Abwehrmechanismen des Ichs bei ödipalem Konflikt nach Sigmund Freud


Akademische Arbeit, 2004

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Verdrängung

Typische Abwehrmechanismen der Zwangsneurose

Regression

Reaktionsbildung

Isolierung

Ungeschehenmachen

Intellektualisierung

Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

Einleitung

Der Boden, auf dem sich die Zwangsneurose entwickelt, ist die prägenitale anal-sadistische Stufe. Diese Ausgangslage löst alle weiteren Konflikte aus. Freud geht davon aus, dass auf diese Stufe eine Regression stattfand. Seiner Auffassung nach ergibt sich die Zwangsneurose wie alle Neurosen als Folge eines ödipalen Konflikts, der abgewehrt werden muss.

In Hemmung, Symptom und Angst (1926b) stellt er die Abwehrmechanismen der Zwangsneurose ausführlich vor. Die Abwehr der ödipalen Wünsche erfolgt bei der Zwangsneurose, wie bei jeder Neurose, mit einer Verdrängung. Doch typisch für die Zwangsneurose ist die Libido-Regression auf die anal-sadistische Stufe. Diese Ausgangsbasis ruft weitere Abwehrmechanismen des Ichs auf den Plan: die Reaktionsbildung, die Isolierung und das Ungeschehenmachen. Die psychoanalytische Forschung nach Freud zählt die Intellektualisierung und die Rationalisierung hinzu. Die genannten Abwehrmechanismen werden gleichfalls als typisch für die Zwangsneurose betrachtet und spielen ebenfalls beim Zwangscharakter eine bedeutende Rolle.

Verdrängung

Mit dem Begriff Verdrängung bezeichnet Freud ab Hemmung, Symptom und Angst (1926d) den eigentlichen Abwehrmechanismus der Hysterie.[1] Die Verdrängung ist der lt;erste Abwehrmechanismus, welcher auch bei der Entstehung der Zwangsneurose nachzuweisen ist. Freud geht davon aus, dass analog der Hysterie bei ihr „die notwendige Abwehr der libidinösen Ansprüche des Ödipus-Komplexes“ erfolgt. Seine Annahme sieht er bestätigt durch die Analyse von Zwangsneurotikern, bei denen er lt;früh gebildete hysterische Symptome als „unterste Schicht“[2] entdeckt hatte. Auch Fenichel sieht bei der Zwangsneurose genitale Ödipusreste „neben einer prävalierenden anal-sadistischen Triebwelt.“[3] Der Beweis sei nur durch die Analyse möglich, die eine „vor der verhängnisvollen anal-sadistischen Regression gelegene phallische Phase nachweisen kann.“[4] Der Vorgang der Verdrängung reicht bei der Zwangsneurose jedoch nicht aus um den ödipalen Konflikt unbewusst zu machen, weil ihr Ich zu schwach ist. Deshalb kommt es als Hilfsmaßnahme zu einer Libidoregression im Es, einem wirklichen Triebvorgang.[5] Die Regression ist von daher keine Ich-Leistung im eigentlichen Sinne.

Dazu schreibt Fenichel:

„Man muss jedoch einräumen, daß die Rolle des Ich bei der Regression eine andere ist als bei allen anderen Abwehrmechanismen. Andere Abwehrmechanismen werden durch die Tätigkeit des Ich in Gang gebracht [...] bei der Regression aber verhält sich das Ich viel passiver. Sie widerfährt dem Ich. [...] Voraussetzung für eine Verwendung der Regression als Abwehrmechanismus ist daher eine spezifische Schwäche der Organisation des Ich.“[6]

Typische Abwehrmechanismen der Zwangsneurose

Regression

Für Freud ist der Kastrationskomplex als „Motor der Abwehr“ und das Abgewehrte als „die Strebungen des Ödipus-Komplexes,“[7] bei der Zwangsneurose deutlich erkennbar. Auf „die Ausgangssituation der Zwangsneurose“[8] eingehend, greift er in Hemmung, Symptom und Angst (1926d) Aussagen auf, die er in Die Disposition zur Zwangsneurose (1913i) bereits gemacht hatte.[9] Seiner analytischen Beobachtung entnimmt er, dass der Auffassung, dass es sich bei der Zwangsneurose um eine Regression auf die anal-sadistische prägenitale Stufe lt;nach Erreichen der phallischen Stufe handelt, Priorität zukommt.

