von Belang. Sie versteht sich nach Schnabel und ThieB (1993, S. 530) als der „Differentialquotient der Arbeit nach der Zeit (P=dA/dt)“ und kann als das Produkt von Kraft mal Geschwindigkeit gemessen werden. Die MaBeinheit der Leistung ist Watt. Zecks besserer Objektivierbarkeit bei sportlichen Aktivitaten ist es wichtig, darauf zu achten, dass eine Leistung moglichst unter standardisierten Ausfuhrungsbedingungen und unter standardisiertem Handlungsablauf erbracht wird (Schnabel und ThieB 1993, S. 531).

Die Belastung soll hier im sportwissenschaftlichen Zusammenhang als „Art und GroBe der Belastungsanforderung, die durch BelastungskenngroBen objektiviert und eingeschatzt werden kann" (Schnabel und ThieB 1993, S. 124), verstanden werden. In Bezug auf eine Belastung auf einem Radergometer ist neben der Dauer vor allem die Leistung die wichtigste BelastungskenngroBe.

Die Definition der Beanspruchung, nach welcher dieser Begriff in dieser Arbeit verwendet werden soll, stammt von Rothig et al., (1992, S. 60):

„Als Beanspruchung wird die unmittelbare und individuelle Auswirkung einer von auBen auf den Menschen zukommenden Belastung verstanden. Die Art der Beanspruchung eines Menschen auf eine bestimmte Belastung hangt von seinen individuellen Voraussetzungen und von seinem aktuellen Zustand ab.“

Es ist also ein direkter Zusammenhang zwischen der Beanspruchung, der Belastung und der Leistung gegeben. Kurz gesagt kann eine Beanspruchung, welche in den Ausdauertests dieser Studie in den Niveaustufen moderat, schwer, sehr schwer und maximal provoziert werden soll, als die individuelle Reaktion eines Organismus auf eine gegebene, objektive und messbare Belastung in Form einer zu erbringenden Leistung uber eine bestimmte Zeit verstanden werden.

Wer den Versuch einer Abgrenzung des Begriffes Intensitat unternimmt, stoBt in der Literatur auf keine auch nur annahernd einheitliche Verwendung dieses Begriffes. In dieser Arbeit soll mit der Intensitat der „Belastungsfaktor“ gemeint sein, „der die Hohe der Belastungsanforderung in der Zeiteinheit charakterisiert“ (Schnabel und ThieB 1993, S. 133). Andere Definitionen finden sich bei Rothig et al. (1992) auf Seite 524, bei Rost & Rost (1998) auf den Seiten 85 und 151f. oder bei Rothig et al. 1987 auf den Seiten 687f.

In Anlehnung an Riemann und Guskiewicz (2000) soll der Begriff des Gleichgewichts den aktiven Prozess meinen, durch welchen der Korperschwerpunkt uber der Unterstutzungsflache gehalten wird. Equillibrium hingegen bezeichnet den ausbalancierten Zustand aller Krafte und sonstiger BewegungsgroBen, die auf den Korperschwerpunkt Einfluss haben (S. 37).

2.2 Energiebereitstellung, Laktat und Leistungsdiagnostik

Im vorliegenden Abschnitt soll geklart werden, warum die Analyse der Blutlaktatkonzentration (blc) ein probates Mittel zur Belastungssteuerung ist. Dafur werden einerseits Grundlagen der Energiebereitstellung sowie auch die wichtigsten Schwellenkonzepte und deren sportpraktische Verwendung aufgezeigt.

2.2.1 Grundlagen der Energiebereitstellung

Muskelarbeit erfordert die standige Umwandlung chemischer Energie in mechanische Arbeit, wobei die ununterbrochene Energiezufuhr durch den Energiespeicher im Organismus und durch die Nahrungsaufnahme gesichert wird. Der menschliche Korper verfugt uber Energievorrate in Form von Adenosintriphosphat (ATP), Kreatinphosphat (KrP) Glykogen und Triglyceriden (Engelhardt 1994, S. 54), die jedoch erst in ATP umgewandelt werden mussen, um ihre Energie nutzbar zu machen, denn ATP ist „die Wahrung des Organismus zum Begleichen jeglicher energetischer Anforderung.

