Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemhintergrund und Zielsetzung
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Erhebungsmethode
2 Definitionen und Begriffsabgrenzungen
2.1 Siegel
2.2 Ökologischer/ biologischer Landbau
2.3 Regionale Lebensmittel
2.4 Fairtrade
3 Der Markt für alternativ erzeugte Lebensmittel
3.1 Entstehung des Marktes für Bio-Lebensmittel
3.2 Marktentwicklung: Distribution und Nachfrage
3.2.1 Marktentwicklung für Bio-Lebensmittel
3.2.2 Marktentwicklung für Fairtrade-Lebensmittel
3.2.3 Marktentwicklung für regionale Lebensmittel
3.3 Kennzeichnung von Lebensmitteln
3.3.1 Klassifizierung von Siegeln
3.3.2 Bio-Siegel
3.3.3 Regional-Siegel
3.3.4 Fairtrade-Siegel
3.3.5 Weitere Kennzeichnungen
3.4 Zwischenfazit
4 Konsumtheoretische Grundlagen der Kaufentscheidungs- und Verhaltensforschung
4.1 Konsumentenverhaltensforschung
4.2 Das neo-behavioristische S-O-R-Modell
4.3 Einflussfaktoren auf das Konsumentenverhalten
4.3.1 Psychische Faktoren
4.3.2 Soziale Faktoren
4.3.3 Soziodemografische Faktoren
4.3.4 SituativeEinflüsse
4.4 Der Kaufentscheidungsprozess
4.5 Umweltorientiertes Konsumentenverhalten
4.6 Zwischenfazit
5 Der Einfluss ausgewählter Faktoren auf das Kaufverhalten
5.1 Aktueller Stand der Forschung
5.2 Qualitative Forschung
5.2.1 Methode und Zielsetzung
5.2.2 Untersuchungsdesign und Durchführung
5.2.3 Datenaufbereitung und Auswertung
5.3 Ergebnisse der qualitativen Untersuchung
5.3.1 Bekanntheit von Siegeln
5.3.2 Glaubwürdigkeit der Siegel
5.3.3 Kommunikation am Point of Sale
5.3.4 Präferenzen von Bio-, Fairtrade- und regionalen Lebensmitteln
5.3.5 Lebensmittelskandale
5.3.6 Arbeitsbedingungen
5.4 Zwischenfazit
6 Fazit und Ausblick
6.1 Handlungsempfehlung
6.2 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Umsatzanteile für Bio-Lebensmittel einzelner Distributionskanäle in Deutschland 2012
Abb. 2: Umsatzentwicklung von Fairtrade-Produkten in Deutschland
Abb. 3: Starbucks und Ben & Jerry's Verpackung mit Fairtrade-Siegel
Abb. 4: Klassifizierungvon Qualitätssignalen
Abb. 5: EU-Bio-Siegel und staatliches Bio-Siegel
Abb. 6: Bio-Siegel der in Deutschland aktiven Öko-Anbauverbände
Abb. 7: Regional-Eigenmarken von Lidl („Ein gutes Stück Heimat“), Edeka („Unsere Heimat - echt & gut“) und Rewe („Rewe Regional“)
Abb. 8: Fairtrade-Siegel und Gepa-Logo
Abb. 9: Stimulus-Response-Modell (S-R-Modell)
Abb. 10: Stimulus-Organism-Response-Modell (S-O-R-Modell)
Abb. 11: Gesamtsystem psychischer Prozesse
Abb. 12: Verhältnis von Selbstkonzept und Lebensstil
Abb. 13: Situationswirkungskette im S-O-R-Paradigma
Abb. 14: Einfluss von ausgewählten Faktoren auf den Kaufentscheidungsprozess
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Unterschiede der Richtlinien der EU-Öko-Verordnung und
Öko-Anbauverbände 18
Tab. 2: Übersicht ausgewählter Gütesiegel und deren Kriterien im
Pro/Contra-Vergleich 23
Tab. 3: Rahmendaten der Interviews und Teilnehmer 46
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
1.1 Problemhintergrund und Zielsetzung
Der Bio-Lebensmittelmarkt ist schon seit einigen Jahren in den Fokus der Wirtschaftswissenschaften gerückt. Aus einem Nischenmarkt entwickelte sich ein für den Massenmarkt geeignetes Segment. Derzeit sind Bio-Lebensmittel in beinahe allen Discountern und Supermärkten erhältlich. Eine ähnliche Entwicklung ist bei Fairtrade-Produkten zu verzeichnen. Um ein Umsatzwachstum zu erzielen, werden Fairtrade-Produkte heute im Lebensmitteleinzelhandel vertrieben und durch gezielte Marketingaktivitäten in das Bewusstsein der Verbraucher gerufen. Die Tatsache, dass die Nachfrage der Konsumenten nach regionalen Produkten steigt, nutzen Handelsketten durch die verstärkte Kommunikation der Regiona- lität von Lebensmitteln.
Die Ausweitung der Distribution von Bio-, Fairtrade- und regionalen Lebensmitteln auf alle Vertriebskanäle hinterlässt bei den Konsumenten ein diffuses Bild. Als Orientierungshilfe sollen Gütesiegel auf den Lebensmitteln dienen. Aktuell gibt es mehr als dreihundert Siegel auf Produkten, darunter viele unterschiedliche Bio-Siegel, Fairtrade-Siegel und RegionalSiegel. Durch das begrenzte Aufnahmevermögen von Informationen und dem habitualisier- ten Verhaltensmuster beim Lebensmitteleinkauf steht die Frage im Raum, ob sich der einzelne Konsument bei all den Siegeln überhaupt orientieren kann und sie entsprechend zu werten vermag. Lebensmittelskandale, investigative Medienberichte und unbekannte Produktkennzeichnungen führen zu zusätzlichen Unsicherheiten bei den Verbrauchern. Vor allem in der Lebensmittelbranche besteht eine große Informationsasymmetrie zugunsten der Hersteller. Diese gibt vielen Verbrauchern das Gefühl, nicht ausreichend informiert zu sein. Das Ziel von Gütesiegeln ist es jedoch, die Unsicherheiten zu nehmen und dem Verbraucher bei seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen.
Der Lebensmitteleinzelhandel versucht durch die Vermarktung höherpreisiger Bio-, Fairtrade- und regionaler Lebensmittel eine Umsatzsteigerung zu erzielen. Die vorliegende Arbeit gibt Antworten auf die Frage, was Endverbraucher zum Kauf oder Nichtkauf solcher Produkte bewegt. Bieten Qualitäts- und Gütesiegel eine Orientierungshilfe beim Einkauf? Welchen Siegeln schenken die Verbraucher Vertrauen und aus welchem Grund? Wie bewerten sie die Vielzahl der im Lebensmittelmarkt verwendeten Siegel? Welche weiteren Einflussfaktoren wirken sich noch auf die Kaufentscheidung aus? Gibt es erkennbare Präferenzen zu Bio-, Fairtrade- oder regionalen Produkten? Hat der Kenntnisstand über die Gütesiegel und deren Hintergründe einen positiven oder negativen Einfluss auf den Kauf der Produkte?
Das Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung ausgewählter Einflussfaktoren auf die Kaufentscheidung des Endverbrauchers bei Bio-, Fairtrade- und regionalen Lebensmitteln. Dazu zählen personenbezogene Merkmale wie zum Beispiel Wissen, Vertrauen und generelles Konsumverhalten sowie umweltbezogene Merkmale wie Medienberichte, Skandale und Kommunikationsinstrumente am Point of Sale. Als Endverbraucher werden unterschiedliche Käufertypen hinsichtlich ihrer Bio-Kaufintensität gesehen. Das ermöglicht einen Vergleich der Ergebnisse zwischen Nichtkäufern, Gelegenheitskäufern und Intensivkäufern von ökologischen Lebensmitteln. Aus den Ergebnissen können Erfolg versprechende Marketingmaßnahmen für einzelne Käufergruppen abgeleitet werden.
1.2 Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit ist in drei Kernelemente unterteilt. Zu Beginn (Kapitel 2] werden Begriffe klar definiert und von ähnlichen existierenden Begrifflichkeiten abgegrenzt. Dabei wird beschrieben, was unter einem Siegel allgemein zu verstehen ist, unter welchen Auflagen die ökologische/biologische Landwirtschaft arbeitet, wie ein regionales Produkt definiert ist und was ein Fairtrade-Produkt ausmacht.
Im ersten großen Teil (Kapitel 3] liegen die Schwerpunkte auf der Entwicklung des Marktes und den Gegebenheiten für alternativ erzeugte Lebensmittel in Deutschland. Der Fokus liegt dabei auf den Distributionskanälen und Nachfrageentwicklungen des jeweiligen Marktes. Der über die Jahre vonstatten gegangene Entstehungsprozess der Lebensmittelkennzeichnung durch Siegel wird in Kapitel 3.3 erläutert. Hier werden die für alternativ erzeugte Lebensmittel am häufigsten verwendeten Gütezeichen einzeln vorgestellt: das Bio-Siegel, das Fairtrade-Siegel und das Regional-Siegel.
Das zweite große Kernelement (Kapitel 4] fokussiert den Konsumenten und sein Kaufverhalten. Hier werden theoretische Grundlagen über die Konsumentenverhaltensforschung aufgezeigt. Anhand des S-O-R-Modells wird erläutert, welche Einflussfaktoren während des Kaufentscheidungsprozesses auf den menschlichen Organismus einwirken. Darauf aufbauend werden die Einflussfaktoren, welche den Entscheidungsprozess beeinflussen können, vorgestellt und hinsichtlich alternativ erzeugter Lebensmittel analysiert.
Im dritten Hauptpunkt (Kapitel 5] findet die Anknüpfung an vorhandene empirische Analysen statt und die für diese Arbeit stattgefundene qualitative Analyse wird ausgewertet. Der aktuelle Forschungsstand über Kaufmotive und -barrieren von ökologischen Produkten und die Wirkung von Gütesiegeln wird in Kapitel 5.1 vorgestellt. Nach der Beschreibung der Forschungsmethode und des Untersuchungsdesigns werden die Ergebnisse der durchgeführten Leitfaden-Interviews ausgewertet und einzelne Einflussfaktoren explizit beleuchtet. Aus den Analyseergebnissen ausgewählter Einflussfaktoren auf das Kaufverhalten von Endkonsumenten bei Bio-, Fairtrade- und regionalen Lebensmitteln lässt sich eine Handlungsempfehlung für den Handel ableiten. Zuletzt werden die Inhalte in einem Fazit zusammengefasst.
