Leseprobe
Inhaltsverzeichnnis
1. Einleitung
1.1 Inhaltsangabe der zu untersuchenden Korpora
1.1.1 Inhaltsangabe des Märchens “Hans im Glück”
1.1.2 Inhaltsangabe des Märchens „Daumerlings Wanderschaft“
1.1.3 Inhaltsangabe des Märchens „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.“
2. Sprachliche Analyse der drei Märchenkorpora mit dem Fokus auf dem Begriff “Wanderschaft”
3. Inhaltliche Analyse der drei Märchenkorpora: Auslegung in Bezug auf den Handlungsverlauf, die Figuren und die angesprochenen Themen
3.1 Glücksuchewanderschaft im “Hans im Glück”
3.2 Erfahrungswanderschaft im :”Daumerlings Wanderschaft”
3.3 Bewährungswanderschaft im Märchen: “Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.”
4. Schlusswort
5. Anhang
5.1 Märchen Nr.1: Hans im Glück
5.2 Märchen Nr.2: Daumerlings Wanderschaft
5.3 Märchen Nr.3: Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ein von den Grimmschen Märchen häufig aufgegriffenes Thema ist die Wanderschaft. In gewissem Maße sind die Märchen selbst wandernde Kulturgüter. Im romantischen Sinne könnte man sich es so vorstellen, dass die Märchen durch unzählige Länder gewandert sind, bevor sie eines Tages auf dem Schreibtisch der Brüder Grimm ankamen, und diese auf die wunderbare Idee kamen, sie in einem Buch zu fixieren. Doch lebt die märchenhafte Wanderschaft durch die in den Märchen aufgetretenden Figuren weiter, sei es in Form von Glücksuche, „Er-fahrung“ oder noch Bewährungs-Wanderschaft.
Schwerpunkt dieser Seminararbeit ist die Auslegung der Problematik der Wanderschaft in romantischen Märchen am Beispiel von drei ausgewählten Grimmschen Märchen, die das Thema ansprechen, nämlich: “Hans im Glück”, ”Daumerlings Wanderschaft” und das “Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen”. Das Wörterbuch von Wahrig definiert die Wanderschaft als das Wandern oder noch die Zeit des Wanderns. Das Verb “wandern” definiert es wie folgt: “zu Fuß reisen, zu Fuß weit umhergehen”. Der Duden-Deutsches Universal-Wörterbuch definiert den Begriff als „Das Wandern, Umherziehen oder –reisen“, oder noch „das Nichtsesshaftsein“. Nach ihm bedeutet „wandern“: “(nicht sesshaft, ohne festen Aufenthaltsort) umherziehen, von Ort zu Ort, zu einem entfernten Ziel ziehen”. Also wer auf Wanderschaft geht, der muss seinen Wohnort verlassen. An dieser Stelle stellt sich u. a. die Frage, warum, wozu und wie geht der Märchenheld auf die Wanderschaft. Welche sprachlichen Signale zur Fortbewegung in den Märchen sind herauszufinden? Die Antwort auf diese Fragen rechtfertigt die vorliegende Seminararbeit. Eine flüchtige Übersicht der Märchen der Brüder Grimm vermittelt uns den Eindruck, dass verschiedene Gründe für eine Wanderschaft der jeweiligen Märchenhelden existieren. Unter allen möglichen Gründen und Endzielen beschränkt sich diese Arbeit auf die Glücksuche, die Er-fahrung und die Bewährung. Die Beschränkung des Textkorpus auf die Grimmsche Sammlung sowie auf die drei oben genannten Märchen liegt, neben dem Zeitfaktor, in der Vielfalt des Materials begründet und erlaubt mir außerdem, mich auf Märchen aus einem bestimmten Zeitraum zu beschränken.
Nach der Inhaltsangabe jedes betreffenden Märchens, werden wir die Funktionsweise der Wanderschaft im jeweiligen Märchen durch eine sprachliche sowie inhaltliche Analyse in Bezug auf den Handlungsverlauf, die Figuren und die aufgegriffenen Themen untersuchen.
