Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Livia und der erste Herrschaftsübergang im Prinzipat zwischen Augustus und Tiberius
3. Iulia Domna und die Nachfolgefrage in der severischen Dynastie
4. Vergleich der dynastischen Rollen von Livia Drusilla und Iulia Domna
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die von Augustus 27 v. Chr. errichtete Herrschaftsordnung des Prinzipats benötigte einen starken legitimatorischen Rückhalt, um – trotz formaler Wiederherstellung der Republik – Akzeptanz für das monarchische Modell zu erlangen. Hierbei berief sich Augustus auf die tradierten Sitten und Verhaltensnormen seiner Vorfahren, den mores maiorum. Als wichtigster Raum für die eigene Darstellung in der Öffentlichkeit und Umsetzung des Wertekanons erwies sich die römische domus und insbesondere die kaiserliche Familie, die fortan eine soziale Vorbildfunktion für den ganzen römischen Staat übernahm.
Durch die große Bedeutung des Fortbestands der kaiserlichen domus und ihrer politischen Macht, veränderte sich auch die Rolle der Frauen. Die dynastische Hauptaufgabe bestand zwar weiterhin „nur“ im Gebären von männlichem Nachwuchs, diese Aufgabe wurde aber für die res publica wichtiger als je zuvor. Den Zeitpunkt des Übergangs zwischen dem Tod eines alten und dem Machtantritt eines neuen Kaisers lohnt es daher besonders auf die jeweiligen Umstände und Rollen der darin involvierten Frauen zu überprüfen.
Livia Drusilla, die als erste Kaiserin für all ihre Nachfolgerinnen Maßstäbe setzte, befand sich ebenso wie Julia Domna, die erste Kaiserin der severischen Dynastie, in der Situation eines Herrschaftsübergangs, der vom Ehemann auf den Sohn erfolgte. Anhand der antiken Historiographie soll dargestellt werden, welcher Stellenwert den Kaiserinnen hier jeweils zugeschrieben wurde, welche Einflussmöglichkeiten sich für die Frauen tatsächlich ergaben und wie sich innerfamiliäre Beziehungen der domus auf die res publica auswirken konnten.
2. Livia und der erste Herrschaftsübergang im Prinzipat zwischen Augustus und Tiberius
Livia Drusillas Position an der Seite Augustus’ hatte von Anfang an eine wichtige Bedeutung für die römische Öffentlichkeit. Als gebürtige Claudierin symbolisierte sie zum einen die alte republikanische Tradition und zum anderen als Ehefrau Augustus‘ das neu erschaffene Prinzipat[1]. Diese Verbindung von Altem und Neuem war schließlich auch zwischen ihrem Ehemann und ihrem leiblichen Sohn Tiberius und dem damit einhergehenden Herrschaftswechsel von Bedeutung.
Livias Rolle im augusteischen Prinzipat scheint zunächst eng mit der dynastischen Bedeutung ihrer eigenen Söhne verknüpft zu sein[2]. So wird von den antiken Geschichtsschreibern, allen voran Tacitus, der Topos der „bösen Stiefmutter“ in der Darstellung Livias geprägt. Diese sei in erster Linie darauf bedacht, ihre eigenen Söhne um jeden Preis voranzubringen und dabei auch die Beseitigung anderer potentieller dynastischer Erben in Kauf zu nehmen. Laut Tacitus half die Kaiserin nach Augustus‘ Tod 14 n. Chr. ihrem Sohn Tiberius den adoptierten Enkel Agrippa Postumus „aus stiefmütterlicher Abneigung“[3] zu beseitigen. Auch für den Tod des Augustus wird Livia mitunter verantwortlich gemacht: „Livia aber war, wie man sagt, in Furcht, Augustus möchte ihn [Agrippa] zurückholen und zum Herrscher machen, und so bestrich sie einige Feigen mit Gift, die noch an den Bäumen hingen, von wo Augustus gewöhnlich eigenhändig die Früchte brach; dann verzehrte sie selber jene, die nicht bestrichen waren, und bot gleichzeitig die vergifteten ihrem Gatten“[4]. Temporini zufolge sind diese dramatischen Schilderungen von Morden und Intrigen rund um den Regierungswechsel in Zusammenhang mit den Ängsten und Unsicherheiten zu sehen, die am Anfang und Ende jeder Herrschaft stehen und Livia hier zur „Schlüsselfigur der Tage des Übergangs“[5] erklären. Hinzu kommt die bis dahin einmalige Position, die Augustus erschuf und verkörperte und da nun ein erster Nachfolger über die Art und Weise der Weiterführung des Prinzipats entschied, gewann die Nachfolgefrage zusätzlich an Brisanz.
