Unterrichtsreihe zu "Kleider machen Leute" von Gottfried Keller

Thema der Stunde: Wenzel Strapinski am Tiefpunkt. Entlarvung eines Hochstaplers?


Unterrichtsentwurf, 2009

23 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Bedingungsfelder

2. Lehrplanbezug

3. Einbettung in die Reihe

4. Sachanalyse

5. Didaktische Analyse

6. Lernziele

7. Verlaufsplan

8. Methodische Analyse

9. Geplantes Tafelbild

10. Literatur

11. Anhang
- Folie mit Arbeitsaufträgen, Zitat zur Vertiefungsphase und Hausaufgabe
- Folie mit Inszenierungsfotos (Die Schlittenzüge der Seldwyler)
- Textgrundlage (S. 30 – 37, Schöningh- Textausgabe)

1. Bedingungsfelder

Die Klasse 8d unterrichte ich seit Beginn des Schuljahres 2008/2009 im eigenverantwortlichen Unterricht.

Die Lerngruppe besteht aus 11 Schülerinnen und 18 Schülern. Das Arbeitsklima in dieser Klasse empfinde ich insgesamt als positiv und angenehm. Die Schüler[1] verhalten sich mir gegenüber aufgeschlossen und freundlich. Sie sind am Unterrichtsgeschehen meistens interessiert und arbeiten überwiegend engagiert mit. Da es sich bei der Lehrprobenstunde um die erste Unterrichtsstunde des Schultages handelt, sind bezüglich der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie der Klassenatmosphäre weniger Einschränkungen bzw. Unruhe zu erwarten, als es in einer späteren Stunde der Fall wäre.

Im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit handelt es sich um eine sehr heterogene Lerngruppe: Die Spitzengruppe setzt sich aus zwei Schülerinnen und drei Schülern zusammen, die sich durch eine gleich bleibend hohe Beteiligung am Unterricht und qualifizierte Unterrichtsbeiträge hervorhebt. Demgegenüber stehen aber auch mehrere schwächere Schüler, die sich deutlich weniger am Unterrichtsgeschehen beteiligen und auch qualitativ nicht so stark einzuschätzen sind, wie der Rest der Klasse. Vor allem die schwächeren Schüler erhoffe ich mit einer größeren Varianz der Unterrichtsmethoden und somit einer vielfältigen Herangehensweise für die Reihe begeistern zu können. Auch das in dieser Klasse sehr unterschiedliche Arbeitstempo kann durch dieses Vorgehen zumindest einigermaßen kompensiert werden.

Hinsichtlich der Leistungsbereitschaft zeigt sich, dass alle Schüler in der ersten Stunde der Reihe zum Thema „Kleider machen Leute“ sehr motiviert waren. In den weiteren Stunden der Reihe ließ die Begeisterung für die Lektüre zunächst zu wünschen übrig. Bemängelt wurde vor allem die schwierige Sprache und der „wenig ereignisreiche“ Inhalt. Hier gab es vor allem Seitens der schwächeren Schüler deutliche Proteste gegen die Lektüre. Trotzdem entwickelte sich dann aber bei allen Schülern schnell ein Interesse, zunächst an der Schuldfrage, an der Frage, ob Melcher Böhni und Wenzel Strapinski schlechte Menschen sind, aber wohl auch, weil das Thema immer noch aktuell und bedeutend ist: Auch heute machen Kleider noch Leute.

2. Lehrplanbezug

Betrachtet man sich den rheinland-pfälzischen Lehrplan Deutsch für die Sekundarstufe I, so ist die Novelle „Kleider machen Leute“ von Gottfried Keller als Lektürevorschlag für die Klassen 7/8 aufgeführt.[2] Es wird unter dem Lernbereich „Umgang mit Texten“[3] die Auseinandersetzung mit altersgemäßen Texten und u.a. auch mit einer „Novelle oder längeren Erzählung (19. Jh.)“[4] gefordert. Die Schüler sollen laut den Zielsetzungen des Lehrplans „Problematik, Handlungsverlauf, Personendarstellung, äußeres und inneres Geschehen, Darstellungsmittel, Aufbauprinzipien, Figur, Merkmale der Gattung erkennen“.[5] Als weitere Ziele wird vertiefend auch das Erkennen von Gattungsmerkmalen, so u.a. rhetorische Mittel und sprachliche Bilder, gefordert. Hierzu bietet sich die Untersuchung der Symbolsprache Kellers, die er häufig verwendet, sehr an. Der Aktualitätsbezug der Novelle sollte zudem immer wieder im Hintergrund mitbedacht werden, indem einfache Kriterien literarischer Wertungen aufgestellt werden. So z.B. die Beurteilung des Wirklichkeitsgehalts.[6] Mit dem im Folgenden beschriebenen Aufbau der Reihe sollen diese Aspekte erreicht werden. Die Textauswahl soll dabei aus Gründen der Motivation Alter und Interesse der Schüler besonders berücksichtigen und sie aber auch an den ersten Kontakt mit einem Stück „Weltliteratur“ heranführen. Dem Interesse der Schüler kommt, wie oben schon beschrieben, die Thematik der Novelle und ihre anhaltende Aktualität entgegen.

