Dominante Herrscherin, egoistische Mutter und selbstbestimmte Ehefrau oder doch Muttergottes-Allegorie und trauernde Witwe? Die Frauenfigur der Herzeloyde in Wolframs von Eschenbach Parzival wird in der Forschung bis heute kontrovers diskutiert. Sie spielt eine zentrale Rolle in Wolframs archaischem Versepos und obwohl sie lediglich in ihrer Rolle als Ehefrau, Witwe und Mutter des Neugeborenen als Protagonistin in den Vordergrund tritt , wird der Figur der Herzeloyde ebenso als Königin dreier Länder und Mutter des heranwachsenden Parzivals eine große Bedeutung beigemessen. Wolfram von Eschenbach verweist schon im Prolog darauf, dass sich die Darstellung seiner Frauenfiguren an der Realität orientiert und er vor allem das Ziel hat, von wîplîchez wîbes reht (4,11) zu erzählen, also mit seinem Werk Frauenfiguren zu erschaffen, „die der rechten fraulichen Wesensart entsprechen“. Nicht selten findet sich im höfischen Roman eher eine „Objekthaftigkeit der Frau“ , die dem Leser eine „permanent fremdbestimmt[e]“ höfische Dame präsentiert, deren „große Passivität“ im Gedächtnis bleibt. So wird die Frau objektiviert, ihrer Stimme beraubt und ohne Anrecht auf Selbstbestimmung „verheiratet, als Preis verliehen und herumgereicht“. Von diesem gängigen Darstellungsmuster der höfischen Epik distanziert sich Wolfram mit seiner eigenwilligen Charakterzeichnung der Herzeloyde. So ist es beispielsweise nicht etwa ein männliches Familienmitglied Herzeloydes, von dem sie zum Preis eines Turniers ausgeschrieben wird, sondern sie selbst entscheidet eigenmächtig, als Preis zur Gemahlin des Gewinners im Turnier von Kanvoleis gemacht zu werden. Sie fällt durch „unwomanly forwardness“ , die für eine Frau untypische Direktheit auf, indem sie von Beginn ihrer Einführung an selbstbestimmt handelt und ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen gestaltet. Wolframs zentrale Mutterfigur sprengt durch ihr Handeln den „traditionell engen Verhaltenskodex einer höfischen Dame“ und wird als eine Frau mit verschiedenen Gesichtern sehr unterschiedlich rezipiert. ...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Figur der Herzeloyde als andauernde Kontroverse in der Parzival-Forschung
- Chrétiens und Wolframs Mutterfigur im Vergleich
- Herzeloyde als Herrscherin, Ehefrau und Mutter
- „diu künegin von Wâleis“ (60,9) und ihre Forderung
- Ehefrau für kurze Zeit, dann Witwe auf Lebenszeit
- Herzeloyde als Mutter in der Abgeschiedenheit von Soltane
- Schluss
- Abkürzungsverzeichnis
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der komplexen Figur der Herzeloyde in Wolframs von Eschenbachs Parzival. Ziel ist es, die vielschichtigen Interpretationen der Figur in der Forschung zu beleuchten und die Besonderheiten ihrer Charakterzeichnung im Vergleich zu Chrétiens de Troyes Conte du Graal zu analysieren. Dabei werden drei Etappen in Herzeloydes Entwicklung untersucht: ihre Rolle als Herrscherin, ihre Ehe und Witwenschaft sowie ihre Mutterschaft.
- Die Kontroversen um die Interpretation der Herzeloyde-Figur in der Forschung
- Der Vergleich der Herzeloyde-Figur mit Chrétiens Mutterfigur
- Die Darstellung Herzeloydes als Herrscherin, Ehefrau und Mutter
- Die Funktion der Herzeloyde-Figur im Gesamtwerk
- Wolframs eigenwillige Darstellung der Frauengestalt im Kontext der höfischen Epik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Kontroversen um die Interpretation der Herzeloyde-Figur in der Forschung dar. Es wird auf die Vielschichtigkeit der Figur und die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung hingewiesen.
Das zweite Kapitel beleuchtet die verschiedenen Interpretationen der Herzeloyde-Figur in der Forschungsliteratur. Es werden die wichtigsten Stimmen aus der Forschung vorgestellt, die Herzeloyde als Muttergottes-Allegorie, als trauernde Witwe oder als selbstbestimmte Frau interpretieren.
Das dritte Kapitel vergleicht die Herzeloyde-Figur mit Chrétiens Mutterfigur und zeigt die Unterschiede in der Darstellung der beiden Figuren auf. Es wird deutlich, dass Wolfram eine eigenwillige Charakterzeichnung der Herzeloyde anstrebt, die sich von den gängigen Darstellungsmustern der höfischen Epik abhebt.
Das vierte Kapitel analysiert die Entwicklung der Herzeloyde-Figur in drei Etappen: ihre Rolle als Herrscherin, ihre Ehe und Witwenschaft sowie ihre Mutterschaft. Es wird gezeigt, wie Wolfram die Herzeloyde als eine Frau mit vielen Gesichtern darstellt, die durch ihr Handeln den „traditionell engen Verhaltenskodex einer höfischen Dame“ sprengt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Figur der Herzeloyde, Wolframs Parzival, Chrétiens Conte du Graal, die Darstellung der Frauengestalt in der höfischen Epik, die Rolle der Frau als Herrscherin, Ehefrau und Mutter, die Kontroversen um die Interpretation der Herzeloyde-Figur in der Forschung, die Vielschichtigkeit der Figur, die eigenwillige Charakterzeichnung, die Funktion der Herzeloyde-Figur im Gesamtwerk.
- Quote paper
- Lucia Nußbaum (Author), 2014, Eine Frau mit vielen Gesichtern. Wolfram von Eschenbachs eigenwillige Darstellung der Herzeloyde als Herrscherin, Ehefrau und Mutter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283886