Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung und Fragestellung
2. Klassische Kapitalmarkttheorie
2.1. Rationalität und Effizienzmarkttheorie
2.2. Das traditionelle Kapitalgutpreismodell
3. Die Low-Volatility Anomaly
3.1. ÄLow Beta is a High Alpha“
3.2. Mögliche Erklärungen
4. Grenzen der Rationalität
4.1. Limitierungen und Heuristiken
4.2. Probability Bias
4.3. Representativeness Bias
4.4. Mental Accounting Bias
4.5. Overconfidence Bias
5. Grenzen der Arbitrage
5.1. Arbitrage in der Theorie
5.2. Fremdkapitalaufnahme
5.3. Benchmarking
6. Kritik und Zusammenfassung
6.1. EMT und Rationalität
6.2. Portfoliowahl
6.3. Abschließende Bemerkung
7. Literaturverzeichnis
1. Einführung und Fragestellung
Die klassische Kapitalmarkttheorie beruht auf dem Prinzip, dass es eine lineare Beziehung zwischen Risiko und Rendite gibt: höhere Renditen können nur durch höheres Risiko erzielt werden. Dennoch scheint es empirisch langfristig keine Beweise für diese Beziehung zu geben. Im Gegenteil - Baker, Bradley & Wurgler (2011) konnten sogar zeigen, dass Aktienportfolios, die nach gängiger Definition geringes Risiko ausweisen, deutlich höhere risikobereinigte Renditen erzielten als risikoreichere Aktienportfolios. Dieses Phänomen nennt sich low volatility anomaly.
Die folgende Arbeit wird zuerst die Grundlagen der klassischen Kapitalmarkttheorie erläutern und sich anschließend der Frage widmen, inwiefern die erwähnte low volatility anomaly durch Ansätze der Behavioural Finance erklärt werden können und weshalb innovative Investoren diesen Effekt noch nicht ausgenutzt haben. Schlussendlich wird dargelegt, welche Implikationen diese Erkenntnisse sowohl für die klassische Kapitalmarkttheorie als auch für Investoren haben.
2. Klassische Kapitalmarkttheorie
2.1. Rationalität und Effizienzmarkttheorie
Die moderne Investitions- und Finanzierungstheorie beruht auf den Prinzipien der klassischen Kapitalmarkttheorie (Rummer, 2006, S. 14). Die theoretische Grundlage dieser Theorie bilden zwei restriktiven Annahmen: zum einen, dass alle Marktteilnehmer als vollkommen rationale Individuen handeln und zum anderen, davon abgeleitet, dass der Kapitalmarkt vollkommen und vollständig - und damit effizient - ist (Schmidt & Terberger, 1997, S. 57).
Das Konzept vom Mensch als vollkommen rational handelndes Individuum wird auch als Ähomo oeconomicus“ bezeichnet und beschreibt menschliches Verhalten unter der Annahme, dass jedes Individuum Entscheidungen so trifft, dass sein Nutzen maximiert wird (Rummer, 2006, S. 15). Nutzen wird hierbei abhängig von den Präferenzen des Individuums für jede mögliche Option kalkuliert und anschließend die Option mit dem höchsten Nutzen gewählt. Hierfür müssen drei Bedingungen gegeben sein (Pompian, 2006, S. 15):
Das Prinzip der ‚vollkommenen Rationalität‘ (perfect rationality) besagt, dass Menschen weder kognitiv noch emotional in ihrer rationalen Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind.
Sie haben die Fähigkeit, den oben beschriebenen Entscheidungsprozess unvoreingenommen und vollständig durchzuführen und auf Basis dieser Information Entscheidungen zu treffen.
Das Prinzip des ‚vollkommenen Eigeninteresse‘ (perfect self-interest) besagt, dass Menschen sowohl temporal und situationsbezogen konstante Präferenzen haben, als auch konsequent auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Altruismus und Philanthropie kann unter dieser Annahme logisch nur dadurch erklärt werden, dass Menschen sich von entsprechendem Verhalten langfristig Vorteile für sich selbst erwarten.
