Homo Faber. Ein Vergleich von Max Frischs Roman und Volker Schlöndorffs filmischer Adaption


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

36 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zum Roman „Homo Faber-Ein Bericht“ von Max Frisch
2.1 Inhaltsangabe „Homo Faber“
2.2 Rezeption des Buches
2.3 Aufbau des Romans
2.4 Erzählkonstruktion
2.5 Handlungsschwerpunkte und Motive im Buch

3. Zum Film „Homo Faber“ von Volker Schlöndorff.
3.1.1 Arten der filmischen Adaption
3.1.2 Art der filmischen Adaption „Homo Faber“
3.2 Zur Verfilmung von Volker Schlöndorff und deren Rezeption
3.3 Vergleich von Buch und Film
3.3.1 Gemeinsamkeiten
3.3.2 Unterschiede
3.3.2.1 Die Struktur
3.3.2.2 Die Themen und Motive
3.3.2.3 Die Personen

4. Detailanalyse der Anfangs- und Schussszene des Films
4.1 Anfangsszene
4.2 Schlussszene

5. Fazit

6. Anhang
6.1 Sequenzinhaltsprotokoll des gesamten Films
6.2 Filmtranskript der ersten Filmszene
6.3 Filmtranskript der letzten Filmszene
6.5.1 Personenkonstellation- Buch
6.5.2 Personenkonstellation- Film
6.6 Filmische Daten

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Eine Literaturverfilmung ist ein bisschen so, ab würde man noch mal Abitur machen. Jeder Kritiker, jeder Zuschauer kann ja hinterher vergleichen. Eine richtige Examenssituation ist das. Bei einem Originaldrehbuch hat man es einfacher. Denn da wird man nur für den Film an sich beurteilt.“[1]

Dieser Kommentar Volker Schlöndorffs, der bekannt ist für seine Verfilmungen von Klassikern der Literatur, zeigt die Schwierigkeit, die jedem Regisseur begegnet, der sich an die Verfilmung eines solchen Stoffes wagt. Die Verfilmung muss sich immer an dem Original messen lassen und nicht selten wird ihre eigene ästhetische Qualität als eigenständiges Werk nicht genug erfasst. Durch die Kenntnis des literarischen Stoffes ist die Erwatung des Zuschauers an den Film sehr hoch und wird nicht selten durch zu große Veränderung des Stoffes bei der Umsetzung oder durch zu große Werktreue, die den Film überflüssig macht, enttäuscht. Ziel dieser Hausarbeit ist die vergleichende Untersuchung von Max Frischs „Homo Faber“ und der filmischen Adaption durch Volker Schlöndorff. Es soll gezeigt werden, wie Schlöndorff die Aufgabe einer Verfil­mung der Vorlage Frischs löst. In einem ersten Teil wird der Roman in Fabel, Struktur und Mo- tivik vorgestellt, um in einem zweiten Teil die filmische Umsetzung durch Schlöndorff ver­gleichend betrachten zu können. Der dritte Teil der Arbeit enthält eine Detailanalyse zweier Sze­nen des Films, an welchen die Arbeit Schlöndorffs und der Einsatz filmsprachlicher Mittel im Detail untersucht werden soll und Bezüge zum Roman Frischs hergestellt werden.

2. Zum Roman „Homo Faber-Ein Bericht“ von Max Frisch

In einem ersten Schritt werden wichtige Elemente des Romans „Homo Faber“ von Max Frisch vorgestellt. Auf diese Elemente wird dann im verlauf der Arbeit vergleichend Bezug genommen. Dieser Teil ist demnach das Informations-Fundament auf welches die Vergleichende Betrach­tung sich gründet.

