Gefühle und Magie

Das Konzept der „Emotionalen Analyse“ und seine Anwendung in der Weltanschauungsarbeit am Beispiel verschiedener Formen der Magie des 20./21. Jahrhunderts


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2014

38 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung
1.1 Der Mensch als fühlendes Wesen
1.2 Sieben Hochgefühle
1.3 Natürliche und kaufbare Hochgefühle
1.4 Ist der Mensch manipulierbar?
1.5 Der Verlauf der Hochgefühle
1.6 Hochgefühle und Todsünden

2. Die sieben Hochgefühle im Einzelnen
2.1 Hochmut und Glory
2.2 Völlerei und Joy
2.3 Zorn und Power
2.4 Neid und Bravour
2.5 Gier und Desire
2.6 Wollust und Intensity
2.7 Trägheit und Chill

3. Emotionale Analyse von Varianten der Magie des 20./21. Jahrhunderts
3.1 Glory im Zauberkreis
3.2 Joy beim Sommerfest
3.3 Power mit dem Zauberstab
3.4 Bravour durch Glamour
3.5 Desire und Magie
3.6 Intensity mit Symbolen
3.7 Chill beim Wahrsagen
3.8 Fazit

4. Schluss

Gefühle und Magie

Das Konzept der „Emotionalen Analyse“ und seine Anwendung in der Weltanschauungsarbeit am Beispiel verschiedener Formen der Magie des 20./21. Jahrhunderts

von Haringke Fugmann

Zusammenfassung

Christian Mikunda, promovierter Theater- und Medienwissenschaftler und „strategischer Dramaturg“, hat 2012 ein Buch mit dem Titel „Warum wir uns Gefühle kaufen“ vorgelegt, in dem er Managern, Verkäufern, Entwicklern usw. erklärt, wie sie positive menschliche Hochgefühle zur besseren Vermarktung von Produkten und zur Entwicklung von Shops, Malls, Hotels, Museen usw. einsetzen können.

In Aufnahme und Erweiterung dieses Ansatzes wird in diesem Aufsatz gezeigt, dass und wie die Kenntnis über die Wirkungsmechanismen menschlicher Hochgefühle im Sinne einer emotionalen Analyse eingesetzt werden können, um den Erfolg verschiedener Formen der Magie des 20./21. Jahrhunderts nachvollziehbar zu machen.

Nach der Einleitung im ersten Kapitel werden im zweiten Kapitel die sieben Hochgefühle, ihre psychologischen Faktoren und ihr dramaturgischer Einsatz, wie sie von Mikunda beschrieben werden, vorgestellt. Kurze Beispiele aus dem weiten Feld der Religionen und Weltanschauungen verdeutlichen jeweils die Sachverhalte. Im dritten Kapitel wird das Konzept der emotionalen Analyse herangezogen, um den Erfolg von Formen der Magie des 20./21. Jahrhunderts plausibel zu machen. Ein viertes Kapitel beschließt den Aufsatz.

Ganz bewusst wird in diesem Aufsatz auf theologische Einschätzungen der dargestellten Beispiele verzichtet, um die Aufmerksamkeit gezielt auf den Einsatz des Instrumentariums der emotionalen Analyse zu lenken.

1. Einführung

Christian Mikunda, promovierter Theater- und Medienwissenschaftler, hat zwölf Jahre lang als Fernsehjournalist gearbeitet, hat als Gastdozent in Tübingen, Wien, München, Salzburg, Klagenfurt und Harvard gelehrt und gilt heute als Fachmann der „Experience Economy“, der internationale Firmen und Marken bei der Entwicklung von Shops, Shopping Malls, Hotels usw. berät. (257f.)

Mikunda versteht sich selbst als „strategischer Dramaturg“. Er schreibt dazu: „ Die strategische Dramaturgie beruht auf Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und soll dazu beitragen, Erlebnisse zu optimieren.“ Es geht ihm dabei um Erlebnisse, „die volle Museen garantieren, das Kaufen fördern, politisch intervenieren, das eigene Heim gemütlich machen oder Junkies von Drogen wegholen.“ Kein Wunder, das er zuweilen auch fälschlich als „Konsum-Dramaturg“ beschrieben wird. (16)

1.1 Der Mensch als fühlendes Wesen

Mikundas Kernthese besagt, dass wir Menschen

„nicht nur 'Homo sapiens' – der weise, denkende Mensch [sind] – und auch mehr als nur 'Homo ludens' – der spielende Mensch –, wir sind auch 'Homo aestheticus' – der Mensch verrückt nach Schönheit, nach dem intensiven Erlebnis, nach dem Hochgefühl, ausgelöst durch die gestaltete Welt. Der Homo aestheticus steht dem ästhetischen Reiz nicht passiv gegenüber, er verstärkt ihn durch sein Verhalten. Dieses Verstärkerverhalten ist das Indiz, dass wir das Erlebnis wirklich brauchen. Wir nehmen es uns aktiv, fühlen uns ein, damit es noch stärker wird, bauen die Reizreaktion zum Hochgefühl aus.“ (252)

1.2 Sieben Hochgefühle

Ausgehend von diesen Überlegungen stellt Mikunda fest, dass es sieben Hochgefühle sind, die uns Menschen in besonderer Weise bewegen und nach denen wir aktiv suchen. Da Mikunda international tätig ist, verwendet er für diese sieben Gefühle englische Begriffe. Es geht um die Gefühle „Glory“ (für das Erhabene), „Joy“ (für den Freudentaumel), „Power“ (für die Kraftstärke), „Bravour“ (für die Raffinesse), „Desire“ (für die Begierde), „Intensity“ (für die Verzückung) und „Chill“ (für das Entspannende). Nach diesen Hochgefühlen – so Mikunda – lechzen wir Menschen seit jeher, und die „Inszenierungen [dieser Hochgefühle, Anm. d. Verf.] in Wirtschaft, Kultur und Lifestyle ermöglichen heute starke emotionale Erschütterungen“. (14)

Wenn wir diese Gefühle verstehen, begreifen wir z.B., „was hinter der Lust an Luxusfahrzeugen steht“, „warum manche Stadtmenschen allradgetriebene Geländewagen lieben“ oder „warum viele Fahrer die technischen Spielereien ihrer Autos cool finden.“ (15)

Und wir könnten an dieser Stelle ergänzen: Wenn wir verstanden haben, wie diese Gefühle funktionieren, können wir die Faszination, die von dem Instrument Orgel ausgeht, besser benennen; wir begreifen dann, warum Kirchturmführungen so beliebt sind, und können nachempfinden, weshalb die Kanu-Fahrt während der Konfi-Freizeit noch Jahrzehnte lang in Erinnerung bleibt, selbst wenn die einst gelernten Einsetzungsworte längst verblasst sind.

1.3 Natürliche und kaufbare Hochgefühle

Natürlich weiß Mikunda von den sozusagen „natürlichen“ Hochgefühlen:

„Von Zeit zu Zeit erfahren wir auch Hochgefühle, die uns das Leben einfach so schenkt. Sie haben entweder kleine Ursachen, wie ein schöner Regenbogen, oder große, wenn man sein neugeborenes Kind in den Armen hält. Aber diese Hochgefühle sind wertvolle Geschenke, die nicht so ohne weiteres vorhersehbar sind. Wirtschaft, Kultur und Lifestyle machen das Unvorhergesehene kalkulierbar. Sie sind die Apotheke, die in uns körpereigene Drogen auslöst, die wir als die sieben Hochgefühle erleben“. (15)

Dabei

„will man [nicht immer] jedes Hochgefühl, das verfügbar ist. Man nimmt sich die Emotion, die man braucht. […] Die kaufbaren Hochgefühle sind wie Medikamente ohne Verschreibungspflicht, die uns den Zugang zu jenem Segment an Lebenslust geben, das wir gerade nötig haben.“ (15)

1.4 Ist der Mensch manipulierbar?

Dabei befasst sich Mikunda auch mit der ethischen Dimension seiner Beobachtung. Er fragt: „Ist das so einfach? Funktioniert das immer? Sind wir wirklich so verführbar, manipulierbar, vorhersagbar?“ (43) Und seine Antwort lautet:

„Nein, sind wir nicht. Das Hochgefühl stellt sich nur dann ein, wenn wir es auch fühlen wollen. Wir müssen sogar mitarbeiten, damit es deutlich spürbar wird. Glücksforscher […] fordern uns auf, immer wieder innezuhalten, um uns unser Glück vor Augen zu führen. [… Man] nennt solche Handlungen Glücksverstärker. Die Glücksverstärker der Hochgefühle sind Verhaltensweisen, die den ersten Funken des aufkeimenden Gefühls erst als Hochgefühl zum Ausbruch bringen.“ (43)

1.5 Der Verlauf der Hochgefühle

Hinter diesen Überlegungen steht die Beobachtung, dass jedes dieser Hochgefühle in drei charakteristischen Phasen verläuft:

Zunächst (I.) werden sie durch „ Auslösereize “ ausgelöst: „Alles, was zum Beispiel übergroß aufragt oder sich sonst irgendwie nach Tempel oder Palast anfühlt, setzt erhabene Glory -Gefühle in Bewegung.“ Dabei darf aber nicht nur das „Lustprinzip, wie Sigmund Freud es beschrieb“, angesprochen werden, sondern auch das „Sinnprinzip, wie es Viktor Frankl formulierte“ , muss berücksichtigt sein. (41)

Der zweite Schritt (II.) ist das „Einfühlen“ (42): Seit der Entdeckung der sog. Spiegelneuronen wissen wir, warum wir zur Empathie fähig sind:

„Wir imitieren innerlich die anderen, um deren Gefühle zu spüren. Interessant für die Theorie der Hochgefühle ist die verblüffende Tatsache, dass wir uns auch in Objekte, die Architektur, die Umwelt einfühlen können. Ein Power-Auto, wie der geländegängige Touareg, wird dann auf einer Messe vielleicht mit Morast auf der Karosserie präsentiert, den er zuvor angeblich kraftvoll durchgepflügt hat. Unsere Spiegelneuronen registrieren die Urkraft als kausale Ursache der Verschmutzung und lösen das Power-Gefühl aus.“ (42)

Damit sich das Hochgefühl dann aber in voller Stärke in uns entfalten kann, ist unsere aktive Mitarbeit gefragt. Gemeint sind die schon erwähnten Glücksverstärker, d.h. Gesten und Körperaktivitäten, die das Hochgefühl erst richtig erlebbar machen. Ein bekannter Glücksverstärker für das Power-Gefühl ist etwa „die triumphierende Becker-Faust “, Glory-Gefühle können durch erhobene Arme verstärkt werden. „ Glücksverstärker funktionieren wie ein Ventil, das geöffnet wird und ein Gefühl zulässt.“ (43f.)

Dabei ist das „Gemeinschaftserlebnis […] ein wesentlicher Faktor. Wir sind eben nicht in einer Welt der Reiz-Reaktions-Muster gefangen, sondern sind Bestandteil einer allgemeinen 'Kultur der Wirkungssteigerung', die uns ständig umgibt.“ (44)

Schließlich folgt (III.) als dritte Phase des Verlaufs eines Hochgefühls das „Nachwirken“ (43). Dieses Nachwirken ist das Resultat der körpereigenen Neurotransmitter, die durch Hochgefühle in uns ausgelöst werden:

„Serotonin, das uns in Glory-Situationen ganz ruhig macht, oder Dopamin, das in Joy-Situationen den Freudentaumel auslöst. Adrenalin lässt uns Power spüren, Acetylcholin die Bravour usw. Wir durchleben die Hochgefühle so intensiv, weil sie in uns sind. Hochgefühle erzeugen sofortige Lebensintensität. Die langfristige Auswirkung ist Heilung im weitesten Sinn. “ (45)

An anderer Stelle formuliert Mikunda: „ Hochgefühle 'erfrischen' uns, und manchmal heilen sie sogar. “ (46)

1.6 Hochgefühle und Todsünden

Aus theologischer Sicht ist erwähnenswert, dass es sich nach Mikunda bei diesen sieben Hochgefühlen letztlich um nichts anderes handelt als um die ins Positive gewendeten Todsünden: Die sieben von Evagrius von Pontus im 4. Jahrhundert n. Chr. erstmals benannten Todsünden Hochmut, Völlerei, Zorn, Neid, Gier, Wollust und Trägheit sind für Mikunda

„niedere Gefühle, denn durch sie erlangen wir die emotionale Befriedigung auf Kosten anderer oder fügen uns selbst Schaden an Körper und Seele zu. Doch die Evolution hat einen Ausweg gefunden. Sie stellt den niederen Gefühlen – sexy, aber schädlich – einen Katalog hoher Gefühle entgegen, die genauso mitreißend und befriedigend sind, aber weniger zerstörerische Nebenwirkungen haben. Wer Hochgefühle in Wirtschaft, Kultur und Lifestyle einsetzt, muss daher wissen, wie sie in den Todsünden verwurzelt sind, muss die dunkle Seite der Medaille kennen, um die helle Seite zu verstehen.“ (16)

2. Die sieben Hochgefühle im Einzelnen

2.1 Hochmut und Glory

2.1.1 Beschreibung

Ein Sprichwort sagt: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ (16) Damit ist gemeint,

„dass man sich selber nicht allzu groß machen sollte, denn der Sturz nach der Entlarvung würde umso tiefer erfolgen. Tatsächlich basieren Hochmut und Stolz auf der Inszenierung von Höhe. Hochmut ist Selbstüberhöhung und braucht als deren sichtbaren Ausdruck das Übergroße, in den Himmel Ragende. Der biblische Turm zu Babel ist das mythische Urmodell einer solchen Inszenierung.“ (16f.)