1.3 Erhebungsmethode
Über die Entwicklung des Marktes für alternativ erzeugte Lebensmittel in Deutschland gibt es eine Vielzahl an Studien. Der Fokus liegt dabei meist auf Bio-Produkten, während Fairtrade- sowie regionale Lebensmittel bisher eher vernachlässigt wurden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass der Erfolg von Bio-Lebensmitteln spürbar und der Wirtschaft an einem weiteren Wachstum viel gelegen ist.
Um zum Ziel dieser Arbeit zu gelangen, wurde zunächst auf der Basis einer umfassenden Literatur- und Internetrecherche nützliches Material zur Bearbeitung des Themas herangezogen und ausgewertet. Für den ersten Hauptteil, der Darstellung des Marktes für alternativ erzeugte Lebensmittel, standen eine Vielzahl an Informationen zur Verfügung. Diese wurden auf Relevanz überprüft und lieferten den Grundstein für den hier aufgeführten Inhalt. Der zweite Hauptteil, die theoretischen Grundlagen zur Verhaltens- und Konsumentenforschung, wurde mit Hilfe von wissenschaftlichen Werken von Kroeber-Riel, Trommsdorff und Meffert erarbeitet. Sie lieferten Modelle und theoretische Erklärungsansätze, die weiterführend auf die Thematik der alternativ erzeugten Lebensmittel angewandt wurden.
Der Inhalt des praktischen Teils dieser Arbeit basiert auf der Auswertung der eigenen qualitativen Forschung in Form von Leitfaden-Interviews. Diese qualitative Methode ermöglicht es, das Individuum in seiner Rolle als Konsument zu betrachten und seine Einstellung zu ausgewählten Einflussfaktoren zu untersuchen. Es wurden sechs Leitfaden-Interviews durchgeführt, wobei die Teilnehmer hinsichtlich ihrer Kaufintensität von Bio-Lebensmitteln ausgewählt wurden. Zwei Personen können demnach als Intensivkäufer bezeichnet werden, zwei Personen als Gelegenheitskäufer und zwei Personen als Nichtkäufer.
2 Definitionen und Begriffsabgrenzungen
Um eine Basis für das Verständnis dieser Arbeit zu schaffen, werden zunächst relevante Begriffe definiert und abgegrenzt. Dafür wird zuerst formuliert, was bezogen auf alternativ erzeugte Lebensmittel unter der Bezeichnung „Siegel“ gemeint ist. Anschließend wird erklärt, was „biologischer/ökologischer Landbau" bedeutet und welche Kriterien dabei eingehalten werden. Weiterhin wird der Begriff „regionale Lebensmittel" sowie seine Bedeutung definiert. Zuletzt ist der Begriff „Fairtrade“ erläutert. Dabei sind die Vorgaben beschrieben, die für diese Kennzeichnung eingehalten werden müssen.
2.1 Siegel
Zur Nutzung der Begriffe „Siegel“ und „Label“ bei der Lebensmittelkennzeichnung existiert keine exakte Definition. In der Literatur finden beide Begrifflichkeiten Verwendung, weil ihnen die selbe Bedeutung zugeschrieben wird. Da der Begriff „Label“ tendenziell auch als „Marke" verstanden wird, findet fortlaufend das synonyme Wort „Siegel" Verwendung. Die Bezeichnungen „Siegel“, „Gütesiegel“ und „Qualitätssiegel“ sind dabei immer als Oberbegriffe für die in dieser Arbeit schwerpunktmäßig betrachteten Bio-, Fairtrade- und RegionalSiegel zu verstehen.
Siegel haben grundsätzlich zur Aufgabe, auf besondere Qualitäten von Produkten oder Dienstleistungen hinzuweisen. So werden Produkte mit speziellen gesundheitlichen, sozialen oder ökologischen Merkmalen mit einem Siegel versehen. Damit grenzen sie sich von anderen Produkten ab, die zwar gleiche oder ähnliche Gebrauchswerteigenschaften haben, aber diese zusätzlichen Merkmale nicht vorweisen (vgl. Verbraucher Initiative e.V., 2013b]. Haenraets et al. (2011, S. 5) nutzen den Begriff „Gütezeichen“ und sehen ihn als „Oberbegriff für alle extrinsischen Qualitätssignale (...), die als Wort und/oder Bildzeichen eine Mindestqualität zusichern, welche vom Zeichenherausgeber kontrolliert wird." Gängige Siegel auf dem Lebensmittelmarkt sind Bio- bzw. Öko-Siegel, Fairtrade-Siegel sowie besondere Qualitätssiegel, die andere Eigenschaften auszeichnen. Die für den Markt alternativ erzeugter Lebensmittel relevanten Siegel werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit vorgestellt.
Siegel werden als Informationsinstrument genutzt und sollen dem Verbraucher schnell ersichtlich zeigen, welche Auszeichnungen, Eigenschaften oder anderen Vorteile ein Lebensmittel bietet. Zusätzlich sind sie aber auch zu einem wichtigen Verkaufsinstrument geworden, welches häufig die Kaufentscheidung beeinflusst. Dabei wissen nur wenige Verbraucher, wofür ein Siegel wirklich steht. Aus Umfragen ging hervor, dass Lebensmittel mit einem Bio-Siegel von Kunden als sympathisch und qualitativ hochwertig empfunden werden, auch wenn sie über die Prüfkriterien kaum etwas wissen (vgl. Kwasniewski, 2012].
Leider verlieren selbst gut informierte Verbraucher bei der großen Anzahl von Öko-, Bio-, Qualitäts- und Fairtrade-Siegeln den Überblick (vgl. Kwasniewski, 2012]. Deshalb bieten Online-Suchportale die Möglichkeit, Hintergründe und Sinnhaftigkeiten unterschiedlicher Siegel nachzuschlagen. Label-Online.de zum Beispiel bietet derzeit Informationen über insgesamt mehr als vierhundert unterschiedliche Siegel an (vgl. Verbraucher Initiative e. V., 2013b).
2.2 Ökologischer/biologischer Landbau
In der vorliegenden Arbeit geht es schwerpunktmäßig um Bio-Lebensmittel. Deshalb wird das ökologische bzw. biologische Anbauverfahren kurz erläutert. Die Phrasen „ökologisch“ und „biologisch“ im Zusammenhang mit Landbau und Landwirtschaft meinen das Selbe und finden in der Wirtschaft und im Alltag synonym Verwendung. So sind auch hier die Begriffe „Öko" und „bio" gleichermaßen vorzufinden.
Der ökologische Landbau bezeichnet den Anbau und die Herstellung von Nahrungsmitteln nach natur- und umweltschonenden Methoden. Er zeichnet sich durch möglichst geschlossene betriebliche Nährstoffkreisläufe, den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und einer artgerechten Tierhaltung aus. Dabei wird auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Düngern und Pestiziden bei der Pflanzenproduktion sowie Hormonen und Leistungsförderern in der Tierhaltung verzichtet. Außerdem müssen Saatgut und Jungtiere von ökologisch bewirtschafteten Höfen stammen. Die Stall- und Auslaufflächen für Tiere sind exakt festgelegt und auch die Verwendung von Zusatz- und Hilfsstoffen zur Weiterverarbeitung von Lebensmitteln ist genauestens geregelt und besagt zum Beispiel, dass nur 47 der 316 in der konventionellen Produktion zugelassenen Stoffe erlaubt sind (vgl. Kreutzberger, 2009, S. 182].
Die europaweit geltende EU-Öko-Verordnung[1] regelt und schützt das Konzept des ökologischen Landbaus, indem es Vorgaben zur Erzeugung von Bio-Produkten, ihrer Kennzeichnung sowie den Kontrollverfahren macht (vgl. Kontrollverein Ökologischer Landbau, 2013]. Sie legt fest, dass ein ursprünglich konventioneller Betrieb erst nach einer Umstellungsphase von mindestens zwei Jahren mit der Produktion ökologischer Produkte beginnen und sie als biologische Ware verkaufen darf (vgl. Europäische Kommission, 2013]. Weiterhin schützt die Verordnung die Begriffe „bio“ und „öko“ sowie „biologisch“ und „ökologisch“, die demnach nur verwendet werden dürfen, „wenn die Produkte nach den EU-Ökokriterien er- zeugt,verarbeitetund kontrolliert wurden" (Kreutzberger, 2009, S. 183].
Die politische Unterstützung des ökologischen Landbaus äußert sich vor allem in der finanziellen Förderung konventioneller Betriebe bei der Umstellung zu ökologischen Betrieben. Die Maßnahmen wurden aufgrund des Ziels der Bundesregierung von 2001, den Anteil von ökologischer Landwirtschaft in Deutschland bis 2010 auf 20 Prozent zu steigern, ergriffen (vgl. Steimer, 2006, S. 9). Mit einem Anteil von 6,3 Prozent ökologischer Landwirtschaft im Jahr 2012 wurde dieses Ziel eindeutig verfehlt (vgl. Bund Ökologische Lebensmittel e.V., 2013, S. 7).
2.3 Regionale Lebensmittel
Eng verknüpft mit der Thematik biologischer Lebensmittel ist die regionale Lebensmittelherstellung. Da regionale und biologische Lebensmittelherstellung teilweise die selben Ziele verfolgen, werden sie von Konsumenten häufig gleichgestellt (vgl. Becker, 2012, S. 32]. Obwohl sie sich gegenseitig nicht ausschließen, lassen sie sich dennoch nicht gleichsetzen. So wie biologische Lebensmittel demnach aus fernen Ländern der Welt importiert werden, können regionale Produkte aus konventionellem Anbau stammen.
