Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
2. Die spanische Inquisition
3. “La Lozana Andaluza“ – Entstehung und Handlung
3.1 Die Entstehung des Werks
3.2 Die Handlung
3.3 Interpretation und interpretatorische Schwierigkeiten
3.4 Die Rolle des Autors
3.5 Intertextuelle Bezüge
4. Delicados Werk und die spanische Inquisition
5. Abschließende Bemerkungen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Rahmen des Hauptseminars „Spanische Mythen VI: Inquisition und Literatur“ habe ich mich dem Werk “La Lozana Andaluza“[1] von Francisco Delicado gewidmet und es im Hinblick darauf untersucht, warum es in Spanien des 16. Jahrhunderts unter der Inquisition nicht erscheinen konnte. Zentrale Fragestellung ist hierbei, welche Gründe es gegeben haben könnte, dass “La Lozana Andaluza“ zwar in Italien, aber nicht in Delicados Heimatland Spanien veröffentlicht wurde.
Im ersten Teil dieser Arbeit gebe ich zunächst eine kurze Übersicht über die Inquisition in Spanien und die damit einhergehende Problematik bezüglich Literatur. Der zweite Teil bietet eine kurze Zusammenfassung der zentralen Handlung sowie Informationen zur Entstehung des Werks, welches der Bibliothek der erotischen Weltliteratur zugeschrieben wird. Einhergehend werden auch Interpretationsmöglichkeiten sowie interpretatorische Schwierigkeiten aufgezeigt, sowie relevante Informationen zum Autor und seiner Biografie betrachtet. Insbesondere dessen Rolle als Instanz innerhalb der Handlung stellt einen interessanten Aspekt dar. Weiterhin werden intertextuelle Bezüge angesprochen, die im Werk eine gewisse Rolle spielen. Darauf folgt der eigentliche Mittelpunkt der Arbeit, nämlich die Analyse des Werks im Hinblick auf die Problematik bezüglich der Inquisition zur damaligen Zeit in Spanien. Dabei werde ich mich auf die in meinen Augen wichtigsten und zentralsten Aspekte beschränken.
In einer abschließenden Bemerkung wird das zuvor Genannte zusammengefasst und bewertet. Es wird sich zeigen, dass “La Lozana Andaluza“ eine breite Angriffsfläche für die Inquisitoren des Siglo de Oro bot und es unter den genannten Gesichtspunkten durchaus nachvollziehbar ist, warum dieses literarisch sehr wertvolle Werk auf dem Index in Spanien landete. Darüber hinaus biete ich einen Ausblick auf weitere zu untersuchende Punkte im Zusammenhang mit dem hier behandelten Werk, die allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden und daher nur kurz angeschnitten werden.
2. Die spanische Inquisition
Die spanische Inquisition soll in diesem Kapitel kurz und zusammenfassend erläutert werden, um als Grundlage für die folgenden Kapitel zu dienen. Dabei werden nur für diese Arbeit relevante Aspekte berücksichtigt. Die Inquisition ist laut Lemm[2] nicht als „[…] christliche oder kirchliche Erfindung“ zu betrachten, sondern „[s]ie ist eine uralte Form von Kontrolle über das geistige Gemeinwohl, die mehr oder weniger jeder Staat, jede organisierte menschliche Gemeinschaft jeweils ihrer Natur gemäß handhabt.“[3] Diese Definition klingt auf den ersten Blick nicht weiter bedenklich, doch wenn man sich die spanische Inquisition genauer anschaut, verwirft man schnell den Gedanken der Harmlosigkeit.