Eine aktive Rolle erhält Livia in der Zeit zwischen dem Tod des Augustus und dem Regierungsantritt Tiberius‘. Hier agiert die Kaiserin selbständig, um die Zeit ohne Herrscher zu überbrücken und verzögert die Bekanntmachung von Augustus‘ Tod: „Sein Heimgang wurde indessen nicht sogleich bekanntgegeben; denn Livia fürchtete, da Tiberius noch in Dalmatien weilte, einen Umsturz und verheimlichte deshalb den Tod ihres Gatten bis zum Eintreffen des Sohnes“[6]. Es sei dahingestellt, ob Livia hier lediglich pragmatisch handelte oder, wie in den Quellen beschrieben, erneut ihrem Sohn einen Vorteil zu verschaffen suchte. Wichtig erscheint vor allem die Tatsache, dass die Kaiserin Einfluss auf die politische Aufgabe der Nachfolgeregelung nahm oder zumindest von den antiken Geschichtsschreibern damit als Verbindung innerhalb der Dynastie hervorgehoben wird. Die neue Bedeutung der Kaiserin wurde von Augustus zusätzlich unterstützt, wenn nicht gar bewusst konzipiert, indem er sie testamentarisch adoptierte, sie damit in die iulische gens aufnahm und ihr den augusta -Titel verlieh. Unklar bleibt, ob Augustus damit intendierte, das Kaisertum auf „zwei Stützen, einen Augustus und eine Augusta zu stellen“[7] oder Tiberius als den Sohn der Livia über seine eigene Adoption hinaus noch stärker dynastisch zu legitimieren[8].
Tiberius zeigte sich von den vielen Ehrbezeugungen zugunsten seiner Mutter, auch von Seiten des Senats, jedoch wenig begeistert: „Weit ging der Väter Unterwürfigkeit auch gegen die Augusta: einige beantragten, sie solle Mutter, andere, sie solle Landesmutter genannt werden, die meisten, dem Namen des Kaisers solle beigefügt werden ‚Der Julia Sohn‘. Tiberius erklärte nachdrücklich, einzuschränken seien die Ehrungen für Frauen und er werde die gleiche Mäßigung zeigen bei denjenigen, die ihm zugedacht würden, in Wahrheit aber war er krank vor Eifersucht und nahm die hohe Stellung eines Weibes als Schmälerung des eigenen Ranges“[9]. Die Einschätzung Tacitus‘, der neue Kaiser Tiberius sei auf seine eigene Mutter eifersüchtig, ist zweifellos übertrieben. Dennoch weist auch hier wieder vieles auf die überragende Position, die Livia als Frau innerhalb des Prinzipats besaß. Warum sonst sollte der Prinzeps in der Überlieferung verschiedener Quellen den Einfluss der ersten Augusta so kategorisch abwehren und beschneiden wollen?
Sueton berichtet in seinen Kaiserbiographien: „Weil er sich durch seine Mutter Livia eingeengt fühlte, da sie seiner Ansicht nach einen großen Anteil an der Machtausübung beanspruchte, vermied er ein häufiges Zusammentreffen mit ihr und längere Gespräche unter vier Augen, damit es nicht so aussehe, als werde er durch ihre Ratschläge regiert, die er jedoch mitunter nötig hatte und befolgte“[10]. Livia hat demnach nicht nur Augustus, sondern auch Tiberius mit Ratschlägen zur Seite gestanden, die Sueton zufolge für letzteren durchaus wertvoll gewesen seien. Des Weiteren hatte Livia das Recht, Senatoren und andere Personen selbst zu empfangen und auf Briefen ihren Namen neben den des Kaisers zu setzen[11]. Livias Einflussnahme auf den Kaiser wird bei Cassius Dio zu eigenen Herrschaftsambitionen gesteigert: „Abgesehen davon, dass sie es niemals wagte, in der Kurie oder in den Feldlagern oder Volksversammlungen zu erscheinen, versuchte sie alles andere in die Hand zu nehmen, so als wenn sie allein das Regiment führte. Denn zu Lebzeiten des Augustus hatte sie den größten Einfluss ausgeübt, und immer wieder erklärte sie, daß Tiberius durch sie Kaiser geworden sei; so war sie auch nicht zufrieden, auf gleichem Fuße mit ihm zu regieren, sondern verlangte sogar noch den Vortritt vor ihm“[12]. Während Livias Ratschläge unter Augustus erwünscht und anscheinend auch von Tiberius in Anspruch genommen wurden, kritisiert Cassius Dio hier ihr eigenständiges politisches Agieren als eine unerhörte Anmaßung. Den schmalen Grat zwischen wertvoller, bereichernder Einflussnahme und einem normverstoßenden „Eingriff in die Ordnung des Handelns unter Männern“[13] galt es nicht zu überschreiten.