Unter „Region“ wird ein Teilraum Deutschlands verstanden, der in seinem Umfang zwischen nationaler und lokaler Größe variabel ist. Eine Region könnte demnach zum Beispiel ein Bundesland, ein bestimmter Landschaftsraum oder eine noch kleinere Raumeinheit bilden (vgl. FiBL Deutschland e.V., 2012]. Ein Lebensmittel zählt dann als regional, wenn es „in der Region erzeugt, hergestellt und verarbeitet (...) und in der näheren Umgebung distri- buiert (wird]" (Benner & Kliebisch, 2004, S. 10]. Die Begriffe „Region" und „Regionalität" unterliegen dabei keiner eindeutigen gesetzlichen Regelung, so wie es bei der Definition von Bio-Lebensmitteln der Fall ist. Unterschiedliche Studien und Befragungen haben ein individuelles Verständnis von Regionalität deutlich gemacht. Laut einer Befragung in BadenWürttemberg, meinen dortige Bewohner unter „Region“ in Bezug auf Lebensmittel den eigenen Wohnort und die Umgebung in maximaler Entfernung von 100 km (vgl. MLR, 2013).[2]
Regionale Lebensmittel tragen zur Beibehaltung der Vielfalt der Natur und des Geschmacks bei und bieten nach Meinung von Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, „einen wichtigen Gegentrend zum Einheitsgeschmack der Lebensmittelindustrie“ (MLR, 2013). Als weitere Aspekte von Regionalität nennt sie Authentizität, Ursprünglichkeit, Identität, Sicherheit und Gesundheit (vgl. MLR, 2013). Einen weiteren Vorteil bieten regionale Produkte für unsere Umwelt, indem durch kurze Wege und effiziente Transportmittel eine bessere Öko-Bilanz erzielt wird (vgl. Benner & Kliebisch, 2004, S 9].
2.4 Fairtrade
In den letzten zwanzig Jahren stieg die Distribution von Lebensmitteln in Deutschland, die aus fernen Ländern importiert werden da sie aus klimabedingten Gründen nicht in Europa angebaut werden können. Durch die schlechten Sozialstandards in den Dritte Welt Ländern[3] steigt gleichzeitig der Anteil an Fairtrade-Produkten auf dem Markt. Vorrangig handelt es sich dabei um Kaffee, Tee, Kakao, Rohrzucker, exotische Gewürze und tropische Früchte (vgl. Henseleit, 2012, S. 137).
Fairtrade-Lebensmittel werden unter festgelegten Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen im Herstellungsland produziert. Kinderarbeit ist generell verboten und den Erzeugern wird durch das Zahlen angemessener Preise ein ehrwürdiges Leben ermöglicht. Sichergestellt wird das durch eine im Endpreis eines Fairtrade-Produktes inkludierte Prämie, die direkt an die Erzeuger ausgezahlt wird. Diese Prämie dient der weiteren Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf den Plantagen (vgl. Henseleit, 2012, S. 137). Das Fairtrade-Siegel ist damit eine Art „Sozial-Siegel“, welches Verbrauchern, Produzenten, Unternehmen und Händlern ermöglicht, durch ihr Einkaufsverhalten, ihre Wirtschaftsweise und ihre Unternehmenspolitik an der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Dritte Welt Ländern teil zu haben (vgl. TransFair e. V., 2013).
Fairtrade-Produkte werden nicht automatisch auch nach ökologischen Anbaukriterien hergestellt. Fairtrade- und Bio-Siegel dokumentieren unterschiedliche Richtlinien, da sie verschiedenen Grundsätzen unterliegen. Viele Fairtrade-Hersteller produzieren allerdings inzwischen auch nach den Kriterien des ökologischen Landbaus. In diesem Fall trägt ein Produkt beide Siegel, was dem Verbraucher Sicherheit für die Einhaltung beider Standards gibt (vgl. Henseleit, 2012, S. 138).
3 Der Markt für alternativ erzeugte Lebensmittel
Im nachfolgenden Kapitel wird auf die Historie und die aktuelle Situation des Marktes für Bio-, Fairtrade- und regionale Lebensmittel eingegangen. Der erste Teil beschreibt dazu die Entstehung des Bio-Marktes. Anschließend wird die Entwicklung der Märkte für Bio-, Fairtrade- und regionale Lebensmittel im Einzelnen betrachtet. Durch die große Anzahl an Produkten aus biologischem Anbau, fairem Handel und aus regionalen Anbaugebieten wurden im Laufe der Jahre die Anzahl an Siegeln, die den Verbraucher auf die Eigenschaften der Produkte hinweisen, immer größer. Die am häufigsten genutzten offiziellen Siegel werden in Kapitel 3.3 im Einzelnen vorgestellt. Punkt 3.4 enthält eine Zusammenfassung des gesamten Kapitels sowie ein Zwischenfazit.
3.1 Entstehung des Marktes für Bio-Lebensmittel
Die Wurzeln des ökologischen Landbaus wurden vor etwa einem Jahrhundert in der Lebensreformbewegung geschlagen. Damals fand eine Gegenbewegung zur Industrialisierung statt, die eine Rückkehr zur natürlichen Lebensweise forderte (vgl. Warncke, 2007, S. 14 f.). Bruhn (2002, S. 51 f.) beschreibt die Entwicklung des Bio-Marktes aus Sicht der Diffusionsforschung. Unter Diffusion wird die Ausbreitung einer Innovation in der Gesellschaft verstanden, wobei es sich bezogen auf den Markt ökologischer Lebensmittel nicht um eine Innovation i.S.v. wissenschaftlich-technischer Neuerung handelte, sondern eher um die Korrektur einer durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt entstandenen Entwicklung (vgl. Gerber et al., 1996, zitiert nach Bruhn, 2002, S. 52). Laut Gerber et al. (1996, S. 603) entstand der ökologische Landbau bereits 1924, weil einige engagierte Pioniere eine Alternative zur zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft suchten, die in ihren Augen ökologische, soziale, ethische und gesundheitliche Nachteile mit sich brachte. Eine Einteilung des Ausdehnungsprozesses des biologischen Landbaus in Phasen nahm Warncke (2007, S. 15) vor:
Erste Phase (1960-1988): aufkommendes Umweltbewusstsein, Gründung der ersten ÖkoAnbauverbände (u. a. Bioland 1971, Biokreis 1979) und des Öko-Dachverbands IFOAM (International Federation of Organic Agriculture Movement)
Zweite Phase (1989-2000): Anstieg ökologisch bewirtschafteter Fläche und Bio-Höfe, staatliche Förderung bei Umstellung des Betriebs, Regelung des Öko-Landbaus durch die EG-Verord- nung 2078/92 (seit 1994) und die EG-Verordnung 1257/1999 (seit 2000)
Dritte Phase (2001-heute): Bildung des Ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) als Reaktion auf steigende Anzahl von Lebensmittelskandalen, anfänglich steigende Nachfrage nach Bio-Produkten (2001), erstmals rückläufigeWachstums- raten 2003 durch geringer werdende Nachfrage aufgrund des Nitrofen-Skandals im Öko-Landbau, seither stabiler Ausbau des Bio-Landbaus, geringes Wachstum der Bio-Anbauflächen und -Höfe, steigende Nachfrage, erhöhte Importe von Rohstoffen aus Drittländern
Innerhalb der ersten Ausdehnungsphase entstanden vier der heutigen acht großen ÖkoAnbauverbände: Demeter, Bioland, Biokreis und Naturland. 1989 begann die EG, die landwirtschaftlichen Betriebe bei der Umstellung auf den ökologischen Landbau finanziell zu fördern und leitete damit die Zweite Phase ein. Die Anzahl der Betriebe, die von da an umstellten, wuchs rasant (vgl. Bruhn, 2002, S. 53 f.).
3.2 Marktentwicklung: Distribution und Nachfrage
Der konventionelle Einzelhandel gilt als Haupteinkaufsstätte für Verbraucher (vgl. Bruhn, 2002, S. 55). Discounter nahmen dabei 2011 einen Marktanteil von 43,4 Prozent ein. Mit dem Einsteig in das Geschäft mit alternativ erzeugten Lebensmitteln erreichen Discounter nun auch die Zielgruppe der „bewussten“ Einkäufer auf dem Massenmarkt. Bio-, Fairtrade- und regionale Lebensmittel haben historisch bedingt eine Vielzahl an Distributionskanälen, deren Entstehung und Entwicklung nachfolgend vorgestellt wird.
3.2.1 Marktentwicklung für Bio-Lebensmittel
Als traditionelle Vertriebswege von Bio-Produkten gelten Naturkostläden und Direktver- markter (vgl. Bruhn, 2002, S. 55). Zu den Naturkostläden zählen Bio-Supermärkte und Reformhäuser, eine Direktvermarktung findet vorrangig über Hofläden sowie Wochen- und Bauernmärkte statt (vgl. Räpple, 2006, S. 19). Naturkostläden spielten vor allem in den 1980er Jahren für in der Stadt lebende, überzeugte Konsumenten eine große Rolle, da der konventionelle Einzelhandel zu dieser Zeit keine ökologisch erzeugten Lebensmittel anbot und der Weg zum nächsten Hofladen oft weit war. Bio-Läden stellten zu dieser Zeit oft Räume für Einkaufsgemeinschaften konsum- und kapitalismuskritischer Kunden dar. Sie gingen dort nicht nur einkaufen sondern nutzten diesen Ort auch als Raum für politische Diskussionen. Menschen, die dieser Szene nicht angehörten, besuchten diese Läden eher selten, weshalb Öko-Produkte damals einen Nischen-Markt für engagierte Konsumenten darstellte (vgl. Spiller et al., 2005, S. 3).
Erst zu Beginn der zweiten Phase (vgl. Kapitel 3.1], als durch EU-Fördergelder die Erzeugerpreise sanken, erkannte der konventionelle Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) das Geschäft mit Bio-Produkten für sich (vgl. Bruhn, 2002, S. 56] und ermöglichte damit den Bio-Konsum für Jedermann. Seither hat sich der LEH zu einem wichtigen Absatzkanal für Bio-Lebensmittel entwickelt. 2002 konnte er bereits einen Marktanteil von 33 Prozent verzeichnen, wobei der Naturkostfachhandel mit 35 Prozent noch knapp vorn lag (vgl. Räpple, 2006, S. 19). Im letzten Jahr veröffentliche der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (2013, S. 17] aktuelle Zahlen zu Umsätzen, die bestätigen, dass der LEH mit 50 Prozent Umsatzanteil für Öko-Lebenmittel in Deutschland inzwischen eindeutig vor Naturkostfachgeschäften (31 Prozent) und sonstigen Absatzkanälen liegt (vgl. Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Umsatzanteile für Bio-Lebensmittel einzelner Distributionskanäle in Deutschland 2012.