Alle anderen energieliefernden Prozesse wie die Abspaltung von Phosphatresten anderer Phosphagene wie etwa ADP oder KrP konnen nicht direkt fur die energetische Absicherung von Leistungen der Zelle genutzt werden“ (Badtke 1999, S. 48.).

Fur eine Kontraktion der Muskulatur ist weiterhin die Spaltung von ATP durch Myosin- ATPase notig (Maibaurl 2010, S. 600). Da der Vorrat an ATP nur fur wenige Kontraktionen reicht, muss eine permanente Regeneration von ATP bei Muskelarbeit gewahrleistet werden. Die Stoffwechselwege, auf denen die ATP-Bildung geschehen kann, werden nach ihrer Verfugbarkeit von Sauerstoff in aerob und anaerob eingeteilt. Eine weitere Unterscheidung wird hinsichtlich ihrer Bildung von Laktat in laktazid und alaktazid vorgenommen. Die wichtigsten Stoffwechselwege werden nachstehend nach Maibaurl (2010, S. 602) aufgefuhrt:

- Anaerobe Bildung von ATP aus KrP und ADP mit Hilfe von Kreatinphosphokinase.
- Anaerobe Bildung von ATP aus 2 Molekulen ADP mit dem Enzym Adenylat- Kinase.
- Aerobe Glykolyse aus Glukose oder Glykogen.
- Aerobe Fettverbrennung.
- Anaerobe Glykolyse.

Alle Stoffwechselprozesse laufen gleichzeitig an, ubernehmen aber je nach Zeitpunkt und Intensitat einer Belastung unterschiedlich hohe Anteile an der Energiebereitstellung (siehe Abbildung 1). Da jedoch die anaerobe Glykolyse der einzige Prozess ist, bei dem als Endprodukt Laktat anfallt, soll dieser Vorgang nun genauer beschrieben werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Prozentuale Anteile des alactacide, lactaciden und aeroben Energiestoffwechsels bei erschopfenden Belastungen zwischen 10 s und 4 min (Marees de 2003, S.370).

Glykolyse bezeichnet den schrittweisen Abbau von Glukose, einem Monosaccharid, welches wiederum den Baustein jedes Kohlenhydrates bildet. Glukose liegt im Korper in seiner Speicherform, dem Glykogen vor und wird in Leber und Muskeln eingelagert. Ein 80 kg schwerer Mann verfugt uber ~100 g Glykogen in der Leber und abhangig vom Trainingszustand uber ~400 g Glykogen in der Muskulatur (Maibaurl 2010, S. 600). Aufgrund des hohen Anteils an potentieller Energie, der ihr durch seinen chemischen Aufbau zueigen ist, stellt Glukose einen wichtigen Energielieferanten dar. Durch Abbau uber enzymatische Vorgange in den Zellen eines Korpers kann diese Energie freigesetzt werden (Eckert, Randall, Burggren und French 2002, S. 89ff.). Die aerobe als auch die anaerobe Glykolyse findet in der Muskelzelle statt. Erstere unter Nutzung von Sauerstoff in den Mitochondrien, letztere im Zellplasma der Muskelzelle. Der erste Schritt beider Prozesse ist derselbe: 1 mol Glukose wird zu 2 mol Brenztraubensaure umgewandelt, welche ihrerseits Pyruvat enthalt. Ist nicht genugend Sauerstoff vorhanden, um den Weg der aeroben Glykolyse zu beschreiten, wird das Pyruvat mittels des Co-Enzyms Nikotinamidadenindinukleotid (NAD), welches ein Wasserstoffatom bindet, in Milchsaure uberfuhrt, deren Bestandteil Laktat ist (Hollmann und Hettinger 1990, S. 59ff.). Im Vergleich zu anderen energieliefernden Prozessen ist die Ausbeute uber die anaerobe Glykolyse sehr gering. Es werden pro Mol Glukose lediglich zwei Mol ATP generiert, jedoch lauft dieser Prozess in relativ hoher Geschwindigkeit ab, so dass hieruber vor allem zu Beginn einer Belastung die notige Energie bereitgestellt werden kann (Maibaurl 2010, S. 603).

