Partizipation als zu forderndes Kernelement der Integrationspraxis in der heterogenen Einwanderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland


Masterarbeit, 2013

84 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Abstract

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Modelle der Integrationsforschung
2.1 Integration - ein unbefriedigender Begriff
2.1.1 Assimilation / Integration
2.1.2 Inklusion/ Integration
2.2 Dimensionen der Integration
2.3 Modelle der Integration
2.3.1 Sozial - ökologischer Ansatz der Chicagoer Schule
2.3.2 Stufenmodell von Gordon
2.3.3 Strukturelles Migrationsmodell von Hoffmann-Nowotny
2.3.4 Handlungstheoretisches Modell von Hartmut Esser
2.3.5 Offene, mehrdimensionale Integrationsmodelle
2.3.5.1 Integrationsdimensionen nach Heitmeyer/Anhut
2.3.5.2 Modell der pluralistischen Assimilation
2.3.5.3 Das normative Modell einer multikulturellen Gesellschaft
2.4 Wissenschaftstheoretische Ansätze
2.4.1 Soziale Arbeit
2.4.2 Soziologie
2.4.3 Psychologie
2.4.4 Pädagogik

3. Integrations- Ausländerpolitik
3.1 Einwanderungsgeschichte in der BRD/ „Ausländerpolitik“
3.2 Integrationspolitik (ab 2005)

4. Integrationsmonitoring als Spiegel des zugrunde liegenden Integrationsverständnisses ..26
4.1 Integrationsmonitoring der Bundesregierung aktuell
4.2 Lebenslagen der Menschen mit Migrationshintergrund
4.3 Interkulturelle Öffnung der Institutionen und der Gesellschaft
4.4 Vergleich von Ansätzen auf Bundes,- Länder und kommunaler Ebene
4.5 Subjektive „weiche“ integrationsrelevante Faktoren

5. Partizipation
5.1 Partizipative Ansätze in der Gesundheitsförderung und der Sozialen Arbeit
5.1.1 Entstehungsgeschichte
5.1.2 Partizipative Forschung
5.1.2.1 Community-Based Participatory Research (CBPR)
5.1.3 Partizipation, Kernstrategie der Gesundheitsförderung
5.1.4 Partizipative Qualitätsentwicklung
5.1.5 Bedeutung für die Soziale Arbeit

6. Chancen und Herausforderungen bei der partizipativen Arbeit mit Migranten
6.1 Herausforderungen
6.1.1 Teilnahmebereitschaft / Teilnahmeermöglichung
6.1.2 Gesellschaftliche und politische Herausforderungen
6.1.3 Reziproke Anerkennung als Herausforderung
6.2 Chancen/ Ressourcen
6.2.1 Soziales Kapital
6.2.2 Wohnviertel
6.2.3 Frauen und Familie
6.2.4 Moscheen und religiöse Vereine
6.2.5 Migrantenselbstorganisationen (MSO)
6.2.6 Lokales Wissen

7. Praxisbeispiele
7.1 Gesundheitsförderung: Projekt PAKoMi
7.2 Soziale Arbeit: Projekt MIGRALTO

Fazit

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abstract

Das geschichtlich entstandene Konstrukt der deutschen Gesellschaft, als homogene Einheit mit gemeinsamen Werten und Normen, wurde schon längst durch die Realität und die sozialwissenschaftliche Forschung widerlegt. Dieses Konstrukt hat, wie in dieser Literaturarbeit anhand der Einwanderungsgeschichte der Bundesrepublik gezeigt wird, verhindert, dass bis zum Jahre 2005, parallel zur Migrationspolitik, eine Integrationspolitik etabliert wurde. Das gleiche Konstrukt dominiert, wie heraus gearbeitet wird, auch heute noch die Integrationsziele und Maßnahmen der Bundesrepublik, wie sie im Nationalen Integrationsplan und dem Nationalen Aktionsplan Integration festgelegt wurden. Menschen mit Migrationshintergrund werden hier vorwiegend als defizitär, weil anders als die Allgemeinheit, gesehen und sollen, auf diese Weise ebenfalls homogenisiert, durch Integrationsmaßnahmen gefördert werden. Hiermit soll ihnen der Anschluss an die, als Maßstab definierte, deutsche Bevölkerung ermöglicht werden. Gefordert wird von Ihnen eine Teilnahme an den fremdkonzipierten Maßnahmen und eine Akzeptanz der für allgemeingültig erklärten Werte und Normen der Gesellschaft. Erst nach erfolgreicher Integration, erfolgt die Bestätigung ihrer Zugehörigkeit, in Form der deutschen Staatsangehörigkeit. Nach der vergleichenden Darstellung verschiedener Integrationsmodelle wird in dieser Arbeit ein offener, interaktionistischer Ansatz präferiert, der Integration als gesamtgesellschaftlichen Prozess begreift. In diesen Prozess müssen alle Beteiligten gleichberechtigt einbezogen werden, da die gemeinsamen Regeln des Zusammenlebens nur durch Interaktion und damit kommunikativ ausgehandelt werden können. Um diesen Kommunikationsprozess zu fördern, stellt die Partizipative Forschung, wie ausführlich dargestellt wird, Instrumente und Ansätze bereit. Diese werden in der Gesundheitsförderung und der Sozialen Arbeit auf der Ebene von Stadtteilen, Organisationen und Kommunen in zunehmendem Maße umgesetzt und können durch die Partizipative Qualitätsentwicklung auf ihre Effizienz hin evaluiert werden.

Die vorliegende Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass die Ansätze partizipativer Forschung und offener Integrationsmodelle weitgehend deckungsgleich sind. Zielgruppen werden in beiden Ansätzen nicht als passive Objekte von Maßnahmen, sondern als auf Augenhöhe aktiv mitgestaltende Subjekte gesehen. Partizipative Forschung stellt die geeigneten Instrumente zur Verfügung, um diesen gemeinsamen Kommunikations- und Aushandlungsprozess in der Praxis auszugestalten. Damit haben partizipative Ansätze und Instrumente das Potential, Integrationspolitik den Erfordernissen einer multikulturellen Gesellschaft anzupassen.

The historically emerged construct of German society as a homogeneous entity with shared values, norms and standards has already been disproved by reality and socio-scientific research. On the basis of the history of immigration to the federal republic of Germany this thesis shows that until 2005 the latter construct prevented the establishment of a policy of integration that went hand in hand with the policy of migration. By analyzing the “Nationaler Integrationsplan” and the “Nationaler Aktionsplan Integration” it will be shown that this construct still dominates the aims of integration and the therewith corresponding actions of the German government. People with migration background are still seen as deficient because of being somewhat different from the subjective images of a homogeneous society. Therefore these people are tried to be homogenized and fostered by German integration measures and sanctions. Herewith they should be included into the German population without migration background, which is defined as standard. They are to attend the externally conceived measures and an acceptance for the (universally) declared values and standards of this society. As a reward for their successful integration, the confirmation of their membership in form of the German citizenship awaits them several years later. After the comparative description of various integration patterns, this thesis is going to give preference to an open, interactionistic approach, which understands integration as a process of the whole society.

All participants need to be equally involved in this process, because the mutual rules of coexistence can only be negotiated through interaction and communication. To promote this process of communication, the participatory research provides tools and approaches, which will be described extensively. These are used and realized to an increasing extent in public health and social work sectors on the levels of districts, organizations and communes. Their efficiency can be evaluated through participatory quality development. In this thesis it will be carved out that the approaches of participatory research and open models of integration are congruent with each other. In both approaches target groups are not being seen as passive objects of procedures, but recognized as equal and actively co-creating subjects. Participatory research provides adequate instruments to manage this conjoint process of communication and negotiation in practice. Therewith participatory approaches and instruments have the potential to adapt integration policy to the requirements of a multicultural society.

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

ABBILDUNG 1 TYPEN DER SOZIALINTEGRATION (ESSER, 2001, S.19) 8

ABBILDUNG 2 DER POLITISIERTE DIVERSITY ANSATZ VON LEAH CZOLLEK UND GUDRUN PERKO (BENBRAHIM, 2008, S.1)

ABBILDUNG 3 VIER AKKULTURATIONS STRATEGIEN NACH BERRY (1997, S.10)

ABBILDUNG 4 ARMUTSGEFÄHRDUNGSQUOTE (2.IIB, 2011, S.87)

ABBILDUNG 5 DISKRIMINIERUNGSERFAHRUNGEN (STIFTUNG ZENTRUM FÜR TÜRKEISTUDIEN, 2011, S.144)

ABBILDUNG 6 STUFENMODELL DER PARTIZIPATION (WRIGHT, UNGER, BLOCK, 2010, S42)

ABBILDUNG 7 "PUBLIC HEALTH ACTION CYCLE" (WRIGHT, UNGER, BLOCK, 2009, S.16)

ABBILDUNG 8 ZUSAMMENHANG ZWISCHEN SOZIALER UND GESUNDHEITLICHER UNGLEICHHEIT (MIELCK 2005, S.53)

ABBILDUNG 9 PHASENPLAN PAKOMI (UNGER & GANGEROVA, 2010)

ABBILDUNG 10 VERWERTUNG IM PAKOMI-PROJEKT (UNGER, 2012A, S.16)

ABBILDUNG 11 MODELL MIGRALTO (ABATI & HUNGERBÜHLER, 2011C, S.4)

Tabellenverzeichnis

TABELLE 1 SCHULABSCHLÜSSE AN ALLGEMEINBILDENDEN SCHULEN (2.IBB, 2011, S.38)

TABELLE 2 ABLAUFPLAN DES PROJEKTS MIGRALTO (ABATI & HUNGERBÜHLER, 2011C, S.4)

1. Einleitung

Das Thema „Integration von Menschen mit Migrationshintergrund“ ist seit dem ersten Integrationsgipfel (2005) und dem daraus verabschiedeten Nationalen Integrationsplan (2007) Bestseller im medialen, politischen und öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland. Im Zusammenhang mit dem demographischen Wandel und dem hieraus resultierenden Fachkräftemangel erhält die Frage, wie Integrationsprozesse unterstützt werden können, neben der sozialen Komponente eine erhebliche wirtschaftliche Relevanz. „Für die Bundesregierung steht die Schlüsselaufgabe Integration, seit 2005, ganz oben auf der Agenda“ (Nationaler Aktionsplan Integration [NAI], 2011, S.7). Seit 2005 wurden durch den Bund zahlreiche Integrationsmaßnahmen und Projekte, sowohl auf Länderebene, als auch auf der Ebene der Kommunen, der Institutionen und im Rahmen von Migrantenselbstorganisationen (MSO) gefördert und mit finanziellen Mitteln unterstützt.

