Soziale Phobie. Eine Literaturanalyse zur Kognitiven Therapie


Diplomarbeit, 2008

127 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung

1 Das Krankheitsbild der Sozialen Phobie
1.1 Historische Entwicklung
1.2 Klinisches Erscheinungsbild
1.3 Klassifikation
1.3.1 DSM-IV-TR
1.3.2 ICD-10
1.3.3 Vergleich der Kriterien der Klassifikationssysteme
1.4 Diagnostik
1.4.1 Abgrenzung der Sozialen Phobie von anderen Störungen
1.4.2 Erfassung der individuellen Symptomatik
1.5 Subtypen der Sozialen Phobie
1.5.1 Generalisierter vs. Nicht-generalisierter Subtyp
1.5.2 Leistungssituation vs. Interaktionssituation
1.5.3 Soziale Kompetenz vs. Soziale Kompetenzdefizite
1.5.4 Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung
1.6 Epidemiologie, Verlauf und Prognose
1.6.1 Lebenszeitprävalenz
1.6.2 Störungsbeginn, Verlauf und Prognose
1.6.3 Komorbidität
1.6.4 Kulturunterschiede
1.6.5 Soziodemographische Merkmale

2 Die Kognitiv-behavioralen Erklärungsmodelle
2.1 Bedingungen zur Entstehung der Sozialen Phobie
2.1.1 Begünstigende (prädisponierende) Bedingungen
2.1.1.1 Genetische Faktoren
2.1.1.2 Neurobiologische Faktoren
2.1.1.3 Psychologische Faktoren
2.1.2 Auslösende Bedingungen
2.1.3 Aufrechterhaltende Bedingungen
2.2 Das Modell der kognitiven Vulnerabilität von Beck, Emery und Greenberg (1985)
2.3 Das Kognitive Modell von Clark und Wells (1995)
2.3.1 Erster Teil: Angst während der gefürchteten Situation
2.3.2 Zweiter Teil: Angst vor und nach der gefürchteten Situation

3 Die Kognitive Therapie zur Sozialen Phobie
3.1 Grundlagen der Kognitiven Therapie
3.2 Ablauf der Behandlungssitzungen
3.3 Die therapeutische Beziehung
3.4 Erstgespräch und Eingangsdiagnostik
3.5 Phase 1: Ableitung eines individuellen Störungsmodells
3.6 Phase 2: Vorbereitung auf Verhaltensexperimente
3.7 Phase 3: In-vivo-Verhaltensexperimente
3.8 Phase 4: Kognitive Umstrukturierung
3.9 Phase 5: Therapieabschluss und Rückfallprophylaxe

4 Effektivität der Kognitiven Therapie
4.1 Kognitive Therapie vs. Expositionstherapie
4.2 Einzeltherapie vs. Gruppentherapie
4.3 Kognitive Therapie vs. Pharmakotherapie
4.4 Ambulante vs. Stationäre Behandlung

5 Zusammenfassung und Ausblick

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang

0 Einleitung

„Was denken die anderen von mir?“

„Kann ich diese Erwartungen erfüllen?“

„Hoffentlich blamiere ich mich nicht!“

„Ich muss mich immer so verhalten, dass mich alle mögen!“

„In dieser feinen Gesellschaft werde ich bestimmt auffallen,

falsch gekleidet sein, mich danebenbenehmen…!“

„Lieber sage ich nichts, bevor ich etwas Falsches sage!“

„Wenn ich jetzt diesen Raum betrete, werden mich gleich alle

anstarren, und ich werde in den Boden versinken!“

„Ich muss immer das tun, was von mir erwartet wird,

damit andere nicht schlecht über mich reden!“ und so weiter…

(Görlitz, 1998, S. 355)

Wer kennt sie nicht, die Stimmen im Hinterkopf? Diese oder ähnlich klingende Sätze sind jedem Menschen vertraut und sie können dazu führen, dass Ängste, sich vor peinlich anderen zu verhalten, entwickelt werden. Die Ängste können sich so steigern, dass die betroffene Person an einer psychischen Störung erkrankt. In der klinischen Psychologie wird bei dieser Form der Erkrankung von einer Angststörung gesprochen, die mit einer Lebenszeitprävalenz von 14-16% zu der häufigsten psychischen Störung zählt (Hand, 2005; Volz, 2006). Hierbei unterteilt sich die Störung in verschiedene Erscheinungsformen, wie z.B. Panikstörung, Generalisierte Angststörung oder Spezifische Phobie.

Dem ungeachtet, was bedeutet eigentlich Angst? Der Begriff Angst stammt ursprünglich vom lateinischen Wort „angustia“ ab und heißt übersetzt „enge in der Brust“. Der Zustand, dass sich buchstäblich die Kehle zusammenzieht, die Brust beklemmend wirkt und die Atemluft ausbleibt, gehört normalerweise zu unseren Grundemotionen, wie Zorn, Wut, Freude oder Trauer (Zaudig & Trautmann, 2006). Die „normale“ Angst ist für den Menschen eine selbstverständliche und natürliche Reaktion des Organismus, um auf ein bedrohliches Erlebnis schnell und adäquat zu reagieren. Hierbei wird ein schnelles Handeln des Körpers durch eine gesteigerte Aufmerksamkeit und körperliche Aktivität ermöglicht, wie z.B. eine erhöhte Herztätigkeit und Atmung. Ebenfalls steigt die intellektuelle und motorische Leistungsbereitschaft. Dies führt dazu, dass beispielsweise beim Überqueren des Fußgängerüberweges ermöglicht wird, vor einem nicht bremsenden Auto auszuweichen (Vriends & Margraf, 2005a; Bassler, 2006). Führt die Angst allerdings zu einer Beeinträchtigung des Denkens, des Verhaltens und der Konzentration im sozialen und beruflichen Leben, wird von einer „pathologischen“ Angst gesprochen, die behandlungsbedürftig ist (Zaudig & Trautmann, 2006).

Welche Erscheinungsform der Angststörung trifft nun auf die oben aufgeführten Sätze zu? Hierbei handelt es sich um die Soziale Phobie, die erst vor etwa 30 Jahren einen regelrechten Anstieg des Forschungsinteresses hinsichtlich der Ätiologie und der Behandlung erlebte. Meines Erachtens tritt die Soziale Phobie vermehrt in der Praxis in Erscheinung, was durch die gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu erklären ist. Die Tatsache, dass heute vermehrt Menschen einen „minderwertigen“ Beruf annehmen, in dem sie ihr Potential nicht genügend ausschöpfen können, führt dazu, dass sie unsicher im Umgang mit anderen Menschen werden und sind - besonders, wenn diese im beruflichen Bereich erfolgreicher sind. Hierbei gehen Angenendt, Berger und Frommberger (2004) davon aus, dass die Sozialen Phobie „zu den in der Primärversorgung am häufigsten ‚übersehenen‘ psychischen Beschwerden“ (S. 647) gehört. Der Grund liegt meiner Meinung nach darin, dass der Großteil der Erkrankten erst einen Spezialisten aufsucht, wenn die Probleme überhand nehmen und zu starken Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben führen. Die Diagnose wird dann häufig erst gestellt, wenn sich der Erkrankte wegen einer anderen psychischen Störung in Behandlung begibt (Angenendt et al., 2004).