Die Anhaufung von Laktat bei hohen Intensitaten sportlicher Belastung bewirkt einen Abfall des PH-Wertes und damit eine Gewebsazidose (Maibaurl 2010, S. 603). Infolge gelangt das Laktat in die Blutbahn, woruber es im Korper verteilt wird. In bei der Belastung nicht oder nur geringfugig beanspruchter Muskulatur sowie im Myokard des Herzens, da aus diesem selbst bei intensiver Tatigkeit kein Laktat ins Blut entlassen wird (Hollmann und Hettinger 1990, S. 66), kann Laktat jedoch auch wieder abgebaut und sogar zur Gewinnung von neuer Energie genutzt werden, indem es beispielsweise in der Leber erneut in Glykogen umgewandelt wird (Maibaurl 2010, S. 604f.). Daruber hinaus kann Laktat auch uber chemische Prozesse in der Niere abgebaut werden oder uber den SchweiB ausgeschieden werden (Hollmann und Hettinger 1990, S. 66).

Ob ein Leistungsruckgang oder sogar der Abbruch einer sportlichen Tatigkeit durch zu hohe Intensitaten auf die gesteigerte Laktatazidose oder auf das Laktatmolekul selbst zuruckzufuhren ist, wurde bislang nicht hinreichend geklart. Fest steht allerdings, dass fur gute Ausdauerleistungen vor allem eine gute aerobe Kapazitat vonnoten ist, ebenso wie die Nutzung derselben bis an die Grenze der Ubersauerung durch Laktat.

2.2.2 Laktatleistungsdiagnostik

Im Ruckblick auf diese Ausfuhrungen lasst sich zusammenfassend sagen, dass die Zufuhr von Sauerstoff begrenzt ist und dass daher zusatzliche Energie uber die anaerobe Glykolyse generiert werden muss, wodurch es zum einen zur Laktatazidose und zum anderen zur Laktatakkumulation kommt. Zur Weiterverarbeitung des Laktats gelangt es ins Blut, wo es fur die sportpraktische Nutzung messbar wird. Im folgenden Abschnitt soll erlautert werden, wie die Ruckschlusse der blc auf die Leistungsfahigkeit eines Sportlers in der Leistungsdiagnostik verwendet werden konnen.

Werden bei einem Leistungstest, meist handelt es sich um Tests mit stufenformiger Belastungssteigerung, regelma&ige Blutentnahmen zur Bestimmung der blc gemacht, lasst sich aus den gewonnenen Daten, auch unter Zuhilfenahme von spezieller Software, eine Laktatleistungskurve (LLK) erstellen. Aus einer solchen LLK kann dann die aerobe sowie die aerob-anaerobe Leistungsfahigkeit bemessen werden. Dass die MessgroBe der blc eine einfach zu messende GroBe in Labor- und Feldtests ist (Marees de 2003, S. 474), hat seine Erforschung und heutige Verwendung in groBem MaBe vorangetrieben.

Die Laktatkonzentration sei das sicherste Kriterium fur das Uberschreiten der aktuellen aeroben Stoffwechselschwelle (Engelhardt 1994, S. 108). Wird im Korper mehr Laktat gebildet als eliminiert werden kann, steigt die blc soweit, dass es zum Leistungsabbruch kommt (Beneke 2010, S. 300). Ist der Korper imstande das anfallende Laktat zu eliminieren, so stellt sich ein sogenanntes Steady-State ein. Als maximales Laktat-Steady-State (LSS) wird der Zustand bezeichnet, in welchem Laktatbildung und Laktatelimination gerade noch im Gleichgewicht stehen (Marees de 2003, S. 463). Aus dem Jahr 1976 stammt der Begriff der aerob-anaeroben-Schwelle. Mader, Liesen, Heck, Philippi, Rost, Schurch und Hollmann (1976) beschrieben damit den Bereich des Ubergangs zwischen der rein aeroben zur partiell anaeroben und laktaziden Energiebreitstellung. Desweiteren definierten sie genaue Laktatkonzentrationen, die, bei Ende einer Belastung gemessen, auf den Grad der Ausbelastung hinweisen sollen (S. 109). In der Folge entstanden weitere Schwellenkonzepte. Vor allem die aus dem Jahr 1978 stammende aerobe und die anaerobe Schwelle, welche Kindermann bei 2mmol bzw. 4mmol Laktat pro Liter Blut festlegte, sowie die ebenfalls unter Mitarbeit von Kindermann entwickelte individuelle anaerobe Schwelle aus dem Jahr 1981 sind hierbei zu nennen. Bei letzterer ist der Laktatwert in Abgrenzung zu Mader variabel. Mit einer uberarbeiteten individuellen anaeroben Schwelle lieferten Simon (1983) und Dickhuth (1991) weitere Schwellenkonzepte (vgl. Marees de 2003, S. 462ff.). Allerdings sind die gemessenen Laktatwerte stark abhangig von vielen Faktoren, wodurch keinem der Konzepte eine allgemeine Gultigkeit zugesprochen werden kann. Zu den verschiedenen Einflussfaktoren siehe vor allem Marees de 2003 (S. 469ff.).

