Das Erfurter Judenpogrom von 1349. Analyse und Darstellung


Seminararbeit, 2013

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Jüdische Kultur in Erfurt vor 1349

3. Das Pogrom von 1349
3.1 Schilderung des Pogroms
3.2 Mögliche Ursachen des Pogroms
3.3 Bewertung des Pogroms

4. Schluss und Ausblick

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Spätmittelalter, der Zeit seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, als eine Epoche der Krise in Gesellschaft und Kirche,1 fanden sich auf europäischen Boden Vertreter drei großer Religionen, des Christentums, des Islams und des Judentums, wieder. Nicht selten entbrannten hier Konflikte und entluden sich Ängste, in denen die Religion nur mehr Mittel zum Zweck war. Auch die Juden, die als einzige nicht-christliche Minderheit seit der Römerzeit in Europa lebten, vielen oft ihrer labilen Sonderstellung zum Opfer.2

Die vorliegende Arbeit hat die Analyse und Bewertung der Erfurter Judenverfolgung von 1349 zum Inhalt. Es gilt zu erörtern, worin mögliche Ursachen dieses Ereignisses zu suchen, und wie diese zu bewerten sind. Im Rahmen des Seminars ist diese Fragstellung vor allem in Hinblick auf die Betrachtung einer Randgruppe der europäischen Stadt des Mittelalters, sowie die Untersuchung mittelalterlicher jüdischer Kultur in Thüringen wertvoll. Judenpogrome waren im späten 13. und im 14. Jahrhundert auf europäischem Gebiet keine Seltenheit. In den meisten Fällen gingen diese mit der rasenden Ausbreitung des schwarzen Todes, der Beulen- und Lungenpest, einher. Der gesellschaftlichen Randgruppe der Juden wurde die Schuldfrage an der tödlichen Seuche zugeschoben. Dies stand, wie auch im Fall der Stadt Erfurt, oft in Verbindung mit innergesellschaftlichen Konflikten.3 Auch die Forschung widmet sich bezüglich der Betrachtung der Judenpogrome in der Mitte des 14. Jahrhunderts häufig der Analyse von ökonomischen und sozialen Teilaspekten.4 Die vorliegende Arbeit stellt zunächst die jüdische Gemeinde Erfurts vor der Verfolgung Mitte des 14. Jahrhunderts vor, um anschließend die einzelnen Faktoren, die zu dem Pogrom führten, näher zu beleuchten. Zunächst gilt es zu klären, welche Bezeichnung der Judenfeindschaft des Spätmittelalters zugeordnet werden kann. Weniger sollte hier der im 19. und 20. Jahrhundert rassistisch begründete Terminus „Antisemitismus“ verwendet werden. Eher umschreibt die Abneigung der mittelalterlichen christlichen Gemeinschaft gegen Juden das Wort „Antijudaismus“, welches religiös gerechtfertigt, jedoch auch durch wirtschaftliche und soziale Faktoren hervorgerufen wurde.5

2. Jüdische Kultur in Erfurt vor 1349

Die jüdische Gemeinde Erfurts, die vor dem Pogrom 1349 dort angesiedelt war, wird auch als erste Gemeinde bezeichnet. Aufgrund kunsthistorischer Untersuchungen an der Erfurter Synagoge, deren älteste Bauteile auf das 11. Jahrhundert datiert werden können, sowie dem Erfurter Judeneid, der zwischen 1183 und 1200 aufgesetzt wurde, ist mit Sicherheit zu sagen, dass die Ansiedlung einer jüdischen Gemeinde wohl vor Ende des 11. Jahrhunderts stattgefunden haben muss.6 Der Judeneid des 12. Jahrhunderts ist aufgrund seiner Beschaffenheit für innerhalb der Stadt ansässige Juden konzipiert. Diesem Rechtsdokument, welches unter dem Mainzer Erzbischof Konrad I. von Wittelsbach erlassen wurde, ist eine dreizehnzeilige Formel zu entnehmen, die es den Juden, anstelle eines christlichen Schwurs vor Gericht, ermöglichte, eben vor einem christlichen Gericht Widerspruch einzulegen und Rechtsgeschäfte ausüben zu können.7 Interessant ist, dass diese Schwurformel von dem Mainzer Erzbischof, dem Herren der Stadt Erfurt, erlassen wurde. Demzufolge ist davon auszugehen, dass bereits im 12. Jahrhundert seitens des Mainzer Klerus ein reges Interesse daran bestanden haben muss, die Erfurter Juden vor Gericht „geschäftsfähig“ und handlungsfähig zu machen. Daraus kann geschlossen werden, dass es im Spätmittelalter eine engere Verbindung zwischen dem Erzbischof und den ansässigen Juden in Erfurt gab.