2.1 Inhaltsangabe „Homo Faber“

In dem 1957 erschienen Roman „Homo Faber- Ein Bericht“ von Max Frisch geht es um die Ent­wicklung des Protagonisten Walter Faber, einem rational denkenden und den Typus des moder­nen technisch und mathematisch orientierten Menschen verkörpernden Mann, der jedoch durch eine Reihe von schicksalhaften Ereignissen und Zufällen in den Grundfesten seines Weltver­ständnisses erschüttert wird. Die Ereignisse, welche innerhalb weniger Monate des Jahres 1957 geschehen, werden von dem Protagonisten in zwei Etappen retrospektiv aufgezeichnet. Der weit gereiste Protagonist Walter Faber, ein Ingenieur der UNESCO, der an nichts glaubt, als an das, was er sieht sowie an Technik und Fortschritt, muss auf dem Weg nach Caracas mit seinem Flugzeug notlanden. Hierbei lernt er den Deutschen Herbert Henke kennen, der sich als der Bru­der seines Jugendfreundes Joachim herausstellt, welcher seit einiger Zeit kein Lebenszeichen geäußert hat. Zusammen wollen Faber und Herbert Joachim in Guatemala suchen, wo sie ihn schließlich nach einigen Strapazen erhängt in seiner Hütte auffinden. Faber reist daraufhin zurück nach New York, wo der eigentlich in der Schweiz gebürtige Geschäftsmann lebt, um so­gleich mit dem Schiff weiter nach Paris zu einer Konferenz zu fahren. Auf dem Schiff lernt er die zwanzig Jahre alte Studentin Sabeth kennen, die ihn an seine Jugendliebe Hanna erinnert, und macht ihr einen Heiratsantrag. Der dreißig Jahre ältere Faber verliebt sich in das junge Mäd­chen, jedoch erst in Paris treffen sie sich zufällig wieder. Hier beschließen sie weiterhin gemein­sam die Heimreise nach Athen zu Sabeths Mutter zu bestreiten. Auf dem Weg dorthin, auf einer Art kleinen Hochzeitsreise, besichtigen sie verschiedene Sehenswürdigkeiten und erleben ge­meinsam eine glückliche Zeit des Verliebtseins. Dies währt jedoch nicht lange, da Faber, nach­dem er herausfindet, dass Sabeths Mutter sein Jugendliebe Hanna aus den dreißiger Jahren ist, immer mehr von der Gewissheit geplagt wird, dass es seine eigene Tochter ist, mit der er ein Verhältnis hat. Kurz bevor sie am Ziel der Reise ankommen, ereignet sich ein tragischer Unfall. Faber bringt Sabeth ins Krankenhaus und sein lange verdrängter Verdacht, dass Sabeth seine Tochter ist bestätigt sich. Schließlich verstirbt Sabeth an ihren Verletzungen im Krankenhaus. Faber und Hanna bleiben allein zurück. Nach einer Zeit des Reisens, in der Faber das Geschehe­ne reflektieren kann, muss er nach Athen, um sich wegen seiner immer wieder auftretenden Magenschmerzen operieren zu lassen. Mit der Aussicht auf den Tod endet der Roman unmittel­bar vor der Operation Fabers.

2.2 Rezeption des Buches

Max Frisch ist neben Friedrich Dürrenmatt einer der berühmtesten Schriftsteller der Schweizer Geschichte und der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. „Homo Faber“ muss sich an seinem Vorgängerroman „Stiller“ messen lassen. Die Erwartungen an Frisch sind sehr hoch. In Bezug auf Frischs „Stiller“ werden einige negative Kritiker laut, die in Frischs „Homo Faber“ ihre Erwartungen nicht erfüllt finden[2].

Sein Roman „Homo Faber“ findet sich jedoch nach nur einem Monat bereits auf den Best­sellerlisten und ist bald nach dem Erscheinen vergriffen, so dass es innerhalb kurzer Zeit mehrere

Neuauflagen und Nachdrucke geben muss[3]. Die Rezensionen und Kritiken sind insgesamt posi­tiv, so dass der Roman Frischs nach nur fünf Jahren in den Kanon moderner Klassiker aufge­nommen wird und heute Standartlektüre an den Schulen ist.

2.3 Aufbau des Romans

Schon in dem Titel „Homo Faber- Ein Bericht“ zeigt sich ein ganz wesentliches Struktur bestim­mendes Merkmal von Frischs Roman. Es handelt sich um den Bericht von Walter Faber, der zwei Stationen umfasst. Die Ereignisse der ersten Station schreibt Faber in der Zeit vom 21.06­8.07.1957 in Caracas auf. Hier berichtet er vom von dem Beginn seiner Reise in New York, wo er Herbert Hencke kennen lernt und mit seiner Maschine in der Wüste von Tamaulipas notlanden muss (S. 7-33). Er berichtet von der gemeinsamen Suche nach Joachim, Fabers Rückreise nach New York (S. 33-69), von wo er gleich mit dem Schiff geschäftlich nach Paris weiterreist und seine Tochter Sabeth kennen lernt, mit ihr eine Affäre beginnt und sie nach Hause zu ihrer Mut­ter bringen will (S. 69-125). Schließlich endet der erste Teil des Berichts mit einem Unfall, der den Tod Sabeths zur Folge hat und dem Wiedersehen von Faber und Hanna, seiner Jugendliebe und Sabeths Mutter. Insgesamt ist der erste Teil im Wesentlichen von männlichem Selbstbe­wusstsein und dem technokratischen Forstschrittsoptimismus der Frühmoderne geprägt[4].