Die folgende Abbildung zeigt das Schwellenkonzept von Mader in graphischer Darstellung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Bestimmungsmethode der aerob-anaeroben-Schwelle bei einem Blutlaktatwert von 4mmol/l (Nach Mader et al. 1976).

Ein guter Blick uber die wichtigsten Schwellen findet sich mit der folgenden schematischen Darstellung bei Faude, Kindermann und Meyer (2009). Eine ausfuhrliche kritische Betrachtung und Bewertung der einschlagigen Schwellenkonzepte bietet Beneke (2010).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Verhalten der BLK bei ansteigender Leistung im Stufentest. Die gestrichelten Linien geben die wichtigsten Schwellen auf der Laktatleistungskurve (LLK) an (Faude et al. 2009).

2.3 Anatomische und physiologische Grundlagen zum Gleichgewicht

Um die Komplexitat des menschlichen Gleichgewichts zu verstehen, mussen im vorliegenden Unterkapitel zunachst die anatomischen Grundlagen des Vestibularapparates sowie die Funktionsweisen des visuellen und propriozeptiven Systems und deren Beitrag fur das Gleichgewicht erlautert werden. Da es in Bezug auf das Gleichgewicht erfahrungsgemaB leicht zu Missverstandnissen kommen kann, ist es wichtig die folgende Dreiteilung des globalen Gleichgewichtssystems zu beachten. Es sind drei Systeme, die jeweils wichtige Informationen zum Lage- und Bewegungssinn liefern: Der Vestibularapparat, haufig auch Gleichgewichtsorgan genannt, das visuelle und das propriozeptive System. Zenner (2007) deutet an, dass der Vestibularapparat das wichtigste Organ fur das Gleichgewichtssystem sei, wenn er sagt, dass durch Informationen des visuellen und des propriozeptiven Systems lediglich eine Erganzung stattfindet (S. 368). Wird vom Gleichgewichtssystem gesprochen, sind jedoch immer alle drei Teilsysteme gemeint.

2.3.1 Der Vestibularapparat

Das Ohr gliedert sich in das auBere Ohr, das Mittelohr und das Innenohr. In letzterem, abgetrennt von der Paukenhohle des Mittelohres durch eine knocherne Wand, findet sich der Vestibularapparat (auch Vestibularorgan) (siehe Abbildung 4). Zusammen mit dem Vorhof und der Cochlea (Schnecke) liegt er im Felsenbein des Schadelknochens. In einem knochrigen Hohlraumsystem befindet sich ein dort aufgehangtes, hautiges und mit einer Flussigkeit (Endolymphe) angefulltes System. Dieses stellt den eigentlichen Sinnesapparat dar (Klinke 2010a, S. 697). Dieses wiederum besteht aus zwei Makulaorganen und drei Bogengangen, welche jeweils in einer anderen Raumebene annahernd senkrecht zueinander stehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Schema der Bogengangsorgane und der Makulaorgane des Innenohres (Zenner 2006, S. 313). Der Vorhof ist nicht abgebildet.