Eine Urkunde aus dem Jahr 1212 gibt eine erste feste Auskunft darüber, dass eine jüdische Gemeinde in der Stadt Erfurt ansässig war. Die Quelle berichtet, dass Kaiser Otto IV zu diesem Zeitpunkt dem Erzbischof von Mainz das so genannte Bederecht für einige Städte des Mainzer Erzstiftes übertrug. Der Kaiser gab somit seine bestehenden Ansprüche gegenüber den Juden auf.8 Unter dem Bederecht sind die mit der Schutzherrschaft verbundenen Abgaben der Juden gegenüber dem Erzbischof zu verstehen, die Juden mussten also Steuern an den Erzbischof abtreten, um im Gegenzug unter seinem Schutz zu stehen. Die Quelle nennt unter den Städten auf erzbischöflichem Gebiet nur Mainz und Erfurt explizit, was bedeutet, dass dort bestehende Siedlungen eine gewisse Größe und Bedeutung innehatten.9 Allerdings kam es trotz dieser Schutzpflicht seitens des Erzbischofs bereits im Jahr 1221 zu einer Verfolgung und Ermordung von Erfurter Juden durch Pilger aus Friesland und Erfurter Christen. Am 16. Juni diesen Jahres wurden, so die Erfurter Peterschronik, 26 Juden durch den aufgebrachten Mob getötet.10 Dieser Vorfall beweist, dass die gesellschaftliche Randgruppe der Juden bereits vor dem Pestpogrom 1349 Opfer von Anfeindungen und Gewalt wurden.

Sowohl die Erfurter Synagoge, die am besten erhaltene zeitgenössische Hinterhofsynagoge in Europa, als auch die Mikwe, ein religiöses, rituelles Tauchbad der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde Erfurts, zeugen von der Bedeutung der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts.11 Das Wohngebiet rings um die alte Synagoge, in dem die Juden lebten, wird auch als jüdisches Quartier bezeichnet. Die Lage dieses Viertels im Zentrum der Stadt ist wiederum ein Hinweis auf die relativ frühe Ansiedlung der Juden in Erfurt.12 Das von den Juden bewohnte Gebiet befand sich rings um das Rathaus der Stadt, die inzwischen abgerissene Benediktinerkirche an der Krämerbrücke, und die Michaelisstraße.13 Neben den bereits genannten Bauwerken weist auch der mittelalterliche jüdische Friedhof auf die große Gewichtung der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts hin. Auf dem Gebiet der heutigen Großen Ackerhofsgasse wurden vermutlich seit dem 12. Jahrhundert verstorbene Juden aus Erfurt, aber auch aus anderen Orten der Umgebung beigesetzt. Dem Erfurter Judenfriedhof kam demzufolge eine große Bedeutung zu, da er im Spätmittelalter den einzigen jüdischen Bestattungsort in Thüringen darstellte.14

