Neue Formen der Jugendgewalt. Handy und Internet als Auslöser von Gewalttaten


Forschungsarbeit, 2009

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1.Gliederung

2. Einleitung

3. Problemstellung

4. Verortung des Themas in der wissenschaftlichen Literatur
4.1 Neue Formen der Gewalt
4.2 Faszination Handy
4.3 Die Risiken von Handys und Internetnutzung
4.4 Gewaltvideos auf Mobiltelefonen
4.5 Gewaltauslöser Mobiltelefon
4.6 Rollenverteilung beim Happy-Slapping

5. Methodisches Vorgehen
5.1 Fragebogenkonzeption
5.2 Feldzugang

6. Ergebnis
6.1 Basisdaten
6.2 Zusammenhänge und Korrelationen

7. Aussichten und Resümee

8. Anhang
8.1 Literaturverzeichnis
8.2 Tabellenverzeichnis

2. Einleitung

Die Polizei im bundesdeutschen Raum sieht sich seid Jahren mit einer stetig steigenden Kriminalitätsrate unter Jugendlichen konfrontiert. Zudem bereitet den Beamten ein neues Phänomen zunehmend Probleme. Nicht nur das Aggressivität und Brutalität der Taten zunehmen, auch die Aufzeichnung der Taten mittels digitaler Medien stellt ein neues Problemfeld da. Insbesondere das Handy, welches inzwischen bei fast jedem Jugendlichen vorhanden ist, erfüllt dank Kamerafunktion, mehr und mehr den Dienst der Aufzeichnung von Gewalttaten. Das Internet mit seinen einschlägig bekannten Videoportalen ist voll von Filmen mit gewalttätigen Inhalten, sei es das Verprügeln Unbeteiligter oder das Demütigen von Schulkameraden. Eine Frage welche die Polizei hierbei beschäftigt, ist das Ursache- Wirkungsverhältnis zwischen der realen Gewalt und dem digitalen Medium. Sind die auf Handys und im Internet auffindbaren Kurzfilme lediglich dargestellte, sowieso existierende Gewalt oder veranlasst die Vielzahl der neuen medialen Möglichkeiten Jugendliche erst zur Tatausübung? Das beide Möglichkeiten auftreten ist sicher, unklar jedoch ist in welchem Verhältnis. Im Zusammenspiel mit unserem Praktikum bei der Polizeidirektion Kiel haben wir uns deshalb dazu entschlossen, dieses Phänomen rudimentär näher zu untersuchen. Dabei legten wir den Schwerpunkt auf Jugendliche im Alter von 14-17 Jahren und versuchten zu ermitteln, über welche Medienkompetenzen diese verfügten und ihre Erfahrungen mit Gewalttätigkeiten, vornehmlich in der Täterrolle. Mögliche Ergebnisse dieser Studie würden einfließen in Präventions- und Aufklärungsprojekte der Kieler Polizei.

