Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Begriff der Biopolitik bei Foucault
2.1 Der Eintritt des Lebens in die Politik
2.2 Die Genealogie der Biopolitik
2.3. Der Tod im Dienste des Lebens
3. Thanatopolitik - Das heilige und das nackte Leben in der Biopolitik
3.1 Agambens alternative Genealogie der Biopolitik
3.2 Das Lager als biopolitischer Raum
4. Nekropolitik - Die „verallgemeinerte Instrumentalisierung der menschlichen Existenz“
4.1. Die Entwicklung der Bio-Macht nach MBEMBE
5. Fazit
6. Bibliographie
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit behandelt die Thematik der Biopolitik und deren Verhältnis von Leben und Tod. Hierbei werden exemplarisch die unterschiedlichen Genealogien der Biopolitik nach Michel FOUCAULT, Giorgio AGAMBEN und Achille MBEMBE herangezogen. Da der Begriff der Biopolitik im wissenschaftlichen Diskurs in einer Vielzahl von Disziplinen und Thematiken Verwendung findet, darunter auch Mikrokredite und Entwicklungspolitik, Geschlecht und Macht, Asylpolitik und HIVPrävention ist sicherlich die Herausarbeitung dessen notwendig, was genau Biopolitik meint, worin die Unterschiede verschiedener Lesarten der Biopolitik bestehen und inwiefern sich diese in ihrem Verhältnis von souveräner Todesmacht und biopolitischer Gestaltung des Lebens unterscheiden.
In Kapitel 2.1 werden einführend in die Thematik der Biopolitik unterschiedliche Lesarten des Begriffs der Biopolitik vorgestellt, hierbei baut die Argumentation auf LEMKE (2007a) sowie FOLKERS/LEMKE (2014) auf. Darauf aufbauend wird Foucaults Lesart der Biopolitik vorgestellt, wobei insbesondere auf die Zäsur zwischen Souveränitätsmacht und Bio-Macht sowie den Rassismus eingegangen wird. Hierbei werden besonders die Arbeiten von FOUCAULT (1976/1987/2014a/2014b), FOLKERS/LEMKE (2014), LEMKE (2007) sowie GEHRING (2014) herangezogen.
Anschließend wird in Kapitel 3 AGAMBENs Theorie der „Thanatopolitik“ vorgestellt, welche Agamben auf Foucaults Lesart der Biopolitik aufbaut, wobei die Arbeiten von AGAMBEN (2014), FOLKERS/LEMKE (2014), MEIN (2014), SCHEU (2008), SARASIN (2003) sowie LEMKE (2007a/2007b) hilfreich sind. Anschließend wird die Erweiterung des biopolitischen Begriffes mit dem Begriff der Nekropolitik thematisiert, wobei neben dem Aufsatz MBEMBE (2014) ebenfalls die Arbeit von FOLKERS/LEMKE (2014) berücksichtigt wird.
2. Der Begriff der Biopolitik bei Foucault
2.1 Der Eintritt des Lebens in die Politik
Der Begriff der „Biopolitik“, welcher durch den Vortrag FOUCAULTs im Jahr 1974 maßgeblich geprägt wurde, mag zu der Annahme verleiten, dass die Verbindung zwischen Leben und Politik kaum Beachtung in der politischen Theoriebildung gefunden habe. Tatsächlich ist FOUCAULTs Konzeption des Begriffs lediglich eine von verschiedenen alternativen Lesarten dieses Begriffs, wobei unter anderem das naturalistische sowie das politizistische Verständnis der Biopolitik zu nennen wären.1 Die naturalistische Lesart des Begriffs, welche sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte, äußert sich zunächst als organizistisches Staatskonzept, wobei der „Staat als Kollektivsubjekt, das über einen eigenen Körper und Geist verfügt“2 verstanden wurde. Der Staat wird in der organizistischen Konzeption keinesfalls als „eine vertragsrechtliche Konstruktion [verstanden], deren Einheit und Kohärenz durch die Willensentscheidung von Individuen erst entsteht, sondern als eine ursprüngliche Lebensform, die den Individuen und Kollektiven vorausgeht und den Rahmen ihres Handelns vorgibt“3. Die organizistische Deutung der Biopolitik bekam zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft eine rassistische Konnotation und wurde mit rassenhygienischen, geopolitischen sowie erbbiologischen Theorien untermauert. Kennzeichnend für diese organizistische Konzeption ist die nationalsozialistische Metapher des „Volkskörpers“, welche die Vorstellung einer biologisch und rassisch homogenen Gesellschaft impliziert und zur Abgrenzung gegenüber anderen Völkern und Rassen genutzt wurde. Abseits der vormals rassistischen Konnotation entwickelt sich die naturalistische Lesart der Biopolitik zu einem neuen Theorieansatz innerhalb der Politikwissenschaft. Die als „Biopolitologen“4 bezeichneten Theoretiker dieses biopolitischen Ansatzes nutzen neue human- und naturwissenschaftliche Erkenntnisse für die Untersuchung des Verhältnisses zwischen menschlicher Natur und politischem Handeln.
