Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Zum Begriff Sozialisation
2.1 Definitionsversuch
2.2 Hierarchisch geordnete Makro- und Mikroebenen
2.3 Die sieben Thesen Hurrelmanns
2.4 Identitätsbildung bei Jugendlichen
3 Mediensozialisation von Jugendlichen
4 Das soziale Online-Netzwerk Facebook
5 Nutzerverhalten von Jugendlichen bei Facebook
6 Einfluss sozialer Online-Netzwerke auf die Sozialisation Jugendlicher
6.1 Stärken und Möglichkeiten
6.2 Schwächen und Risiken
7 Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
Internetquellen
1 Einleitung
Der Mensch ist durch andere formbar, gleichzeitig prägt er sich in der Auseinandersetzung mit sich und seiner materiellen und sozialen Umwelt selbst. Dabei kann er anders als Tiere auf über Jahrtausende entstandene Kulturen, soziale Strukturen und umfangreiches Wissen zurückgreifen. Sozialisationsprozesse lassen uns zu Menschen mit vielfältigen Identitäten und Persönlichkeiten werden, die gemeinsam Gesellschaften formen, welche sich wiederum durch allgemein anerkannte Kulturen mit spezifischen Rollenmustern, Grundannahmen, Werten, Normen, Ritualen, Helden und Symbolen sowie ein angehäuftes und strukturiertes Wissen auszeichnen (vgl. Hofstede et al. 2010). Die Sozialisation lässt uns unsere Rolle in der Gesellschaft finden und festigen. In diesem lebenslangen Prozess definieren wir uns einzeln als Individuen und insgesamt als Gesellschaft immer wieder neu. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die eigene Identitäts- bzw. Persönlichkeitsbildung, die ständige Beantwortung der Frage „Wer bin ich?“.
Ein Untersuchungsgegenstand der Sozialwissenschaft sind Instanzen wie Familie, Peergroups, Erziehungs- und Bildungseinrichtungen sowie andere soziale Institutionen und Gruppierungen, die maßgebliche Einflussfaktoren für die Sozialisation darstellen. Soziale Online-Netzwerke wie Facebook könnten eine weitere Instanz darstellen, die maßgeblich die Sozialisation von Individuen beeinflusst, schließlich werden sie weltweit von Milliarden Menschen genutzt. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel dieser Hausarbeit, folgende Fragestellungen zu untersuchen:
1. Was ist Sozialisation und welche Einflussfaktoren liegen ihr zugrunde?
2. Wie können soziale Online-Netzwerke wie Facebook die Sozialisation von
Jugendlichen beeinflussen?
Das folgende Kapitel untersucht zunächst die Frage, was Sozialisation ist und welche Einflussfaktoren ihr zugrunde liegen. Hierfür wird ein Definitionsversuch zum Begriff Sozialisation vorangestellt, anschließend folgt ein Überblick über ausgewählte Grundannahmen zum Sozialisationsprozess. Diese umfassen eine Theorie über hierarchisch geordnete Makro- und Mikroebenen, die sieben Thesen des Soziologen Klaus Hurrelmann sowie grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Identitätsbildung bei Jugendlichen. Das darauf folgende Kapitel leitet in die Untersuchung der zweiten o.g. Frage ein und beschäftigt sich hierzu mit der Mediensozialisation von Jugendlichen. Die anschließenden Kapitel befassen sich mit dem sozialen Online-Netzwerk Facebook, dem Nutzungsverhalten Jugendlicher und schließlich dem Einfluss sozialer Online-Netzwerke auf die Sozialisation Jugendlicher. Die Hausarbeit schließt unter Berücksichtigung der zwei o.g. Fragestellungen mit einer Zusammenfassung und einem Fazit.
2 Zum Begriff Sozialisation
Dieses Kapitel nähert sich der ersten o.g. Fragestellung an, was Sozialisation ist und welche Einflussfaktoren ihr zugrunde liegen. Aufgrund einer Vielzahl von theoretischen Ansätzen zum Begriff der Sozialisation beschränkt sich dieses Kapitel auf ausgewählte Grundannahmen. Diese umfassen einen Definitionsversuch, die Theorie des Entwicklungspsychologen Urie Bronfenbrenner über hierarchisch geordnete Makro- und Mikroebenen, die sieben Thesen Klaus Hurrelmanns sowie grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Identitätsbildung.