Seit 2010 arbeite ich in einem solchen, vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geförderten Projekt, in der Planung, der Koordination und praktischen Umsetzung von verschiedenen Maßnahmen mit. Im Rahmen des Projektes Plattform Heidelberg für Integration und Partizipation (PHIP) haben wir in den letzten drei Jahren Migranten[1] (großenteils Asylsuchende) von der Asylantragsstellung über die Teilnahme an Integrationskursen, Wohnungssuche auf dem freien Wohnungsmarkt, Berufsaufnahme bzw. Berufsqualifizierung, bis hin zu ihrer Anerkennung begleitet.

In diesem Prozess haben wir uns immer wieder die Frage gestellt: ab wann gilt ein Migrant[2] als integriert? Und genauso wichtig: Ab wann fühlt sich ein Migrant integriert? Betrachtet man die zahlreichen Publikationen und Berichte, die in den letzten Jahren durch die Bundesregierung und das BAMF herausgegeben wurden, müsste die erste Frage relativ einfach zu beantworten sein, da „Bildung und Sprache [als] Schlüsselfaktoren der Integration [und] Erwerbstätigkeit als Chance zu einer selbstbestimmten Lebensführung [definiert werden]“ (v. Gostomski, 2010, S.79). Fortschritte im Spracherwerb, im Bildungsbereich und bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt werden regelmäßig erhoben und publiziert. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die Integrationsmaßnahmen Erfolge zeitigen und die „formale Integration bei den meisten Migranten erfolgreich verläuft“ (Kösemen, 2011, S.238).

Die Antwort auf die zweite Frage fällt etwas ernüchternder aus. In einer 2009 durch das Allensbach Institut durchgeführten Studie antworteten nur 24% der befragten Migranten, dass sie sich ganz als Teil der Gesellschaft fühlen (Kösemen, 2011). Die seit 2005 durchgeführten Integrationsmaßnahmen haben, wie 2007 im Nationalen Integrationsplan (NIP) und 2011 im Nationalen Aktionsplan Integration (NAI) nachzulesen ist, das Ziel, Menschen mit Migrationshintergrund (MH) gleiche Chancen zur Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen zu ermöglichen. Der 2. Integrationsindikatoren Bericht der Bundesregierung (2011) und der 4. Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2013) zeigen deutlich, dass die Integrationsbemühungen der letzten Jahre in puncto Chancengleichheit zu kurz greifen. Ungleiche Zugangs- und Teilhabechancen bestehen jedoch auch für Menschen ohne Migrationshintergrund mit niedrigem sozialen Status. Teilhabe oder Nichtteilhabe an den verschiedenen gesellschaftlichen Prozessen entscheidet sich in einer heterogenen Gesellschaft anhand diverser Differenzlinien[3], von denen der Migrationshintergrund nur eine Dimension darstellt (Leiprecht, 2009).

Die vorliegende Arbeit basiert auf der These, dass sich Politik in einer immer mehr diversifizierenden Gesellschaft allgemein und in Bezug auf die heterogene Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund im speziellen, an den unterschiedlichen Bedarfen und Lebenswelten ihrer Zielgruppen orientieren muss (u.a. Riegel, 2009; Scherr, 2012; Kleve, 2002). Hierzu ist die Einbeziehung der Betroffenen als aktiv teilhabende und handelnde Subjekte, nicht als passiv teilnehmende Objekte an - sozusagen von oben konzipierten Maßnahmen von entscheidender Bedeutung.

Ziel dieser Arbeit ist es, anhand von intensiver Literaturrecherche, herauszuarbeiten, dass partizipative Ansätze, wie sie in der Gesundheitsförderung und der Sozialen Arbeit seit Jahren erfolgreich praktiziert werden, das geeignete Mittel darstellen dort anzusetzen, wo die heutigen Integrationsmaßnahmen an ihre Grenzen stoßen. Im ersten Teil der Arbeit (Kapitel 2) wird der Begriff Integration kritisch reflektiert sowie verschiedene Integrationsmodelle der Sozialwissenschaften skizziert und gegenübergestellt. Die als Teilziele des Integrationsprozesses definierten Dimensionen von Integration werden vorgestellt und ihre Deckungsgleichheit mit den von Bourdieu (1983) beschriebenen, ressourcenorientierten Kapitaltypen aufgezeigt.

Die folgenden wissenschaftstheoretischen Ansätze aus den Sozialwissenschaften dienen dem Verständnis der komplexen soziokulturellen Veränderungen, die das Leben und Aufwachsen in einer multikulturellen Gesellschaft mit sich bringt. Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht noch weiter auszudehnen, wurde darauf verzichtet, auf neuere Migrationsansätze wie die Theorien der Transmigration (Glick Schiller, 2005; Lucassen, 2006 u.a.) oder das Konzept der transnationalen sozialen Räume (Faist, 2000) einzugehen.

Im dritten Kapitel wird die Migrationsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zwischen 1955 und 2005 dargestellt und parallel dazu die Ausländerpolitik aufgezeigt. Hier zeigen sich die kaum aufholbaren Versäumnisse der Vergangenheit, die die heutige Integrationspolitik vor gewaltige Aufgaben stellen. Im Anschluss daran wird auf die Anfänge der deutschen Integrationspolitik ab 2005, und auf den heutigen Stand der Integrationspolitik, der sich im NIP und im NAI widerspiegelt, eingegangen. Einen besonderen Raum nehmen hier die Integrationsindikatoren ein, anhand derer der aktuelle Stand der Integration „messbar“ gemacht werden soll. Mittels dieser Messergebnisse, die 2012 im 9. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (BBMFI) vorgestellt wurden, werden die Lebenslagen von Migranten und der erreichte Stand der Interkulturellen Öffnung in Deutschland skizziert. Der Integrationsmonitoring Ansatz des Bundes wird darauf folgend kurz mit entsprechenden Ansätzen auf der Ebene von Ländern und Kommunen in der BRD verglichen. Am Ende des vierten Kapitels wird herausgearbeitet, wie die Auswahl der Integrationsindikatoren das zu Grunde liegende Integrationsverständnis widerspiegelt. Um dies zu verdeutlichen wird zwischen „harten“ Integrationsindikatoren, welche auf Teilhabe bzw. Nicht-Teilhabe fokussieren und „weichen“, integrationsrelevanten Faktoren unterschieden. Zu den weichen Faktoren zählt z.B. das subjektiv empfundene In- oder Exkludiert Sein, welches den individuellen Möglichkeitsspielraum zur Teilhabe maßgeblich beeinflusst (Riegel, 2009).

Kernstück der vorliegenden Arbeit ist die in Kapitel 5, 6 und 7 vorgenommene Darstellung partizipativer Ansätze in der Arbeit mit Menschen mit und ohne MH. Es wird aufgezeigt, dass die aktive Teilhabe an der Zielsetzung, Planung und Umsetzung von Maßnahmen, im Gegensatz zur bloßen Teilnahme an fremdkonzipierten Maßnahmen, eine Fokussierung auf die tatsächlichen Bedarfe gewährleistet und damit effektiver ist. Die zentralen Begriffe wie Partizipation, Partizipative Forschung und partizipative Qua- litätsentwicklung werden dargestellt und die Schwierigkeiten, Herausforderungen und Chancen partizipativer Ansätze in der Praxis herausgearbeitet. Anschließend werden exemplarisch partizipatorisch arbeitende Projekte der Gesundheitsförderung und der Sozialen Arbeit vorgestellt, um zu zeigen, wie Partizipation in der Praxis umgesetzt werden kann. Im abschließenden Fazit wird gezeigt, dass die Ansätze offener Integrationsmodelle und Partizipativer Forschung deckungsgleich sind. Es wird deshalb vorgeschlagen, genau an den Stellen auf partizipative Ansätze und ihre Instrumente zu zugreifen, an denen sich die herausgearbeiteten Grenzen und Defizite der herkömmlichen Integrationsmaßnahmen festmachen lassen. Damit wird begründet, dass partizipative Ansätze als Ergänzung, wenn nicht sogar als Ersatz herkömmlicher Integrationsmaßnahmen, das Potential besitzen, gleichberechtigte und aktive Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen und deshalb zu fordern sind.

2. Modelle der Integrationsforschung

2.1 Integration - ein unbefriedigender Begriff

Der Begriff Integration wird laut Duden (2013) - abgeleitet vom lateinischen Verb integrare - ergänzen und vom lateinischen Adjektiv integer - unberührt, ganz - . Er wird nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch und in der Politik, sondern auch in den verschiedenen Fachdisziplinen der Sozialwissenschaften, je nach Kontext, so unterschiedlich gebraucht, dass eine befriedigende Definition nicht gelingen kann. „Unbefriedigend ist nicht in erster Linie, dass der Integrationsbegriff unterschiedlich definiert werden kann, unbefriedigend ist zunächst, dass man häufig über die eine Form von Integration spricht und mindestens eine zweite Form der Integration meint“ (Friedrichs, Jagodzinski & Wolfgang, 1999; zitiert nach Dietrich, 2002, S.16). Eine allgemeine Definition gibt Esser (2001): „Unter Integration wird - ganz allgemein - der Zusammenhalt von Teilen in einem ‚systemischen‘ Ganzen verstanden, gleichgültig zunächst, worauf dieser Zusammenhalt beruht“ (S.1). Die begriffliche Vieldeutigkeit entsteht, da schon die drei Variablen Teile, Ganzes und Zusammenhalt unterschiedlich definiert werden können. Sie entsteht erst recht, wenn die Interaktion der Variablen beschrieben wird, beziehungsweise wenn darauf eingegangen wird, ob überhaupt und wenn ja, auf welche Weise der Zusammenhalt entsteht oder hergestellt werden soll.