(Quelle: Eigene Darstellung nach Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V., 2013, S. 17)
Die erste konventionelle Handelskette mit Vertrieb von Bio-Lebensmitteln war Tegut im Jahr 1985. Kurz darauf folgten viele weitere (vgl. Warncke, 2009, S. 29). Heute kann man davon ausgehen, dass jede namhafte Handelskette Bio-Produkte im Sortiment führt. Dabei platzieren Supermärkte ihre Bio-Produkte entweder in einem eigens dafür gekennzeichneten Regal oder produktgruppenspezifisch eingeordnet bei den konventionellen Lebensmitteln gleicher Art, was einen geringeren Organisationsaufwand für gelegentliche Bio-Käufer bedeutet (vgl. Reuter, 2002, S. 7). Jeder Markt führt derzeit je nach Anbieter (Edeka, Metro, Rewe, Tengelmann, Karstadt) 200 bis 800 Bio-Artikel. Mit ca. 1.200 Produkten nimmt Tegut auch derzeit noch immer eine herausragende Rolle unter den Marktteilnehmern des LEH ein (vgl. Spiller et al., 2005, S. 5).
Einen nicht geringen Anteil an der positiven Umsatzentwicklung des LEH haben die Discounter. 2002 führte Plus als erster deutscher Discounter mit „BioBio“ eine Bio-Eigenmarke ein. Heute sind fast alle Discounter mit einer eigenen Bio-Marke vertreten (vgl. Reuter, 2002, S. 1). Im Jahr 2010 hatten die Discounter bereits einen geschätzten Anteil am Gesamtumsatz mit Bio-Lebensmitteln von 30 Prozent (vgl. o. V., 2011).
Als sehr bedeutsamer Absatzkanal gilt weiterhin der Naturkostfachhandel, der 2012 mit 31 Prozent den zweitgrößten Umsatzanteil am gesamten Bio-Lebensmittelmarkt verzeichnete (vgl. Abbildung 1). Laut Räpple (2006, S. 20) zählen zum Naturkostfachhandel die Naturkostfachgeschäfte und die Bio-Supermärkte. Letztere schließen sich einer eher konventionellen Vermarktungsform an und begannen, sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland mit starkem Wachstum zu etablierten. Im Jahr 2000 gab es fünfzig dieser Läden und 2004 waren es bereits 250 (vgl. Spiller et al., 2005, S. 3). Räpple (2006, S. 20) schreibt über das Konzept der Bio-Supermärkte:
„(Es) ist der Versuch, eine Synthese aus herkömmlichen Bioläden und herkömmlichen Supermärkten zu schaffen, um die Vorteile beider Vertriebsformen zu vereinen. Eine angenehme Einkaufsatmosphäre und ein breites Sortiment hochwertiger Bio-Produkte wird mit den Annehmlichkeiten des schnellen und einfachen Einkaufs verbunden, so dass der Konsument seine Einkaufsgewohnheiten nicht umstellen braucht."
Im Unterschied zu den Naturkostfachgeschäften bieten Bio-Supermärkte vor allem größere Verkaufsflächen sowie eine höhere Sortimentstiefe und -breite. Bio-Supermärkte bieten mit bis zu 10.000 Artikeln deutlich mehr Produkte an als Naturkostfachgeschäfte. Dabei sehen sich Bio-Supermärkte in einer doppelten Wettbewerbssituation: Einerseits müssen sie sich gegenüber den spezialisierten Naturkostläden abgrenzen und andererseits stehen sie in unmittelbarem Wettbewerb zum konventionellen Lebensmitteleinzelhandel, der sein BioAngebot zunehmend ausbaut (vgl. Räpple, 2006, S. 21 f.).
Insgesamt hat sich die Distribution von Bio-Lebensmitteln in den letzten Jahren einem starken Strukturwandel unterzogen. Die Marktbeteiligung der Discounter hat zumeist die Schließung kleiner Naturkostläden aufgrund der dort sinkenden Nachfrage zur Folge. Die kleinen Läden können ihre Produkte nicht zu Discounter- und Supermarktpreisen anbieten.
3.2.2 Marktentwicklung für Fairtrade-Lebensmittel
In den 1970er Jahren war die Gepa die erste deutsche Handelsgesellschaft für Produkte aus Dritte Welt Ländern und mit dem Import dieser Waren nach Deutschland beauftragt. Sie wurde infolge der wachsenden Anzahl von ethisch und politisch motivierten Aktionsgruppen, die bereits damals fair gehandelte Produkte aus dem Süden in sogenannten „DritteWelt-Läden" zum Verkauf anboten, gegründet. Zu diesem Zeitpunkt begann die Etablierung von Fairtrade-Produkten in Deutschland, wenn auch vorerst als Marktnische fernab des profitorientierten Handels. Erst in den 1980er und 1990er Jahren kam es zu einem Strukturwandel des alternativen Handels, da viele Dritte Welt Länder durch den Zerfall von sozialistischen Staaten überschuldet waren und damit die Preise für bis dahin umsatzstarke Produkte wie beispielweise Kaffee rapide sanken. Es wurden Forderungen laut, die Vermarktung alternativer und fair gehandelter Produkte auf kommerzielle Märkte auszuweiten um neue Käufergruppen zu erschließen und eine Umsatzsteigerung zu erzielen (vgl. Rummelsberger, 2008, S. 44 f.).
Seit den 1980er Jahren können Verbraucher deshalb vermehrt Fairtrade-Lebensmittel im deutschen Einzelhandel vorfinden. Unabhängig von der Einkaufsstätte beschränkt sich das Produkt-Sortiment meist auf Tee, Kaffee, Schokolade, Gewürze und Früchte. Das sind Produkte, deren Grundstoffe in Deutschland oder näherliegenden Nachbarländern aus klimabedingten Gründen nicht angebaut werden können (vgl. Henseleit, 2012, S. 137).
Durch die Handelsausweitung waren fair gehandelte Produkte von da an in Geschäften neben anderen, konventionellen Produkten platziert. Um die Abgrenzung von Fairtrade-Pro- dukten gegenüber den konventionellen Lebensmitteln sicherzustellen gründete sich 1992 die deutsche Siegelorganisation TransFair e.V., die Produkte nach Richtlinien des fairen Handels mit dem Fairtrade-Siegel auszeichnet (vgl. Crescenti, 2012). Dadurch können überdies die sozialen Aspekte, die solche Produkte mit sich bringen, klar kommuniziert werden (vgl. Fair Trade e.V., 2001, S. 96). Seit seiner Gründung verfolgt der Verein TransFair das Ziel, nachhaltige und gerechtere Handelsalternativen zu fördern und Kleinerzeugern in Entwicklungsländern eine angemessene Entlohnung ihrer Arbeit zu zahlen.
Der Umsatz von fair gehandelten Produkten hat sich zwischen 2004 und 2009 weltweit verdreifacht. Deutschland stand, den Umsatz betreffend, 2009 weltweit an vierter Stelle.[4] Mit einer Pro-Kopf-Ausgabe von 3,25 Euro liegt Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern jedoch weit zurück.[5] Dennoch steigerte sich der Umsatz auch in Deutschland von 2010 auf 2012 um enorme 33 Prozent (vgl. Abbildung 2). Vergleicht man die Entwicklung des Fairtrade-Marktes mit der des Bio-Lebensmittelmarktes erkennt man deutliche Parallelen. Sowohl bei Fairtrade-Produkten als auch bei Bio-Lebensmitteln sind die erheblichen Absatzzuwächse auf den Einstieg des konventionellen Lebensmitteleinzelhandels und der Discounter in den Fairtrade-Handel zurückzuführen (vgl. Henseleit, 2012, S. 137 f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Umsatzentwicklung von Fairtrade-Produkten in Deutschland.
(Quelle: Eigene Darstellung nach TransFair e. V., 2013a)
Seit 2006 werden führende Lebensmitteldiscounter in Deutschland als Vertriebsweg für Fairtrade-Produkte kontinuierlich und unter stetigem Wachstum ausgebaut. Da über 90 Prozent der Deutschen gelegentlich oder regelmäßig im Discounter einkaufen, ist dieser Vertriebsweg für die Produzentengruppen in den Dritte Welt Ländern enorm wichtig. Der vom TransFair e. V. festgelegte Mindestpreis und die Fairtrade-Prämie sind für jeden Lizenzpartner einheitlich und unabhängig vom Hersteller oder Vertriebsweg an die Produzenten zu zahlen (vgl. TransFair e.V., 2011). Für die Bauern und Arbeiter in den Ländern des Südens ist es daher von Vorteil, wenn sich die Vertriebswege stetig ausweiten, da bei ihnen am Ende die selbe Summe pro verkauftem Artikel ankommt. Dass Fairtrade-Produkte im Discounter für den Verbraucher dennoch zu günstigeren Preisen angeboten werden als in konventionellen Supermärkten oder in Weltläden, liegt an den handelsspezifischen Produktkalkulationen, die es eben auch ermöglichen, andere Lebensmittel günstiger anzubieten (vgl. TransFair e.V., 2011). Diese Entwicklung wird von der Fair-Handelsorganisation Gepa kritisch betrachtet. Sie äußert sich besorgt, dass die Glaubwürdigkeit von Fairtrade für viele Konsumenten wegen der teilweise schlechten Umgangsformen mit DiscounterMitarbeitern verloren gehen könnte. Durch das Angebot von Fairtrade-Produkten versuchen sie, das Image zu verbessern (sog. Green- bzw. Whitewashing), was Vertrauensverluste bei Fairtrade-Anhängern verursachen könnte (vgl. Fair Trade e. V., 2013).
In einem Interview mit N24 (2011) gab der TransFair-Geschäftsführer Dieter Overath an, dass im Jahr 2011 mehr als 180 Lizenznehmer in über 30.000 Geschäften sowie 18.000 Restaurants und Cafés Fairtrade-Produkte angeboten haben. Die Präsenz solcher Produkte in den Ladenregalen nimmt stetig zu, was einen wachsenden Bekanntheitsgrad des Fair- trade-Siegels bewirkt. Der lag 2011 bereits bei 77 Prozent (vgl. N24, 2011). Die steigende Präsenz ist auch auf die Beteiligung großer, erfolgreicher Unternehmen wie Starbucks und Ben & Jerry's (vgl. Abbildung 3) zurückzuführen, die beide seit 2010 Fairtrade-Produkte anbieten und das auf ihren Verpackungen entsprechend kenntlich machen (vgl. TransFair e. V., 2013e). Ein insgesamt starker Motor für die erfolgreichen Umsatzzahlen ist das Außer- Haus-Geschäft: Knapp ein Drittel des Fairtrade-Kaffees geht in Bäckereien, Cafés, Mensen oder Kantinen über die Ladentische (vgl. TransFair e.V., 2013c).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Starbucks und Ben & Jerry's Verpackung mit Fairtrade-Siegel.
