Zwischen Integration und Exklusion. Jüdische Geschichte in Europa 1870-1933


Vorlesungsmitschrift, 2012

56 Seiten, Note: bestanden


Leseprobe


Zwischen Integration und Exklusion üdische Geschichte in Europa 1870-1933

jüdische Ansiedlungen in Europa gehen schon auf Antike zurück

1. überlieferte Dokument einer jüdischen Ansiedlung auf deutschem Boden ist aus 321n.Chr.

aschkenasisch = Mitteleuropäisches Judentum
v. a. die Juden in Deutschland u. Nordostfrankreich

sephardisch = v. spanischen u. portugiesischem Judentum geprägte Kultur

Grundzüge jüdischer Geschichte in West- und Mitteleuropa am Ende des 19. Jhdts.

- Wann wurden konfessionelle Unterschiede in Verfassungen/Gesetzten abgeschafft?
- Wann steht nicht mehr, man muss Christ sein, um alle Rechte zu haben?

ganz unterschiedlich – auch in deutschen Staaten hatten alle was ganz anderes

Emanzipation

Deutsche Staaten

Preußen 1812, Bayern 1813
Edikte, d. d. Emanzipation d. Juden in zahlreicher Hinsicht beförderten

à aber nicht vollständig

à Staatsämter blieben z.B. weiter verschlossen

à Bayern: Matrikel-Paragraph – nur bestimmte Anzahl v. Juden darf pro Region leben

Juden in Bayern: eigentlich nur in Franken, in Altbayern wurden sie schon früher vertrieben

Anfang 19. Jhdt. meisten Juden in Bayern in Fürth in Nürnberg waren sie zum Bsp. erst Mitte 19. Jhdt. wieder erlaubt

à dieses bayrisches Emanzipations-Edikt galt also auch örtlich nur eingeschränkt

politisch liberaler = mehr Rechte f. Juden

politisch reaktionärer = weniger Rechte

in dt. Staaten langer Emanzipationsprozess à dauert fast ein Jahrhundert

1867: in Österreich Ausgleich in neuer Verfassung v. Österreich-Ungarn

1871: mit Verfassung d. deutschen Reiches verschwand d. konfessionelle Diskriminierung

Deutsche Staaten zuerst Bürgerrechte verdienen à dann bekommen sie sie auch

= Art Belohnung

Bsp: richtig Deutsch lernen, Berufsstruktur ändern, spezielle Kleidung ablegen

Deutschland à Evolution und nicht Revolution in Politik

deswegen = Emanzipation d. Juden in Deutschland ein langer Prozess (bis 1871)

während 1848 Paulus-Kirchen Nationalversammlung viele Juden vertreten, aber sie bekamen auch keine Ministerämter

1871: Verfassung d. dt. Reiches kannte keine religiösen Unterschiede mehr

Praxis sah oft anders aus à auch danach gab es noch gesellschaftliche Exklusion

v.a. wo es um Konventionen in Gesellschaft ging:

z.B. Minister, Richter, Offiziere (in preußischer Armee durften Juden nicht Offiziere werden), auch nur wenige Professoren (v.a. angesichts d. hohen Anzahl v. gebildeten Juden)

kommen nicht in bestimmte Berufsgruppen rein

+ v.a. auch nicht in studentische Burschenschaften, u. ähnliche Vereine

Frankreich

= Gegenbeispiel

ging eigentlich nicht um Juden, sondern um Franzosen

à alle Franzosen sind Bürger (Männer)

Diskussion, ob Juden vertrieben od. als Bürger anerkannt werden sollen
à es soll keine Bürger 2. Klasse mehr geben

franz. Revolution 1790/91
Juden als Bürger emanzipiert – als Franzosen angesehen

à müssen erst danach beweisen, dass sie würdig sind, Bürger zu bleiben

1790: besser gestellten sephardischen Juden (Bordeaux) als Bürger emanzipiert

1791: ärmeren askenasischen Juden (v.a. in Elsass-Lothringen ) als Bürger emanzipiert

in anderen Gebieten gab es eig. keine Juden in Frankreich
à weil sie zuvor vom König vertrieben wurden
à dann haben die Franzosen im 17. Jhdt. Gebiete erobert, wo Juden lebten