Die Demütigung des Gegners zeigte sich in der Geschichte dementsprechend häufig am Umgang mit dessen Türmen:

„In Zeiten des Krieges schleiften die Sieger den Turm der Besiegten, kastrierten ihn sozusagen. Nicht anders gingen die Terroristen des 11. Septembers vor, als sie mit ihren Flugzeugen in die Twin Towers flogen, denn das Problem des Übergroßen besteht darin, dass nur der das Hohe als großartig empfindet, der sich mit ihm identifizieren kann.“ (17)

(Und damit wird auch verständlich, weshalb eine hoch aufragende Kirche – womöglich noch mit Kirchturm –, die etwa in eine Moschee umgewandelt werden soll, große Irritationen auslöst. Man denke an die Umwandlung der Hamburger Kapernaumkirche zur Jesus-Moschee.)

Daher schlussfolgert Mikunda:

Die übergroßen Zeichen sind nur dann akzeptabel, wenn sie nicht der Selbstverherrlichung dienen, sondern zur höheren Ehre (Gloria) eines anderen eingesetzt werden. So wird aus einem niederen Gefühl ein hohes Gefühl, das man beruhigt genießen kann. Die Glory-Inszenierung betrifft dann entweder Gott, den König und Fürsten, oder den Kunden, dem ein solches Königsgefühl auch zusteht. Das Gefühl der Erhabenheit stellt sich ein, weil das ursprüngliche, unendlich ruhig machende Machtgefühl von allen aggressiven Aspekten der Dominanz und des Imponiergehabes befreit ist, so dass nur das Beruhigende übrigbleibt. Aus Hochmut wird Glory.“ (17)

Dabei kann man nach Mikunda noch zwischen zwei verschiedenen Typen von Glory-Gefühlen unterscheiden, i.e. zwischen „Tempelgefühl“ und „Königsgefühl“: „Während Tempelgefühle meist durch tatsächliche Größe entstehen, ergeben sich Königsgefühle durch symbolische Hervorhebung.“ (54f.)

2.1.2 Psychologie des Glory-Gefühls

Auslösen

Ausgelöst werden Tempelgefühle durch „Höhe, Tiefe, Weite“ (55) im realen Sinne, etwa durch hohe Türme, tiefe Schluchten, weite Straßenboulevards; und was einen Menschen „hervorhebt, weckt das Königsgefühl“ (56), etwa die bevorzugte Behandlung in der V.I.P.-Lounge einer Fluggesellschaft.

Einfühlen

Sobald das Glory-Gefühl ausgelöst ist, kann es durch Verstärkergesten aufgenommen und aktiv verstärkt werden. Klassische Verstärkergesten für das Glory-Gefühl sind erhobene Arme (denn die „Geste der 'erhobenen Arme' macht innerlich ganz weit.“) und „ das Schreiten, das langsame, feierliche Gehen“, denn „ Schreiten dehnt den inneren Zeitrahmen, es bewirkt Entschleunigung und macht uns dadurch weit “. (57f.)

Nachwirken

Die Nachwirkung des Glory-Gefühls besteht – über die Ausschüttung des Hormos Serotonin – im Gefühl der sogenannten „Kraftruhe“: „ Serotonin ist jene körpereigene Droge, die uns auf eine kraftvolle Weise ganz ruhig macht. “ (59)

Umso spannender ist die Erkenntnis, dass „Selbstmörder und Amokläufer […] einen signifikant niedrigen Serotoninspiegel“ (59) aufweisen. Daher schlussfolgert Mikunda:

„Wer depressiv ist, sollte Schokolade essen, Kathedralen lieben, in Glory-Musicals gehen, ab und zu in einer gemieteten Limousine fahren oder, alternativ, die Sonnenaufgänge und den Blick von Bergstationen in den Alpen genießen.“ (59)

2.1.3 Dramaturgie des Glory-Gefühls

Neben natürlichen Auslösereizen wie dem Anblick der Iguazú-Wasserfälle (an der Grenze zwischen Brasilien und Argentinien) hat die menschliche Kultur im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von dramaturgischen Kniffen entwickelt, um Tempel- und Königsgefühle in Menschen auszulösen. (57)

Auslöse-Signale für Tempelgefühle

Das Tempeltor – besonders wenn es freigestellt, also nicht in Architektur eingebaut ist –

„imitiert durch Größe und Umrissform die 'erhobenen Arme', die zu den typischen Glory-Verstärkern gehören. Unsere Spiegelneuronen registrieren diese Signale, wir fühlen uns ein, Erhabenheit entsteht.“ (62)

Freigestellte Tore begegnen uns heute oft: Als Türdesign aus Marmor und Glas für Luxus-Shops, als Instrumente des Urban Design (man denke an die chinesischen Viertel vieler Großstädte, an deren Eingang oft ein Tor steht) oder als Eingangspforte einer Shoping-Mall. (63)

Ähnliche Funktion haben Tempelfassaden, die in uns Gefühle der Erhabenheit auslösen sollen: Wir kennen imposante Kathedralen, aber auch die Kundenzentren großer Firmen, riesige LED-Fassaden an Hochhäusern und Designhotels bedienen sich bei der Inszenierung des Effekts der Tempelfassade. (64f.)

Auch die Stele, die „schlanke Nadel, die in den Himmel sticht, Kontakt zwischen Himmel und Erde“ (65) herstellt, gehört zu den Auslöse-Signalen für Tempelgefühle. Der Obelisk etwa „lenkte den Blick nach oben […] Durch den Himmelsblick werden wir innerlich weit, wir verehren. Was wird verehrt? Die Botschaft der Stele, denn sie ist wie ein Rufzeichen, das eine prinzipielle Aussage trifft. Glory-Stelen rufen weit hinaus und generieren Interesse an etwas Prinzipiellem.“ (65f.)

Uns fallen dabei natürlich auch die Türme der Kirchen ein – oder die Minarette der Moscheen. Aber natürlich gibt es Stelen auch in Form von Lichtsäulen, Litfaßsäulen oder LED-Säulen. (67)

Ein weiteres Element in der Dramaturgie des Glory-Gefühls ist die Säulenhalle – im Prinzip jeder langgestreckte Raum, der „uns zugleich in zwei Richtungen“ spannt und damit den „verehrungsbereiten Körper“ weit macht. „Prozessionen durch die sakrale Achse zelebrieren dementsprechend das Schreiten als weiteren Verstärker“. Statt einer vollständigen Säulenhalle kann auch ein langgestreckter, symmetrischer Raum mit einem wesentlichen Element am Ende der Achse Tempelgefühle in uns auslösen. (67f.)

Schließlich ist als gestalterisches Element die Gloriole zu nennen, der Strahlenkranz, der „optisch die Aura einer Person oder eines Objektes“ umhüllt. Die Gloriole, zuweilen auch durch Scheinwerfer tatsächlich als Lichtkranz gestaltet, findet sich in der Modewelt ebenso wie im Design von Bühnen und Hotellobbys oder – in größerem Maßstab – in der Städtearchitektur. Sie dient dazu, „jedes Objekt noch präsenter erscheinen“ zu lassen. „Was angestrahlt wird, bekommt mehr visuelles Gewicht und wirkt zugleich wie auf ein Podest gehoben, ist im wahrsten Sinne des Wortes 'hochgeleuchtet'.“ (69f.)

Über Tempelgefühle äußert sich Mikunda abschließend:

„Wahrscheinlich gibt es in unserer Welt inzwischen mehr Glory-Inszenierungen in Shops, Brandlands oder Hotels als in Kirchen und Tempeln. […] Tempelgefühle sind daher heute vor allem ein säkularisiertes Phänomen.“ (71)

Wir „können die Tempelgefühle auch ohne [… Religion] erleben, berührt sein, Erhabenheit spüren.“ (71)

Auslöse-Signale für Königsgefühle

Königsgefühle werden in uns ausgelöst, wenn wir in besonderer Weise hervorgehoben werden.

„Auf psychologischer Ebene dienen dazu alle Maßnahmen, die uns veranlassen, würdevoll zu schreiten, huldvoll zu danken, mit einem Wort: auf die Belohnung der Bevorzugung zu reagieren. Das Königsgefühl ist daher das Grundgefühl der Hospitality, von Service und Gastfreundschaft jeder Art, der Lorbeerkranz, mit dem der Kunde gekrönt wird.“ (71)

Als gestalterisches Element, um Königsgefühle auszulösen, dient etwa die Apotheose (Vergötterung), etwa indem sich das Servicepersonal vor dem Kunden verbeugt oder ihn anderweitig mit besonderer Beachtung würdigt. Wenn das Eintreten oder Auftreten des Kunden registriert und verkündet wird – eben beispielsweise durch eine Verbeugung, durch lautes Rufen der Kellner im Restaurant etc. – spricht man in der Dramaturgie von einem „ clean entrance“ (72). Dadurch wird das Königsgefühl ausgelöst.

Ein weiteres Element der Dramaturgie, um Königsgefühle auszulösen, ist die große Treppe. Wer auf einer großen Treppe würdevoll herabschreitet, begreift: „Das ist hier eine Art Palast.“ (75) – und ich bin dementsprechend König oder Königin. Daher werden Treppen bevorzugt in Hotellobbys, Shoping-Malls und im Show-Biz eingesetzt (75) – ebenso wie im Inneren von Kirchen (besonders an der Schwelle zum Altarraum).

Schließlich benennt Mikunda noch die Tafelrunde: „Einem engsten Kreis anzugehören ist eine Form der Anerkennung, die immer schon ganz besondere Glory-Gefühle auslöste.“ Aus den Filmen kennen wir die Ritter der Tafelrunde, die „volkstümliche Variante ist der Stammtisch“ und bei großen Festlichkeiten werden die Gäste an langen weißen Tafeln empfangen. (76f.)

2.1.4 Ein Beispiel aus dem Bereich religiöser und geistiger Strömungen

Ein Beispiel für die Wirksamkeit des Glory-Gefühls im Bereich der religiösen und geistigen Strömungen stammt aus der Ufo-Szene: Wer beim jährlichen UFO-Festival in Roswell (New Mexico) nachts sehnsüchtig in den Himmel blickt und dabei eine Sternschnuppe sieht – dabei spielen die Auslösereize „Höhe“ und „Weite“ eine wichtige Rolle – kann, unterstützt durch eigene Verstärkergesten (das Emporheben der Arme zu den Sternen etc.), tatsächlich in den Genuss kommen, erhabene Gefühle zu empfinden, die entsprechend zu einer fast religiösen Verehrung von „Aliens“ führen können.

2.2 Völlerei und Joy

2.2.1 Beschreibung

Mikunda weiß: „Erhabenheit kann manchmal kühl wirken.“ (19)

„Ihr Gegenteil ist das Joy-Gefühl des Freudentaumels, ein eindeutig heißes Gefühl. Es basiert auf einem verschwenderischen Umgang mit Farben, Rhythmen, Mustern, mit der Freude an der Überfülle. […] Es ist nicht verwunderlich, dass sich dieses Hochgefühl aus der Todsünde der Völlerei heraus entwickelte. Alles begann mit den Gelagen im alten Rom. Man aß und trank einfallsreich und in großen Mengen. Allgemein bekannt ist das bewusst herbeigeführte Erbrechen mittels Pfauenfeder im sogenannten Vomitorium. Man wollte mehr, auch wenn man nicht mehr konnte. Nicht der Genuss an sich, sondern die Maßlosigkeit des Genusses war das Ziel.“ (19)

Dabei zeigen die Beschreibungen dieser Gelage aus jener Zeit, „wie Völlerei inszeniert werden muss. Man braucht erstens ein Ordnungsprinzip für die Vielzahl an Genüssen. […] Und zweitens müssen die Genüsse mit einem Knalleffekt präsentiert werden“. (20)

Mikundas Formel für ein gelungenes Joy-Gefühl lautet demnach: „ Geordnete Überfülle in überhöhter Darstellung. […] Überfülle muss geordnet präsentiert werden, sonst geht im Durcheinander die Opulenz verloren.“ (20)

So beschreibt Mikunda exemplarisch die Joy-Inszenierung in einem New Yorker Laden für Blue Jeans:

„Der dreistöckige Shop ist komplett abgedunkelt, ein professionelles Soundsystem, wie in einem Club, jagt die Beats durch unseren Körper. Im Halbdunkel sehen wir, dass der Laden knallvoll mit Ware ist. Jeans und Shirts werden in Regalen und Vitrinen schräg zu uns geneigt präsentiert. Trotz der Überfülle herrscht ein hohes Maß an Ordnung. Shirts sind nach Farben geordnet, manchmal in einer tiefliegenden Vitrine im Halbkreis angeordnet, wie in einem Theater: geordnete Überfülle! An einer Wand tragen alle Blue Jeans den für diese spezielle Marke typischen Gürtel bereits im Hosenbund. Das Licht ist sensationell. Jeans und Shirts, jede einzelne Ware wird von einem eigenen Effektlicht aus der Dunkelheit herausgeleuchtet. Chiaroscuro-Lichtführung nennt man ein solches expressiv überhöhendes Licht in der Malerei. So entsteht ein visueller Rausch, der sich durchaus mit der kulinarischen Berauschung durch Speis und Trank messen kann: geordnete Überfülle in überhöhter Darstellung. Dieser Rausch ist keine Einbildung. Man spürt richtig, wie das Dopamin in unsere Organe schießt, jene körpereigene Droge, die für das Wachsein verantwortlich ist. Sie lässt Künstler im Überschwang der Kreativität sprudeln und macht uns auf einer Party ganz aufgekratzt. Glitzern und Blinken, wie im Goldsouk [einem Geschäftsviertel in einer orientalischen Stadt, Anm. d. Verf.], Farbenrausch und Lichtspiele, wie in Las Vegas, bewirken, dass der Neurotransmitter ausgeschüttet wird und uns in einen Sinnesrausch versetzt, den wir als beglückend empfinden. Es ist das Joy-Gefühl, der Freudentaumel.“ (20f.)