3.2.3 Marktentwicklung für regionale Lebensmittel
Eng verknüpft mit dem Handel ökologischer und Fairtrade-Lebensmittel ist der mit regionalen Lebensmitteln. Viele Konsumenten greifen zu regionalen Produkten, weil das ihrer Meinung nach die Wirtschaft vor Ort stärkt (vgl. Stiftung Warentest 2013). Weitere Vorteile regionaler Lebensmittel sind die geringere Umweltbelastung durch verkürzte Transportwege sowie die vereinfachte Rückverfolgbarkeit der Produkte (vgl. Benner & Kliebisch, 2004, S. 10).
Auch wenn einige Hersteller bereits höhere Löhne für die Erzeuger garantieren, lassen sich „regional“ und „fair“ nicht gleichsetzen, denn ein regionales Produkt kann auch unter nicht fairen Bedingungen oder unter konventionellen Herstellungsmethoden erzeugt worden sein. Auch eine Bio-Qualität ist bei regionalen Erzeugnissen daher nicht automatisch gegeben. Sicherheit für den Verbraucher gibt es nur, wenn das Produkt die jeweiligen Gütesiegel trägt. Nur wenn ein Produkt mit einem Bio- und einem Fairtrade-Siegel gekennzeichnet ist, kann sich der Konsument sicher sein, dass beide Richtlinien eingehalten sind. Einige ÖkoAnbauverbände vergeben mittlerweile ein „Doppel-Siegel“. In Berlin und Brandenburg existieren beispielsweise Produkte des Öko-Verbands Demeter, die das Logo „fair & regional“ tragen. Im Süden Deutschlands befindet sich das Logo „regional & fair" des Bio-Verbands Biokreis im Umlauf (vgl. Stiftung Warentest 2013).
Der Lebensmitteleinzelhandel hat für das Thema „Regionalität“ eine eigene Strategie entworfen: er verkauft regionale Lebensmittel unter regionalen Eigenmarken, wobei jedes Unternehmen den Regionalbegriff individuell definiert hat und es keine gesetzlichen Vorschriften zu (einheitlichen) Qualitätsstandards oder Rohstoffbezügen gibt (vgl. Kapitel 3.3.3). Viele Handelsketten werben (nur) am POS und in Anzeigenblättern mit der Regio- nalität ihrer Produkte. Mit Region ist in diesen Fällen das gesamte Vertriebsgebiet der Handelskette gemeint, das häufig bundeslandübergreifend ist. Die Werbung mit dem Begriff „Regionalität“ führt deshalb bei Verbrauchern zu Verwirrung, da meist nur der Standort des Herstellers, nicht aber die Herkunft der Rohstoffe kommuniziert ist (vgl. FiBL Deutschland e. V., 2012, S. 13f.).
3.3 Kennzeichnungen Lebensmitteln
Durch die Entwicklung vom Verkäufer- zum Käufermarkt in der Lebensmittelbranche stehen heute einzelne Produkte in großem Wettbewerb zu anderen, ähnlichen Produkten und ringen um die Aufmerksamkeit der Verbraucher (vgl. Warncke, 2009, S. 9). Um Produkte mit besonderen sozialen oder ökologischen Eigenschaften von den konventionellen Produkten abzuheben, kommen häufig Qualitäts- und Gütesiegel zum Einsatz. Es gibt mittlerweile mehr als dreihundert Siegel, die bestimmte Qualitäten oder Eigenschaften von Produkten zertifizieren (vgl. Haenraets et al., 2011, S. 3]. Bevor die wichtigsten und hinsichtlich Bio-, Fairtrade- und regionalen Lebensmitteln relevanten Siegel vorgestellt und deren Standards erläutert werden, findet eine Einordnung von Gütesiegeln innerhalb von Qualitätssignalen anhand einer Klassifizierung statt.
3.3.1 Klassifizierung von Siegeln
Laut Haenraets et al. (2011, S. 3) dienen Gütesiegel dazu, Vertrauensattribute in Erfahrungsattribute umzuwandeln. Vertrauensattribute sind Eigenschaften, die vom Konsumenten erst durch eine externe Quellen validiert werden müssen, da sie sonst nicht beurteilt werden können (vgl. Jahn et al. 2005, zitiert nach Haenraets et al., 2011, S. 3). Darunter zählen zum Beispiel Nährwertangaben, aber auch ökologische oder soziale Aspekte, wie Bio-, Fairtrade und regionale Eigenschaften. Durch den Einsatz von Gütesiegeln wird es dem Konsumenten ermöglicht, Produkteigenschaften vor dem Kauf zu beurteilen (vgl. Haenraets et al., 2011, S. 3].
Gütesiegel sollen dem Verbraucher Qualitätsattribute von Produkten näher bringen. Steenkamp (1990, zitiert nach Haenraets et al., 2011, S. 4) unterteilt solche Qualitätssignale in „intrinsische Qualitätssignale“ und „extrinsische Qualitätssignale“. Intrinsische Qualitätsmerkmale sind seiner Beschreibung zufolge qualitätsbestimmende physische oder funktionale Produkteigenschaften, die nur durch einen Eingriff in den Produktionsprozess verändert werden können (z.B. Geschmack, Geruch, Inhaltsstoffe]. Gütesiegel werden den extrinsi- schen Qualitätssignalen zugeordnet. Diese sind nicht direkt auf die Funktionalität eines Produktes bezogen, sondern vielmehr auf besondere Merkmale wie beispielsweise ökologische oder soziale Eigenschaften, die dem Konsumenten angezeigt werden sollen (vgl. Haenraets et al., 2011, S. 4).
Eine Möglichkeit der Klassifizierung von Gütesiegeln bietet das Kriterium des Zeichenherausgebers. Ein Siegel kann von einer unabhängigen Organisation oder vom Hersteller selbst als sogenanntes Qualitätsversprechen verliehen werden. Haenraets et al. (2011, S. 3) weisen auf Studien hin, die belegen, dass dieses Kriterium einen erheblichen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit und die Wirkung eines Siegels auf einem Lebensmittel hat. Die Abbildung 4 zeigt die Klassifizierung und die für diese Arbeit relevanten Felder. Nachfolgend wird nur auf Siegel Bezug genommen, die von unabhängigen externen Organisationen oder Unternehmen verliehen werden. Aufgrund der Vielzahl existierender Siegel beschränkt sich die Untersuchung nur auf ausgewählte Bio-, Fairtrade- und Regional-Siegel.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Klassifizierung von Qualitätssignalen.
(Quelle: Eigene Darstellung nach Haenraets et al., 2011, S. 8)
3.3.2 Bio-Siegel
Das offizielle Bio-Siegel
Bei Bio-Lebensmitteln handelt es sich um Vertrauensprodukte (vgl. Spiller et al., 2005, S. 17). Vor allem bei unverarbeiteten Produkten wie Fleisch, Obst und Gemüse sind sich Verbraucher hinsichtlich der Qualität unsicher. Solche Lebensmittel gehören meist keiner Marke an weshalb sie auch nicht mit positiven Markenwerten oder -erfahrungen in Verbindung gebracht werden können (vgl. Bech-Larsen & Grunert 2001, zitiert nach Steimer, 2006, S. 10). Aus diesem Grund ist ein markenübergreifendes Siegel, welches die Bio-Qualität bestätigt, sinnvoll. Belz (2001, S. 98) ist der Meinung, dass Informationsasymmetrien zwischen Herstellern und Verbrauchern abgebaut werden können, wenn sich ein glaubwürdiges Bio-Siegel auf dem Markt etablieren würde.
In Deutschland soll seit September 2001 das staatliche Bio-Siegel eine solche Funktion übernehmen (vgl. Steimer, 2006, S. 10). Das sechseckige grünweiße staatliche Bio-Siegel (vgl. Abbildung 5] ist nach Angaben von Kreutzberger (2009, S. 184] das bekannteste Siegel in Deutschland. Es darf nur verwendet werden, wenn alle Vorgaben der EU-Öko-Verordnung eingehalten werden (vgl. Kapitel 2.2].
Die Verwendung des staatlichen Bio-Siegels ist freiwillig. Seit dem 1. Juli 2010 ist es jedoch beinahe überflüssig, da seitdem eine Kennzeichnungspflicht bei Bio-Lebensmitteln mit dem EU-Bio-Siegel besteht, ein auf grünem Untergrund in Sternen visualisiertes Blatt (vgl. Abbildung 5). Die Einführung eines solchen Logos innerhalb der EU-Mitgliedstaaten erzeugt ein einheitliches Kennzeichnungsmerkmal, das dem Verbraucher die Sicherheit gibt, ein ökologisch erzeugtes Produkt zu kaufen. Auf Produkten mit dem EU-Bio-Siegel ist darüber hinaus der Ort angegeben, aus dem die landwirtschaftlichen Rohmaterialien stammen. Die Verbindlichkeit der Verwendung des einheitlichen EU-Bio-Siegels verbietet jedoch nicht die Verwendung weiterer Siegel, so dass ein Produkt durchaus mit mehreren Bio-Siegeln gekennzeichnet sein kann (vgl. Kreutzberger, 2009, S. 184].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: EU-Bio-Siegel und staatliches Bio-Siegel.
Siege! von Bio-Anbauverbänden
Es gibt derzeit acht aktive Öko-Anbauverbände in Deutschland, die sich vor allem in ihrer Größe und regionalen Ausbreitung voneinander unterscheiden. Unter dem nationalen Dachverband „Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft“ (BÖLW), der die Interessen der ökologischen Lebensmittelwirtschaft bündelt und gegenüber Politik und Gesellschaft vertritt, arbeiten die Öko-Anbauverbände Bioland, Naturland, Demeter, Biopark, Biokreis, Ecoland, Ecovin und GÄA (vgl. Abbildung 6, vgl. Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V., 2013]. Die einzelnen Anbauverbände formierten sich schon lange bevor es zur EU-Öko- Verordnung kam. Bioland zum Beispiel, nach eigenen Angaben der führende ökologische Anbauverband in Deutschland, gründete sich bereits 1971 aus der Idee heraus, in möglichst geschlossenen Betriebskreisläufen anzubauen und zu produzieren (vgl. Bioland, 2013).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6: Bio-Siegel der in Deutschland aktiven Öko-Anbauverbände.