à daher kamen diese jüdischen Gemeinden

3. jüdische Gemeinde: Avignon - unter Schutz d. (Gegen)-Päpste

im Vergleich zu dt. Staaten gab es aber keine große jüdische Gemeinde in FRA

1802: dann allgemeine, gesamte Religionsfreiheit in FRA, f. alle Religionen (auch Islam)

1806 Notabelnversammlung
= Versammlung aller Stände, erweiterte Ratsversammlung

=> Napoleon hat Fragen an Juden gestellt, um festzustellen, ob d. Juden würdig sind, französische Bürger zu sein – Antwort viel positiv aus

Ging darum: die Juden zu nützlichen Bürgern zu machen, ihren Glauben mit den Pflichten der Franzosen in Übereinstimmung zu bringen, die Vorwürfe, die man ihnen macht, abzuwenden und den Übeln abzuhelfen, die sie verursacht haben

= umgekehrter Prozess zu dt. Staaten à hier: zuerst Rechte, dann müssen sie sich beweisen

England

in GB ist Emanzipation schwerer festzustellen, v.a. weil die ja keine Verfassung haben alles sehr graduell, über Jahrhunderte

- bis 13. Jhdt. waren Juden v. engl. Königen angesiedelt worden – als Geldgeber
- im MA wurden dann alle engl. Juden vertrieben – 1. europäischer Staat, schon 1290
- seit Cromwell (Mitte 17. Jhdt.) durften wieder Juden ins Land à u. dort ohne größere rechtliche Benachteiligungen leben

à nicht offiziell, als verabschiedeter Akt, aber de facto

à aus wirtschaftlichen Gründen + um sie bekehren zu können

nach Niederschlagung d. Cromwell- Revolution, verblieben Juden im Land u. wurden de facto toleriert

in vieler Hinsicht ging es Juden im 18. Jhdt. sehr viel besser, als in anderen Ländern

endgültige Emanzipation => in symbolischer Form

ging hier v. a. um d. Problem d. christl. Eides im Parlament

Lionel de Rothschild wurde 1848 als Jude ins Parlament gewählt
à konnte keinen Sitz einnehmen, weil er einen christlichen Eid hätte schwören müssen
à 1858 wurde d. Eid abgeschafft u. Lionel de Rothschild ins britische Parlament eingeführt

Christlicher Eid => symbolischer Akt
à d. meisten engl. Juden waren davor schon rechtlich quasi gleichgestellt
à gab davor auch schon Londoner jüdische Bürgermeister

Italien

jüdische Gemeinde in Italien sehr klein, aber schnellere Eingliederung

Rom = einzige Stadt, wo es v. Antike an bis heute kontinuierlich jüdische Ansiedlungen gab !

à Römische Juden haben längste kontinuierliche Geschichte in Europa

à weil Päpste sie zwar schlecht behandelt u. unterdrückt, aber immer toleriert haben

nach Paulus:

- Juden sollen bewahrt werden u. d. Möglichkeit haben, ihre Religion auszuüben

- als abschreckendes Bsp. f. alle Christen + als Anreiz f. Juden zum Christentum zu konvertieren

im 19. Jhdt. aber immer noch stärkste Diskriminierung durch Papst
à während es in vielen anderen Ländern schon Gleichstellung gab
à wurden also nie vertrieben, aber dafür gab es 1848 in Rom noch ein Ghetto

Risorgimento (italienischer Freiheitskampf, d. dann zu italienischer Staatenbildung führte) bringt auch Befreiung aus d. Ghetto

1871 à 11 Juden im ital. Parlament (= mehr als in AUT, FRA, GB, die alle größere jüd. Gemeinden hatten)

Italien = 1. Land mit jüdischem Premier-Minister

Rom hatte jüdischen Bürgermeister

Heute: Synagogen in Italien => als Symbol d. Emanzipation
à extra groß, fast schon monumental à gehören zu d. schönsten Europas

