Richard Wagner und Karl von Holtei. Eine ungleiche Beziehung mit künstlerischen Folgen


Essay, 2015

14 Pages


Excerpt


Wagner und Holtei

Die Frage, ob es von Wagner eine Komposition Wiener in Paris gibt, würde wohl bei den meisten Wagner-Experten ebenso ein negierendes Kopfschütteln auslösen wie die Frage, ob Wagner – neben der Marseillaise in seiner Vertonung von Heines Grenadieren, Les deux Grenadiers – auch die derzeit aktuelle deutsche Nationalhymne in sein Œuvre integriert hat.

Und doch sind beide Fragen durchaus zu bejahen: sie stehen in Zusammenhang mit Wagners Engagement durch den Theaterdirektor Karl von Holtei an das deutschsprachige Theater in Riga.

Karl von Holtei – Dichter, Dramaturg, Darsteller

Karl von Holtei war fünfzehn Jahre älter als Wagner, 1798 in Breslau geboren. Der Schriftsteller, Schauspieler, Rezitator, Theaterregisseur und Theaterleiter begann im Jahre 1816 in Grafenort, Grafschaft Glatz, seine Laufbahn als Schauspieler und leitete anschließend selbst das dortige Schlosstheater. Am Königstädtischen Theater in Berlin war Holtei 1824 als Direktions-Sekretär und Dramaturg angestellt und brachte hier eine Reihe seiner Stücke zur Aufführung. 1830 heiratete er in Berlin die Schauspielerin und Sängerin Julie Holzbecher. Im Sommer 1835 leitete er als Direktor das Theater in Baden bei Wien und von 1837 bis 1841 das deutschsprachige Theater in Riga, wo er Richard Wagner als Kapellmeister engagierte.

1842 übernahm er kurzzeitig die künstlerische Leitung des Breslauer Stadttheaters, anschließend führten ihn Gastspiele als Darsteller und Rezitator in zahlreiche deutsche Städte. Ab 1849 lebte er bei seiner Tochter in Graz, gab seine Dramen heraus und verfasste Erzählungen und Romane, darunter den frühen deutschen Kriminalroman Ein Mord in Riga. Im Winter 1860/61 wurde er als Rezitator seiner schlesischen Texte in Schlesien gefeiert. Ab 1863 lebte er wieder in seiner Heimatstadt Breslau, wo er 1880 starb.

Der mit vielen seiner Zeitgenossen persönlich bekannte Dramatiker war befreundet mit den Dichtern Joseph von Eichendorff und Gustav Freytag sowie mit Franz Schuberts Freund, dem Wiener Dichter Eduard Bauernfeld. Vier Bände umfassen Holteis Briefe an Ludwig Tieck. Mehrfach besuchte er in Weimar Johann Wolfgang von Goethe, der Holteis Mundartgedichte sehr gelobt hat.

Einsatz von Musik in Holteis Dichtungen für das Theater

Wiederholt beruft sich Holtei auf seinen „berühmten Freund Meyerbeer“[1], der ihm etwa die Anregung zu einem Libretto nach Adlers Horst von Johanna Schopenhauer gegeben habe; dieses Libretto ließ er dann aber von Franz Gläser vertonen:

„Der dritte Akt ist aus der Schopenhauerschen Novelle entstanden, ganz nach Meyerbeers Anleitung. Der erste und der zweite gehören völlig mir.“[2]

Ähnlich erging es Meyerbeer offenbar mit seinem Vorschlag gegenüber Holtei, ein Libretto nach Bürgers Lenore zu gestalten; Holtei griff diese Anregung auf, ließ sein Libretto dann aber von Carl Eberwein vertonen.

In der Oper Lenore setzt Holtei wiederholt die Praxis seiner Liederspiele ein, bekannte Lieder neu textiert zu verwenden. So zieht er für Lenore Melodien alter Volks- und Soldatenlieder, jene von „O Straßburg“, aber auch die eines Marschliedes von Albert Methfessel, heran.

Und in seinem Vorwort zu diesem Opernlibretto führt er aus:

„Das sogenannte Mantellied geht auf die Melodie eines uralten Soldatenliedes, welches mit den treuherzigen Worten anhebt:

‚Es saßen einmal drei Reiter gefangen,

Gefangen waren sie!’“[3]

In die Spielhandlung Göthe’s Todtenfeier sind diverse Szenen aus Goethes Dramen integriert, aber auch eine partielle Dramatisierung des Briefromans Werthers Leiden, sowie die „Cmoll-Symphonie von Beethoven, deren Theile in die übrigen Zwischenakte vertheilt werden“[4]. Daneben setzt Holtei neu textierte Lieder ein, etwa nach der Weise Mahadöh der Herr von Carl Zelter.