Jeder Öko-Anbauverband arbeitet nach eigenen auferlegten Richtlinien. Diese entsprechen jeweils mindestens den Anforderungen der EU-Öko-Verordnung, sind aber meist sehr viel strenger. Mitglieds-Betriebe der Verbände verpflichten sich, die Verbandskriterien einzuhalten und sich regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen wofür sie im Gegenzug das Siegel des Verbandes zur Kennzeichnung ihrer Erzeugnisse verwenden dürfen (vgl. Kreutzberger, 2009, S. 186). Einige Unterschiede der einzuhaltenden Richtlinien zwischen der EU-Öko- Verordnung und den Öko-Anbauverbänden sind in Tabelle 1 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Unterschiede der Richtlinien der EU-Öko-Verordnung und Öko-Anbauverbände.
(Quelle: Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V., 2008, S. 31)
Ein Lebensmittel, welches mit dem Siegel eines Öko-Anbauverbandes versehen ist, wurde demnach unter strengeren ökologischen Kriterien hergestellt, als eines, welches das staatliche und/oder das EU-Bio-Siegel trägt. Produkte, die mit einem Siegel eines Öko-Verbandes zertifiziert sind, können zusätzlich das EU-Bio-Siegel oder das staatliche Bio-Siegel tragen.
3.3.3 Regional-Siegel
Laut Verbraucher Initiative e.V. (2013a) bewerben Regional-Siegel Produkte aus einer bestimmten Region. Eine Region kann Länder, Städte, Bundesländer oder Landstriche meinen.
Aufgrund der wachsenden Nachfrage nach Lebensmitteln aus der Heimat (vgl. Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, 2013] finden RegionalSiegel verstärkt Einsatz. Es existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Regional-Siegel auf dem Lebensmittelmarkt. Eine Vergleichbarkeit der einzelnen Siegel wird jedoch durch die jeweils unterschiedlichen Richtlinien deutlich erschwert. Das macht es für den Verbraucher zu einer Herausforderung, sich zu orientieren (vgl. Stiftung Warentest, 2013).
Derzeit vermarkten 14 Bundesländer jeweils regional erzeugte Produkte unter der Kennzeichnung eigener Herkunftssiegel. Untereinander sind sie nur schwer vergleichbar, da sie unterschiedliche Richtlinien in Herkunft und Qualität erfüllen. Bei Produkten mit dem Siegel „Öko-Qualität Bayern“ ist beispielsweise garantiert, dass mindestens 80 Prozent der verarbeiteten Rohstoffe aus Bayern kommen, bei Lebensmitteln mit dem Siegel-Aufdruck „Gesicherte Qualität Baden-Württemberg“ sogar 90 Prozent. Das Siegel „Geprüfte Qualität Thüringen“ fordert hingegen nur mindestens 50,1 Prozent Thüringer Rohstoffe (vgl. Stiftung Warentest, 2013).
Immer mehr Supermarktketten verkaufen Produkte unter regionalen Eigenmarken, die sich in ihrer Wahrnehmung kaum oder gar nicht von offiziellen Siegeln unterscheiden (vgl. Abbildung 7). Eine regionale Eigenmarke ist eine Handelsmarke, welche die regionale Herkunft des Produktes in den Vordergrund stellt (vgl. Benner & Kliebisch, 2004, S. 15]. Rewe bietet zum Beispiel seit 2012 saisonales Obst und Gemüse aus verschiedenen deutschen Regionen unter der Marke „Rewe Regional“ an. Edeka Südwest verkauft schon seit 2006 unter der Marke „Unser Heimat - echt & gut“ regionale Produkte, dessen Sortiment heute mehrere hundert Produkte umfasst. Auch Edeka Nord und Edeka Rhein-Ruhr bieten regionale Lebensmittel unter eigenen Regionalmarken an. „Region" definiert Edeka als alle zugehörigen Bundesländer des Absatzgebietes der jeweiligen Edeka-Regionalgesellschaft. Lidl versteht als „Heimat" ganz Deutschland und vertreibt unter der Marke „Ein gutes Stück Heimat" u. a. Milch, Säfte, Fleischwaren und Gemüsekonserven deutschlandweit. Inwieweit es sich dabei um „echte“ regionale Produkte handelt, bleibt umstritten (vgl. Stiftung Warentest, 2013).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7: Regional-Eigenmarken von Lidl („Ein gutes Stück Heimat“), Edeka („Unsere Heimat - echt & gut“) und Rewe („Rewe Regional“).
Aufgrund der verwirrenden Situation im Bereich Regional-Siegel soll 2014 ein neues, einheitliches Siegel etabliert werden, welches Herkunftsangaben deutlich und verlässlich kommunizieren soll: das Regionalfenster. Nach Angaben des Regionalfenster e.V. (2013] haben Verbraucher in einer Testphase 2013 das Siegel als klar und verständlich wahrgenommen. Es macht genaue Angaben über die Herkunft der Zutaten sowie den Verarbei- tungs- und Verpackungsort des Produktes. Da die Nutzung des Siegels vorerst freiwillig sein wird, bleibt abzuwarten, ob der gewünschte Effekt, den Verbraucher zweifellos aufzuklären, eintritt (vgl. Stiftung Warentest, 2013). Da das Regionalfenster die Nutzung der anderen existierenden Regional-Siegel und -Marken nicht verbietet, könnte die Situation am Markt noch unübersichtlicher werden, da die Frage für die Konsumenten bleibt, welchem Siegel sie mehr Vertrauen schenken können.
3.3.4 Fairtrade-Siegel
Der Handelsverband Deutschland veröffentlichte 2012 in einer Pressemitteilung Zahlen, die bestätigen, dass der Konsum von Fairtrade-Produkten in Deutschland zunimmt, weil Verbraucher verstärkt sozial und ökologisch verantwortlich konsumieren wollen. Konsumenten erkennen fair gehandelte Lebensmittel u. a. an dem international verbreiteten Fairtrade- Siegel sowie am Logo der Gepa (vgl. Abbildung 8), unter welchem fair gehandelte Produkte produziert und vermarktet werden. Neben diesen existieren noch weitere Zeichen, die nach mehr oder weniger zuverlässigen und strengen Kriterien in ihren Augen fair gehandelte Lebensmittel kennzeichnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 8: Fairtrade-Siegel und Gepa-Logo.
1992 wurde der Verein TransFair von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Deutschland gegründet. Er hatte zum Ziel, die Erkennbarkeit und damit den Absatz von fair gehandelten Produkten in Supermärkten zu steigern (vgl. Kreutzberger, 2009, S. 240, vgl. Kapitel 3.2.2]. Um eine internationale Erkennbarkeit von fair gehandelten Produkten zu gewährleisten, einigten sich 19 internationale Siegelorganisationen 2003 auf das noch heute bestehende grün-blaue Fairtrade-Siegel (vgl. TransFair e. V., 2013e]. Der TransFair e. V. handelt als unabhängige Initiative nicht wie die Gepa mit Gütern, sondern verleiht fair gehandelten Produkten das Fairtrade-Siegel und versucht mit Hilfe von Öffentlichkeitarbeit und Marketing das Bewusstsein der Konsumenten für faire Produkte zu stärken (vgl. Becker, 2012, S. 30].
Neben dem gemeinnützigen TransFair e. V. mit dem offiziellen Fairtrade-Siegel ist die Gepa als national verbreitete Fair-Handelsorganisation ebenfalls ein großer Akteur im Fairen Handel. Unter diesem Namen werden u. a. Kaffee, Tee, Honig und Schokolade aus fairen Handelsbeziehungen und fair gehandelten Rohstoffen hergestellt und vermarktet (vgl. Gepa, 2013). Produkte, die mit dem Fairtrade-Siegel gekennzeichnet oder unter Bestimmungen der Gepa produziert worden sind, erfüllen bei ihrer Herstellung Mindestanforderungen an die soziale, ökonomische und ökologische Entwicklung. Kinderarbeit ist grundsätzlich verboten, Erzeugern werden faire Preise gezahlt, damit sie sich und ihren Familien ein angemessenes Leben ermöglichen können und sie werden unterstützt, die Kosten einer nachhaltigen Produktion zu decken (vgl. TransFair e. V., 2013b).
Abzugrenzen sind die Bedingungen der Fairtrade-Produktion von den Kriterien des ökologischen Landbaus, da das Ziel von Fairtrade-Organisationen auf soziale und ökonomische Kriterien ausgelegt ist. Da die Nachfrage nach umweltverträglichen Produktionsweisen jedoch immer weiter steigt, arbeiten inzwischen auch viele Fairtrade-Produzenten nach BioStandards und tragen daher beide Siegel. Vielen fehlt jedoch das dafür nötige Kapital, die Ressourcen sowie die Zeit, um die strengen Bio-Richtlinien einzuhalten. Dennoch sind es heute bereits 50 Prozent der Fairtrade-Schokoladen, 60 Prozent der Fairtrade-Kaffees und 70 Prozent der Fairtrade-Tees, die zusätzlich zum Fairtrade-Siegel ein Bio-Siegel tragen (vgl. Becker, 2012, S. 32 f.).
3.3.5 WeitereKennzeichnungen
Neben den offiziellen Siegeln und Marken, die durch unabhängige Zertifizierungen von gemeinnützigen Organisationen ihre sozialen oder ökologischen Eigenschaften garantieren, gibt es eine Vielzahl weiterer Bezeichnungen sowie Güte- und Qualitätssiegel, die Verbraucher auf Lebensmittelverpackungen vorfinden können und die besondere ökologische oder soziale Vorteile suggerieren.
Viele konventionelle Lebensmittel sind mit Aussagen wie „aus kontrolliertem Anbau“, „unabhängig kontrolliert“, „aus integrierter Landwirtschaft“ oder „von staatlich anerkannten Bauernhöfen" ausgezeichnet. Kreutzberger (2009, S. 190) sieht diese Bezeichnungen nur unter dem Zweck, den Konsumenten zu täuschen und ihm zu suggerieren, es handele sich um ein Bio-Produkt. Dabei bedeutet die Aussage „Erzeugt ohne Pflanzenbehandlungsmittel“ nicht automatisch, dass alle weiteren Zutaten ökologischen Ursprungs und die Produktionsschritte nach ökologischen Richtlinien erfolgt sind (vgl. Kreutzberger, 2009, S. 190).