2.2.2 Psychologie des Joy-Gefühls

Auslöser für das Joy-Gefühl

„ist ein verschwenderischer Umgang mit Farben, Formen, Rhythmen, so dass wir gar nicht anders können, als mit einem überschäumenden Lächeln – und anderen Glücksverstärkern – zu reagieren. So fühlen wir uns in die Situation ein und spüren, wie das Dopamin ausgeschüttet wird, der Neurotransmitter hinter dem Joy-Gefühl. Er bewirkt den charakteristischen euphorischen Zustand von Joy und äußert sich dann nachhaltig als Funke für Kreativität.“ (83)

Auslösen

Auslösereiz für das Joy-Gefühl ist „ die visuelle Überfülle, das Füllhorn des Glücks. “, aber die „ Überfülle braucht ein Ordnungsprinzip, damit keine Gerümpeltotale, sondern ein Joy-Effekt entsteht. “ Zur geordneten Überfülle muss schließlich noch ein dritter Aspekt hinzutreten, i.e. die „ überhöhte Präsentation, um nicht als minderwertig erlebt zu werden.“ (84f.)

Als typisches Beispiel aus dem Bereich des Konsums sind etwa Spielzeugabteilungen anzuführen: Geordnet nach Puzzels, Lego, Playmobil etc. werden Kinder mit einer visuellen Überfülle konfrontiert, die dennoch eine Orientierung ermöglicht. Displays oder Glaskästen mit fertig aufgebautem Spielzeug – vielleicht sogar motorisiert – präsentieren die Waren auf überhöhte Weise. Das dadurch erzeugte fiebrige Gefühl von Freude soll Kinder und Kunden dazu bewegen, die ausliegenden Waren zu kaufen.

Als weiterer Auslöse-Reiz für Joy-Gefühle ist das Spiel mit den Sinnen zu nennen. Alles, was unsere sogenannte „Media Literacy“ aktiviert – die Fähigkeit also, „mit Sinnestäuschungen, Wortspielen, Bilderrätseln umzugehen und sie zu genießen“ – kann ebenfalls Freude wecken. (86)

Einfühlen

Auf welche Weise reagieren Menschen auf Joy-Auslösereize, um das Gefühl der Freude intensiv zu erleben? Wesentlich ist hier das Freudestrahlen. Es ist „ der wesentliche Glücksverstärker aller Joy-Gefühle. “ (87)

Neben dem Freudestrahlen sind alle „Glücksverstärker, mit denen wir uns in Joy einfühlen, […] ausgesprochen motorisch.“ Daher können alle „rhythmussteigernden Bewegungen“ dazu gezählt werden: „Mitklopfen, Mitwippen, Mitklatschen und – natürlich – das Mittanzen.“ Aus dem Sport kennen wir etwa die La-Ola-Welle (88).

Im Bereich des Konsums werden Joy-Gefühle durch das Stöbern mit der Hand verstärkt:

„Wir nehmen probeweise ein Produkt in die Hand, gehen zum nächsten, nehmen es kurz hoch, schlendern weiter durch den Laden, wollen spüren, wie sich das Produkt anfühlt, wie schwer es ist, wie es klingt, wie es riecht.“ (88)

Nachwirken

Die direkte Auswirkung des Einfühlens in Joy-Gefühle ist ein euphorischer Zustand, ausgelöst durch Dopamin. Es ist jene Droge des Körpers, „die uns wach macht“, aufgekratzt, kreativ. Als Langzeitwirkung lässt sich feststellen, dass Joy „ ein natürlicher Stimmungsaufheller [ist] , der ganz ohne Chemie funktioniert, nur ausgelöst von der Ästhetik unserer gestalteten Welt. “ (89f.)

2.2.3 Dramaturgie des Joy-Gefühls

Füllhorn

Entwicklungsgeschichtlich betrachtet litten Menschen über Jahrtausende hinweg an Mangel und führten bittere Existenzkämpfe. Kaum verwunderlich, dass

„Überfluss an Nahrung und Besitztümern als höchst erstrebenswert galt. Über viele Jahrtausende hindurch haben wir so gelernt, Überfluss jeder Art als beglückend zu empfinden, als etwas, was uns in einen Freudentaumel versetzt. Deshalb erzeugt Überfluss bis heute Joy-Gefühle“. (94)

Damit die Überfülle wahrgenommen werden und wirken kann, werden verschiedene Prinzipien angewandt, etwa das des Ensembles, welches sich durch eine gewisse Einheit der einzelnen Elemente auszeichnet. Solch ein Ensemble ermöglicht uns einen Vergleich und gibt uns damit ein Ordnungsprinzip an die Hand, um das Ensemble zu verstehen. Dabei ist der Überfluss bei dieser dramaturgischen Variante (des Füllhorn) immer ein symbolischer. (94ff.)

Wunderwelt

Wird das Verschwenderische dagegen nicht symbolisch, sondern als „eine Art Spiel “ präsentiert, haben wir es mit der dramaturgischen Variante der „Wunderwelt“ zu tun. Sie „hat ihre Wurzeln in unserer kollektiven Kindheit. Und sie ist insofern freudig verschwenderisch, weil sie uns von der Tyrannei des Funktionalen befreit.“ (99)

Im Kern handelt es sich bei diesen Spielen um „ Rollenspiele“, die in uns Glücksgefühle auslösen. „Allen Rollenspielen liegt ein Drehbuch zugrunde, das uns während des Spiels gar nicht bewusst ist, aber tatsächlich die Spielhandlung bestimmt.“ (100f.)

Diese Drehbücher werden bezeichnet als

Brain Scirpts, Drehbücher im Kopf, die uns sagen, welche Geschichte wir eigentlich gerade erleben. […] Dass wir so leicht dazu zu bringen sind, bei einer Geschichte mitzutun, machen sich alle Themenwelten zunutze.“ (102)

Hierzu dienen

„Kulissen, die so präpariert sind, dass man mitspielt, die Brain Scripts, die zur Umgebung passen, ausagiert. So versinkt man ganz in dieser Welt, ist an einem anderen, meist besseren Ort.“ (102)

Letztlich geht es um „Wunderwelten, die uns die Freiheit des kindlichen Spielens zurückbringen und dadurch Joy-Gefühle auslösen.“ (104)

Eine andere Form von Spiel ist das Spiel mit unserer „Media Literacy“, der „Wahrnehmungswitz“, der durch die Uminterpretation von Bekanntem entsteht – etwa wenn Picasso Portraits malte, „die Front- und Profilansicht der Person in einem Bild zeigten.“ Auch diese Variante des Spiels kann unsere Verspieltheit berühren und in uns Joy-Gefühle auslösen. (105ff.)

2.2.4 Ein Beispiel aus dem Bereich religiöser und geistiger Strömungen

Das Spiel mit der Überfülle an Farben und Düften kann man für den esoterischen Bereich etwa am Beispiel der Aura Soma-Produkte veranschaulichen. So heißt es etwa in einem Werbetext für diese Öle:

„Bei der Auswahl aus den 108 verschiedenen Farbölen (Equilibrien) können Sie sich von Ihrem Inneren leiten lassen – vielleicht von Ihrer inneren Stimme, möglicherweise von Ihren Augen, von Ihrem Herzen, von Geruch, Geschmack oder Klang.“

Daneben gibt es noch weitere Produktkategorien wie „Pomander“ und „Quintessenzen“ in vielen Farb- und Duftvarianten – ein Füllhorn an Möglichkeiten, das in uns Joy-Gefühle auslösen soll, die wir durch entsprechende motorische Bewegungen (etwa das Verreiben der Öle auf der Hand usw.) noch verstärken können.

2.3 Zorn und Power

2.3.1 Beschreibung

Mikunda schreibt über den Zorn:

„Wir sind nicht nur Denkmenschen, wir sind auch Körpermenschen. Wenn wir zornig werden, laufen wir im Gesicht und im oberen Brustbereich rot an, die Augen verengen sich und eine senkrechte Zornesfalte taucht zwischen ihnen auf. Unsere Muskeln werden angespannt, die Faust wird geballt, die Halsadern schwellen an, Atmung und Blutdruck steigen, kurzum, der ganze Organismus wird kampfbereit gemacht. Bei all dieser körperlichen Anspannung ist klar, dass der Zorn irgendwann eruptiv explodieren muss. Spannung und Entspannung gehören zusammen. In dieser zweiten Phase des Wirkungsverlaufs müssen wir uns entweder herunterpegeln, um die Spannung loszubekommen, oder wir müssen uns physisch abreagieren. Der Zornige tobt und schreit, schlägt mit der Hand und stampft auf, wirft mit Objekten, ballt drohend die Faust. Die schlagartige Lösung der Muskelspannung und das Adrenalin, das wir dabei produzieren, bewirken, dass wir den Zorn in der Situation selbst als lustvoll und befreiend erleben. Obwohl wir eigentlich die Kontrolle verlieren, fühlen wir uns subjektiv machtvoll.“ (22f.)

Im Zorn fühlen wir uns mächtig, obgleich wir eigentlich die Macht über uns verlieren. Nach Mikunda gibt es „viele Zorn-Inszenierungen, die spekulativ dieses Gefühl der Allmacht bedienen. Am bekanntesten sind jene Spiele, die man als Ego-Shooter bezeichnet.“ (23)

Das positive Power-Gefühl hingegen bewirkt, dass wir uns mächtig fühlen, ohne dass dabei jemand zu Schaden kommt. Power ist „ sublimierter Zorn, die bloß symbolische Selbstbehauptung, die ein ähnliches Gefühl erzeugt wie Zorn selbst, jedoch gereinigt von zerstörerischer Aggressivität. “ (117)

2.3.2 Psychologie des Power-Gefühls

Auslösen

Das Power-Gefühl wird dann ausgelöst,

wenn wir Wildheit erleben. […] Dazu gehört die Urkraft von Wassermassen […] Dazu gehört Feuer […] Zu den Auslösern gehören urgewaltige Töne […] Die Auslöser sind auch alle Apparaturen und Fahrzeuge, die uns rasant beschleunigen oder unseren Absturz simulieren, […] wie jede Art von Achterbahn.“ (120).