Zum „Umgang mit dem problematischen Begriff der Integration“(Riegel, 2009, S.37) hält es die Autorin deshalb für unablässig, diesen im „jeweiligen Kontext zu spezifizieren und in seiner Bedeutung kritisch zu rekonstruieren“ (S.37). Es geht um die entscheidenden Fragen:

„1. Wohin soll integriert werden? (Frage nach Ziel und Raum) 2. Wer soll integriert werden bzw. wer integriert wen und warum? (Frage nach den Positionierungen, Beziehungen, Machtverhältnissen und Nutzen für die unterschiedlichen Akteure) 3. Wer benutzt den Begriff und mit welcher Absicht?“ (Riegel, 2009, S.37).

Die begrifflichen Positionen von Integration befinden sich nach E. Kobi (1997) in einem

1. Spannungsfeld von Prozess und Zustand
2. Spannungsfeld von Methode und Ziel
3. Spannungsfeld von individualer und sozialer Angelegenheit
4. Spannungsfeld von Vorgabe und Aufgabe
5. Spannungsfeld von parzellierbarer und ganzheitlicher Daseinsform
6. Spannungsfeld von Struktur und Wert
7. Spannungsfeld von intentionaler und koexistentieller Lebens- und Daseinsgestaltung (Dirr, 2007; Hofbauer, 2010)

Von besonderer Bedeutung ist die Differenzierung in einen absoluten und einen relati- onalen Integrationsbegriff (Dietrich, 2002). Der absolute Integrationsbegriff bezieht sich auf die Integration der Gesellschaft als Ganzes, während sich der relationale Integrationsbegriff auf die Integration von Individuen oder Gruppen, im Fall der Migrationssoziolgie von Migranten in die Gesellschaft bezieht. „Integration in die Gesellschaft versus Integration der Gesellschaft“ (Sackmann, 2002; zitiert nach Dietrich, 2002, S.10). Diese beiden Perspektiven des Integrationsbegriffes spiegeln sich in den Integrationsmodellen und integrationstheoretischen Ansätzen der Sozialwissenschaften wieder. Geschlossene, mehr oder weniger eindimensionale, assimilatorische Modelle (Integration in die Gesellschaft), stehen offenen, mehrdimensionalen Modellen, die die Wechselseitigkeit des Integrationsprozesses fokussieren (Integration der Gesellschaft) gegenüber. Bevor exemplarisch verschiedene Modelle der Integration vorgestellt werden, ist es hilfreich, die Begriffe Assimilation und Inklusion näher zu betrachten, da sie je nach Standpunkt des Benutzers häufig bewusst aber auch unbewusst entweder konträr oder synonym gebraucht werden.

2.1.1 Assimilation / Integration

Im englischen Sprachgebrauch wird der Begriff Assimilation als Oberbegriff für Anpassungsvorgänge (ähnlich dem deutschen Integrationsbegriff) verwendet. Damit schließt er auch die Möglichkeit der gegenseitigen Annäherung und Angleichung zweier Kulturen mit ein. Er ist somit nicht durch einseitige Anpassungsforderungen an die Migranten negativ konnotiert (Dirr, 2007). Dagegen versteht Treibel unter Assimilation die „unvermeidliche Endstufe einer Interaktion zwischen Aufnahmegesellschaft und rassischen bzw. ethnischen Gruppen“ (Treibel 1999; zitiert nach Dietrich, 2002, S.13). Aus dem historischen Postulat der Kulturnation und damit dem Konstrukt einheitlicher, für alle geltender Normen und Wertevorstellungen heraus, bedeutet nach Fuchs (1995) Assimilation im deutschen Integrationsdiskurs Angleichung an diese bestehenden Werte, Normen und Gewohnheiten, unter Aufgabe der kulturellen Eigenschaften der Herkunftsgesellschaft (Dirr, 2007). Deshalb wird Assimilation häufig auch als Gegenbegriff zu Integration gebraucht. Mit dem Begriff Integration wurde eine wertneutralere Bezeichnung eingeführt und die assimilatorische Zielrichtungen dahingegen abschwächt, dass es um eine weitgehende Anpassung an die Werte und Normen der Aufnahmegesellschaft geht und eine völlige Aufgabe der kulturellen Eigenschaften der Herkunftsgesellschaft nicht mehr gefordert wird (Dirr).

2.1.2 Inklusion/ Integration

Der Begriff der Inklusion und damit auch sein Gegenteil die Exklusion stammt aus der System- und Differenzierungstheorie[4] (Bommes,1999; Luhmann,1999; Stichweh, 2005). „In der Systemtheorie wird die Frage gesellschaftlicher Teilhabe von Individuen, aber auch von Bevölkerungsgruppen mit Hilfe der Leitunterscheidung Inklusion/ Exklusion behandelt“ (Stichweh, 2000; zitiert nach Hofbauer, 2010, S.17). Inklusion/Exklusion beziehen sich auf Funktionssysteme/Subsysteme (z.B. Recht, Politik,

Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung, Medien etc.) in die, die moderne Gesellschaft differenziert ist. Somit bezieht sich Inklusion nicht wie Integration auf die Gesellschaft als einheitlich gedachtes Konstrukt mit ihren Normen und Werten, sondern auf Subsysteme mit ihren spezifischen, aber im zeitlichen Verlauf sich ändernden und durch Kommunikation aushandelbaren Inklusions- und Exklusionskriterien (Hofbauer). Des Weiteren bezieht sich der Inklusionsbegriff auch nicht auf ganze Individuen oder Kollektive. So kann ein Individuum in mehreren Subsystemen inkludiert sein und gleichzeitig aus mehreren Subsystemen exkludiert sein. Eine „‚vollständige Integration‘ in einer polykontextuellen Gesellschaft ist empirisch nicht mehr möglich und auch nicht mehr nötig, weil das Leben in einer postmodernen Gesellschaft von allen Mitgliedern - ob autochthon oder allochthon- nur eine partielle Inklusion in die Gesellschaft verlangt“ (Yildiz, 2001; zitiert nach Riegel, 2009, S. 24f).

Deshalb wird in der Migrationssoziologie und im wissenschaftlichen Diskurs der Sozialwissenschaften zunehmend gefordert, den Begriff Integration durch den der Inklusion zu ersetzen. „Wenn wir es als normal akzeptieren, unterschiedlich zu sein, brauchen wir zum Lernen ein Umfeld des kulturellen Dialoges als Basis des Inklusionsprozesses“ (Maslo, 2006; zitiert nach Held, 2009a, S.121).

Im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Handicap hat sich der Begriff Inklusion bereits weitgehend durchgesetzt und wird auch in politischen Programmen verwendet. Doch auch dem in diesem Umfeld benutzen Inklusionsbegriff haftet eine Mehrdeutigkeit an. Kritisch wird angemerkt, dass auch hier dem Inklusionsverständnis ein unilinearer Charakter anhaftet (Möller, 2013). In Annäherung an den auf Teilsysteme bezogenen Inklusionsbegriff wird in der Integrationsdebatte mittlerweile differenziert zwischen Vollintegration, bzw. totaler Integration in die Gesellschaft, und partieller oder selektiver Integration in Teilbereiche der Gesellschaft (Hofbauer, 2010).

2.2 Dimensionen der Integration

Nach Dirr (2007) ist „nicht mehr die Gesellschaft […] sozialer Ort der Integration, sondern die gesellschaftlichen Teilbereiche“ (S.8). Hierauf bezieht sich auch die auf Heckmann und Thomei (1997) zurückgehende und von Esser (2001) und Riegel (2004) aufgenommene Unterteilung des Integrationsprozesses in:

1. Kulturelle Integration: Aneignung von Kompetenzen und Wissen - Sprache, Werte, Normen -, die für das aktive Handeln in der Gesellschaft notwendig sind (vgl. Riegel, 2004).
2. Strukturelle Integration: Eingliederung von Migranten in ein „bereits bestehendes und mit Positionen versehenes soziales System“ (Esser, 2001, S.9). Gemeint ist hier die Übernahme beruflicher und anderer Positionen.
3. Soziale Integration: Beteiligung von Migranten an privaten und sozialen Aktivitäten von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft (Esser, 2001)
4. Identifikatorische Integration: Heckmann und Thomei (1997) bezeichnen dies als die „subjektive Seite der Integration“ (Heckmann & Thomei, 1997; zitiert nach Dirr, 2007, S.11). Sie beinhaltet Zugehörigkeitsgefühl, Wir-Gefühl, Akzeptieren und Akzeptiert werden.

