Obwohl die Märchen der Gebrüder Grimm bereits Anfang des 19. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, ist die Faszination, die von ihnen ausgeht, scheinbar immer noch ungebrochen. Bereits zur Stummfilmzeit gab es erste Märchenverfilmungen, so zum Beispiel um 1908 Schneewittchen, Rapunzel und Hänsel und Gretel (Vgl. Schlesinger 2010), auch wenn deren Aufführung zuerst noch den Erwachsenen vorbehalten war. Ursprünglich waren Märchen nicht für Kinder gedacht, da sie oft Grausamkeiten enthielten. So werden Kinder im Wald ausgesetzt oder zerreißt sich Rumpelstilzchen selbst entzwei (Vgl. Freund 2003 S.16). Nachdem sich aber die Erwachsenen vermehrt anderen Themen zuwandten, werden ab 1928 viele Märchenfilme produziert, „die sich erstmals an ein Kinderpublikum richten“ (Schlesinger 2010). Die Weiterentwicklung der literarischen Vorlage zum Märchenfilm sorgte für eine weitere Streuung des Stoffes. Viele Kinder sind mit Märchen aufgewachsen – egal, ob mit den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm oder den Disney-Verfilmungen. Auch heutzutage sind Märchenstoffe offensichtlich noch sehr beliebt, denn immer häufiger werden die alten Vorlagen wieder ausgegraben: Vor allem amerikanische Produzenten bedienen sich in den letzten Jahren wieder an den Grimm’schen Märchen und probieren sich in allen Genres aus. Dabei ist keinesfalls nur von der in dieser Arbeit relevanten Serie Once Upon A Time die Rede. Auch Kinofilme handeln mittlerweile regelmäßig vom Märchenland. So zum Beispiel Snow White and the Huntsmen aus dem Jahre 2011 oder Maleficent, der im nächsten Jahr erscheinen soll und der sich am Märchen Dornröschen orientiert (Vgl. IMDb 2013).
Doch warum sind diese Märchenstoffe immer noch so interessant und begeistern heute noch Millionen Menschen? Oder, genauer gefragt: Wie können Märchen und ihre charakteristischen Eigenschaften, die sich über Jahrzehnte hinweg in der Gesellschaft festgesetzt haben, modernisiert und dabei immer noch als solche erkannt und akzeptiert werden? [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Hintergründe
2.1.Zur Gattung des Märchens
2.1.1..Prototypische Märchenfiguren
2.1.2..Schemata in Märchen
2.2.Zum Märchen Schneewittchen
2.2.1..Das Märchen
2.2.2..Prototypische Märchenfiguren und Schemata in Schneewittchen
2.3.Moderne TV-Serien
2.3.1..Gestalterische Mittel moderner TV-Serien
2.3.2..Moderne Dramaturgie
2.3.3..Moderne Serienfiguren
2.3.4..Veränderte Rezeption
3 Once Upon A Time
3.1. Inhaltsangabe
3.2.Figuren in Once Upon A Time.
3.2.1..Mary Margaret Blanchard
3.2.2..Emma Swan
3.2.3..Regina Mills
3.2.4..Henry Mills
4 Analyse
4.1.Analyse Episode 1: „Das verlorene Happy End“
4.2.Analyse Episode 2: „Das was du am meisten liebst“
4.3.Analyse Episode 3: „Der Fall Snow White“
4.4.Prototypische Märchenfiguren und Schemata in Once Upon A Time
4.5.Ergebnisse der Analysen
4.6.Aktuelle Verfilmungen von Märchen
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
7... Medienverzeichnis
8 Anhang
1 Einleitung
Obwohl die Märchen der Gebrüder Grimm bereits Anfang des 19. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, ist die Faszination, die von ihnen ausgeht, scheinbar immer noch ungebrochen. Be- reits zur Stummfilmzeit gab es erste Märchenverfilmungen, so zum Beispiel um 1908 Schneewittchen, Rapunzel und Hänsel und Gretel (Vgl. Schlesinger 2010), auch wenn deren Aufführung zuerst noch den Erwachsenen vorbehalten war. Ursprünglich waren Märchen nicht für Kinder gedacht, da sie oft Grausamkeiten enthielten. So werden Kinder im Wald ausgesetzt oder zerreißt sich Rumpelstilzchen selbst entzwei (Vgl. Freund 2003 S.16). Nach- dem sich aber die Erwachsenen vermehrt anderen Themen zuwandten, werden ab 1928 viele Märchenfilme produziert, „die sich erstmals an ein Kinderpublikum richten“ (Schlesinger 2010). Die Weiterentwicklung der literarischen Vorlage zum Märchenfilm sorgte für eine weitere Streuung des Stoffes. Viele Kinder sind mit Märchen aufgewachsen - egal, ob mit den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm oder den Disney-Verfilmungen. Auch heutzutage sind Märchenstoffe offensichtlich noch sehr beliebt, denn immer häufiger werden die alten Vorlagen wieder ausgegraben: Vor allem amerikanische Produzenten bedienen sich in den letzten Jahren wieder an den Grimm’schen Märchen und probieren sich in allen Genres aus. Dabei ist keinesfalls nur von der in dieser Arbeit relevanten Serie Once Upon A Time die Rede. Auch Kinofilme handeln mittlerweile regelmäßig vom Märchenland. So zum Beispiel Snow White and the Huntsmen aus dem Jahre 2011 oder Maleficent, der im nächsten Jahr er- scheinen soll und der sich am Märchen Dornr ö schen orientiert (Vgl. IMDb 2013). Doch warum sind diese Märchenstoffe immer noch so interessant und begeistern heute noch Millionen Menschen? Oder, genauer gefragt: Wie können Märchen und ihre cha- rakteristischen Eigenschaften, die sich über Jahrzehnte hinweg in der Gesellschaft festgesetzt haben, modernisiert und dabei immer noch als solche erkannt und akzeptiert werden? Im Fo- kus der Betrachtungen stehen dabei prototypische Märchenfiguren und Schemata, die auch heute noch Verwendung finden - allerdings in abgewandelten Formen, wie sich aus der Ana- lyse ergeben sollte.
Sicher ist es schwierig, die Märchen der Gebrüder Grimm aus dem 19. Jahrhundert mit ihren modernen Pendants zu vergleichen, da es sich zumeist um zwei verschiedene Medien handelt: Print und Audiovision. Darüber hinaus haben sich Zeit und Raum verändert1 und die Rezeption ist ebenfalls nicht die gleiche geblieben.
Auf eine ausführliche Betrachtung der veränderten Sehgewohnheiten wird in dieser Arbeit allerdings verzichtet, wenngleich sie in diesem Zusammenhang sicherlich nicht vollständig ausgeklammert werden kann.