Letztlich kommt als Auslösereiz alles „in Frage, was unsere Wildheit zum Leben erweckt.“ (127) So „triumphieren wir […] über jene Umstände, die in der Vorzeit Angst machten: Feuer und Nässe, Kälte und Höhe, die Ausgeliefertheit insgesamt. Das Hochgefühl der Wildheit macht uns deshalb stark und selbstbewusst.“ (127)

Angenehme Power-Gefühle lösen diese Auslösereize dementsprechend nur dann aus, wenn wir wissen, dass diese mächtigen Elemente, die uns eigentlich Angst machen würden, ungefährlich sind, wenn wir den Stimulus unter Kontrolle bringen. Mikunda nennt diesen inneren Vorgang daher „Stimuluskontrolle“. Umgekehrt gilt: Wenn Menschen gegenüber einem Reiz schon in gewisser Weise abgestumpft sind (beispielsweise in der Achterbahn), lockern sie gerne ihre innere Stimuluskontrolle – sie empfinden dann wieder mehr – oder sie suchen eine neue Herausforderung, die ihnen wieder den „Kick“ ermöglicht. (121)

Einfühlen

Eine wichtige Verstärkergeste, die mit dem Power-Gefühl zusammenhängt, hat große Ähnlichkeit mit einer Geste des Zornigen: Im Zorn ballen wir die Faust. Es ist eine „Drohgebärde, die Lust- und Machtgefühle auslöst. Diese Faust wird, wie auch der wütende Blick, gegen einen anderen gerichtet.“ (24) Eine dem vergleichbare, bekannte Geste des Power-Gefühls ist die

Becker-Faust. Sie ist die berühmt gewordene Geste der Selbstbestärkung nach dem Gewinn eines wichtigen Satzes, für die der Tennischampion Boris Becker bekannt war. Diese Faust wird nicht gegen einen anderen gerichtet, sie wird ruckartig zum Spieler selbst hin bewegt. 'Ich habe es gemacht!' scheint sie zu sagen. Die Drohgebärde hat sich in eine Triumphgeste verwandelt, der Zorn zu Power, dem Gefühl der Kraftstärke. Power ist also wie Zorn ohne Aggression, aber mit ähnlichen körperlichen Begleitsymptomen und Lustgefühlen. “ (24)

Aber die Becker-Faust ist keineswegs die einzige Verstärkergeste des Power-Gefühls. Bekannt ist auch der „ Power-Schrei, eine Variante des Siegergeheuls, ein bekanntes Verhalten zur Spannungslösung. Ihm verwandt ist eine Art Schrei-Lachen. […] Als Verstärker des Power-Gefühls findet sich dieses Schrei-Lachen auch bei allen Attraktionen, bei denen die Geschwindigkeit eine Rolle spielt. Bei Achterbahnfahrten kann man sehen, wie viele Mitfahrer nach der Fahrt mit diesem spannungslösenden Lachen aus dem Wagen steigen.“ (25)

Schließlich zählt auch der feste, durchdringende Blick – wie ihn etwa Arnold Schwarzenegger in seiner Rolle als „Terminator“ zum Besten gibt – zu den bekannten Verstärkergesten des Power-Gefühls. (123)

Zusammenfassend schreibt Mikunda: „ Allen [Verstärkergesten, Einf. d. Verf.] gemeinsam ist der Wille, selbst etwas dazu beizutragen, um sich stark zu fühlen. “ (123)

Nachwirken

Als direkte Folge des Power-Gefühls „werden Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet, dazu kommen Sexualhormone, wie Testosteron“ – ähnlich wie in einem Kampf. Langfristig bewirken Power-Gefühle einen „Zuwachs an innerer Kraft“, denn Adrenalin löst Blockaden und man fühlt sich insgesamt mehr „bei sich“. (124)

Die schlagartige Lösung der Blockaden soll zu mehr Selbstbewusstsein führen, zu persönlicher Erstarkung. Da Power-Gefühle auch durch empathisches Einfühlen auftreten, führt symbolisch erlebte Kraftstärke genauso zur nachhaltigen Erstarkung. “ (124)

Als Beispiel verweist Mikunda auf die Unterhaltungsindustrie, etwa auf Kinderserien,

„in denen ein Tier (Lassie, Fury, Flipper) sein kleines Herrchen gegen die Erwachsenenwelt stark macht. Das Tier ist wie ein verlängerter Arm des Kindes, das so doppelt zählt und, aufgrund der animalischen Power des besten Freundes, der Erwachsenwelt [sic] Paroli bieten kann.“ (124)

2.3.3 Dramaturgie des Power-Gefühls

Absturz

Zunächst können alle Situationen, in denen wir Höhe erleben oder in denen wir sogar abstürzen (etwa bei entsprechenden Fahrgeschäften auf dem Jahrmarkt), Power-Gefühl in uns auslösen. Dabei werden wir mit unseren Urängsten konfrontiert, und indem wir sie überwinden, fühlen wir uns stark. Nach dem gleichen Prinzip funktionieren Hochseilgärten oder Aussichtsplattformen in den Alpen. (127f.)

Ergänzend könnte man hier auf Kirchturmführungen verweisen, bei denen wir von ganz oben Aussicht auf die Stadt unter uns haben und vielleicht sogar in den Genuss kommen, als zweiten Power-Auslöser die urgewaltigen Glocken schlagen zu hören – die perfekte Situation für Power-Gefühle.

Muskelspiele

Muskelbepackte Oberkörper, Kleider aus Leder und Fell, Schmuck in Form von Ketten und Ringen, Männer an großen Baumaschienen oder auf schweren Motorrädern – das löst Power-Gefühle in uns aus. (129f.)

Kids Power

Wenn Kinder oder andere gesellschaftlich unterlegene Gruppen ihre Hilflosigkeit „durch demonstrative Gesten der Stärke“ überwinden, haben wir es ebenfalls mit Power-Gefühlen zu tun. So kann Mikunda sagen: „ Power-Gefühle machen Schwache stark.“ Als Beispiele führt er „Harry Potter“ ebenso an wie die „Fünf Freunde“: Hier steht die Sehnsucht der Kleinen, „so stark zu sein wie die Erwachsenen, im Zentrum“. (131f.)

2.3.4 Ein Beispiel aus dem Bereich weltanschaulicher Strömungen

Ein Beispiel für die Evokation von Power-Gefühlen im Bereich weltanschaulicher Strömungen ist etwa die Idealisierung der Wehrmachtsoldaten („Landser“) in der gegenwärtigen rechtsgerichteten Szene: Indem starke Krieger als Vorbilder verherrlicht werden, sollen männliche Jugendliche – in der Kombination mit der ur-gewalt-tätigen Musik – dazu geführt werden, Power-Gefühle zu empfinden, die sich politisch instrumentalisieren lassen.

2.4 Neid und Bravour

2.4.1 Beschreibung

Grundlage des Bravour-Gefühls ist – wie beim Neid – die „Abweichung“ eines Einzelnen oder weniger „nach oben“: Aber das „ Imponiergehabe [...] wird gesellschaftlich nur in einem Umfeld akzeptiert, in dem es per Definition um Aufstieg und Gewinn geht. “ (27)

In sozialen Kontexten, in denen es gefährlich ist, zu sehr nach oben abzuweichen, und in denen man für Imponiergehabe anecken würde, „muss der Neid entschärft werden“. Eine Möglichkeit dafür ist das antike „Scherbengericht“, eine andere besteht darin, zwischen „dem negativen Neid“ und „dem positiven Neid“ zu unterscheiden (27f.): Man kann

„dem anderen seine Güter ruhig gönnen […], wenn man sie ebenfalls anstrebt. So verwandelt sich der Neid in Bewunderung über die Leistung des anderen. Man genießt dessen Geschicklichkeit und Brillanz. Neid wird zu Bravour, dem Gefühl der Raffinesse.“ (28)

Um das Bravour-Gefühl zu erzeugen, braucht man ein besonderes Können, „ das in uns begeisterte Zustimmung auslöst, die ihrerseits wieder das Gefühl der Raffinesse verstärkt. “ (28) Um dieses Gefühl zu erleben, müssen wir also jemanden für etwas bewundern, müssen von jemandem, seiner Leistung, seiner raffinierten Lösung eines Problems oder von seiner Geschicklichkeit im Umgang mit Werkzeugen, Dingen etc. fasziniert sein. (142)

2.4.2 Psychologie des Bravour-Gefühls

Auslösen

Neid wird, so Mikunda, v. a. „ durch materielle Differenz ausgelöst “, also „ durch Besitz, Aussehen, gesellschaftlichen Status“. Demgegenüber „ ist das Bravour-Gefühl der Ausdruck einer meisterhaften Bewältigung einer Aufgabe. “ (143)

Dabei kann sich die gezeigte Meisterleistung auf technische Lösungen, auf große Werke im Bereich der Kunst oder auf besonders erfolgreiches Unternehmertum beziehen. Durch die Bewunderung, die wir solch einer Meisterleistung entgegenbringen, fühlen wir das Hochgefühl des Bravours. Erst durch die Bewunderung, die wir fühlen, „übersteigt die Begeisterung über die Leistung des anderen unser eigenes Gefühl der Kleinheit. Statt Neid entstehen Bravour-Gefühle.“ (143f.)

Dabei kann noch zwischen Meistern und Mentoren differenziert werden: Meister präsentieren uns raffinierte, elegante, smarte Lösungen für Probleme, die unsere Media Literacy ansprechen, „unsere Fähigkeit zur geschickten Wahrnehmung“. Mentoren hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass sie bravourös erklären können. (145)

„Erst durch den Mentor erkennen wir“ (147), was Verborgen ist,

„und erleben dabei seine Arbeit als bravourös. Da persönliche Mentoren von Klasse dünn gesät sind, haben automatisierte Mentoren-Systeme ihre Aufgabe übernommen. Infotainment in Museen und Ausstellungen, oder großartige Kinderbücher, die auch Erwachsenen Dinge erklären, die sie noch nie verstanden haben, bewirken heute die Mentoren-Bravour.“ (147)

Einfühlen

Wurde das Bravour-Gefühl in uns ausgelöst, ist es notwendig, sich einzufühlen und das Gefühl aktiv in sich zu verstärken. Indem wir einer Meisterleistung demonstrativ zustimmen – durch Nicken, Bravo-Rufe, Jubeln, Klatschen, Standing Ovations, Trampeln im Sitzen oder rhythmischen Applaus – spüren wir Bravour. (147f.)

Erst die Selbstaneignung des Bravour-Gefühls durch Jubel etc. hilft uns, emotional zwischen Neid und Bravour zu unterscheiden. Dabei ist der Jubel oft

„in einen Rhythmus […] eingebunden. Auch viele unserer inneren Körperfunktionen sind rhythmisch organisiert: Kreislauf, Herzrhythmen, Atmung […] Nur allzu leicht sind wir dazu zu bringen, in diese inneren Rhythmen mit einzusteigen. Wenn uns eine äußere Instanz ein Rhythmusangebot gibt, können wir gar nicht anders, als unsere inneren Rhythmen mit den äußeren zu synchronisieren. Dieser Verstärker führt dazu, dass wir mit den äußeren Rhythmen mitgerissen werden.“ (148)

Nachwirken

Weil Bravour nicht nur emotional, sondern auch intellektuell mitreißend ist, weckt dieses Hochgefühl auch unsere „ Denklust“, und zwar indem der Neurotransmitter Acetylcholin aktiviert wird. Dieser ist immer mit im Spiel, wenn es um Kniffeliges geht, etwa bei Sudokus oder Rätseln. Wer sieht, wie eine Meisterleistung vollbracht wird, bekommt Lust, es selbst zu versuchen, selbst dahinter zu kommen. (149)

„Bravour ist ein Hochgefühl, das uns dazu bringt, mehr wissen zu wollen. Es ist, trotz aller berauschender Emotionalität, ein lehrendes Hochgefühl“. Außerdem gilt: „ Bravour ist auch das Hochgefühl der Inspiration. “ (149)

2.4.3 Dramaturgie des Bravour-Gefühls

Ratiocination

Unter „Ratiocination“ wird „die Bravour des Ablaufs“ verstanden. Es ist die Faszination dafür, dass ein Prozess wie ein gut geschmiertes Räderwerk abläuft. Immer, wenn „ man von der Raffinesse eines Ablaufs eingenommen wird, entsteht die Ratiocination, der Kunstgriff der Ablauffaszination. “ (151)

Als Rezipienten

erleben [wir] die Bravour von Technik durch unsere Media Literacy, die erahnen lässt, wie die Zahnräder von Ursache und Wirkung ineinander greifen, wie ES FUNKTIONIERT. “ (151)

Dabei feiert „ Ratiocination […] die Vorhersagbarkeit von Vorgängen.“ Für alle Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ist das „ Hochgefühl der Bravour durch Ratiocination […] ein perfektes Werkzeug “. Oder, wie es in den USA heißt: „Demo or Die.“ Frei übersetzt: Zeig mir, wie etwas funktioniert, oder es hat keine Zukunft. (153)

Pop-up

Beim Pop-up-Phänomen geht es ebenfalls ums Können, das Bravour-Gefühle auslöst – doch hier ist es ein Können, das uns überrascht. So wie es am Computer „ Pop-up-Fenster“ (153) gibt, „die aus dem Nichts auftauchen, tauchen auch die Pop-up Stores unerwartet auf. Für einen Tag, eine Woche oder einen Monat eröffnet an einem ungewöhnlichen Ort ein Laden.“ (153f.)

Um das Bravour-Gefühl zu vermitteln, muss so ein Pop-up Store „ sowohl unerwartet auftauchen als auch ungewöhnlich sein “, und zwar sowohl in Bezug auf die Ware als auch in Bezug auf die Gestaltung. Das Ungewöhnliche aktiviert unsere Media Literacy, unsere „Fähigkeit, geschickt und smart wahrzunehmen. Pop-up Stores generieren daher immer hohe Aufmerksamkeit.“ (154f.)

Virtuosität

Virtuosität ist in verschiedenen Bereichen anzutreffen, aber sie kennzeichnet jeweils ein besonderes Können. Beim Musizieren mit Musikinstrumenten etwa entsteht sie „ durch besondere Schnelligkeit und halbsbrecherische Schwierigkeit, die wir als Publikum registrieren. “ (157)

Aber auch Gebäude können von Architekten virtuos geplant und gebaut werden, wenn ihre „ Entwürfe am Rande der physikalischen Machbarkeit “ stehen, wenn Glas und Beton in einer Weise verbaut werden, die uns kaum möglich erscheint. Dabei müssen gewagte Gebäude zwei Kennzeichen haben, wenn sie Erfolg haben wollen: Sie brauchen ein „prägnantes 'Landmark' – das Wahrzeichen außen – und eine einprägsame 'Core Attraction' – die zentrale Attraktion – innen.“ (157f.)