2.1 Definitionsversuch
Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts führte der französische Soziologe Emile Durkheim (1858–1917) den Begriff der Sozialisation ein. Er geht davon aus, dass der Mensch zunächst triebhaft, egoistisch und asozial ist und sich erst durch den Sozialisationsprozess der Gesellschaft anpasst und dadurch in ihr handlungsfähig wird. Moderne Industriegesellschaften seien nach Durkheim nur dann zu sichern, wenn ihre Gesellschaftsmitglieder ihre Normen und Zwangsmechanismen verinnerlichen. Hierzu muss seiner Ansicht nach die Gesellschaft förmlich in das Individuum eindringen und dessen Persönlichkeit von innen her organisieren (vgl. Hurrelmann 2006, S. 11-12). Denn der Mensch, „[…] den die Erziehung in uns verwirklichen muss, ist nicht der Mensch, den die Natur gemacht hat, sondern der Mensch, wie ihn die Gesellschaft haben will“ (Durkheim 1973, S. 44). Durkheim erkennt damit, dass die Sozialisation das Individuum in die Gesellschaft integrieren und ihm Handlungsmöglichkeiten bieten soll.
Seit der sozialwissenschaftlichen Öffnung der Erziehungswissenschaft in den 60er Jahren gewann der Begriff Sozialisation zunehmend an Bedeutung, es entstanden zahlreiche Definitionsansätze. Aufgrund der Vielzahl an theoretischen Ansätzen und einem Bündel von theoretischen Fragen und Problemstellungen gibt es allerdings keine präzise Bestimmung des Begriffs Sozialisation (vgl. Niederbacher et al. 2011, S. 11 ff.). Zwei moderne und anerkannte Definitionsversuche, die im Gegensatz zu Durkheim die „[…] Prozesse der menschlichen Subjektwerdung, die Reflexionsfähigkeit, die aktive Steuerung der Umweltaneignung […]“ (Gudjons 2012, S. 158) sowie das o.g. Bündel von theoretischen Fragen und Problemstellungen berücksichtigen, lauten wie folgt: „Sozialisation bezeichnet den Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit in produktiver Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen, insbesondere den körperlichen und psychischen Grundmerkmalen (der »inneren Realität«) und mit der sozialen physikalischen Umwelt (der »äußeren Realität«)“ (Hurrelmann 2006, S. 7). Die zweite Definition lautet wie folgt: „Sozialisation ist ein Prozess, durch den in wechselseitiger Interpendenz zwischen der biopsychischen Grundstruktur individueller Akteure und ihrer sozialen und physischen Umwelt relativ dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen auf persönlicher ebenso wie auf kollektiver Ebene entstehen“ (Hurrelmann et al. 2008, S. 25).
Beide Definitionen stellen die Perspektiven der Gesellschaft und des Individuums heraus. Aus der Perspektive des Individuums heraus lässt sich feststellen, dass es selbst einen erheblichen Anteil an Eigenregie bei seiner Auseinandersetzung mit der Umwelt hat. Das Individuum beeinflusst seine Persönlichkeit durch aktives Gestalten seiner sozialen und kulturellen Lebensverhältnisse, indem es innerhalb einer Gesellschaft agiert, interagiert und kommuniziert. Aus der Perspektive der Gesellschaft heraus geht es um die Frage, welchen Gestaltungsspielraum für Sozialisationsprozesse es gibt und wie sich dieser beeinflussen lässt (vgl. Gudjons 2012).
Tillmann hebt hervor, dass es bei der Beeinflussung bzw. Prägung des Individuums „[…] um die Gesamtheit der gesellschaftlich vermittelten Umwelt in ihrer spezifischen Bedeutung für die Entwicklung der Persönlichkeit [geht]“ (Tillmann 2010, S. 15). Hierbei ist die Vielzahl der durch die Gesellschaft geschaffenen Einflussfaktoren für die Sozialisation zu beachten, denn insbesondere in urbanen Gebieten wird die auf das Individuum wirkende Umwelt fast ausschließlich durch die Gesellschaft geprägt. Tillmann nennt beispielsweise Spielzeug, Wohnhäuser sowie städtische Parks (ebd., S. 15).
