Über Anton Urspruchs "Das Unmöglichste von Allem" interpretiert von Lope de Vega

Die komischste Oper in deutscher Sprache


Forschungsarbeit, 2012

14 Seiten


Leseprobe


Anton Urspruchs Das Unmöglichste von Allem nach Lope de Vega:

Die komischste Oper in deutscher Sprache

Im Spannungsfeld von Liszt und Wagner bewegte sich der am 17. Februar 1850 in Frankfurt am Main in einer Theaterfamilie geborene Anton Urspruch. Nach dem Gymnasium genoss er seine musikalische Ausbildung bei M. Wallenstein, Ignatz Lachner, Joachim Raff, und – ab 1871 – in Weimar bei Franz Liszt. Liszt nannte seinen Lieblingsschüler „Antonio“ und titulierte ihn als „Vortrefflicher, lieber Freund“[1].

Als Urspruchs „Meisterwerk“ gilt die Oper Das Unmöglichste von Allem, für die sich der Komponist, nach Lope de Vegas Lustspiel El major imposible, das Libretto selbst verfasst hat. Theodora Urspruch-Kircher, die Tochter der Komponisten, nennt sie:

eine komische Oper im feinsten kunstvollen Sinne, deren Aufbau, Sanglichkeit und Grazie immer großen Beifall fand bei allen Aufführungen. Die Uraufführung in Karlsruhe [am 5. November] 1897 leitete Felix Mottl, danach folgte[n] Darmstadt“ [am 25. November 1897 unter Hofkapellmeister de Haan] Weimar, Leipzig, Köln [20. Oktober] 1898 [musikalische Leitung: Arno Kleffel; Regie: Alois Hofmann], Elberfeld und Frankfurt 1899 und Prag unter Leo Blech. Letztere war wohl die glänzendste Aufführung, die der damals bekannte Kritiker Dr. Batka hervorragend beurteilte. Führende Musiker und Kritiker begrüßten es lebhaft, dass nun endlich eine komische Oper erschienen sei von kultiviertem Geschmack und geistreichem Witz, so meisterhaft im Aufbau und sinnvoller Kunst in der thematischen Verarbeitung, dass man seit den Mozart-Opern nichts ähnliches kenne[2].

Verglichen mit „andere[n] zeitgenössische[n] Richtungen [...], z. B. Reger und Richard Strauss“, habe Urspruch sich „als fortschreitender ‚Moderner’“ gefühlt, „der tief verantwortlich weiterbauen, nicht umstürzen wollte“. So habe der Komponist im letzten Lebensabschnitt „mit dem Gefühl der Berufung an sich und seinem eigenen Stil weiter“ gearbeitet[3].

Der Rezensent des Kölner Tageblatts betont: „Was man aber insbesondere als das Unmöglichste von Allem gehalten hatte, dass jemand eine Oper schriebe ohne wesentliche Wagner’sche Einflüsse darin zu verrathen, hat Urspruch möglich zu machen gewusst.“ Kurz darauf konstatiert dieser Rezensent allerdings, man höre beim Erscheinen des als Edelmann verkleideten Ramon mit einigem Erstaunen, dass hier das bekannte Stolzingmotiv aus den Meistersingern hat charakterisiren [!] geholfen, das echteste Ritterthema für den Gefälschten.

Und auch im Liebesduett, welches

uns zum zweiten Mal in dieser sonst völlig unverwagnerten Oper an den von Urspruch Gemiedenen erinnert; wir meinen in den begleitenden Sextolen des Es-Dur-Satzes an die Szene im Brautgemach in Lohengrin [4].

Der Rheinische Kourier vom 20. Oktober 1899 formuliert in diesem Zusammenhang:

Wagner hat unserer Zeit das Zeichen aufgedrückt. Niemand darf sich seinem Einfluss entziehen, niemand die ungeheuren Ideen dieses größten Musikdramatikers ignorieren. Das hat Urspruch am allerwenigsten beabsichtigt und getan. Selbstredend verzichtet Urspruch auf die antiquierten Formen der Arie. Etc. Die Einheit seines Kunstwerkes bildet die Scene, welche in der Dichtung so angelegt ist, dass sie in natürlich symphonisch musikalischer Ausdrucksart aufgehen muss[5].