Die Ereignisse der zweiten Station werden von Faber in einem Athener Krankenhaus ab dem 19.07.1957 bis unmittelbar vor seiner Operation am 21.07.1957 aufgezeichnet. Hier berichtet er davon, was sich seit dem Tod Sabeths zugetragen hat. Faber reist nach seinem Aufenthalt in Grieche nland nach Amerika, Guatemala und Caracas, wo er noch einmal seinen Freund Herbert Hencke besucht. Er verbringt einige Tage in Kuba, Düsseldorf und kehrt schließlich nach Athen zurück, wo er wegen seiner Magenschmerzen operiert werden soll. Faber fügt in diesen zweiten Teil seine neuesten Tagebuchnotizen ein, so dass schließlich Erzählzeit und erzählte Zeit inein­ander aufgehen. Der zweite Teil des Romans zeigt eine Rückbesinnung des Erzählers auf das Unbekannte und verdrängte andere oder auch die weibliche Seite Fabers[5]. Faber hat hier ein größeres Bedürfnis nach Reflexion und seine Gedanken schweifen zu lassen.

Der gesamte Bericht ist gekennzeichnet durch immer wiederkehrende Brüche in der Chronologie der Ereignisse, indem der Erzähler immer wieder mit Reflexionen der Handlung vorausgreift oder an Vergangenes zurück denkt. Diese längeren reflexiven Passagen sind im Text durch Leer­zeilen und drei Gedankenstriche zwischen den Textteilen gekennzeichnet. Wenn es sich um kürzere Reflexionen handelt, die meist aus nur einem Satz oder Wort bestehen, heben sich diese dadurch ab, dass sie kursiv gedruckt sind. Auch die Tagebucheintragungen der zweiten Station sind kursiv gedruckt. Die Form des Berichts wird durch detaillierte Orts- und Datumsangaben, wissenschaftliche Exkurse und Literaturverweise verdeutlicht.

2.4 Erzählkonstruktion

Der Roman „Homo Faber“ ist in der Ich-Form geschrieben. Der Protagonist Walter Faber berichtet retrospektiv seine Geschichte der vergangenen zwei Monate, die zum Tod seiner Toch­ter Sabeth führt und die Zeit danach. Mit der Form des Berichts impliziert man einen gewissen Grad an Objektivität, doch diese Erwartung wird von dem Erzähler Faber nicht erfüllt. Er ist sub­jektiv und der Leser kann nicht ohne weiteres glauben, was er sagt. Faber weicht immer wieder von der eigentlichen Chronologie der Ereignisse ab, verschweigt Dinge oder greift vor, so dass die Ereignisse oft sehr verschachtelt wirken und den Leser im ersten Augenblick verwirren. Die aufgewühlte, labile Verfassung, in der Faber sich beim Schreiben des Berichts befindet, spiegelt sich in seiner ganz eigenen Art zu erzählen wider. Er bemüht sich um eine sachliche Form des Berichts, wie sie für einen Techniker wie ihn angemessen erscheint. Doch diese Bemühungen scheitern oftmals. Faber bringt beispielsweise Sätze nicht zu Ende, benutzt umgangssprachliche Redewendungen und ìedet grammatikalisch nicht korrekt, wenn er innerhalb eines Satzes das Tempus mehrere Male wechselt, ohne dass sich dies grammatisch rechtfertigen ließe. Dass Faber so spricht soll dem Leser die reale Existenz des Erzählers und somit des Erzählten suggerieren[6]. Die Ich- Erzählung zeichnet sich in der Regel durch die Polarität zwischen erzähle ndem Ich und erlebendem Ich aus. In Frischs Roman liegt jedoch eine doppelbödige Form der Ich-Erzählung vor[7]. An einigen Stellen, wenn Faber sich etwa rechtfertigt oder Ereignisse andeutet, die sich noch gar nicht zugetragen haben, sind das rückblickende Ich und das erlebende Ich für den Leser unterscheidbar. Fabers Schuldgefühle und die Angst vor der Wahrheit lassen ihn die Ereignisse unverhältnismäßig hervorheben oder auch verschleiern, so dass einige Details erst nachträglich ans Licht kommen, wie etwa Sabeths Unfall am Strand. Das erzählende Ich hat jedoch oftmals nicht die übliche Distanz zum Geschehen und kann bestimmte Ereignisse noch nicht überblicken und einsehen, da Faber seine Schuld zu verdrängen versucht und noch zu sehr in das Geschehene involviert ist. Somit bleibt das erzählende Ich auf der Bewusstseinsstufe des erlebenden Ich zurück und ist nicht die Orientierungsgröße für den Leser, die ein erzählendes Ich sonst darstellt.