Zusammenfassen lässt sich, dass Sozialisation im Sinne eines Reifungsprozesses beim Individuum eine grundsätzliche soziale Gesinnung prägt und die Ausbildung von Qualitäten ermöglicht, die in einer Gesellschaft benötigt werden, um ihren Zusammenhalt, ihre soziale Ordnung und Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Die vorangestellten Definitionen zeigen für diese Hausarbeit zentrale Punkte auf: Heranwachsende werden nicht passiv, sondern aktiv zu autonomen, handlungs- und gesellschaftsfähigen Subjekten. Sie selbst entscheiden weitestgehend, mittels welcher Themen, Menschen und Medien sie sich die Umwelt aneignen und diese aktiv mitgestalten. Dabei nimmt die Umwelt insbesondere in Form von interagierenden Institutionen und Instanzen Einfluss auf ihre Entwicklung. Es ist offensichtlich, dass diese Umwelt, mit der sich Jugendliche beschäftigen, sich aufgrund sowohl der Möglichkeit als auch der Anforderung zur Auseinandersetzung mit überregionalen Themen von einer ursprünglich heimischen hin zu einer globalen entwickelt. Hierfür gibt es eine Vielzahl an Beispielen aus den Bereichen Kultur, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Der Sozialisationsprozess Jugendlicher ist in einem globalen Kontext zu betrachten, da Jugendliche mit einer ihnen allzeit zugänglichen globalen von der Gesellschaft vermittelten Umwelt konfrontiert sind, sowohl im digitalen als auch im realen materiellen Sinne.
2.2 Hierarchisch geordnete Makro- und Mikroebenen
Urie Bronfenbrenner beschreibt in Hinblick auf den Sozialisationsprozess insgesamt vier Makro- und Mikroebenen, die hierarchisch geordnet sind und in deren Zentrum sich der Heranwachsende befindet (vgl. Engelbert et al. 2010, S. 105 ff.). Die unterste sogenannte Mikroebene umfasst die Entwicklung des Individuums in Bezug auf Einstellungen, Wissen und emotionale Strukturen in Verbindung mit Persönlichkeitsmerkmalen, die sich beim Umgang und der Auseinandersetzung mit anderen Menschen in Familie, im Freundeskreis und in der Schule entwickeln. Die zweite Ebene nennt Bronfenbrenner Mesoebene, welche aus aktiven Interaktionen und Tätigkeiten innerhalb mehrerer Mikrosysteme besteht. Das Exosystem umfasst als dritte Ebene den unmittelbaren Lebensbereich des Jugendlichen, an dem er nicht selbst aktiv beteiligt ist, welcher jedoch Einfluss auf dessen Mikrosystem hat. Dieses können zum Beispiel der Beruf, die Eltern, der Kindergarten oder die Schule sein. Das Makrosystem umfasst als vierte und letzte Ebene den übergreifenden sozialen, politischen oder kulturellen Kontext, der sich auf die o.g. kleineren Systeme auswirkt und für sie den Rahmen bildet. Dieses können Normen, Werte, kulturelle Traditionen, die Religion, Gesetze oder soziale Umstände wie Reichtum oder Armut sein. Auf dieser Ebene befinden sich teils fest verankerte, teils veränderbare ökonomische, soziale, politische und kulturelle Strukturen, aus denen sich Erziehungs- und Bildungsinstitutionen entwickeln. Sowohl die genannten Strukturen als auch die Institutionen sind jeweils teilweise im anderen verankert. Die Institution befindet sich physisch innerhalb des sozialen Systems. In ihr sind wiederum die o.g. Strukturen fester Bestandteil zur Sozialisation der Heranwachsenden. Institutionen erhalten damit die Funktion der Selbstreflektion von gesellschaftlichen Strukturen (ebd., S. 105 ff.).
2.3 Die sieben Thesen Hurrelmanns
Bei den im Folgenden vorgestellten sieben Thesen Hurrelmanns handelt es sich um allgemein anerkannte metatheoretische und -methodische Aussagen (vgl. Hurrelmann 2006, S. 24 ff.). Da diese aufeinander aufbauen, wird auf eine Nummerierung verzichtet.