Infotainment

Mikunda erklärt:

„Die Meister beeindrucken durch ihr bravouröses Können. Die Mentoren geben ihren Blick auf die Welt auf bravouröse Art weiter. Das geschah früher durch Vormachen und Nachmachen.“ (159)

Heute haben sich Information und Entertainment als „ Infotainment“ zusammen getan. „Wenn dies auch noch mit bravourösem Können geschieht, erleben wir Lernen als Hochgefühl.“ (160)

So wie jedes Hochgefühl psychologisch gesehen durch „Auslösen, Einfühlen und Nachwirken“ entsteht, verhält es sich auch beim Infotainment: Ausgelöst wird das Bravour-Gefühl durch eine „ Erklärstrategie “ , etwa durch eine eindrucksvolle Demonstration, also durch die „Überzeugungskraft des Augenscheins“, nach dem Motto: „seeing is believing“ [Übersetzung durch d. Verf.: „Etwas zu sehen, bedeutet, es zu glauben.“]. Das Einfühlen ins Bravour-Gefühl geschieht über die Zustimmung, ausgedrückt etwa im Applaus. Schließlich wird das Nachwirken „zum Bestandteil des Infotainments selbst. Alle machen mit “. (160f.)

2.4.4 Beispiele aus dem religiösen Bereich

Freikirchen nutzen schon lange das Bravour-Gefühl: In den Lobpreisliedern wird dieses Hochgefühl für die Meisterleistung Gottes im Blick auf die Schöpfung der Welt und auf die Erlösung des Menschen gefeiert. Kreativität wird freigesetzt, etwa um neue Lobpreislieder zu komponieren. Glossolalie und geistliches Heilen, das Empfangen von Visionen und andere Geistesgaben bewirken überraschendes Können und erzeugen damit das Bravour-Gefühl. Unerwartete und gewagte locations für Gottesdienste (etwa im Kinosaal) tragen ebenfalls dazu bei, das Hochgefühl des Bravours zu fühlen.

Doch das Bravour-Gefühl ist keine neuzeitliche Erfindung. Schon bei Jesus und seinen Nachfolgern können wir es ausfindig machen: Jesus hat durch seine Meisterleistungen im Bereich des Exorzismus, der Heilung, der ungewöhnlichen Lehre in seinen Gleichnissen und des raffinierten religiösen Diskurses in der Auseinandersetzung mit den Pharisäern im Volk starke Bravour-Gefühle ausgelöst – und sie selbstlos auf Gott hin gewendet. Damit hat er Menschen inspiriert, angeregt und motiviert, es ihm gleichzutun, ihm also nachzufolgen und das Gleiche anzustreben wie er: Gottes Kommen auf Erden.

Bei den gehobenen sozialen Kreisen hingegen hat er mit seinem Können vermutlich zunehmend Neid-Gefühle ausgelöst: Sie konnten ihn nicht bewundern, deshalb waren sie neidisch auf ihn. Gekippt ist die Situation anscheinend beim Einzug in Jerusalem, als das Volk ihn wie einen König verehrt hat. Daher das Scherbengericht über ihm, d. h. die Kreuzigung, um der Gesellschaft zu ermöglichen, neidfrei weiterzuleben.

2.5 Gier und Desire

2.5.1 Beschreibung

Das positive Hochgefühl Desire, die Begierde, ist der Gegenpol zur negativen Gier. Gier ist das beherrschende Gefühl der Hausfrauen-Schlacht beim Discounter am Montagmorgen kurz nach Ladenöffnung. Gier entsteht durch die Aussicht, etwas zu einem sehr günstigen Preis zu erhalten („Schnäppchen“), verbunden mit einer Verknappung der Ware („Nur solange der Vorrat reicht.“). Kaufanreiz und Kaufdruck führen zu einer Überproduktion von Dopamin, was zu einem „fieberhaften Zustand“ führt, dazu, dass Menschen aufgekratzt sind, sich gegenseitig wegschubsen, in ein „Jagdfieber“ geraten und „immer mehr und mehr“ wollen. (30)

Die Begierde hingegen funktioniert anders: Um sie zu wecken, wird das Objekt der Begierde begehrenswert gemacht. „Wie sagte man früher? Man muss die Braut schmücken.“ (30)

Indem die Ware in Szene gesetzt, auf ein Podest gestellt, in besonderem Licht gezeigt und vielleicht sogar von hübschen jungen Frauen vorgeführt wird (wie auf dem Laufsteg oder bei Automessen), wird sie begehrenswert gemacht. Dabei erzeugt Desire – ähnlich wie die Verliebtheit – tatsächlich „ein Kribbeln im Bauch“. Die Ware wird „angehimmelt“, man „liebäugelt“ mit ihr. Die Ware wird uns – „so wie die Karotte dem Esel“ – „vor die Nase gehalten“. (31)

Mikunda fasst zusammen:

Desire ist Begierde, die entsteht, wenn herausgeputzte Objekte, die überhöht präsentiert und überzeugend angepriesen werden, uns dazu bringen, mit ihnen zu liebäugeln. “ (32)

Allerdings funktioniert dieses Hochgefühl nicht nur bei Waren, sondern durchaus auch bei „Museen, Flughäfen, Krankenhäusern“: Desire-Inszenierungen präsentieren uns etwas Herausgeputztes, Erhöhtes, Angepriesenes, wodurch „höchstes Interesse“ hergestellt wird. (32f.)

2.5.2 Psychologie des Desire-Gefühls

Auslösen

Desire wird ausgelöst, indem uns etwas überhöht gezeigt wird. „ Üblicherweise geschieht dies durch tatsächliches Hochheben “, etwa auf dem Laufsteg der Models, auf dem roten Teppich der Promis, auf Drehscheiben, Podesten oder auf dem oberen Regalbrett im Supermarkt. (172f.)

Als weitere Strategie, um Desire auszulösen, muss „die Braut geschmückt werden“: „Der Apfel wird poliert, das Pferd gestriegelt“. Angesprochen wird unsere „Media Literacy“, jener „Mechanimsus, mit dem wir Abweichungen jeder Art registrieren und uns überhaupt geschickt mit der Welt anstellen“. Dadurch bleiben wir stehen „und staunen“. Das Angepriesene wird „ zum Hingucker “ gemacht. (174)

Einfühlen

Das Desire-Gefühl kann jedoch nach dem Auslösen erst dann wirksam in uns werden, wenn wir uns in das Gefühl einfühlen. Dies geschieht, indem wir mit dem Objekt der Begierde „liebäugeln“ (175): Wir „antizipieren, wie es wohl wäre, wenn wir das Ersehnte auch besäßen. Dopamin wird ausgeschüttet und bewirkt eine vibrierende Vorfreude, die bei allen Primaten – Menschen und Affen – ähnlich ist: Wir begehren. Uns fallen beinahe die Augen heraus vor Begierde. Wir lechzen nach dem begehrten Objekt.“ (175)

Verstärkergesten für das Desire-Gefühl sind dementsprechend: Anglotzen, darauf zeigen, in die Hand nehmen, ausprobieren, eine Kostprobe davon nehmen, daran riechen etc. (175f.)

Nachwirken

Das Jagdfieber, das durch Desire in uns ausgelöst wird, beruht auf der Ausschüttung von Dopamin, wodurch wir wach werden, und Neurotrophin, „das die Schmetterlinge im Bauch bewirkt“. Weil wir Jäger und Sammler sind, „wollen wir jagen, und wir wollen sammeln“. Die „Kultur und Zivilisation bildet nur eine schmale Membran zwischen uns und unseren Instinkten.“ (177)

2.5.3 Dramaturgie des Desire-Gefühls

Anstoßen (Nudge)

Durch Methoden des Anstoßens sollen wir „erst einmal auf eine Idee gebracht werden“. Dies kann z.B. durch eine Vorauswahl bewirkt werden (Prospekte, Hinweise auf Sonderangebote und Schlussverkauf, Präsentation von Waren im Schaufenster oder Hinweis darauf etc.), wodurch eine günstige „ Gelegenheit signalisiert “ werden soll. Alle Strategien des Anstoßens „ produzieren die Begierde für ein Produkt, das ursprünglich verborgen ist. “ (178ff.)

Anheizen (Arouse)

Wenn man sich dem Objekt der Begierde genähert hat, wenn die Aufmerksamkeit erhöht ist, muss eine zweite Strategie, das „Anheizen“, einsetzen, damit das Interesse aufrecht erhalten wird (weil das Arousal bald nachlässt und wir schnell wieder „abkühlen“). (181f.)

Hierzu werden z.B. Strategien eingesetzt, die unsere „Media Literacy“ ansprechen: Durch permanente Spiele mit unserer Wahrnehmung werden die Produkte dauerhaft dramatisiert, weshalb die Werbespots für ein Produkt, etwa im Fernsehen, immer wieder geändert werden. (182f.)

2.5.4 Ein Beispiel aus dem Bereich der Kirche

Ein Versuch, Desire-Gefühle im kirchliche Kontext auszulösen, ist die Gestaltung des gemeindlichen Schaukastens. Vorbeigehende Passanten sollen dadurch motiviert werden, mit besonderen Veranstaltungen der Gemeinde zu liebäugeln und sie zu besuchen. Die Veranstaltung wird erhöht beworben (im Schaukasten). Indem man das Plakat ansieht oder darauf zeigt, soll das Gefühl verstärkt werden. Eine Veranstaltung, die sonst in den gemeindlichen Räumen verborgen ist, soll als günstige Gelegenheit beworben werden. Während die Dramaturgie des Anstoßens zuweilen noch gelingt, schaffen es Gemeinden nicht immer, das Interesse für ihre Veranstaltungen durch Schaukästen in gewünschter Weise dauerhaft lebendig zu halten.

2.6 Wollust und Intensity

2.6.1 Beschreibung

Wollust meint in erster Linie „ Luststeigerung “. Das positive Hochgefühl zur Wollust kann als Intensity-Gefühl beschrieben werden. Diese höchste „Intensität des Erlebens“ wird erreicht durch die „ Verdichtung von Zeit und Raum “. (34f.)

Dieses Phänomen begegnet uns vor allem in der Kunst, etwa im Klavierspiel der weltberühmten Pianistin Hélène Grimaud, deren Spiel tatsächlich „erotisch“ ist (34):

„Sie spielt mit der Erwartung durch Verzögerung […], wie ein guter Liebhaber, der nicht forsch auf sein Ziel zugeht, sondern dosiert zurücknimmt und wieder steigert. Sie spannt so den Verlauf der Zeit, so weit es gerade noch geht, ohne dass der Spannungsbogen reißt. Und wenn dann der Höhepunkt tatsächlich eintrifft – es der Zuhörer kaum noch aushält –, setzt sie mit gutturaler Atmung und ekstatisch zurückgebogenem Körper ein Verstärkerzeichen nach.“ (34f.)

Aber auch in anderen Kunstformen finden wir das „ Prinzip der Verdichtung “, etwa in der Landschaftsmalerei gegen Ende des 17. Jahrhunderts (35). Maler wie Claude Lorrain „schoben Brücken, Tempel, architektonische Versatzstücke jeder Art zusammen in ein Bild, erzählten damit oft mythologische Geschichten, und verdichteten sie auch formal durch die Staffelung der Landschaften in der Tiefe und durch innere Rahmen, mittels angeschnittener Säulen und Bäume.“ (35)

2.6.2 Psychologie des Intensity-Gefühls

Auslösen

Das Intensity-Gefühl wird ausgelöst durch „ jede Art von Verdichtung, durch die wir die Welt verstärkt erleben. “ Mikunda beschreibt es auch folgendermaßen: „Bilder, Gerüche, Töne, auch Zeichen und Symbole, werden dabei in einen ästhetischen Druckkochtopf gesteckt.“ (210).

Intensity-Gefühle wollen ausgekostet werden, und sie wirken besonders, wenn durch die große „ Gleichmäßigkeit“ eines Vorgangs (sei es in liturgischen Litaneien oder auch im unaufhörlichen Drehen beim Derwisch-Tanz) eine „ hypnotische Wirkung “ entsteht. Durch die schrittweise Verlangsamung eines Vorgangs (etwa des Redetempos) kann zudem noch die „ Eindringlichkeit“ gesteigert werden. (211f.)

Einfühlen

Durch unsere Spiegelneuronen registrieren wir die Hingabe eines Künstlers an seine Kunst, und sind geneigt, uns in ihn einzufühlen, uns ebenfalls hinzugeben und dadurch die gleiche Intensität zu fühlen. Zugleich teilen wir die Intensität mit anderen, indem wir uns gegenseitig darauf aufmerksam machen: „Schau, wie schön!“ (212ff.)

Nachwirken

Die unmittelbare Wirkung des Intensity-Gefühls besteht in der „ Ausschüttung von berauschenden Endorphinen, die glückstrunken machen. “ Dadurch können sogar heilenden Wirkungen ausgelöst werden, die körperlich spürbar sind. (213f.)