Das umfassendste Werk in der Fachliteratur ist meines Erachtens bis heute die „Soziale Phobie und Soziale Angststörung“ von Stangier und Fydrich (2002a). Das Buch fasst den aktuellsten Wissenstand über die Erforschung der Sozialen Phobie bis zum Jahr 2002 zusammen. Zum heutigen Zeitpunkt zeigt dieses Werk meines Erachtens jedoch eine erhebliche Lücke, besonders bezieht sich dies auf die Kognitive Therapie von Stangier, Heidenreich und Peitz, die erstmals im Jahr 2003 als Therapieverfahren zur Behandlung der Soziale Phobie veröffentlicht wurde.

In der vorliegenden Diplomarbeit soll aus diesem Grund auf die Kognitive Therapie der Sozialen Phobie von Stangier, Heidenreich und Peitz eingegangen werden. Das Hauptziel liegt darin, einen umfassenden Überblick über die Kognitive Therapie aufzuzeigen und dadurch festzustellen, ob die Therapie effektiv zur Behandlung der Sozialen Phobie eingesetzt werden kann, um die vermutlich in der Gesellschaft verursachten Probleme zu vermindern oder die Erkrankung sogar zu löschen.

Hierzu soll in dieser Arbeit durch eine ausführliche Literaturrecherche die folgende Frage beantwortet werden: Was wird unter der Kognitiven Therapie von Stangier, Heidenreich und Peitz verstanden und können Studien ihre Effektivität bestätigen?

Die Diplomarbeit gliedert sich in vier Kapitel:

Das erste Kapitel ergründet das Krankheitsbild der Sozialen Phobie und hat zum Ziel, eine Einführung in den Hauptteil kognitive Ätiologiemodelle und Therapie zu geben. Zunächst soll auf den historischen Ursprung der Sozialen Phobie eingegangen werden. Wann fand der Begriff zum ersten Mal Anwendung und wie wird dieser gegenwärtig verwendet? Der Grund liegt darin, dass heute nicht nur von der Sozialen Phobie gesprochen wird, sondern ebenso von der Sozialen Angststörung. Anschließend soll mit Hilfe eines Fallbeispiels das klinische Erscheinungsbild der Sozialen Phobie erarbeitet und dargestellt werden. Darauffolgend werden die diagnostischen Kriterien aus den beiden Klassifikationssystemen DSM-IV-TR und ICD-10 betrachtet und verglichen. Als nächstes erfolgt die Darstellung der Diagnostik, in dem die Symptomatik der Sozialen Phobie, aus dem klinischen Erscheinungsbild und der Klassifikation, durch Verfahren erfasst werden können. Anschließend sollen die verschiedenen Erscheinungsformen der Sozialen Phobie erörtert werden, um aufzuzeigen, dass sich die Störung in ihrer Ausprägung und ihrem Schweregrad unterscheidet. Zum Abschluss des Kapitels wird auf Epidemiologie, Verlauf und Prognose eingegangen, in dem erneut auf die Subtypen Bezug genommen wird.

Das zweite Kapitel setzt sich aus der Darstellung der kognitiv-behavioralen Erklärungsmodelle zusammen. Zunächst erfolgt die Beschreibung zur Entstehung der Sozialen Phobie. Hierbei sollen die begünstigenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen vorgestellt werden, die als Grundlage für die Bildung der Erklärungsmodelle betrachtet werden. Anschließend wird das Modell der kognitiven Vulnerabilität von Beck, Emery und Greenberg, die im Jahr 1985 veröffentlicht wurde, erörtert. Dieses Modell wurde neben der Sozialen Phobie, ebenso zur Erklärung von anderen psychischen Störungen entwickelt und eingesetzt. Aus diesem Grund erfolgten unterschiedliche Weiterentwicklungen, um ausschließlich die Entstehung der Soziale Phobie zu erklären. Daher wird anschließend das Kognitive Modell von Clark und Wells vorgestellt, welches zugleich als Grundlage für die Kognitive Therapie diente.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der Kognitiven Therapie selbst. Das Verfahren wird auch als kognitiv-behaviorale oder kognitiv-verhaltens-therapeutische Therapie bezeichnet. Zu Beginn erfolgt die Darstellung der allgemeinen Grundlagen der Therapie. Welche Ziele sollen mit welchen Mitteln erreicht werden? Anschließend wird auf den Ablauf der Therapie eingegangen. Als nächstes erfolgt die Darstellung der therapeutischen Beziehung. Welche Probleme können in der Behandlung auftreten und wie können diese vom Therapeuten vermieden werden? Darauffolgend soll die erste Sitzung beschrieben werden, in dem das Erstgespräch und die Eingangsdiagnostik erfolgen. Anschließend wird auf die 5 Behandlungsphasen der Kognitiven Therapie eingegangen: (1) Ableitung eines individuellen Erklärungsmodells, (2) Vorbereitung auf Verhaltensexperimente, (3) In-vivo-Verhaltensexperimente, (4) Kognitive Umstrukturierung sowie (5) Therapieabschluss und Rückfall-prophylaxe.

Das vierte Kapitel befasst sich mit der Effektivität der Kognitiven Therapie. Am Anfang wird kurz auf die Effektivität der kognitiv-behavioralen Behandlung durch die Expositionstherapie eingegangen, um anschließend einen Vergleich mit der Kognitiven Therapie zu ermöglichen. Dann werden die beiden Therapiesettings, Einzel und Gruppe, hinsichtlich der Wirksamkeit verglichen. Dies erfolgt anschließend ebenso für den Vergleich der Kognitiven Therapie mit der Pharmakotherapie sowie für den Vergleich der ambulanten mit der stationären Therapie. Aus Gründen der präzisen Darstellung der verwendeten Studien, wird in diesem Kapitel nicht allein vom Begriff der Kognitiven Therapie ausgegangen, sondern von der in der Studie verwendeten Bezeichnung.

An dieser Stelle möchte ich mich bei einer Reihe von Menschen bedanken, die mich bei der Verwirklichung dieser Diplomarbeit unterstützt haben. An erster Stelle bedanke ich mich recht herzlich bei meiner Erstbetreuerin Frau Prof. Dr. Nicola Wolf-Kühn für ihre Unterstützung. Als nächstes bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Michael Kraus für die Übernahme und die Durchführung der zweiten Begutachtung.

Einen weiteren Dank an all die Menschen, die mich während meines Studiums moralisch unterstützt und begleitet haben. Dies betrifft vor allem meine Eltern Erika und Hans-Joachim Jänisch, ohne Eure aufbauende und finanzielle Hilfe hätte ich dieses Studium nicht beginnen und beenden können. Vielen lieben Dank für Eure Geborgenheit und Unerschütterlichkeit.

Zum Schluss bedanke ich mich recht herzlich bei Frau Ramona Kamlah und Frau Melanie Jagla für die Unterstützung bei der formalen Bearbeitung.