Als Untersuchungsgegenstand dient die bereits erwähnte US-amerikanische TV- Serie Once Upon A Time, anhand derer herausgearbeitet werden soll, wie eine Modernisie- rung von Märchentexten funktionieren kann. Dazu muss zu Beginn dieser Arbeit erläutert werden, was Märchen ausmacht; was Menschen auch heute noch dazu bringt, sich für Mär- chen zu interessieren. Dass Märchen ursprünglich nicht für Kinder gedacht waren, zeigt sich in der ersten Auflage der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1812, die stark von den nachfolgenden Sammelwerken abweicht. Die Gründe dafür sollen in diesem Abschnitt genauer beleuchtet werden. Weiterhin werden prototypische Märchenfiguren und Schemata herausgearbeitet, die für die spätere Analyse relevant sind. Dabei werden charakte- ristische Eigenschaften der Figuren und vertraute Abläufe sowohl allgemein für Märchen als auch speziell für das Märchen Schneewittchen betrachtet, da dieses die Rahmengeschichte der Serie Once Upon A Time bildet.
Da es sich bei Once Upon A Time um eine moderne, sogenannte ‚Quality TVSeries2 ‘ handelt, soll im folgenden Kapitel eine Definition des Begriffes gegeben werden. Dabei gilt es vor allem herauszuarbeiten, was moderne Serien, insbesondere die US- amerikanischen, ausmacht. Gestalterische Mittel, wie Flashbacks oder Spezialeffekte sollen ebenso angesprochen werden, wie Aspekte der modernen Dramaturgie und Figurenentwicklung. Dem Erfolg solcher Serien liegt sicherlich gleichsam eine gewisse Veränderung in der Rezeption zu Grunde, die Eschke (2010) an einer erhöhten Schnittfrequenz festmacht3. Dieser Aspekt soll abschließend unter Kapitel 2.2.4 untersucht werden.
Zum besseren Verständnis der Analyse ist es zwingend notwendig, den Untersu- chungsgegenstand zu kennen. Aus diesem Grund widmet sich Kapitel 3 der Serie Once Upon A Time, die ein gutes Beispiel sowohl für Quality-TV als auch für Märchen darstellt. Ihre Ent- stehung fällt mit einer zweiten Serienproduktion mit Märchenthematik zusammen (Grimm), jedoch schnitt Once Upon A Time laut Einschaltquoten in Amerika und Deutschland deutlich besser ab, als ihr Kontrahent. Da die Geschichte von dieser Serie recht kompliziert ist, gibt dieses Kapitel durch eine Inhalts- und Figurenbeschreibung einen kurzen Überblick.
Nach diesen theoretischen Grundlagen folgt die Analyse der Serie, welcher die ersten drei Folgen zu Grunde liegen. Diese werden einzeln betrachtet und auf gestalterische und dramaturgische Mittel von Quality-TV-Serien untersucht. Weiterhin werden prototypische Märchenfiguren und Schemata herausgearbeitet und auf ihre Veränderungen im Vergleich zu den in Kapitel 2 festgestellten untersucht. Ebenso sollen aktuelle Verfilmungen des Märchenstoffes eine Rolle spielen, denn „[w]enn ein Remake eine literarische Vorlage transponiert, ruft es immer auch weitere Filme zum selben Thema in Erinnerung“ (Dusi 2011, S.362). Diese Betrachtung soll sich auf Grund der Vielzahl an Märchenfilmen, die in den letzten Jahren produziert wurden, auf die für diese Arbeit relevantesten4 begrenzen.
Ziel der Analyse soll sein, Weiterentwicklungen auszumachen und begründen zu können. Einige Aspekte lassen sich sicherlich, wie bereits angesprochen, auf eine veränderte Rezeption und den Medienwechsel von Print zu Audiovisuell zurückführen. Im Fazit werden die gesammelten Informationen noch einmal zusammengefasst. Eine mögliche Schlussfolge- rung wäre, dass prototypische Märchenfiguren und Schemata modernisiert werden können ohne an Faszination zu verlieren. Weiterhin sollte aus dieser Analyse hervorgehen, dass eine Transformation alter literarischer Texte in das audiovisuelle Medium von heute durchaus funktionieren kann.
2 Theoretische Hintergründe
Bis heute ist die genaue Herkunft von Märchen, ebenso wie ihre Verbreitung, trotz vieler For- schungen ungeklärt. Wie und warum Märchen überhaupt entstanden, konnte ebenso noch nicht abschließend geklärt werden. Vor allem bei den Volksmärchen, zu denen auch die ge- sammelten Werke der Gebrüder Grimm zählen, lässt sich definitionsgemäß kein einzelner Verfasser ausmachen. Über Jahre hinweg wurden diese Geschichten weitergegeben, wobei sicherlich einige verloren gingen und viele verändert wurden. Auch die Grimm’schen Mär- chen wie wir sie heute kennen wurden im Laufe der Zeit verändert, sodass sich selbst ihre eigenen Veröffentlichungen von Mal zu Mal unterscheiden. Basierend auf Erzählungen sam- melten die Gebrüder Grimm die Märchen über einen längeren Zeitraum, passten diese aller- dings jeweils an.
„Es ist deutlich: Die Brüder Grimm haben die Märchen nicht genau so wiedererzählt, wie sie sie gehört haben. Sie haben sie im Gegenteil sorgfältig zubereitet, sie haben vereinfacht oder ausgeschmückt, wie es ihrem poetischen Sinn und auch ihrem pädagogischen Bewußtsein [sic!] entsprach. Nicht selten kombinierten sie mehrere Varianten ein und desselben Märchens, sie wählten aus jeder Erzählung das aus, was ihnen am schönsten schien.“ (Lüthi 1983, S.12)
Vor allem Wilhelm Grimm veränderte einige Elemente „indem er Anstößiges ausmerzte und im Sinne bürgerlichen Wohlverhaltens moralisierte, so dass die Märchen besser in die bürger- lichen Kinderstuben, dem hauptsächlichen Lesekreis, passten.“ (Freund 2003, S.16) Darüber hinaus fügten die Brüder christliche Werte ein, wodurch die Märchen schon bald zur beliebten Kinderlektüre wurden.