3. Problemstellung

Wie einleitend bereits erwähnt interessierten wir uns insbesondere dafür, in wie weit die neuen Medien gewaltauslösend wirken können. Intensive Beachtung fand diese Thematik erstmals im Jahre 2002 nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberggymnasium. Hierbei wurde als ein möglicher Tatauslöser das Computerspiel „Counterstrike“ genannt. Damit war die Gewaltproblematik im 21. Jahrhundert angekommen und neue Medien, neben dem TV, rückten in den Fokus der Forschung. Die Debatte um die Gefahr durch Computerspiele wurde jedoch auf einem Level geführt, welches wissenschaftlich durchaus fragwürdig erschien. Ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen der Tat und Robert Steinhäusers Spielegewohnheiten konnte nie valide belegt werden. Einige Jahre später kam es schließlich zu Vorfällen bei denen ein direkter Zusammenhang zwischen Gewalt und digitalem Medium nicht mehr von der Hand zu weisen war. 2005 machten auf Handy aufgenommene Prügelvideos in England Schlagzeilen, welche als Happy Slapping bekannt wurden. Dieser neue Trend unter Jugendlichen griff schnell auf das Festland über und ähnliche Fälle häuften sich in ganz Europa. Bei allen Fällen spielten Mobiltelefone eine zentrale Rolle als Dokumentationsmedium. Der rasante Fortschritt hatte aus klobigen Geräten filigrane Alleskönner gemacht, inklusive der Möglichkeit Filmaufnahmen anzufertigen. In Kombination mit dem ebenfalls explosionsartig expandierendem Internet verbreiteten sich die selbst gedrehten Filme weltweit. Hier nun greift unsere Forschungsfrage: Gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Medienkompetenz von Jugendlichen und ihrem Gewaltverhalten? Kann also der Umgang mit modernen Medien und dem Wissen um ihre Anwendung, Jugendliche dazu veranlassen gewalttätig zu werden oder bereits vorhandene Gewaltpotentiale weiter erhöhen? Der kieler Polizei liegen etliche Fälle vor, in denen Jugendgewalt in Verbindung mit Handy und Internet aufgetreten ist. Aus diesem Grund interessiert sich schwerpunktmäßig das Dezernat 1.4, Prävention für die Erforschung dieses Phänomens. Bevor jedoch Fragen über Ursachen gestellt und geklärt werden können, muss die aktuelle Lage erfasst werden. Unsere erste Überlegung war es, wie man von möglichst vielen Jugendlichen erfährt, wie sie zum Thema Gewalt stehen und über welche technischen Fähigkeiten und Kompetenzen sie verfügen. Daher entschieden wir uns für einen standardisierten Fragebogen, welcher durch uns in Kieler Jugendclubs verteilt wurde.

4. Verortung des Themas in der wissenschaftlichen Literatur

Während insbesondere das Medium Fernsehen in der Vergangenheit große Aufmerksamkeit erhalten hat und zahllose Publikationen zum Thema erschienen sind und es in ähnlicher Weise auch bei Computerspielen der Fall ist, so ist das Gefahrenpotential der Handys in möglicher Verbindung mit dem Internet zum jetzigen Zeitpunkt relative schwach beforscht. Zudem besteht ein Unterschied in der Art, wie Gewalt in den verschiedenen Medien vermittelt wird. Im TV und computerbasierten Spielen handelt es sich entweder um gespielte oder virtuelle Gewalt, jedoch in keiner Weise um real verübte Gewaltakte an real existierenden Menschen. Eine Ausnahme hiervon bilden natürlich Nachrichten und Dokumentationssendungen. Völlig anders ist die Situation bei Kurzfilmen und selbst gedrehten Videos, welche auf Internetplattformen und Mobiltelefonen vorliegen. Das hier vorfindbare Material enthält hochgradig gewalttätige Realszenen und reicht von Demütigungen bis hin zu Morden und Hinrichtungen. Die wenigen bisher veröffentlichten Studien legen deutlich da, dass der Umgang mit diesem Filmmaterial für viele Jugendliche bei weitem nicht ungewöhnlich ist. Schwerpunktmäßig männliche Heranwachsende sind mit diesem Thema vertraut (vgl. Grimm/Rhein 2007, S. 35f.). Neben der Einfachheit diese Filme aus dem Internet zu laden oder untereinander zu tauschen, kommt erschwerend hinzu, dass Eltern und andere Verwandte oftmals weit weniger kompetent sind im Umgang mit den neuen Medien als ihre Zöglinge. Es existieren drei grobe Bereiche zu welchen sich das Bildmaterial zuordnen lässt.

4.1 Neue Formen der Gewalt

4.1.1 Happy Slapping

Übersetzen lässt es sich grob mit „fröhliches Schlagen“. Es beschreibt einen grundlosen und ohne Vorwarnung , gegen unbeteiligte Dritte stattfindenden Angriff. Entstanden ist dieses Phänomen in England und erschien erstmals im Januar 2005 in den dortigen Medien. Im Ursprung handelt es sich tatsächlich um vermeintlich lustige Taten, ohne körperliche Übergriffe, bei denen der Betroffene beispielsweise mit einem Glas Wasser übergossen wurde. Heute zeichnet sich das Happy Slapping durch andere Inhalte aus. Meist Gruppen aus mehreren Tätern attackieren willkürlich unterlegene Einzelpersonen und zeichnen die Tat mit einer Handykamera auf (vgl. Richard/Krafft-Schöning 2007, S. 17).