1 Das Krankheitsbild der Sozialen Phobie

»Dem Menschen wurden zwei Augen gegeben,

damit er mit einem Auge die guten Eigenschaften seines Nächsten

und mit dem anderen seine eigenen Fehler sehe.«

Rabbi Meir[1]

1.1 Historische Entwicklung

Bereits 400 vor Christus schilderte der griechische Arzt und Philosoph Hippokrates (460 bis ca. 370 v. Chr.) einen seiner Patienten mit Merkmalen einer Sozialen Phobie: „Er mied jeden Kontakt aus Angst, schlecht behandelt zu werden, sich zu blamieren oder mit seinen Gebärden oder durch sein Reden aus dem Rahmen zu fallen, oder sich übergeben zu müssen“ (Vriends & Margraf, 2005a, S. 4). Eine weitere Beschreibung erfolgte im Buch „Die Anatomie des Schwermut“ aus dem Jahre 1621 in dem der englische geistliche Robert Burton Menschen mit sozialen Ängsten wie folgt beschrieb: „Viele beklagenswerte Auswirkungen hat diese Furcht bei Menschen, wie Erröten, Blässe, Zittern und Schwitzen, plötzliche Kälteschauer und Hitzewallungen am ganzen Körper, Herzklopfen, Ohnmachtsgefühle usw.“ (Bandelow, 2004, S. 81f.). Trotz dieser beiden Ausführungen wurde der Begriff Soziale Phobie („phobie des situations sociales") zum ersten Mal im Jahre 1903 vom französischen Psychiater Pierre Janet verwendet. Dessen ungeachtet fand die Störung zu diesem Zeitpunkt in der Forschung keine Beachtung und wurde aus diesem Grund mit der Agoraphobie und der Einfachen Phobie unter dem Begriff „phobische Neurosen“ zusammengefasst (Vriends & Margraf, 2005a; Stangier, Clark & Ehlers, 2006).

Beinahe 60 Jahre nach der Begriffsbestimmung durch Janet erfolgte 1966 erstmals eine umfangreiche Definition durch die beiden englischen Psychiater und Verhaltenstherapeuten Marks und Gelder. Sie beschrieben die Störung als eine „phobias of social situations, expressed variably as shyness, fears of blushing in public, of eating meals in restaurants, of meeting men or women, of going to dances or parties, or of shaking when in the center of attention” (Marks & Gelder, 1966, S. 228). Nach Zaudig und Trautmann (2006) handelt es sich bei dieser Beschreibung um den spezifischen Subtyp, der sich ausschließlich auf Leistungssituationen bezieht, vgl. Abschnitt 1.5.1.

Ungeachtet der frühen Begriffsbestimmung und Definition wurde die Soziale Phobie erst 1980 in das DSM-III-Klassifikationssystem und 1990 in das ICD-10-Klassifikationssystem als ein eigenständiges Störungsbild aufgenommen (Vriends & Margraf, 2005a), vgl. Abschnitt 1.3.

Gegenwärtig benutzen viele Autoren nicht mehr den ursprünglichen Begriff von Janet, sondern gehen viel mehr von der „Sozialen Angststörung“ (SAS; engl. social anxiety disorder, SAD) aus. Der Grund liegt nach Stangier (2005) daran, dass der neue Begriff eher den tatsächlichen Kern der Störung beschreibt.

In Stangier und Fydrich (2002c) wird aufgeführt, dass die Phobie einen niedrigeren Schweregrad aufweist sowie einen geringeren Behandlungsbedarf benötigt als die Soziale Phobie. Ebenso sind bei dieser Form nur geringe Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Beziehungen der erkrankten Person vorhanden (Comer, 2001), wohingegen die Soziale Phobie bzw. Soziale Angststörung als „eine andauernde und beeinträchtigende Übersteigerung normaler und biologisch festgelegter Angst“ (Fehm & Wittchen, 2004, S. 28) verstanden wird.

Aufgrund dieser Problematik erfolgt in Stangier und Fydrich (2002c) eine hypothetische Einteilung in zwei Störungsformen. Zum einen in die „Soziale Phobie“, in der ausschließlich Leistungssituationen betroffen sind und fast keine dysfunktionalen Grundüberzeugungen vorliegen. Das dazu führt, dass ein geringer Schweregrad vorliegt der dementsprechend kaum Behandlungsbedarf benötigt. Zum anderen in die „Soziale Angststörung“, in der Leistungs-situationen und Interaktionssituationen betroffen sowie ausgeprägte dysfunktionale Überzeugungen vorzufinden sind. Die Annahmen beziehen sich vor allem auf die Wahrnehmung und Interpretation von sozialen Situationen.

Es wurde in diesem Abschnitt sehr deutlich, dass die Soziale Phobie eine lange Entstehungsgeschichte hat, dessen ungeachtet aber erst vor kurzer Zeit als eigenständige Störung in die Klassifikationssysteme aufgenommen wurde. Wieso fand die Soziale Phobie erst jetzt Beachtung und nicht schon früher - als Janet den Begriff entwickelte? Die Beantwortung der Frage erfolgt am Ende des Kapitels, da nachfolgend weitere Sachverhalte erörtert werden, um eine ausführliche Antwort zu ermöglichen. Im nächsten Abschnitt soll zunächst auf das Klinische Erscheinungsbild eingegangen werden.

1.2 Klinisches Erscheinungsbild

Das folgende Beispiel aus Wolf (2006) ermöglicht einen ersten Einblick in die Symptomatik einer 35jährigen Sozialphobikerin:

So weit ich mich zurückerinnern kann, war ich immer ein eher unsicheres Mädchen. Schon als Kind war es mir ein Gräuel, im Mittelpunkt zu stehen. Eine der schlimmsten Situationen, an die ich mich erinnern kann, war, als ich beim 60. Geburtstag meines Großvaters - ich war damals 9 Jahre alt - ein Gedicht vor der versammelten Verwandtschaft aufsagen sollte. Ich bekam einfach keinen Ton heraus und außerdem fiel mir der Anfang des Gedichts überhaupt nicht mehr ein. Zu allem Überfluss fing ich dann auch noch an zu weinen. Alle lachten mich aus. Meine Mutter wollte mich trösten und nahm mich in den Arm, was ich dann noch furchtbarer fand. Seit diesem Tag werde ich vor Geburtstagen, und wenn es um Reden-Halten geht, tatsächlich immer krank. Schon bei dem Gedanken an eine Feierlichkeit komme ich kaum noch vom Klo runter. Ich leide dann unter Schlaf­störungen und kann mich nicht mehr konzentrieren. In meinem Beruf als Versicherungskauffrau hat mir meine Angst auch ziemliche Nachteile gebracht. In der Teambesprechung bin ich still, unfähig über schwierige Fälle zu sprechen, geschweige denn auch mal was Positives von meiner Arbeit zu erzählen. Bei Beförderungen bin ich deshalb immer leer ausgegangen. Ich bin froh, wenn man mich in Ruhe lässt, aber ein wenig mehr Geld auf meinem Konto würde mir als Single auch gut tun. Die Angst ist auch schuld, dass ich alleine lebe. Den Tanzkurs habe ich natürlich auch nicht mitgemacht, als meine Mitschülerinnen dort waren. Und wenn mir mal jemand von meinen Kollegen ein Kompliment macht, werde ich rot, und dann ist bereits alles gelaufen. So eine Peinlichkeit, - ich versuche den Kontakt mit ihm dann in Zukunft, so gut es geht, zu vermeiden. Was soll der nur von mir denken. Ich habe mich schon damit abgefunden, eben als alte Jungfer zu sterben. (S. 168)

Das Erlebnis, dass die Patienten kein Ton herausgebracht hatte als sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, führte dazu, dass andere Menschen ihr Versagen, durch Lachen, negativ bewertet haben. Das Resultat dieses Misserfolges war, dass sie anfing auch andere Feiern zu fürchten, da sie glaubte, erneut zu versagen. So entstand ein Teufelskreis der Angst. Nicht nur die Patientin fürchtet nunmehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer zu stehen, sondern auch andere Sozialphobiker, in dem sie ebenfalls Erwartungs-ängste durch solche oder ähnliche Erfahrungen entwickelt haben. Sie glauben nun, durch das gezeigte Verhalten oder körperliche Angstsymptome, wie z.B. Erröten, peinlich aufzufallen und von anderen Menschen als verrückt, lächerlich oder inkompetent gehalten zu werden und dadurch eine negative Beurteilung zu bekommen (Vriends & Margraf, 2005b; Bassler, 2006).