Betrachtet man sich parallel zum Lehrplan auch die Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss, so ist „Kleider machen Leute“ dem Kompetenzbereich „Lesen – mit Texten und Medien umgehen“[7] zuzuordnen. In der Beschreibung der einzelnen Standards finden sich zu diesem Kompetenzbereich unter der Rubrik „Literarische Texte verstehen und nutzen“[8] ebenfalls Zielbeschreibungen, die im Großen und Ganzen deckungsgleich mit den Aussagen des Lehrplans sind.[9] Insofern ist die Novelle gut geeignet, um einen Teil der in den Bildungsstandards von den Schülern geforderten Fertigkeiten zu lernen und zu üben, über die sie am Ende der Sekundarstufe I verfügen sollten.

3. Einbettung in die Reihe

Die heutige Lehrprobenstunde stellt die neunte Stunde der Reihe zum Thema „Kleider machen Leute“ von Gottfried Keller dar. Der bisherige Reihenverlauf soll nun nachfolgend kurz geschildert werden. In der Einführungsstunde wurde mit dem Erstellen von Collagen zur Thematik ein kreativer Einstieg gewählt, um so auch die Motivation der Schüler für dieses Thema zu wecken und gleichzeitig auch die Gegenwartsbedeutung und die Aktualität zu verdeutlichen und mit der Schülerwirklichkeit zu verknüpfen. In der zweiten Stunde stand die Entstehung des Bildes des Grafen, die Beschreibung der Hauptfigur Wenzel Strapinskis im Vordergrund. Aufbauend auf dieser Grundlage wurde in der Folgestunde die Verwechslung Wenzels mit einem polnischen Grafen im Gasthaus „Zur Waage“ thematisiert und mit einer Charakterisierung Wenzels abgeschlossen. Anschließend wurde die Integration Wenzels in die Goldacher Gesellschaft genauer beleuchtet und die wichtigsten Personen der Goldacher Gesellschaft genauer unter die Lupe genommen. Herausgegriffen wurde in der darauf folgenden Stunde die Analyse zu Melcher Böhni als Gegenspieler Wenzels. Danach kam eine genaue Untersuchung der drei Fluchtversuche Wenzels zur Sprache, welche seine Entwicklung zum Hochstapler in gewissem Maße forcieren. Die beiden letzten Stunden vor der heutigen Lehrprobenstunde befassten sich mit der Liebesgeschichte Wenzels und seiner Beziehung zu Nettchen. Auch hier stand eine Charakterisierung Nettchens im Zentrum des Geschehens. Nach der Lehrprobenstunde, die sich nun mit der Demaskierung Wenzels auf dem Verlobungsfest befasst, sind im weiteren Verlauf der Reihe folgende thematischen Schwerpunkte geplant: Es könnte zunächst Nettchens Rolle als Retterin und die Vergangenheitsbewältigung Wenzels im Blickpunkt stehen, bevor die Frage nach der Schuld Wenzels sicherlich nochmals einen interessanten Untersuchungsaspekt darstellt, der auch in einer kleinen Gerichtsverhandlung von den Schülern gespielt werden kann. Weiterhin soll auf jeden Fall auch noch die Erzähltechnik der Novelle und somit die Gattung Novelle eingehender beleuchtet werden. Abgeschlossen werden kann die Reihe dann beispielsweise mit der Arbeit an Vergleichstexten, der Umsetzung ausgewählter Textstellen im szenischen Spiel, oder mit dem Vergleich der filmischen Umsetzung von 1940.

4. Sachanalyse

Gottfried Kellers Werk aus dem Jahre 1872 erzählt die Geschichte des arbeitslosen Schneidergesellen Wenzel, der, weil er trotz Armut nicht auf gute Kleidung verzichtet, von den Bürgern der schweizerischen Kleinstadt Goldach für einen reichen polnischen Grafen gehalten wird. Neben seiner vornehmen Kleidung und seinem gepflegten Äußeren tragen mehrere Faktoren weiter zu dieser Verwechslung bei.