Uneinigkeit herrscht in der Forschung noch über die Tatsache, ob die Möglichkeiten des Mobiltelefons zur Gewaltausübung anregen, oder nun lediglich aufgezeichnet wird, was auch schon vorher vorgefallen ist. Die Anzahl an Gewalttaten hätte sich bei letzterer Möglichkeit nicht erhöht wegen des Phänomens des Happy Slapping, sondern wäre nur eine neue Form der bereits existierenden Gewalt (vgl. Durrer 2006, S. 12).

4.1.2 Mobile Bullying

Bullying für sich genommen bezeichnet eine „absichtliche Schädigung anderer Schüler, die wiederholt und über einen längeren Zeitraum innerhalb einer Beziehung ausgeübt wird, die ein Machtungleichgewicht aufweist“ (Grimm/Rhein 2007, S. 43). Es ist vergleichbar mit dem Mobbing. Die Sonderform des Mobile Bullying zeichnet sich dadurch aus, dass das Opfer nicht unmittelbar körperlich durch den Täter geschädigt wird. Belästigungen, Drohungen oder Nötigungen werden via Mobiltelefon oder über das Internet getätigt. Hierbei gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie sich dies im Einzelnen auswirken kann. Das Opfer kann direkt betroffen sein, etwa durch Zusendung von SMS, MMS oder e-mails, oder aber indirekt, wenn Dritten Bild- oder Filmaufnahmen zugesendet werden welche das Opfer in demütigenden oder diskreditierenden Situationen zeigt (vgl. Grimm/Rhein 2007, S. 43f.).

4.1.3 Snuffing

Anfangs wurden sexuelle Praktiken die mit der Tötung des Partners endeten als Snufffilme oder kurz, Snuff bezeichnet. Inzwischen werden hierzu alle Filmaufnahmen gezählt bei denen eine Tötung zu sehen ist. Die Snuffproblematik ist bereits seit den 80er Jahren bekannt, erlebt aber im Internetzeitalter eine Art Renaissance.

4.2 Faszination Handy

Wie sich sicher bereits gezeigt hat, nimmt das Handy eine Schlüsselposition in unserer Forschung ein und ließ unser Forschungsteam auf die Frage stoßen, was die Beliebtheit dieses Gerätes unter Jugendlichen ausmacht. Eigentlich entwickelt um eine ortunabhängige Telekommunikationsmöglichkeit zu schaffen, ist es nunmehr zu einem weitaus komplexeren Gerät geworden als einem tragbaren Telefon. Im nachstehenden Teil soll dargelegt werden, aus welchem Grund das Handy so elementar wichtig ist für die Jugendlichen unserer Zeit.

Das Handy als…

…Schmuckutensil. Wichtigstes Argument sich für ein bestimmtes Handymodell zu entscheiden, sind für viele Jugendliche nicht die Funktionen des Gerätes, sondern seine Optik. Das Gerät wird zum Repräsentationsutensil des Trägers. Durch verschiedene Klingeltöne, Wallpaper(Hintergrundbilder), Gerätehüllen und andere Accessoires kann das Mobiltelefon den eigenen Wünschen und Neigungen angepasst werden. Es avanciert zum Statussymbol welches allgemein anerkannt wird. Ein eigener Industriezweig produziert Unmengen von Produkten und Software für diesen Bereich. …Musikspieler. Inzwischen bietet nahezu jedes aktuelle Handy die Möglichkeit eigene MP3-Files abzuspielen. Die Bezeichnung MP3 steht hierbei für ein spezielles Dateiformat in welchem Musik abgespeichert wird. Über den Computer oder ein anderes Handy lässt sich so die gewünschte Musik auf das eigene Handy übertragen und jederzeit wiedergeben.

…Fotoapparat und Videokamera. Der Schritt eine Kamera in Handys zu integrieren, welche es ermöglicht Bild- und Filmaufnahmen zu erstellen, begründete erst die Entstehung des Happy Slappings. Aus den einfachen Bildaufnahmegeräten der Vergangenheit sind inzwischen hochauflösende Hightechgeräte geworden, welche eine ähnliche Bildqualität bereitstellen wie herkömmliche Kameras. Dadurch, dass der Großteil der Jugendlichen kaum ohne Handy irgendwo anzutreffen ist, sind auch die Kameras ständig verfügbar.