1.1 Inhaltsangabe der zu untersuchenden Korpora
1.1.1 Inhaltsangabe des Märchens “Hans im Glück”
Hans hat sieben Jahre für seinen Arbeitgeber gearbeitet und will nun heim zu seiner Mutter. Er bekommt einen Klumpen Gold als Lohn und macht sich auf den Weg. Schwer an dem Klumpen tragend, trifft er einen Reiter und tauscht sein Gold gegen das Pferd ein. Das Pferd aber wirft Hans ab, und so ist er froh, es gegen eine Kuh zu tauschen, die ein vorbeikommender Bauer vor sich her treibt. Als er versucht, das Tier zu melken, gibt es dem Ungeübten einen Tritt.
Da kommt ein Metzger vorbei, und Hans tauscht die unergiebige Kuh gegen dessen Schwein. Bisher ging alles nach Wunsch, so denkt sich Hans: Jeder Ärger verschwand, sobald er auftrat. Ein Weilchen begleitet ihn nun ein junger Bursch mit einer Gans. Der erzählt ihm, das Schwein könnte gestohlen sein, nach dem Dieb würde schon gesucht. Auf Hans' Bitten tauscht der Bursche seine Gans gegen das Schwein.
Als nächstes begegnet Hans einem Scherenschleifer, der ihm rät, auch ein Schleifer zu werden, damit könnte man viel Geld verdienen. So tauscht Hans seine Gans gegen einen Wetzstein und einen Stein zum Schärfen. Bald wird er durstig und legt seine Steine auf den Rand eines Brunnens. Als er sich hinabbeugt, um zu trinken, stößt er versehentlich an die Steine, die daraufhin in den Brunnen fallen. Da dankt er Gott mit Tränen in den Augen: Die schweren Steine waren das letzte, was ihm noch hinderlich gewesen ist. Frei von aller Last und glücklich kommt er heim zu seiner Mutter.
1.1.2 Inhaltsangabe des Märchens „Daumerlings Wanderschaft“
Ein daumengroßer, aber mutiger Schneiderssohn will in die Welt hinaus. Er kriegt vom Vater eine Stopfnadel als Degen mit. Dann schaut er zur Mutter mit dem Essen. Der Dampf trägt ihn zum Schornstein hinaus. Er geht zu einem Meister, bei dessen Frau er sich über das Essen beschwert. Sie jagt ihn fort. Er begegnet Räubern, für die er durch eine Türritze in des Königs Schatzkammer dringt und die Taler durchs Fenster wirft. Als der König kommt, versteckt er sich. Auch die Wachen hält er zum Narren. Die Räuber loben ihn, aber er nimmt nur einen Kreuzer und geht weiter. Er arbeitet nicht gern und landet bei einem Gasthof, wo er bei den Mägden unbeliebt ist, weil er alle kleinen Diebstähle sieht. Eine wirft ihn mit gemähtem Gras einer Kuh vor. Er ruft aus ihrem Magen, als sie gemolken wird und als sie geschlachtet werden soll, aber wird nicht gehört und verstanden, auch beim Schlachten nicht. Er springt zwischen den Messern durch und wird bis Winter in der Wurst im Kamin geräuchert. Beim Aufschneiden zu Tisch springt er heraus. Draußen fängt ihn ein Fuchs, aber bringt ihn heim zum Vater, weil er dafür dessen Hühner bekommt.
1.1.3 Inhaltsangabe des Märchens „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.“
In diesem Märchen geht es um einen jungen Mann, der sich vor nichts und niemandem fürchtet. Weder Gespenster noch Tote noch wilde Tiere machen ihm Angst. Sein Vater kann das nicht mehr mitansehen und schickt ihn fort, damit er das Ängstigen lernen möge. Er gelangt schließlich an ein verwunschenes Schloss, in dem noch niemand drei Nächte lang überlebt hat. Derjenige, dem dies gelingen sollte, bekäme die Königstochter zur Frau. Der junge Mann willigt ein, es zu versuchen und erlebt in den nächsten drei Nächten allerhand Grauenhaftes, das ihm jedoch nichts ausmacht. Letztendlich besiegt er damit die bösen Geister, die bis dahin jeden dort Nächtigenden getötet haben, und bekommt die Prinzessin zur Frau, die ihm schließlich doch noch mit einem Trick das Gruseln lehrt. Die junge Frau schüttet des Nachts dem Schlafenden einen Bottich kaltes Wasser mit kleinen Fischen über den Leib. Da springt er heraus und ruft, nun grusele es ihm in der Tat.
