Zur Vereinbarkeit von Unterricht und sprachheiltherapeutischer Arbeit an der Sprachheilschule


Examensarbeit, 2003

69 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. DIE RAHMENBEDINGUNGEN AN DER SPRACHHEILSCHULE
2.1 DIE GESCHICHTE DER SPRACHHEILPÄDAGOGIK
2.1.1 Antike und Mittelalter
2.1.2 Von den Sprachheilkursen zur Sprachheilschule
2.2 AUFGABEN UND ZIELE DER BERLINER SPRACHHEILSCHULE
2.3 SPRACHBEHINDERUNG UND PROBLEME DES LERN- UND LEISTUNGSVERMÖGENS VON KINDERN AN SPRACHHEILSCHULEN
2.3.1 Die Schule als “Setting”
2.3.2 Sprachliche Entwicklungsaufgaben der Schule
2.3.3 Sprachstörungen und Schule aus ökologischer Sicht
2.3.4 Konsequenzen für die Schule
2.4 ZWEISPRACHIGKEIT UND SPRACHHEILSCHULE
2.4.1 DIE SITUATION VON SCHÜLERN NICHTDEUTSCHER HERKUNFT AN DEN SONDERSCHULEN
2.4.2 SPRACHHEILPÄDAGOGIK UND MEHRSPRACHIGKEIT
2.5 EINBLICKE IN DIE PRAXIS DES SPRACHHEILTHERAPEUTISCHEN UNTERRICHTS
2.5.1 Erschwerende Faktoren für den Unterricht an der Sprachheilschule
2.5.2 Die Besonderheiten des Unterrichts in der Sprachheilschule
2.5.3 Didaktische Modelle im Unterricht
2.5.3 Ergebnisse
2.6 FAZIT

3. DAS DIALOGISCHE LERNEN
3.1 EINLEITUNG
3.2 DIE ELEMENTE DES DIALOGISCHEN LERNENS
3.2.1 Die Kernidee
3.2.2 Der Auftrag
3.2.3 Das Reisetagebuch
3.2.4 Die Rückmeldung
3.3 ZUSAMMENFASSUNG

4.1 VORÜBERLEGUNGEN
4.2 QUALITÄTSMERKMALE DES SPRACHHEILPÄDAGOGISCHEN UNTERRICHTS NACH BAHR IN VERBINDUNG MIT DEM DIALOGISCHEN LERNEN
4.2.1 Das Feld“Schülerinnen und Schüler“
4.2.2 Das Feld“Bildungsgehalte”
4.2.3 Das Feld“Methoden und Medien”
4.2.3 Konsequenzen für die Unterrichtsplanung
4.3 PROBLEME BEI DER UMSETZUNG DES DIALOGISCHEN LERNENS
4.3.1 Möglichkeiten der schriftlichen Dokumentation
4.3.2 Ergebnis

5. ZUSAMMENFASSUNG

6. LITERATURVERZEICHNIS UND ANHANG

1. Einleitung

Nach einer Schätzung von Experten beträgt die Zahl von behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 8 bis 10 Millionen Menschen. Dies entspricht einem ungefähren Bevölkerungsanteil von 10%, wobei einige Autoren sogar von 13% ausgehen.1

Nach Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Sprachheilpädagogik sind davon rund 2% sprachbehindert.

Für die Schulen heißt dies, dass im Jahre 1998 ca. 4,4% aller schulpflichtigen Kinder in Sonderschulen gingen.2 Von diesen 4,4% der Kinder lernen 0,325% in einer Schule für Sprachbehinderte, wobei die Zahl der Kinder an Sonderschulen allgemein, wie auch speziell an Sprachheilschulen stetig ansteigt (Tabelle 1).

So wurden z.B. im Bundesland Hessen im Schuljahr 1999/2000 insgesamt 1828 Schüler in 183 Klassen an Sprachheilschulen und Sprachheilklassen an allgemeinen Schulen unterrichtet. Dies entspricht 0,52% der Gesamtschülerschaft dieses Jahrganges.3

Für das Land Berlin liegen ähnliche Zahlen vor (Tabelle 2).4

Beachtlich ist der Anstieg der Kinder in den Sprachheilschulen von 1,76% im Jahre 1970 auf 7,94% im Jahre 1998. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass 1970 in den Berliner Sprachheilschulen 5663 Schüler lernten, während sich 28 Jahre später die Zahl der Schüler um 17790 auf 23453 erhöhte.

Neben dem rasanten Anstieg der Schülerzahlen ist auch ein Wandel in der Häufigkeit der Sprachstörungen zu verzeichnen.5

So waren in den 70er Jahren schätzungsweise 1% der 6jährigen Kinder von Sprachentwicklungsstörungen betroffen. Jetzt gehen die Schätzungen von ca. 10% der schulfähigen Kinder als therapie- bzw. förderbedürftig aus.

Ähnlich bei den Stimmstörungen. Treten heute bei ca. 20-30% der Kinder im Alter von 3 bis 10 Jahren Stimmstörungen auf, so waren es in älteren Untersuchungen ca. 1,5%. Auch für die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Lippen-Kiefer- Gaumenspalten lässt sich ein Anstieg von vor 50 Jahren mit 1:1000 auf heute mit 1:500 feststellen. Ähnliche Befunde lassen sich auch für das Stottern, das Poltern sowie die zentralen Sprach- und Sprechstörungen aufzeigen. Insgesamt verweisen also alle Zahlen auf „eine stetige Zunahme der zentralen Störsyndrome, vor allem im Kindes- und Jugendalter.“6

Neben dem reinen quantitativen Anstieg der Zahlen, der interessanterweise mit der Institutionalisierung der Sprachheilpädagogik durch die Empfehlungen der KMK von 1972 einherging, hat sich auch das Arbeitsgebiet der Sprachheilpädagogen stark erweitert.