Das Endergebnis der Erwartungsangst besteht im Einsatz von Vermeidungs-verhalten, um der gefürchteten Situation zu entgehen. Allerdings wirkt sich das Verhalten nicht positiv aus, sondern eher negativ, in dem das soziale und schulische/berufliche Leben stark unter der Angst leidet (Comer, 2001). Beim aufgeführten Beispiel wird dies deutlich, in dem die Patientin sich bereits in ihrer Schulzeit nicht an Veranstaltungen, wie dem Tanzkurs, beteiligte, um nicht peinlich aufzufallen. Ebenfalls gab sie an, dass ihre Angst sie im beruflichen Bereich sehr einschränke, weil sie in Teambesprechung eher still und ruhig wirke und sie würde bei Beförderungen nicht berücksichtigt werden. Auch bei Komplimenten durch das andere Geschlecht, würde sie sich mehr zurück-ziehen, um ihr Erröten zu verstecken und dadurch nicht peinlich aufzufallen. Dies führe ihrer Meinung nach dazu, dass sie durch ihr gezeigtes Verhalten zu einer „alten Jungfer“ werden würde. Dass die Patientin und andere Sozial-phobiker durch das Vermeidungsverhalten irrational und übertrieben handeln, ist ihnen häufig sehr bewusst (Bassler, 2006).

Die dargestellten charakteristischen Merkmale einer Sozialen Phobie werden in vier Ebenen unterteilt (Stangier et al., 2003a; Morschitzky, 2004):

- motorische Ebene, wie z.B. Flucht, Vermeidung, Regungslosigkeit;
- physiologische Ebene, wie z.B. Zittern, Schwitzen;
- subjektiv-psychologische Ebene, wie z.B. Gefühl der Hilflosigkeit, Gefühl des Ausgeliefertseins;
- emotionale Ebene, wie z.B. Scham, Unsicherheit oder Verlegenheit.

In diesem Abschnitt wurde deutlich, dass nicht nur die vorgestellte 35jährige Patientin, sondern auch andere Sozialphobiker erhebliche Beeinträchtigungen im sozialen und beruflichen Bereich aufweisen, die dazu führen, dass die Angst nicht adäquat bewältigt werden kann, sei es durch die Angst, negativ bewertet zu werden oder die Angst, zu versagen. Ebenfalls wird deutlich, dass einige der Merkmale, die vor fast 2400 Jahren von Hippokrates beschrieben wurden, auch noch heute gelten, wie „er mied jeden Kontakt aus Angst […] sich zu blamieren“ (Vriends & Margraf, 2005a, S. 4). Diesbezüglich hat die Kognitive Therapie, die im Kapitel 3 vorgestellt werden soll, die Aufgabe, auf die einzelnen charakteristischen Merkmale einzugehen und zu versuchen, eine adäquate Verringerung dieser zu ermöglichen.

Im nächsten Abschnitt soll nun auf die diagnostischen Kriterien der beiden Klassifikationssysteme DSM-IV-TR und ICD-10 eingegangen werden, da diese die charakteristischen Merkmale nochmals aufführen und verdeutlichen.

1.3 Klassifikation

1.3.1 DSM-IV-TR

Wie bereits aufgeführt wurde die Soziale Phobie erstmals 1980 ins „Diagnostic and Statistical Manual“ (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen; DSM-III) der American Psychiatric Association als ein eigen-ständiges Störungsbild aufgenommen. Hierbei wurde die Störung als eine umschriebene und spezifische Phobie betrachtet, die sich ausschließlich auf Leistungssituationen bezieht (Stangier et al., 2003a; Stangier, 2005).

Die nachfolgenden aufgeführten diagnostischen Kriterien entsprechen dem DSM-IV-TR und wurden aus Saß, Wittchen, Zaudig und Houben (2003a, S. 190ff.) vollständig übernommen.

Diagnostische Kriterien: 300.23 (F40.1) Sozialen Phobie

A. Eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen, in denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten (oder Angstsymptome) zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte. Beachte: Bei Kindern muss gewährleistet sein, dass sie im Umgang mit bekannten Personen über die altersentsprechende soziale Kompetenz verfügen, und die Angst muss gegenüber Gleichaltrigen und nicht nur in der Interaktion mit Erwachsenen auftreten.

B. Die Konfrontation mit der gefürchteten sozialen Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer situations-gebundenen oder einer situationsbegünstigten Panikattacke annehmen kann. Beachte: Bei Kindern kann sich die Angst durch Weinen, Wutanfälle, Erstarren oder Zurückweichen von sozialen Situationen mit unvertrauten Personen ausdrücken.

C. Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist. Beachte: Bei Kindern darf dieses Kriterium fehlen.

D. Die gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen werden vermieden oder nur unter intensiver Angst oder Unwohlsein ertragen.

E. Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das starke Unbehagen in den gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen beeinträchtigen deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre berufliche (oder schulische) Leistung oder soziale Aktivitäten oder Beziehungen, oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden.

F. Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens 6 Monate an.

G. Die Angst oder Vermeidung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück und kann nicht besser durch eine andere psychische Störung (z.B. Panik-störung mit oder ohne Agoraphobie, Störung mit Trennungsangst, Körperdysmorphe Störung, Tiefgreifende Entwicklungsstörung oder Schizoide Persönlichkeitsstörung) erklärt werden.

H. Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor oder eine andere psychische Störung vorliegen, so stehen diese nicht in Zusammenhang mit der unter Kriterium A beschriebenen Angst, z.B. nicht Angst vor Stottern, Zittern bei Parkinsonscher Erkrankung oder, bei Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa, ein abnormes Essverhalten zu zeigen.

Bestimme, ob:

- Generalisiert: Wenn die Angst fast alle sozialen Situationen betrifft (z.B. Unter-haltungen zu beginnen oder aufrechtzuerhalten, an kleineren Gruppen teilzu-nehmen, Verabredungen einzugehen, mit Autoritätspersonen zu sprechen, Parties zu besuchen). Beachte: ziehe auch die zusätzliche Diagnose einer Vermeidend-Selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung in Betracht.

Im Vergleich zum DSM-III erhielt diese derzeit gültige Fassung des DSM-IV-TR, nur wenige Veränderungen: (1) Aufnahme des Begriffs „Soziale Angststörung“, (2) Aufführung der befürchteten Angstsymptome, (3) Unterteilung in den generalisierten Subtyp und (4) zusätzliche diagnostische Kriterien für Kinder (Vriends & Margraf, 2005a).

1.3.2 ICD-10

Die Soziale Phobie (F40.1) wurde erstmals 1990 in das ICD-10 (10. Revision der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10, Kapitel V (F)) als ein eigenständiges Störungsbild aufgenommen (Dilling & Freyberger, 2006).

Im zuvor verwendeten ICD-9 wurde die Angststörung in zwei Gruppen unterteilt: in die Phobie und in die Angstneurose. Die Soziale Phobie zählte dies bezüglich zu den Phobien, die sich auf spezifische Situationen oder Objekte richteten. Im Gegensatz dazu galt die Angstneurose als frei flottierende Angst, die sich nicht primär auf bestimmte Situationen oder Objekte richtete (Morschitzky, 2004).