Der Leser muss die wahren Ereignisse, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben, selbst aus den Aussagen des Erzählers, dem er nicht vertrauen kann, herausfiltern[8]. Das Besondere und die Struktur bestimmende an der Erzählsituation in Frischs Homo Faber ist demnach, dass der Leser es mit einem verdrängenden Ich-Erzähler zu tun hat, der ihm nur indirekt das verrät, was sich wirklich ereignet hat, es selber aber gar nicht merkt, da er mit allen Mitteln versucht, die Wahrheit weit weg zu schieben.

2.5 Handlungsschwerpunkte und Motive im Buch

Als Haupthandlungsschwerpunkt im Buch ist die schwere Identitäts- und Lebenskrise Walter Fa­bers zu nennen, die durch eine tiefe Erschütterung seines bisherigen Weltbildes ausgelöst wird. Aus dem unbeirrbaren Technokraten wird ein verunsicherter Mensch, der vollkommen orientie­rungslos zurück bleibt. Hierbei arbeitet Frisch mit vielen Antithesen um den Gegensatz zwischen Gewohntem, dem „Üblichen“ als Formel der Selbstvergewisserung, und dem Anderen zu verdeutlichen. Einige der wesentlichen Antithesen und stereotypen Vorstellungen Fabers ist die Gruppe Technik-Amerika-Mann gegen die Gruppe Mystik-Europa-Frau, die ihm sein schwarz­weißes Weltbild, das sich in seiner Leidenschaft für das Schachspiel äußert, vereinfachen. Sein Weltbild ist von Technikfaszination und Rationalität geprägt, was sich in immer wiederkehren­den technischen Exkursen und nüchternen Bemerkungen des Erzählers zeigt. Faber ist für Tech­nik satt Mystik, was sich leitmotivisch durch den gesamten Roman zieht. Für Faber sind tech­nische Geräte, wie seine Kamera oder sein für ihn lebenswichtiger Rasierapparat, sowie elek­trischer Strom unabdingbar (S. 27). Dieser Abhängigkeit von technischen Errungenschaften steht das Motiv der Mystik gegenüber. Die mythologische Ebene stellt den Gegenpol zu Fabers tech­nisch-rationalem Denken dar und entwickelt sich erst im Verlauf des Romans in dem Maße, wie Fabers Rationalität und Schwarz-Weiß-Denken zum Ende hin abnehmen. Zu der mythologischen Handlungsebene gibt es verschiedene Motive, wie den den Kopf der schlafenden Erinnye (S. 111) oder den Ödipus-Stoff (S. 111). Die Erinnyen, die Rachegöttinnen, die die Menschen für Verbrechen an der Gesellschaft, wie etwa Mord an Blutsverwandten, bestrafen, verweisen wiederum auf die Schuld Fabers, die er in Bezug auf Sabeths Tod auf sich geladen hat. Eine an­dere Motivgruppe verweist auf Themen des Existentialismus. Hierzu gehört das Motiv des Zu­falls und des Schicksalhaften. Faber gerät immer wieder durch Zufall in Situationen, die letztlich alle zu dem verhängnisvollen Ende mit dem Tode Sabeths führen. Er lernt zufällig Herbert Hen- cke kennen, reist zufällig mit dem Schiff anstatt dem Flugzeug nach Paris, wo er zufällig seine Tochter Sabeth kennen lernt und auch zufällig erfährt er von ihr, dass ihre Mutter Hanna Lands- berg, Fabers Jugendliebe ist. Diese Kette von Zufällen sind immer weiter außerhalb des Wahr­scheinlichen, das Faber Sicherheit gibt, angeordnet. Faber stellt sich demnach die Frage nach Selbst und Fremdbestimmtheit. In diesem Zusammenhang ist als weitere existentialistische Themen, Fabers Reflektionen über Gott, das Leben und den Tod zu nennen.