Demographische Entwicklung

Prozente in Klammen zeigen prozentuellen Anteil an Bevölkerung

à in Deutschland nie mehr als 1%

à aber größere Gemeinden als in England u. FRA

3.Spalte Immigranten – aus Osteuropa in Zwischenkriegszeit

D: 1925 gab es mehr Juden u. mehr Einwanderung – aber dt. Reich verlor Elsass-Lothringen, wo viele jüdische Gemeinden waren – deswegen gleiche Zahlen

Frankreich u. England à Immigrantengemeinden

Deutschland nicht à bis auf Sachsen und einigen anderen Gemeinden

doch überall à Ostjudengemeinden
Paris: „Pletzl“ im Marais, London: Whitechapel, Berlin: Scheunenviertel

im Mittelalter Juden fast nur am Land, aus Städten vertrieben

während d. 9. Jhdt. starker Prozess der Urbanisierung (stärker als bei Christen)

Große Konzentration in Hauptstädten

- 1933 wohnte jeder 3. Jude in GER in Berlin
- in England 2/3 aller Juden in London
- in FRA lebten 70% aller Juden in Paris

Berufstruktur

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

v. a. Handel

Juden wurden im Lauf d. historisch. Entwicklung aus Handwerk u. Landwirtschaft verdrängt

à in Kaufmannsberufe u. Geldhandel

im 19. Jhdt. hätten sie Handwerker, Bauern, etc. werden können, aber da d. sterbende Berufe waren, blieben d. meisten Juden in ihren alten Sparten

(Geld-)Handel im 19. Jhdt. aufstrebende Berufsgruppe

=> immer noch schwer in staatliche Positionen / Beamtenspositionen zu kommen à deswegen Juden v. a. freie Berufe: Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten

Landesweite Organisation

FRA, England seit 18. Jhdt. landesweite zentralistische Strukturen

- Board of Deputies (GB)
- Consistoire (FRA)

à tragen Anliegen d. jüd. Gemeinschaft nach außen

à angeführt v. Oberrabbiner

in Deutschland nicht à weil es ja kein geeintes Deutschland gab

bis 1933 in Deutschland keine deutschlandweite Vertretung d. Juden

à gab keine interne Einigung zw. Orthodoxen (Minderheit) u. Liberalen

wie in anderen Bereichen spiegelt jüdisches Leben d. Leben d. allgemeinen Gesellschaft wieder à z.B. Angst d. Juden im Süden v. d .preußischen Juden

stattdessen gab es im Deutschen Reich versch. kleinere Organisationen

1893: Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

gegründet aus Abwehr gg. Antisemitismus

zirka 1/3 aller dt. Juden war da drin

eher bürgerliches Milieu, liberal

d. Zionisten ging es da nicht weit genug à d. sahen sich als jüdische Bürger, nicht als dt. Staatsbürger

es gab individuelle Vereine, denen man sich anschließen konnte
à aber keine große Vereinigung in d. alle Gemeinden drin waren

à Landesvertretung dann v. d. Nazis durchgesetzt

seit 1950: Zentralrat d. dt. Juden

Gemeinden

in England, FRA, USA à ab 1905 freiwillige „congregations“

Gemeinde beitreten = aktiver Akt, freiwillig, wie Verein, auch keine Steuer, etc.

gibt viele Gemeinden pro Stadt

Deutschland:

in Gemeinde wird man „hineingeboren“ à Austritt = aktiver Akt

pro Stadt nur eine Gemeinde à Einheitsgemeinden

gewisse Verbindung v. Staat u. Kirche (Bsp. Staat zieht Kirchensteuer ein, Religionsunterricht an staatlichen Schulen (in USA gg. Verfassung), ...)

in allen großen Städten gab es 3 Arten v. Synagogen

- Gemeindeorthodoxie

- Austrittsorthodoxie

- liberale Synagogen

à insgesamt zunehmende Säkularisierung

1876: Austrittsgesetz in Preußen
à Preußische Landtag hat beschlossen, dass orthodoxe Gemeinden ihre eigenen Gemeinden gründen dürfen