Der wortkarge Schneider reagiert zwar irritiert auf diese offensichtliche Fehlinterpretation seines Status, klärt die Verwechslung jedoch nicht auf. Seine zurückhaltende, schüchterne und bisweilen tollpatschige Art wird von den Goldacher Bürgern wiederum als Hinweis auf seine vornehme Herkunft interpretiert und bestärkt sie in dem Eindruck, dass es sich bei Wenzel tatsächlich um einen Grafen handeln müsse. Er wirkt auf die Umwelt wegen seiner schönen Blässe und seines Schwermuts mindestens „wie ein geheimnisvoller Prinz, oder Grafensohn“[10]. Schließlich werden auch die edlen Herren der Stadt auf ihn aufmerksam und nehmen ihn in ihre Gesellschaft auf. Hier lernt er Nettchen, die Tochter des Amtsrates, kennen. Obwohl er von ihr sehr angetan ist, plagt ihn sein Gewissen und er trägt sich mit dem Gedanken die Stadt schnell und unauffällig zu verlassen.

Doch die ihm förmlich aufgedrängte Rolle und die damit einhergehenden Annehmlichkeiten üben auf ihn einen solchen Reiz aus, dass sein starkes Rechtsempfinden und seine grundsätzlich ehrliche Natur sich nicht durchsetzen können. „Er beginnt, sich in seiner Rolle als polnischer Graf zu gefallen und sie durch bewusst ausgesuchtes Benehmen [...] perfekt zu spielen.“[11]

Auch seine Schüchternheit und die Angst vor Schmach und Hohn hindern ihn im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder daran, den Kleinstädtern die Wahrheit zu sagen. Da er auch eine gewisse Eitelkeit besitzt, genießt er das ihm entgegengebrachte Ansehen und wird so im Verlauf der Novelle „zum Helden eines eigenartigen Romans.“[12] Eine besondere Rolle spielt auch Nettchen, die ihm zunehmend gefällt und deren Herz er auch schließlich erobern kann. Während der Verlobungsfeier wird seine wahre Identität durch eine Gruppe Seldwyler Karnevalisten aufgedeckt. Angeführt wird diese Gruppe von Melchior Böhni, einem „geborenen Zweifler“[13], der von Anfang an als Einziger die Integrität des Schneiders bezweifelt hat.

In der Schilderung der beiden Schlittenzüge, die diese „Verlobungsszene“ im Gasthof zwischen den ungleichen Städten einleitet, zeigt sich Kellers meisterliches Erzählen. Zunächst stellt Keller den Schlittenzug der ernsthaft gemeinten Maskerade der Goldacher Gesellschaft dar. Er versieht nun die Schlitten mit Galionsfiguren, deren ins Auge fallende Bedeutung im Erzählkommentar oder durch die Handlungsführung in Zweifel gezogen werden. So fahren Nettchen und Strapinski z.B. im Schlitten mit dem Namen „Fortuna“, der Göttin des Glücks. Es wird deutlich, dass es also nur noch auf den Schein ankommt. Böhnis Schlitten, der „Teich Bethesda“ der biblische Ort, an dem „ein jüdisches Männchen [...] dreißig Jahre auf sein Heil gewartet hat“[14], wird zum Zeichen der Vergeblichkeit bei seiner eigenen Werbung um Nettchen.[15]