Die unterschiedliche Darstellung Livias in den antiken Quellen teilt sich auffällig in die zwei Zeiten der Herrschaft von Augustus und der von Tiberius. Während anfänglich ihre Tugenden gepriesen und ihr guter Einfluss auf den Kaiser gelobt werden, wendet sich das Liviabild mit dem Tod des Augustus zu einer „bösen Stiefmutter“, die machtversessen an politischen Morden beteiligt ist und letztlich auch noch Ansprüche auf eine Mitherrschaft gegen ihren Sohn erhebt. Die Nachfolgefrage und eine daraus resultierende Frauenmacht als „Schwachstellen“ des Prinzipats versetzten die antiken Historiker so in die Lage, ihre Kritik am Prinzipat unter dem Mantel der Kritik einer Frauenherrschaft zu formulieren[14].
3. Iulia Domna und die Nachfolgefrage in der severischen Dynastie
Die unter Septimius Severus errichtete Dynastie nahm nach mehreren erlittenen Tiefschlägen des Prinzipats, wie eine fünfjährige Phase von Bürgerkriegen, wieder verstärkt die Ideologie des augusteischen Prinzipatsgedanken auf. Zum ersten Mal hatte die kaiserliche domus keine römischen Wurzeln – Severus war gebürtiger Afrikaner und seine Ehefrau Iulia Domna stammte aus Syrien[15] – umso wichtiger erschien es hier, die Herrschaft dynastisch zu untermauern. Iulia Domna konnte daher als Stammmutter einer neuen Dynastie präsentiert werden und die kaiserliche Propaganda dank zwei männlicher Nachkommen zusätzlich stärken[16]. Die Rolle der Kaiserin wurde über ein Jahrhundert nach der ersten Augusta Livia inzwischen zu einer politischen Konstante innerhalb des Prinzipats. Die Bedeutung Iulia Domnas wird unter anderem daraus ersichtlich, dass sie mit Plautianus, dem Vertrauten des Kaisers, einen männlichen Feind innerhalb ihrer eigenen domus besaß. Eine solche Feindschaft wäre nicht denkbar, wenn Iulia Domna einen geringeren Stellenwert innerhalb der Dynastie gehabt hätte. Laut dem Zeitzeugen Cassius Dio behandelte Plautianus die Kaiserin schlecht, „denn er haßte sie aus ganzem Herzen und rückte sie bei Severus dauernd in ein gar übles Licht“[17]. Dieser rivalisierte direkt mit der Kaiserin um die Gunst des Septimius Severus und versuchte seine Interessen auch mit Hilfe einer eigenen Heiratspolitik durchzusetzen.
[...]
[1] Vgl. Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum: Die iulisch-claudische Familie: Frauen neben Augustus und Tiberius, in: Dies. (Hrsg.): Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora, München 2002, S. 96.
[2] Vgl. Christiane Kunst: Zur sozialen Funktion der Domus. Der Haushalt der Kaiserin Livia nach dem Tode des Augustus, in: Peter Kneissl/Volker Losemann (Hrsg.): Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ zum 75. Geburtstag, Stuttgart 1998, S. 457.
[3] Tac. Ann. 1,6.
[4] Cass. Dio 56, 30, 2.
[5] Temporini: Die iulisch-claudische Familie, S. 75.
[6] Cass. Dio 56, 31, 1.
[7] Temporini: Die iulisch-claudische Familie, S. 38.
[8] Vgl. Claudia-Martina Perkounig: Livia Drusilla – Iulia Augusta. Das politische Porträt der ersten Kaiserin Roms, Wien/Köln/Weimar 1995, S. 131.
[9] Tac. Ann. 1, 14-16.
[10] Suet. Tib. 3, 50, 2.
[11] Vgl. Cass. Dio 57, 2.
[12] Cass. Dio 57, 12, 3.
[13] Thomas Späth: Männlichkeit und Weiblichkeit bei Tacitus. Zur Konstruktion der Geschlechter in der römischen Kaiserzeit, Frankfurt a.M./New York 1994, S. 93.
[14] Vgl. Kunst: Zur sozialen Funktion der Domus, S. 457.
[15] Vgl. Jasper Burns: Great Women of Imperial Rome. Mothers and Wifes of the Caesars, London 2007, S. 181.
[16] Vgl. Bruno Bleckmann: Die severische Familie und die Soldatenkaiser, in: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora, München 2002, S. 269.
[17] Cass. Dio 76, 15, 6 [Xiphil.].