Mikunda fasst den Prozess folgendermaßen zusammen:

„Wir werden durch punktgenaue Verzögerung, hypnotisch gleichmäßiges Spiel, intensivierende Verlangsamung und feuriges Gasgeben mit Werk und Künstlerin gemeinsam in einen Druckkochtopf hineinversetzt, der knapp vor der Eruption steht. Dieser Druck ist unter Kontrolle, wir wissen um die Belohnung danach … Wenn man dann loslässt … fühlt man sich kathartisch befreit und leicht, wie schon lange nicht.“ (214f.)

2.6.3 Dramaturgie des Intensity-Gefühls

Der intensive Klang

Nach Mikunda sind Intensity-Gefühle am „stärksten … durch Musik auslösbar“: Sie entstehen durch Verzögerung, durch das Auskosten der Zeit, durch hypnotische Wiederholungen, Verlangsamung etc. (215)

Das intensive Bild

Hinter dem Phänomen, dass Bilder auf uns eine intensive Wirkung ausüben können, steht die Erkenntnis, dass wir Bilder nicht nur sehen, sondern „tatsächlich auch spüren“. „Wir spüren Formen, wir spüren auch die Komposition von Bildern.“ Wir können sogar ein visuelles „Gleichgewicht und Ungleichgewicht tatsächlich spüren“, etwa wenn wir ausprobieren, wo ein neues Bild an der Wand hängen soll (215f.).

Das hat damit zu tun, dass erst „ das Wechselspiel zwischen Objekten und einem sie umgebenden Rahmen … ein spürbares visuelles Spannungsmuster “ erzeugt. Dabei erzeugt der optische Rahmen den „Druckkochtopf“ der „ Verdichtung“, und erst dadurch entsteht Intensität – „Bilder, die man spüren kann.“ Erst durch das „ Framing“ entstehen also Bilder, die intensiv wirken können, durch die wir den Inhalt des Bildes wie durch „eine psychologische Lupe und vergrößert“ wahrnehmen. (217f.)

In der Warenbildgestaltung wird dieser Effekt bewusst eingesetzt, um Waren durch einen Rahmen (etwa durch optisch auffällige, meist rechtwinklige Strukturen) zu einem „ Warenbild“ zusammenzufassen und damit „Konsumigkeit“ durch Intensity zu erzeugen (219).

Der intensive Raum

Indem etwa in Städten die Hauptachse in der „ kognitiven Landkarteüberdeutlich hervorgehoben wird [etwa durch markante Merkpunkte, Anm. d. Verf.] , verdichtet sich die Raumwirkung eines Ortes “. „ Die Idee ist, die wichtigen Straßenzüge hervorzuheben, um damit die kognitive Landkarte der Region zu verdichten und so Intensity-Gefühle auszulösen. “ So entstehen durch Maßnahmen des „Urban Design“ intensive Räume. (222ff.)

Die semantische Katastrophe

Eine weitere Möglichkeit, Intensity-Gefühle auszulösen, besteht nach Mikunda darin, unterschiedliche Zeichenwelten zusammenprallen zu lassen, und damit zu provozieren: „[S]pießiges Porzellan in Maschinengewehrform, Kinderkleidung mit harten erotischen Anspielungen.“ Durch die „ Verdichtung von Welten, die eigentlich nicht zusammengehören “, wird das Intensity-Gefühl ausgelöst. (224ff.)

Der Begriff der „semantischen Katastrophe“ stammt von Georg Seeßlen, es ist der Abschied „von der Idee, Zeichen hätten eine Wirklichkeit zu bedeuten“. Dabei gilt nach Mikunda:

„Wichtig sind nicht die Zeichen an sich, sondern die Tatsache, dass sie aufeinanderprallen, das 'geile' Gefühl, wenn nicht Zusammengehöriges zusammengefügt wird, verdichtet für den Kick des Intensity-Gefühls.“ (226)

2.6.4 Ein Beispiel aus dem religiösen Bereich

Intensity-Gefühle sind unverzichtbarer Bestandteil des afroamerikanisch-baptistischen Gottesdienstes: Der Gospel-Chor singt eingängige, eindringliche, fast hypnotische Lieder, während sich die Sänger zur Musik bewegen und die Gottesdienstbesuchenden damit animieren, es ihnen gleichzutun, d.h. sich in die Musik hineinzufühlen und die religiösen Gefühle, die sie evozieren, intensiv zu fühlen.

Auch der Prediger, der anschließend die Kanzel besteigt, beherrscht die Kunst, Intensity-Gefühle auszulösen, meisterhaft: Zuweilen verlangsamt er seine Rede, dann gibt er wieder Gas, spricht eindringlich und feurig, wobei er in seiner Predigt zwei ganz unterschiedliche Welten (die Wirklichkeit der Gottesdienstbesuchenden zum einen, die biblischen Texte zum anderen) zusammenbringt und damit die Erfahrung verdichtet.

2.7 Trägheit und Chill

2.7.1 Beschreibung

Das Chill-Hochgefühl ist gewissermaßen das Gegenteil des Intensity-Gefühls, insofern als es dabei nicht um eine „Verdichtung“ der Erfahrung, sondern um eine „'Verdünnung' der Sinneseindrücke“ geht (37).

Wenn die Praxis des Fastens „in einem weiteren Sinn … nichts anderes als dosierte Reduktion von 'Material' [ist], das verarbeitet werden muss“, so ist „ Chilldas 'Fasten von Sinnesempfindungen', die uns zu viel werden. “ (38)

Das Chill-Gefühl folgt dabei zwei Prinzipien:

- Das erste Prinzip ist das der „Entlastungsfunktion“: Wenn man „im Lümmelmöbel einer Lounge“ liegt, entlastet man die Muskulatur; wenn man jedes Jahr „wieder dieselbe Sommerfrische aufsucht, reduziert man in entlastender Weise die Zahl der neuen Situationen, auf die man sich sonst in den Ferien einstellen müsste.“ (38)
- Das zweite Prinzip ist das der „Selbstentspannung“: Damit „Entlastungen der Sinnesempfindungen“ nicht als „langweilig“, sondern als „entspannend wirken“ und „als Chill -Gefühl interpretiert werden, müssen sie mit demonstrativer Selbstentspannung verbunden sein.“ Daher ist das Hochlegen der Beine ein Zeichen dafür, „dass die Situation nicht zum Gähnen ist, sondern entspannt genossen werden soll.“ „ Daher spielt überall, wo Chill in Szene gesetzt wird, das Liegen eine Hauptrolle. “ (38f.)

2.7.2 Psychologie des Chill-Gefühls

Seinen Ursprung hat das Chill-Gefühl in der Tatsache, dass der menschliche Körper neben Aktivität auch Regeneration braucht: Sie

„sichert unser Überleben, der Organismus braucht sie, und so hat die Evolution dafür gesorgt, dass auch die Entspannung mit starken Gefühlen verbunden ist: dem Hochgefühl des Chill.“ (234)

Längst hat man in der Wirtschaft die Relevanz des Chill-Gefühls entdeckt:

„Kaum ein Restaurant ohne Lounge, jeder zweite Messestand wird als Oase im Chaos der Messehallen inszeniert, Hotels werden zunehmend zu Orten, wo man 'runterkommen' kann.“ (234)

In Shopping-Malls findet man bequeme Sitzgelegenheiten, die LED-Beleuchtung wechselt langsam von einer sanften Farbe zur nächsten und über große Bildschirme laufen Video-Clips von Blumenwiesen und hüpfenden Fröschen (232).

Auslösen

Das Chill-Gefühl kann sich dort einstellen, wo es zu einer „Reduktion der Reizintensität“ kommt, etwa wenn im „Palazzo Versace“ in Dubai (236) der

„Strand … mittels Kühlschlangen, die im Sandstrand verlegt sind, abgekühlt [wird], damit man sich im heißen Sand nicht die Füße verbrennt: Kühlung – also verdünnte Temperatur – wird zum Chill-Gefühl.“ (236)

Das bedeutet: „ Das allgemeine Prinzip, das Chill-Gefühle auslöst, ist Verdünnung, das heißt: langsamer, leiser, einfacher, entspannter, kühler. “ (236)

Einfühlen

Der Unterschied zwischen Langeweile und Chill besteht darin, dass wir beim Chill bewusst entscheiden, uns entspannen zu wollen.

„In Chill fühlen wir uns ein, wenn wir die Gelegenheit zur genüsslichen Selbstentspannung bekommen. Der klassische Chill-Glücksverstärker sind die hochgelagerten Beine.“ (237)

Nachwirken

Die Wirkung von Chill besteht in der Entspannung.

„Man atmet aus, der Spiegel des Stresshormons Cortisol sinkt. Je mehr man die Entspannung genüsslich zelebriert, umso eher wirken auch dämpfende Neurotransmitter wie Endovalium, und unsere Muskeln entspannen sich schließlich. “ (237f.)

2.7.3 Dramaturgie des Chill-Gefühls

Das Bett

Das Bett – wie alle Arten von Möbeln, die es uns erlauben, die Beine hochzulegen (wie eine Hängematte, ein Liegestuhl etc.) – ermöglicht maximale Muskelentspannung, und ist damit das zentrale Element der Chill-Inszenierung. (239)

Das Nest

Das Nest ermöglicht es uns, Chill in der geschützten Abgeschiedenheit zu fühlen. „Die Loge im Theater, das Separée im Restaurant und die Cabana beim Baden waren die ersten Nester für das geschützte Chillen.“ (240)

Solche Nester finden wir heute v.a. im Bereich des Transportwesens: So gibt es etwa geschützte Sitz-Liegekabinen in der 1. Klasse vieler Fluglinien oder luxuriöse Stretchlimousinen, in denen man „eher liegt als sitzt, so niedrig sind die Lederbänke.“ (241)

Die Oase

Die Oase schließlich will Chill überall dort ermöglichen, wo wir uns von der Umgebung bedrängt fühlen. „Was dabei als feindlich erscheint, ist eine Sache der Perspektive.“ Viele offene Kirchen erfreuen sich heute großer Beliebtheit, eben weil sie – auch wegen ihrer kühlen Atmosphäre – eine Oase für Chill-Gefühle inmitten einer hektischen Umgebung sind. Könnte man dort die Beine hochlegen, wäre die Inszenierung perfekt. (242f.)

2.7.4 Ein Beispiel aus dem Bereich religiöser und geistiger Strömungen

Der Besuch einer Yoga-Übungsstunde löst bei vielen Menschen u. a. Chill-Gefühle aus, gerade wenn dabei auch Meditationen angeboten werden: Man liegt auf einer weichen Unterlage, die Hektik und der Lärm des Alltags dringen allenfalls gedämpft zu einem durch – die äußeren Reize sind also vermindert, verdünnt. Das Gefühl, in einem Nest oder in einer Oase zu liegen wird zuweilen bewusst inszeniert, etwa indem der Yoga-Lehrer oder die Yoga-Lehrerin mit sanfter Stimme spricht. So bleibt dem Übenden nichts weiter zu tun, als all das geschehen zu lassen und sich dabei zu entspannen. Der Stress wird abgebaut und damit werden auch die Auswirkungen des Stresses auf den Organismus gemildert.

3. Emotionale Analyse von Varianten der Magie des 20./21. Jahrhunderts

Im Folgenden soll plausibel gemacht werden, dass unterschiedliche Formen der Magie des 20. und 21. Jahrhunderts ihre Anziehungskraft u.a. dadurch gewinnen, dass sie menschliche Hochgefühle auszulösen vermögen.

3.1 Glory im Zauberkreis

Das Hochgefühl der Erhabenheit (in seiner zweifachen Ausprägung als Hochmut bzw. Glory-Gefühl) – sowohl in seiner Tempel- als auch in seiner Königsvariante – ist ein zentrales Gefühl in den Ritualen der zeitgenössischen Magie.

Exemplarisch für das Hochmut-Gefühl sei das sogenannte „Kleine Bannende Pentagrammritual“ skizziert, wie es von Frater V. D. alias Ralph Tegtmeier beschrieben wird (36):

„Das Kleine Bannende Pentagrammritual ist eine Art kleinster gemeinsamer Nenner zwischen Magiern fast aller westlichen, hermetisch orientierten Traditionen. […] Es dient verschiedenen Zwecken: zum allgemeinen als Schutz, als Teilritual einer größeren Zeremonie […], zum Ziehen des Schutzkreises, als Übung für Imaginations-, Visualisations-, Konzentrations- und Tranceschulung.

Das Pentagramm ist, kurz gesagt, eine uralte Glyphe, die in der westlichen Tradition für die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Geist (Äther) steht, Steht der Mensch aufrecht mit gespreizten Beinen und seitlich ausgestreckten Armen, bildet er auf natürliche Weise ein Pentagramm.“ (36)

„Das Kleine Bannende Pentagrammritual ist nach einer Viererstruktur […] aufgebaut:

- Kabbalistisches Kreuz
- Schlagen (Ziehen) der Pentagramme und des Kreises
- Anrufung der Erzengel/Visualisation weiterer Glyphen
- Kabbalistisches Kreuz [...]