Die politizistische Interpretation der Biopolitik hingegen, welche sich in den 1970ern etablierte, versteht Lebensprozesse als spezifische Handlungsfelder der Politik, welche die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen sichern soll. Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Lesart des biopolitischen Begriffs war das zunehmende Bewusstsein für die ökologischen und demographischen Grenzen des globalen wirtschaftlichen Wachstums.5
Die naturalistische sowie die politizistische Auslegung des Begriffs der Biopolitik machen deutlich, dass die Art und Weise, wie das Leben bzw. Lebensprozesse in der politischen Theoriebildung thematisiert werden, in einen historischen Kontext eingebettet ist und ebenso durch spezifische Diskurse geprägt wird. Während der naturalistische sowie der politizistische Ansatz der Biopolitik mittlerweile kaum theoretische Beachtung finden, ist die Rezeption FOUCAULTs im wissenschaftlichen Diskurs präsent. FOUCAULTs Begriff der Biopolitik ist deutlich von der naturalistischen bzw. der politizistischen Biopolitik zu trennen: Während die naturalistische bzw. die politizistische Auslegung vielmehr eine politische Theoretisierung menschlicher Lebensprozesse und menschlicher Lebenswelt darstellt, bietet FOUCAULTs historisch-analytische Konzeption des Begriffs ein fruchtbares theoretisches Handwerkzeug für eine Analyse des „Eintritt[s] des Lebens und seiner Mechanismen in den Bereich der bewußten [sic] Kalküle und die Verwandlung des Macht-Wissens in einen Transformationsagenten des menschlichen Lebens“6.
In den folgenden Abschnitten sollen FOUCAULTs Ausführungen zur Genealogie der Biopolitik beleuchtet werden, wobei der Fokus, der Thematik dieser Arbeit entsprechend, auf dem Verhältnis zwischen Leben und Tod liegt.
2.2 Die Genealogie der Biopolitik
In FOUCAULTs Gesamtwerk seiner historischen Analysen spielen das Leben und die menschlichen Lebensprozesse eine zentrale Rolle. FOUCAULT macht hierbei deutlich, dass keinesfalls eine Analyse von Machtphänomenen oder die Ausarbeitung eines methodologischen Handwerkzeugs für die Analyse von Machtverhältnissen im Zentrum seines Gesamtwerks stehe.7
„Nicht die Macht, sondern das Subjekt ist deshalb das allgemeine Thema meiner Forschung. Aber die Analyse der Macht ist selbstverständlich unumgänglich. Denn wenn das menschliche Subjekt innerhalb von Produktions- und Sinnverhältnissen steht, dann steht es zugleich auch in sehr komplexen Machtverhältnissen.“8
Bereits in seinem Werk „Die Geburt der Klinik“, welches 1963 publiziert wurde, beschreibt FOUCAULT, wie die Entwicklung der klinischen Medizin das Verhältnis zwischen Leben und Tod verändert.9 Der Tod entwickelt sich durch die Erkenntnisse der Humanmedizin von einer omnipräsenten, schicksalhaften Bedrohung zu einem beherrschbaren und potentiell reversiblen Lebensende. Der bereits oben erwähnte Vortrag im Jahr 1974 verdeutlicht den Bedeutungswandel von Leben: Während vormals diskursive Brüche und Verschiebungen innerhalb des Lebensbegriffs analysiert wurden, verweist FOUCAULT nun auf eine neue Form der Machtausübung, die sich seit dem 17. Jahrhundert entwickelt.10 Diese Zäsur wurde, so FOUCAULT (2014), zudem durch die ökonomischen und landwirtschaftlichen Entwicklungen sowie die neuen Erkenntnisse der Humanmedizin und Naturwissenschaft des 18. Jahrhunderts begünstigt:
„Der Tod hört auf, dem Leben ständig auf den Fersen zu sein. Gleichzeitig trugen die Entwicklung der Kenntnisse über das Leben im allgemeinen, die Verbesserungen der landwirtschaftlichen Techniken, die Beobachtungen und Messungen am Leben und das Überleben zu dieser Lockerung bei: eine relative Herrschaft über das Leben beseitigte einige der Drohungen des Todes. In dem von ihnen gewonnenen und forthin organisierten und ausgeweiteten Spielraum nehmen Macht- und Wissensverfahren die Prozesse des Lebens in ihre Hand, um sie zu kontrollieren und zu modifizieren.“11
Vor dieser Zäsur, das heißt bevor das Leben und menschliche Lebensprozesse zur Zielscheibe politischer Machtinterventionen wurden, war das charakteristische Merkmal politischer Macht das Recht über Leben und Tod.12 Der Souverän hatte im Fall seiner Verteidigung sowie zum Schutze seines Überlebens das Recht seine Untertanen zu töten, d.h. der souveräne Herrscher übt seine Macht aus, indem er leben lässt oder sterben macht.13 Somit vollzieht sich die aktive Machthandlung des Souveräns darin, seine Untertanen dem Tod auszusetzen und das Leben auszulöschen, wohingegen das Am-Leben-lassen der Untertanen sich in Form der Passivität der souveränen Todesmacht manifestiert. Grundsätzlich äußert sich das charakteristische Potential der Souveränitätsmacht als „Abschöpfungsinstanz“14: Den Untertanen konnten jederzeit Eigentum, Produkte, Arbeitskraft, Zeit, ja sogar Körper und Leben abgeschöpft bzw. genommen werden.