Aufschlussreich für Urspruchs Bezugnahme auf Richard Wagner sind theoretische Überlegungen des Komponisten zur Vereinigung von Wort und Ton, im Zusammenhang mit seinem Opus Frühlingsfeier:

Wollen nun solche Gedanken und Bilder zu Musik werden, so betrachte man es als besonders glückliche Fügung, wenn die ihnen vom Dichter gegebene Wortfassung die technische Möglichkeit zur Musikbildung in sich schließt. Dies ist, seitdem die wahre große Dichtkunst sich von ihrer natürlichsten Genossin, der Musik, entfernt und zur Literatur herabgestimmt hat, weit seltener der Fall, als man gemeinhin annehmen sollte. Die Musik hat andere Gesetze der Form und der Ausdrucksmittel als die Poesie. Ist diese nicht mit Rücksicht auf jene von vornherein entworfen, oder waltet nicht eine glückliche zufällige Übereinstimmung, so kann selten, namentlich bei Sprachkunstwerken von größerer Ausdehnung, ein glücklicher Musenbund geschlossen werden.[6]

Im nachfolgenden Absatz beruft sich Urspruch sogar ausdrücklich auf Wagner, dessen theoretische Kunstschriften er offenbar durchaus verinnerlicht hat:

Beide stehen nun in diesem zweiten Teil im Banne der ‚Welt im Kleinen’, die musikalische Malerei, ja die Detailmalerei tritt in ihr Recht, die Farbe verdrängt die Linie, ja, um die Wagnersche geistvolle Deutung einer von Schiller auf die Poesie angewandten Bestimmung zu gebrauchen – dem ‚naiven’ Stil wird der ‚sentimentalische’ entgegengesetzt. Ausgehend von dieser nun mikrokosmischen Welt, folgend dem in der Natur sich offenbarenden Gott, wird die Dichtung jetzt selbst zur Offenbarung und Predigt einer wahren Naturreligion.[7]

Dies knüpft deutlich an Wagners Idee der Kunstreligion an.

Die Nähe des Theoretikers Urspruch zu Richard Wagners Sichtweise äußert sich auch in seinem Aufsatz zur Gregorianik. Urspruchs Gedanken zur „Moderne“ sind geradezu eine Paraphrase auf Wagners Ausführungen zu Schiller im Zusammenhang mit Beethovens Neunter und auf Wagners dialektisch-linguistische Spielerei mit den Worten „Mode“, „modern“ und „[ver]modern“ im Gedicht Modern (1880). Bei Urspruch heißt es:

Moderner Mensch, moderner Künstler — ein fast traurig klingendes Wort! Es gemahnt so sehr an das Vergängliche. Denn »modern« ist nur, was in der Mode — dieser mit Recht von Schiller als frech gegeißelten Mode — seine Ursache hat, und Mode ist nur darum heute Mode, weil sie gestern keine war und morgen keine mehr sein wird. Modernd, nicht modern, müsste darum alles heißen, was sich in ihr gründet[8].

Im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes wendet Urspruch eine Analogie auf die Handlung von Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal an:

Ein unberührter, rein bewahrter Juwel bleibe darum der große gregorianische Choral, dass er, ein heiliger Gral, einem anderen, halb todten Titurel noch das Leben friste, jeden sündig-kranken Amfortas noch heile, vielleicht in Zukunft einem reinen Parsifal noch die Krone spende[9].

Diese Beispiele deuten nicht nur auf eine exakte Kenntnis des Wagnerschen Œuvres, sondern auch auf dessen Vorbildfunktion hin. Jene betont auch der Rezensent Fritz Volbach in seiner Uraufführungskritik über Das Unmöglichste von Allem, wenn er konstatiert, dass Urspruch zwar eigene Wege wandelt, aber keine die denen entgegengesetzt sind, die uns Wagner vorgeschrieben. Er verschmäht es allerdings, ihn in Äußerlichkeiten, in seinen Redewendungen, nachzuahmen, desto mehr aber hat er es verstanden, den Geist des Gewaltigen zu erfassen.[10]

Gleichwohl lobt Urspruch in seinem Gregorianik-Aufsatz die „prächtigen alten Melismen, denn es sieht jetzt wie eine arme editio facilis des Originals aus“[11]. Hier knüpft der Komponist merklich an mütterliche Wurzeln an: seine Mutter Anna Elisabeth Sänger stammte aus einer jüdischen Vorsängerfamilie im bayerischen Obernbreit.

Ausweichend erklärt Urspruchs Tochter Theodora das Verstummen der Kompositionen ihres Vaters durch die „weltweiten Katastrophen seit Beginn des 20. Jahrhunderts“, wie „in den bis heute nicht bewältigten Krisen und Ratlosigkeiten des Musikschaffens, aber auch in den hohen Ansprüchen an Niveau der Aufführenden und des breiten Publikums“[12].