Die Einführung der spanischen Inquisition war eng verbunden mit der politischen Geschichte Spaniens im 15. Jahrhundert, „als Spanien zu einer Einheit zusammenwuchs“[4]. Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón vermählten sich und mussten innere und äußere Missstände in Form von politischen Problemen bekämpfen.[5] Doch die Inquisition hatte ihren Ursprung schon im 14. Jahrhundert, nämlich 1391, als Christen aus Écija 4000 Juden in Sevilla umbrachten. Daraufhin ließen sich sehr viele Juden umtaufen, um dieses Schicksal zu umgehen. Dadurch konnten sie innerhalb der Gesellschaft höhere Positionen einnehmen und ein friedliches Leben führen. Diese zum Christentum konvertierenden Juden wurden als conversos bezeichnet und waren häufig für ihr enormes Wissen in vielen Gebieten bekannt. „Christen waren [die meisten von ihnen jedoch] nur zum Schein.“ Sie hielten an jüdischen Bräuchen fest und zelebrierten diese im Geheimen.[6] Die Inquisition wurde bald aufgrund der von Papst Sixtus IV. erlassenen päpstlichen Bulle Exigit sincerae devotionis (1478) in die Hände der Monarchen gelegt und das Königspaar konnte sie in Kastilien ausführen. Juden und Mauren, die lediglich offiziell zum Christentum wechselten, ihre ursprüngliche Religion jedoch weiter ausübten, wurden als Häretiker verfolgt und als Bedrohung für die Regierung angesehen. Sie wurden vor das Inquisitionsgericht gestellt und durchlebten entsprechende Verfahren. Die Inquisitoren setzten Verbrennungen und andere Strafen wie Folter an, worauf viele Menschen flüchteten. Lea spricht weiterhin von willkürlichen Strafen, Bestechung und Erpressung.[7] Viele Betroffene söhnten sich mit der Kirche aus und konnten gegen verschiedene Bußauflagen wieder in die Kirche aufgenommen werden. Es gab jedoch auch die Möglichkeit, sich frei zu kaufen und mit einer Spende seine Frömmigkeit zu beweisen, was den Korruptionscharakter der Inquisition deutlich macht. Andere Betroffene gingen u. a. nach Portugal, Italien, Nordafrika ins Exil und überließen ihren gesamten Besitz ihren Verfolgern und dem Königshaus. Die Regierung konnte sich an der Inquisition finanziell stark bereichern.[8]
Insbesondere das Gebiet der Literatur fiel in das Interesse der Inquisitoren. Jegliche Schriften, die Kritik an der christlichen Kirche und an der Regierung enthielten oder scheinbar enthielten, wurden verboten bzw. erst nach einer Überarbeitung oder Zensur wieder zugelassen.
Auch außerhalb Spaniens breitete sich die Inquisition aus. Die für diese Arbeit interessante römische Inquisition entwickelte sich im 16. Jahrhundert[9] und betraf somit auch den zu dieser Zeit dort lebenden Autor von “La Lozana Andaluza“, Francisco Delicado.
Die spanische Inquisition dauerte fast 400 Jahre an und fand schließlich 1834 unter Isabella II ein Ende.[10]
3. “La Lozana Andaluza“ – Entstehung und Handlung
3.1 Die Entstehung des Werks
Zur Erstveröffentlichung von “La Lozana Andaluza“ finden sich in der Literatur unterschiedliche Informationen, doch die am meisten verbreitete ist, dass das Werk 1528 in Venedig zum ersten Mal gedruckt und veröffentlicht wurde, was zunächst anonym geschah. Francisco Delicado bekannte sich zu diesem Dialogroman aufgrund des unerwarteten Erfolgs in einem seiner späteren Werke.[11] Der in Córdoba geborene Autor, der ursprünglich Delgado hieß und sich im Zuge seiner Umsiedelung nach Rom in Delicado umbenannte, war u.a. katholischer Priester und Vikar[12], was im Zusammenhang mit der hier untersuchten Thematik als wichtige Information anzusehen ist. Seine genaue Abstammung ist unklar, da nicht viel von ihm bekannt ist, doch findet man häufig die Information, er sei ein converso gewesen.[13] Er lebte in Rom von 1523-1527, was auch der Zeitraum gewesen sein soll, in dem er das Werk verfasst hat. Die dann veröffentlichte Fassung wurde von ihm durch nachträgliche Einschübe und Veränderungen überarbeitet, womit er u. a. die Erwähnung des Sacco di Roma, die Plünderung Roms, im Jahr 1527, als wichtige Thematik in den Roman integrierte.[14] Andere Exemplare des Werks gelten als verschwunden, es wurde erst im 19. Jahrhundert in Wien wieder entdeckt und neu auferlegt.[15] Tatsächlich wurde es erst im späten 19. Jahrhundert in Spanien sowie in weiteren Ländern durch Neuveröffentlichungen und Verfilmungen bekannt.[16] Es finden sich in der Literatur jedoch auch abweichende Meinungen zur Entstehung des Werks, insbesondere, was die Überarbeitung und dessen Zeitpunkt betrifft, doch ist die hier vorgestellte Theorie die am häufigsten anzutreffende.