Die nachfolgenden diagnostischen Kriterien entsprechen der heutigen gültigen Fassung des ICD-10, die vollständig aus Dilling und Freyberger (2006, S. 151) entnommen wurden.

Diagnostische Kriterien: F40.1 - soziale Phobien

A. Entweder 1. oder 2,:

1. Deutliche Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten;
2. deutliche Vermeidung im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder von Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten.

Diese Ängste treten in sozialen Situationen auf, wie Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, Begegnung von Bekannten in der Öffentlichkeit, Hinzukommen oder Teilnahme an kleinen Gruppen, wie z.B. bei Parties, Konferenzen oder in Klassen-räumen.

B. Mindestens zwei Angstsymptome in den gefürchteten Situationen mindestens ein-mal seit Auftreten der Störung, wie in F40.0, Kriterium B., definiert, sowie zusätzlich mindestens eins der folgenden Symptome:

1. Erröten oder Zittern,
2. Angst zu erbrechen,
3. Miktions- oder Defäkationsdrang bzw. Angst davor.

C. Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungs-verhalten. Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben und unvernünftig sind.

D. Die Symptome beschränken sich ausschließlich oder vornehmlich auf die gefürchteten Situationen oder auf Gedanken an diese.

E. Ausschlussvorbehalt: Die Symptome der Kriterien A. und B. sind nicht bedingt durch Wahn, Halluzinationen oder andere Symptome der Störungsgruppen organische psychische Störungen (FO), Schizophrenie und verwandte Störungen (F2), affektive Störungen (F3) oder eine Zwangsstörung (F42), und sind nicht Folge von kulturell akzeptierten Anschauungen.

Für die Kriteriumsbeschreibung ist ebenfalls die der Agoraphobie von Bedeutung. Der Grund liegt darin, dass im Kriterium B der Sozialen Phobie aufgeführt wird, dass mindestens zwei Angstsymptome aus dem Kriterium B der Agoraphobie vorliegen müssen, um eine Soziale Phobie zu diagnostizieren. Aus diesem Grund wird dieses, aus Dilling und Freyberger (2006, S. 149), zusätzlich aufgeführt.

Kriterium B: F40.0 – Agoraphobie

Seit Auftreten der Störung müssen in den gefürchteten Situationen mindestens zwei Angstsymptome aus der unten angegebenen Liste (davon eins der vegetativen Symptome 1. bis 4.) wenigstens zu einem Zeitpunkt gemeinsam vorhanden gewesen sein:

Vegetative Symptome:

1. Palpitationen, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz,
2. Schweißausbrüche,
3. fein- oder grobschlägiger Tremor,
4. Mundtrockenheit (nicht infolge Medikation oder Exsikkose).

Symptome, die Thorax und Abdomen betreffen:

5. Atembeschwerden,
6. Beklemmungsgefühl,
7. Thoraxschmerzen oder -missempfindungen,
8. Nausea oder abdominelle Missempfindungen (z. B. Unruhegefühl im Magen).

Psychische Symptome:

9. Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit,
10. Gefühl, die Objekte sind unwirklich (Derealisation) oder man selbst ist weit entfernt oder «nicht wirklich hier» (Depersonalisation),
11. Angst vor Kontrollverlust, «verrückt zu werden» oder «auszuflippen»,
12. Angst zu sterben.

Allgemeine Symptome:

13. Hitzewallungen oder Kälteschauer,
14. Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle.

1.3.3 Vergleich der Kriterien der Klassifikationssysteme

Beide Klassifikationssysteme führen auf, dass die Angst in einer oder mehreren sozialen Situationen auftreten kann, wobei das DSM-IV-TR darüber hinaus von Leistungssituationen ausgeht. Des Weiteren beschreibt das DSM-IV-TR zusätzlich, dass der Sozialphobiker die Angst hat, sich peinlich oder demütigend zu verhalten (Hoyer, Helbig & Margraf, 2005). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass im ICD-10 die Angstsymptome als eine wichtige diagnostische Einheit dargestellt wurden, da diese vorliegen müssen - beim DSM-IV-TR können die Angstsymptome ebenso fehlen (Stangier et al., 2003a; Morschitzky, 2004).

Das DSM-IV-TR führt, im Vergleich zum ICD-10, Zeitkriterien auf, bei denen die Störung mindestens 6 Monate auftreten muss, um eine Soziale Phobie bei Personen unter 18 Jahren zu diagnostizieren (Hoyer et al., 2005; Stangier et al., 2006). Schließlich bestehen weitere Abweichungen darin, dass das DSM-IV-TR die Störung in einen spezifischen und einen generalisierten Typ unterteilt (Hoyer et al., 2005) sowie diagnostische Kriterien für Kinder aufführt.

Es wurde in diesem Abschnitt deutlich, dass sich die Klassifikationssysteme untereinander in einigen Punkten deutlich unterscheiden. Nun stellt sich allerdings die Frage: Welches ist das Bessere? Meiner Meinung nach haben beide Systeme Vorteile. Das ICD-10 geht ausführlicher auf die Darstellung der Angstsymptome ein als das DSM-IV-TR und nimmt zusätzlich die diagnostischen Kriterien der Agoraphobie in Anspruch. Hierbei kann eine bessere Abklärung der Symptomatik des einzelnen Sozialphobikers erfolgen. Das DSM-IV-TR hingegen hat den Vorteil, dass dieses durch die zusätzliche Textrevision von Saß, Wittchen, Zaudig und Houben (2003b) detaillierter auf die kulturellen, Alters- und Geschlechtsmerkmale sowie auf Prävalenz, Verlauf und Differentialdiagnostik eingeht.

Da sich herausgestellt hat, dass sich die diagnostischen Kriterien der Klassifikationssysteme zum Teil unterscheiden, wie z.B. beim Vorhandensein von Angstsymptomen, sollten zusätzlich diagnostische Verfahren angewendet werden, um adäquat die Symptomatik des Sozialphobikers zu diagnostizieren und darauf folgend eine effektive Behandlung zu gewährleisten. Aus diesem Grund wird im nächsten Abschnitt näher auf die Diagnostik eingegangen.

1.4 Diagnostik

1.4.1 Abgrenzung der Sozialen Phobie von anderen Störungen

Bevor die Soziale Phobie diagnostiziert werden kann, muss eine differential-diagnostische Abklärung von anderen psychischen Störungen erfolgen. Hierbei ermöglicht diese Abgrenzung, eine Behandlung auszuwählen, die einen Rückgang der Sozialen Phobie anstrebt und infolgedessen einen positiven Therapieabschluss begünstigt (Bandelow & Broocks, 1997; Fehm, 2006).

Allerdings ist die Abgrenzung von anderen Störungen in der psycho-therapeutischen Praxis häufig nicht ganz einfach, wie z.B. durch die Kriterien-überlappung (Mitte, Heidenreich & Stangier, 2007), was in Tabelle 1, entnommen aus Mitte und Mitarbeitern (2007, S. 20), verdeutlicht wird. Beispielsweise sind die gemeinsamen Merkmale der Sozialen Phobie und der Depressiven Störung, dass Ängste in sozialen Situationen auftreten und dadurch Vermeidung eingesetzt wird. Der Unterschied besteht jedoch in der Erwartung auf Zurückweisung. Bei der depressiven Störung ist dieses stimmungsabhängig, somit tritt die Erwartungsangst nicht in allen Situation auf, sondern nach der individuellen Stimmungslage. Bei der Sozialen Phobie hingegen besteht dauerhaft die Angst vor einem peinlichen Verhalten und ist aus diesem Grund nicht abhängig von der Stimmung (Bandelow & Broocks, 1997).