Das Prinzip der ‚vollkommenen Information‘ (perfect information) besagt, dass alle Menschen Zugang zu allen für eine Entscheidung relevanten Informationen haben, diese entsprechend ihrer Relevanz objektiv bewerten und unnötige oder falsche Informationen ausblenden können sowie kognitiv nicht eingeschränkt sind.
Diese Einschränkungen und Annahmen haben klare Vorteile für die Erarbeitung von finanzmarkttheoretischen Modellen, da sie Verhalten quantifizierbar und vorhersagbar machen. Dennoch ist intuitiv klar, dass diese Annahmen in der Realität nicht haltbar sind. Eine ganze Reihe von Autoren und Studien belegen, dass Menschen nicht nach diesen drei Prinzipien Entscheidungen treffen, sondern kognitive und emotionale Einschränkungen haben. Obwohl Vertreter der Effizienzmarkthypothese diese Einschränkungen anerkennen, gehen sie jedoch davon aus, dass diese beschränkt auftretenden Irrationalitäten auf Marktebene durch den sogenannten Arbitrage-Effekt ausgeglichen werden (Shleifer & Vishny, 1997, S. 35ff) und der Markt damit als Ganzes effizient wird.
Das Konzept der Kapitalmarkteffizienz wird von Fama (1970) in drei Stufen unterteilt: Schwache Informationseffizienz (weak form efficiency) ist gegeben, wenn vergangene Kursinformationen im aktuellen Marktpreis vollständig enthalten sind. Dies würde bedeuten, dass keine Überrenditen1 aufgrund von technischer Aktienanalyse möglich sind und die Kursverläufe nicht aufgrund von Vergangenheitswerten vorhersagbar sind. Halbstrenge Informationseffizienz (semi-strong form efficiency) ist gegeben, wenn zudem alle öffentlich verfügbaren Informationen im aktuellen Marktpreis vollständig enthalten sind. In diesem Fall wären keine Überrenditen durch Fundamentalanalysen möglich. Strenge Informationseffizienz (strong form efficiency) bedeutet, dass neben öffentlichen auch alle privaten Informationen im aktuellen Marktpreis enthalten sind. Dies bedeutet, dass selbst durch Insiderwissen keine Überrenditen erzielt werden können.2
Die Frage ob der Kapitalmarkt laut dem Verständnis der Effizienzmarkttheorie als effizient anzusehen ist und welche der drei Informationseffizienzstufen der Realität am nächsten kommt, konnte bisher weder empirisch bewiesen noch durch akademischen Konsens geklärt werden (Rummer, 2006, S. 21).
2.2. Das traditionelle Kapitalgutpreismodell
Wenn davon ausgegangen wird, dass der Markt als Ganzes effizient ist, haben Sharpe, Lintner und Mossin aufgrund des Portfoliomodells von Markowitz ein Kapitalgutpreismodell (Capital Asset Pricing Model - CAPM) entwickelt, das den Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite für risikobehaftete Wertpapiere als lineare Gleichung darstellt und es erlaubt, die Rendite und damit den Preis eines Wertpapiers vorherzusagen.
Die einzige Determinante der Rendite nach diesem Modell ist das zugrundeliegende Risiko, das der Besitzer trägt. Das Risiko eines einzelnen Wertpapiers wird als die Standardabweichung der historischen Kursentwicklung definiert. Markowitz (1952) konnte zeigen, wie Investoren durch eine optimale Portfolioselektion ihren Gewinn - das heißt die Rendite - für ein gegebenes Risikoniveau maximieren können, indem sie Wertpapiere so zusammenstellen, dass sie sich hinsichtlich ihrer Kursentwicklung nicht gleich verhalten (Kruschwitz & Husmann, 2010, S. 171). Aus allen risikobehafteten Titeln im Markt wiederum lässt sich für ein gegebenes Risiko ein optimales Portfolio, die sets of efficients portfolios (Markowitz, 1952, S. 88) zusammenstellen. Welches Portfolio ein Investor wählt hängt von seiner Indifferenzkurve zwischen Risiko und Rendite ab. Das set of efficient portfolios ist nur dann für alle Investoren gültig, wenn Äalle Mitglieder der Volkswirtschaft homogene Erwartungen in Bezug auf die für die Finanztitel relevanten Daten haben“ (Kruschwitz & Husmann, 2010, S. 209).