Zum Verhältnis von Erfurter Juden und Christen im Spätmittelalter gibt uns neben der erwähnten Quelle das Urkundenbuch der Stadt Erfurt einige Hinweise. So wird beispielsweise vom 19. Dezember 1266 berichtet: „Werner, Erzbischof von Mainz, nimmt die wegen der Juden in seine Ungnade gefallene Bürgerschaft in Erfurt wieder zu Gnaden an und bestätigt die Privilegien der Juden.“.15 Da die Urkunde nichts über die konkreten Vorfälle aussagt ist anzunehmen, dass eine Auseinandersetzung zwischen Christen und Juden stattgefunden haben muss, die der Erzbischof anschließend aufgrund des ihm zustehenden Bederechtes zu schlichten hatte. Die Bestätigung der nicht explizit genannten Privilegien der Juden weist darauf hin, dass ein Bestehen ihrer Gemeinde seitens des Bischofs durchaus erwünscht war. Dies ist natürlich in erster Linie mit der von den Juden zu leistenden Schutzsteuer zu begründen. Auf diesen Aspekt deutet auch eine Urkunde aus dem Jahr 1306 hin. Am 20. Juni bekennt „Der Rath von Erfurt […], dass er auf Verlangen des Mainzer Domkapitels die Juden von Martini ab zwei Jahre lang in seinen Schutz genommen habe.“16. Wichtig ist hierbei, die Verfolgung der Juden von Weißensee mit einzubeziehen. Dort führte 1303 eine Ritualmordbeschuldigung17, eine Anschuldigung der Christen gegen die Juden, ein christliches Kind beabsichtigt getötet zu haben, zum Tod von mindestens 123 Juden in Weißensee. Die Peterschronik der Stadt Erfurt berichtet, dass die Bewohner der jüdischen Gemeinde Erfurts eine solche Verfolgung nur durch die Zahlung einer Geldsumme an den Rat der Stadt Erfurt verhindern konnten. Demzufolge übernahm der Stadtrat von Erfurt bereits 1303 den Schutz der Erfurter Juden in deren Einvernehmen. Die erwähnte Quelle von 1306 bestätigt diese Vereinbarung nun offiziell.18 Gründe für diese gegenseitige Vereinbarung sind seitens der Minderheit der Juden deutlich aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit, seitens des Stadtrates wohl vor allem in finanzieller Hinsicht zu suchen. Bereits 1291, sowie 1294 erneut, wurde die Judensteuer neben anderen Pfandgütern vom Erzbischof von Mainz an den Erfurter Stadtrat verpfändet, was natürlich höhere Einnahmen mit sich brachte. Die Urkunde von 1306 kann demzufolge auch als Verlängerung dieser Judensteuerverpfändungen gesehen werden. Das Verhältnis von Juden und dem Rat der Stadt Erfurt kann daher im Zeitraum vor dem Pogrom 1349 als verbunden und auf gegenseitigem Interesse beruhend bezeichnet werden. Es ist davon auszugehen, dass die Erfurter Juden um die Mitte des 14. Jahrhunderts weitläufig in das Gefüge der Stadtgemeinde eingebunden waren.19

3. Das Pogrom von 1349

Die Pestpogrome Mitte des 14. Jahrhunderts können als größter Einschnitt in der mittelalterlichen Geschichte der jüdischen Gemeinde Europas angesehen werden,20 und blieben auch von Zeitgenossen nicht unbeachtet.21 Die Stadt Erfurt kann zu einer relativ großen Gruppe von Städten gezählt werden, in denen das Judenpogrom an einem Samstag, also einem Sabbattag, erfolgten. Hier kann die Vermutung nahe liegen, dass einige der Verfolger bewusst diese Chance genutzt haben, um die Juden während einer Versammlung innerhalb der Synagoge oder ihrer Häuser zu überraschen. 22 Die Vorgänge der Erfurter Verfolgung sollen im Folgenden dargelegt und bewertet werden.

3.1 Schilderung des Pogroms

Der Bericht in der Chronica St. Petri Erfordensis moderna schildert den Ablauf des Judenpogroms in Erfurt folgendermaßen: „Im selben Jahr [Anm. 1349] zwischen Mariä Reinigung und Fastnacht wurden die Juden in allen Städten, Burgen und Dörfern Thüringens erschlagen, […] weil sie Quellen und Brunnen verseucht hatten, wie damals für sie erwiesen galt, weil viele Säcke voll Gift in den Brunnen gefunden worden sein sollten. Im selben Jahr, am Tag des hl. Benedikt [Anm. 21.03], der damals auf den Sonnabend vor Laetare fiel, wurden die Juden in Erfurt entgegen dem Willen des Rates von der Bürgergemeinde erschlagen, hundert oder mehr. Die andern aber, mehr als dreitausend, haben sich, als sie sahen, dass sie den Händen der Christen nicht entkommen konnten, aus einer Art Frömmigkeit in ihren eigenen Häusern selbst verbrannt. Nach drei Tagen wurden sie auf Lastkarren zu ihrem Friedhof vor dem Moritztor gebracht und dort begraben. Mögen sie in der Hölle ruhn! Man sagt auch, sie hätten in Erfurt die Brunnen und die Gera vergiftet und auch die Heringe, so daß niemand in den Fasten davon essen wollte und keiner der reicheren Bürger mit Wasser kochen ließ. Ob sie recht haben, weiß ich nicht. Eher glaube ich, der Anfang ihres Unglücks war das unendlich viele Geld, das Barone und Ritter, Bürger und Bauern ihnen schuldeten. […]“23