„Austrittsorthodoxie“
wollen nicht Gemeindesteuer zahlen, wenn damit auch liberale Tendenzen (wie Orgelmusik) gezahlt werden, haben dann eigene Gemeinden gegründet

„Gemeindeorthodoxie“
setzten stärker auf Gemeinschaft, sind zwar auch gg. Liberale, aber wollen eine große Gemeinschaft bleiben

Liberal
Reformen im Gottesdienst, betonte Zeitgebundenheit d. Gesetze

Religiöse Richtungen

liberales Judentum

betonte Zeitgebundenheit
à jüdische Gesetze (wie Speisegesetze, Einhaltung Sabbat-Ruhe) sind zeitgebunden
à wir können sie nicht heute so einhalten, wie vor 2 000 Jahren

Ablehnung des Talmud
à Talmud wird nicht als göttlich / als Gesetz angesehen, sondern als Literatur

neue Synagogenarchitektur à Tempel !
(am antiken Tempel orientiert, nicht wie bei Orthodoxen, die keinen Bezug dazu wollen - liberale Juden sagen, heutige Synagoge = unsere Synagoge)

Streichung zahlreicher Gebete à einige Gebete in dt. Sprache (Landessprache)

gibt Rabbinerinnen

Frauen u. Männer sitzen gemeinsam

im Gottesdienst Reformen: wie Orgel

Orthodoxe gg. Orgel:

- weil es im antiken zerstörten Tempel in Jerusalem Musik gab – sie wollen d. alte Synagoge nicht imitieren – sagen, auch wenn es tausende Jahre dauert, wird Tempel wieder aufgebaut (liberale Juden sagen, heutige Synagoge = unsere Synagoge)

- Orgelspielen = Arbeit

- Orgel kommt aus christlichem Gottesdienst – wollen nicht imitieren

Heute: gibt es auch in liberalen Synagogen kaum Orgeln

à weil sie eben nicht Christen imitieren wollen

Konservatives Judentum

od. auch positiv-historisches Judentum

= Mittelrichtung, aber näher am liberalen Judentum

auch bestimmte Reformen in Gottesdienst u. bei Gesetzesvorschriften umgesetzt

aber ganzer Gottesdienst in Hebräisch
à damit weltweit alle Juden in alle Gottesdienste gehen können

auch neues Verständnis d. Rabbiners

à gibt Rabbinerinnen

Frauen u. Männer sitzen gemeinsam

Orthodoxes Judentum

ca. 15 % aller Juden

strikte Einhaltung d. jüdischen Gesetze

+ striktes Vorgehen gg. Verstöße gg. Religionsgesetze

Talmud = genauso göttlich wie Thora

aber schon Reformen im Gottesdienst u. in d. Äußerlichkeiten

Öffnung zur Kultur d. Außenwelt

Leben mit d. Sitten d. Landes

à heißt man darf Landessprache sprechen, Landeskleidung tragen, weltliche Bildung erhalten

„früh Talmudstudium, nachmittags Goethe“

19. Jhdt.: Orthodoxe deutsche Juden waren immer noch sehr weit entfernt v. orthodoxen Juden in Osteuropa

Orthodoxe in Osteuropa:

Orthodoxe Rabbiner dort durften niemals weltliche Bildung erhalten

Bsp. Samson Raphael Hirsch (für deutsche Verhältnisse superorthodox), als er dann in Mähren Rabbiner war, galt er dort als Reformator

à Gesellschaftliche Leben d. Juden spielte sich zu einem immer geringeren Teil in Synagoge ab à wie Christen in Kirche auch, gingen sie immer weniger in Synagoge

Juden Osteuropas

= mit Abstand größte Gruppe

im Bezug auf jüd. Geschichte meinen wir hier: alles was östlich v. Deutschl. u. Österr. ist

Was verbindet Juden Osteurpoas?