…Spielgerät. Ähnlich den Klingeltönen und Hintergrundbildern hat die Industrie auch bei der Nutzung des Handys als Spielekonsole schnell einen profitablen Markt vermutet. Inzwischen sind für Mobiltelefone ebenso viele Produkte verfügbar, wie für den PC-Markt. Von nahezu jedem Spiel, Film oder Serie existiert ein Handyspielableger. Dieser Aspekt spricht selbstverständlich viele Jugendliche an und lässt den Markt in diesem Bereich boomen.

…Radio und TV-Gerät. Die Möglichkeit reguläre Radiosender über das Mobiltelefon zu empfangen existiert schon seit längerem. Neu hingegen ist die Option bei einigen Modellen TV-Programme zu konsumieren. Zwar befindet sich dieser Entwicklungsschritt noch in einer frühen Phase, wird aber vermutlich auch bald Standart sein und ein weiteres Medium in einem Gerät vereinen.

…Organizer. Viele Handymodelle sind schon mit grundlegenden Programmen wie Kalender, Adressspeicher und Telefonbuch ausgestattet. Manche verfügen über komplette Organisationssoftware und ersetzen jegliche konventionellen Notizbücher. Für viele Jugendliche ist es bereits völlig normal ihren Alltag über ihr Handy zu koordinieren.

…Internetzugang. Neueste Entwicklungsstufe ist das Integrieren eines Internetproviders. Hiermit ist es dem Nutzer nun möglich drahtlos und ortsunabhängig auf die Datenfülle des world wide web zuzugreifen. Zwar ist dies bisher nur bei den wenigsten Modellen möglich, übt aber einen starken Reiz auf die junge Generation aus.

…Navigationsgerät. Auch hierbei handelt es sich um eine noch junge Handyapplikation. Die Programme die jedoch bisher verfügbar sind, bieten dieselben Funktionen wie reine Navigationsgeräte und ermöglichen das sicherer Zurechfinden in unbekanntem Gelände (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend S. 9ff.).

Aktuelle Handys bieten inzwischen alle Formen der modernen Medien, ständig und an jedem beliebigen Ort. Ihre Funktionsvielfalt und Gestaltungsmöglichkeiten bieten Jugendlichen die Möglichkeit ihren eigenen, unabhängigen medialen Raum zu schaffen. Was einerseits Kreativität und Selbstständigkeit fördert birgt jedoch auch massive Risiken. Der nachfolgende Teil soll auf die Schattenseite der modernen Kommunikation und ihrer Möglichkeiten eingehen.

4.3 Die Risiken von Handys und Internetnutzung

Durch die Kompaktheit und hohe Beweglichkeit entziehen sich die Handys der Jugendlichen meist der Überwachungsmöglichkeit der Eltern. In Fällen in denen dies nicht so ist, scheitert eine Einschätzung der möglichen Gefahr durch die Eltern oft an deren mangelnder Medienkompetenz im Umgang mit den Geräten. Die Gefahr mit den negativen Aspekten der modernen Kommunikation in Kontakt zu kommen ist im Zeitalter der internetfähigen Handys entsprechend hoch. Die folgenden Punkte kategorisieren die möglichen Gefahren.

4.3.1 Content: Ungeeignete Inhalte

Hierbei geht es um die riskanten und teils gefährlichen Internetseiten im Allgemeinen, auf welche Jugendliche auch von einem gewöhnlichen Internetzugang aus stoßen könnten. Bei internetfähigen Handys ist diese Gefahr besonders hoch, da diese keinerlei Überwachung unterliegen. Zudem bietet das Netz etliche Möglichkeiten Film- und Bildmaterial zu senden, als auch zu erhalten.

4.3.2 Contact: Riskante Kontakte

Das Nutzen von Onlinechats oder Instantmessengerprogrammen vom Handy aus bietet nicht nur die komfortable Möglichkeit mit anderen Personen Kontakt aufzunehmen, sondern ermöglicht es auch Dritten in die Privatsphäre des einzelnen Nutzers einzudringen. Besonders junge und unerfahrene Nutzer sind hierbei gefährdet Opfer anderer Chatter zu werden. Weiterhin sind Mobiltelefone weniger gut gegen Ausspähversuche geschützt als reguläre Computer.