Die differentialdiagnostische Abklärung von anderen psychischen Störungen kann, durch die folgenden Interviews erfolgen:

- Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (DIPS; Margraf & Schneider, 2006),
- Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV (SKID; Wittchen, Zaudig & Fydrich, 1997).

Tabelle 1: Differenzialdiagnostische Abgrenzung der Sozialen Phobie.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.4.2 Erfassung der individuellen Symptomatik

Konnte die Diagnose einer Sozialen Phobie durch eines der beiden Klassifikationssysteme oder durch die differenzialdiagnostische Abklärung vergeben werden, erfolgt als nächster Schritt durch Selbstbeurteilungs-instrumente und/ oder Fremdbeurteilungsinstrumente, die Erfassung des Schweregrades (Mitte et al., 2007) sowie die Erfassung der Symptomatik und der gefürchteten Situation (Fydrich & Renneberg, 2005). Nach Hoyer und Mitarbeiter (2005) gibt es diesbezüglich weltweit mehr als 25 veröffentlichte Testverfahren, die als „psychometrisch gut evaluierte[r] Instrumente“ (Heidenreich & Stangier, 2002, S. 81) gelten. In der nachfolgenden Tabelle werden die wichtigsten Verfahren aufgeführt.

Tabelle 2: Störungsspezifische diagnostische Verfahren für die Soziale Phobie (Fydrich & Renneberg, 2005, S. 250).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ebenfalls kann mit Hilfe von Explorationsgesprächen und Rollenspielen die individuelle Symptomatik erfasst werden (Stangier et al., 2003a; Stangier et al., 2006), siehe hierzu Abschnitt 3.4 „Erstgespräch und Eingangsdiagnostik“ der Kognitiven Therapie.

In diesem Abschnitt wurde ersichtlich, dass es eine Vielzahl von diagnostischen Testverfahren gibt, die zur Erfassung der Sozialen Phobie eingesetzt werden können, um eine adäquate Therapieplanung und Therapiedurchführung zu gewährleisten. Dies führt dazu, dass der Sozialphobiker befähigt wird, ein Leben zu führen, in dem beispielsweise die Ängste zu versagen und negativ bewertet zu werden, vermindert oder gar aufgegeben werden. Dem entsprechend soll als nächstes genauer auf die Problematik des Schwere-grades und der Ausprägung einer Sozialen Phobie eingegangen werden, in dem die unterschiedlichen Subtypen der Sozialen Phobie vorgestellt werden.

1.5 Subtypen der Sozialen Phobie

1.5.1 Generalisierter vs. Nicht-generalisierter Subtyp

In der Literatur sowie im DSM-IV-TR werden zwei Subtypen der Sozialen Phobie unterschieden, zum einen die generalisierte soziale Angst und zum anderen die nicht-generalisierte (spezifische, diskret, engumschrieben, begrenzte) soziale Angst (Fydrich & Renneberg, 2005; Vriends & Margraf, 2005a; Peitz, 2006).

Die nachfolgenden Beispiele, entnommen aus Morschitzky (2004), sollen hierzu einen ersten Einblick über die beiden Erscheinungsformen ermöglichen.

Beispiel 1 – generalisierter Subtyp:

Ein 34-jähriger allein stehender Arbeiter stellt sich dem Ausmaß seiner sozialen Ängste erst dann, als er wegen eines chronischen Alkoholmissbrauchs keinen Tropfen Alkohol mehr trinken soll. Plötzlich bemerkt er mehr als vorher seine sozialen Kontaktprobleme. Er kann sich in Gruppensituationen kaum äußern aus Angst, etwas Falsches zu sagen; er fürchtet Pausenzeiten in der Arbeit, weil er nicht weiß, was er mit seinen Arbeitskollegen reden soll; er verzichtet auf berufliche Aufstiegschancen, weil er dadurch mehr als bisher im Mittelpunkt der Aufmerksam-keit anderer Menschen stehen könnte; er macht Weiterbildungs-maßnahmen nur widerwillig, weil er im Kurs als dumm auffallen könnte; er knüpft keine neue Kontakte aus Angst, abgelehnt zu werden; er spricht aus Angst vor Nervosität und Rotwerden keine Frauen an, obwohl er sich seit langem eine Partnerin wünscht; er verwendet Ausreden, um Familientreffen zu entkommen, denn auch dort könnte er durch seine Zurückgezogenheit unangenehm auffallen; aus Nervosität entfällt ihm bei Gesprächen oft der Namen seines Gegenübers. (S. 92)

Beispiel 2 – nicht-generalisierter Subtyp:

Ein 17-jähriger Schüler, der bislang keine sozialen Ängste gekannt hat, wird bei einem Referat in Deutsch plötzlich nervös und glaubt, sichtbar zu zittern und zu schwitzen. Er ist sich sicher, dass seine Schulkollegen dies bemerkt haben und ihn seither für einen unsicheren Menschen halten, obwohl ihn keiner darauf ange-sprochen hat. Er meldet sich im Unterricht in allen Fächern immer seltener aus Angst, negativ aufzufallen und ausgelacht zu werden. Vor mündlichen Prüfungen lässt er sich vom Hausarzt ein Beruhigungsmittel verschreiben oder von seiner Mutter einen Beruhigungstee zubereiten. Schließlich legt er auch seine Funktion als Klassensprecher zurück, weil er in dieser Rolle ebenfalls Gefahr laufen könnte, sich peinlich zu verhalten. (S. 91)

Das DSM-IV-TR beschreibt, dass die Angst beim generalisierten Subtyp in nahezu allen sozialen Situationen auftritt (Saß et al., 2003a), vgl. Abschnitt 1.3.1. Nach Stangier und Mitarbeiter (2003a) ist allerdings eine eindeutige Unterscheidung der beiden Typen schwierig, weil die generelle Differenzierung „in den meisten Situationen“ (S. 13) sehr ungenau ist, da diese nicht präzise voneinander abgegrenzt werden können. Hinrichs, Heidenreich und Stangier (2005) gehen in ihrem Artikel „Neuere kognitive Ansätze zur Konzeption und Therapie der Sozialen Phobie“ davon aus, dass der generalisierte Subtyp bei den meisten Leistungs- und Interaktionssituationen auftritt sowie das mindestens drei soziale Situationen betroffen sein müssen, um diesen Subtyp zu diagnostizieren. Der nicht-generalisierte Subtyp tritt hingegen nur bei mindestens zwei Leistungssituationen auf (Kasper, 2000; Hinrichs et al., 2005) und kann, wenn die angstauslösenden Situationen zunimmt, in einen generalisierten Subtyp übergehen (Kasper, 2000). Im zweiten Beispiel wird deutlich, dass sich die Angst zu versagen, die der Schüler nach dem Referat entwickelt hat, auf andere soziale Situationen, sei es, sich im Unterricht zu melden oder als Klassensprecher tätig zu sein, ausbreitet.

Weitere Unterschiede bestehen darin, dass der generalisierte Subtyp einen erhöhten Schweregrad und eine höhere Beeinträchtigung aufweist als der nicht-generalisierte Subtyp. Zudem zeigt er mehr psychopathologische Symptome und mehr komorbide Störungen auf (Hinrichs et al., 2005; Berghändler, Stieglitz & Vriends, 2007).