Dennoch beachtet er auch andere Faktoren, die für den Abwehrmechanismus der Regression infrage kommen. Zur Regression als lt;Libido-Regression hat Freud sich in Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916-17a) ausführlich geäußert. Wenn die Libido auf eine Stufe regrediert, liegt der Grund darin, dass eine Partialstrebung auf einer Entwicklungsstufe eine frühe Fixierung erfahren hat. Stößt die Strebung in ihrer Weiterentwicklung auf starke Hindernisse oder ist die Fixierung an diese Stufe eine sehr ausgeprägte, dann kommt es leicht zu einer Regression.[10] In Hemmung, Symptom und Angst (1926d) benennt er als Ursachen für eine Regression zwei Faktoren. Der erste entscheidende Faktor ist der konstitutionelle. Für ihn ergibt er sich aus der Schwäche und mangelnden Resistenz der genitalen Organisation der Libido. Der zweite Faktor ist ein „zeitlichen Faktor“ „das Sträuben des Ichs,“ das während der Blüte der sadistischen Phase einsetzte.[11] Freud spricht in Hemmung, Symptom und Angst (1926d) davon, dass die Regression eine energischere Beeinträchtigung des Triebes darstellt als durch die Verdrängung möglich ist.[12] Und an anderer Stelle dieser Schrift spricht er gar von einer „Erzwingung der Regression“ und sieht sie als „ersten Erfolg des Ichs im Abwehrkampf gegen den Anspruch der Libido.“[13]

Dass Freud hier von Erfolg des Ichs spricht, ist Benedettis Ansicht nach folgendermaßen zu bewerten:

„Wenn das Ich durch eine belastende Situation überfordert wird, erfolgt beim entsprechend Disponierten eine Regression auf die analerotische-sadistische Stufe. Auf dieser Stufe nimmt das Ich des Erkrankten eine stärkere Stellung ein, weshalb Freud die Regression bereits als Abwehrleistung des Ichs gewertet wissen will.“[14]

In Die Disposition zur Zwangsneurose (1913i) hatte Freud noch einen dritten Faktor für eine Regression genannt. Er sieht ihn in der Entwertung eines Genitallebens, das intakt war.[15]

Die Regression auf die anal-sadistische Stufe wird nun zum auslösenden Faktor aller folgenden Abwehrmechanismen des Ichs bei der Zwangsneurose. So scheint die Abwehr der libidinösen Wünsche aus dem Ödipuskomplex durch die Regression gelungen. Die auf der anal-sadistischen Stufe vorherrschende Libido ist jedoch archaisch und daher von einer Beschaffenheit, die für das Ich und das durch die Libidoregression ebenfalls archaisch gewordene Über-Ich völlig unakzeptabel ist. Denn der Liebesimpuls maskiert sich auf der anal-sadistischen Stufe als sadistischer Impuls. „Die Zwangsvorstellung: ich möchte dich ermorden, heißt im Grunde, [...] ich möchte dich in Liebe genießen.“[16] Weil die Libidoregression von einer sich gleichzeitig vollziehenden Objektregression begleitet wird, betreffen diese Zwangsvorstellungen jetzt lt;die geliebteste und die nächste Person.[17] Der primäre Abwehrkampf gegen die ödipalen Wünsche findet durch die Regression eine massive Fortsetzung im Kampf gegen die aktualisierten anal-sadistischen Triebwünsche.