Märchen weisen eine Vielzahl von Merkmalen auf, die allgemein bekannt sind - dazu zählt zum Beispiel das Vorkommen bestimmter stereotyper Figuren, wie des Prinzen oder der Hexe. Auch die Zauberhaftigkeit der Märchen, die beispielsweise durch das Auftre- ten übernatürlicher Helfer ausgedrückt wird, ist ein bekanntes Element. Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Gattung des Märchens und dessen grundlegenden Eigenschaften. Zu diesen zählen die bereits erwähnten stereotypen Märchenfiguren ebenso wie Schemata, die in den Mittelpunkt der folgenden Kapitel gestellt werden sollen. Abschließend wird das Mär- chen Schneewittchen vorgestellt und auf eben diese Eigenschaften untersucht. Quality-TV-Serien, die sich „heute zur dominanten Form der fiktionalen US- Fernsehproduktion entwickelt haben“ (Blanchet 2011, S.44), zeichnen sich durch ihre dem Kino ähnliche Ästhetik aus. Da laut Blanchet Qualitätsserien darum bemüht sind, sich von bereits existierenden Normen im Fernsehen abzuheben, weisen sie besondere gestalterische und dramaturgische Mittel auf, die es zu diskutieren gilt. Once Upon A Time kann allein aus diesen Gründen als Quality-TV-Serie bezeichnet werden, weshalb es lohnt, die Eigenschaften solcher Serien genauer zu betrachten. Analog zu den im Märchen festgestellten Prototypen sollen auch die modernen Serienfiguren in einem Abschnitt definiert werden. Um das Kapitel abzuschließen, findet sich noch eine kurze Betrachtung der veränderten Rezeption, die mit dem Erfolg der Quality-TV-Series verbunden beziehungsweise für diesen (mit)verantwortlich ist.
2.1 Zur Gattung des Märchens
Ursprünglich stammt das Wort Märchen vom mittelhochdeutschen mᴂre ab und bedeutet Nachricht, Erzählung oder Kunde. Obwohl Märchen „heute nicht mehr wie früher von Mund zu Mund übertragen“ (Lüthi 1983, S.4) werden, sind sie doch immer noch weit bekannt. Im Mittelalter war die Märe eine „Nachricht von überragenden Menschen und außergewöhnlichen Leistungen, von Handlungen und Ereignissen, die die Grenzen des Alltags weit überschreiten und in eine Welt führen, die der Leser nur mit grenzenlosem Staunen und geheimer Bewunderung betritt.“ (Freund 2003, S.10)
Prinzipiell lassen sich Märchen in zwei Hauptgruppen einteilen: die Volksmärchen und die Kunstmärchen. Wie bereits erwähnt, bleibt der Autor eines Volksmärchens unbekannt - wie könnte man denn einen einzelnen Verfasser ausmachen, ist ein solches Märchen streng ge- nommen durch die Mitarbeit vieler Menschen über Jahre hinweg entstanden. Das Kunstmär- chen hingegen ist „stets mit dem Namen seines Autors verbunden“ (Freund 2003, S.18). Der Schwerpunkt dieser Betrachtungen liegt auf den Volksmärchen, weil die Kinder- und Haus- märchen der Gebrüder Grimm, darunter auch das später betrachtete Schneewittchen, zu eben jenen zu zählen sind. Diese Märchen lassen sich weiterhin noch in die drei Kategorien Tier- märchen, Schwank und eigentliche Märchen unterteilen. Letztgenannte wird als die wichtigste Kategorie angesehen und kann in weitere Untergruppen eingeteilt werden: Zauber- und Wundermärchen, legendenartige Märchen, novellenartige Märchen und Märchen von dummen Teufeln und Riesen (Vgl. Freund 2003 S.12). Besonders an Volksmärchen sind „die einfachen, nicht komplexen Strukturen, der leicht verständliche, bildhaft anschauliche Stil, die Perspektive der Zu-kurz-Gekommenen und Glücklosen, die nach Erfolg und Glück streben, und schließlich die Glücksfiktion selbst.“ (Freund 2003, S.13)
Die einfachen Strukturen des Märchens drücken sich zusätzlich in seiner Formel- haftigkeit aus. „Es war einmal…“ ist keinesfalls eine Formel zur Betonung der Vergangenheit des Erzählten, vielmehr soll es darauf hindeuten, dass das, was einmal war, immer die Ten- denz hat, wiederzukommen (Vgl. Lüthi 1983, S.31). So verweist auch die Schlussformel „und wenn sie nicht gestorben sind“ auf den Wunsch nach dem anhaltenden Glück (Vgl. Freund 2003, S.59). Ausdrücke wie „in einem fernen Land“ oder „vor langer Zeit“ zeugen davon, dass weder Raum noch Zeit im Volksmärchen definiert wird - denn „es verliert sich nicht in der Darstellung der Schauplätze und der Träger des Geschehens.“ (Lüthi 1983, S.33) Der Fokus im Märchen liegt auf dem Besonderen, nicht alltäglichen und Unwirklichen - alles, was wir uns im Leben wünschen, kann zumindest im Märchen wirklich werden: „Nicht nur in dem Sinne, daß [sic!] Wunder aller Art geschehen […]“ (Lüthi 1983, S.106).
„Es gibt Zauberringe, mit denen man sich alles wünschen kann. Es gibt Pferde, die schneller reiten als der Wind. Es gibt Zauberschlüssel, die alle Türen öffnen. Es gibt ein Tischlein, das köstliche Speisen hervorzaubert, und einen Esel, der Dukaten produziert, und vieles andere mehr. Im Märchen hat jeder eine Chance. Das kleine Schneiderlein wird König, und das arme Mädchen wird Königin. Märchen sind eine Gegenwelt zur Alltagswelt.“ (Bittlinger 1994, S.14)
Eine Figuren- bzw. Charakterentwicklung findet im Märchen nicht im eigentlichen Sinne statt, im Mittelpunkt steht nicht der Held an sich, sondern die Lösung des Problems, vor das er gestellt wird. Die Märchenhelden werden nicht als Individualitäten oder Charaktertypen bezeichnet, sie sind „bloße Figuren und können eben deshalb das Verschiedenste bedeuten“ (Lüthi 1983, S.95). Es ist nicht relevant, „was Figuren denken oder fühlen und wenn sie han- deln, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder tun sie das Richtige oder das Falsche“ (Rothaug 2012). Hilfe kommt dabei häufig von der übernatürlichen Seite - Feen, Zwerge und verzauberte Tiere helfen dem Helden, seine Unternehmungen erfolgreich abzuschließen. Da- bei nimmt er die Hilfe dieser Helfer entgegen „als ob sie selbstverständlich wären“ und wird „durch Wunder und Zauber nicht zum Erstaunen gebracht“ (Lüthi 1983, S. 29). Auch, dass bei Rumpelstilzchens Zerreißen kein Blut fließt, wundert weder Held noch Leser. Viele Grau- samkeiten strichen die Gebrüder Grimm, zumindest einige von ihnen sind übrig geblieben, weil es falsch wäre, unsere Märchen für die Kinder von allen Grausamkeiten und allen Schreckfiguren zu reinigen“ (Lüthi 1983, S.84). Immerhin dienen solche Darstellungen gleichfalls als ‚Moral von der Geschicht‘, lernt man von Hänsel und Gretel, keine Süßigkeiten von Fremden zu nehmen.