Die einzelnen Dimensionen stellen jedoch kein Stufenschema dar, sondern werden eher als Teilziele des Integrationsprozesses gesehen, die auch unabhängig voneinander betrachtet werden können. Zwar wird postuliert, dass kulturelle Integration, insbesondere der Erwerb von Sprachkompetenz eine Bedingung für strukturelle Integration (z.B. Positionierung auf dem Arbeitsmarkt) darstellt, eine zeitlich gestaffelte Abfolge wird aber nicht explizit vorgegeben (BBMFI, 2012). Die Dimensionen stellen die Basis für das Integrationsmonitoring dar (siehe Kapitel 4), durch das die Benachteiligung von Migranten in den beschriebenen Teilbereichen bzw. Dimensionen erfasst werden soll, um gezieltere Interventionen durchführen zu können (Dirr, 2007). Den Blick auf einzelne Dimensionen der Integration zu legen ist jedoch nicht unproblematisch. Der Fortschritt des Integrationsprozesses soll hier messbar gemacht werden, indem die „Integriertheit“ der Migranten in den einzelnen Teilbereichen untersucht wird. Diese Sichtweise ist aber nur schwer vereinbar mit einem Verständnis, dass Integration als wechselseitigen Prozess auffasst (Bibouche & Held, 2009). Einen um diese Perspektive erweiterten Zugang stellt das von Pierre Bourdieu aufgestellte Kapitalkonzept dar. Bourdieu (1983) unterscheidet 4 Kapitalsorten über die der Mensch verfügt:

1. Ökonomisches Kapital: Materielle und ökonomische Ausstattung.

2. Kulturelles Kapital

2.1 Internalisiertes Kulturkapital: Haltungen und Fertigkeiten wie z.B. Bildung, Sprache

2.2. Objektivierbares Kulturkapital: In Form von Büchern, Kunst etc.

2.3. Institutionalisiertes bzw. legitimes Kulturkapital: In Form von Zeugnissen, Diplomen, Schulabschlüssen etc.

3. Soziales Kapital: Aktuelle und potentielle soziale Beziehungen, soziale Netzwerke

4. Symbolisches Kapital: Prestige, Ehre ,Ruf

Die Kapitalausstattung bestimmt die Position des Individuums in der Gesellschaft (Bourdieu, 1983). In diesem Punkt stimmt Bourdieus Konzept mit den oben genannten Dimensionen der Integration (strukturelle Integration entspricht weitgehend dem ökonomischen Kapital und symbolisches Kapital entspricht weitgehend der identifikatorischen Integration) überein und kann deshalb in gleicher Weise als analytisches Instrument verwendet werden. Das Kapitalkonzept von Bourdieu geht aber über diesen Aspekt weit hinaus. Die Kapitalausstattung wird nach Bourdieu kontinuierlich durch Umund Austauschprozesse in Interaktion mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld verändert. Es kommt entweder zu Kapitalakkumulation oder zum Verlust von Kapital. Diese Umtauschprozesse sind immer wechselseitig und als kontinuierlicher Prozess zu sehen (Bourdieu). Auf den Integrationsprozess bezogen bietet der Blick auf das Bourdieu´sche Kapitalkonzept mehrere Vorteile: Zum einen wird die Wechselseitigkeit des Prozesses stärker betont, zum anderen wird ein ressourcenorientierter Blick eröffnet. So entspricht vereinfacht das ökonomische Kapital den materiellen Ressourcen, das kulturelle Kapital den individuellen Ressourcen und das soziale Kapital den sozialen Ressourcen (Ahbe, 1998). Während Integrationsdimensionen implizit auf ein Integrationsziel („Teilhabe an“) hinweisen, betont die Ressourcen-orientierte Perspektive „an den konkreten, subjektiven und lebensweltlichen Voraussetzungen und Handlungsmöglichkeiten anzusetzen mit der Perspektive der Erweiterung des Möglichkeitsraum[...]und[…] den Blick auf vorhandene oder verwehrte Gestaltungs-, Handlungsund Partizipationsmöglichkeiten zu richten“ (Riegel, 2009, S.35).

2.3 Modelle der Integration

Empirische Untersuchungen und daraus resultierende Modelle zur Integrationsforschung entstanden zunächst in den klassischen Einwanderungsländern USA und Kanada, da Deutschland, auch im Verhältnis zu ehemaligen großen Kolonialländern wie Frankreich, Groß-Britannien, Holland etc., eine vergleichsweise kurze Einwanderungsgeschichte aufweist. Darüber hinaus ist das offizielle Bekenntnis, ein Einwanderungsland zu sein, und damit die Notwendigkeit zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fragen der Migration und Integration in Deutschland erst sehr spät erfolgt (Meier-Braun, Bischof & Weber, 2011). Erste Ansätze gehen auf sozialpädagogische/sozialarbeiterische Arbeit in vorwiegend von Einwanderern bewohnten Stadtteilen (sog. natural areas) der USA, Anfang des 20. Jahrhunderts zurück (Amelina, 2008).

2.3.1 Sozial - ökologischer Ansatz der Chicagoer Schule

Der Sozial-ökologische Ansatz der Chicagoer Schule (Park & Burgess, 1925) versuchte, den sozialgesellschaftlichen Anpassungsprozess von irischen Einwanderern an die Mehrheitsbevölkerung als prozesshaften Assimilierungsvorgang darzustellen. Parks und Burgess beschrieben in ihrem race-relation-cycle vier Assimilationsstufen, die über Segregation in natural areas, über Kontaktaufnahme mit der einheimischen Bevölkerung und Wettbewerb um Arbeitsplätze und Wohnraum zur Akzeptanz der dominierenden Strukturen (Akkomodation) - und schließlich zur vollständigen Anpassung und Verschmelzung mit der Aufnahmegesellschaft (Assimilation) führen. „Sie passen sich nicht nur an, sondern sie gleichen sich an“ (Dietrich, 2002, S.61). Der Anpassungsprozess läuft in diesem Verständnis automatisch, also ohne besonderes Zutun der Aufnahmegesellschaft ab. Aus der Erforschung dieser schrittweisen und als natürlich eintretenden Akkomodations-, bzw. Assimilationsvorgänge, folgten in den nächsten Jahrzehnten weitere Modelle (Dietrich).

2.3.2 Stufenmodell von Gordon

Milton M. Gordon (1964) differenziert in seinem aus drei Stufen und 7 Dimensionen bestehenden Assimilationsmodell in kulturelle, strukturelle und identifikatorische Assimilation, was, übertragen auf den Integrationsbegriff, dem heutigen Forschungsstand recht nahe kommt (Amelina, 2008). Die erste Stufe des Prozesses, die Akkulturation[5] oder kulturelle Assimilation, besteht in der Anpassung an kulturelle Muster der Mehrheitsgesellschaft (core-group), die der Migrant zur Handlungsorientierung in der Aufnahmegesellschaft benötigt (Dietrich, 2002). Als zweite Stufe folgt die strukturelle As- similation, die Integration in gesellschaftliche Institutionen. Die letzte Stufe beinhaltet die weitgehende Angleichung an die Aufnahmegesellschaft: die identifikatorische As- similation. Als Kultur der Mehrheitsgesellschaft (dominante Leitkultur) wird die der ersten Einwanderer, der sogenannten WASP (White, Anglo-Saxon Protestants) begriffen (Amelina, 2008). Im Gegensatz zum Modell der Chicagoer Schule verläuft der Assimilationsprozess jedoch nicht zwangsläufig Stufe auf Stufe ab und die Endstufe- vollständige Anpassung- muss nicht zwangsläufig erreicht werden (Dietrich, 2002). Damit Migranten die gesellschaftlich erwünschte Endstufe erreichen, sind Interventionen durch die Aufnahmegesellschaft durchaus zielführend. Gordon kombiniert darüber hinaus sein Assimilationsmodell mit einer Analyse der Sozialstruktur der amerikanischen Gesellschaft, die nach einer Kombination von Klassenzugehörigkeit und ethnischer Zugehörigkeit strukturiert sei. Er führt den Begriff der ethclass ein und begreift somit ethnische Zugehörigkeit als zentrales Merkmal der Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen und Macht (Dietrich).

2.3.3 Strukturelles Migrationsmodell von Hoffmann-Nowotny

Dieses Modell stellte Hoffmann-Nowotny nach Analyse der Situation von Arbeitsmigranten in der Schweiz auf. Nach Hoffmann Nowotny stellt das Gefälle von Macht und Prestige zwischen Aufnahmegesellschaft und Migranten den Motor für Anpassungsbestrebungen der Migranten dar (Dietrich, 2002). Die Assimilation an die Aufnahmegesellschaft ist die beste Bedingung, einen höheren sozialen Status zu erhalten. Neben der so begründeten Motivation der Migranten ist nach Nowotny die Struktur des Aufnahmelandes bestimmend für den Status, den Migranten in der Aufnahmegesellschaft einnehmen können. Die Gesellschaft muss „den Zugang zu zentralen Statuslinien für Migranten öffnen“ (Dietrich, 2002, S.16). Geschieht dies nicht, kommt es zur „Unterschichtung der einheimischen Gesellschaft, ‚das heißt, unter die bestehende Struktur wird eine ethnisch fremde und politisch rechtlose Schicht geschoben‘“(Seifert, 1995; zitiert nach Dietrich, 2002, S.16). Hierdurch erhält die einheimische Bevölkerung die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Nach Nowotny kommt also der Aufnahmegesellschaft eine entscheidende Rolle im Assimilationsprozess zu.

2.3.4 Handlungstheoretisches Modell von Hartmut Esser

Von besonderer Bedeutung für die Migrationsforschung im deutschsprachigen Raum ist das handlungstheoretische Modell des deutschen Soziologen Hartmut Esser(1980), welches in besonderem Maße die Integrationspolitik in Deutschland beeinflusst hat und auch heute noch in weiten Teilen bestimmt. Es handelt sich um eine individualistische Integrations-, bzw. Assimilationstheorie, die auf der “kognitiven Theorie des Lernens und Handelns von Personen [und dem] methodologischen Individualismus [basiert]“ (Reinhold, 2000, zitiert nach Buschbeck, 2004, S.12). Mit Eingliederung beschreibt Esser (1980) alle Prozesse der Herauslösung der Zugewanderten aus ihren alten Bezugssystemen (De-Sozialisation) und alle Beziehungen der Migranten zum System der aufnehmenden Gesellschaft (Re-Sozialisation). Esser unterscheidet, in Rückgriff auf den englischen Soziologen David Lockwood, zwischen Systemintegration und Sozialintegration. Systemintegration bedeutet den Zusammenhalt eines sozialen Systems in seiner Ganzheit (Markt, Organisation, Medien) (Esser, 2001). Das Verständnis, dass nur integrierte Systeme stabile Systeme sind, geht auf die strukturell-funktionale Handlungstheorie des amerikanischen Soziologen Talcott Parsons (1964) zurück. Die Sozialintegration gliedert Esser (1980; 2001) in 4 Dimensionen:

1.Kulturation: Aneignung kognitiver Kompetenzen (Sprache, Fertigkeiten, Situationserkennung)
2.Plazierung: Besetzung sozialer Positionen
3.Interaktion: Soziales Handeln,
4.Identifikation: Identifizieren der Akteure mit dem sozialen System, Zugehörigkeitsempfinden

„Die Sozialintegration kann sich bei fremdethnischen Migranten und anderen ethnischen Minderheiten auf (mindestens) drei unterschiedliche gesellschaftliche ‚Systeme‘ beziehen: Das Herkunftsland, das Aufnahmeland und die ethnische Gemeinde im Aufnahmeland“ (Esser, 2001, S.19).