War der Fokus zunächst auf die Diagnostik und Therapie der reinen Sprachstörung gerichtet, so wurde dieser durch die Erkenntnisse aus der Medizin, Psychologie, Soziologie und Linguistik stark erweitert.

Dies drückt sich in einem vertieften Verständnis von Ursachen und Wirkungen von Sprachstörungen im Kontext der Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen und des Lern- und Kommunikationsverhaltens aus sowie in den Empfehlungen der KMK von 1994 und 1998 und den Verordnungen und Erlassen der Länder zu den Aufgaben und Zielen der Sonderschulen.

Stichpunktartig sei hier nur der Fokuswechsel von der Institution Sprachheilschule hin zum Kind/Jugendlichen mit dem Förderschwerpunkt Sprache und die Betonung der individuellen Fähig- und Fertigkeiten des Kindes/Jugendlichen in der Therapie erwähnt. Ziel ist nicht mehr die therapeutisch-medizinische Beseitigung der Sprachstörung, sondern die Befähigung des sprachbehinderten Kindes/Jugendlichen, sich als kommunikationsfähig, d.h. als aktiv handelnder Mensch erleben zu können.7 Dies schließt die Beseitigung der Sprachstörung nicht aus, ist aber wesentlich weitergefasst und nimmt die Person als Ganzes in den Blickpunkt, was natürlich auch die Aufgabenvielfalt für die Sprachheilpädagogen an den Schulen erhöht. Denn neben dem sprachrehabilitativen Auftrag sind Sprachheilschulen dem allg. Rahmenplan verpflichtet und als Durchgangsschulen für eine schnellst mögliche Rückbeschulung in den Regelschulbereich konzipiert worden.

Aus dieser Konstellation der Sprachheilschule ergibt sich die schon seit dem Bestehen der Sprachheilschulen diskutierte Frage, wie die Sprachheilschule diese Aufgabenvielfalt von Bildung, Erziehung und Therapie erfolgreich im schulischen Alltag umsetzen kann. Diese Frage, die seit einem Aufsatz von Orthmann als „Dualismusproblematik“ bezeichnet wird, ist so alt wie die Sprachheilschule selber.

Schon Hansen, einer der führenden Sprachheilpädagogen Anfang des 20. Jhd. fragte in seinem Buch „Die Problematik der Sprachheilschule“ von 1929, „ob es denn überhaupt möglich sei, mit sprachbehinderten Kindern des Lehrplanziel der Volksschule zu erreichen bei gleichzeitiger Beseitigung der Sprachbehinderung.“8 So gab es seither immer wieder Versuche, eine dieser Dualismusproblematik gerecht werdende Didaktik der Sprachheilschule zu entwickeln, die jedoch in der Praxis kaum oder gar nicht umgesetzt wurden.9

Neben dieser Dualismusproblematik der Sprachheilschule gibt es noch andere Faktoren, die die Arbeit eines Sprachheilpädagogen beeinflussen und die für die Umsetzung der Ziele und Aufgaben der Rahmenpläne wichtig sind.

Die Sprachheilpädagogik ist eine Integrationswissenschaft, die sich selber als Teil der Heilpädagogik und der allgemeinen Pädagogik versteht. Integrationswissenschaft meint, dass die Sprachheilpädagogik in sich Erkenntnisse aus der Medizin, Psychologie, Linguistik, Soziologie und allgemeinen Pädagogik vereint, um diese dann in den Bereichen Diagnostik, Prävention, Evaluation und Unterricht, Erziehung sowie Therapie, Rehabilitation und Beratung anwenden zu können. (Abb. 1).

Das bedeutet, dass sich die Sprachheilpädagogik aufgrund der vielfältigen neuen Erkenntnisse und Theorien aus diesen Gebieten ständig weiterentwickelt, sich aber auch gleichzeitig mit den Grundlagen und den der neuen Erkenntnisse zugrunde gelegten Annahmen und Grundverständnissen von z.B. Diagnostik, Therapie oder Sprache ständig auseinandersetzen muss um das Neue auf seine Relevanz für die pädagogische Sprachheilarbeit überprüfen zu können.10 Für den Sprachheillehrer bedeutet dies, dass er auf allen diesen Gebieten ein umfangreiches Wissen besitzen muss, um die neuen Erkenntnisse, seien sie z. B. medizinischer, linguistischer oder psychologischer Art kritisch beurteilen zu können, um sie dann sinnvoll in seiner sprachheilpädagogischen Arbeit, die heute mehr ist als „nur“ Arbeit an der Sprachstörung anwenden und umsetzen zu können.11

Der Sprachheillehrer ist somit eine Art Schweizer Taschenmesser.