Die Schilderungen der Klosterchronik der Benediktiner sind die einzigen vollständig erhaltenen Handschriften, die bezüglich gesammelter Ereignisse der Stadt Erfurt bis 1355 zurückreichen.24 Die Chronik, die nach ihrem Entstehungsort, dem Benediktinerkloster St. Peter, benannt ist, gilt als das wichtigste Werk der Erfurter Geschichtsschreibung im Hoch- und Spätmittelalter.25 Der Chronist benennt als offiziellen Grund des Pogroms die Anschuldigung, die Juden hätten das Wasser der Gera sowie Brunnen vergiftet. Hinter diesem Brunnenvergiftungsvorwurf mag sicher bei einigen der aufgebrachten Bürger tatsächlich die Angst vor der Pest gestanden haben, jedoch weist der Chronist in seinem Bericht auf andere mögliche Ursachen der Verfolgung hin. Obwohl er ebenfalls eine antijudaistische Aussage („Mögen sie in der Hölle ruhen!“) verwendet, merkt er Zweifel an dem vorgeschobenen Grund der Brunnenvergiftung an. Er gibt an, dass er nicht weiß, ob die Bürger mit ihrem Vorwurf recht haben und ist eher der Meinung, dass ihre zahlreichen Schuldner die Juden in den Tod getrieben hätten. Interessant ist ebenfalls seine Aussage, das Pogrom hätte „entgegen dem Willen des Rates“ stattgefunden. Im Urkundenbuch der Stadt Erfurt finden sich Akten zum späteren Prozess der an dem Judenmord beteiligten Bürger der Stadt. In dem Verhörprotokoll geben zwei der Angeklagten, Guntzel von Rockstedt und Apel von Halle, die die Anführer der wohlhabenderen Aufständischen gewesen sein sollen, zu Protokoll: „[…] sie hetten leute aus deme rathe und aus den rethen, die inen trefflichen zu hulffe komen wollten.“26 Auch ein gewisser Helwigk Goltschmidt, sagt aus: „[…] das viel leuthe in dem rathe und in den rethen weren, den es lieb were, das man die iuden thotte, das er verwar wuste, das sie nymandt daran hindertte, das sie es frolich angriffen.[…]“.27 Weiterhin wird ausgesagt, dass ein Mitglied des Stadtrates, ein gewisser Hugk der Lange, den Hauptleuten der Verfolger der Juden den Befehl gab, diesen einen Fluchtweg durch die Wallengasse abzuschneiden und sie dort zu erschlagen, woran sie niemand hindern würde.28 Bemerkenswert ist auch, dass bereits eine Urkunde vom 11. Juli 1349 bezeugt, dass sich der Stadtrat von Erfurt mit Gerlach, dem Erzbischof von Mainz, „wegen der Ermordung der Juden gütlich vertragen habe.“.29 Allerdings beteuert der Stadtrat hier seine Unschuld an dem Massaker, das gegen seinen Willen geschehen sei, woraufhin der Bischof ihm verzeiht.30 In selbiger Urkunde wird ebenfalls ausgesagt, dass ein Wideransiedlung der Juden in der Stadt durchaus erwünscht ist, und das eben diese wiederangesiedelten Juden dieselben Rechte wie vor ihrer Auslöschung genießen.

Sowohl die Klosterchronik St. Petri, als auch die Prozessunterlagen geben also eindeutige Hinweise darauf, dass zumindest einige Mitglieder des Stadtrates mit dem Erfurter Judenpogrom in Verbindung gestanden haben müssen. Mögliche Gründe für eine Art beauftragtes Pogrom seitens des Stadtrates sollen im Kapitel 3.2 erörtert werden.