4.3.3 Commerce: Kostenrisiken

Contents und Contracts sind für die meisten jugendlichen noch nicht unmittelbar von Bedeutung im Zusammenhang mit Handys. Die bisher erhältlichen Geräte mit Internetfunktion sind noch verhältnismäßig teuer. Betrachtet man aber die rasante technische Entwicklung der vergangenen Jahre, wird diese Option aller Wahrscheinlichkeit nach aber schon bald zum Standart gehören und sich entsprechend auswirken. Das Kostenrisiko besteht hingegen bei allen Handymodellen auf dem Markt. Nicht nur Grundgebühr, Telefon- und SMS-Kosten finden sich auf den Monatsabrechnungen der Jugendlichen. Durch die Inanspruchnahme kostenpflichtiger Abonnements und Downloadportale häufen Jugendliche mitunter beträchtliche Schuldenbeträge an (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend S. 16).

4.4 Gewaltvideos auf Mobiltelefonen

Die Annahme, der Besitz von gewalthaltigen Filmclips auf Mobiltelefonen würde automatisch Gewaltverhalten auslösen oder begünstigen ist nicht haltbar und hat sich so in unserer Forschung auch nicht erkennen lassen. Belegt hingegen ist, dass ein beträchtlicher Prozentsatz der Jugendlichen solche Filme besitzt.

Somit stellt sich die Frage, aus welcher Motivation heraus dieses Material auf Mobiltelefonen gesammelt wird und was hierfür begünstigende Faktoren sind. Richard und Krafft-Schöning haben folgende Erklärungen für dieses Verhalten.

Der Druck aus der Gruppe veranlasst den Einzelnen es den Anderen nachzumachen. Ausgeübt durch die Clique oder den nahen Freundeskreis. Hierbei spielt es keine Rolle wie der Einzelne über das Film- und Bildmaterial denkt, es vielleicht sogar als abstoßend betrachtet. Um nicht den Anschluss an die Gruppe zu verlieren wird mitgezogen. Demnach wäre die Vielzahl vorhandener Filme nicht das Resultat einer dafür empfänglichen Mehrheit sondern das Ergebnis gruppendynamischer Prozesse. Eine weitere mögliche Erklärung wäre der Reiz des Verbotenen. Die von der Mehrheit der Gesellschaft abgelehnten Filme und die in ihnen dargestellten Straftaten wirken anziehend auf junge Menschen, welche noch nicht über gefestigte Normen und Werte verfügen. Es besitzen, weil es von der Masse abgelehnt wird. Letztlich wird das Geltungsbedürfnis der Jugendlichen angeführt. Man gilt als besonders hart und cool, wenn man das Ekel erregendste oder brutalste Video zeigen kann. Derartiges Material sichert den festen Platz im Gruppengefüge (vgl. Richard/Krafft-Schöning 2007, S. 91f).

4.5 Gewaltauslöser Mobiltelefon

In der zum Thema erhältlichen Literatur herrscht Uneinigkeit über die Frage, ob die neuen Funktionen der jüngeren Handygeneration nun Gewalt auslösend sind oder lediglich dokumentieren. Die Aussagen welche abgegeben werden, sind dabei mehr Vermutungen als valide, datengestützte Aussagen.

Nach Richard und Krafft-Schöning dient das Handy eher zur Aufzeichnung bereits existierender Gewalt und erfüllt den Zweck der Beweisführung für begangenen Gewalttaten (vgl. Richard/Krafft-Schöning 2007, S. 92).

Nach der Auswertung ihrer qualitativen Interviews kamen Grimm und Rhein zu dem Schluss, dass ein Teil der gefilmten Happy-Slapping-Fälle gezielt zum Zweck der Aufnahme initiiert wurden und die Kamerafunktion somit Auslöser der Tat war (vgl. Grimm/Rhein 2007, S. 33).