Zum einen ein guter Lehrer i. S. der Umsetzung der Bildungs- und Erziehungsziele der jeweiligen Länder und zum anderen ein guter Diagnostiker, Therapeut und Berater der es schafft, dies in seinem Unterricht zu verknüpfen und entsprechend dem Stand der Wissenschaft(en) im Interesse der Schüler wieder zu aktualisieren.12 Ein anderer Punkt, der einen neuen (?) Aspekt in der Arbeit an den Sprachheilschulen darstellt, ist der steigende Anteil ausländischer Kinder an den Sonderschulen für Lernbehinderte und an den Sprachheilschulen. So werden vor allem bei Kindern von Migranten „überdurchschnittlich häufig Sprachstörungen festgestellt.“13 Wagner/Powell14 zeigen in ihrer Studie für das Projekt „Ausbildungslosigkeit: Bedingungen und Folgen mangelnder Berufsausbildung", dass Kinder aus Familien nichtdeutscher Herkunft an Sonderschulen deutlich überrepräsentiert sind. So waren 1999 9,4% der Schüler aus nichtdeutschen Familien an allgemeinen Schulen, während 15% (sic!) der Schüler aus nichtdeutschen Familien an Sonderschulen waren gegenüber 3,8% deutscher Kinder. Die meisten dieser Kinder, nämlich 70% wurden an Lernbehindertenschulen unterrichtet. Besonders problematisch ist diese Tatsache deshalb, da nach Wagner/Powell an diesen Schulen der Sprachförderung kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird, obwohl es gerade Sprachschwierigkeiten sind, die zu einer Sonderbeschulung dieser Kinder führen. Hier eröffnet sich das Problem des Bilingualismus bei einer gleichzeitigen unvollständigen Integration der Kinder und Jugendlichen und ihrer Eltern in die deutsche Gesellschaft. Für die sprachheilpädagogische Arbeit herausfordernd ist diese Konstellation, da diese Kinder kaum oder schlecht die deutsche Sprache beherrschen und verstehen aber gleichzeitig in dieser Sprache unterrichtet und gefördert werden sollen. Ein anderer zentraler Punkt für die Arbeit von Sprachheilpädagogen stellt die Erkenntnis dar, dass Sprachbehinderungen oft mit Fehlentwicklungen im Persönlichkeitsbereich, im Sozialverhalten und im Lernverhalten einhergehen. Diese Begleiterscheinungen, besonders die Erschwerung des schulischen Lern- und Leistungsverhaltens stellt die Sprachheillehrer vor eine zusätzliche Herausforderung. Die Sprachheilschule ist dem allgemeinen Rahmenplan verpflichtet und versteht sich als Durchgangsschule, was vor dem Hintergrund möglicher Lern- und Leistungsschwierigkeiten und einer Therapie der Sprachbehinderung und dem Einhalten des Rahmenplans m. E. eine komplizierte und kaum erfolgreich zu handhabende Aufgabenkonstellation darstellt. Zwar hat sich die Zahl der sprachbehinderten Schüler, die eine Klasse wiederholen mussten erheblich reduziert, trotzdem bleibt festzuhalten, dass sprachbehinderte Schüler niedrigere Bildungsgänge wählen, deutlich öfter Klassen wiederholen und auch häufiger die Schule ohne Abschluss verlassen als ihre nicht sprachbehinderten Altersgenossen.15 Den Kristallisationspunkt für all diese Probleme stellt im Rahmen der Sprachheilschule bzw. der Integrationsklassen der Unterricht dar. Hier soll zugleich Bildung vermittelt, zu einer eigenständigen und selbstbestimmten Persönlichkeit erzogen und vorhandene Probleme im Bereich Sprache, Lernverhalten und Persönlichkeitsentwicklung entgegengewirkt werden mit dem Ziel einer schnellstmöglichen Rückbeschulung in den Regelschulbereich. Dies stellt den Sprachheilpädagogen vor eine immense Aufgabenvielfalt und bei der Heterogenität der Schüler und der Forderung nach einer individuumsbezogenen Betreuung vor eine aus meiner Sicht schwer zu lösende Aufgabe. Dies auch vor dem Hintergrund der steigenden Schülerzahlen (s.o) und der Tatsache leerer Kassen der öffentlichen Hand. Ausgehend von diesen Überlegungen stellt sich „die Frage, in welcher Weise die Schule für Sprachbehinderte die allgemeinen Erziehungs- und Bildungsziele bei gleichzeitiger Erfüllung ihres sprachrehabilitativen Auftrags zu erreichen sucht“16

In dieser Arbeit soll der Versuch gemacht werden, mit Hilfe eines noch sehr jungen didaktischen Modells aus dem Regelschulbereich einen Weg zu offerieren, der einen Teil der Problematik der Sprachheilschule in sich aufnehmen und so die Arbeit im Unterricht für Schüler und Lehrer vielleicht besser, angenehmer und effektiver gestalten kann. Die Rede ist hier von der Methode des „Dialogischen Lernens“, die die beiden Schweizer Didaktiker Peter Gallin und Urs Ruf in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt haben.

Grundlage dieser Methode ist die Forderung von Ruf/Galin, dass sich die Struktur der Kommunikation im Unterrichtsgeschehen radikal ändert.