Sozialintegration nach Esser

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Typen der Sozialintegration (Esser, 2001, S.19)

Um Marginalisierung (keine soziale Integration in beide Gesellschaften), oder Segmentation (Sozialintegration in ein binnenethnisches Milieu und Exklusion aus der Aufnahmegesellschaft) zu verhindern, sieht Esser als alleinigen Weg die Sozialintegration in die aufnehmende Gesellschaft, die er als Assimilation bezeichnet. „Die Mehrfachintegration ist zwar logisch ein möglicher, faktisch jedoch ein kaum wahrscheinlicher Fall

[…] Dieser Typ der ‚multikulturellen‘ Sozialintegration käme allenfalls für Diplomatenkinder in Frage“ (Esser, 2001, S.21).

Assimilation, d.h. die Sozialintegration von Migranten in die aufnehmende Gesellschaft wird von Esser (1980) analog zur Sozialintegration allgemein in 4 Dimensionen eingeteilt:

1. Kulturelle Assimilation: Erlernen der Sprache des Aufnahmelandes, Kennenlernen /Erlernen von Normen und Werten der Aufnahme Gesellschaft
2. Strukturelle Assimilation: Einnahme von Positionen vorrangig auf dem Arbeitsmarkt
3. Soziale Assimilation: Übernahme von Lebensformen, Gebräuchen etc. der Aufnahmegesellschaft, Zunahme interethnischer Kontakte
4. Emotionale (identifikatorische) Integration: Gefühlsmäßige Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft, „Wir- Gefühl“.

Esser betont, dass kulturelle und strukturelle Assimilation der sozialen Assimilation voraus gehen. Erst wenn alle drei gelingen, folgt daraus gegebenenfalls die identifikatorische Assimilation.

In Essers Theorie liegen die Voraussetzungen für soziale Integration zum einen beim Migranten als lernenden und handelnden Subjekt (Personenhypothese), zum anderen aber in den Gegebenheiten der aufnehmenden Gesellschaft (Umgebungshypothese), welche förderlich für die Assimilation sein oder als Assimilationsbarrieren fungieren können (Esser, 1980).

2.3.5 Offene, mehrdimensionale Integrationsmodelle

Offene Integrationsmodelle entstanden seit den 60er Jahren im Zuge der Bürgerrechtsbewegung (Dietrich, 2002). Während in den oben exemplarisch skizzierten Integrationsmodellen Integration als unilinear verlaufender Prozess, welcher auf Anpassung, Angleichung, Assimilation der Migranten an eine ethnisch und kulturell homogen gedachte Aufnahmegesellschaft gesehen wird, wird in den sogenannten offenen, mehrdimensionalen Integrationsmodellen, nach Bade und Bommes (2004), Integration als wechselseitiger Prozess aufgefasst, der in verschiedenen gesellschaftlichen Dimensionen stattfindet und sowohl von Migranten als auch der Einwanderungsgesellschaft zu gestalten ist. Darüber hinaus wird in offenen Ansätzen die Möglichkeit einer Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft ohne Aufgabe der Identifikation mit der Herkunftsgesellschaft eingeräumt (Auernheimer, 2003). Der normativen Ausrichtung der assimilatorischen Ansätze wird die Anerkennung der Diversität und die Bedeutung von Differenz gegenübergestellt, die es als Chance für die heterogene Einwanderungsgesellschaft zu nutzen gilt (Santel, 2000).

2.3.5.1 Integrationsdimensionen nach Heitmeyer/Anhut

Entsprechend einem offenen Integrationsmodell formulierten Wilhelm Heitmeyer und Reimund Anhut (2000) folgende Integrationsdimensionen:

1. Individuell-funktionale Sytemintegration

Diese beinhaltet die Teilhabe am Bildungs-, und Ausbildungssystem und die Integration am Arbeits-, und Wohnungsmarkt.

2. Kommunikativ-interaktive Sozialintegration

Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen, faire Lösung von Interessenskonflikten.

3. Kulturell-expressive Sozialintegration

Anerkennung und Akzeptanz der kollektiven und sozialen Identität (Gaitanides, 1999).

2.3.5.2 Modell der pluralistischen Assimilation

Bereits 1953 unterteilte der australische Psychologe Ronald Taft die Assimilationsmodi von Einwanderern in 3 Typen (Pries, 2012). Während monistische Assimilation vollständige Anpassung der Einwanderer an die dominante Leitkultur des Aufnahmelandes meint, entwirft er als 2. Typ das Modell der pluralistischen Assimilation, welches eine partielle Anpassung an die öffentlichen Verkehrsformen und die politische Kultur der Aufnahmegesellschaft, bei Bewahrung der ethnischen Identität unter den Bedingungen von Gleichberechtigung und Toleranz beinhaltet.

Taft beschreibt als drittes Modell das der Interaktionistischen Assimilation, welches ein Lernen und Annähern auf gleichberechtigter Basis beinhaltet. „Assimilation is thus viewed by us in the light of this two-way interaction with resulting group norms emerging from the interaction of the original norms of the members of both groups”. (Taft, 1953; zitiert nach Pries, 2012, S.16)

Von Migranten kann eine Anpassung an die in der politischen Kultur verankerten Prinzipien, jedoch keine Anpassung an die dominierende Lebensweise der Aufnahmegesellschaft gefordert werden (Govaris, Athanassiadis, Xanthakou & Kaila, 2009, S.175). Dieses Modell, was die ethnische und kulturelle Pluralität ausdrücklich begrüßt, entspricht im Wesentlichen dem liberalen Multikulturalismus. Unter Kultur versteht Heckmann (1997) „grundlegende Idendifikationsmuster, die kollektive Orientierungen und individuelle Identitäten prägen und aus Merkmalen wie Ethnizität, Sprache oder Religion gespeist werden können“ (S. 51). Multikulturalismus ist ein Konzept mit dieser kulturellen Vielfalt umzugehen. Hierbei sind zwei entscheidende Herangehensweisen zu unterscheiden. „Das Konzept der Gleich- und das Konzept der Sonderbehandlung“ (Schmitz, 1998; zitiert nach Dietrich 2002, S.29). Nach dem Prinzip der Gleichbehandlung, soll „jedes Individuum unabhängig von Schicht, Einkommen, Bildung, Geschlecht, Religion und Ethnizität, gleiche Chancen haben, gesellschaftliche Positionen zu erreichen, am öffentlichen Leben teilzunehmen und politische Ämter zu begleiten“ (Dietrich, 2002, S.20). Dies soll durch eine „differenz- beziehungsweise farbenblinde Verfassung garantiert werden“ (S.20). Nach Kymlicka (1995) bestimmt die Kultur die individuellen Handlungskompetenzen des Individuums (range of options) (Dietrich, 2002). In einem anderen kulturellen Umfeld stehen aber diese Wahlmöglichkeiten nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung (Kymlicka). Da jedoch „gleiche formale Rechte unter faktisch ungleichen Bedingungen für die betreffenden Personen ungleiche Rechte und Chancen bedeuten“ (Gerdes, 1996; zitiert nach Dietrich, 2002, S.21), wurde von Will Kymlicka die Theorie des kultursensitiven liberalen Multikulturalismus entwickelt. Dieser verfolgt das Ziel der Sonder- bzw. Gruppenbehandlung: „Gruppenspezifische Behandlung erkennt ethnische Diversität an und versucht aus der ethnischen Diversität hervorgegangene Benachteiligungen durch eine nach Gruppen organisierte Arbeitsweise zu berücksichtigen und dadurch zu kompensieren“ (Dietrich, 2002, S.42). Auf dieses Modell des kultursensiblen, liberalen Multikulturalismus beruft sich das Konzept des kanadischen Multikulturalismus (multikulturelles Bildungsangebot, ethnokulturelle Medien, Multikulturalismus Gesetz etc.).

Die Kritik am Modell des Multikulturalismus ist vielfältig. „So berge die Ethnisierung von Politik die Gefahr einer Politisierung von Ethnizität. Der Multikulturalismus stellt ethnische Differenz als Mittel der Auseinandersetzung und als Ressource der Konfliktaustragung zu Verfügung und reproduziert sie somit als soziale Tatsache“ (Radtke, 1994; zitiert nach Dietrich, 2002, S.26). Gerade nach dem 11.September 2001 führte eine ähnliche Argumentation in Bezug auf religiöse Identität und Fokussierung auf den Islam in der westlichen Welt zu massiver Kritik am Multikulturalismus (Dietrich). Der Anthropologe R. D. Grillo (1998) weist darauf hin, dass in der Politik aber auch in den Sozialwissenschaften der Begriff Kultur zum „central all-embracing concept [wird]“ (Grillo 1998; zitiert nach Marvakis & Parsanoglu, 2009, S.41). Sie wird zur zentralen

Signifikanten, nach der gesellschaftliche Verhältnisse analysiert werden. Der Perspektivenwechsel von Gesellschaft zu Kultur führt aber dazu, dass der Fokus auf Differenz gelegt wird und die Ungleichheit soziökonomischer Verhältnisse vernachlässigt wird (Marvakis & Parsanoglu). Athanasios Marvakis bezeichnet dieses Phänomen als „Kulturalisierung sozialer Ungleichheit“ (Grimm & Ronneberger, 1994; zitiert nach Marvakis & Parsanoglu, 2009, S.41).