Ein anderer Schwerpunkt des Romans ist die Frage nach der Schuld Fabers. Faber verdrängt diese Schuld am Tod seiner Tochter so gut es geht. Gegen Ende des Romans findet er jedoch immer weiter zu der Einsicht, dass er sich vor dieser nicht verstecken kann und großen Anteil am Tod Sabeths hat. Diese Einsicht zeigt sich in dem Motiv der Zeit. Faber wünscht sich immer wieder, die Zeit zurück drehen zu können, um seine Schuld wieder gut zu machen und das Unglück von Sabeths Tod zu verhindern. Der Handlungsschwerpunkt der Schuld wird ebenfalls unterstützt von dem Motiv der Wiederholung, indem Faber auffällig oft seine Unschuld an dem Geschehenen betont und wiederholt, sowie mit dem Motiv der Blindheit und des Nichts-Sehen- Wollens von Faber. Immer wieder erscheint Faber der Verlust des Sehens als eine von ihm gewählte Strafe für die Schuld, die er auf sich geladen hat. Dieses Motiv hängt ebenfalls eng mit dem Handlungsschwerpunkt des Inzest zusammen und rekurriert auf den Ödipusstoff, als König Ödipus unwissend einen Inzest mit seiner eigenen Mutter vollzieht und sich selbst die Augen zur Strafe zersticht. Der Mythos wird zur treibenden Kraft, der Vergessenes und Verdrängtes herauf­beschwört und einen zerstörerischen Prozess der Erkenntnis einleitet[9]. So wie König Ödipus' Erkenntnis über den Inzest ihn nach Blindheit verlangen lässt, um den Schmerz ertragen zu können, will auch Faber lieber seine Augen vor der Wahrheit verschließen und blind sein.

In enger Verbindung zur Mythologie und im Gegensatz zur Technikabhängigkeit Fabers steht das Thema Natur im Roman. Wenn Faber angewidert von natürlichen Phänomenen berichtet, entwickelt der sonst so sachliche Ingenieur eine Poesie ungekannten Ausmaßes, um seine Ab­neigung zur Natur kund zu tun. Für Faber ist die „klebrige Luft, die schleimige Sonne und das vorsintflutliche Farnkraut“ (S. 33-35) unerträglich. Er hasst Pflanzen und Natur, was sich in dem Motiv seines besessenen, fast zwanghaften Rasierens, zeigt. Er will nach eigener Aussage nicht zur Pflanze werden und rasiert sich wann immer es ihm möglich ist (S. 27).