War es bisher so, dass die jeweilige Fachsprache des Lehrers die Grundlage der Kommunikation darstellte, und der Schüler seine Kompetenz im Einarbeiten und Übernehmen der neuen Fachsprache und ihrer Inhalte bewies, so unterstellen Ruf/Galin jedem Schüler eine Grundlegende Kompetenz in jedem Fach. Diese drückt sich in der individuellen Bearbeitung eines Themas, einer Aufgabe bzw. Frage aus. Diese individuelle Antwort, getragen von der eigenen Kompetenz stellt die Grundlage der Kommunikation im Unterricht dar. Diese Antworten sollen aber nicht vom Lehrer am Regulären, d.h. an der Fachsprache gemessen werden. Nach Ruf/Galin stellt die individuelle Antwort der Schüler eine eigene Sprache dar, die der Lehrer zu lernen und zu verstehen hat. Andererseits muss der Schüler auch erst (wieder) lernen, seiner eigenen Sprache, seiner eigenen Kompetenz zu vertrauen. Denn nur wenn der Schüler seinen realen Gedanken, die Ausdruck seines Empfindens, Erlebens und Verstehens sind Raum gibt, kann der Lehrer hieran anknüpfen, die Qualität beurteilen, sich ein erstes Bild machen und den Schüler fachgerecht und zweckmäßig beraten. Nach Ruf/Galin ergibt sich folgende Aufgabenstellung für den Lehrer:

„Er muß auch bereit sein, sich auf jeden einzelnen Schüler einzulassen und sich vom ihm zeigen und erklären lassen, wie er die Sache sieht und wie er mit dem Problem umgeht. Der Lehrer muß bereit sein, aus dem gesicherten Bereich des Regulären herauszutreten und sich in die für ihn vielleicht fremd wirkenden Welten der einzelnen Schüler einzuleben. (...) In der Kommunikation mit den einzelnen Schülern, und das ist wohl der deutlichste Unterschied zur konventionellen Art des Lernens, liefert nicht die Fachsprache die Basis für den Unterricht, sondern die je individuellen Sprachen der Schüler.“17

Den Ausschlag für die Wahl dieser Methode als eine Möglichkeit sich den speziellen Problemen der Sprachheilschule zu stellen gaben zum einen die bisherigen Erfahrungen aus den Orientierungs- und Unterrichtspraktika an verschiedenen Schultypen. Dabei ergaben sich für mich vier Problemfelder, unabhängig vom Schultyp. In allen Klassen die ich während meiner Praktika besuchte, gab es Schüler nichtdeutscher Herkunft mit z.T sehr schlechten Deutschkenntnissen (s.o.). Diese waren oft vom Unterrichtsgeschehen ausgeschlossen, da eine Kommunikation nicht möglich war. Es fehlten beiderseits die Sprachkenntnisse und die Zeit auf Seiten des Lehrer sich um die Kinder zu kümmern. In einer Friedrichshainer Grundschule waren in einer Grundschulkasse sechs Kinder aus vier Nationen vertreten, deren Sprache und Kultur sehr verschieden waren. So gab es Kinder aus Vietnam, der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien und der ehemaligen Sowjetunion. Für mich stellte sich die Frage, ob und wie Unterricht unter diesen Bedingungen gewährleistet werden kann, ohne diese Schüler einfach zu übergehen oder ihnen banale Beschäftigungstherapien angedeihen zu lassen. Hinzu kam die Erfahrung aus dem Unterrichtspraktikum im Bereich Sehbehindertenpädagogik mit einer Klasse, die sowohl aus sprachbehinderten, sehbehinderten und lernbehinderten Kindern zusammengesetzt war. Ich stand vor dem Problem, den Stoff von vier Deutschstunden vorzubereiten und ihn den jeweiligen Fähigkeiten der Schüler anzupassen ohne das allgemeine Ziel, hier war es die Erarbeitung eines Gedichtes, aus den Augen zu verlieren. Dies gelang nur mit Hilfe der anleitenden Lehrerin und trotz ihrer Hilfe blieb das Gefühl, die Schüler nur wie ein „Entertainer“ auf die Spur des Rahmenplans gelockt zu haben ohne das Wissen um ihre Interessen und Fähigkeiten und ohne eine wirkliche Annährung von Bedürfnissen, Fähigkeiten und Ansprüchen erreicht zu haben. Für mich stellte sich während der gehaltenen Unterrichtsstunden auch die Frage, wie ich an die geforderten Informationen in Bezug auf anthropologische und soziale Voraussetzungen der Schüler kommen sollte. Die Schülerakten waren sehr medizinisch gehalten, die Eindrücke aus dem Unterricht verworren und sehr lückenhaft, einige Schüler habe ich kaum bemerkt. Angesprochen auf diese Fragen erhielt ich während einer großen Pause zwei Antworten. Der Tenor der ersten war, dass dies typische Anfängerfragen sein und diese sich mit genügend Praxis erübrigen werden. Die zweite Antwort kam von einem Referendar, der meinte, man müsse prinzipiell die Sicht auf den Unterricht verändern und die Rolle der Lehrer und Schüler neu definieren. In diesem Zusammenhang war kurz die Rede von der Didaktik Ruf/Gallins.

Der Didaktik von Ruf/Gallin begegnete ich dann ein Semester später in einem Seminar im Fachbereich Blindenpädagogik. Gegenstand des Seminars war die Frage nach der Gestaltung des Mathematikunterrichts an Blindenschulen im Grundschulbereich. Im Verlauf des Seminars stellte die Seminarleiterin, Frau Maria Altherr dann die Methode des „Dialogischen Lernens“ vor. Trotz der relativ kurzen Zeit, in der wir uns mit dieser Methode beschäftigten, ging doch für alle Anwesenden von ihr eine starke Anziehungskraft aus. Dies lag vor allem in der veränderten Sichtweise des Unterrichtsgeschehens, der Umdeutung der Rollen von Schüler und Lehrer, einer sinnvollen Zuwendung zum Unterrichtsstoff und dem Einsatz neuer Methoden. Besonders die Möglichkeit einer sehr differenzierten Arbeit mit heterogenen Klassen basierend auf der Entwicklung einer neuen Kommunikation zwischen Schüler, Lehrer und Stoff erregte großes Interesse. Daraus ergab sich für mich die Frage, ob sich dieses Modell als didaktische Grundlage meiner späteren Arbeit an der Sprachheilschule eignet und ob es Möglichkeiten bietet, die erlebten Probleme sinnvoll zu lösen. Die Arbeit stellt den theoretischen Versuch dieser Umsetzung dar.