„Im Märchen sehen wir kein Blut fließen, keine Wunde entstehen, wenn ein erfolgloser Rätsellöser oder ein helfendes Tier geköpft, wenn eine böse Königin von vier Pferden auseinander gerissen wird.“ (Lüthi 1983, S.57)
Sämtliche Eigenschaften von Märchen lassen sich auf die frühere Oralität zurückführen, da klare und wiederholende Elemente sich als günstig zur Weitergabe erwiesen. Der eigentliche Märchenstil ist kurz und bündig und bevorzugt „nicht breite Schilderungen, sondern fortschreitende Handlung“ (Lüthi 1983, S.11).
Aus der Analyse dieser Arbeit sollte hervorgehen, dass trotz der Aussage Lüthis, die mündliche Überlieferung sei „im Zeitalter der Zeitung und Zeitschrift, des Rundspruchs und des Fernsehens, nicht nur gestört, sondern so gut wie zerstört“ (Lüthi 1983, S.54), zumindest die Weitergabe von Märchen mit Hilfe anderer Medien weiterhin Bestand hat.
2.1.1 Prototypische Märchenfiguren
In den bisherigen Abhandlungen wurden bereits die ersten Prototypen, die in Märchen zur Anwendung kommen, zur Sprache gebracht. Viele Figuren können zu „Leitbildern und Orien- tierungshilfen in den verschiedenen Situationen unseres Lebens werden“ (Bittlinger 1994, S.11), weil sie keine Einzelschicksale darstellen (Vgl. Lüthi 1983) und sich die Menschen einfacher mit ihnen identifizieren können. Meist zeichnen den Helden positive Eigenschaften aus, wie zum Beispiel Frömmigkeit oder Mut, wohingegen mit dessen Gegenspieler/n haupt- sächlich negative verbunden sind. So steht fast immer der Kampf Gut gegen Böse im Mittel punkt eines Märchens, wobei die Figuren so konzipiert sind, dass eine genaue Zuordnung in die Extreme leicht möglich ist: „Gut und böse, gottgefällig und gottlos werden im Märchen säuberlich auf verschiedene Figuren verteilt“ (Lüthi 1983, S.63). Im Fokus steht immer das Bewältigen einer Krise (siehe hierzu das folgende Kapitel über Schemata), die die Existenz des Helden in gewissem Maße bedroht.
Das Ziel des Helden kann erreicht werden, indem „die ‚negativen‘ Figuren […] in der Regel ausgeschaltet [werden], oder sie zerstören sich selbst.“ (Bittlinger 1994, S.318) So sieht Lüthi die vielen Aufgaben und Verbote als eine Möglichkeit für den Helden, sich zu beweisen. Dabei ist ihm selbst eine Übertretung der Grenzen möglich, die ihn letztlich, „durch Not und Leid hindurch, zu höheren Zielen führen“ kann (Lüthi 1983, S.49), ohne, dass er sich auf seinem Weg charakterlich weiterentwickelt.
„Die Alten sind alt und die Jungen sind jung und bleiben es auch. Im Märchen gibt es keine Charakterveränderungen und kein Altern, sondern die Figuren sind eindeutig […]. Sie sind eindeutig im Gegensatz zur verwirrenden Alltagswirklichkeit. Im Märchen ist die Welt durchschaubar.“ (Bittlinger 1994, S.12)
Zwar wird der Held dargestellt „als einer, der über sich hinauszuwachsen vermag, der die Anlage zum Höchsten in sich trägt und dieses Höchste auch erreichen darf“ (Lüthi 1983, S.108), aber innerlich verändert er sich nicht. Auf dem Weg zum Ziel kann er lediglich eine äußerliche Veränderung erfahren, zum Beispiel durch die Weiterentwicklung vom Prinzen zum König (Vgl. Jacoby/Kast/Riedel 1994). Es ist nicht möglich, „daß [sic!] der Prinz einfach eine neue Prinzessin holt - und im übrigen [sic!] der Alte bliebe“ (Jacoby/Kast/Riedel 1994, S.27). Welche inneren Weiterentwicklungen er dabei erfährt, wird dem Leser nicht übermit- telt, denn das Märchen „schildert nicht Gefühle und Stimmungen, nicht innere Konflikte und Denkabläufe, sondern strebt danach, alles in Handlung zu übersetzen“ (Lüthi 1983, S.93). Nun, es gibt natürlich auch Ausnahmen - ein Beispiel für eine mögliche charakterliche Ände- rung findet sich in Dornr ö schen: hier findet ein Wechsel der Rollen von Helfer zu Gegenspie- ler statt, als sich die dreizehnte Fee rächt, weil sie nicht zur Feier eingeladen wird. Die angesprochenen Helfer, die dem Helden beim Lösen seiner Aufgaben zur Sei- te stehen, sind ein weiteres typisches Merkmal der Märchen. In vielen Fällen sind diese Figu- ren übernatürlich, neben Feen und Hexen treffen wir zugleich auf Zwerge, Riesen oder reden- de Tiere. Auffällig ist, dass diese Figuren keine tiefere eigene Persönlichkeit zugeschrieben bekommen, was sich darin äußert, dass sie namenlos bleiben - die gute Fee heißt eben einfach die gute Fee.