2. Sprachliche Analyse der drei Märchenkorpora mit dem Fokus auf dem Begriff “Wanderschaft”
Wander- und Abenteuerlust, Naturerlebnis, Optimismus, Gefühl, individuelles Erleben sind u. a. kennzeichnende Züge der romantischen Dichtung. Sowohl in der Prosadichtung als auch in der Lyrik werden die Figuren zumeist durch Zufriedenheit, Fröhlichkeit, Fernweh und –reise charakterisiert, wie bei Robert Walser zu lesen ist:
Eines Vormittags, da mich die Lust, einen Spaziergang zu machen, ankam, setzte ich den Hut auf den Kopf, lief aus dem Schreib- oder Geisterzimmer weg und die Treppe hinunter, um auf die Straße zu eilen. (Walser, 1917)1
oder noch bei Elias Canetti: “Immer will man weg, wenn es keinen Namen hat, wohin man will, wenn es unbestimmt ist und man keine Grenzen darin sieht, so nennt man es Freiheit.”2
Die Märchen der Gebrüder Grimm verwenden viele sprachliche Signale der Fortbewegung und betonen somit ihr romantisches Charakteristikum.
Sehr illustrative Beispiele sind in den Märchen “Hans im Glück”, “Daumerlings Wanderschaft” und “Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen” hervorzuheben.
“Hans im Glück” bietet uns anfangs der Erzählung einen beispielhaften Satz zur Fortbewegung:
Hans zog sein Tüchlein aus der Tasche, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Haus. Wie er so dahinging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem muntern Pferd vorbeitrabte. (KHM 83)3
In “Daumerlings Wanderschaft” lesen wir ebenfalls:
Er [der Daumerlings] hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater: “Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus.” “Recht, mein Sohn”, sprach der Alte [...], “da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.” [...] Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt, zog umher [...]”(KHM 45)4
Das “Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen” hebt ebenso dieses Hinaustreten zur Wanderschaft wie folgt hervor:
“Ja, Vater, [sprach der Junge] wartet nur, bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Grusseln lernen”, “Lerne, was du willst”, sprach der Vater, “mir ist alles einerlei. Da hast du fünfzig Täler, damit geh in die weite Welt [...]” Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Täler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße [...]. (KHM 4)5
Die Anfänge der drei Märchen weisen strukturell deutlich auf die handlungsauslösenden Momente der Entscheidung zur Wanderschaft hin und beschreiben wie sich die Helden dafür vorbereitet haben. Bei „Hans im Glück“ bemerkt man sozusagen eine richtige Vorbereitung zum Wandern: der Märchenheld zog zuerst sein Tüchlein aus der Tasche, wickelte dann den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich schließlich auf den Weg nach Haus. Während Hans da alles Benötigte richtig eingepackt hat, bekommt das Schneiderlein nur einen Degen von seinem Vater, also das Allernötigste: “Da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.” Obwohl die Wanderschaftsvorbereitungen dort recht knapp erscheinen, erweist sich der Degen äußerst wichtig für den Schutz des Schneiderleins vor eventuellen Angriffen, besonders wegen seiner fingergoßen Gestalt. Die Knappheit der Wanderschaftsvorbereitungen beim “Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen” weichen nicht viel von den Vorbereitungen bei “Daumerlings Wanderschaft” ab. Hier bekommt der Held von seinem Vater fünfzig Taler als Taschengeld, bevor er in die weite Welt hinausgeht. So gelangt man zu der Einsicht, dass sich die Motive je nach Wanderschaften unterscheiden. Bei anderen Autoren der Romantik gelten auch die Geige, die Schuhe oder der Wanderstab als prägnante Motive. So, wie bei Joseph von Eichendorff in seinem Werk „Aus dem Leben eines Taugenichts“ zu lesen ist, erweisen sich die Geige sowie die Groschen als wichtige Motive; aber als wichtiger gilt hier die Geige des Taugenichts.6