Gegenstand der Arbeit ist also die Frage, ob sich die didaktische Methode des „Dialogischen Lernens“ an der Sprachheilschule sinnvoll und bereichernd einsetzen lässt.

Für eine sinnvolle Anwendung an der Sprachheilschule muss das Dialogische Lernen als ein Modell aus dem Regelschulbereich den Bedingungen der Sprachheilschule angepasst werden. Diese Bedingungen sind einerseits objektiver Art und werden in den Schulgesetzen der jeweiligen Länder geregelt (s.o.) Dazu zählen die Bestimmungen über die Aufnahme und die Auswahl der Schüler, über Aufgaben und Ziele der Sprachheilschule und über die Rahmenbedingungen des Unterrichts. Neben diesen objektiven Bedingungen werden in dieser Arbeit auch die persönlichen Erfahrungen des Autors als Rahmenbedingung mit aufgenommen. Dazu zählen (s.o) die Frage nach dem Umgang mit mehrsprachigen Kindern in der Sprachheilschule, die Frage nach den Umgang mit Schülern mit Lernschwierigkeiten an der Sprachheilschule und die Frage nach Möglichkeiten, den Unterricht auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler abzustimmen.

Diesen Rahmenbedingungen widmet sich der erste Teil der Arbeit. Zunächst wird in einem kurzen historischen Abriss die Entstehung des Sprachheilpädagogik und der Sprachheilschulen nachgezeichnet. Dann sollen anhand der Berliner Verordnung über die Sonderpädagogische Förderung (VO Sonderpädagogik) die Aufgaben und Ziele der Berliner Sprachheilschule aufgezeigt werden.

Dann wird der besonderen Problematik der Mehrsprachigkeit und der Lernschwierigkeiten an der Sprachheilschule anhand der neueren Literatur nachgegangen. Vorgestellt werden sollen neueste Ansätze und Erkenntnisse zu Ursachen, Folgen und dem Umgang mit diesen Problemen.

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit dem Dialogischen Lernen. Es soll nach den Zielen, Methoden und Adressaten gefragt werden um ein vertieftes Verständnis des Dialogischen Lernens zu erlangen.

Im dritten Teil der Arbeit soll geprüft werden, ob und wie das Dialogische Lernen an die im ersten Teil erarbeiteten Rahmenbedingungen angepasst werden kann.

2. Die Rahmenbedingungen an der Sprachheilschule

2.1 Die Geschichte der Sprachheilpädagogik

„Herr der Vergangenheit ist, wer sich erinnern kann. Herr der Zukunft ist, wer sich wandeln kann.“

(Chinesisches Sprichwort)18

Für eine gelungene Anpassung des „Dialogischen Lernens“ an die Anforderungen der Sprachheilschule ist m. E. ein vertieftes Verständnis der Besonderheiten der Sprachheilschule notwendig. Erst der Blick in die Vergangenheit zeigt die Gründe und Ursachen für die heutige Situation, zeigt aber Möglichkeiten und Grenzen einer perspektivischen Entwicklung und hilft, Probleme und Besonderheiten aus ihrem jeweiligen historischen Kontext zu verstehen und zu beurteilen.

2.1.1 Antike und Mittelalter

Darstellungen von Sprachstörungen bzw. Hinweise darauf liegen schon aus der Zeit der Antike vor. So ist der wahrscheinlich älteste Beleg für eine Sprachstörung ein Zitat über den Hethiterkönig Mursili, der vermutlich unter einer Dysarthrie und Aphasie litt.19 Weitere Berichte und Erzählungen finden sich z. B in den Historien des Herodot und in verschiedenen Erzählungen der Bibel.

Bezeichnend für die Beschäftigung mit Sprachstörungen in dieser Zeit ist zwar einerseits die hohe Wertschätzung des Sprechen - Könnens, wie sie z.B. in den Schriften eines Cicero oder eines Quintilians deutlich hervor tritt, andererseits aber auch das Fehlen eines gesellschaftlichen Interesses an einer Therapie von Sprachstörungen.20. Ein therapeutisches Vorgehen war Privatsache, keine Angelegenheit der Gesellschaft. Am häufigsten Beschrieben und Diskutiert wurden das Stottern und das Poltern. Bekanntestes Beispiel aus der Antike ist wohl der von dem Historiker und Biographen Plutarch beschriebene griechische Volksredner Demosthenes (384-322 v. Chr.). So machte sich nach Plutarch das Publikum während seiner Reden über ihn lustig, was wohl hauptsächlich an seiner Sprachstörung lag. Eine undeutliche Aussprache, eine schwache Stimme und kurzer

Atem zerstückelten seine Rede z.T. so sehr, dass sie für die Zuhörer nicht mehr verständlich war. Demosthenes ging dagegen in Selbsttherapie vor. Indem er kleine Steinchen in den Mund nahm und dann Texte gegen das Meer deklamierte, trainierte er seine Artikulation und durch Wanderungen und Bleiplatten auf dem Brustkorb seine Atmung.

Die Erkenntnisse der Antike, wie sie z.B. im corpus hippocraticum (400-200 v. Chr.) und in den Schriften des Galenus von Pergamon vorlagen, wurden im Mittelalter vor allem im Rahmen der Kirche weitergeführt und gepflegt.