Die analytische historische Trennung von Souveränitätsmacht und der neuen Bio- Macht15 bricht Foucault prägnant herunter: Während sich das charakteristische Merkmal der souveränen Macht dadurch äußert, sterben zu machen und leben zu lassen, ist das Charakteristikum der Bio-Macht sterben zu lassen und leben zu 16 machen.
Somit verschiebt sich das aktive Handlungspotential der Machtmechanismen von der aktiven Todesmacht zur aktiven Macht des Lebens, die menschliche Lebensprozesse sichert, optimiert, kontrolliert und überwacht, während das Subjekt nur infolge der Passivität der Bio-Macht dem Tod überlassen wird. Diese Zäsur im politischen Handeln und Denken geht mit einer Transformation der Wahrnehmung der Bevölkerung einher: Hatte es die souveräne Macht noch mit Rechtssubjekten zu tun, regierte die Bio-Macht nun über Lebewesen.17 Gleichzeitig ändert sich der Zugriff der Macht auf den Körper: „Anstelle der Drohung mit dem Mord ist es nun die Verantwortung für das Leben, die der Macht Zugang zum Körper verschafft.“18
Die Transformation der Souveränitätsmacht zur Bio-Macht vollzieht sich laut FOUCAULT (2014) in zwei Hauptformen: zum einen durch die Disziplinierung des Individualkörpers und zum anderen durch die Bevölkerungsregulierung durch „die sorgfältige Verwaltung der Körper und die rechnerische Planung des Lebens“19. Die Disziplinierungstechnologie als biopolitische Machttechnik hat ihren Ursprung bereits im 17. Jahrhundert und verfolgt das Ziel der Abrichtung und Dressur des Individualkörpers sowie der Steigerung und Einbindung der individuellen Arbeitskraft in das ökonomische System.20 In „Überwachen und Strafen“ macht FOUCAULT deutlich, wie Disziplinartechniken und deren Erziehungsformen das Ziel verfolgen, eine leistungsfähige „Maschine [zu] konstruieren“21. Hierbei wird der Individualkörper auf seine Funktionen reduziert und als einzelnes Segment einer „vielgliedrigen Maschine“22 wahrgenommen. Die Technologien dieser Machtform zeichnen sich durch einen hohen Grad der Rationalisierung und Ökonomisierung aus, da mithilfe verhältnismäßig geringer Mittel und „eines gesamten Systems der Überwachung, der Hierarchie, Kontrolle, Aufzeichnung und Berichte“23 Macht über eine Vielzahl individueller Körper ausgeübt werden kann.24 Die Dressur des Individualkörpers orientierte sich hierbei an einer institutionell festgelegten spezifischen Norm; beispielsweise wird anhand eines Handbuchs und spezifischer Prüfungen die Dressur von Soldaten überprüft, während in der Schule ein Schulprogramm das vermittelte Wissen normiert.25
Die Sicherheitstechnologien, die FOUCAULT als zweite Entwicklungsachse der Biopolitik deutet, bildeten sich Mitte des 18. Jahrhunderts heraus. Diese neue Form der Machttechnologien zeichnet sich wiederum durch eine nicht-disziplinäre Vereinnahmung des Bevölkerungskörpers aus. Während die Disziplinartechnologien ihren Fokus auf den individuellen Körper richten, ist das Ziel der Sicherheitstechnologien die gesamte Bevölkerung und die mit ihr verbundenen Lebensprozesse sowie Risiken beherrschbar zu machen. Hierbei wird die Bevölkerung keinesfalls als rechtlich-politische Einheit begriffen, sondern als biologische Gattung, welche sich durch spezifische Lebensprozesse und Phänomene auszeichnet.26 Charakteristisch für diese Machtform ist der Einsatz demographischer und statistischer Erhebungen, die es ermöglichen kollektive serielle Phänomene wie etwa Geburt, Tod, Lebensdauer sowie wirtschaftliche Produktion an dem erhobenen Mittelwert auszurichten und somit das Leben und die Lebensprozesse zu qualifizieren, messen, organisieren, vorherzusagen und zu verwalten. Doch nicht nur die Massenphänomene einer Bevölkerung sollen mithilfe der Sicherheitstechnologien verwaltbar werden; auch die Gefahren sowie Risiken, welche sich aus dem Zusammenleben als biologische Einheit zwangsläufig ergeben, sollen vorhersagbar und beherrschbar werden. Die Sicherheitstechnologien sind somit als Regulierungsmacht einzustufen. Neben den Instrumenten sowie den Zielen unterscheiden sich beide Machttechnologien ebenfalls durch ihre Institutionen: Während die Disziplinierungstechnologien in Institutionen wie Gefängnissen, Kasernen, Schulen, Psychiatrien sowie Krankenhäusern und Fabriken zu finden sind, wird die Regulierung des Bevölkerungskörpers durch den Staat organisiert.