„Die helfenden Tiere und andere Jenseitswesen des Märchens aber sind gewöhnlich genauso isoliert wie der Märchenheld selber; dieser nimmt ohne Erstaunen ihre Ratschläge und Zaubergaben in Empfang, verwendet sie im entscheidenden Augenblick und denkt nachher nicht mehr an sie.“ (Lüthi 1983, S.109)
Nebencharaktere, wie der Vater Schneewittchens, der das Handeln seiner neuen Gattin nicht verhindert, bleiben im Märchen ebenfalls namenlos. Sie greifen nicht aktiv in das Geschehen ein und sind deshalb für den Verlauf der Handlung nicht weiter von Interesse. Namenlos bleibt auch die Märchenfigur, die eigentlich Gegenstand ist, „so zum Beispiel das ‚Tischlein deck dich‘ und der ‚Knüppel aus dem Sack‘ in der Rolle des Helfers“ (Märchenatlas 2013a). An dieser Stelle sollen nun Prototypen zusammentragen, die sich vermehrt in Märchen - hier hauptsächlich in den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm - ent- decken lassen. Einen der wohl bekanntesten Prototypen, die Prinzessin, kann man in drei Ka- tegorien unterteilen: die passive Prinzessin (1), die aktive Prinzessin (2) und die böse Prinzes- sin (3). Erstere ist eine positive Heldin mit edler Abstimmung, die häufig die Hauptrolle ein- nimmt. Der Prinz, der in diesem Falle die Nebenrolle einnimmt, muss sie erretten5. Ein be- kanntes Beispiel hierfür ist Dornröschen, die lange Jahre darauf wartet, wachgeküsst zu wer- den. Die Prinzessin, die ihr Schicksal selbst bestimmt (2), nimmt häufig ebenfalls eine Haupt- rolle ein. Im Märchen Der Froschk ö nig wirft die Prinzessin „den ungeliebten Frosch, der in ihr Bettlein steigen will, in wahrscheinlich mörderischer Absicht an die Wand und erlöst hier- durch den verzauberten Prinzen“ (Wittmann 2008, S. 42) - sie nimmt ihr Leben selbst in die Hand und beendet durch ihre Entscheidung den Fluch. Übernehmen die aktiven Prinzessinnen allerdings eine Nebenrolle, finden sie sich häufig als Rätselprinzessinnen wieder (Kategorie 3), „die nur den Freier akzeptieren, der sich ihnen als überlegen erweist“ (ebd.). Ein Freier kann die Prüfung nur lebendig überstehen, wenn er das ihm gestellte Rätsel lösen kann oder - in einer abweichenden Variante - die Prinzessin das ihr gestellte Rätsel nicht lösen kann6. „Im Volksmärchen bleibt die rätselstellende Prinzessin reine Figur - man kann sie als Menschen nehmen oder als Bild für die Welt, die uns ihre schweren Rätsel aufgibt und mit Vernichtung bedroht, wenn wir sie falsch lösen.“ (Lüthi 1983, S.95)
Ganz anders als die Prinzessin wird der Prototyp des einfachen Mädchens dargestellt. Zu fin- den ist dieser zum Beispiel in Aschenputtel sowie in Das Mädchen ohne Hände. Sie verrich- ten ihre Arbeit ohne sich zu beschweren oder fügen sich gar vollends in ihr Schicksal, indem sie sich sogar vom eigenen Vater die Hände abschlagen lassen, weil dieser sich vor dem Teu- fel fürchtet. Doch das Glück belohnt ihr Verhalten und schenkt ihnen einen Prinzen (Vgl. Märchenatlas 2013a). Ein Prototyp, der nicht allzu häufig auftritt, ist der König. Zwar beginnt das Märchen häufig mit einer Mangelsituation in seinem Leben7, verläuft dann jedoch ohne ihn, weil er vom jungen und aktiven Königssohn abgelöst und bei den Abenteuern vertreten wird. Aber auch sein Nachfolger kann in einen aktiven und einen passiven Prototypen einge- teilt werden. So greift er nicht wesentlich in die Handlung ein, wenn er die Prinzessin einfach nur wachküssen muss - immerhin kann er nach einhundert Jahren gefahrlos durch die Hecke treten, er ist einfach nur zur rechten Zeit am rechten Ort (hier in Dornr ö schen). Der aktive Prinz ist meist derjenige, der sich auf die Suche nach etwas macht und dabei Abenteuer erlebt und Aufgaben löst.
Die Hexe wird in vielen Märchen als negativer Gegenpol eingesetzt, der dafür sorgt, dass der Held vor einem Konflikt steht, den er bewältigen oder vor dem er fliehen muss. Sie ist eine „elementare Bedrohung, die es zu überstehen gilt.“ (Jacoby/Kast/Riedel 1994, S.41) In Aschenputtel, Hänsel und Gretel und anderen Märchen findet sich mit der Stiefmutter eine weitere böse Gegenspielerin, mit dem sich die Hauptfiguren auseinander set- zen müssen. Eine Kombination aus beidem - böser Stiefmutter und Hexe - findet sich in Schneewittchen. Dort besitzt die Stiefmutter zugleich Zauberkräfte besitzt, mit denen sie Äp- fel vergiftet.
Bei den Helfern und Nebenfiguren lassen sich in gleicher Weise bestimmte Proto- typen ausmachen. Die sieben Zwerge in Schneewittchen sind von hilfreicher Natur, während Rumpelstilzchen, den man ebenfalls als Zwerg ansehen kann, die böse Seite übernimmt. Elfen sind überwiegend freundlich gesinnt, können andererseits aber auch Bestrafungen ausspre- chen, wenn sie jemanden nicht mögen. In Das tapfere Schneiderlein begegnet uns der proto- typische Riese: er ist böse, leicht tollpatschig, aber trotzdem brutal. Oft besitzt er zusätzlich zu seiner Kraft übernatürliche Fähigkeiten, die er aber aufgrund seiner begrenzten Intelligenz nur selten einzusetzen weiß.
Aus dieser Auflistung von Figuren geht hervor, dass bestimmt Eigenschaften im Märchen immer wieder vorkommen - sodass der Leser mit ihnen vertraut ist. Die „starren Wiederholungen ganzer Sätze, ja langer Abschnitte“ (Lüthi 1983, S. 37) im Märchen sind ein beliebtes Stilmittel. Doch nicht nur Figuren können prototypische angelegt sein - auch Situa- tionen, die im Folgenden als Schemata bezeichnet werden sollen, kehren immer wieder zu- rück.
2.1.2 Schemata in Märchen
Wiederkehrende Märchenfiguren helfen uns also, Orientierung in einer Märchenwelt zu finden, in der es keine Raum- und Zeitangaben gibt. Motive und Handlungsabläufe in Märchen treten in gewisser Weise ebenso immer wieder auf. Ursprüngliche Märchen, beispielsweise aus dem orientalischen Raum, weisen gleiche Motive auf, wie Märchen aus italienischen, französischen und deutschen Sammlungen, die erst viel später, ungefähr ab dem 16. Jahrhundert, verschriftlicht wurden (Vgl. Rothaug 2012).