„Diese funf Organe sind hochspezialisierte Sinnesorgane um Dreh-, (Winkel-) und Translationsbeschleunigungen zu messen" (Zenner 2006, S. 312). Die genannten Funktionen des Vestibularapparates selbst laufen allerdings ohne primare Beteiligung des Bewusstseins ab und werden von einer gesunden Person daher nicht bemerkt. (Zenner 2007, S. 368). Die Bogengange wie auch die Makulaorgane haben in bestimmten Bereichen ein Sinnesepithel mit vielen Haar- und Stutzzellen. Die Haarzellen verfugen uber 60 - 100 Stereovilli (auch Sinnesharchen oder Stereozilien) sowie uber ein langes Kinozilium (Klinke 2010a, S. 697). Sowohl die Stereovilli als auch das Kinozilium ragen in eine gallertige, kissenartige Masse hinein. In den Bogengangen hei&t diese Masse Cupula, in den Makulaorganen hingegen Otolithenmembran. Das Kinozilium ist fur die Sensoreigenschaft der Haarzelle unerheblich, die Stereovilli ubernehmen die eigentliche Sensorik. Durch eine Auslenkung der Haarzellen (siehe Abbildung 5) andert sich das Membranpotential, wodurch der mechanische Reiz in ein elektrisches Signal umgesetzt wird. Die Haarzellen verfugen jedoch uber keine eigene Nervenfortsatze und werden daher zu den sekundaren Sinneszellen gezahlt. Uber Teile der Nervenbahnen des siebten Hirnnerves (N. vestibulocochlearis), namlich uber die afferenten Nervenfasern des N. vestibularis, wird der Erregungszustand der Haarzellen uber die vestibularen Kerne (siehe Abbildung 7) an das Gehirn weitergegeben (Zenner 2007, S. 368ff.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Ein Bogengang mit Cupula und Haarzellen im Schema. Bei Kopfdrehung (Pfeil) wird auch der Bogengang gedreht. Die Endolymphe mit der Cupula bleibt jedoch zuruck.

Dadurch werden die Stereozilien ausgelenkt (Zenner 2007, 372).

Zusammenfassend lasst sich sagen, dass durch Translations- und Gravitationsbeschleunigungen, wie etwa beim Beschleunigen oder Bremsen eines Autos, in den Makulaorganen und durch Drehbeschleunigungen in den Bogengangen mittels Verschiebung der entsprechenden Membran (Otolithenmembran oder Cupula) eine Auslenkung der Haarzellen geschieht, was einen Prozess in Gang setzt, an dessen Ende die bewusste Wahrnehmung uber eine Richtungsanderung des Kopfes steht. Da diese Organe hochempfindlich sind, ist der Mensch in der Lage, selbst eine Drehbewegung von nur 0,005°/s wahrzunehmen (Zenner 2006, 318).

Die eintreffenden Informationen fuhren neben der bewussten Wahrnehmung auch zu vestibulospinalen Reflexen, die wiederum entscheidend fur den aufrechten Gang sind, da sie „die Rumpf- und Extremitatenmuskulatur in einer Weise steuern, dass der Korper bei verschiedenen Beschleunigungen nicht sturzt" (Zenner 2006, S. 320).

2.3.2 Das visuelle System

Da das vestibulare Labyrinth jedoch reflektorisch mit den Augenmuskeln verbunden ist, konnen Auslenkungen der Haarzellen auch vestibulookulare Reflexe auslosen. Diese geben dem Auge die Fahigkeit, bei einer Drehbewegung des Kopfes, beispielsweise nach links, eine Ausgleichsbewegung nach rechts zu vollziehen, wodurch eine Verschiebung des Blickfeldes bei Drehung des Kopfes verhindert wird (Zenner 2006, S. 320). Abbildung 6 veranschaulicht diesen Kompensationsvorgang.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6: Auslenkung einer Cupula im Schema mit Auslosung der vestibulookularen Reflexe bei Kopfdrehung (Klinke 2010a, S. 699).