Anders ist der Schlittenzug der Seldwyler. Seine Funktion, den polnischen Grafen als Seldwyler Schneider zu entlarven, dem falschen Schein das wahre Sein gegenüberzustellen, erfüllt sich in allen verwendeten Zeichen: Im Gebrauch „bäuerlicher Lastschlitten“[16], in der groben Künstlichkeit der Galionsfiguren (Fortuna, als eine in den Himmel hinausfliegende Strohpuppe voll schimmernden Flittergoldes) und in den dem Schneiderhandwerk zugeordneten Insignien, wie Ziegenbock, Schere oder Bügeleisen.[17] Zwischen der Inschrift des ersten Schlittens „Kleider machen Leute“ und ihrer Umkehrung am letzten Schlitten „Leute machen Kleider“ wird eine bunte Gesellschaft von Schneidersleuten aus allen Nationen und Zeitaltern von den Seldwylern gespielt. „Sein ist in Schein verkehrt.“[18] In dem vor der Goldacher Gesellschaft im Gasthaus aufgeführten Demaskierungsspiel setzt Keller zum einen das Gebärdenspiel zu dem Satz „Leute machen Kleider“ und dessen Umkehrung ein, zum anderen bekannte Redensarten, Sprichwörter und Tierfabeln, die den Triumph des Scheins über das Sein verdeutlichen.[19] Der Wolf im Schafspelz, der Esel in der Löwenhaut und die Krähe mit der Pfauenfeder sind Fabelgestalten, die mit ihren Verkleidungen zwar zum Erfolg kommen, aber letzten Endes ihr wahres Sein nicht verleugnen können. Weiterhin spielen die Seldwyler Schneidergruppen das Auftreten Wenzels in Goldach nach und führen zu guter Letzt den realen Wenzel Strapinski vor.[20] Die Reaktion Wenzels und Nettchens auf diese „beschämende“[21] Entlarvung wird auch durch die sprachliche Gestaltung treffend verdeutlicht. Zunächst noch „bleich und lächelnd“[22], dann aber „willenlos“[23] (treffende Adjektive) sitzt das Paar später aber „unbeweglich auf seinen Stühlen, gleich einem steinernen ägyptischen Königspaar“[24] (Vergleich). Hier wird in steigernder Weise die immer größer werdende Verzweiflung Wenzels deutlich. Er reagiert auf seine Demaskierung zudem zutiefst beschämt und verlässt weinend den Raum. Nettchen aber, die sich von ihm berichten lässt, wie es zu der Verwechslung gekommen ist, hält zu ihm, weil sie seinen im Grunde ehrlichen Charakter erkennt.

[...]


[1] Zur besseren Lesbarkeit wird nachfolgend die Bezeichnung „Schüler“ für beide Geschlechter verwendet.

[2] vgl. Rheinland-Pfalz Lehrplan Deutsch (Klassen 5 - 9/10). Hg. v. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung. Mainz, 1998, S. 233.

[3] ebenda, S. 194f.

[4] ebenda, S. 194f.

[5] ebenda, S. 194f.

[6] vgl. ebenda, S. 194f.

[7] Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss; Beschluss vom 4.12.2003, S. 8

[8] ebenda, S. 14

[9] vgl. ebenda, S. 14. Weiterhin sind diese Beschreibungen auch in den „Erwartungshorizonten - Klassenstufe 6 und 8 – zu den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss im Fach Deutsch“ (KMK, 2003) zu finden (vgl. dort S. 28ff).

[10] Keller, G. (2004): Kleider machen Leute. Textausgabe Schöningh- Verlag., S. 7, Z. 2f.

[11] Freund- Spork, W. (2002): Lektüreschlüssel, Gottfried Keller, Kleider machen Leute. S. 11.

[12] Textausgabe Schöningh- Verlag. S. 26, Z. 21.

[13] Ebenda, S. 17, Z. 3f.

[14] Textausgabe Schöningh- Verlag. S. 31, Z. 5ff.

[15] vgl. Freund- Spork, W., S. 52.

[16] ebenda, S. 20f.

[17] vgl. ebenda, S. 31f.

[18] Freund- Spork, W., S. 52.

[19] vgl. ebenda.

[20] vgl. Textausgabe Schöningh- Verlag. S. 34, Z. 5ff / S. 34, Z. 15-S. 36, Z.20.

[21] Benno v. Wiese: Gottfried Keller: Kleider machen Leute. Düsseldorf, 1964. S. 239.

[22] Textausgabe Schöningh- Verlag. S. 34, Z. 24f.

[23] ebenda.

[24] ebenda, S. 36, Z. 11f.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Unterrichtsreihe zu "Kleider machen Leute" von Gottfried Keller
Untertitel
Thema der Stunde: Wenzel Strapinski am Tiefpunkt. Entlarvung eines Hochstaplers?
Hochschule
Staatliches Studienseminar für das Lehramt an Gymnasien Bad Kreuznach
Note
2
Autor
Jahr
2009
Seiten
23
Katalognummer
V283944
ISBN (eBook)
9783656856832
ISBN (Buch)
9783656856849
Dateigröße
4179 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
unterrichtsreihe, kleider, leute, gottfried, keller, thema, stunde, wenzel, strapinski, tiefpunkt, entlarvung, hochstaplers
Arbeit zitieren
Stefan Scherer (Autor:in), 2009, Unterrichtsreihe zu "Kleider machen Leute" von Gottfried Keller, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283944

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