3.2 Mögliche Ursachen des Pogroms

Die Ursache einer schweren Seuche in der Strafe Gottes zu sehen, ist keine Erfindung des Mittelalters, denn bereits in den Büchern des Alten Testaments finden sich religiöse Warnungen vor dem Auftreten der Pest. Zweifelsohne kann die zweite Pestpandemie innerhalb Europas, der schwarze Tod, der vorwiegend im Zeitraum von 1347 bis 1352 wütete, als schwerwiegender Einschnitt für die europäische Bevölkerung des Spätmittelalters angenommen werden. Mit dem Massensterben, das etwa 25 Millionen Todesopfer forderte, ging eine „Pestangst“31 innerhalb der Bevölkerung einher, die nach den Gründen für das plötzliche und unerklärbare Auftreten der Seuche suchte.32 Die religiöse Minderheit der Juden war schnell als Sündenbock ausfindig gemacht. Obwohl der Pest auch zahlreiche Juden zum Opfer vielen, mag ihre religiös bedingte Hygiene und Reinlichkeit sie vielleicht in einigen Fällen vor der Krankheit bewahrt, und so auffälliger gegenüber der christlichen Bevölkerung gemacht haben.33 Erste Judenpogrome, die nachweislich im Kontext mit der Ausbreitung der Pest stehen, traten um die Osterzeit 1348 in der Provence auf.34 Im November desselben Jahres weiteten sich die Pogrome und Anschuldigungsprozesse auf die Schweiz und bis an den Oberrhein aus. Bereits im Januar 1349 hatte die Verfolgungswelle Ulm erreicht, im Februar Gotha. Die Bevölkerung nahm, nicht zuletzt aus Hilflosigkeit und Erklärungsnot, die Idee einer riesigen Verschwörung der Juden zur Verbreitung der Seuche in der Tat ernst. Den Juden wurde dabei vorgeworfen, das Trinkwasser in Brunnen und Flüssen vergiftet, und somit die Seuche verbreitet zu haben.35 Interessant ist dabei, dass sich die Legende der Brunnenvergiftung der Juden, wie auch im Fall der Stadt Erfurt, teilweise um Monate schneller verbreitete als die Pest selbst.36 Das Erfurter Judenpogrom fand am 21. März 1349 statt, von der Pest wurde die Stadt allerdings erst im Jahr 1350 heimgesucht.37 Diese Tatsache ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Pest und die ihr vorauseilende Brunnenvergiftungslegende, auch in Erfurt wurde ein jüdischer Arzt namens Freydanck der Vergiftung von Brunnen und dem Wasser der Gera bezichtigt,38 nicht einzige Auslöser für das Judenpogrom in Erfurt gewesen sein können. Abgesehen davon erübrigt sich dieser Vorwurf von selbst, da die jüdischen Einwohner von Erfurt ebenfalls sauberes Trinkwasser zum Leben benötigten, und dieses wohl kaum selbst vergiftet hätten. Auch eine Ritualmordbeschuldigung oder der Vorwurf der Hostienschändung lassen sich im Vorfeld nicht als möglicher Auslöser feststellen. Eine wahrscheinliche Verbindung zwischen dem Judenpogrom und dem Stadtrat von Erfurt ist, wie auch der Chronist der Peterschronik bereits angedeutet hat, das Geld. In den beiden Lateranenkonzilien von 1179 und 1215 wurde das christliche Zinsverbot, also das Verbot für Christen, für geliehenes Geld Zinsen zu verlangen, wiederholt streng betont. Diese Tatsache machte es für Christen sehr unlukrativ, als Geldverleiher oder Kreditgeber tätig zu sein. Für Juden bestand ein solches religiöses Zinsverbot nicht, weshalb gut nachvollziehbar ist, dass sie Mitte des 14. Jahrhunderts hauptsächlich im Geldhandel- und verleih tätig waren. Auch im zeitgenössischen Erfurt stellten die Juden, denen zu diesem Zeitpunkt bereits der Handel mit Großwaren verboten war, die einzige Möglichkeit dar, Geld zu leihen, beziehungsweise Pfandhandel einzugehen. Aufgrund dieser Tatsache waren natürlich weite Teile der Bevölkerung bei den jüdischen Bürgern verschuldet.39 Zu den Kreditnehmern zählten neben Erfurter Bürgern verschiedene Adlige, die wettinischen Land- und Markgrafen, der Bischof von Würzburg und der Deutsche Orden.40 Sicher ist nicht auszuschließen, dass auch sich auch einige Ratsmitglieder unter den Schuldnern der jüdischen Geldgeber befanden. Ein nahe liegendes Motiv für ein Pogrom, dass die Tötung einer bestimmten Gruppe zum Ziel hat, wäre demnach ein wirtschaftliches, nämlich sich seines Kreditgebers, und demnach seiner, eventuell sehr hohen, Schulden zu entledigen.

[...]