3.2 Die Handlung
Die Handlung in “La Lozana Andaluza“ soll hier nur kurz dargestellt werden, um einen groben Überblick zu schaffen. Sie ist in drei Abschnitte unterteilt und fängt nach einem kurzen Prolog Delicados an, den er mit “Ilustre señor“(LLA[17]: 33) beginnt, was man durchaus als Widmung annehmen kann. Wer besagter “señor“ ist, bleibt unklar. Weiterhin gibt Delicado an: “que solamente diré lo que oí y vi […]“ (LLA: 33). Damit betont er bereits vorab den realistischen Hintergrund der Handlung, was ihn als Vertreter des Renaissance-Humanismus auszeichnet.[18]
In der eigentlichen Handlung geht es um die ca. 1490[19] in Córdoba geborene Aldonza, die bei ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters, den sie später als “muy putañero“ und als “jugador, que jugara el sol en la pared“ (LLA: 49) bezeichnet, lebt. Sie ziehen gemeinsam in Südspanien umher, bis Aldonza, nachdem auch ihre Mutter stirbt, zu einer als „Tante“ bezeichneten Frau nach Sevilla geht. Sie trifft dort den italienischen Kaufmann Diomedes und sie verlieben sich ineinander. Doch eigentlich ist die Beziehung vielmehr durch eine Unterwürfigkeit Aldonzas gekennzeichnet (“[...] seré siempre vuestra más que mía.“ (LLA: 42)). Sie begleitet ihn auf all seinen Reisen und bekommt einige Kinder von ihm. Aldonza wird aufgrund ihrer physischen Schönheit ab sofort von jedem “Lozana“ genannt. Diomedes möchte Lozana nach einigen Jahren wilder Ehe heiraten. Sie schicken ihre Kinder zu Diomedes Vater nach Italien, kurz bevor auch die beiden dorthin reisen wollen, um ihre Heiratsabsichten bekannt zu geben und später in Spanien zu heiraten (“Yo determino ir a Marsella, y de allí ir a dar cuenta a mi padre y hacer que sea contento que yo vaya otra vez en España, y allí me entiendo casar con vos.“ (LLA: 44)). Diomedes Vater möchte seinen Sohn anderweitig verheiraten, sperrt ihn ein und erteilt den Auftrag, Lozana zu töten. Sie findet bei dem Seemann, der den Auftrag erhält, Erbarmen und kann mit nichts als einem in ihrem Mund versteckten Ring entkommen und gelangt nach Rom.
Im zweiten Teil der Handlung trifft Lozana in Rom ein und findet schnell Anschluss im Viertel Pozo Blanco, in dem vor allem viele aus Spanien stammende Juden, conversos, leben, die größtenteils aus Córdoba kommen, genau wie Lozana. Sie baut sich ein Leben als Hure, Kupplerin, Geburtshelferin, Heilerin usw. auf und lebt mit dem jungen Rampín zusammen, den sie schon zu Beginn in Rom kennenlernt und der von fort an ihr treuer Diener und auch Liebhaber ist. Es wird deutlich, dass Lozana selbst conversa ist und nach den entsprechenden Bräuchen lebt. Gemeinsam spinnen sie allerlei Intrigen und kommen mit Lügen und Betrügereien durchs Leben.
Der dritte Teil beschreibt das Leben von Lozana, die als Geschäftsfrau bereits hoch angesehen und sehr bekannt ist, wobei sie aufgrund ihres Erfolges auch viele Neider und Konkurrentinnen hat. Zum Ende der Handlung verlassen Lozana und Rampín Rom und gelangen auf die Insel Lipari, wo sie den Rest ihrer Tage verbringen. Hier gibt sich Lozana erneut einen neuen Namen und heißt von nun an “la Vellida“.
3.3 Interpretation und interpretatorische Schwierigkeiten
Dieses Kapitel zeigt die Interpretationsmöglichkeiten, aber auch eventuelle interpretatorische Schwierigkeiten im Hinblick auf “La Lozana Andaluza“ auf, denn Delicados Werk ist sicher viel mehr als nur die Charakter- und Lebensbeschreibung einer andalusischen Hure in Rom. Der Rezipient stellt beim Lesen des Werkes schnell fest, dass sich viele Dinge nicht von alleine erklären und es an vielen Stellen umfassenden Hintergrundwissens und Lektüre von Sekundärtexten bedarf, um zu verstehen, um was es eigentlich geht. In der Literatur gibt es viele Diskussionen darüber, inwiefern die Handlung des Dialogromans interpretiert werden kann, was die Komplexität des Werks aufzeigt.