Die international tätige amerikanische Nichtregierungsorganisation „Rainforest Alliance“ (RA) engagiert sich nach eigenen Angaben für den Erhalt der Artenvielfalt und die Sicherung der Lebensgrundlagen durch nachhaltige ökologische Landnutzung (vgl. Rainforest Alliance, 2013). Damit setzt sie sich zwar für den Schutz und Erhalt von Ökosystemen bei der Lebensmittelproduktion ein, es handelt sich dabei jedoch nicht um einen zertifizierten biologischen Landbau. Chiquita Bananen sind seit dem Jahr 2000 RA-zertifiziert und seither mit dem Siegel, dem grünen Frosch (vgl. Tabelle 2), etikettiert. Nach Meinung von Kreutzberger (2009, S. 254) verleiht das Siegel dem Unternehmen ein Öko-Image und Verbrauchern wird suggeriert, Chiquita setze sich für den Schutz des Regenwaldes ein. Dabei setzt das Unternehmen weiterhin Pestizide ein, so dass es sich keinesfalls um Bio-Bananen handelt. Ebenso würde dem Unternehmen kein Fairtrade-Siegel verliehen werden, da es keine Mindestpreise und Prämien für soziales Engagement festgelegt hat (vgl. Kreutzberger, 2009, S. 254). Eine Übersicht ausgewählter Siegel und deren eingehaltene Mindeststandards im Vergleich bietet Tabelle 2.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Übersicht ausgewählter Gütesiegel und deren Kriterien im Pro/Contra-Vergleich.
(Quelle: eigene Darstellung nach Kwasniewski, 2012)
3.4 Zwischenfazit
Heute sind Bio-Produkte nicht mehr nur in klassischen Naturkostfachläden und Reformhäusern erhältlich, sondern auch der Lebensmitteleinzelhandel inklusive der Discounter ist in das Geschäft eingestiegen. Der LEH hat bereits heute einen Anteil von 50 Prozent an den deutschlandweiten Umsätzen mit Bio-Produkten. Dieser Strukturwandel führt vor allem dazu, dass die kleineren Läden schließen und die großen Handelsketten, Discounter und die sich neu etablierten Bio-Supermärkte weiter wachsen. Bio-Produkte sind für den Verbraucher erkennbar durch die aufgebrachten Siegel. Lebensmittel, die das EU-Bio-Siegel und/ oder das staatliche Bio-Siegel tragen, wurden unter von der EU vorgeschriebenen Kriterien ökologisch hergestellt. Den Öko-Anbauverbänden sind diese Kriterien oft nicht streng genug und sie arbeiten nach eigenen, selbst auferlegten Richtlinien. Produkte mit dem Siegel eines Öko-Anbauverbandes werden daher unter noch strikteren Regeln angebaut bzw. produziert.
Auch Fairtrade-Produkte waren vor dreißig Jahren noch Nischen-Produkte. Sie wurden in sogenannten Dritte-Welt-Läden, die auch als eine Art Kommunen galten, vertrieben und blieben damit den politisch engagierten Menschen Vorbehalten. Heute sind Produkte aus den Dritte-Welt-Ländern auch im Supermarkt und in Discountern vorzufinden. Um die Fairtrade-Produkte von den konventionellen abzugrenzen, wird das offizielle Fairtrade-Logo des gemeinnützigen Vereins TransFair e.V. genutzt. Die Fair-Handelsorganisation „Gepa", welche selbst ein Pionier in Sachen Produktion und Verkauf fair gehandelter Waren ist, sieht den Verkauf in Discountern kritisch, da diese keinen guten Ruf bezüglich dem Umgang mit ihren eigenen Mitarbeitern genießen. Die Gepa steht ebenfalls für faire Arbeitsbedingungen in den Produzentenländern ein. Produkte der Gepa bzw. Produkte mit dem Fairtrade-Siegel sind nach hohen sozialen und ökonomischen Kriterien erzeugt worden, die den Produzenten und ihren Familien ein angemessenes Leben garantieren.
Regionale Lebensmittel werden aktuell immer häufiger nachgefragt. Konsumenten schätzen daran den Vorteil für die Umwelt, dass kurze Transportwege einen geringeren Schadstoffausstoß verursachen, die einfache Rückverfolgung und die Stärkung der regionalen Wirtschaft. Der LEH hat das Potenzial am Geschäft mit regionalen Lebensmitteln entdeckt und verkauft Produkte unter regionalen Eigenmarken. Dabei gibt es keine gesetzliche Regelung, die den Begriff „regional" definiert. Häufig deklarieren Handelsketten ihre Produkte mit dem Aufdruck „Regional“, wenn sie aus dem Vertriebsgebiet kommen. Das kann unter Umständen bis zu mehrere Bundesländer umfassen.
Insgesamt wachsen der Markt und die Nachfrage für alternativ erzeugte Lebensmittel. Um den Verbraucher über besondere ökologische oder soziale Eigenschaften von Lebensmitteln aufzuklären, wird eine Vielzahl von Siegeln verwendet, deren Wirksamkeit im weiteren Verlauf dieser Arbeit untersucht wird.
4 Konsumtheoretische Grundlagen der
Kaufentscheidungs- und Verhaltensforschung
Um Vorgänge während eines Entscheidungsprozesses im menschlichen Organismus zu verstehen, sind im nachfolgenden Kapitel theoretische Grundlagen der Konsumentenforschung thematisiert. Dafür wird zunächst ein Überblick über die allgemeine Konsumentenverhaltensforschung gegeben und nachfolgend das heute geltende S-O-R-Modell erläutert. Anschließend werden einzelne Einflussfaktoren auf die Verhaltensweise betrachtet, bevor Aspekte für ein umweltbewusstes Konsumentenverhalten beschrieben werden. Ein Zwischenfazit fasst die Inhalte des Kapitels zusammen.
4.1 Konsumentenverhaltensforschung
Kroeber-Riel & Weinberg (1996, S. 3] bezeichnen das Verhalten von Verbrauchern beim Kauf und Konsum von Produkten als Konsumentenverhalten. Es ist ein Teilgebiet der Konsumentenforschung, welche Trommsdorff & Teichert (2011, S. 20) wie folgt in die Wissenschaft einordnen:
„»Konsumentenverhalten' ist ein Kernstück der Marketingwissenschaft, die zur Betriebswirtschaftslehre gehört. Innerhalb des Marketing hat sich »Konsumentenverhalten' zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin entwickelt. In idealtypischer Einordnung in das System der Wissenschaften handelt es sich um eine Realwissenschaft, in der es um soziales, nämlich um wirtschaftendes Verhalten geht, an dem Betriebe aus Marketingsicht interessiert sind. Dieses Verhalten soll die Theorie des Konsumentenverhaltens erklären und vorhersagen."
Andere wissenschaftliche Fachbereiche wie die psychologische, soziopsychologische und soziologische Verhaltensforschung, die Biologie oder die Betriebswirtschaftslehre werden zusätzlich zur Erklärung komplexer Verhaltensmuster von Verbrauchern herangezogen, wobei der Fokus auf der Analyse und Erklärung des Konsumentenverhaltens unter Beeinflussung einzelner Faktoren liegt (vgl. Weinberg, 1991, zitiertvon Richter, 2001, S. 30].
Dem Konsumentenverhalten liegen komplexe Entscheidungsprozesse zu Grunde, die von psychischen, sozialen, soziodemografischen und situativen Komponenten beeinflusst werden. „Ziel der Erforschung des Käuferverhaltens ist die Erklärung, Prognose und Beeinflussung von Kaufentscheidungen" (Pepels, 2005, S. 31]. Käuferverhalten verändert sich aufgrund interner und externer Einflüsse. Als wesentlichen Bestimmungsgrund nennt Pepels (2005, S. 31) das Budget, welches einer Person zur Verfügung steht. Die daraus entstehende Kaufkraft wird anhand persönlicher Präferenzen in Kaufakte umgesetzt. Diesen Erklärungsansatz versuchen sogenannte Präferenzmodelle zu beschreiben. Mechanikmodelle basieren auf behavioristischen Ansätzen und beleuchten ausschließlich beobachtbare Aktivitäten.
Vorgänge in der Psyche des Menschen werden außen vor gelassen. Strukturansätze hingegen folgen dem neo-behavioristischen Ansatz und fokussieren die Vorgänge innerhalb des Organismus (vgl. Kapitel 4.2]. Eingeordnet in die Kategorie der Strukturansätze sind sogenannte Totalmodelle und Partialmodelle. Totalmodelle sind dabei aufgrund der Mess- und Durchführungsmethoden weniger für Marketingentscheidungen geeignet, da sie alle denkbaren Einflüsse einbeziehen, was jedoch nur hypothetisch möglich ist (vgl. Bruhn, 2002, S. 33 f.).
Für die Praxis relevante Modelle stellen hingegen Partialmodelle dar, die nicht alle relevanten Einflussfaktoren berücksichtigen, sondern nur einen bestimmten abgrenzbaren Problembereich. In einem solchen Teilmodell werden sich daraus ergebende kausale Zusammenhänge wie zum Beispiel der Einfluss von Einstellungen auf das Konsumentenverhalten dargestellt (vgl. Richter, 2001, S. 32]. Da trotz mehrerer Einflussfaktoren auf die Reaktion einer Person immer nur ein Konstrukt näher betrachtet wird, sind Aussagen von Partialmodellen nur bedingt gültig (vgl. Pepels, 2005, S. 51). Vorteilig ist hingegen die Vielzahl von konkreten Umsetzungsmaßnahmen für das Marketing durch die situationsspezifische Kontextbetrachtung (vgl. Baranek, 2007, S. 35]. Die Modellansätze finden im weiteren Verlauf dieser Arbeit keine weitere Erwähnung, da die Einordnung in diese komplexen Zusammenhänge den Umfang übersteigen würde. Auf die Forschungsfrage wird mit Hilfe des S-O-R- Modells sowie der Erklärung ausgewählter Einflussvariablen hingearbeitet.
4.2 Das neo-behavioristische S-O-R-Modell
In der Literatur existiert eine Vielzahl von Erklärungsansätzen zum Konsumentenverhalten unter Einbeziehung unterschiedlicher Faktoren. Die sogenannten S-R-Modelle (vgl. Abbildung 9) beruhen auf dem behavioristischen Ansatz, in welchem ausschließlich objektive, beobachtbare und messbare Reaktionen (Response) auf innere oder äußere Reize (Stimuli) betrachtet werden. Prozesse, die in der Psyche des Menschen (Black Box) ablaufen und wesentlich zu einer Reaktion beitragen werden nicht berücksichtigt und als irrelevant angesehen bzw. als nicht bekannt akzeptiert (vgl. Pepels, 2005, S. 34 f.). Folglich fehlt in S-R- Modellen ein Erklärungsversuch zu existierenden stabilen Beziehungen zwischen Stimuli und Response. Deshalb spielen sie in der Konsumentenforschung keine große Rolle mehr (vgl. Meffert, 1992, S. 26).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 9: Stimulus-Response-Modell (S-R-Modell).