- Religion à relativ unberührt v. Reformen
- 90% traditionell jüdisch
- Sprache: Jiddisch (über 95% sprechen ≠ Landessprache als Muttersprache)
- Jiddisch: aus Mittelhochdeutsch entwickelt, in hebräischen Zeichen geschrieben
- Kleidung: traditionell ursprünglich eine osteuropäische Tracht à wurde um 1900 jüdisch
- Kulturelle u. rechtliche Autonomie
- gab zB rabbinische Gerichtshöfe, d. zumindest über aller innerjüdischen Belange urteilte
- eigenes jüdisches Schulwesen
- viele jüdische Theater – für rein jüdisches Theater
- in Deutschland gab es das nicht à d. schrieben f. alle
- Antisemitismus weiterhin relativ stark
- besonders stark v.a. an Karfreitag – da blieb man besser zuhause
- Emanzipation unvollständig
- Juden = ethnische/nationale Minderheit

Was trennt Juden Osteuropas?

- Religiöse Aufspaltung: Chassidim – Mitnagdim
- Chassidische Juden im 18. Jhdt. als reformbedingte/mystische Gruppierung entstanden
àHuldigung Gottes durch Tanz, Musik, etc. à eher die armen Juden
gab Rabbi-Dynastien: Sohn v. Rabbi wurde auch immer Rabbi
- Mitnagdim – „Gegner“ – eher gebildeter, wählten Rabbi, gg. mystisches
- später: Norden: Mitnagdim, Süden: Chassidim
- Säkularisierung u. Politisierung führt zu neuen Bewegungen: Sozialismus („Bund“) u. Zionismus

à nicht Trennung in liberales u. orthodoxes Judentum, sondern viele wenden sich ganz v. Religion ab

à sind auch international „Proletarier aller Welt vereinigt euch“, aber behalten Traditionen wie Jiddisch, bestimmte Festtage wurden säkularisiert

- Sprache: Unterschiedliche Dialekte im Jiddisch

- Landesgrenzen: unterschiedliche Gesetze

Die Teilung Polens am Ende d. 18. Jhdt.

à daraus sind fast alle Ost-Juden hervorgegangen

à bis 1772 lebten Großteil d. europäischen Juden in Polen

nach 1795 gab es keinen polnischen Staat mehr

à jüdische Gemeinschaft lebt nun in 3 unterschiedlichen Staaten

Habsburger Reich: Galizien

Preußen: Posen
(kleinster Anteil an Juden) – Anfangs sehr ähnlich wie Russland, aber Preußen erließ sehr viel fotschrittlichere Gesetze, deswegen entwickelt sie sich weiter

Zarenreich: Ansiedlungsrayon

1897: 5, 1 Mio Juden im Russischen Reich = 4% d. Bevölkerung

davor lebten hier fast gar keine Juden –
jetzt kam d. größte Anteil d. polnischen Juden zu ihnen

à geduldet, aber sollen im Gebiet d. ehemaligen Polen bleiben (Ansiedlungsrayon)

à teilweise Orte mit jüdischer Mehrheit

um 1900: Bialystok (63%), Pinsk (77%), Brody (75%)

in Westeuropa gibt es das eigentlich nicht !

gab viele Schtetl

= umgangssprachlicher Begriff

Kleinstadt mit klarer jüdischer Infrastruktur

zahlreiche jüdische Berufsgruppen vertreten: Handwerker, Händler, tlw. eigene Zünfte

Jiddisch

= die Sprache d. aschkenasischen Juden sprachen

von Holland u. d. Elsass (Westen) bis in d. Ukraine, Rumänien u. Ungarn (Osten)

- ging aus Mittelhochdeutsch hervor – mit Elementen aus d. Hebräischen u. Slawischen

- geschrieben in hebräischen Schriftzeichen

- große Verbreitung à viele Dialekte

- viele Worte ins Deutsche eingegangen (auch ins Wienerische)

wird heute nur noch in ultraorthodoxen Sprachinseln gesprochen
à Brooklyn, Jerusalem, Paris, London, Wien

Jiddische Literatur

à Scholem Alejechem

à Mendele Mojcher Sforim
à Itschak Leib Peretz

+ gab viele jiddische Übersetzungen – Shakespeare, Mann, Goethe, Schiller

Politik d. russischen Zaren gg.über d. Juden

Lage => schlechter als in Westeuropa, ging d. Menschen dort generell ja schon schlechter

Zar Nikolaus I. (1825-1855) à zahlreiche Einschränkungen
u.a. gefürchteter Militärdienst

à bis zu 25 Jahre lang !