Das Ritual wird im Stehen durchgeführt, Blickrichtung ist Osten, die Gesten werden mit der rechten oder der linken Hand ausgeführt, die Zugrichtungen bleiben für Rechts- und Linkshänder dieselben. Man kann mit dem magischen Dolch arbeiten oder mit den ausgestreckten Zeige und Mittelfingern, an die der Daumen angelegt wird.“ (38)

Die Anweisungen für das „kabbalistische Kreuz“ (38), das erkennbar auf der christlichen Tradition aufbaut, mit dieser aber inhaltlich nicht viel zu tun hat (s. u.), lauten folgendermaßen:

„Ziehe mit Fingern oder Dolch Energie von oben herab auf die Stirn, berühre diese und vibriere kräftig:

ATEH (= Dein ist);

berühre die Brust und vibriere kräftig:

MALKUTH (= das Reich);

berühre die rechte Schulter und vibriere kräftig:

VE-GEBURAH (= und die Kraft);

berühre die linke Schulter und vibriere kräftig:

VE-GEDULAH (= und die Herrlichkeit);

kreuze die Arme auf der Brust und vibriere kräftig:

LE-OLAM (= in Ewigkeit);

falte die Hände vor der Stirn, ziehe sie herab vor die Brust und vibriere kräftig:

AMEN (= so ist es).“ (38f.)

Während das kabbalistische Kreuz geschlagen wird, soll sich der Magier das Folgende vorstellen:

„Die Zughand zieht einen Strahl aus weißem Licht durch die Krone des Kopfes in den Körper, durch den Solarplexus bis hinab zu den Füßen; dann von der rechten zur linken Schulter, so daß der Körper von einem Lichtkreuz durchstrahlt wird.“ (41)

Frater V. D. erklärt auch, was es mit dem kabbalistischen Kreuz inhaltlich auf sich hat. Dabei wird deutlich, dass der Bezug zum Vaterunser zwar wahrgenommen wird, die Worte aber völlig anders als im christlichen Kontext gedeutet werden:

„Durch seine inhaltliche Aussage ('Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, amen [sic]!') bestärkt es Selbstvertrauen und -sicherheit des Magiers, nimmt ihm die in der Magie so gefährlichen Ängste [in der zugehörigen Fußnote werden „Paranoia“ und „Größenwahn“ als Gefahren und als „eine Art 'umgekippter Angst'“ genannt, Anm. d. Verf.]; es schafft also auf bildlich-assoziativer Ebene jene Gewißheit, die den destruktiven Zweifel am eigenen Willen vertreibt. Denn mit dem 'Dein' ist zunächst der Magier selbst gemeint, getreu dem alten Motto 'Deus est Homo, Homo est Deus' ('Gott ist Mensch, der Mensch ist Gott').“ (44)

Bei der zweiten Sequenz, dem „Schlagen (Ziehen) der Pentagramme“ werden eine Reihe von Gottesnamen („JHVH (Jeh-ho-wah oder: Jod-He-Vau-He)“, „ADNI (Ah-do-nai)“ oder „EHIH (Äe-hi-iäh)“), aus der jüdisch-christlichen Tradition „vibriert“, während in alle Himmelsrichtungen Pentagramme in die Luft gezogen werden. (39)

Auch diese zweite Sequenz wird durch Visualisierungen begleitet:

„Aus der Zughand strömt farbige Energie (weißlich-blau, silbern oder rot) wie aus einem Schreibstift, so daß Pentagramme und Kreis strahlend im inneren Raum stehenbleiben.

Die Gottesnamen sollten so kräftig vibriert werden, daß, wie es in alten Texten heißt, 'die Wände des Tempels erbeben'. Dies ist keine Frage der Lautstärke, der Tempel ist der eigenen Körper, und die Gottesnamen sollten in ihrer jeweiligen Richtung 'bis ans Ende des Universums hallen' und somit alles durchdringen.“ (42)

Auch hierzu folgt eine inhaltliche Interpretation:

„Die in den vier Himmelsrichtungen vibrierten Gottesnamen haben zwar auch zum Teil ihre eigene Bedeutung, doch steht diese hinter ihrer mantrischen, vibratorischen in der Regel stark zurück. […] J-H-V-H (Jehova oder Jahwe) wird herkömmlich als 'ICH BIN DER ICH BIN' übersetzt – die Selbstdefinition des Schöpfergottes der Genesis. Die Tatsache, daß die Gottheit ist, der sie ist, muß der Mensch als Aufforderung verstehen, zu werden, wer er ist. Dies setzt man auch gleich mit dem Erkennen und Leben des eigenen Willens (Thelema), der Herstellung des Kontakts zum und dem Zwiegespräch mit dem Heiligen Schutzengel, der Verwirklichung der eigenen Bestimmung und so weiter.“ (48)

Die angeführten Zitate und Beispiele mögen genügen, um deutlich zu machen: Das Kleine Bannende Pentagrammritual ist darauf ausgelegt, ein Hochgefühl von Erhabenheit zu evozieren – das Tempelgefühl, um genau zu sein. Dabei kommt es aber nicht (wie in religiösen Kontexten) darauf an, eine erhabene Gottheit zu ehren und sich ihr gegenüber zu erniedrigen, sondern es geht darum, sich selbst auf eine Stufe mit der Gottheit zu stellen und damit selbst in den Genuss der Erhöhung zu kommen.

3.2 Joy beim Sommerfest

Auch das Joy-Gefühl, der Freudentaumel, kann durch magische Rituale ausgelöst werden. So beschreibt die Autorin Luisa Francia ein magisches Sommerfest folgendermaßen:

„Der Sommer, die Fülle, die Hitze, die Früchte und Gemüse, die jetzt üppig wachsen – all das kann in einem Ritual der Fülle und der Dankbarkeit geehrt werden. Alles, was später gegessen und getrunken werden soll, kann in der Mitte des Kreises liegen. Bunte Tücher, Schmuck, Bemalung – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, um Freude, Heiterkeit und Fülle auszudrücken. Alle können im Kreis herumtanzen, singen, stampfen und die Nahrung in der Mitte mit wohltuenden Kräften aufladen oder besingen. Der Kreis wird wieder gelöst. Das Essen wird zubereitet.“ (148)

Aus Sicht einer emotionalen Analyse werden hier klassische Auslösereize des Joy-Gefühls gesetzt: Mit Früchten und Gemüse wird Vielfalt, Opulenz und Ordnung inszeniert (denn die Früchte und Gemüse liegen geordnet in der „Mitte des Kreises“). Das aktive Einfühlen in das Joy-Gefühl geschieht durch Tanzen, Singen und Stampfen. Als Reaktion auf die Überfülle an Nahrungsmitteln und Farben und als Reaktion auf die motorischen Verstärkungsgesten wird bei den Teilnehmenden Dopamin ausgelöst, welches sie wach, kreativ und aufgekratzt macht.

Dramaturgisch gesehen haben wir es hierbei mit der Strategie des „Füllhorns“ zu tun, welches ein „Ensemble“ (von Nahrungsmitteln in der Mitte) und eine „symbolische Überfülle“ präsentiert.

Unter dem Einfluss des Dopamins fällt es den Teilnehmenden eines solchen Sommerfestes dann nicht mehr schwer, sich vorzustellen, die Nahrungsmittel mit „wohltuenden Kräften“ (s. o.) aufzuladen.

3.3 Power mit dem Zauberstab

In der magischen Schule von H. E. Douval wird das Hochgefühl der Kraftstärke (Power) in Verbindung mit der Verwendung eines Zauberstabes evoziert. H. E. Douval alias Herbert Döhren schreibt zum Zauberstab:

„[U]rsprünglich [ist] der 'Zauberstab' derjenige gewesen, der die höchste Macht repräsentierte, und weit über die des königlichen Zepters hinausging. In jenen Zeiten nämlich, als der 'Magier' noch der Halbgott seines Volkes war und über den Königen stand.

Heute noch gibt es in dem gottesdienstlichen Ritual des tibetischen Lamaismus einen Gebets-Zepter, 'Dortschen' genannt, der an dieser Stelle ahnen läßt, was er einst war: Zeichen der Würde, der Macht in allen Reichen, nicht nur des irdischen Plans.

In diesem Sinne – im Sinne des Dirigentenstabes, der alle Instrumente zu einem Zusammenklang aufruft und die schöpferische Leitung des Meisters übermittelt – muß der angehende Magier den Zauberstab – will er mit ihm arbeiten, ihn nicht nur 'imaginativ' ersetzten – erfassen.

In dem Augenblick, in dem sich der Experimentator eines geweihten magischen Zepters bedient, gehen die Würde des in allen Reichen Herrschenden, die Macht des über alle Kräfte Gebietenden in ihn über. Schon das Ergreifen des Zepters ist also ein sakraler Akt!

Kraft dieser Autorität gehorchen ihm alle Kräfte in sich, um sich, des Kosmos.“ (49)

Deutlich erkennbar geht es in diesem Textabschnitt um das Power-Hochgefühl: Wer einen „geweihten“ Zauberstab verwendet, gebiete über „alle Kräfte in sich, um sich, des Kosmos“, er habe Zugang zur „ Macht des über alle Kräfte Gebietenden “, also zur Macht der Gottheit selbst. Auch der Hinweis auf das Zepter des Königs und dessen Machtsymbolik fehlt nicht.

Der Umgang mit dem Zauberstab soll also in der magischen Schule von Douval gleichsam zum Ausdruck bringen: „Ich habe Macht.“ Wer den Zauberstab in diesem Sinne verwendet, löst in sich das Hochgefühl Power aus, fühlt sich aktiv darin ein und kommt in den emotionalen Genuss, sich unendlich stark zu fühlen. Gleichzeitig ist dieser emotionale Zustand von allen aggressiven Dimensionen des Zorns (dem Gegenstück zur Power) befreit.

3.4 Bravour durch Glamour

Die beiden Autoren Raven Kaldera und Tannin Schwartzstein erklären in ihrem Buch „Urban Primitive“, wie man durch das raffinierte magische Verfahren des glamours Menschen für sich gewinnt. Dabei „versuchst du, die Wahrnehmung anderer Menschen von dir zu beeinflussen und das ist bekanntermaßen schwierig. […] Im Mittelalter wurde dieses magische Talent als Bann bezeichnet – wie in 'die Feen schlugen einen Bann über jene vertrockneten Blätter und ließen sie wie Goldmünzen erscheinen', und so weiter. Entgegen dem heutigen Gebrauch des Wortes bedeutete Bann/glamour früher, dass etwas verzaubert wurde, um anders (normalerweise besser) zu erscheinen, als es eigentlich war. Es ist die sanfteste und unaufdringlichste Stufe der formverändernden Magie: die Fähigkeit, eine Illusion von sich selbst zu kreieren. Das Verzaubern von Kleidung und Accessoires ist eine altehrwürdige Art dies zu tun, mit gutem Grund. […]

Nachdem nun die Kleidung ausgewählt wurde, kannst du das Nötige tun, um sie zu einem Zaubermittel zu machen. Du kannst sie für eine Weile auf deinem Altar ausbreiten oder darüberhängen. Du kannst sie beräuchern, vorausgesetzt der Geruch stellt kein Problem für deine Zwecke dar. Du kannst ein Symbol auf einen inneren Saum sticken oder einen Kristall oder kleinen Stein einnähen. Bei einem T-Shirt oder Kleid kannst du etwas auf das Etikett am Nacken nähen oder malen. […]

Wie ich bereits erwähnte, ist glamour die sanfteste Art der formverändernden Magie. Es verwandelt dich nicht wirklich in großem Maße, es legt lediglich eine Maske über dein Gesicht. Wenn du jedoch eine magische Maske zu lange trägst, kann sie an dir haften bleiben. Es ist ein langwieriger Vorgang und kann sich einschleichen, bevor du es bemerkst. An einem Tag ist es nur eine Maske und die Kleidung nur ein Werkzeug, am nächsten Tag bist du es und du kannst es nicht ertragen, dieses Teil aus Stoff, Leder oder Schmuck zu verlieren. Die formverändernde Magie ist tiefer eingedrungen und hat deine ursprüngliche Form verändert. Falls du das vorhattest, großartig; falls nicht, ist ein Ritual zur Befreiung von deinem eigenen Zauber vonnöten.“ (119ff.)

In der zitierten Passage wollen die Autoren deutlich machen, dass man bei der Anwendung magischer Verfahren raffiniert vorgehen muss. Wer dieser Anleitung folgt, kann dementsprechend das Hochgefühl Bravour erleben, kann also in dem Gefühl schwelgen, sich durch die gewiefte Nutzung einer magischen Technik besondere Möglichkeiten im Leben zu eröffnen.

Umgekehrt ermöglicht die Weitergabe solch gewiefter magischer Techniken – im vorliegenden Fall in einem Buch, aber v. a. auch auf einschlägigen Internet-Seiten – bei den jeweiligen Autoren eine Verstärkung des Bravour-Gefühls, die es erlaubt, sich selbst in der Rolle des Meisters oder Mentors wahrzunehmen.