Trotz der ersten theoretischen und systematischen Gesamtdarstellung von Sprachstörungen durch den Arzt Hieronymus Mercurialis (1530-1606) in seinem Buch: „De puerorum morbis“ von 1583, „kann die Zeit vom 5. Jahrhundert bis zum 16. Jahrhundert als Phase der Stagnation bezeichnet werden.“21

Für die Zeit zwischen Reformation und Französischer Revolution lassen sich tief greifende religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen erkennen. Dazu zählt besonders die wissenschaftliche Revolution des 17. Jhd, die sich vor allem mit Descartes, Bacon, Galilei und Newton verbindet. Es ist das Zeitalter der Experimente und der Empirie.

Für die Behandlung und Beschreibung von Sprachstörungen wurden in dieser Zeit zwei Modelle Ton angebend. Zum einem das medizinisch-chirurgische Modell und andererseits das didaktisch-phonetische Modell.22 Grundlegend für beide Modelle war zunächst die zentrale Betonung der Rolle der Zunge als „dem Sitz gestörter Sprache.“23 Das medizinisch-chirurgische Modell war zunächst führend. Hier wurde operativ die Zunge verändert. Die anfänglichen Erfolge dieses Eingriffes führten zu einer Begeisterung, die viele Stotterer zu diesem Verfahren trieb. Nach Misserfolgen und einigen Todesfällen geriet dieser Weg schnell in Misskredit und das Augenmerk richtete sich nun auf die didaktisch-phonetische Methode. Grundlage hierfür war die wissenschaftliche Phonologie wie sie von Wallis (1616-1703) und Amman (1669- 1724) begründet wurde. Amman legte mit seinem Werk „Dissertatio de loquela“ (1700) die Grundlage für die Lautspracherziehung Gehörloser und Schwerhöriger. Diese wurde von dem Begründer der ersten deutschen Taubstummenschule, Heinicke (1727-1790) als therapeutische Grundlage seiner Einrichtung übernommen.

Daneben beschrieb er in seiner Abhandlung auch Sprachstörungen und gab Anweisungen zu deren Korrektur.

2.1.2 Von den Sprachheilkursen zur Sprachheilschule

In der Folgezeit kam es zu rasanten Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Phonologie. So kommt es durch ein vertieftes Verständnis von Artikulation, Atmung und Sprechkoordination zu einer Vielzahl neuer Verfahren, die die didaktisch- phonetische Methode ergänzen und erweitern. Diese Verfahren wurden hauptsächlich zur Behandlung des Stotterns eingesetzt. Die Durchführung der Therapien erfolgte meistens an Sprachheilanstalten. Trotz ihrer Komplexität und Symptomorientierung brachten die Behandlungen an den Anstalten aber nicht die erhofften Ergebnisse und die Volksschule wurde der sprachbehinderten Kindern in keiner Weise gerecht. Aus dieser Konstellation heraus entwickelten sich dann die öffentlichen Sprachheilkurse für schulpflichtige, aber sprachgebrechliche Kinder.24 Motor dieser pädagogischen Entwicklung waren vor allem die Taubstummenlehrer. „Ihre Arbeit der Anbildung und des Aufbaus von Sprache beim tauben Menschen setzt Einsichten in phonetisch-physiologische Strukturen der Sprache voraus, die sie nach dem Stand damaliger Kenntnisse auch für Störungen wie Stammeln und Stottern qualifizierten.“25 Der erste offizielle Kurs wurde 1883 in Braunschweig eingerichtet. Es folgten weitere Kurse in Potsdam und Eberfeld. Bald waren in allen größeren Städten Sprachheilkurse eingerichtet, die sich in ihrer Konzeption hauptsächlich an Stotterer und Stammler richteten. Aufgrund ihrer starken Verbreitung und anfänglichen Erfolge entwickelten sich die Sprachheilkurse bald zu einer „eigenständigen sprachheilpädagogischen Organisationsform“26 mit dem Ziel der „Überwindung der Primärsymptomatik und (...) der Prävention der Entstehung sekundärer personaler und sozialer Verhaltens- und Entwicklungshemmungen.“27 Die Sprachheilkurse hatten eine Dauer von etwa hundert Stunden mit ca. vier Stunden pro Woche. Durchgeführt wurden die Kurse sowohl parallel zur Unterrichtszeit als auch nach der Schule. Die Anzahl der Teilnehmer betrug 12 Kinder. Zur Festigung bzw. bei ausbleibendem Therapieerfolg konnten auch Nachkurse von ca. zwei Wochenstunden absolviert werden.28 Am Ende des Kurses erfolgte eine Abschlussprüfung, oft öffentlich vor Vertretern der Schulleitung. In den ersten Jahren war der Erfolg immens. So kam H. Gutzmann 1904 in einer Analyse der Ergebnisse der Jahre 1886-1895 zu dem Schluss, dass 72,7% der stotternden Kinder in den Sprachheilkursen geheilt, 23,6% gebessert und nur 3,7% nicht geheilt wurden.29 Doch schon bald wurde erkennbar, dass die ursprünglich so hohe Quote von Heilungen abnahm, die Anzahl der Besserungen zwar stieg, aber die Gruppe der Nichtgeheilten deutlich wuchs. Für die Berliner Kurse bedeutete dies z.B., dass die Zahl der Heilungen von 75% 1909 auf 42% 1926 abnahm, die Zahl der Nichtheilungen dagegen von 3% 1909 auf 24% 1925 und 13% 1926 stieg.30 Mit der Erkenntnis der Abnahme der Heilerfolge begann eine breite und recht kontrovers geführte Diskussion um die Ursachen der Misserfolge. Eine zentrale Erfahrung war, dass die Kinder am Ende der Kurse sehr gute Erfolge vorzuweisen hatten, diese jedoch nicht lange vorhielten. Als ein organisatorischer Hauptmangel wird vor allem die zu kurze Kursdauer genannt, daneben der unregelmäßige Besuch, die mangelnde Mitarbeit der Eltern und die ungünstigen Kurszeiten. Daneben wurde aber auch die therapeutische Konzeption hinterfragt. So definierte Milke z. B. den Begriff der Heilung dahingehend, dass es eine Heilung erster und zweiter Ordnung gibt. Heilung erster Ordnung meint, dass der Stotterer eine Methode erlernt hat, mit deren Hilfe er das Stottern bekämpfen kann. Heilung zweiter Ordnung bedeutet, dass der Stotterer durch permanentes Anwenden und Verfeinern der erworbenen Methode diese nicht mehr bewusst anwenden braucht, da sie jetzt zur Gewohnheit, gleichsam habituell geworden ist.31 Aus dem Erleben der immer häufigeren Rückfälle bzw. Nichtheilungen zieht Mielke den Schluss, dass die Heilkurse obligatorisch gemacht werden sollen und dass sie „als integrierender Teil des Unterrichts in die planmäßige Unterrichtszeit gelegt werden (sollen)“ und weiter:

„Die Tätigkeit des Sprachlehrers in dem betreffenden Schulsystem ist nach alledem nicht so zu denken, dass er nur im speziellen Kurs und nur zu den Zeiten, wenn ein solcher im Gange ist, auf dem Gebiete der Sprachheilkunde thätig sei. Seine spezielle Arbeit muß vielmehr den in dem Schulsystem vorhandenen sprachgebrechlichen Kindern ununterbrochen das ganze Jahr hindurch gewidmet sein, nicht bloß um die normale Sprache zu gewinnen, sondern auch die gewonnene zu erhalten, zu befestigen, zu vervollkommnen.32

In Reaktion auf die Probleme der Sprachheilkurse entstanden die Sprachheilklassen, die Schritt für Schritt zu Sprachheilschulen vereinigt wurden. Wichtig war die enge Anlehnung an die allgemeine Schule, was sich in der Beibehaltung des allgemeinen Rahmenplanes auch für die Sprachheilklassen- und schulen ausdrückte. Die ersten beständigen Klassen wurden in Halle a. S. 1910 und in Hamburg 1912 eingerichtet. Die Zahl der Klassen und Schulen stieg langsam an, während die Zahl der Kurse sank (Tabelle 3).

Ursache für den doch recht langsamen Ausbau und Anstieg der Klassen und Schulen waren vor allem administrative Probleme. So gab es in der Weimarer Republik keine gesetzliche Grundlage für die Beschulung in Sprachheilschulen- oder Klassen. Die Einrichtung von Klassen und Schulen blieb der Initiative engagierter Ärzte, Lehrer und Beamter überlassen. Weiterhin fehlte eine geregelte Ausbildung und Prüfung der Sprachheillehrer. Hamburg z. B. führte eine solche erst 1928 ein. Ein anderer wichtiger Aspekt betraf die Arbeit an der Sprachheilklasse- oder Schule selber. So wurde einerseits durch die Erfahrungen in den Sprachheilkursen, andererseits durch die Arbeiten der „Wiener Schule“ das Bewusstsein dafür entwickelt, dass mit einer Sprachstörung weitere Störungen und Behinderungen einhergehen können und dass die Sprachstörung nicht nur eine organische Ursache, sondern auch eine psychische Komponente hat, die unbedingt in die Diagnostik und Therapie mit einbezogen werden muß. Dies drückt sich besonders deutlich in dem Ansatz von Rothe (1929) aus. Für ihn bedeutet diese psychologisch fundierte Grundhaltung in der Praxis der Spracheilklassen und Schulen eine „Umerziehung“ der ganzen Persönlichkeit. Da beim Stottern aus seiner Sicht eine zentrale Ursache das Bewusstsein von der gestörten Sprache ist, bedarf es in der „Umerziehung“ vor allem der Abbau der Angst vor dem Sprechen und des Aufbaus von Hoffnung und Selbstvertrauen.33

Die den Sprachheilklassen und Schulen innewohnende Verknüpfung von Unterricht, Erziehung und Therapie, führte schon in den Anfangsjahren zu einem Problembewusstsein von der Spannung zwischen Unterricht und Therapie. Parallel zur Etablierung der Klassen und Schulen kam es auch zur Entwicklung einer eigenständigen Interessenvertretung, der „Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik“ 1927 in Hamburg.

In der Zeit des Nationalsozialismus stagnierte die organisatorische Entwicklung der Sprachheilpädagogik. Viele ihrer Vertreter verließen das Land oder wurden ermordet und die Schulen verschreiben sich der Ideologie der Nationalsozialisten, jüdische Fachliteratur wurde verboten.