Zentral ist u. a. die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Abbildung der Realität handelt – wie von Delicado behauptet – was zunächst nicht unwahrscheinlich erscheint, “[…] because Delicado was himself a humanist […]“[20]. Wie oben erwähnt, gibt Delicado im Prolog an, ausschließlich über das zu berichten, was er selbst gehört und gelesen habe. Weiterhin heißt es, niemand anderes solle aus der Handlung etwas rauben, hinzufügen oder sie verändern (“Protesta el autor que ninguno quite ni añada palabra, ni razón, ni lenguaje […].“ (LLA: 35)). Auch seine Rolle als Figur der erzählten Handlung, die immer wieder innerhalb der Handlung auftaucht und mit den Protagonisten interagiert[21], lässt auf eine Abbildung der Realität schließen. In Mamometro 36 nennt Delicado die Namen einiger Humanisten, wie z. B. “Séneca, Lucano, Marcial y Avicena“ (LLA: 154), was den Bezug des Werks zum Humanismus verdeutlicht.
Zweifelsohne sprechen jedoch viele Aspekte dafür, das Werk nicht als einfache Abbildung der Realität zu sehen, sondern ihm eine allegorische Lesart zuzuschreiben. Allaigre[22] schreibt dem Roman “mucha flexibilidad en las interpretaciones“[23] zu. Weich[24] beschreibt diese Doppeldeutigkeiten als „ingeniöse[ ] Doppelkodierung der Rede […], die den teleologischen Entwicklungsroman mit einem progressionshemmenden, erotisch-pornographischen Subtext unterlegt.“[25] Die ständige Thematisierung sexueller Handlungen führt dazu, dass jede als „normal“ scheinende Alltagshandlung als sexueller Akt interpretiert werden kann und ihnen eine „obszöne[ ] Lesbarkeit“[26] hinzufügt. Die Allegorie des Werkes geht demnach auf die von Delicado verwendete Sprache zurück, die „Doppeldeutigkeiten und Mehrsinnigkeiten [produziert]“[27], sowie zahlreiche rhetorische Stilmittel aufweist. Dies kann auch zu einer Verunsicherung der Rezipienten führen, da nicht immer nachzuvollziehen ist, inwiefern die verschiedenen Textstellen verstanden werden können bzw. sollen.[28] Neben vielen Doppeldeutigkeiten gibt es auch zahlreiche sehr eindeutige Textstellen, die zweifellos als sexueller Akt zu verstehen sind. Als Beispiel dient die erste Nacht von Lozana und Rampín:
Lozana: ¡Ay, hijo! ¿Y aquí os echastes? […] ¿Qué hacéis? ¡Mirá que tengo marido!
Rampín: Pues no está agora para que nos vea.
Lozana: Sí, mas sabello ha.
Rampín: No hará; esté queda un poquito.
[...]
[1] Häufig auch als “Retrato de la Lozana Andaluza“ bezeichnet
[2] Lemm, 1996.
[3] Ebd.: 25.
[4] Ebd.: 51.
[5] Ebd.: 51ff.
[6] Ebd.: 60ff.
[7] Vgl. Lea, 1985: 295ff.
[8] Vgl. u. a. Lemm: 60ff.
[9] Vgl. Edwards, 1999: 138f.
[10] Vgl. ebd.: 178f.
[11] Vgl. u. a. Semerau, 1965: 5ff.
[12] Vgl. ebd.
[13] Auf diesen Aspekt wird in Kapitel 4 genauer eingegangen.
[14] Vgl. Semerau, 1965: 5ff.
[15] Vgl. da Costa Fontes, 1993: 201.
[16] Vgl. Schlickers, 2009: 459.
[17] Zitate aus der Primärliteratur werden hier und im Folgenden mit dem Kürzel „LLA“ (La Lozana Andaluza) gekennzeichnet.
[18] Vgl. Parrack, 2003: 40.
[19] Vgl. Edwards, 2002: 204.
[20] Parrack, 2003: 40.
[21] Zu der Rolle des Autors finden sich nähere Erläuterungen in Kapitel 3.4.
[22] Allaigre, 1989.
[23] Ebd.: 154.
[24] Weich, 2000.
[25] Ebd.: 53.
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Ein Ansatz dazu findet sich in Kapitel 4.