2.3.5.3 Das normative Modell einer multikulturellen Gesellschaft

Basierend auf der Theorie des Kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas (1983) und der Idee der idealen Kommunikations-Gemeinschaft von Karl Otto Apel (1988), entwickelte der Sozialpädagoge Stefan Gaitanides (1999) das normative Modell einer multikulturellen Gesellschaft.

Er formuliert darin Zielvorstellungen für das interkulturelle Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft und zeigt auf, wie diese Zielvorstellungen institutionalisiert werden können (Gaitanides, 1999). Als Ziele definiert er:

- Wechselseitige Anerkennung als gleichberechtigte, autonome Personen
- Authentische und autonome Darstellung und Vertretung der eigenen Identität und Bedürfnisse
- Bemühung um rationale, dialogische Verständigung und Erzielung von Einver- ständnissen über gemeinsame Regeln des Zusammenlebens
- Horizonterweiterung und wechselseitige Lernprozesse durch Perspektiven- wechsel und Perspektiven Verschränkung. (Gaitanides, 1999, S.2)

Zur Umsetzung dieser Ziele in der Gesellschaft fordert er folgende Bedingungen:

1. „Kultureller Pluralismus durch Trennung von Staat und kulturellen Gemein- schaften“ (Gaitanides, 1999, S.2)
- gezielte Antidiskriminierungs Politik

2. Öffentliche Anerkennung und Förderung der Minderheiten Kulturen
- Förderung der Herkunftssprache
- Akzeptanz der systemintegrativen Bedeutung von Einwanderer Kolonien

3. Erleichterung der Einbürgerung, Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft, Kommunales Wahlrecht, Einbeziehen ethnischer Selbstorganisationen auf allen Ebenen

4. Förderung von Kulturkontakt

Nach Levi-Strauss (1972) führt Kulturkontakt zu Kulturentwicklung. „Hochkulturen hätten sich immer an den Schnittstellen sich berührender Kulturen durch den Synergieeffekt der kulturellen Differenz entwickelt (Levi-Strauss, 1972; zitiert nach Gaitanides, 1999, S.13)

Zusammenfassend müssen also alle Kulturen in einer multikulturellen Gesellschaft öffentlich anerkannt und gefördert werden. Der Staat muss sich überparteiisch für diese unterschiedslose Förderung einsetzen. Durch den gleichberechtigten Kontakt kann ein herrschaftsfreier Dialog stattfinden, in dem gemeinsame Regeln erstellt werden, die dann auch für alle gelten müssen. „Die kulturelle Kontrasterfahrung führt zwangsläufig zur Infragestellung der kulturellen Überlieferung“ (Gaitanides, 1999, S.2).

Deshalb bezeichnet Gaitanides sein Modell als normativ, weil sich daraus zwangsläufig für alle Seiten neue Werte und Normen ergeben müssen.

Die Beantwortung der Frage, wie dieser Annäherungsprozess begleitet werden kann und vor allem, wie eine gleichberechtigte Basis hergestellt werden kann, muss vor dem Hintergrund der postmodernen, heterogenen Gesellschaft als Querschnittsaufgabe aller Sozialwissenschaften verstanden werden, wobei Theorie- und Handlungsansätze aus der Soziologie, Psychologie, Sozialer Arbeit und der Pädagogik ineinander greifen.

Es geht um eine Ausgestaltung der heterogenen Gesellschaft und damit darum „Annahmen über die Bedeutung kultureller Zugehörigkeiten und Unterschiede kritisch zu dekonstruieren, indem auf die Mehrdimensionalität und Intersektionalität der Kontexte hingewiesen werden soll, in denen individuelle Identitätsbildung und Lebenspraxis situiert ist“ (Benbrahim, 2008, S.22f).

2.4 Wissenschaftstheoretische Ansätze

2.4.1 Soziale Arbeit

Bezugnehmend auf sozialwissenschaftliche Systemtheorien und die aus der Psychologie kommende systemische (Familien-) Therapie entstanden unter dem Sammelbegriff Lebensweltorientierung systemische Ansätze der Sozialen Arbeit (Kleve, 2002). Zentrale Kategorien sind hier „Kommunikation, Anerkennung von Differenz und Dissens, Grenzen des sozialpädagogischen Handels und Reflexion“ (Dewe, 1995; zitiert nach Kleve, 2002, S.37). Lebensweltorientierung bedeutet „das Einlassen auf die eigensinnigen Erfahrungen der AdressatInnen Sozialer Arbeit“ (Thiersch, 1993; zitiert nach Kleve; 2002, S.37.). Anerkennung von Dissens und Differenz bedeutet sowohl Anerkennung der Verschiedenartigkeit, anstatt Unterscheidung von Norm und Abweichung, sowie die Anerkennung unterschiedlicher Wirklichkeitskonstruktionen (Kleve). Kommunikation bedeutet „gemeinsam und partnerschaftlich mit den AdressatInnen, Deutungen für deren problematische Lebenssituation zu entwickeln“ (Dewe, 1995; zitiert nach Kleve, 2002, S.38). Da die Grenzen des sozialpädagogischen Handels im Systemischen Ansatz durch, von außen nicht beeinflussbare In-und Exklusionsregeln der einzelnen Teilsysteme bestimmt sind, steht die Nutzung lebensweltlich bestimmter Ressourcen und deren Empowerment[6] im Fokus systemischer Konzepte in der Sozialen Arbeit.

Als Beispiel soll hier das prozessual-systemische Modell von Staub-Bernasconi (1998) näher erörtert werden, welches die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen von Ressourcen, die in sechs Dimensionen eingeteilt sind, über Austausch und Umwandlungsprozesse determiniert (Sauer, 2009). Diese Ressourcen sind „körperliche Ausstattung (z.B. Hautfarbe), sozioökonomische/ökologische Ausstattung (z.B. Einkommen), erkenntnisbezogene Ausstattung (z.B. Artikulationsfähigkeit), wissensbezogene Ausstattung (z.B. besuchte Schulart), handlungsbezogene Ausstattung (z.B. Kontakt zu unterstützenden Institutionen), auf soziale Beziehungen bezogene Ausstattung (z.B. Austausch mit Personen oder Organisationen)“ (Sauer, 2009, S.222f). Das Vorhandensein von Ressourcen oder ihr Nichtvorhandensein (Defizit) und damit die Zugehörigkeit/Nichtzugehörigkeit in funktionalen Systemen, ist jedoch kein statischer Zustand, sondern befindet sich durch Austauschvorgänge, bei denen Ressourcen umverteilt werden, in einem ständigen Prozess.

Das Erkennen und Stärken vorhandener Ressourcen, Entwicklung neuer Ressourcen sowie deren Vernetzung und Nutzung, führt zu einer besseren Rangordnung im gesellschaftlichen Austauschprozess (Sauer, 2009). Das Zugreifenkönnen auf Ressourcen und deren Vernetzung bedeutet eine Erweiterung des individuellen Möglichkeitsraums in Hinblick auf Handlungsfähigkeit im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext. Hierauf basiert auch die Methode des Case Managements in der Sozialen Arbeit, welche versucht „informelle (nicht-professionelle, lebensweltliche) und formelle (professionelle) Hilfen so effektiv und effizient wie möglich zu verkoppeln“ (Kleve, 2002, S.42). Oder in anderen Worten: „Ziel von Case Management ist es, Fähigkeiten des Klienten zur Wahrnehmung sozialer Dienstleistungen zu fördern, professionelle, soziale und persönliche Ressourcen zu verknüpfen und höchstmögliche Effizienz im Hilfeprozess zu erreichen“ (Neuffer, 1993; zitiert nach Kleve, 2002, S.42).

2.4.2 Soziologie

Mit dem sogenannten Cultural Turn zwischen 1970 und 1990 vollzog sich in den Sozialwissenschaften eine konzeptionelle Verschiebung. „So gehört die Frage des gesellschaftlichen Umgangs mit Differenz und Identität zu den wichtigsten Themen sozialtheoretischer Reflexionen der Gegenwart“ (Mecheril & Plößer, 2009, S.1). Hier ist besonders das Konzept der Differenzlinien von Leiprecht und Lutz (2006), die Ansätze der Intersektionalität im Rahmen der Ungleichheitsforschung nach Aulenbach und Riegraf (2012), Lutz und Herrera (2010), Vivar und Supik (2010) sowie die Diversity Studies nach Adams (2000) zu nennen. Schon 1980 wurden Alter, Geschlecht, Klasse und ethnische Zugehörigkeit von Goffmann als „vier wichtige diffuse Statuskategorien [benannt, welche] ein Raster sich überschneidender Linien [bilden]“ (Goffmann 1994, S.93), anhand derer jeder Mensch in Bezug auf die Statuskategorien lokalisiert werden kann. Lutz und Leiprecht differenzierten in „15 hierarchische Differenzlinien“ (Leiprecht & Lutz, 2005, S.219f), darunter neben sexueller Orientierung, Geschlecht, geistiger und körperlicher Beeinträchtigung auch Sprache, Religion, Herkunft, Migrationshintergrund und Hautfarbe. Von Kreckel (2006) und Beck (2010) wird darüber hinaus die Bedeutung der Staatsangehörigkeit und von Claus Offe (1996) die Bedeutung des Strafrechtes als weitere „folgenreiche“ Differenzlinie definiert (Scherr, 2012). Diese Differenzlinien sind „häufig mit mannigfachen Problemlagen, Benachteiligungen und Negativbewertungen, aber auch - auf der jeweils anderen Seite -Privilegien und Begünstigungen [assoziiert]…Und es ist wenig überraschend, dass entlang dieser Differenzlinien deshalb oft auch unterschiedliche Ressourcen, Lernvoraussetzungen, Lernerfahrungen, Lebensweisen, Krisenbewältigungsmuster festzustellen sind“ (Leiprecht, 2010, S.1). Hier setzt der Intersektionalitäts Ansatz an, nachdem der Mensch immer im Schnittpunkt (intersection) der einzelnen Kategorien gesehen wird. Um ein „Schubladendenken“ zu vermeiden, müssen auf ein Individuum oder ein Kollektiv bezogen, immer mehrere Differenzlinien beachtet werden, die in ihren Überlagerungen und Verknüpfungen „komplexe Macht - und Ungleichheitsdynamiken“ (Mecheril & Plößer, 2009, S.6) hervorrufen. „Z.B. gibt es bildungserfolgreiche und bildungsferne, sozial benachteiligte und mittel-schichtorientierte Familien mit türkischem Migrationshintergrund“ (Leiprecht, 2010, S.3). Hieraus abgeleitet lässt sich der Ansatz Managing Diversity verstehen.