1 Vgl.: hilsch, Peter: Das Mittelalter. Die Epoche. 2. Auflage, Konstanz 2006, S. 215.

2 Vgl.: Keil, Martha: Jüdisches Leben in Thüringen im Mittelalter. In: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen (Hg.): Thüringen. Blätter zur Landeskunde, Erfurt 2011, ohne Seitenangabe.

3 Vgl.: Lotter, Friedrich: Artikel Judenfeindschaft. In: Lexikon des Mittelalters Band 5, München 1991, Sp.790-792, hier Sp.790f.

4 Vgl.: Graus, Frantisek: Pest. Geissler: Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, Göttingen 1987, S. 155f.

5 Vgl.: Lotter, Friedrich: Judenverfolgung, Sp.790f.

6 Vgl.: Lämmerhirt, Maike: Die Stellung der jüdischen Gemeinde Erfurts in Thüringen und Aschkenas. Erste Ergebnisse. In: Landeshauptstadt Erfurt (Hg.): Erfurter Schriften zur jüdischen Geschichte. Band 1 Die jüdische Gemeinde von Erfurt und die SchUM-Gemeinden. Kulturelles Erbe und Vernetzung, Erfurt 2012, S.28-39, hier S.28.

7 Vgl.: herz, Gerhard: Der Erfurter Judeneid zu Ende des 12. Jahrhunderts. In: Stadt und Geschichte e.V. (Hg.): Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt, Sonderheft 8, Erfurt 2008, S.13-14, hier S.13.

8 Vgl.: Lämmerhirt, Maike: Zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Erfurt. In: Sven Ostritz (Hg.): Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt. Band 1. Der Schatzfund. Archäologie-Kunstgeschichte-Siedlungsgeschichte, Weimar 2010, S.334-375, hier S.339.

9 Vgl.: Lämmerhirt, Maike: Die Stellung der jüdischen Gemeinde Erfurts in Thüringen und Aschkenas, S.29.

10 Vgl.: Keil, Martha: Jüdisches Leben in Thüringen im Mittelalter, ohne Seitenangabe.

11 Vgl.: Küstner, Eike: Jüdische Kultur in Thüringen. Eine Spurensuche, Erfurt 2012, S.97f.

12 Vgl.: Nitz, Thomas: Das Wohnquartier der Erfurter Juden im Mittelalter. In: Sven Ostritz (Hg.): Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt. Band 1. Der Schatzfund. Archäologie-Kunstgeschichte-Siedlungsgeschichte, Weimar 2010, S.324-333, hier S.324.

13 Vgl.: Küstner, Eike: Jüdische Kultur in Thüringen, Erfurt 2012, S.108.

14 Vgl.: Boockmann, Margaretha: Mittelalterliche jüdische Grabsteine. Die Erfurter mittelalterlichen hebräischen Grabinschriften. In: Landeshauptstadt Erfurt (Hg.): Erfurter Schriften zur jüdischen Geschichte. Band 1 Die jüdische Gemeinde von Erfurt und die SchUM-Gemeinden. Kulturelles Erbe und Vernetzung, Erfurt 2012, S.78-87, hier S.80.

15 Beyer, Carl: Urkundenbuch der Stadt Erfurt. 1. Theil. In: Historische Commission der Provinz Sachsen (Hg.): Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Bd. 23, Halle 1889, Quelle 210, S.130.

16 Ebd.: Quelle 526, S. 368.

17 Die so genannte Ritualmordbeschuldigung gegenüber den Juden trat nach der Antike erstmals im 12. Jh. wieder in England auf. Sie beinhaltet den Vorwurf, die Juden würden aus Hass gegen das Christentum unter Anleitung durch ihre Rabbiner jährlich zur Osterzeit ein christliches Kind rituell ermorden und anschließend dessen Blut aus religiösen gründen entziehen und es für rituelle Zwecke zu nutzen. Diese Anschuldigung führte regelmäßig zu Judenpogromen innerhalb Europas. Vgl.: Lämmerhirt, Meike: Die Ritualmordbeschuldigung im thüringischen Raum und die Verfolgung von Weißensee 1303. In: Enno Bünz u.a (Hg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter. (Festschrift für Matthias Werner zum 65. Geburtstag), Köln 2007, S. 737-762, hier S.741.