Umfassender und präziser äußert sich der Rat für Kriminalitätsverhütung Schleswig-Holstein. Hiernach animiert ein unterentwickeltes Selbstbewusstsein und geringe Selbstwertgefühle viele Täter zur Tat. Sie versprechen sich durch die Aufnahme von Happy-Slapping-Filmen, in denen sie als Hauptprotagonisten agieren, Anerkennung und Ansehen. Als Dokumentationsmedium dient hierbei das Mobiltelefon. Somit hat das Handy eine auslösende Rolle, was der Theorie von Grimm und Rhein nahe kommt (vgl. Rat für Kriminalitätsverhütung Schleswig-Holstein 2007, S. 23).

Da zu dieser Thematik bestehende Forschungen sich hauptsächlich der Dokumentierung des Phänomens Happy-Slapping widmen und nicht der Klärung von Ursachen, kann noch keine Aussage darüber getroffen werden, in welchem Ausmaß neuartige Handys als Gewalt auslösend eingestuft werden können. Von dieser Problematik losgelöst soll nun näher darauf eingegangen werden, welche Rollenverteilung beim Happy-Slapping anzutreffen ist und welcher Straftatbestände sich die Handelnden schuldig machen.

4.6 Rollenverteilung beim Happy-Slapping

4.6.1 Täter:

Im Regelfall wird der An- bzw. Übergriff von einem Einzelnen aus einer Gruppe heraus gegen das Opfer geführt. Meistens handelt es sich dabei in irgendeiner Weise um eine physische Schädigung des Anderen. Da Gewalt aber auch in psychischer Form ausgeübt werden kann, stellt der Gesetzgeber auch Taten unter Strafe welche Schaden durch Beeinflussung zur Folge haben. Die am häufigsten auftretenden Straftatbestände sind hierbei einfache, gefährliche und schwere Körperverletzung (§§ 223, 224, 226 StGB), Nötigung (§240 StGB) und Beleidigung (§185 StGB).

4.6.2 Opfer:

Im Prinzip kann jeder Opfer werden, zu jeder Zeit. Fast immer ist es dem Angreifer körperlich unterlegen und zum Tatzeitpunkt alleine. In vielen dokumentierten Fällen kannten sich zudem Opfer und Täter. Bei Happy-Slapping-Fällen leidet das Opfer nicht nur an den körperlichen Folgen der Tat. Die Anfertigung eines Filmmitschnittes und der daraus resultierenden Verbreitung, führen zu weiteren Schädigungen. Während die Tat an sich zeitlich eng begrenzt und auf einen kleinen Mitwisserkreis beschränkt ist, öffnet der entstandene Film einer breiten Zuschauerzahl den Zugang in den privaten Raum des Opfers. Es lebt permanent in der Angst von Dritten identifiziert zu werden. Besonders drastisch wirkt sich dies bei sexuell motivierten Taten aus und ruft ein starkes Demütigungsgefühl beim Opfer hervor. Insbesondere die Furcht enge Freunde oder Familienmitglieder könnten von der Tat auf diese Weise mitbekommen.

4.6.3 Techniker:

Hierbei handelt es sich um jene Person, welche die Tat mit einem entsprechenden Gerät, meist dem eigenen Handy, aufzeichnet. Trotzdem er selbst nicht in die Angriffshandlung verwickelt ist, kann er auf rechtlichen Wegen wie der Täter belangt werden. Zudem verstößt er durch die Aufnahme einer Person gegen ihren Willen, gegen §22 KUG (Kunsturhebergesetz). Dieses sichert dem Einzelnen das Recht am eigenen Bild zu und verbietet es Dritten, unerlaubt Aufnahmen zu erstellen. Weiterhin macht er sich der Beihilfe (§27 StGB) schuldig.

4.6.4 Mitläufer:

Der Mitläufer greift weder ins Tatgeschehen ein, noch ist er in anderer Form direkt beteiligt. Meistens ist der Grund für seine Anwesenheit der Druck aus der Gruppe. Wegen seiner Anwesenheit und somit Mittäterschaft macht er sich der Beihilfe schuldig.

4.6.5Zuschauer:

Dies bezieht sich nicht auf Personen welche das angefertigte Video der Tat sehen, sondern auf zum Tatzeitpunkt anwesende. Gründe für ein nicht Eingreifen können hierbei vielfältig sein. Etwa die Angst selbst Opfer zu werden oder allgemeine Überforderung. Greifen sie auch nicht in indirekter Form ein, etwa durch die Alarmierung der Polizei, können sie wegen unterlassener Hilfeleistung zur Rechenschaft gezogen werden (vgl. Rat für Kriminalitätsverhütung Schleswig-Holstein 2007, S14ff.).