Das Liederspiel in einem Akt, Der alte Feldherr, hat Holtei bereits im Jahre 1826 niedergeschrieben, wo es „nach der ersten Aufführung verboten, dann wieder gestattet, dann wieder untersagt“[5] wurde. Der Dichter will, dass der Darsteller des Kosciuszko die Strophen nicht singt, sondern „rhythmisch und melodisch rezitiert, [also] ohne zu singen, wie man Opernarien singt“[6]. 1831 erschien Holteis zweite Fassung mit neuen Szenen und Liedern, die er dann auch in seine Ausgabe letzter Hand übernommen hat. Gleichwohl beklagt er sich, dass zumeist seine erste Fassung gespielt wurde, obgleich seine „zweite Bearbeitung [...] jeder Bühnenverwaltung ohne Honorar zugänglich war, [... ohne dass] Kenntnis davon genommen“[7] worden sei. Melodien französischer, deutscher und polnischer Lieder liegen den Texten seiner Gesänge zugrunde, aber auch die „Melodie der Kosciuszko-Polonaise“[8], – nicht jedoch Haydns Kaiserhymne.

In seiner einaktigen Lieder-Posse Der Kalkbrenner verwendet Holtei erneut Zelters Mahadöh der Herr der Erde [9], aber auch das Studentenlied Gaudeamus igitur. Sogar Mozarts Arie des Sarastro, „In diesen heil’gen Hallen“, findet hier Verwendung, nunmehr textiert als:

„Es dient zu meinem Spaße

Und ist mir herzlich lieb,

Rennt über unsre Straße

Der Bote wie ein Dieb.

Er bricht zur Haustür schnell herein, –

Von wem mag wohl das Schreiben sein?

Man bricht es auf und liest geschwind,

Ist seelenfroh, wenn’s zweie sind,

Und fühlt sich doppelt contentiert,

Sind sie recht lang und auch frankiert.“[10]

Die Diskrepanz zwischen der Intention der Musik Mozarts und dem Text Holteis wird dabei eklatant, was selbst durch die hier anzutreffende Konstellation von Form und Inhalt schwer nachvollziehbar erscheint, nämlich die einer Posse über Kalkbrenner, als die über einen Musikvereinsdirektor, mit Assoziation zum gleichnamigen Pianisten.

In seinem einaktigen Liederspiele Die weiblichen Drillinge bringt Holtei wiederholt den Hinweis „in bekannter Melodie“[11] an. Hier finden sich auch die von Holtei besonders gern verwendeten Melodien Bertrand’s Abschied, Der erste Schritt, Une robe légère und Guten Tag, Herr Gärtnersmann, auf die sich wohl besonders gut neue Verse verfassen ließen, aber auch die Marseillaise, „Allons enfants de la patrie etc.“[12]

Die hier ebenfalls verwendete Volkslied-Melodie „Prinz Eugen, der edle Ritter“ ist dem Musikfreund heute immerhin noch geläufig durch das Zitat in Carl Loewes Vertonung der Freiligrath-Ballade.

Wagners komische Oper „Männerlist größer als Frauenlist“, ein Auftragswerk für Holtei?

In seiner Autobiographischen Skizze betont Wagner über seine Arbeit unter Karl von Holtei:

„Mehrere Einlagen in Opern sind für einzelne Sänger in dieser Zeit von mir komponirt worden.“[13]

Analog seinen Aufzeichnungen in der Roten Brieftasche [14] gibt Wagner auch in der Autobiographischen Skizze [15] die Zeit der Entstehung seines Librettos Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie mit Juni 1838, also in seiner Rigaer Zeit, an. In seiner Autobiographie Mein Leben hingegen reiht er das Werk in die Königsberger Zeit ein.