Schröer (2006) betont:

„Nicht mehr der ethnische Unterschied, die interkulturelle Besonderheit und Differenz stehen im Vordergrund der Betrachtung, sondern die Verschiedenheit an sich als Strukturelement moderner Gesellschaften. Die politische und pädagogische Herausforderung wird also nicht mehr in einem Merkmal gesehen, das sich zu einem Stigma entwickeln kann, sondern es wird zuerst nach den sozialen Kontexten gefragt [….] und erst dann danach, wie darin Ethnizität, Geschlecht oder Alter eine bestimmte Rolle spielen“. (Schröer, 2006; zitiert nach Leiprecht, 2008, S.8)

Es geht darum diese Differenzlinien als Realität zu erkennen, Selbst- und Fremdzuschreibungen entlang dieser Differenzlinien kritisch zu hinterfragen, ihre Entstehungsgeschichte, die zum größten Teil mit Dominanz-und Machtverhältnissen in Beziehung steht, zu reflektieren. Davon ausgehend müssen die In-und Exklusionskriterien aller gesellschaftlicher Teilsysteme im Sinne von chancengleicher Teilhabe überprüfen werden (Leiprecht, 2008). In der Ungleichheitsforschung werden hierzu Diversity Ansätze der Geschlechterpädagogik (Gender Mainstreaming), der interkulturellen Sozialarbeit und der interkulturellen Pädagogik (Interkulturelle Öffnung), Disability Studies der Inklusionspädagogik und Ansätze der Queer- Theorie (sexuelle Orientierung) zu einem Managing Diversity Ansatz zusammen geführt (Leiprecht, 2009). Im politisierten Diversity-Modell von Leah Czollek und Gerdrun Perko (2007) wird dieses Zusammenwirken veranschaulicht:

Der politisierte Diversity Ansatz

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Der politisierte Diversity Ansatz von Leah Czollek und Gudrun Perko (Benbrahim, 2008, S.1)

Die Abbildung zeigt, dass die Ziele der Einzelansätze und Strategien zwar auch einzeln Berücksichtigung finden, dass aber erst durch ihr Zusammenwirken, und durch ihr Erfassen in ihrer Gesamtheit, Diversity Ansätze verstanden werden können. Es geht um die „Veränderung homogener Institutionen, hin zu mehr Heterogenität in seiner Komplexität und Intersektionalität“ (Czollek, 2007; zitiert nach Benbrahim, 2008, S.2). Die Umsetzung in den Teilbereichen der Gesellschaft und den jeweiligen Institutionen, „können allerdings nicht auf ein Top-Down-Verhältnis reduziert werden“ (S.202). Appelbaum (2002) weist deshalb darauf hin, dass die Implementierung von Diversity Management immer mit Diversity Education verbunden werden muss (Leiprecht).

2.4.3 Psychologie

Aus dem Bereich der interkulturellen Psychologie stammt eine Vielzahl wissenschaftlicher Ansätze, die sich mit dem Thema Bildung von personaler und sozialer Identität in heterogenen, multikulturellen Gesellschaften befassen. Nach Thomas Meyer (2002) wird Identität als offener Prozess des Aushandelns zwischen dem Selbstbild des Einzelnen und dem Bild, was sich Andere in wechselnden sozialen Zusammenhängen von ihm machen, verstanden. Soziale Identität ist „ein Prozess der Sinnkonstruktion auf der Grundlage eines kulturellen Attributes oder einer entsprechenden Reihe von kulturellen Attributen, denen gegenüber anderen Quellen von Sinn, Priorität zugesprochen wird“ (Meyer, 2002, S.41).

Nun fordern aber „multiple Realitäten multiple Persönlichkeiten“ (Held, 2009a, S.124). Keupp (1999) spricht von Patchwork Identitäten bzw. Verknüpfung von Teilidentitäten. Ein Mensch kann sich so als Frau/Mann, als Mutter/Vater, als Arbeiterin/Arbeiter oder als Sportlerin/ Sportler definieren, und aus dieser Identität heraus verschiedene Handlungsmöglichkeiten in den jeweiligen sozialen Teilbereichen entwickeln. Hier spielen immer auch verinnerlichte oder von außen erwartete Wertvorstellungen und Symbolmuster, kulturelle Attribute, eine Rolle. Kultur bedeutet hier „eine Art Baukasten von Bedeutungen, aus dem bei der Persönlichkeitskonstruktion ein relativ flexibler Bezugsrahmen erstellt wird“ (Vester, 1996, S.85f).

Migranten können potenziell auf zwei kulturelle Baukästen zurückgreifen. Hierbei können Elemente beider Kulturen gemischt werden, was von Stuart Hall (1994) als „Hybridität“ bezeichnet wird, oder die Migranten können in getrennten Lebensbereichen auf Muster aus je einem Baukasten zurückgreifen (Held, 2009a). Welcher Weg eingeschlagen wird, bzw. welche kulturellen Attribute bei der Konstruktion der Identität bzw. Teilidentität bestimmend wirken, hängt stark von der Anerkennung der anderen Akteure im jeweiligen sozialen Umfeld ab. In anderen Worten heißt das, „dass unsere Identität die Anerkennung durch andere voraussetzt“ (Taylor, 1995; zitiert nach Held, 2009a, S.127).

Christine Riegel (2004) hat in einer Studie mit jungen Migrantinnen, den Wunsch auf Zugehörigkeit und Anerkennung als wichtigste Determinante in Hinblick auf Orientierungen und Handlungsweisen benannt. „Ihr Wunsch nach Anerkennung zielt dabei ab auf Anerkennung in ihrer Gleichheit [als Jugendliche] in ihrer Differenz, in ihrer Mehrfachzugehörigkeit und vor allem auf die Anerkennung in ihrer Subjektivität“ (Riegel, 2004, S.29).

Nicht auf die Phänomen der Identitätsbildung beim Heranwachsen in heterogenen, multikulturellen Gesellschaften, sondern auf die wechselseitigen Veränderungen in kulturellen Mustern, die zu beobachten sind, bezieht sich das bekannte, von dem amerikanischer Psychologen John W. Berry entwickelte und anderen Wissenschaftlern weiterentwickelte Modell der Akkulturation. „When groups of individuals having different cultures come into continuous first-hand contact with subsequent changes in the original culture patterns of either or both groups“ (Berry, 1997, S.7). Der Begriff Akkulturation wird in der interkulturellen Psychologie gebraucht und „benennt den Prozess des Hineinwachsens einer Person in ihre soziokulturelle Umwelt“ (Riegel, 2004, S.64). Wie bei dem interaktionistischen Modell von Taft (siehe Kapitel 2.3.5.2), stehen bei Berry das Verhältnis und der Umgang zwischen kulturell unterschiedlichen Gruppen im Focus. In einem wechselseitigen Verständigungsprozess muss geklärt werden, in welchem Umfang kulturelle Besonderheiten aufrechterhalten werden und in welchem Umfang Kontakt mit anderen kulturellen Gruppen und Einzelnen aufgenommen wird (Pries, 2012). Hieraus ergibt sich ein Akkulturationsschema, welches Berry (1997) in einem Vier-Felder Schema darstellt:

Vier Akkulturationsstrategien nach Berry

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Vier Akkulturations Strategien nach Berry (1997, S.10)

Bewahrung der Kultur und Identität der eigenen Gruppe sowie gleichzeitige Aufnahme von Beziehungen zur und Teilhabe an der anderen Kultur, also Integration, stellt für Berry die beste Voraussetzung für gelingende Teilhabe in multikulturellen Gesellschaften da. “Acculturation strategies have been shown to have substantial relationships with positive adaptation: integration is usually the most successful; marginalisation is the least; and assimilation and separation strategies are intermediate. This pattern has been found in virtually every study, and is present for all types of acculturating groups” (Berry, Phinney, Sam & Vedder, 2006, S.232ff).

Berry selbst weißt 2001 daraufhin, dass den Akkulturationsstrategien auf Seite der Migranten vier Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft den Akkulturationsstrategien entsprechen. So ist Ausgrenzung von Migranten das Pendant zu Marginalisierung der Migranten, Segregation von Migranten das Pendant zu Separierung von Migranten, Verschmelzen mit der Mehrheitskultur das Pendant von Assimilation an die Aufnahmekultur und Anerkennung der Multikulturalität (Multikulturalismus) das Pendant zu Integration (Friederici, 2001, S.20). Integration stellt somit den sozialpsychologischen Prozess da, der dem Multikulturalismus zu Grunde liegt (Friederici, 2011).