5. Methodisches Vorgehen

5.1 Fragebogenkonzeption

Die zu unserem Forschungsthema vorhandene Literatur stellte sich schnell als relativ übersichtlich heraus, weswegen wir uns für eine bivariate, ungerichtete Zusammenhangsanalyse entschieden. Hierbei handelt es sich um zwei Variablen welche in Verbindung miteinander stehen. Die Zusammenhangsrichtung wird vorher nicht festgelegt, da nicht vorausgesagt werden kann in welcher Form es passiert, wir also nur vermuten könnten. Hierbei handelt es sich um die Variablen Gewaltverhalten und die Medienkompetenz. Nächster Schritt war die Formulierung der Forschungshypothese. Unsere H0 sagt aus, dass kein signifikanter Zusammenhang erkennbar ist zwischen dem Gewaltverhalten von Jugendlichen und ihrer Medienkompetenz. Bei Annahme der H1 hingegen existiert ein solcher.

Nach der Aufstellung der Variablen mussten diese inhaltlich konkretisiert werden. Medienkompetenz beinhaltet nach Dieter Baake fünf Kriterien. 1.Das Kennen der unterschiedlichen Medien und die Befähigung diese auch nutzen zu können. 2.Die Fertigkeit sich in der Medienwelt zurecht zu finden, was beispielsweise das ausfindig machen einer bestimmten Internetseite beinhaltet. 3.Teilnahme an über die Medien vermittelten Kommunikationen, etwa die Nutzung von Internetforen. 4.Medien kritisch betrachten können, hinterfragen und prüfen. 5.Selbst bei der Gestaltung der medialen Welt mitwirken. Zum Beispiel durch das erstellen einer eigenen Homepage (vgl. www.schwark.de/medkom.htm Stand: 02.12.2008). Da das Happy-Slapping ein neuartiges Phänomen ist, würden wir die Medienkompetenz auch mit Schwerpunkt an Hand der jüngeren Medienformen ermitteln. Um Gewaltverhalten greifbar zu machen, entschieden wir uns dafür es über die im Strafgesetzbuch niedergeschriebenen Delikte zu definieren. Im Einzelnen sind dies die verschiedenen Formen der Körperverletzung, Raub und Diebstahl, Nötigung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung und Beleidigung. Hierdurch erhielten wir einen sicheren Indikator für gewalttätiges Verhalten, da derartige Taten auch vom Gesetzgeber als Gewalt eingestuft werden.

Um messen zu können wir stark die Medienkompetenz bei den Jugendlichen ausgeprägt ist, erstellten wir einen Pool von Fragen, welche sich auf die Kenntnis und Nutzung der modernen Medien bezogen. Begonnen mit einfachen Fragen, etwa ob über einen eigenen Computer verfügt wird oder man ein Handy besitzt. Es folgten immer spezieller werdende Fragen zum Umgang mit bestimmten Geräten und Softwareprogrammen, deren Anwendung mediales Fachwissen voraussetzt. So konstruierten wir beispielsweise eine Fragenbatterie, welche sowohl weit verbreitete und legale Software zur Nutzung der medialen Möglichkeiten enthielt, aber auch sehr spezielle, deren Besitz untersagt ist. Neben den Fragen um das technische Verständnis interessierte uns auch die Einstellung der Jugendlichen zu den Medien. Hier wollten wir etwa wissen, wie stark das Interesse ist Filme überhaupt online zu stellen.

Das Erfassen des Gewaltverhaltens führten wir in sehr offener Form durch. Wir fragten direkt ab, welche Straftaten durch die Jugendlichen begangen wurden, differenziert danach ob alleine oder in der Gruppe. In einer weniger offensichtlichen Form versuchten wir die Einstellung der Jugendliche zu Gewalt im Allgemeinen zu messen. Hierzu wollten wir von den Befragten wissen wie ihre Meinung darüber ist, sich mit Gewalt im Alltag zu behaupten, auch gegenüber Familienmitgliedern. Entgegen unserer Hoffnung stellte sich dieser Versuch aber als nicht praktikabel heraus. Mit einigen biografischen Fragen und solchen über das Freizeitverhalten der Jugendlichen, ergab sich ein Fragebogen im Umfang von 48 Fragen auf 11 Seiten.