3.5 Desire und Magie

Die Begierde, der sehnliche Wunsch also, etwas zu sein, was man nicht ist bzw. etwas zu haben, was man nicht hat, ist die zentrale Motivation jeder praktischen Beschäftigung mit der Magie. Ursache dafür ist die ungleiche Verteilung von materiellen und immateriellen Gütern in unserer Alltagswelt, und aufgrund der psychologischen und dramaturgischen Mechanismen der Konsumwelt ist es für die meisten Menschen ein Leichtes, sich in das Desire-Gefühl einzufühlen und von den emotionalen Auswirkungen des Gefühls zu profitieren.

Natürlich weiß man auch in der magischen Theoriebildung um die zentrale Bedeutsamkeit des Desire-Gefühls. Daher wird das Erwünschte oft imaginiert, symbolisiert, modelliert und in Rituale eingebunden. Es wird auf diese Weise „geschmückt“ (um einen Begriff von Mikunda zu gebrauchen, s. o.), zugleich wird unsere media literacy angesprochen. Das Ergebnis besteht darin, dass die Begierde „angeheizt“ wird („arouse“). Dabei kann das Desire-Gefühl selbst viel lohnender sein als der eigentliche Moment, in dem man das Gewünschte tatsächlich erhält.

Als Beispiel für den Zusammenhang von Desire und Arousal sei ein Geldzauber-Ritual aus Scott Conninghams „Handbuch der Natur- und Elementarmagie - Gesamtausgabe“ zitiert:

„Such dir einen Stein, der fast quadratisch in seiner Form ist. Lade eine grüne Kerze mit Geld-anziehenden Energien auf, stelle sie in einen Kerzenhalter und entzünde sie. Jetzt male beim Schein der Kerze ein Symbol für Geld […] auf den Stein.

Während du malst, visualisiere, wie der Stein dir Geld bringt. Sieh dich selbst, wie du Rechnungen bezahlst, ein Auto kaufst – sieh dich vor deinem inneren Auge, wie du bereits das Geld, das du brauchst, in den Händen hältst.

Lasse den Stein sieben Minuten lang im Licht der grünen Kerze liegen. Dann lösche die Flamme. In den folgenden Tagen lasse die Kerze jeden Tag sieben Minuten lang brennen, bis das Geld in dein Haus flattert.“ (123)

Deutlich erkennbar wird hier der Wunsch, zu Geld zu kommen, imaginiert, symbolisiert und in ein Ritual eingebunden, wodurch die Begierde „angeheizt“ wird.

3.6 Intensity mit Symbolen

Das Gefühl von Intensity entsteht durch die Verdichtung des Erlebens – womöglich gar bis hin zur Verzückung. In der sogenannten Sigillenmagie, die von Austin Osman Spare erfunden wurde, wird dieses Gefühl in herausragender Weise eingesetzt.

Frater V.D. alias Ralph Tegtmeier beschreibt die Grundsätze der Sigillenmagie folgendermaßen:

„Sie wissen, daß zwischen Bewußtsein und Unbewußtem der Zensor steht, jene Instanz, die uns allzuoft mit pseudorationalen Zweifeln und Einwänden das Leben als Magier schwermacht. Dieser Zensor läßt sich durch die Trance ganz oder zumindest teilweise umgehen. Im Unbewußten liegt die magische Kraft. Gelingt es uns, Befehle oder Willenssätze des Bewußtseins am Zensor vorbei ins Unbewußte zu 'schmuggeln', so ermöglicht dies erfahrungsgemäß im Rahmen seiner (freilich äußerst mächtigen) Kraft, das gewünschte Ergebnis herbeizuführen.

Der Wunsch, etwas Bestimmtes zu bekommen, gebiert nach dem Gesetz von actio et reactio automatisch sein Gegenteil, nämlich den Wunsch nach Mißerfolg. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß uns dieser Gegenwunsch meist nicht bewußt wird. Unsere Psyche hat gelernt, ihn äußerst geschickt in manche Verkleidung zu stecken: Zweifel, Ängste, moralische oder religiöse Bedenken, Unsicherheit – ja sogar die blanke Furcht vor dem Erfolg, die freilich nur selten eingestanden wird, sind die Inkarnationen dieser Anti-Energie. […]

Wer nicht stark genug ist, um sich einem Gegner im offenen Kampf stellen zu können, muß statt dessen mit List und Tarnung arbeiten. Wir ziehen daraus die Konsequenz und tarnen unsere Wünsche und Willenssätze, damit der 'Palastwächter' namens Zensor sie ungehindert zur Waffenkammer im Inneren der Seele vorläßt. Dies geschieht am besten, indem wir ihnen eine 'harmlos' wirkende Verkleidung verleihen, die ihre wahren Absichten verschleiert, beispielsweise durch jene abstrakten Bilder und Glyphen (Zeichen), die wir SIGILLEN nennen. [...]

Sie werden somit zu einem integralen Bestandteil des Organismus, der seinerseits mit aller Macht und Kraft seiner Zellen darauf hinarbeitet, sie in Ereignisse umzusetzen.“ (58ff.)

Praktisch besteht der erste Schritt der Sigillenmagie darin, einen Willenssatz oder einen Wunsch zu formulieren und ihn in Großbuchstaben auf Papier zu schreiben.

„Nun werden sämtliche mehrfach vorkommenden Buchstaben ab ihrem zweiten Auftreten durchgestrichen, sie bleiben also nur einmal stehen […] Aus diesem Buchstabenmaterial machen wir nun eine Sigil [d. h. ein magisches Symbol, Anm. d. Verf., das ...] keine erkennbare Bedeutung hat. [...] [Durch diesen Prozess der Kodierung, Anm. d. Verf.] wird der Inhalt des magischen Willenssatzes unerkannt am psychischen Zensor vorbeigeschmuggelt, der folglich auch keine Sperr- und Blockademechanismen auslöst, so daß das Unbewußte ungehindert ans Werk gehen kann.“ (66ff.)

Der nächste Schritt besteht darin, die Sigil ins Unbewusste zu „laden“. Während dazu in der Tradition von Austin Osman Spare z. B. die Luft solange angehalten wird, bis fast die Ohnmacht eintritt, während man im letzen Augenblick die Augen aufreißt, nach Luft schnappt und dabei die Sigill anstarrt, wird mittlerweile von nicht wenigen Magiern eine andere Variante dieses Ladevorgangs bevorzugt, die einen eindeutigen Bezug zum Gefühl der Verzückung hat: Auf der Internet-Seite vom „Esoterikforum“ beschreibt etwa „Istariotep“ am 12.8.2010, wie die Masturbation in der Sigillenmagie eingesetzt wird:

„[D]a gehts [sic] sehr wohl um Lust udn [sic] Orgasmus als Weg zum Ziel weil sich die Sigille - wenn du sie beim kommen [sic] ansiehst bis der Orgasmus vorbei ist und sie dann verbrennst - traumatisch ins Unterbewusstsein einbrennt das ist das Ziel der Sigillenmagie und Masturbation der schnellste weg [sic] dafür. Theoretisch könntest du dich auch fast ertränken und beim Luft holen die Sigille ansehen oder ähndliches [sic] aber Masturbation ist recht harmlos und doch wirksam“.

3.7 Chill beim Wahrsagen

Schließlich kann auch das Chill-Hochgefühl, die Entspannung, bei magischen Verfahren ausgelöst werden. Scott Cunningham beschreibt eine Technik des Wahrsagens (engl. „scrying“), bei der der Blick auf die Sterne gerichtet wird, folgendermaßen:

Sternen-Scrying

Setze dich unter freien Himmel.

Schließe deine Augen.

Atme tief ein und aus.

Entspanne dich. Beruhige deinen ewig fragenden Geist.

Öffne deine Augen.

Schwinge dich ein auf deinen Kraftstern.

Jetzt richte dein Bewusstsein auf alle Sterne über dir. Lasse deinen Blick ganz locker von einem Sternenfeld zum nächsten wandern. Spüre ähnliche Konstellationen auf, halte dich aber nicht an ihnen auf – suche einen Teil des Himmels, der dir noch nicht vertraut ist.

Stelle ganz behutsam deine Frage.

Blicke in die Sterne wie ein Wahrsager in die Kristallkugel. Dort liegt ein Muster im Verborgenen. In diesem Muster – welches du allein nur finden kannst – steckt die Antwort auf deine Frage. Vielleicht scheint ja eine Konstellation ganz besonders hell und zieht deinen Blick magisch an.

Wenn du sie gefunden hast, schau sie dir genau an. Bilden die Sterne eine erkennbare Form? Einen Fisch, eine Schale, ein Viereck? Wenn ja, dann überlege, was diese Form für dich bedeutet. Enthülle die Antwort, die dein seelisches Bewusstsein dir mitteilen möchte – durch die Sterne.“ (175f.)

Deutlich erkennbar soll hier das Gefühl der Entspannung ausgelöst werden. Das Einfühlen geschieht, indem der Wahrsagende sich in einem reizreduzierten Kontext (i. e. nachts, während es in der Regel auch leiser und kühler ist) aktiv dafür entscheidet, sich entspannen zu wollen. Als Reaktion auf Auslösereiz und Verstärkungsverhalten sinkt beim Wahrsagenden der Spiegel des Stresshormons Cortisol, während Neurotransmitter wie Endovalium die Muskeln entspannen.

Aus dramaturgischer Sicht handelt es sich hierbei um die Strategie des „Nests“, durch die es möglich wird, Chill in der geschützten Abgeschiedenheit zu fühlen.

Diese Stimmung ist hervorragend dazu geeignet, sich für innere Deutungen zu öffnen, die angesichts des Sternenhimmels im Wahrsagenden ausgelöst werden. Aus psychologischer Sicht kann diese Form der Wahrsagerei als projektives Verfahren verstanden werden (ähnlich dem Rorschach-Test). Emotional gesehen ermöglicht sie eine tiefe Form der Entspannung und damit ein Hochgefühl.

3.8 Fazit

Die genannten Beispiele mögen genügen, um die Plausibilität der These zu stützen, dass verschiedene Formen der Magie im 20. und 21. Jahrhunderts ihren Erfolg u.a. der Tatsache verdanken, dass sie menschliche Hochgefühle auszulösen vermögen.

Zuweilen werden dabei positive und heilsame, zuweilen negative Hochgefühle evoziert und genutzt. Negative Hochgefühle aus Sicht der emotionalen Analyse lägen dann vor, wenn:

- magische Verfahren die Vorstellung eines Menschen begünstigten, besser als andere zu sein; dann evozierten sie das Gefühl des Hochmuts;
- magische Verfahren durch schädliche Drogen verstärkt würden; dann hätten wir es mit dem Gefühl und dem Verhalten der Völlerei zu tun;
- magische Verfahren beim Anwendenden Allmachtsphantasien weckten; dann handelte es sich um Verfahren, die zum Zorn führen könnten;
- magische Verfahren darauf beruhten, sich mit anderen zu vergleichen und anderen ihr Glück zu missgönnen; dann basierten sie auf dem Gefühl des Neides;
- magische Verfahren angewandt würden, um immer mehr Macht und Reichtum zu erlangen; dann würden sie auf das Gefühl der Gier zurückgreifen;
- magische Verfahren genutzt würden, um sexuelle Anziehung zu etablieren oder zu verstärken; dann handelte es sich letztlich um Formen der Wollust;
- magische Verfahren schnell und einfach bewirken sollen, was dem Praktizierenden selbst zu mühsam und anstrengend ist; dann läge Trägheit vor.

4. Schluss

Das Instrument der emotionalen Analyse basiert auf der Erkenntnis, dass Menschen wesentlich von Gefühlen geleitet werden. In diesem Aufsatz sollte plausibel gemacht werden, dass magische Varianten des 20./21. Jahrhunderts ihren Erfolg unter anderem der Tatsache verdanken dürften, dass sie menschliche Hochgefühle zu evozieren vermögen.

Sehr bewusst wurde in diesem Aufsatz auf eine theologische Stellungnahme zu den dargestellten magischen Formen verzichtet, um die Aufmerksamkeit gezielt auf das Instrumentarium der emotionalen Analyse zu lenken.

Vielleicht wird sich in Zukunft noch weiter zeigen, dass und wie die Analyse von Gefühlen dabei helfen kann, den Erfolg religiöser und geistiger Strömungen zu erklären.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Gefühle und Magie
Untertitel
Das Konzept der „Emotionalen Analyse“ und seine Anwendung in der Weltanschauungsarbeit am Beispiel verschiedener Formen der Magie des 20./21. Jahrhunderts
Hochschule
Augustana-Hochschule Neuendettelsau
Autor
Jahr
2014
Seiten
38
Katalognummer
V283049
ISBN (eBook)
9783656824848
ISBN (Buch)
9783656824831
Dateigröße
789 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gefühle, magie, konzept, emotionalen, analyse, anwendung, weltanschauungsarbeit, beispiel, formen, jahrhunderts
Arbeit zitieren
Haringke Fugmann (Autor:in), 2014, Gefühle und Magie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283049

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