à 12-jährige Kinder eingezogen

alsà Mittel zur Bekehrung

= recht erfolgreich à sehr hohe Konvertitenraten

Zar Alexander II. (1855-1881) à liberalere Politik

nicht nur gg.über Juden (auch Leibeigenschaft aufgehoben)
à aber Juden immer noch als Fremde angesehen

Antijüdische Maßnahmen u. Ausschreitungen

1864 absolutes Landkaufverbot f. Juden

1871 schwerer Pogrom in Odessa

1881 = Beginn d. größten Pogromwelle

Auslöser: Ermordung Alexanders II. (v. russischen Anarchisten, in d. Gruppe auch eine jüdische Frau) à löst Pogromwelle aus

Theorien:

a) Pogromwelle v. Regierung ganz oben gesteuert – als Ventil f. frustrierte Bevölkerung

b) Neuere Ansicht: Gewalt ging eher v. unten aus, auch v. Kirchen – Autoritäten haben es nicht verhindert, aber auch nicht initiiert

1882 Gesetze beschränken jüdische Ansiedlung auf dem Land

(Beachten: Auch Rest-Bevölkerung war nicht vollkommen freizügig, aber Juden noch eingeschränkter.)

à Juden sollten v.a. in den Kleinstädten leben

1886 Gesetz schränkt Zahl d. Juden an Hochschulen ein (Numerus Clausus) – unter 10%

Folge à v.a. Auswanderung d. jungen gebildeten Juden (à AUT, Schweiz, Westen)

1903 Pogrom von Kischinew (heutiges Moldawien)

à Wellen bis ins Ausland geschlagen, USA hat Protestnoten geschickt, russische Intellektuelle mit Juden solidarisiert

à Auswanderungszahlen sprunghaft ansteigen lassen

1903 „Protokolle d. Weisen v. Zion“

= antisemitischer Text, d. vorgibt Protokolle v. Rabbinern zu sein, d. zusammen sitzen u. d. jüdische Weltverschwörung planen

= Fälschung, aus Kreisen d. russischen Geheimpolizei

in ganzer Welt verbreitet – Bestseller

heute v.a. in arabischen Ländern, Iran gelesen

1913 Ritualmordanklage gg. Mendel Beilis

großaufgezogener Prozess, weltweite Beachtung

das Ritualmordanklage zu d. Zeit noch Ernst genommen werden konnte

heutige Fragen d. Geschichtsschreibung:

- War Politik d. Zaren dezidiert antijüdisch oder ging es gg. alle unterdrückten Gruppen?

- Ging Anstoß f. Pogrome v. Regierung od. v. Volk aus?

heutige Übereinkunftà Politik gegenüber d. Juden Resultat v. ungelösten Spannungen zwischen Tendenzen d. Integration u. d. Segregation war

Größte Auswanderungswelle d. jüdischen Geschichte – in die USA

zw. 1881 und 1914 sind über 2 Mio (Ost)-Juden nach Amerika ausgewandert
à v.a. aus Russland

65.000 nach Palästina

alle Juden d. schon vorher in Amerika waren, werden jetzt bei weitem übertroffen

meisten d. heutigen Juden in Amerika haben Vorfahren, d. in dieser Welle eingewandert sind

Unterschied zur gleichzeitigen Einwanderung d. Italinier

Juden => keine Arbeitsmigration

Italiener v.a. junge Männer – Plan zurückzukommen

Juden: mehr Frauen (46% j- 33%) u. Kinder (25% j- 12%) als bei Italienern

à Juden kamen, um zu bleiben

Überfahrt

mussten erst mal zu einem Hafen kommen (meistens Bremen), dann auf Überfahrt warten