Im sechsten bis zehnten Tausend seines Handbuches Die Oper der Gegenwart, das 1922 in Berlin erschien, erinnert Julius Kapp daran, dass das von Giuseppe Verdi mit Falstaff geschaffene „Fundament einer späteren komischen Oper“ ein Jahr nach Hugo Wolfs Corregidor auch von Anton Urspruch gewählt wurde: „Neben Verdi stützt er sich hauptsächlich auf Cornelius (in der konsequenten, beinahe bis zur Spielerei getriebenen Verwertung kontrapunktischer Kunstformen, wie Kanon und Fuge, zur Erzielung komischer Wirkungen) und Mozart (Ensemblebehandlung im Finale)“[13]. Gleichwohl entstehe aber „bei aller Feinarbeit und technischer Meisterschaft [...] eben doch nur ein lehrreiches Produkt eines geistreich klügelnden Kopfes, es fehlt ihm die zwingende Kraft echter Produktivität“[14]. In diesem Urteil schwingt deutlich der Antisemitismus des späteren Reichsdramaturgen mit, der sich argumentativ stillschweigend auf Richard Wagners Pamphlet Das Judentum in der Musik beruft und zu Das Unmöglichste von Allem abschließend konstatiert, „die Oper verschwand daher nach kurzer Bühnenlaufbahn völlig“[15].

Jene Attribute, die Kapp zur Abwertung von Urspruchs Partitur heranzieht, wurden auch den (Opern-)Kompositionen Franz Schrekers gern von der Kritik angeheftet, namentlich „erklügelt, ergrübelt, gesucht“, wie aus Schrekers humorvoller Gegenüberstellung von Ausschnitten aus Rezensionen seiner Werke hervorgeht[16].

Nach Anton Urspruchs frühem Tod am 11. Januar 1907, wurden seine Werke merklich weniger häufig gespielt als zu seinen Lebzeiten. In Vergessenheit gerieten sie dann allerdings durch das Verstummen infolge der Rassengesetze und der „Arisierung des Musiklebens“ in Deutschland.

[...]


[1] - Theodora Kircher-Urspruch, Gedenkschrift zum 125. Geburtstag von Anton Urspruch (17. 2. 1850 – 11. 1. 1907). Lebens- und Werkskizze eines Komponisten um die Jahrhundertwende. Typoskript im Nachlass der Familie.

[2] - Ebd.

[3] - Ebd.

[4] - Kölner Tageblatt, zitiert nach: N.N. (Hrsg.: August Cranz): Urtheile der Presse. Leipzig o. J. (1897), S. 3.

[5] - Rheinischer Kourier, zitiert nach: N.N. (Hrsg.: August Cranz): Urtheile (ebd.), S. 4.

[6] - Anton Urspruch, Zur Aufführung meiner Komposition der Klopstockschen Frühlingsfeier. Im zweiten Abonnements-Konzert des Philharmonischen Chores in Berlin, 17. Januar 1902. Typoskript, Anton Urspruch-Gesellschaft, Münster.

[7] - Anton Urspruch: Zur Aufführung meiner Komposition der Klopstockschen „Frühlingsfeier“, a. a. O.

[8] - Anton Urspruch Der Gregorianische Choral, hg. von P. Ambrosius Kienle, Beuron 1901 [Allgemeine Musik-Zeitung, Berlin August 1901]

[9] - Ebd..

[10] - Fritz Volbach, in: Frankfurter Zeitung, Frankfurt/Main 7. November 1897, zitiert nach Cranz (Hrsg.), Urtheile (Anm. 29), S. 3.

[11] - Urspruch, Der Gregorianische Choral (Anm. 33). (Im Erstdruck:„edition facilc“.)

[12] - Kircher-Urspruch (Anm. 26).

[13] - Dr. Julius Kapp, Die Oper der Gegenwart, Berlin 1922, S. 61f.

[14] - Ebd.

[15] - Ebd.

[16] - Vgl. Franz Schreker, Mein Charakterbild, in: Musikblätter des Anbruch, Heft 3, Wien 1921, S. 128.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Über Anton Urspruchs "Das Unmöglichste von Allem" interpretiert von Lope de Vega
Untertitel
Die komischste Oper in deutscher Sprache
Autor
Jahr
2012
Seiten
14
Katalognummer
V287760
ISBN (eBook)
9783656883951
ISBN (Buch)
9783656883968
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
über, anton, urspruchs, unmöglichste, allem, lope, vega, oper, sprache
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Peter P. Pachl (Autor:in), 2012, Über Anton Urspruchs "Das Unmöglichste von Allem" interpretiert von Lope de Vega, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287760

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