Roskamp geht von einem primären ödipalen Konflikt bei der Zwangsneurose aus und schreibt, dass die Kastrationsangst durch die Hochschätzung des Genitals begründet ist, zumal zur Zeit des Ödipus- und Kastrationskomplexes das Genitale mit dem Ich identifiziert sei. Aus Gründen der Selbsterhaltung müsse die libidinöse Befriedigung jetzt blockiert werden. Deshalb folge der Verdrängung als weiteres Mittel gegen die verpönte Triebregung die lt;Regression. Es handele sich dabei um eine Libido-Regression im Es. Er hat für den Vorgang der Libido-Regression eine einfache Erklärung. Eine Libidostauung kann die Regulation des Energiepotentials in Gefahr bringen. Zur Behebung eines ökonomischen Notstandes greift daher die Libido auf prägenitale Befriedigungsmöglichkeiten zurück.[18] Die Libido fällt von der genitalen Stufe zurück auf die prägenitale anal-sadistische Stufe. Wie Freud geht er davon aus, dass die Libidoregression von einer gleichzeitigen Objektregression begleitet wird. Er sieht ihr Hauptmerkmal darin, dass das Ich „zu infantilen Formen der Objektbeziehung“[19] regrediert. Dies bedeute einen Rückfall von einer reifen Objektlibido, mit der Anerkennung des Objekts als Ganzem und Eigenständigem zurück zu einer narzisstischen Objektbesetzung. Die Ich-Regression werde gleichfalls deutlich in dem Rückfall auf das „ magisch-animistische Organisationsniveau,“[20] der mit einem partiellen Versagen der Realitätsprüfung verbunden sei.

In Hemmung, Symptom und Angst (1926d) stellt Freud seine metapsychologische Erklärung der Regression folgendermaßen vor

„Die metapsychologische Erklärung der Regression suche ich in einer ‘Triebentmischung’, in der Absonderung der erotischen Komponenten, die mit Beginn der genitalen Phase zu den destruktiven Besetzungen der sadistischen Phase hinzugetreten waren.“[21]

Denn in Das Ich und das Es (1923b) geht Freud, seiner zweiten Triebtheorie folgend, bei der Zwangsneurose von einer Triebentmischung aus.[22] Seiner Auffassung nach vollzieht sich die Entwicklung von der anal-sadistischen zur genitalen Stufe durch eine Verstärkung der erotischen Komponente, die sich jetzt wieder absondert.

Reaktionsbildung

Ohne zunächst den Namen lt;Reaktionsbildung einzusetzen, beschreibt Freud im Zusammenhang mit der Zwangsneurose bereits in Weitere Bemerkungen über die Abwehrneuropsychosen (1896b) einen Abwehrmechanismus: Um die Wiederkehr verdrängter unlustvoller Gedanken an eine in frühester Kindheit erlebte sexuelle Verführung und eine sich daran anschließende sexuelle Aggression gegen das andere Geschlecht zu verhindern, bilden sich als lt;primäre Abwehrsymptome Gewissenhaftigkeit, Scham und Selbstmisstrauen aus.[23] Nach Freuds Darstellung, „kann sich“ der „Vorwurfsaffekt“ durch „einen psychischen Zusatz in einen beliebigen anderen Unlustaffekt verwandeln;“[24] Der „Vorwurfsaffekt,“ „(die sexuelle Aktion im Kindesalter vollführt zu haben),“ verwandelt sich bei diesem Beispiel in die umgewandelte Form der Scham, „(wenn ein anderer davon erführe),“[25] und ist damit bewusstseinsfähig geworden. „Der Widerstand gegen die Sexualtriebe“[26] ist unverkennbar. In Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905d), führt er den Begriff lt;Reaktionbildung ein.[27] Bezeichnet wird damit ein Vorgang, der sich in der Latenzzeit abspielt und eine Gegenbesetzung unbewusster sexueller Wünsche durch das Ich darstellt. Der Zugang zum Bewusstsein und zur Motilität wird ihnen so verwehrt.[28] Die sexuellen Kräfte dieser Zeit sind einmal unverwendbar, weil sie für eine Fortpflanzungsfunktion noch nicht einsetzbar sind. Entstammen sie der anal-sadistischen Stufe, rufen sie besonders starke Unlustgefühle hervor. Zur Unterdrückung dieser Unlust werden in der Latenzzeit seelische Mächte aufgebaut, die den sexuellen Wünschen direkt entgegenstehen und somit in der weiteren menschlichen Entwicklung das Sexualleben in moralischer und ästhetischer Hinsicht eindämmen. Diese Abläufe führen zu der Entstehung des Zwangscharakters.

Dazu bemerkt Freud:

„Sie rufen daher seelische Gegenkräfte (Reaktionsregungen) wach, die zur wirksamen Unterdrückung solcher Unlust die erwähnten psychischen Dämme: Ekel, Scham, Moral, aufbauen.“[29]

Scham als lt;primärer Abwehrmechanismus wird jetzt unter lt;Reaktionsregung eingeordnet.

