Mit dem Reisebericht des Venezianers Marco Polo entstand gegen Ende des 13. Jahrhunderts der erste volkssprachige Reisebericht über Asien, der zumindest nach der Zahl der überlieferten Handschriften zu urteilen, alle anderen bis dato verfassten Reiseberichte über Ostasien in den Schatten stellte. Zur Zeit Marco Polos und auch noch im 14. Jahrhundert war die Weltkenntnis der Europäer sehr begrenzt. Eine genaue Vorstellung besaßen die Menschen der damaligen Zeit nur von den Ländern des Abendlandes, von den Randgebieten des Mittelmeeres und einigen Ländern im Nahen Osten. Alles was darüber hinaus ging, das rote Meer, der Persische Golf, Indien und China waren unbekannt. Eine fremde Welt, die Reisende wie Marco Polo versuchten, den Europäern näherzubringen. Neben ihm lieferten in der Fortführung der franziskanischen Mission in der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert weitere Reisende Berichte über den fernen Osten. Zu den wichtigsten Beiträgen zählte unter anderem der des Odorico da Pordenone oder des Wilhelm von Boldensele.
Das 14. Jahrhundert brachte zwar einen verstärkten Reiseverkehr zwischen Europa und Asien mit sich, die Reiseberichte trugen jedoch weniger zu einer besseren Kenntnis des Fremden im Sinne einer systematischen Erforschung des Weltbildes bei. Da die geographischen Vorstellungen der Menschen bis in Spätmittelalter hinein nur sehr gering waren, nutzten sie ihre Vorstellungskraft und schufen sich imaginäre Welten, mit der das Fremde dann auch erklärt werden konnten. Damals wie heute galt, die Fremde wird geschaffen, sie wird beurteilt mit dem Maßstab des Eigenen. So ist auch die Darstellung des Fremden innerhalb des mittelalterlichen Reiseberichts ein Konstrukt, eine Mischung aus tatsächlicher Wahrnehmung des Fremden und ihrer Beschreibung mittels der von der eigenen christlich-abendländischen Kultur vorgegebenen Vorstellungen. Seit alters her spielten Geschichtswerke, Enzyklopädien und andere Reiseberichte, welche die fremde Welt mit ihren fremden Völkern und Kulturen beschrieben, eine entscheidende Rolle bei der literarischen Umsetzung der Fremdwahrnehmung [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Fremde im mittelalterlichen Reisebericht – Eine Mischung aus subjektiver Wahrnehmung und literarischer Konstruktion
- Marco Polo:,,Il Milione"
- Die Wahrnehmung des Fremden
- Die Augenzeugenschaft und Subjektzentriertheit
- Odorico da Pordenone: „De rebus incognitis“
- Der Umgang mit der Fremde
- Die Augenzeugenschaft und Subjektzentriertheit
- Jean de Mandeville: „Voyages"
- Die Schilderung des Fremden
- Die Augenzeugenschaft und Subjektzentriertheit
- Ein direkter Vergleich der drei Reiseberichte: Die Darstellung des Fremden anhand ausgewählter Beispiele
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit analysiert die literarische Umsetzung von Fremderfahrungen in den Reiseberichten des Odorico da Pordenone, Marco Polo und Jean de Mandeville. Ziel ist es, die Konstruktion des Fremden in diesen Texten zu untersuchen, indem die Fremdwahrnehmung der Subjekte, die Prägung durch die eigene Kultur und die intertextuellen Bezüge zu anderen Reiseberichten beleuchtet werden. Die Arbeit untersucht, wie die Subjekte die fremde Welt wahrnahmen, wie sie diese in ihren Reiseberichten darstellten und in welchem Maß sie sich von gängigen Vorstellungen über das Fremde leiten ließen. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern die Begegnungen der Subjekte mit der Fremde zu einer Selbsteinschätzung oder einer Beurteilung der eigenen Kultur führten.
- Die Konstruktion des Fremden in mittelalterlichen Reiseberichten
- Die Rolle der subjektiven Wahrnehmung und der eigenen Kultur bei der Darstellung des Fremden
- Die Augenzeugenschaft und Subjektzentriertheit in den Reiseberichten
- Der Einfluss intertextueller Bezüge auf die Darstellung des Fremden
- Die Selbsteinschätzung und Beurteilung der eigenen Kultur im Kontext der Fremderfahrung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel bietet einen allgemeinen Einblick in die Fremddarstellung im mittelalterlichen Reisebericht. Es werden individuelle und gesellschaftliche Faktoren beleuchtet, die bei der Wahrnehmung der fremden Welt eine wichtige Rolle spielten. Das Kapitel zeigt, dass jeder Reisebericht ein gewisses Moment der Konstruktion enthält und die Erfahrung des Fremden folglich stets durch Gesetzmäßigkeiten der Eigenkultur präfiguriert war.
Das zweite Kapitel analysiert die Reiseberichte von Marco Polo, Odorico da Pordenone und Jean de Mandeville hinsichtlich der Darstellung des Fremden. Es wird untersucht, wie die Autoren den Wahrheitsanspruch ihrer Reiseberichte zu legitimieren versuchten und in welchem Maß sie sich als Subjekt selbst in den Text einschrieben.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den mittelalterlichen Reisebericht, die Fremderfahrung, die Konstruktion des Fremden, die Augenzeugenschaft, die Subjektzentriertheit, die intertextuellen Bezüge, die Fremdwahrnehmung, die eigene Kultur, die Selbsteinschätzung und die Beurteilung der eigenen Kultur.
- Arbeit zitieren
- Stefanie Köhler (Autor:in), 2014, Das Subjekt und die Fremde. Die Reiseberichte des Odorico da Pordenone, Marco Polo und Jean de Mandeville, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285400