Ein letzter Unterschied liegt nach Morschitzky (2004) darin, dass das Vermeidungsverhalten bei nicht-generalisieren sozialen Ängsten weniger zu einem negativen Ergebnis führt. Beim generalisierten Subtyp, trifft dies beispielsweise auf die Angst mit anderen zu sprechen zu. Hierbei bezieht sich die Angst auf fast alle Interaktionssituationen. Das Ergebnis ist, dass die Angst zum einen die soziale Kontaktfähigkeit stark beeinträchtigt und zum anderen soweit führen kann, dass eine völlige Vermeidung eingesetzt wird. Im Vergleich zum nicht-generalisierten Subtyp, in dem beispielsweise die Angst vorliegt, in der Öffentlichkeit zu telefonieren, führt die Vermeidung nicht zu einem verstärkten Kontaktabbau sondern vielmehr dazu, dass es vermieden wird, in der Öffentlichkeit zu telefonieren.

1.5.2 Leistungssituation vs. Interaktionssituation

Nicht nur in der Anzahl der Situationen lassen sich Subtypen der Sozialen Phobie unterscheiden, sondern auch in ihrer Art. Hierbei werden zwei Konstellationen unterschieden, in dem die gefürchteten Ängste auftreten und ausgelöst werden, zum einen in die Leistungssituation und zum anderen in die Interaktionssituation (Heidenreich & Stangier, 2003; Stangier, 2005; Vriends & Margraf, 2005a).

Die Leistungssituation („performance situation“) bezieht sich auf Handlungen, in denen das Verhalten des Sozialphobikers beobachtet und bewertet wird, beispielsweise öffentliches Reden oder mündliche Prüfungen (Morschitzky, 2004; Stangier, 2005). Häufig wird diese Situation mit dem nicht-generalisierten Subtyp gleichgesetzt (Morschitzky, 2004), wie im vorigen Abschnitt ersichtlich wurde.

Die Interaktionssituation („interaction situations“) bezieht sich hingegen auf das Verhalten und die Reaktion des Sozialphobikers in einer wechselseitigen Kommunikation mit anderen Menschen; beispielsweise beim Besuch von einer Veranstaltung oder einem Gespräch am Telefon (Morschitzky, 2004; Stangier, 2005).

In der nachfolgenden Tabelle, entnommen aus Stangier und Mitarbeiter (2003a, S. 9), werden weitere Beispiele für typische Leistungs- und Interaktions-situationen dargestellt. Hierbei gibt Bassler (2004) an, dass die Angst, in der Öffentlichkeit zu sprechen, die am häufigsten verbreitete angstauslösende Situation ist. Die am seltensten auftretenden Ängste betreffen die Angst, in der Öffentlichkeit zu essen, zu trinken oder zu schreiben sowie das Betreten von öffentlichen Toiletten.

Tabelle 3: Typische Situationen, die soziale Angst auslösen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.5.3 Soziale Kompetenz vs. Soziale Kompetenzdefizite

Nach Helbig und Klose (2006) haben verschiedene Untersuchungen ergeben, dass sich Sozialphobiker selbst als sozial weniger Kompetent einschätzen als andere Menschen. Dessen ungeachtet müssen nicht generell alle Sozialphobiker Kompetenzdefizite aufweisen, auch wenn sie befürchten, durch ihr Verhalten peinlich aufzufallen. Dies bezieht sich eher darauf, dass eine Unfähigkeit vorliegt, bereits vorhandene Fertigkeiten adäquat umzusetzen (Morschitzky, 2004). Aus diesem Grund können zwei weitere Subtypen unterschieden werden: der Subtyp mit sozialen Kompetenzdefiziten und der Subtyp ohne soziale Kompetenzdefizite (Vriends & Margraf, 2005a).

1.5.4 Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung

Stangier und Mitarbeiter (2003a) gehen davon aus, dass bei 70-89% der Sozialphobiker, aufgrund der hohen Kriterieumsüberlappung, zusätzlich eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (ICD-10; DSM-IV: vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung) diagnostiziert werden kann. Hierbei verspürt der Erkrankte eine Abneigungen gegenüber persönlichen Kontakten und empfindet das Gefühl, unbeholfen und unattraktiv zu sein (Paulitsch, 2004). Im Unterschied zur Sozialen Phobie, in der Ängste vor einer negativen Bewertung vorliegen, verspürt der Erkrankte Angst vor einer engen zwischenmenschlichen Beziehung (Stangier et al., 2006).

Aufgrund der hohen Werte beschreiben Stangier und Mitarbeiter (2003a), dass derzeit diskutiert wird, ob die Persönlichkeitsstörung als eine chronische Unterform der Sozialen Phobie charakterisiert werden sollte. Nach Berghändler und Mitarbeiter (2007) wird die Persönlichkeitsstörung bereits als ein weiterer Subtyp angesehen.

Es wurde in diesem Abschnitt verdeutlicht, dass sich die Soziale Phobie in verschiedene Subtypen unterteilen lässt. Für den Therapeuten ist es besonders wichtig, beim Klienten die jeweilige Erscheinungsform zu identifizieren. Ebenso können häufig auch mehrere Subtypen gleichzeitig auftreten, wie z.B. beim generalisierten Subtyp. Dies führt dazu, dass eine individuell angepasste Behandlung angewendet werden kann, um einen höheren Behandlungserfolg zu erzielen.

Im nächsten Abschnitt soll auf Epidemiologie, Verlauf und Prognose eingegangen und ebenfalls auf die generalisierte sowie die nicht-generalisierte soziale Angst Bezug genommen werden.

1.6 Epidemiologie, Verlauf und Prognose

1.6.1 Lebenszeitprävalenz

In der „Early Developmental Stages of Psychopathology Study“ (EDSP; 1995-1999; n=3.021) wurde die Lebenszeitprävalenz bei 14-24jährigen mit 8,7% erfasst. Die 12-Monats-Prävalenz lag bei 6,2%. Somit erkrankte jeder zehnte im Laufe seines Lebens an einer Sozialen Phobie (Wittchen, Stein & Kessler, 1999). In einer früheren Studie (1981; n=483; 25-64 Jahre) lag die Lebenszeitprävalenz noch bei 2,5% (Wittchen, Essau, Zerssen, Krieg & Hecht, 1992).

In der größten epidemiologischen Untersuchung, dem „National Comorbidity Survey“ (NCS; 1990-1992; n=8.098; 15-54 Jahre) in den USA betrug die Lebenszeitprävalenz 13,3% (Kessler, McGonagle, Zhao, Nelson, Hughes, Eshleman, Wittchen & Kendler, 1994). Bei diesem Wert gilt die Soziale Phobie als die dritthäufigste psychische Störung (Begré & Ladewig, 2000; Lieb & Müller, 2002), neben depressiven Störungen und Suchtstörungen (Stangier, 2005). Vergleicht man nun diesen Wert mit der 15 Jahre früheren durchgeführten Epidemiological Catchment Area Study (ECA; 1980-1983; n=20.291) in der die Lebenszeitprävalenz bei 2,8% lag (Robins & Regier, 1991), ist ein deutlich erhöhter Anstieg der Prävalenz erkennbar.