Offenbar handelte es sich dabei um keine Gedächtnisschwäche, sondern um eine bewusste Retusche, die im Zusammenhang mit Karl von Holtei steht. Der Zuspruch seines Theaterdirektors blieb Wagner gleichwohl erwähnenswert:

„Diesem anspruchslosen Sujet gab ich den Titel Die glückliche Bärenfamilie und stattete es mit

einem Dialog aus, welcher später Holteis großen Beifall fand [...].“[16]

Dies mag insofern verwunderlich erscheinen, als der adelige Holtei sich durch die höhnisch überzeichnete Darstellung des Adels in diesem Opernlibretto hätte angegriffen fühlen müssen.

Nolens-volens attestiert Wagner an dieser Stelle seiner Autobiographie Holtei somit eine deutlich liberale Haltung.

Allerdings liest sich Wagners Darstellung, sein kompositorisch in Königsberg bereits abgebrochenes Projekt in Riga neu in Erwägung gezogen zu haben, wenig glaubhaft:

„Holtei suchte mich zu bestimmen, für unser Personal, wie es nun grade vorhanden war, eine leichte, gefällige Oper, lieber noch ‚Singspiel’ zu schreiben; ich sah mir den Text meiner Lustigen Bärenfamilie noch einmal an, fand, wie ich früher bereits erwähnte, auch Holtei sehr günstig für diese Arbeit gestimmt; da ich jedoch die wenige Musik, die ich bereits hierfür in Königsberg aufgeschrieben, wieder hervorsuchte, kam mir ein lebhafter Ekel vor dieser Schreibart an. Ich schenkte das Textbuch einem gutmütigen, unbeholfenen Freunde, dem unter mir stehenden Musikdirektor Löbmann, und kümmerte mich in meinem Leben nie wieder darum.“[17]

[...]


[1] Karl von Holtei, Des Adlers Horst. Romantisch-komische Oper in drei Akten, Vorwort, in: Theater. Ausgabe letzter Hand in 6 Bänden. Breslau 1867, Bd. 3, S. 53.

[2] Ebenda.

[3] Karl von Holtei, Lenore, Schauspiel mit Gesang in drei Akten, in: Theater. Ausgabe letzter Hand in 6 Bänden, a. a. O., Bd. 1, S. 8.

[4] Karl von Holtei, Göthe’s Todtenfeier auf dem Königstädtischen Theater. Berlin, am 10. April 1832, in: Theater. Ausgabe letzter Hand in 6 Bänden, a. a. O., Bd. 3, S. 16.

[5] Karl von Holtei, Der alte Feldherr, Liederspiel in einem Akt. Vorwort, in: Theater. Ausgabe letzter Hand in 6 Bänden, a. a. O., Bd. 1, S. 261.

[6] Ebenda.

[7] Holtei, Der alte Feldherr. Vorwort, a. a. O., S. 262.

[8] Holtei, Der alte Feldherr, a. a. O., S. 295.

[9] Ebenda, S. 152.

[10] Karl von Holtei, Der Kalkbrenner. Lieder-Posse in einem Akt, in: Theater. Ausgabe letzter Hand in 6 Bänden, a. a. O., Bd. 3, S. 142.

[11] Karl von Holtei, Die weiblichen Drillinge. Liederspiel in einem Akt, in: Theater. Ausgabe letzter Hand in 6 Bänden, Breslau 1867, Bd. 3, S. S. 298.

[12] Holtei, Die weiblichen Drillinge, a. a. O., S. 51.

[13] Richard Wagner, Autobiographische Skizze, in: Schriften und Dichtungen, Leipzig 1871 ff., Bd. 1, S. 16.

[14] Richard Wagner, Die rote Brieftasche, in: Sämtliche Briefe, Bd. 1, Leipzig 1967, S. 81 ff.

[15] Richard Wagner, Autobiographische Skizze, in: Sämtliche Briefe, Bd. 1, a. a. O., S. 95 ff.

[16] Richard Wagner, Mein Leben. München 1963, S. 162.

[17] Richard Wagner, Mein Leben, a. a. O., S. 175.

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Details

Title
Richard Wagner und Karl von Holtei. Eine ungleiche Beziehung mit künstlerischen Folgen
Author
Year
2015
Pages
14
Catalog Number
V287757
ISBN (eBook)
9783656880134
ISBN (Book)
9783656880141
File size
496 KB
Language
German
Keywords
richard, wagner, karl, holtei, eine, beziehung, folgen
Quote paper
Prof. Dr. Peter P. Pachl (Author), 2015, Richard Wagner und Karl von Holtei. Eine ungleiche Beziehung mit künstlerischen Folgen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287757

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