à dafür brauchte man Geld

meisten Juden waren arm

Dreiteilung d. Hilfsleistungen:

1. Landreise durch Europa bis Bremerhafen od. Hamburg oft v. deutschen Juden organisiert – für Durchgangs-Infrastruktur gesorgt
auch eigennützig, wollten nicht, d. sie in Deutschland bleiben

2. London Manor House hat f. Überfahrt in d. USA gesorgt

3. Amerikanische Juden mussten sich dann um weiteres Schicksal in d. USA kümmern

Wollten auch nicht, dass jetzt schlechtes armes Judenbild entsteht

- HIAS (Hebrew Immigrant Aid Society)

- American Jewish Committee

- JOINT Distribution Committe – wichtigste !

Ankunft

Ellis Island à 1. Hürden

à bekommen oft neue, amerikanisierte Namen

häufig völlig unrealistische Erwartungen à „Goldene Medine“

Wohnbedingungen à meisten blieben in Manhattan, in Lower East Side

à „tenement housing“

à hohe Bevölkerungsdichte – noch enger als in Russland

à TBC-Rate enorm hoch

Arbeit à „sweatshops“

à v.a. Textilgewerbe

einige wenige Fälle v. Rückwanderung nach Russland

Bedingungen zwar schlecht, aber es gab Freiheit (Wahl-, Protest-, Religionsfreiheit)

+ Hoffnung

Organisation

so religiös wie USA ist, ist aber Religion strikt v. Staat getrennt

„congregations“ => gibt keine Gemeinden im dt. Sinne

rein freiwillig, da tritt man wie in einem Verein bei, nicht zentralistisch

Versuch d. Errichtung einer Kehilla (Gemeinde) in New York gescheitert (1909-1923)

Landesmannshaftn

à nach Herkunftsland organisiert

à Juden aus selbem Herkunftsort helfen sich gg.seitig

à hatten oft eigene Synagoge, Arbeitsvermitlungsorganistionen

à Versuch bestimmte Strukturen d. alten Welt (Schtättl) aufrechtzuerhalten

1888 à Gründung jüdische Gewerkschaft „United Hebrew Trades“

= Beginn d. modernen Gewerkschaftsbewegung in USA überhaupt

1890 großangelegeter Streik à „5-cent-dinners“ f. Gewerkschaftsmitglieder organisiert

gleiche Ziele wie anderen Gewerkschaften, nur man sprach Jiddisch

auch viele sozialistische Organisationen

kamen aus diesem Milieu

weil viele proletarisch in sewatshops arbeiteten + weil sie schon sozialistische Erfahrungen aus Russland hatten

private Initiativen à um Einwandererleben zu verbessern

à Baron Hirsch Fund versucht berufliche Umschichtung in Landwirtschaft
Leute aus Stadt rausholen, im Land ansiedeln

– relativ unerfolgreich, Juden waren nie Bauern

1906 Galveston-Plan vom Bankier Jacob Schiff

à sollte Juden westlich d. Mississippi ansiedeln

in 8 Jahren ca. 10.000 Juden nach Galveston gebracht

[...]

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Zwischen Integration und Exklusion. Jüdische Geschichte in Europa 1870-1933
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Jüdische Geschichte)
Veranstaltung
Jüdische Geschichte in Europa 1870-1933
Note
bestanden
Autor
Jahr
2012
Seiten
56
Katalognummer
V285167
ISBN (eBook)
9783656854357
ISBN (Buch)
9783656854364
Dateigröße
911 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Juden, Europa, Zionismus, Osteuropa, Palästina, 1. Weltkrieg, Integration, Antisemitismus, Auswanderung
Arbeit zitieren
Lilly Maier (Autor:in), 2012, Zwischen Integration und Exklusion. Jüdische Geschichte in Europa 1870-1933, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285167

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