Eine Durchsicht der zu untersuchenden Märchen lässt uns viele Wörter oder Ausdrücke in Bezug auf den Wander- und Reisemotiv herausziehen. Erwähnenswert sind folgende oben von mir fett markierte Wörter und Ausdrücke, z. B.: „ die Tasche, hineinwickeln, auf die Schulter setzen, sich auf den Weg machen, immer ein Bein vor das andere setzen …“ ( „Hans im Glück“), „ in die Welt hinaus sollen, draußen in der weiten Welt sein, umherziehen …“ (Daumerlings Wanderschaft), „ ausgehen sollen, in die weite Welt gehen, hinaus auf die große Landstraße gehen …“ (Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Zufriedenheit und Fröhlichkeit kennzeichnen meistens die Figuren. Der folgende Satz aus „Hans im Glück“ deutet darauf hin: „Wie er so dahinging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem muntern Pferd vorbeitrabte.“ All diese sprachlichen Signale weisen deutlich auf die Fortbewegung sowie auf das Fernweh und die Verbundenheit mit der Natur hin, typischerweise prägnante Motive der Romanik. Genau über die Funktion dieser typisch romantischen Wanderschaft schreibt Patrick Süßkind Folgendes:
Gehen beschwichtigt. Im Gehen liegt eine heilsame Kraft. Das regelmäßige Fuß-vor-Fuß-Setzen bei gleichzeitigen Rudern der Arme, das Ansteigen der Atemfrequenz, [...] das Gefühl der vorüberwehenden Luft auf der Haut – all das sind Geschehnisse, die Körper und Geist auf unwiderstehliche Weise zusammendrängen und die Seele, auch wenn sie noch verkümmert und lädiert ist, wachsen und sich weiter lassen. (Süßkind, 1826)7
Zunächst werden wir auf die inhaltliche Analyse der drei Märchenkorpora eingehen. Dabei werden die Glücksuche in „Hans im Glück“, die Erfahrung in „Daumerlings Wanderschaft“ und die Bewährung im „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ vor dem Hintergrund des Begriff „Wanderschaft“ ausgelegt werden.
3. Inhaltliche Analyse der drei Märchenkorpora: Auslegung in Bezug auf den Handlungsverlauf, die Figuren und die angesprochenen Themen
3.1 Glücksuchewanderschaft im “Hans im Glück”
"Hans im Glück" (KHM 83) ist ein faszinierend vielschichtiges Stück Kurzprosa, das bei näherer Betrachtung viele Facetten aufweist. Die Handlung des Märchens kreist um die Hauptperson, deren Charakter dabei immer deutlicher wird.
Auf den ersten Blick ist Hans - finanziell gesehen - ein Vollidiot. Er verspielt seinen hart erarbeiteten, wertvollen Lohn. Am Schluss bleibt ihm nichts von sieben Jahren harter Arbeit. Die sieben Jahre sollen hier nicht wörtlich genommen werden. Winfried Freund weist wie folgt darauf hin:
Sieben ist die Zahl der Fülle und der Ganzheit, des Vollkommenen wie des Vollendeten. Am siebten Tage ist das Schöpfungswerk vollendet, sieben Tage umfaßt die Woche. Die sieben Jahre, die Hans gedient hat, könnten die Lebensarbeitszeit überhaupt meinen, die Zeitspanne des beruflichen Tätigseins. So verstanden, erhielte der Hinweis von Hans, daß seine Zeit herum sei, einen nachvollziehbaren Sinn. (Freund, 1996 S. 173-174)8
Die innewohnende Botschaft scheint hier vordergründig nur eine Deutung zuzulassen: „Der in der Fremde dienende Hans vermag den plötzlichen Reichtum nicht einzuschätzen, verkennt dessen Wert und lässt sich auf von ihm selbst angeregte Tauschgeschäfte ein.“9 Er tauscht ein Ding gegen das andere, und dabei bekommt er immer weniger Gegenwert. Man muss an die alte Börsenweisheit denken: Hin und her - Taschen leer.