Der oben beschriebene Reflex ist ein statischer vestibularer Reflex. Daruber hinaus gibt es auch statokinetische Reflexe wie etwa den vestibularen Nystagmus (Zenner 2007, S. 374). Hierbei wird bei einer Kopfdrehung, welche die naturliche Grenze der kompensatorischen Augenbewegung uberschreitet, das Gesichtsfeld kurz vor Erreichen dieser Grenze mit einer ruckartigen Bewegung des Augapfels in Richtung der Kopfdrehung verschoben. Hier endet der Nystagmus und ein neues Gesichtsfeld ist gefunden. Wieder wird versucht dieses zu erhalten, geht die Kopfdrehung jedoch weiter, erfolgt der nachste Nystagmus bis die Kopfdrehung beendet ist. Dieser Reflex wird auch mit geschlossenen Augen ausgelost. Mit geoffneten Augen vollzieht sich mit dem optokinetischen Nystagmus ein weiterer statokinetischer Reflex uber das Auge (Zenner 2006, S. 323).

Ausgefuhrt werden diese Reflexe, wie auch alle sonstigen Bewegungen des Auges, durch die sechs Sehmuskeln, den musculi recti superiores, inferiores, laterales, mediales und den musculi obliqui superiores und inferiores. Fur die Innervation dieser Muskeln sind die nervi oculomotorius, trochlearis und aducens zustandig (Eysel 2007, S. 387).

Nach Gaerlan, Alpert, Cross, Louis und Kowalski (2012) unterteilt sich das zentrale visuelle System, welches eines der drei Komponenten des gesamten visuellen Systems darstellt, in die Wahrnehmung von bewegten Objekten und das Wiedererkennen von Objekten. Die zweite Komponente, die Umgebungskomponente, ist zustandig fur die periphere Wahrnehmung von Umgebungsbewegungen. Gaerlan et al. (2012) rechnen ihr auch eine Hauptfunktion in der Wahrnehmung von Eigenbewegungen sowie dem Halten des Gleichgewichtes zu. Eine dritte Komponente, der retinal slip, dient zur Ruckmeldung uber kompensatorische Schwankungen (S. 2). Weitere Studien von Interesse finden bei Gaerlan et al. (2012) Erwahnung: So haben Cohen, Heaton, Congdon und Jenkins (1996) gezeigt, dass sich junge Menschen starker auf die Information des visuellen Systems verlassen, um das Gleichgewicht zu halten als altere. Liaw, Chen, Pei, Leong und Lau (2008) konnten diese Ergebnisse bestatigen. Wenn man bedenkt, dass ein sicheres Stehen oder auch Gehen selbst im Dunkel oder mit geschlossenen Augen moglich ist, darf also nicht geschlussfolgert werden, dass das visuelle System fur das Gleichgewicht den einzig wichtigen Beitrag leistet. Vor allem auf das periphere Sehen und dessen Einfluss fur den aufrechten Stand wird hingewiesen (Gaerlan 2012, S. 2).

2.3.3 Das propriozeptive und somatosensorische System

Als somatosensorisches System werden die Mechanismen der taktilen Sinne verstanden, also die Wahrnehmung von Beruhrung, Druck, Vibration und Kitzel. Die Wahrnehmung von Position, Geschwindigkeit und Muskelspannung hingegen ist als propriozeptives System zu verstehen (Riemann und Guskiewicz 2000, S. 39). Letzteres wird oft auch als Tiefensensibilitat bezeichnet.

Jedes somatosensorische Organ wird auf eigene Weise gereizt. An der Oberflache finden sich Haarfollikel, Meissner-Korper und Merkel-Rezeptoren, tiefer in der Haut auch Ruffini- Korper und Pacini-Korper. Zusammen kann die Menge dieser Mechanorezeptoren etwa in der FuBsohle die Lage, Kraft, Geschwindigkeit und Beschleunigung bei dynamischen Aktivitaten ausmachen.

[...]

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Details

Titel
Der Zusammenhang von körperlicher Belastung und Gleichgewichtssinn. Der Einfluss definierter Radergometrie auf die Körperschwankung
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
1,33 (13 Punkte)
Autor
Jahr
2012
Seiten
64
Katalognummer
V282936
ISBN (eBook)
9783668159631
ISBN (Buch)
9783668159648
Dateigröße
948 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gleichgewicht, Vestibularapparat, Belastungsniveau, Radergometrie
Arbeit zitieren
Nico Sauerwein (Autor:in), 2012, Der Zusammenhang von körperlicher Belastung und Gleichgewichtssinn. Der Einfluss definierter Radergometrie auf die Körperschwankung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282936

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