2.4.4 Pädagogik

Wissenschaftlichen Ansätzen der Pädagogik kommt, in Bezug auf die Ausgestaltung der Lebenswelten des Einzelnen, sowie in Bezug auf Veränderungen der gesellschaftlichen Kontextbedingungen in multikulturellen Gesellschaften, eine besondere Rolle zu (Benbrahim, 2008). Sie haben erheblichen Einfluss sowohl auf der Makroebene (institutionelle Strukturen, Legislative) als auch auf der Mikroebene (Wissensvermittlung, Lernprozesse und Formung von Einstellungen in der multikulturellen Realität). Die Auseinandersetzung mit Differenz ist hierbei ein zentrales Thema. “Hier bieten sozialkonstruktivistische Differenzverständnisse, aber auch dekonstruktive Differenzansätze der Pädagogik alternative Sichtweisen auf und Umgangsweisen mit Differenz an“ (Mecheril & Plößer, 2009, S.2). Sozialkonstruktivistisches Differenzverständnis geht davon aus, dass Differenzverhältnisse sozial und unter Eigenbeteiligung erzeugt werden und dass Anerkennung von Differenz immer mit der Frage, wie Differenzen hergestellt werden, verbunden werden muss. Darüber hinaus führt aus sozialkonstruktivistischer Sicht die Anerkennung von Differenz zu einer Produktion sozialer Realitäten (Mecheril & Plößer). „‚Doing gender‘, bzw. allgemein ‚doing difference‘ heißt somit auch immer ‚doing inequality‘“ (Fenstermaker & West, 2002, zitiert nach Mecheril & Plößer, 2009, S.6).

Die dekonstruktive Differenztheorie postuliert, dass die Beschäftigung mit Differenzen per se zu einer Festschreibung der Differenzsetzung und so zur Reproduktion der ihr innewohnenden symbolischen Ordnungs- und Ausschlussmerkmale führt. „Dekonstruktive Strategien stellen damit die symbolische Ordnung selbst in Frage, sie zielen auf Vervielfältigung von Identitäten und auf die Herausführung von Identitätslogik aus dichotom und oppositionell strukturierten Differenzschemata“ (Mecheril & Plößer, 2009, S.8). Damit führt dieser Ansatz weg von der Anerkennung der Differenz hin zur Anerkennung von Diversität.

Für die pädagogische und sozialarbeiterische Praxis stellen diese Ansätze wichtige Perspektiven da, die zur kritischen Selbstreflexion in Hinblick auf die Konzipierung von Projekten und die tägliche Arbeit im heterogenen und multikulturellen Kontext anregen. Da Differenzen in der Realität verbunden sind mit Phänomen wie Ausgrenzung, Diskriminierung, unterschiedlicher Verteilung von und unterschiedlichen Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen, führt hier ein Verzicht auf die Einbeziehung von Differenz zu einer völligen Schieflage. Die in den oben genannten Bereichen Tätigen sollten sich jedoch bewusst machen, dass sie gleichzeitig mit ihrem Bemühen Ungleichheiten auf Grund von Differenzverhältnissen entgegenzuwirken, genau diese Differenz reproduzieren (Mecheril & Plößer, 2009).

Leben in einer multikulturellen Gesellschaft bedeutet daher für alle und auf jeder Ebene einen dauerhaften Lernvorgang. Pädagogische Lerntheorien müssen, diesem Umstand entsprechend, an die Diversität angepasst werden. Ein multikulturelles Umfeld erfordert multiple Lernstrategien und eine differenziertere Betrachtungsweise von lernfördernden und lernhemmenden Strukturen. Hier soll im Folgenden der sozio-kulturelle Ansatz, der von Lew Wygotski (1896 -1934) entwickelt und von anderen Pädagogen der sozialkulturellen Schule weiterentwickelt bzw. auf das Lernen im multikulturellen Kontext hin erweitert wurde, erläutert werden. Wygotski entwickelte ein dreidimensionales Systemmodell in dessen Mittelpunkt das „aktive Kind in seinem sozialen Kontext“ steht (Miller, 1983, zitiert nach Held, 2009b, S.234). Den sozialen Kontext bildet die MikroEbene Familie und die Makroebene Gesellschaft. Diesen Ebenen wurden später als Mesoebenen die Bereiche Institution und Religion zugefügt und schließlich - als 5. Dimension - die globale Ebene Welt. Je nach Lebensalter tritt das Kind mit Akteuren dieser Ebenen in Kontakt und eignet sich durch Interaktion und Kommunikation sowohl soziale als auch kulturelle Bedeutungsmuster und auch Wertvorstellungen an, aus denen es seine Identität konstruiert (Held). Eine besondere Stellung nimmt in Wygotski Theorie die Sprache ein, die er als Umgebung bezeichnet „in der der Mensch gedeiht, sich in der sozialen Entwicklungssituation konstruiert“ (Wygotski, 1834, zitiert nach Maslo, Meiksane & Ausmaspona, 2009, S.151). Er unterscheidet zwischen rudimentä- rer und finaler Sprache und postuliert, dass Kinder von Anfang an eine finale Sprache brauchen, die sie nur in Interaktionen/Kommunikation mit Einheimischen erwerben können. Ferner formulierte Wygotski das Konzept der proximalen Entwicklung. Er geht davon aus, dass Kinder nicht nur aus vergangenen Kontexten gelernt haben, oder nur im momentanen Kontext lernen, sondern dass insbesondere die Vorstellung von dem, was in Zukunft für sie möglich sein wird, das Lernverhalten bestimmt (Held, 2009b).

3. Integrations- Ausländerpolitik

3.1 Einwanderungsgeschichte in der BRD/ „Ausländerpolitik“

Migrations - und Integrationspolitik waren und sind in allen traditionellen Einwanderungsländern, wie beispielsweise den USA, Kanada oder Frankreich, von Anfang an eng miteinander verknüpft. Die Bundesrepublik Deutschland, welche, im Vergleich zu diesen Ländern, über lange Zeit statistisch sogar mehr Zuwanderer aufnahm als diese, ließ jedoch bezüglich dieser sinnvollen und notwendigen Verknüpfung, mehrere Jahrzehnte verstreichen (Landeszentrale für Politische Bildung [LpB], 2011). Die Erkenntnis, de facto ein Einwanderungsland zu sein, und das offizielle Bekenntnis dazu, wurde erst fünfzig Jahre, nachdem die erste Generation der Arbeitsmigranten, die sogenannten Gastarbeiter, in dieses Land kam, über alle politischen Parteien hinweg anerkannter Konsens (Robert Koch Institut [RKI], 2008). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Folgen von Migration, sowohl für die Zuwanderer, als auch für die deutsche Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, begann somit erst zu einem Zeitpunkt, als bereits jeder Fünfte in Deutschland Lebende einen Migrationshintergrund hatte (RKI, 2008). Die Geschichte der deutschen Ausländerpolitik war „gekennzeichnet durch eine Nichtakzeptanz gesellschaftlicher Realitäten, durch Festhalten an der ideologischen Fiktion des Nichteinwanderungslandes sowie durch parteiübergreifende Erkenntnisverweigerung“ (Krummacher & Waltz, 1996; zitiert nach Dietrich, 2002, S.66).

Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz wurde Anfang 2005 erstmals die Förderung von Integration als Aufgabe des Bundes festgeschrieben und durch den NIP in Angriff genommen. Die politischen Regelungen vor diesem Zeitpunkt bezogen sich nahezu ausschließlich auf die Steuerung von Migration, verbunden mit einer Ausgestaltung der Ausländerpolitik. Die Migrations- bzw. Ausländerpolitik vor dem NIP kann in mindestens 6 Phasen eingeteilt werden (Deniz-Onur, 2010; Butterwegge, 2005; Seifert 2012a):

[...]


[1] Zur besseren Lesbarkeit der Arbeit wird auf die Nennung der weiblichen Formen verzichtet. Mit der männlichen Attributierung sind immer auch weibliche Personen eingeschlossen, wenn es nicht explizit hervorgehoben wird.

[2] Da die Bezeichnungen in der verwendeten Literatur unterschiedlich sind, wird in dieser Arbeit die Bezeichnung „Migranten“ synonym mit der 2005 eingeführten Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ verwendet. Hier sind also auch Menschen einbezogen, die selbst keine Migrationserfahrung haben, z.B. 2. oder 3. Generation. Sind spezielle Gruppen wie Arbeitsmigranten, Asylsuchende etc. gemeint, werden sie explizit benannt. Der Terminus „Menschen mit Migrationshintergrund“ wird darüber hinaus in Abgrenzung zu Menschen „ohne Migrationshintergrund“ verwendet.

[3] Differenzlinien: Beschreibung folgt in Kapitel 2.4.2

[4] System- und Differenzierungstheorie wird im Kapitel 2.4.2 näher erörtert, wobei eine ausführliche Darstellung der Theorie(n) den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

[5] „Akkulturation findet dann statt, wenn Mitglieder unterschiedlicher Kulturen dauerhaft aufeinander treffen und in einen Austausch geraten. Hier kommt es zu kulturellen Veränderungen in beiden Ausgangskulturen“ (Bongard, Kelava, Gilan, & Sabic, 2002, S.3)

[6] Empowerment ist die „Befähigung oder Ermächtigung Betroffener, ihre Interessen zu erkennen und selbstbewusst zu vertreten“ (Wright, 2010, S.119)

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Partizipation als zu forderndes Kernelement der Integrationspraxis in der heterogenen Einwanderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
Hochschule
SRH Hochschule Heidelberg  (Fakultät für Sozial- und Rechtswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
84
Katalognummer
V285703
ISBN (eBook)
9783656861515
ISBN (Buch)
9783656861522
Dateigröße
1335 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Integration, Partizipation, Gesundheitsförderung, Migration, Assimilation, Public-Health, Ausländerpolitik
Arbeit zitieren
Joscha Rascho (Autor:in), 2013, Partizipation als zu forderndes Kernelement der Integrationspraxis in der heterogenen Einwanderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285703

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