Das wohl am häufigsten verwendete Schema ist das der Mangelsituation, die be- reits im vorigen Kapitel angesprochen wurde. Viele Märchen beginnen damit, „daß der König von einer Krise befallen ist: Seine Gemahlin ist gestorben, seine Jäger gehen im Wald verlo- ren, er hat keine Kinder oder ist alt und krank, hat kein Lebenswasser usw.“ (Jacoby/ Kast/ Riedel 1994, S.20). Den bestehenden Mangel gilt es im Laufe der Geschichte zu beseitigen. Die Situationen sind dabei variabel, zum Beispiel „werden Früchte von einem besonderen
Baum gestohlen, es ist keine Prinzessin im Land, oder die Königin bekommt keine Kinder“ (Jacoby/ Kast/ Riedel 1994, S.27). Nicht immer ist die Hauptfigur von einem Mangel betroffen, häufig sind diese Situationen nur der Auslöser für weitere Unternehmungen. Der Fort- gang der Handlung beschreibt, „auf welche Weise dieser Krise abgeholfen wird“ (Jacoby/ Kast/ Riedel 1994, S.20). Oft sieht sich der Held dann mit einem Kampf konfrontiert, er „muß einen Drachen oder ein anderes Untier besiegen, einen bösen Zauberer, eine Hexe, eine Schar von Räubern“ (Lüthi 1983, S.90). Sei es „der Dümmling, an dem sich die Schadenfreude der anderen entlädt und der sich ihnen am Ende doch als überlegen erweist (Vom dummen Peter), die Erlösung eines Men- schen, der in ein Tier verwünscht wurde (Siebenschön, Bruder und Schwester) [oder] das günstige Schicksal, dass sich hilfloser, unschuldiger Kinder annimmt (Die Goldkinder)“. (Freund 2003, S.30)
Eben solche Abläufe möchte ich an dieser Stelle als Märchenschemata bezeich- nen: wiederkehrende Motive, die dem Leser vertraut sind und bei denen „[j]edermann weiß, wie das Märchen weitergeht“ (Lüthi 1983, S.7). Weil sich die Muster von Märchen zu Mär- chen nur geringfügig voneinander unterscheiden, kann der Rezipient mit einer gewissen Er- wartungshaltung an den Ausgang der Geschichte herangehen. Er ist sich im Klaren darüber, dass Märchen in den meisten Fällen gut enden - und weil es auch immer ein Happy End gibt, werden seine Erwartungen erfüllt. Der Held sorgt dafür, dass Flüche und Zauber aufgehoben werden oder dass der böse Gegenspieler mit solchen belegt wird (Vgl. Märchenatlas 2013a). Nach Lüthi ist es dem Niedrigsten im Märchen möglich, an die höchste Stelle zu gelangen, die Höchsten - wie zum Beispiel böse Königinnen - werden vernichtet.
„Der Schwache wird stark, indem andere ihm beistehen und helfen, der verlachte Dummkopf gelangt zu Erfolg und Ansehen, der Fleißige wird belohnt, der Niedrige erhöht und der Verwunschene erlöst.“ (Freund 2003, S.31)
Mit diesem Zitat wird ein weiteres, wichtiges Schema eingeführt: Typisch für Märchen ist nämlich, dass am Ende (fast) immer eine Wandlung8 stattgefunden hat. Der Prinz errettet das arme Mädchen und sie wird zur schönen Prinzessin, die fortan ein besseres Leben führt (in Aschenputtel), die schlafende Schönheit wird aufgeweckt, so wie es in Dornr ö schen und - genau genommen - auch in Schneewittchen der Fall ist.
Situationen, die für den Helden eine Bedrohung darstellen, können ebenfalls als Schemata bezeichnet werden, da sie in vielen Märchen vorkommen. Tiere können neben ihrer Rolle als Helfer gleichermaßen als Bedrohung angesehen werden, die auf dem Weg zum Ziel beseitigt werden muss (ein Beispiel hierfür ist Rotkäppchen). Die Bedrohung durch die als prototypische Märchenfigur bereits charakterisierte Stiefmutter kann ebenso als Schema be- trachtet werden: ihr Auftreten zwingt den Helden oder die Heldin zur Veränderung, vielleicht sogar zur Flucht. Am Ende erfolgt eine Belohnung und die Stiefmutter erhält ihre gerechte Strafe, wie es sich in Schneewittchen zeigt. Letztlich ist es laut Lüthi nicht der soziale Auf- stieg und die damit verbundene Beachtung und Anerkennung, die im Vordergrund stehen - sie sind eher Ausdruck „für die Erlösung des Menschen aus einem uneigentlichen zu seinem eigentlichen Dasein.“ (Lüthi 1983, S.106)
2.2 Zum Märchen Schneewittchen
Die Rahmenhandlung der Serie Once Upon A Time, die den Analysegegenstand dieser Arbeit darstellt, orientiert sich am Märchen Schneewittchen und übernimmt neben einigen Schemata vor allem das Figurenensemble der literarischen Vorlage. Aus diesem Grund ist es relevant, das Märchen explizit zu betrachten. Eine kurze Inhaltsangabe, die der Kleinen Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 18259 folgt, soll dabei helfen, die wichtigsten Aspekte der Geschichte aufzufrischen. Im nächsten Schritt sollen prototypi- sche Märchenfiguren und Schemata im Märchen ausgemacht werden, die in den Kapiteln
2.1.1 und 2.1.2 definiert wurden.
Andere Versionen von Schneewittchen, zum Beispiel von Ludwig Bechstein10, unterscheiden sich zumeist nur in wenigen Punkten von der oben genannten. Bechstein sammelte seine Werke nicht mit Hilfe mündlicher Überlieferungen, wie es die Gebrüder Grimm taten. In seinen Büchern nutzt er Märchen aus anderen Veröffentlichungen, zum Beispiel auch aus den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm.
„Von dort übernimmt er aber nur die eigentliche Fabel, erzählt sie neu, erweitert sie ge- legentlich oder ändert den Schluß [sic!], fügt manchmal zwei Märchenstoffe zusammen, schmückt Details phantasievoll aus, bringt sprichwörtliche Redensarten an und flicht politische Zeitbezüge ein.“ (Vorwort in Bechsteins Deutsche Märchen und Sagen) In seiner Version des Märchens erfolgte der erste Mordversuch der Königin nicht durch einen Schnürriemen, sondern durch eine Halsschnur: „[…] und die Frau wollte ihr zeigen, wie diese Schnur umgetan würde, und schnürte ihm von hinten den Hals so zu, daß [sic!] Schneeweißchen gleich der Odem ausging und es tot hinsank.“ (Bechstein 1989) Bechsteins Schneeweißchen weist außerdem ein anderes Ende auf:
„Schneeweißchen aber war nicht allein die Allerschönste, sondern sie hatte auch ein großes edles Herz, das die Untaten, die die falsche Frau an ihr verübt, nicht selbst rächte. Es kam aber ein giftiger Wurm, der fraß der bösen Königin das Herz ab, und dieser Wurm war der Neid.“ (ebd.)