Aufgrund der genetischen Ausstattung eines Menschen sind nach Hurrelmann Möglichkeiten und Grenzen der Persönlichkeitsentwicklung bereits ab seiner Geburt festgelegt. Ob und wann diese Anlagen überdeckt, eingedämmt, zurückgehalten oder freigelegt werden, hängt nach Hurrelmann von sozialen und physikalischen Umweltbedingungen ab. Ob eine Person ihre Begabung für Musik zur Geltung kommen lassen kann, kann beispielsweise von Umweltbedingungen wie die Verfügbarkeit von einem Instrument abhängig sein. Hurrelmann geht davon aus, dass im Leben eines Menschen die Hälfte der Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltenseigenschaften eines Menschen auf seine genetische Ausstattung, die andere Hälfte auf Umweltbedingungen zurückzuführen ist.
Nach Hurrelmann wird die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen durch körperliche, psychische Bedingungen (innere Realität) sowie soziale und physikalische Bedingungen (äußere Realität) beeinflusst. Einflussfaktoren der inneren Realität umfassen die genetische Veranlagung, die körperliche Konstitution, die Intelligenz, das psychische Temperament und Grundstrukturen der Persönlichkeit. Einflussfaktoren der äußeren Realität sind Familie, Freundesgruppen, Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, soziale Organisationen, Massenmedien, Arbeitsbedingungen, Wohnbedingungen und die physikalische Umwelt. Die Art und Weise der Auseinandersetzung mit diesen Bedingungen ist nach Hurrelmann individuell und einmalig. „Sowohl die innere als auch die äußere Realität müssen von einem Menschen in jeder Phase der Entwicklung aufgenommen, angeeignet und verarbeitet werden, wobei es zu einer subjektiven Repräsentanz der äußeren und der inneren Realität mit einer Einschätzung der Bedingungen für das eigene Handeln kommt. Wie ein Mensch mit den inneren Anlagen umgeht und in welcher Weise er sie auf die äußeren (Umwelt-) Bedingungen anzupassen versteht, entscheidet sich nach der Kompetenz, die innere Realität realistisch einzuschätzen und ihr Potenzial für eigene Handlungen und Entwicklungen auszuschöpfen“ (ebd, S. 27).
Sozialisation ist nach Hurrelmann ein dynamischer und produktiver Prozess der Verarbeitung der oben beschriebenen inneren und äußeren Realität. Der Mensch beobachtet und diagnostiziert ständig seine eigenen Anlagen sowie die soziale und physische Umwelt und ihre Veränderungen und passt dynamisch und produktiv sein eigenes Handeln den Bedingungen entsprechend an. Dieser Prozess ist dynamisch, weil der Mensch durch aktive Verarbeitung der inneren und äußeren Realität seine Vorgehensweise individuell bestimmt, sodass sie seinen eigenen Voraussetzungen und Bedürfnissen entspricht. Dieses Muster kann sich der Mensch dank strukturierter Ablage im Gehirn ständig vergegenwärtigen.
Eine gelungene Sozialisation setzt nach Hurrelmann eine soziale und materielle Umwelt voraus, die den individuellen Anlagen angemessen ist. Familien, Kindergärten und Schulen dienen hierfür als wichtigste Sozialisationsinstanzen. Das Elternhaus prägt dabei die grundlegenden Strukturen der Persönlichkeitsentwicklung. Bedeutend ist, in welcher sozialen Lebenslage sich die Familie befindet, wie sie in ihrer sozialen und physischen Umwelt verankert ist und wie hoch der Bildungsgrad von Vätern und Müttern ist, um Entwicklungsimpulse und Erziehungsstile angemessen ausüben zu können.
Sozialisationsinstanzen mit Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung lassen sich in drei Gruppen aufteilen, die wechselseitige Einflüsse aufeinander haben. Die primäre Sozialisationsinstanz umfasst Primärgruppen und soziale Netzwerke wie Familie, Verwandtschaft und Freunde. Der sekundären Sozialinstanz gehören organisierte Sozialisationsinstanzen zur Betreuung, Bildung und Erziehung an. Hierzu gehören Kindertagesstätten, Horte, Schulen, Ausbildungseinrichtungen, Hochschulen und sozialpädagogische Institutionen. Die tertiäre Sozialisationsinstanz besteht aus Organisationen in Freizeit- und Wohnwelt, insbesondere Gleichaltrigengruppen (Peergroups) und Massenmedien sowie öffentliche Institutionen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Justiz, Sozialkontrolle, Religion und Gesundheit. Letztere Instanz zeichnet sich dadurch aus, dass sie keinen immanenten Sozialisationszweck hat, jedoch aufgrund ihrer intensiven Nutzung Konsequenzen für die Persönlichkeitsbildung hervorruft.
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