Hans ist ein unerschütterlicher Optimist: Immer wieder setzt er seine Hoffnung auf andere Dinge, deren Vorzüge seine Geschäftspartner ihm rosig ausmalen. Er projiziert seine Hoffnung auf ein besseres Leben immer wieder auf andere Objekte. Jede seiner Erwerbungen hat jedoch neben ihren Vorzügen auch einen Pferdefuß, ist mit Gefahren oder Beschwernis gekoppelt. Deshalb ist er jedesmal froh, das Ding wieder los zu sein.
Auf seinem Heimweg begegnet Hans Menschen aus verschiedenen sozialen Gruppen in absteigender Folge. Sie sind charakterisiert durch die sie begleitenden Tiere oder Gegenstände: Adel-Pferd; Bauer-Kuh bis hin zum vagabundierenden Scherenschleifer und seinem Karren. Hier erkennt Hans nicht, dass seine Tauschpartner allesamt Gauner sind, die nur auf ihren Vorteil aus, und ihn, den Naiven, übertölpeln. Alle Tauschgeschäfte Hansens geraten materiell zu seinen Ungunsten. Dies erscheint widersprüchlich zu seiner Herkunft, da er der bäuerlichen Welt des Dorfes entstammte und sich des jeweiligen geringeren Wertes der eigehandelten Tiere bewusst sein müsste. Aber der materielle Besitz interessiert Hans gar nicht, er lebt spontan nach seinen Bedürfnissen und ist in jedem Fall davon überzeugt, einen guten Tausch eingegangen zu sein. Und statt dass er sich wenigstens im Nachhinein über seinen Handel ärgert, freut er sich jedesmal. Sein Verhalten erklärt Hans-Jörg Uther wie folgt: „Sein persönliches Glück und Wohlbefinden stellt er höher als die materielle Werte der Dinge.“10 Getreu der Maxime des Positiven Denkens sieht er in allem, was geschieht, nur das Gute. Selbst wenn er dem Scherenschleifer gegenüber die Kette seiner Tauschgeschäfte rekapituliert, wird ihm der Wertverlust nicht klar. Positiv in die Vergangenheit und in die Zukunft sehend, lernt Hans nicht aus seinen Erfahrungen, und am Schluss bleibt ihm nichts von seinem Vermögen. Im Unterschied zu den Märchenhelden, die im Verlauf ihrer Wanderschaft Fähigkeiten und Güter erworben haben, kehrt Hans ohne Handwerksattribute und arm in die Heimat zurück. Er hat keine Königstochter wie der Held im „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, will stattdessen heim zur Mutter. Hans-Jörg Uther fügt hinzu: „Ethische Aspekte wie Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft, für viele Figuren der Volkserzählung Voraussetzung für sozialen Aufstieg, bestimmen nicht sein Handeln, sondern die jeweiligen Bedürfnisse.“11
[...]
1 Walser, Robert: Der Spaziergang, 1917
2 Canetti, Elias: Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942-72, 1973
3 Brüder Grimm Kinder- und Hausmärchen/2. Band Märchen Nr. 61-144. Hrsg. Von Hans-Jörg Uther. – München: Diederichs 1996. Märchen Nr. 83, S.84.
4 Ebd./1. Band Märchen Nr. 45, S. 220
5 Ebd. Märchen 4, S. 20.
6 Eichendorff, Joseph Freiherr von: Aus dem Leben eines Taugenichts, 1826.
7 Süßkind, Patrick: Die Taube, 1990
8 Freund, Winfried: Deutsche Märchen: eine Einführung. München: Fink, 1996. S. 173-174
9 Brüder Grimm Kinder- und Hausmärchen. Vierter Band, Nachweise und Kommentare. Hrsg. von Hans-Jörg Uther. – München: Diederichs 1996. S. 157.
10 Ebd., S. 158.
11 Ebd.