(Quelle: Eigene Darstellung nach Meffert, 1992, S. 25)
Neuere Versuche zur Erklärung von Konsumentenverhalten erfolgen in sogenannten Strukturansätzen. Dabei handelt es sich um neo-behavioristische Modelle, die zusätzlich zu den äußeren, messbaren Einflussfaktoren auch die Black Box des menschlichen Organismus betrachten (vgl. Abbildung 10). In diesen S-O-R-Modellen sind die nicht direkt beobachtbaren, sogenannten intervenierenden Variablen, nicht oder allenfalls über Indikatoren messbar (vgl. Pepels, 2005, S. 35]. In diesem Denkansatz wird das Käuferverhalten als komplexes Gebilde von kognitiv und emotional gesteuerten Prozessen der Informationsverarbeitung betrachtet. Dabei subsumiert die Input-Variable alle Stimuli (S), die auf den Organismus (O) zu irgendeinem Zeitpunkt einwirken. Abhängig vom Zeitpunkt, an dem ein Stimulus auf den Organismus einwirkt, spricht man von antizipierten Stimuli (z. B. Kultur, Einkommen] und nichtantizipierten Stimuli (z. B. Preis, Qualität, Verfügbarkeit, Service]. Die Output-Variable spiegelt die Reaktion (R] des Konsumenten als Ergebnis seines Entscheidungsprozesses wieder (vgl. Richter, 2001, S. 33 f.). Über Indikatoren oder verbale Befragungen werden die gedanklichen psychischen Konstrukte (intervenierende Variable wie z. B. Einstellungen, Motive und Images) empirisch erfasst. Meffert (1992, S. 24 ff.) geht davon aus, dass diese Variable die eingehenden Stimuli in bestimmter Weise verändern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 10: Stimulus-Organism-Response-Modell (S-O-R-Modell).
(Quelle: Eigene Darstellung nach Bruhn, 2002, S. 31)
4.3 Einflussfaktoren auf das Konsumentenverhalten
Einige Einflussfaktoren auf die Reaktion des menschlichen Organismus werden nachfolgend näher erläutert. Der Fokus liegt dabei auf den psychischen Faktoren wie Involvement, Motive, Emotionen und Kognitionen, sozialen Faktoren wie Familie, Kultur und Meinungsführer, soziodemografischen Faktoren wie Einkommen, soziale Schicht und Lebensstil sowie situativen Faktoren wie Umgebung und Anlass.
4.3.1 PsychischeFaktoren
Zu den intervenierenden Variablen, die den Kaufentscheidungsprozess eines Menschen beeinflussen, zählen Kroeber-Riel & Weinberg (1996, S. 49 ff.] sowohl aktivierende als auch kognitive psychische Prozesse (vgl. Abbildung 11). Aktivierende Prozesse sind Erregungsund Spannungsvorgänge und treiben das Konsumentenverhalten aktiv an. Darunter zählen Involvement, Emotion und Motivation. Die kognitiven Prozesse hingegen laufen bei der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung ab. Hier sind vor allem Wahrnehmung, Gedächtnis, Beurteilung, Entscheidung und Lernen zu nennen (vgl. Richter, 2001, S. 35).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 11: Gesamtsystem psychischer Prozesse.
(Quelle: Eigene Darstellung nach Kroeber-Riel&Weinberg, 1996, S. 50)
Aktivierende Prozesse
Das Involvement beschreibt innere spezifische oder unspezifische Erregungszustände eines Menschen. Dieses Konstrukt ist in keinster Weise kognitiv gesteuert sondern beschreibt einen rein physiologischen Zustand, der das Verhalten sowie die Intensität der ablaufenden Prozesse aber bereits bestimmt (vgl. Trommsdorff, 2011, S. 41 f.). Die Lambda-Hypothese beschreibt, dass die individuelle Leistungsfähigkeit mit ansteigendem Aktivierungsgrad zunimmt und nach dem Überschreiten eines Scheitelpunktes wieder abfällt (vgl. Kroeber- Riel & Weinberg, 1996, S. 78 ff. und Trommsdorff, 2011, S. 43). Das bedeutet, dass für eine Kaufentscheidung der genau richtige Grad an Aktivierung erzeugt werden muss. Es gibt Produktkategorien, die bei Verbrauchern sogenannte Low-Involvement-Käufe auslösen. Mit steigender Anzahl von Konkurrenzprodukten bzw. einer höheren Wichtigkeit des Produktes steigt das Involvement und man spricht dann von High-Involvement-Käufen (vgl. Richter, 2001, S. 36). Lebensmittel zählen als alltägliche Konsumgüter zur Kategorie der Low- Involvement-Produkte, was bei den Marketingaktivitäten allgemein und bei den alternativ erzeugten Lebensmitteln im Speziellen berücksichtigt werden muss.
Emotion ist ein subjektiv wahrgenommener psychischer Erregungszustand, der durch affektive, kognitive oder physische Schlüsselreize ausgelöst wird und sich in Form von Interesse, Freude, Wut, Furcht, Scham u. a. äußert (vgl. Pepels, 2005, S. 52 f.). Trommsdorff (2011, S. 60) definiert Emotion als:
„...einen Zustand innerer Erregung, welcher durch einen konkreten Stimulus ausgelöst wird (Objektbezug) und durch Stärke (schwach bis stark), Richtung (positiv oder negativ) und Art (Gefühlstyp und Ausdruck) bestimmt wird."
Eine mittlere Erregung ist für gewöhnlich leistungsfördernd, wohingegen eine geringe Erregung zu Lethargie (Schlaf, Entspannung) führt und zu hohe Erregung in Hektik oder gar Panik endet. Niedrige und hohe Erregung wirken sich kontraproduktiv auf das Leistungsvermögen aus (vgl. Pepels, 2005, S. 53]. Emotionen bleiben häufig unbewusst weshalb im Marketingkontext eher über Gefühle gesprochen wird, die als kognitive Interpretation von Emotionen definiert sind (vgl. Trommsdorff, 2011,S. 60]. Emotionen dienen dem Entscheidungsprozess u. a. durch die Förderung der Assoziationsbildung und der Bildung bestimmter Beziehungen bei der Informationsaufnahme und -Verarbeitung (vgl. Pepels, 2005, S. 55). Emotionen werden mit Hilfe kommunikativer Maßnahmen (Bildern, Headlines) hervorgerufen. Alternativ erzeugte Lebensmittel können dies zur Vermarktung nutzen indem sie dem Konsumenten bewusst macht, dass die Menschheit die Umwelt und die eigene Gesundheit auf lange Sicht zerstören wird, wenn sich nichts am Konsumverhalten in den IndustrieNationen ändert.
Wichtige Erklärungsfaktoren menschlichen Verhaltens sind Motive und Bedürfnisse. Sie entstehen, wenn ein Mangelzustand erkannt wird und dieser zielgelenkte Emotionen bewirkt (vgl. Richter, 2001, S. 36). Demnach lassen sich Motive als „zielgerichtete, gefühlsmäßig und kognitiv gesteuerte Antriebe des Konsumentenverhaltens" (Trommsdorff, 2011, S. 102) beschreiben. Es sind Eigenschaften, die aktiviert werden müssen, bevor sie sich auswirken können. Grundlage eines Motivs ist die Gefühlskomponente, welche eine bestimmte Handlung auslöst. Meist sind Motive unbewusst vorhanden und werden einer Person erst durch Nachdenken oder Nachfragen bewusst gemacht (vgl. Trommsdorff, 2011, S. 102). Pepels (2005, S. 55) beschreibt ein Motiv als die Bereitschaft einer Person zu einer bestimmten Handlung oder Verhaltensweise. Unter Motivation versteht er die aktuellen Beweggründe dazu.
Motiv-Hierarchien sind individuell unterschiedlich ausgeprägt wobei die Grundbedürfnisse des Stillens von Hunger und Durst erst erfüllt werden müssen, um Konsummotive zweiter und höherer Ordnung anzustreben (vgl. Kapitel 4.4]. Einige bestehende Motive sind nicht komplementär, sondern widersprechen sich. Solche Motivkonflikte können durch Kompromissbildung oder die Findung neuer, bisher nicht in Betracht gezogener Aspekte gelöst werden (vgl. Pepels, 2005, S. 56 f.]. Ein Beispiel für eine Motivkonvergenz stellt z.B. der Kauf regionaler Lebensmittel aufgrund ökologisch geprägter Motivation zur Umweltschonung und der eigennützigen Motivation zur Kontrolle über die eigene Ernährung dar. Eine Motivdivergenz ist beispielsweise der Wunsch, für eine gesunde Ernährung ausschließlich Bio-Lebensmittel konsumieren zu wollen bei dem gleichzeitig ausgeprägten ökonomischen Motiv, Geld zu sparen (vgl. Richter, 2001, S. 37).
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[1] Zu der EU-Öko-Verordnung zählt die Basisverordnung VO Nr. 834/2007 sowie die Durchführungsverordnung Nr. 889/2008.
[2] Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von 500 Haushalten im November 2011 in Baden-Württemberg, in Auftrag gegeben von der Marketing- und Absatzförderungsgesellschaft für Agrar- und Forstprodukte aus Baden-Württemberg (MBW).
[3] Dritte Welt Länder bezeichnen „die ökonomisch-technologisch wenig(er) entwickelten oder unterentwickelten Volkswirtschaften“, auch Entwicklungsländer oder Länder des Südens genannt (Gelbrich & Müller, 2011, S. 29).
[4] Jahresumsätze 2009 im internationalen Vergleich: Vereinigtes Königreich (900 Mio. Euro), USA (851 Mio. Euro), Frankreich (287 Mio. Euro), Deutschland (267 Mio. Euro), Kanada (200 Mio. Euro) (vgl. Henseleit, 2012, S. 137 f.).
[5] Pro-Kopf-Ausgaben 2009 im internationalen Vergleich: Irland (25 Euro), Schweiz (23 Euro), Finnland (16 Euro), Vereinigtes Königreich (14 Euro), Deutschland (3,25 Euro) (vgl. Henseleit, 2012, S. 137 f.).