Die Gegenüberstellung der beiden Münchener Studien aus Deutschland und dem National Comorbidity Survey mit dem Epidemiological Catchment Area Study aus den USA, zeigt, dass die Lebenszeitprävalenz von Studie zu Studie erheblich schwankt. Dies bezieht sich nicht nur auf den Vergleich von früheren und gegenwärtigen Untersuchungen, sondern auch auf den Vergleich der derzeitigen Studien. Beispielsweise Mitte und Mitarbeiter (2007) gehen von einer Lebenszeitprävalenz zwischen 4-14% aus, dagegen führen Zaudig und Trautmann (2006) 3-12% auf. Nach Saß und Mitarbeiter (2003b) ist der Grund für die hohen Abweichungen im Schweregrad, in der Beeinträchtigung und in der Subtypeneinteilung der Sozialen Phobie wiederzufinden. Ebenfalls kann dies durch die verbesserten diagnostischen Kriterien und diagnostischen Instrumente sowie der unterschiedlichen Stichprobengewinnung erklärt werden (Peitz, 2006; Fehm, 2006).

Im Geschlechtervergleich betrug die Lebenszeitprävalenz im „National Comorbidity Survey“ bei Frauen 11,1% und bei Männern 15,5% (Kessler et al., 1994). Nach Fehm (2006) erkranken dagegen Frauen häufiger als Männer an einer Sozialer Phobie. Die Ursache für die Differenzen zwischen den Studien ist durch die unterschiedlichen diagnostischen Instrumente sowie die heterogene Stichprobengewinnung zu erklären. Ebenso ist der Unterschied nach Juster, Brown und Heimberg (2005) in den soziokulturellen Normen und in den geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen zu finden.

1.6.2 Störungsbeginn, Verlauf und Prognose

In Abbildung 1, entnommen aus Kasper (2000, S. 16), wird ersichtlich, dass der Auslöser für eine Soziale Phobie in der Prodromalphase zu finden ist. Hierbei treten bereits Symptome der Erkrankung auf, die jedoch durch ihre geringe Beeinträchtigung noch nicht als psychische Störung diagnostiziert werden. Mittels Triggererfahrungen, wie z.B. durch Mitschüler erniedrigt zu werden, bricht schließlich die Störung aus. Nach Bassler (2004) erfolgt der Störungs-beginn entweder akut, durch ein traumatisches Ereignis, oder schleichend.

Abbildung 1: Entwicklung und Verlauf der Sozialen Phobie.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach dem „National Comorbidity Survey“ lag der Störungsbeginn der Sozialen Phobie bei 75% der Probanden vor dem 16. Lebensjahr (Kessler et al., 1994), wohingegen Stangier (2005) vom 15. bis 20. Lebensjahr sowie Berghändler und Mitarbeiter (2007) vom 10. bis 17. Lebensjahr ausgehen. In Bezug auf die Subtypen beschreibt Morschitzky (2004), dass der Beginn beim generalisierten Subtyp ab dem 13. Lebensjahr und beim nicht-generalisierten Subtyp ab dem 22. Lebensjahr erfolgen kann.

In Bezug auf die Geschlechterverteilung beträgt der durchschnittliche Störungs-beginn bei Frauen 22,7 Jahre und bei Männern 19,4 Jahre (Wittchen & Jacobi, 2004). Im Subtypenvergleich tritt der generalisierte Typ bei Frauen zwischen dem 12-13 Lebensjahr auf und bei Männern im 11-12 Lebensjahr. Der nicht-generalisierte Typ tritt hingegen bei Frauen im 15. Lebensjahr und bei Männern im 14. Lebensjahr auf (Lieb & Müller, 2002).

Trotz der verschiedenen Auffassungen des Krankheitsbeginns wird davon ausgegangen, dass ein Beginn nach dem 25. Lebensjahr äußerst selten ist (Fehm, 2006).

Der Grund für diesen frühen Störungsbeginn kann meiner Meinung nach in den begünstigenden Faktoren, wie z.B. Mutter-Kind-Beziehung, und auslösenden Faktoren, wie z.B. traumatisches Lebensereignis, liegen, die im Abschnitt 1.4 vorgestellt werden. Die Entstehungsbedingungen führen nach meiner Ansicht dazu, dass die im Jugendalter erworbenen Fähigkeiten nicht ausreichend entwickelt werden konnten, dies bezieht sich besonders auf das soziale Bewusstsein und die Interaktionen mit anderen. Des Weiteren ist das Jugend-alter der Zeitraum in dem der Jugendliche in der sozialen Gruppe neue Rollen übernimmt, um Selbstständigkeit und Selbstsicherheit zu entwickeln.

Der weitere Krankheitsverlauf kann, wie aus der Abbildung 1 ersichtlich wird, progressiv (stufenweise), persistierend (gleichbleibend) und undulierend (wellenartig) verlaufen. Ebenso kann eine Spontanremission (Rückgang) erfolgen. Nach Stangier und Mitarbeiter (2006) zeigte eine an 158 Sozial-phobikern durchgeführte Längsschnittstudie, dass „nach 2 Jahren 80%, nach 5 Jahren 73% und nach 8 Jahren immer noch 64% der […] Patienten die Diagnosekriterien für [eine] Soziale Phobie“ (S. 10) erfüllten. Ungefähr ein Drittel der Patienten, die eine Spontanremission aufwiesen, erlebten nach 4 bis 5 Jahren einen Rückfall. Fehm und Wittchen (2005) gehen von einer erheblichen Fluktuation aus, in der die Schwere der Symptomatik stark schwankt.

1.6.3 Komorbidität

Im Abschnitt 1.4 wurden psychische Störungen dargestellt, die von einer Sozialen Phobie abgegrenzt werden können, um eine effektive Behandlung zu gewährleisten. Diese können aber zusammen mit der Sozialen Phobie als komorbide Störung auftreten.

In der nachfolgenden Tabelle, aus Bassler (2005, S. 4) sind die psychischen Erkrankungen aufgeführt, die vorwiegend komorbid mit einer Sozialen Phobie vorkommen. Dies betrifft vor allem: Angststörungen, Affektive Störungen und Störungen durch psychotrope Substanzen. Ebenfalls gehören zu den komorbiden Störungen Essstörungen, wie Bulimia Nervosa (Saß et al., 2003b) und Anorexia Nervoa (Morschitzky, 2004) sowie die im Abschnitt 1.5.4 vorgestellte ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung.

Tabelle 4: Komorbidität der Sozialen Phobie.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In Bezug auf die Subtypen sind bei der generalisierten sozialen Angst vor allem depressive Störungen und Substanzstörungen, und bei der nicht-generalisierten sozialen Angst vor allem Panikattacken vorzufinden (Katschnig, 1998). Im Abschnitt 1.5.1, wurde dies anhand des ersten Beispiels beim generalisierten Subtyp ersichtlich, in dem ein 34-jähriger Arbeiter neben einem chronischen Alkoholmissbrauch auch eine generalisierte soziale Angststörung aufweist.

[...]


[1] Anthea (2004). Die weisse Magie der Hexen - Uraltes Wissen von Heilung und Weisheit - Kalender 2004. Rastatt: Pabel-Moewig Verlag. 6. Juli.

Ende der Leseprobe aus 127 Seiten

Details

Titel
Soziale Phobie. Eine Literaturanalyse zur Kognitiven Therapie
Hochschule
Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Stendal
Note
2,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
127
Katalognummer
V284475
ISBN (eBook)
9783656840879
ISBN (Buch)
9783656840886
Dateigröße
961 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale Phobie, Ätiologie, Therapie
Arbeit zitieren
Janine Jänisch (Autor:in), 2008, Soziale Phobie. Eine Literaturanalyse zur Kognitiven Therapie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284475

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