In der ersten Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen11 war es die leibliche Mutter Schnee- wittchens, die ihr die Schönheit neidete. Zum Vergleich möchte ich an dieser Stelle kurz das Märchen Hänsel und Gretel anführen, in dem anfangs nicht gesagt wird, „daß [sic!] die Frau eine ‚Stiefmutter‘ ist; das wird sie erst in den Augen der Kinder, denn eine richtige Mutter kann nicht so böse sein“ (Bittlinger 1994, S.29). Aus demselben Grund wurde die erste Grimm’sche Fassung von Schneewittchen später abgeändert. Letzten Endes tritt der Prinz in Erscheinung, der eine Art „Kontrastfigur zur haßerfüllten [sic!] Stiefmutter“ (Bittlinger 1994, S.84) darstellt und errettet die schlafende Schönheit. Die böse Königin wird in jeder Version mit dem Tod für ihren Neid und ihre Missetaten bestraft, das Happy End findet wie erwartet statt.
2.2.1 Das Märchen
Das Märchen von Schneewittchen ist zweifelsfrei eines der bekanntesten aus der Sammlung der Gebrüder Grimm. An dieser Stelle ist anzumerken, dass das Märchen in der mir vorliegenden Ausgabe Sneewittchen12 heißt. Da Schneewittchen allerdings die verbreitetere Schreibweise ist, soll diese im Folgenden verwendet werden. Obwohl im vorherigen Abschnitt bereits einige inhaltliche Aspekte wiedergegeben wurden, erfolgt nun noch einmal eine Zusammenfassung des Märchens. Dabei entstammen sämtliche Zitate der im vorigen Kapitel genannten Kleinen Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen13 . Eine Königin sitzt nähend am Fenster und sticht sich, in ihren Kinderwunsch vertieft, dabei in den Finger. Wie das Blut auf den weißen Schnee tropft, sehnt sie sich ein Kind mit Haut, weiß wie Schnee, Lippen, rot wie Blut und Haaren, schwarz wie Ebenholz herbei. Bald darauf bekommt sie ein Kind, welches eben jene Eigenschaften hat und deshalb Schneewittchen genannt wird. Jedoch verstirbt die Königin kurz nach der Geburt. Ein Jahr später nimmt sich der König eine neue Gemahlin, die zwar sehr schön, gleichzeitig jedoch sehr stolz und neiderfüllt ist. Immer wieder schaut sie in ihren Zauberspiegel und fragt ihn: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ und immer antwortet dieser: „Ihr, Frau Königin, seid die Schönste im Land.“. Eines Tages, als Schneewittchen sieben Jahre als ist, antwortet der Zauberspiegel entgegen ihrer Erwartung: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“ Daraufhin wird sie „blaß [sic!] vor Zorn und Neid“ und hasst Schneewittchen derart, dass sie einen Jäger beauftragt, das Mädchen zu töten und ihr zum Beweis Lunge und Leber mitzu- bringen. Doch der Jäger hat Mitleid mit Schneewittchen, lässt sie allein im Wald zurück und bringt der Königin die Organe eines Frischlings, die diese alsbald kocht und isst. Während- dessen irrt Schneewittchen durch den Wald und findet das kleine Häuschen der sieben Zwer- ge, in dem sie Zuflucht sucht. Diese sind begeistert von der Schönheit Schneewittchens („was ist das Kind schön!“) und nehmen es bei sich auf.
Doch schon bald erfährt die Königin durch ihren Zauberspiegel, dass Schneewitt- chen noch lebt - und zwar bei den sieben Zwergen („Aber Schneewittchen über den Bergen, bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als Ihr.“). Neidisch schmiedet sie Mord- pläne und versucht, sich Schneewittchen durch vergiftete Kämme und Bänder zu entledigen. Doch die Zwerge können Schneewittchen rechtzeitig retten, indem sie Kamm und Band ent- fernen. Erst der dritte Versuch mit einem vergifteten Apfel scheint erfolgreich: „Kaum aber hatte es [das Schneewittchen] einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder.“
Die böse Königin ist fortan wieder die Schönste im Land. Weil die Zwerge die Ursache dieses Mal nicht ausfindig machen können, trauern sie drei Tage um das Schneewittchen, ehe sie es begraben wollen. „[A]ber es sah noch so frisch aus wie ein lebendiger Mensch und hatte noch seine schönen roten Backen“, weshalb sie es in einen Glassarg legen. Auf diesen wird nach langen Jahren ein junger Königssohn aufmerksam und verliebt sich auf der Stelle in Schnee- wittchen. Er bittet die Zwerge, ihm den Sarg zu überlassen, da er nie wieder ohne Schneewitt- chen sein möchte. Nach einigen Verhandlungen stimmen die Zwerge zu und geben dem Prin- zen den Sarg mit. Beim Transport stolpert einer der Diener und „von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals“ und sie war wieder lebendig. Daraufhin erzählt ihr der Königssohn, was sich zugetragen hat und sie geht „mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet.“ Auch die Stief- mutter ist zur Hochzeit geladen und muss zur Strafe so lange in glühenden Schuhen tanzen, bis sie tot zur Erde fällt.
2.2.2 Prototypische Märchenfiguren und Schemata in Schneewittchen
In Kapitel 2.1.1 und 2.1.2 wurde gezeigt, dass die Wiederholung von prototypischen Figuren und Motiven ein Stilmittel des Märchens ist. Auch in Schneewittchen lassen sich ebendiese finden. So handelt Schneewittchen von der typischen Märchenheldin, die zunächst ihren Sta- tus als Königstochter verliert, indem sie sich in den Wald flüchtet, „um nach einer Zeit der Entbehrungen und Prüfungen triumphal zur neuen Königin zu werden“ (Märchenatlas 2013b). Ihre ebenfalls prototypisch angelegte Stiefmutter - sie übernimmt die Rolle des Bösen - tritt als Gegenspielerin auf, der es sich zu widersetzen gilt. Im Gegensatz zu anderen Märchen, wie zum Beispiel Aschenputtel, tritt sie selbst als Konkurrentin auf, „nicht, wie oft beim Mo- tiv der Stiefmutter, eine oder mehrere ihrer Töchter“ (ebd.). Natürlich finden wir auch die beiden prototypischen Märchenfiguren des passiven Königs, Schneewittchens Vater, und des Prinzen, der die Prinzessin erlöst. Sein Prototyp ist dabei ebenfalls der passiv angelegte, da er nichts weiter tun muss, als Schneewittchen mitzunehmen - oder, in anderen Versionen des Märchens, wach zu küssen - um sie zu retten.