Aus Tabelle 1 gehen die Differenzen beider Entwicklungsachsen der Biopolitik hervor.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.
Tabelle!1:Differenzen!von!Disziplinierungs=!und!Sicherheitstechnologien.
Eine analytische sowie historische Trennung von Disziplinierungs- und
Sicherheitstechnologien ist jedoch nicht sinnvoll. Vielmehr bauen die Sicherheitstechnologien auf die Disziplinierungstechnologien auf: !
„Eine Machttechnologie [Sicherheitstechnologie - Anmerkung des Autors], die erstere nicht ausschließt, die die Disziplinartechnik nicht ausschließt, sondern sie umfaßt [sic], integriert, teilweise modifiziert und sie vor allem benutzen wird, indem sie sich in gewisser Weise in sie einfügt und dank dieser vorgängigen Disziplinartechnik wirklich festsetzt. Diese neue Technik unterdrückt die Disziplinartechnik nicht, da sie ganz einfach auf einer anderen Ebene, auf einer anderen Stufe angesiedelt ist, eine andere Oberflächenstruktur besitzt und sich anderer Instrumente bedient.“27
Eine Folge der Entwicklung von Disziplinierungs- und Sicherheitstechnologien ist die zunehmende Bedeutung der Norm, während das Recht innerhalb des politischen Systems einen Bedeutungswandel erfährt.28 Das Rechtssystem, welches als letzte Instanz die Verhängung des Todes äußern kann, wird durch das Symbol des richtenden Schwertes verkörpert. Eine Macht, die sich jedoch der Optimierung, Qualifizierung und Kontrolle des Lebendigen angenommen hat, begünstigt laut FOUCAULT die Entwicklung einer „Normalisierungsgesellschaft“29: Anstatt die Bevölkerung in folgsame Untertanen und Gegner des Souveräns zu trennen, wie es durch die souveräne Todesmacht geschieht, organisiert die Bio-Macht „das Lebende in einem Bereich von Wert und Nutzen“30, indem sie die Bevölkerung an der Norm anordnet.31 Die Normalisierungsgesellschaft ist jedoch keinesfalls als eine verallgemeinerte Form einer Disziplinargesellschaft zu interpretieren, sondern gemäß FOUCAULT vielmehr als eine Gesellschaftsform, „in der sich entsprechend einer orthogonalen Verknüpfung die Norm der Disziplin und die Norm der Regulierung miteinander verbinden“32. Hierbei betont FOUCAULT jedoch, dass das Rechtssystem keinesfalls rückläufig sein, sondern das Recht sich vielmehr selbst zu einer Norm entwickle, wobei Ordnungswidrigkeiten als ein Beispiel für diese Entwicklung herangezogen werden können.33
Es ist festzuhalten, dass die souveräne Macht, welche als Todesmacht zu charakterisieren ist, ab dem 17. Jahrhundert zunehmend von der Bio-Macht überlagert wurde. Das Leben und die Lebensprozesse der Bevölkerung traten in den
Fokus des politischen Handelns und Denkens. Der Souverän hat die Macht über das
Leben der Bevölkerung, indem er sie dem Tod aussetzt, wohingegen die Aufgabe der Bio-Macht sich darin äußert „das Leben zu sichern, zu verteidigen, zu stärken, zu mehren und zu ordnen“34. Somit müsste man annehmen, dass das Recht des Tötens in der Bio-Macht einen Widerspruch in sich darstellt und somit Kriege, Todesstrafen, Folter, etc. unvereinbar sind mit einer Politik des Lebens. Gleichzeitig macht FOUCAULT jedoch deutlich, dass die Kriege niemals blutiger waren als seit dem 19. Jahrhundert.35 Im folgenden Teil soll der Fragestellung nachgegangen werden, wie sich das geradezu widersprüchliche Verhältnis zwischen dem Recht des Tötens und einer Politik des Lebens äußert.