Durch die Erweiterung des Modells durch die Einführung eines quasi risikolosen Wertpapiers3 unter der Annahme, dass dieses Wertpapier allen Investoren zum gleichen Zins zur unbegrenzten Verfügung steht, kann nun eine lineare Beziehung zwischen Risiko und Rendite aufgestellt werden, die sogenannte Kapitalmarktlinie (security market line). Der Investor kann durch die Allokation seines Investments zwischen risikolosem Wertpapier und optimalem Marktportfolio das gewünschte Maß an Risiko wählen. Er kann sogar ein höheres Risiko (und eine höhere Rendite) als das Marktportfolio erreichen, indem er zusätzliche Ressourcen zum risikolosen Zins aufnimmt und in das Marktportfolio investiert.
Ein entsprechendes Maß für systematisches4 Risiko im CAPM-Modell ist das Beta (β), das die Volatilität einer Aktie oder eines Portfolios in Relation zur Volatilität des Marktes setzt (Womack & Ying, 2003, S. 4)5. Die erwartete Rendite einer Anlage kann damit mit folgender Gleichung berechnet werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
wobei mit der Zinssatz für ein risikoloses Wertpapier gegeben ist, mit das Beta der zu bewertenden Anlage und mit () die erwartete Rendite des optimalen Marktportfolios.
Die Differenz zwischen erwarteter Rendite aufgrund des CAPM-Modells und der realisierten Rendite wird durch Alpha (α) bezeichnet. In einem effizienten Markt gibt es langfristig jedoch keine Überrenditen, da alle Anleger immer die höchste Rendite für ein gegebenes Maß an Risiko suchen und sich damit die Wertpapiere im Markt laut dem Modell langfristig immer auf der Kapitalmarktlinie befinden (Frazzini & Pedersen, 2011, S. 2).
3. Die Low-Volatility Anomaly
3.1. „Low Beta is a High Alpha“
Eine aktuelle empirische Studie stellt jedoch das Konzept von Risiko und Rendite im Verständnis des CAPM-Modells grundsätzlich in Frage. In der Zeitspanne von 1968 bis 2008 kategorisierten Baker, Bradley und Wurgler (2011) die Aktien des US-Markts in jedem Monat entweder nach ihrer Volatilität oder ihrem Beta und verglichen diese Portfolios hinsichtlich ihrer Renditen. Sie betrachteten sowohl den ganzen Markt als auch nur die Top 1.000 Aktien nach Marktkapitalisierung.
[...]
1 ‚Überrenditen‘ bezeichnet den Teil der Rendite einer Transaktion, der über der erwarteten Rendite liegt (siehe Kapitel 2.2).
2 ‚Fundamentalanalyse‘ versucht aufgrund gesamtwirtschaftlicher und unternehmensspezifischer Informationen den grundsätzlichen Wert einer Aktie zu bestimmen (Rummer, 2006, S. 19).
3 Klassischerweise wird eine Anleihe eines Staates wie die US-amerikanischen Treasury Bonds oder deutsche Bundesanleihen als risikoloses Wertpapier betrachtet. Dies ist jedoch in der Realität nicht der Fall, da auch diese Anleihen ein - wenn auch sehr geringes - Ausfallrisiko haben. Die gegenwärtige Eurokrise zeigt, dass dieses Ausfallrisiko in einigen Fällen auch sehr konkret werden kann (z.B. im Fall Griechenlands).
4 Systematisches Risiko beschreibt die Volatilität, die nicht durch Diversifikation vermieden werden kann und damit als Grundlage für die Bewertung der Rendite einer Anlage gilt.
5 Beta ist definiert als die ÄKovarianz der Rendite der Anlagemöglichkeit mit der Rendite des Marktportefeuilles, das alle risikobehafteten Anlagemöglichkeiten enthält“ (Schmidt & Terberger, 1997, S. 374)