Das Motiv der Bedrohung durch die böse Stiefmutter bildet bei Schneewittchen den Rahmen der Geschichte. Durch deren Neid und Missgunst wird Schneewittchen dazu gezwungen, ihr Heim - und damit auch ihren Vater - hinter sich zu lassen, um zumindest mit dem Leben davon zu kommen. Der Jäger, der das Mädchen verschont, ist außerdem ein Schema, welches sich häufig in Märchen finden lässt. In seiner Rolle als Helfer ist es bei- spielsweise in Rotkäppchen ebenfalls der Jäger, der das Mädchen und die Großmutter befreit. Als ein letztes Schema lässt sich, wie darüber hinaus in Dornr ö schen, das Motiv der schlafen- den Schönheit, die durch einen Prinzen erlöst werden muss, ausmachen (Vgl. Märchenatlas 2013b).
2.3 Moderne TV-Serien
Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll die Serie Once Upon A Time stehen, deren Darstellungs- und Gestaltungsweise sie zu einer modernen TV-Serie, weithin auch als Quality-TV Series bezeichnet, macht. Vor allem in Amerika prägen diese Serien mittlerweile die Fernsehland- schaft und haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, den schlechten Ruf des Fernsehens zu beseitigen.
„Auf einem Feld, das sich lange dem Vorwurf ausgesetzt sah, es trage zur Verdummung des Zuschauers bei, gemeint: das Fernsehen, allen voran das US-Fernsehen, und schlimmer noch: die US-Serie, genau auf diesem Feld befindet sich derzeit ein Experimental- und Innovationsraum, der kulturkritische Prognosen eines Besseren belehrt und die akademische Beschäftigung herausfordert.“ (Schabacher 2010, S.21)
Der Beginn dieser Entwicklung ist nicht punktuell auszumachen, allerdings lässt sich festhal- ten, dass in den letzten Jahren eine extreme Wandlung stattgefunden hat: „weg von einfach gestrickten Wiederholungsmustern und trivialen Stoffen hin zu komplex und nuanciert gestal- teten Erzählungen“ (Blanchet 2011, S.37). Als eine Folge dieser Entwicklung brauchen sie „die den Vergleich mit dem Kino nicht mehr zu scheuen“ (ebd.), da sie qualitativ vergleichbar sind. Die technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung der TV-Branche ermöglicht eine mit dem Kino zu vergleichende Ästhetik, womit Quality-TV-Serien als ernstzunehmende Konkurrenz für eben dieses gesehen werden kann.
Die Produktion von Quality-TV-Series begann anfangs noch zögerlich. So machte sich ab Mitte der 1990er Jahren der Privatsender HBO einen Namen mit seinen selbst produ- zierten (kostspieligen) Serienproduktionen, darunter Serien wie Sex and the City und später The Sopranos, Six Feet Under oder The Wire. Nach und nach trauten sich auch andere Sender Eigenproduktionen zu, weshalb bis heute sehr viele hochwertige Serien ausgestrahlt werden. Die „Verbreitung besagter Serien auf DVD und Blu-ray sowie über das Internet macht aus der Entstehung des amerikanischen Quality-TV ein weltweites Phänomen“ (Zimmer 2012). Qua- lity-TV-Serien sind in der Lage, weit über die Fernsehausstrahlung hinaus mit Fans in Kon- takt zu treten- so zum Beispiel über Internetforen oder -lexika. Neue Fans, die zur Ausstrah- lung nicht vor dem Fernseher sitzen können, werden durch Streams akquiriert. Gründe wie diese sorgten dafür, dass das Massenpublikum aufgesplittet wurde - die modernen Serien sind nicht für jedermann gemacht. Auch „Themen wie Sex, Gewalt und Drogen [waren] nicht mehr zwangsweise tabu, wodurch das Fernsehen ähnliche inhaltliche Freiheiten wie das Kino erlangte“ (ebd.).
[...]
1 Nach Nicola Dusi geht es bei Remakes (als die man die Verfilmung von Märchen durchaus auch bezeichnen kann) stets um Veränderungen auf der Inhaltsebene. Diese müssen immer den historischen und kulturellen Kontext und das veränderte Umfeld berücksichtigen (Vgl. Dusi 2011, S.367).
2 Im Verlauf dieser Arbeit werden die Begriffe ‚moderne TV-Serien‘, ‚Quality-TV-Serie‘ sowie ‚Quality-TV‘ und ‚Quality-TV-Series‘ synonym verwendet.
3 Demnach sei die wachsende Medienkompetenz, Videoclips und PC-Nutzung ein Grund dafür, dass die vorwie- gend jüngeren Zuschauer eine höhere Schnittfrequenz fordern. (Vgl Eschke 2010, S. 177 und Kapitel 2.2.4)
4 So gibt es aktuell zwei Verfilmungen des Märchens Schneewittchen (Snow White and the Huntsmen und Spieglein, Spieglein - die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen) denen an dieser Stelle die meiste Aufmerksamkeit zuteilwerden wird.
5 Die verschiedenen Formen der Errettung kommen im folgenden Kapitel noch zur Sprache, weshalb sie an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.
6 Laut Lüthi sind die Rätselsteller oder Rätsellöser nicht immer Prinzessinnen - auch Bauerntöchter, kluge Burschen und einfache Männer können in diese Rolle schlüpfen. (Vgl. Lüthi 1983, S.101)
7 Mangelsituationen werden in Märchen sehr häufig verwendet, zumeist als Einstieg in die Geschichte. Diese Schemata werden im folgenden Kapitel genauer betrachtet.
8 An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass mit dieser Wandlung in keinem Fall eine charakterliche Entwicklung gemeint ist. Dazu siehe auch Kapitel 2.1.1 prototypische Märchenfiguren.
9 Es liegt eine Neuveröffentlichung aus dem Jahre 1989 vor, für die 50 der beliebtesten Märchen ausgewählt wurden. Diese Auswahl, deren Zweck es war, die Sammlung besser verkaufen zu können, erfolgte 1825 durch Wilhelm Grimm selbst. Dabei nahm er weitere Veränderungen an den Märchen vor indem er „reinere und einfachere Erzählstrukturen gesucht, Unvollständiges ergänzt, das Erzieherische betont, Bösartiges gemildert und andere Hinweise zu den früheren Fassungen berücksichtigt“ hat. (Wendland, Klappentext)
10 Bechsteins Deutsches Märchenbuch, welches die Geschichte von Schneewei ß chen enthält , erschien 1845.
11 Die erste Ausgabe wurde im Jahre 1812 veröffentlicht.
12 Dieser Name entstammt dem Plattdeutschen und kann mit Schneeweißchen übersetzt werden (Vgl. Plattdeutsches Wörterbuch k.A.).
13 Das Märchen findet sich außerdem im Anhang unter Anhang 1.
- Arbeit zitieren
- Doris Gutjahr (Autor:in), 2013, Schneewittchen und Snow White. Modernisierung prototypischer Märchenfiguren und Schemata in der Serie "Once Upon A Time", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283381
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