2.3. Der Tod im Dienste des Lebens
Aus FOUCAULTs These, dass die moderne Politik sich zu einer Politik des Lebens entwickelt und die Souveränitätsmacht überlagert, geht nicht hervor, dass das souveräne Recht des Todes keinerlei Rolle in einem politischen System des Lebens spiele. Im Gegenteil: Im Rahmen der Vorlesungen im Jahr 1976 am Collège de France äußert FOUCAULT, dass es infolge der Transformation von Souveränitätsmacht zu Bio-Macht ebenfalls zu einer Verschiebung eines politisch- militärischen zu einem rassistisch-biologischen Diskurs kam.36 Der politisch- militärische Diskurs und dessen Gebrauch des Begriffs „Rasse“ bezeichnet einen politischen Gegner bzw. eine feindliche soziale Gruppe, welche sich von der eigenen sozialen Gruppierung durch „geografische Herkunft, Sprache oder Religionsausübung“37 unterscheidet.38 Folglich war das Gesellschaftsbild des politisch-militärischen Diskurses von der Vorstellung geprägt, dass „die Gesellschaft sich in zwei feindliche Lager teilt und zwei antagonistische soziale Gruppen existieren“39. Das Recht der Tötung im politisch-militärischen Diskurs äußert sich durch Kriege und Schlachten, wobei das Ziel die Zerstörung des politischen Gegners ist. Die diskursive Verschiebung ereignete sich im 19.
[...]
1 Vgl. hierzu Lemke 2007a sowie Folkers/Lemke 2014.
2 Lemke 2007a:20.
3 Lemke 2007a:21.
4 Somit/Peterson 1987, zitiert nach Lemke 2007a:27.!
5 Vgl. hierzu Lemke 2007a.
6 Foucault 2014a: 72.
7 Vgl. Foucault 1987, S. 243.
8 Foucault 1987:243.!
9 Vgl. hierzu Gehring 2014 sowie Folkers/Lemke 2014.
10 Vgl. Folkers/Lemke 2014.
11 Foucault 2014a: 71.
12 Vgl. Foucault 2014a.
13 Ebd.
14 Foucault 2014a:66.!
15 Da die Begriffe der Biopolitik und der Bio-Macht bei Foucault oftmals synonym verwendet und nicht systematisch voneinander unterschieden werden, stütze ich mich bei der Verwendung des Begriffs der Bio-Macht auf die Ausführungen von Gehring (2014), welche Biopolitik als konkrete Machttechniken versteht, während Bio-Macht als spezifische Machtform, vergleichbar mit der Juridischen Macht, gedeutet wird.
16 Vgl. Foucault 2014a.
17 Vgl. Lemke 2007a, S. 50.
18 Foucault 2014a:72.
19 Foucault 2014a:69.
20 Vgl. hierzu Lemke 2007a, Gehring 2014 sowie Foucault 2014b.
21 Foucault 1976:211.
22 Ebd.!
23 Foucault 2014b:91.
24 Vgl. hierzu Gehring 2014, Foucault 1976 sowie Foucault 2014b.
25 Vgl. Foucault 1976.!
26 Ebd.
27 Foucault 2014b:91.
28 Vgl. Foucault 2014a, S. 73f.
29 Foucault 2014a:73.
30 Ebd.
31 Vgl. hierzu Lemke 2007a, S.54; Foucault 2014a, S. 72f.
32 Foucault 2014b:102f.
33 Vgl. Foucault 2014a, S. 73.!
34 Foucault 2014a:68.
35 Vgl. Foucault 2014a, S. 66.
36 Vgl. hierzu Lemke 2007a, S. 55ff.!
37 Lemke 2007a:56.
38 Vgl. Lemke 2007a, S 55ff.; Folkers/Lemke 2014, S. 14ff. sowie Foucault 2014b, S. 104ff.
39 Lemke 2007a:55f.!