Um die Praktikabilität und Verständlichkeit des Fragebogens zu überprüfen bedurfte es der Durchführung eines Pretest. Hierfür fragten wir bei den Verantwortlichen der Otto-Hahn-Gesamtschule in Hamburg-Jenfeld an, und baten um Unterstützung. Wir erhielten die Genehmigung in zwei Klassen unsere Fragebögen zu verteilen. Dabei wurden 44 Fragebögen ausgefüllt von Schülerinnen und Schülern im Alter 14 bis 17 Jahre. Der Pretest offenbarte einige Fehler und Schwachstellen im Fragebogen. Größtes Problem war für die meisten Schüler, insbesondere jene mit Migrationshintergrund, die Verständlichkeit einiger Fragen. Dies führte zu einer massiven Vereinfachung der Fragestellungen und dem Wegfall bzw. Austausch von Fremdwörtern. Zusätzlich traten Antwortschwierigkeiten bei manchen Fragen auf. Nicht alle möglichen Antwortkombinationen waren von uns bedacht worden. Einige Fragen mussten deshalb leicht abgewandelt werden, andere wurden vollständig neu gestaltet. Nach Erstellen der endgültigen Fragebogenfassung wurde der Druck durch die Universitätsdruckerei durchgeführt.

5.2 Feldzugang

Um eine möglichst heterogene Stichprobe zu erhalten, wollten wir die Befragung ursprünglich in Kieler Schulen durchführen. Rechtliche Sonderbestimmungen im Schulgesetz des Landes Schleswig-Holstein und unklare Kompetenzen innerhalb der zuständigen Ämter blockierten jedoch dieses Vorgehen. Zu diesem Zeitpunkt stand die gesamte Forschung auf der Kippe. Mit Unterstützung der Polizei und in Zusammenarbeit mit Teilen der Stadtverwaltung von Kiel, erfolgte der Konsens die Jugendtreffs um Unterstützung zu bitten. Zwar wäre die voraussichtliche Stichprobe weitaus niedriger, aber die Forschung wäre durchführbar.

Aber auch auf diesem Wege gab es Komplikationen. 13 der Kieler Jugendclubs befinden sich in staatlicher Trägerschaft, die Übrigen in freier. Während der Zugang zu den in freier Trägerschaft befindlichen Jugendclubs lediglich durch die Leitung genehmigt werden musste, bedurfte es für die staatlichen erneut einer Genehmigung. Mehrfache Telefonate mit dem Amt für Schule, Kinder- und Jugendeinrichtungen führten zum erhofften Erfolg und eine Genehmigung zur Befragung erteilt. Somit konnte die Befragung im Zeitraum von Juli bis Mitte September 2008 durchgeführt werden.

Da die Jugendtreffs über den Großraum Kiel verteilt waren, stellten wir zunächst einen telefonischen Kontakt her und stellten sowohl uns als auch unserer Forschung vor. Die Masse der uns entgegengebrachten Reaktionen war von Offenheit und Interesse geprägt. Einige Jugendclubs aber traten uns mit offener Skepsis und Ablehnung gegenüber. Um eine möglichst große Anzahl an Jugendlichen auf einmal zu befragen, baten wir die Treffs uns zu informieren wenn eine große Anzahl vor Ort war. Leider funktionierte dieses System nicht immer, so dass wir auch in beinahe leeren Jugendtreffs standen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Neue Formen der Jugendgewalt. Handy und Internet als Auslöser von Gewalttaten
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Uni)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
30
Katalognummer
V286365
ISBN (eBook)
9783668703728
ISBN (Buch)
9783668703735
Dateigröße
634 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
neue, formen, jugendgewalt, handy, internet, auslöser, gewalttaten
Arbeit zitieren
Ludwig von Düsterlohe (Autor:in), 2009, Neue Formen der Jugendgewalt. Handy und Internet als Auslöser von Gewalttaten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286365

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