Freud beschreibt die Pubertät als eine Zeit, welche an die in der Kindheit vorherrschende Phase wieder ansetzt. Das bedeutet bei der Zwangsneurose mit ihrer Regression auf die anal-sadistische Stufe ein Wiedererwachen analerotischer Wünsche, „die im Laufe der Entwicklung und im Sinne unserer heutigen Kulturerziehung für sexuelle Zwecke unverwendbar“[30] geworden sind. In Hemmung, Symptom und Angst (1926d) spricht er davon, dass zusätzlich aggressive Regungen wieder erwachen. Er schreibt:

„Es werden also einerseits die aggressiven Regungen der Frühzeit wieder erwachen, anderseits muss ein mehr oder minder großer Anteil der neuen libidinösen Regungen – in bösen Fällen deren Ganzes – die durch die Regression vorgezeichneten Bahnen einschlagen und als aggressive und destruktive Absichten auftreten.“[31]

[...]


[1] Freud, A.: Das Ich und die Abwehrmechanismen, (2000), S. 50.

[2] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926b), GW 14, S. 143.

[3] Fenichel, O.: Hysterien und Zwangsneurosen, (1967), S. 110.

[4] Fenichel, O.: Hysterien und Zwangsneurosen, (1967), S. 110.

[5] Freud, A., Das Ich und die Abwehrmechanismen, (2000), S. 56.

[6] Fenichel, O., Psychoanalytische Neurosenlehre, (1980), Bd. 1, S. 228.

[7] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926d), GW 14, S. 144.

[8] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926d), GW 14, S. 142.

[9] Freud, S.: Die Disposition zur Zwangsneurose, (1913i), GW 8, S. 447, S. 451.

[10] Freud, S.: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, (1916-17a), GW 11, S. 353.

[11] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926d), GW 14, S. 143.

[12] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926d), GW 10, S. 134.

[13] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926d), GW 14, S. 144.

[14] Benedetti, G.: Psychodynamik der Zwangsneurose, (1978), S. 12.

[15] Freud, S.: Die Disposition zur Zwangsneurose, (1913i), GW 8, S. 447.

[16] Freud, S.: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, (1916-17a), GW 11, S. 356.

[17] Freud, S.: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, (1916-17a), GW 11, S. 356.

[18] Roskamp, H.: Grundzüge der Neurosenlehre, in (Hg. Loch, W.): Die Krankheitslehre der Psychoanalyse, (1967), S. 92.

[19] Roskamp. H.: Grundzüge der Neurosenlehre, in (Hg. Loch, W.): Die Krankheitslehre der Psychoanalyse, (1967), S. 108.

[20] Roskamp, H.: Grundzüge der Neurosenlehre, in (Hg. Loch, W.): Die Krankheitslehre der Psychoanalyse, (1967), S. 130-131.

[21] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926d), GW 14, S. 143.

[22] Freud, S.: Das Ich und das Es, (1923b), GW 13, S. 270.

[23] Freud, S.: Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen, (1896b), GW 1, S. 387.

[24] Freud, S.: Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen, (1896b), GW 1, S. 388.

[25] Freud, S.: Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen, (1896b), GW 1, S. 389,

[26] Zepf, S.: Allgemeine psychoanalytische Neurosenlehre, Psychosomatik und Sozialpsychologie, (2000), S. 363.

[27] Freud, S.: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, (1905d), GW 5, S. 78.

[28] Laplanche, J., Pontalis, J. B.: Das Vokabular der Psychoanalyse, (1996), S. 161.

[29] Freud, S.: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, (1905d), GW 5, S. 79.

[30] Freud, S.: Charakter und Analerotik, (1908b), GW 7, S. 205.

[31] Freud, S.: Hemmung, Symptom und Angst, (1926d), GW 14, S. 146.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Abwehrmechanismen des Ichs bei ödipalem Konflikt nach Sigmund Freud
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Soziologie und Sozialpsychologie)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V284251
ISBN (eBook)
9783656837633
ISBN (Buch)
9783656864431
Dateigröße
434 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
abwehrmechanismen, ichs, konflikt, sigmund, freud
Arbeit zitieren
Ortrud Neuhof (Autor:in), 2004, Abwehrmechanismen des Ichs bei ödipalem Konflikt nach Sigmund Freud, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284251

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