Als weiterer Schwerpunkt der Handlung fällt Fabers Verhältnis zu Menschen auf. Er ist ein Menschenhasser und isoliert sich selbst aus der Gesellschaft, indem er abweisend und unfreund­lich ist. Das wahre Ausmaß seiner Menschenverachtung zeigt sich dem Leser in Fabers ständigen abfälligen Gedanken und Kommentaren zu allen Menschen, die ihm begegnen (S. 8). Er findet Menschen anstrengend und hat selten ein Bedürfnis nach Kommunikation. Fabers Menschenhass äußert sich in verschiedenen Ausprägungen in dem Motiv des Vorurteils und der stereotypisie- renden Eigenschaftszuschreibungen. Er, der amerikanisierte Schweizer, der zunächst begeistert ist vom „American way of life“, ist bald abgestoßen von der Oberflächlichkeit der Amerikaner, so dass seine Faszination von Amerika bald zu einem Hass wird (S. 172-176). Dieser Hass zeigt sich in der Beschreibung der Ivy, die alles Amerikanische für Faber verkörpert. Er mag keine Deutschen und meint das typisch Deutsche sofort zu erkennen ( S. 7), er redet rassistisch über die Schwarze Putzfrau, die ihn nach seinem Schweißanfall findet als „dicke Negerin mit Riesen­maul“ (S. 11). Seine Vorurteile betreffen auch Indios als unterentwickeltes Volk von Wilden. Griechenland findet Faber furchtbar, weil ihm dort zu viele Menschen auf einem Fleck sind. Die Franzosen mag er nicht wegen ihres Nationalstolzes (S. 70). Seine größten Vorurteile jedoch gelten dem weiblichen Geschlecht, als das dem männlichen deutlich unterlegene ( S. 91). Immer wieder äußert er sich herablassend über Frauen. Er ist angewidert von deren Zärtlichkeiten, welche sich für den Außenstehenden wie kleine Liebenswürdigkeiten und Zeichen einer intakten Beziehung anhören (S. 91). Für Faber ist ein solcher Kontakt mit Frauen auf Dauer nicht denk­bar. In dem Motiv der Hochzeit zeigt sich Fabers paradoxe Haltung. Er redet von Liebe und Ehe, als sei ihm beides fremd und typisch weiblich. Genau wie die zwanghafte Überbetonung seiner Unschuld fällt jedoch auch die Überbetonung von Hochzeit auf und schließlich ist er es, der Hanna und Sabeth und schließlich wieder Hanna nach Sabeths Tod heiraten will. Zum Ende des Romans entwickelt Faber immer stärker seine verdrängte weibliche Seite, denn hier verliert er, der Techniker, sich immer häufiger in Reflexionen über Dinge, die jenseits des Rationalen lie­gen, wie das Leben und vor allem den Tod, der sich ebenfalls immer deutlicher zum Ende hin andeutet (S. 194-196). Mit Fabers Verhältnis zu Frauen geht das Motiv der Sprachlosigkeit und gestörten Kommunikation einher. Als Faber wieder auf Hanna trifft, sprechen beide aneinander vorbei. Hanna fragt Faber nach dem Hergang des Unfalls, doch Faber, wenn er überhaupt antwortet, berichtet immer nur fragmentarisch, er stellt Gegenfragen und weicht Hannas Fragen aus. Faber ist ein, weil beziehungsloser, so auch sprachloser Mensch[10]. Nicht zuletzt wegen dieser Sprachlosigkeit muss Sabeth sterben, die nicht wie Faber zunächst berichtet, wegen eines Schlangenbisses, sondern, wie er verschweigt, an einem Sturz auf den Hinterkopf stirbt.

Eine andere Handlungsebene ist die der Liebesgeschichte und gleichzeitig des Inzests von Faber und Sabeth. Sabeth lehrt Faber, der immer wieder seine Abscheu vor Zärtlichkeit und Zuneigung beteuert, zu lieben. Faber wird in dieser Beziehung regelrecht hingebungsvoll und kann seine Abneigung zur Sexualität, er findet den Akt des „sich Paarens“ pervers, überwinden.

[...]


[1] Marci - Boehnke, Gudrun: Max Frisch/ Volker Schlöndorff: Homo Faber. In Gast, Wolfgang (Hrsg.): Film und Literatur: Analysen, Materialien, Unterrichtsvorschläge. Bd. 4. Frankfurt a.M., 1995, S. 34 (SIGLE: Marci- Boehnke, 1995), S. 43

[2] vgl. Schmitz, Walter (Hrsg.): Frischs Homo Faber. Frankfurt a.M. 1983 (SIGLE: Schmitz, 1983), S. 253

[3] vgl. Schmitz, Walter, 1983, S. 244

[4] Lubich, 1990, S. 41

[5] vgl. Lubich, 1990, S. 41

[6] vgl. Hurst, Matthias: Erzählsituationen in Literatur und Film. Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptionen. Tübingen 1996, S. 332 (SIGLE: Hurst, 1996) 212

[7] vgl. Lubich, 1990, S. 43

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Homo Faber. Ein Vergleich von Max Frischs Roman und Volker Schlöndorffs filmischer Adaption
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig  (Seminar für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Literatur und ihre Verfilmungen am Beispiel Theodor Fontanes
Note
1,8
Autor
Jahr
2004
Seiten
36
Katalognummer
V28389
ISBN (eBook)
9783638301855
Dateigröße
1477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Homo, Faber, Vergleich, Frischs, Roman, Volker, Schlöndorffs, Adaption, Literatur, Verfilmungen, Beispiel, Theodor, Fontanes
Arbeit zitieren
Andrea Deutsch (Autor:in), 2004, Homo Faber. Ein Vergleich von Max Frischs Roman und Volker Schlöndorffs filmischer Adaption, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28389

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