18 Vgl.: Lämmerhirt, Maike: Zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Erfurt, S.339.

19 Vgl.: Ruf, Reinhold: Juden im spätmittelalterlichen Erfurt: Bürger und Kammerknechte. In: Frank G. Hirschmann, Gerd Mentgen (Hg.): Campana pulsante convocati. (Festschrift anlässlich der Emeritierung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp), Trier 2005, S.487-518, hier S.498f.

20 Vgl.: Lämmerhirt, Maike: Zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Erfurt, S.347.

21 Vgl.: Graus, Frantisek: Pest, S.155.

22 Vgl.: Haverkamp, Alfred: Die Judenverfolgung zur Zeit des Schwarzen Todes. In: Alfred Haverkamp (Hg.): Juden im Deutschland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Stuttgart 1981, S.27-91 hier S.50.

23 Bericht über die Judenverfolgung des Jahres 1349 in Erfurt und Thüringen aus der 3. Fortsetzung der Chronica St. Petri Erfordensis moderna. In: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Hg.): Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein Gedächtnisausgabe. Bd. 37. Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte mittel- und oberdeutscher Städte im Spätmittelalter. Ausgewählt und übersetzt von Gisela Möncke, Darmstadt 1982, Quelle 48, S.199.

24 Vgl.: Holder-Egger, Oswald: Ueber die Chronica S. Petri Erfordensis moderna und verwandte Erfurter Quellen. In: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Band 21, Halle 1896, S.543-559, hier S.543. http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PPN=PPN345858530_0021&DMDID=dmdlog29&PHYSID=phys460. (Seite zuletzt aufgerufen am 9.10.2013).

25 Vgl.: Werner, Matthias: Artikel: Cronica s. Petri Erfordensis moderna'. In Lexikon des Mittelalters Band 3, München 1991, Sp.353, hier Sp. 353.

26 Beyer, Carl: Urkundenbuch der Stadt Erfurt. 2. Theil, Quelle 314, S.253.

27 Ebd. S.256.

28 Ebd.

29 Ebd. Quelle 316, S.260.

30 Vgl.: Lämmerhirt, Maike: Die Stellung der jüdischen Gemeinde Erfurts in Thüringen und Aschkenas, S.31.

31 Vgl.: hilsch, Peter: Das Mittelalter, S. 215.

32 Vgl.: Stelzner, Axel, Stelzner, Christoph: Die Pest im Altertum und Mittelalter-eine neuzeitliche Horrorversion?. In: Stadt und Geschichte e.V. (Hg.): Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt, Band 4, Erfurt 2002, S.20-21, hier S.20f.

33 Vgl.: Keil, Martha: Jüdischen Leben in Thüringen im Mittealter, ohne Seitenangabe.

34 Vgl.: Cluse, Christoph: Zur Chronologie der Verfolgungen zur Zeit des „Schwarzen Todes“. In: Alfred Haverkamp (Hg.): Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Südalpen. Kommentiertes Kartenwerk. Teil 1. Kommentarband, Hannover 2002. S.223-242, hier S.226.

35 Vgl.: Greive, Hermann: Artikel: Brunnenvergiftung. In: Lexikon des Mittelalters Band 2, München 1991, Sp.784-785, hier Sp.784.

36 Vgl.: Cluse, Christoph: Zur Chronologie der Verfolgungen zur Zeit des „Schwarzen Todes“, S.230.

37 Vgl.: Rudat, Klaus-Dietrich: Die Pest in Erfurt, Erfurt 1944, S.69.

38 Vgl.: Ebd. S.66.

39 Vgl.: Nitz, Thomas: Erfurts jüdische Gemeinden im Mittelalter. In: Stadt und Geschichte e.V. (Hg.): Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt, Band 3, Erfurt 2002, S.4-6, hier S.4f.

40 Vgl.: Lämmerhirt, Maike: Die Stellung der jüdischen Gemeinde Erfurts in Thüringen und Aschkenas, S.35.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Erfurter Judenpogrom von 1349. Analyse und Darstellung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Veranstaltung
Seminar "Die Stadt im Mittelalter"
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
20
Katalognummer
V284943
ISBN (eBook)
9783656849070
ISBN (Buch)
9783656849087
Dateigröße
433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
erfurter, judenpogrom, analyse, darstellung
Arbeit zitieren
Saskia Jungmann (Autor:in), 2013, Das Erfurter Judenpogrom von 1349. Analyse und Darstellung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284943

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