Nach dem Niedergang des Dritten Reiches versuchten die Überlebenden und Zurückgekehrten das Niveau der Zeit vor 1939 zu erreichen. Die Jahre des Wiederaufbaus dauern bis zur Mitte der 50er Jahre. So gab es 1955 11 eigenständige Sprachheilschulen und 6 mit Schwerhörigenschulen kombinierte Sprachheilschulen an denen schätzungsweise 2400 Schüler beschult wurden.34

In den 70er Jahren vollzog sich ein entscheidender Einschnitt in der Entwicklung der Sprachheilpädagogik. Mit der „Empfehlung zur Ordnung des Sonderschulwesens“ von 1972 begann ein erheblicher Ausbau der Sprachheilschulen. Neben die inzwischen klassischen Formen von Sprachheilschule und Sprachheilheimen traten mit der Zeit eine immer größere Vielfalt an diagnostisch-therapeutischen Maßnahmen und Möglichkeiten. Für eine weitere Neubestimmung der Arbeit und der organisatorischen Vielfalt sorgte die Empfehlung des deutschen Bildungsrates „Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ von 1973. Diese Empfehlung sieht eine „weitmögliche gemeinsame Unterrichtung von behinderten und Nichtbehinderten vor“.35

[...]


1 ) Nach Cloerkes, G., Soziologische Grundlagen, in: Grohnfeldt, M. (Hrsg.), Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Stuttgart 2000, Bd.1, Selbstverständnis und theoretische Grundlagen, S.221.

2 ) Ebd.

3 ) Nach Holler-Zittlau, I., Glück, M., Zum Verhältnis von Unterricht, sprachheilpädagogischer Förderung und Erziehung in der Sprachheilschule. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in: Die Sprachheilarbeit 46 (2001), S. 14.

4 ) Nach Powell, J., Wagner, S., Daten und Fakten zu Migrantenjugendlichen an Sonderschulen in der Bundesrepublik Deutschland, Selbstständige Nachwuchsgruppe Working Paper 1/2000, Berlin: MaxPlank- Institut für Bildungsforschung, S. 17.

5 ) Nach Braun, O., Sprachstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Diagnostik-Therapie-Förderung, Stuttgart : Kohlhammer 1999, S. 7.

6 ) Braun, Sprachstörungen, S. 8.

7 ) Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 13.Juli 2003, Abschnitt II, §10 Förderschwerpunkt Sprache, Hrsg. v. d. Senatsverwaltung für Justiz.

8 ) Weigt, R., Grundlagen der Sprachbehindertendidaktik, Neuwied 1997, S. 65.

9 ) Vgl. Holler-Zittlau, Gück, Zum Verhältnis von Unterricht, sprachheilpädagogischer Förderung und Erziehung in der Sprachheilschule, S. 14

10 ) Vgl. Grohnfeld, M., Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd.1, S. 31 f.

11 ) Grohnfeldt, M., Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd.1, S. 25.

12 ) Ebd.

13 ) Cloerkes, Soziologische Grundlagen, S. 221.

14 ) Powell, J., Wagner, S., Daten und Fakten, S 14 ff.

15 Vgl. Romonath, R., Schule als Sprachlernort- Sprachstörungen als Lernschwierigkeiten, in: Die Sprachheilarbeit 46 (2001), S. 160.

16 ) Zit. nach Holler-Zittlau,I., Gück, M., Zum Verhältnis von Unterricht, sprachheilpädagogischer Förderung und Erziehung in der Sprachheilschule, in: Die Sprachheilarbeit, S.14.

17 ) Ruf, U., Sprache und Mathematik in der Schule. Auf eigenen Wegen zur Fachkompetenz, SeelzeVelber: Kallmeyer1998, S. 141.

18 ) Nach Grohnfeldt, M., Aufgabenstellungen der Sprachheilschule am Beispiel der Qualitätssicherung, in: Die Sprachheilarbeit 45 (2000), S. 146.

19 ) Vgl. Braun, O., Macha-Krau, H., Geschichte der Sprachheilpädagogik und Logopädie, in: Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd.1, S. 48.

20 ) Braun, Macha-Krau, Geschichte, S. 48.

21 ) Braun, Macha-Krau, Geschichte, S. 49.

22 ) Vgl. Braun, Macha-Krau, Geschichte, S. 50.

23 ) Ebd.

24 ) Braun, Macha-Krau, Geschichte, S. 53.

25 ) Orthmann, W., Geschichte der Sprachbehindertenpädagogik, in: Knura, G./Neumann, B. (Hrsg.): Pädagogik der Sprachbehinderten. 2. Auflage. Handbuch der Sonderpädagogik Band 7. Berlin 1982,S. 71.

26 ) Braun, Macha-Krau, Geschichte, S. 55.

27 ) Ebd.

28 ) Vgl. Orthmann, W., Geschichte, S. 77

29 ) Vgl. Braun, Macha-Krau, S. 55.

30 ) Vgl. Orthmann, W., Geschichte ,S. 78.

31 ) Vgl. Orthmann, W. Geschichte, S. 79.

32 ) Zit. nach Orthmann, W. Geschichte, S. 79.

33 ) Vgl. Braun, Macha-Krau, Geschichte, S. 63.

34 ) Vgl. Ortmann, W., Geschichte, S. 85.

35 ) Zit. nach Braun, Macha-Krau, Geschichte, S. 60

Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Zur Vereinbarkeit von Unterricht und sprachheiltherapeutischer Arbeit an der Sprachheilschule
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  ( Institut für Rehabilitationswissenschaften)
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
69
Katalognummer
V28480
ISBN (eBook)
9783638302432
ISBN (Buch)
9783638717595
Dateigröße
15777 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vereinbarkeit, Unterricht, Arbeit, Sprachheilschule
Arbeit zitieren
Andreas Tuch (Autor:in), 2003, Zur Vereinbarkeit von Unterricht und sprachheiltherapeutischer Arbeit an der Sprachheilschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28480

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