Frühe Meistersinger-Rezeption und ihre Auswirkungen auf die komische Oper in der Wagner-Nachfolge


Forschungsarbeit, 2012

31 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Wendelin Weißheimers „Meister Martin und seine Gesellen“

Anton Urspruchs „Das Unmöglichste von Allem“ nach Lope de Vega

Scheintod als soziale Rettung – Max von Schillings’ Oper Der Pfeifertag

Ludwig Thuilles Lobetanz und Gugeline

Lobetanz

Gugeline

Siegfried Wagners Herzog Wildfang

Richard Strauss’ Feuersnot

„Die Schneider von Schönau“, Komische Oper von Jan Brandts-Buys

Einleitung

Mit seiner komischen Oper ohne Gattungsbezeichnung hat Richard Wagner im Jahre 1868 die Latte hoch gelegt. Waren drei Jahre zuvor, bei der Uraufführung der musikalisch extrem schwierig zu realisierenden Handlung von Tristan und Isolde im Hof- und Nationaltheaters die kleinen Theater mit ihren Parodien dem Original zuvor gekommen[1], so war dies bei den Meistersingern von Nürnberg nicht der Fall, denn hier hatte Richard Wagner bereits die Parodie selbst mitgeliefert. Zunächst einmal die Parodie auf seinen eigenen Sängerkrieg auf Wartburg [2], als dessen „Satyrspiel“ er seine Meistersinger bezeichnet hat[3], dann aber auch in der Meistersinger -Handlung selbst. Wie Alfred Lorenz trefflich nachgewiesen hat[4], ist bereits der zweite Akt eine Parodie auf den ersten, und dies nicht nur in musikalischer Hinsicht, sondern bis in szenische Details hinein. Und im Schlussakt, beim Sängerwettstreit auf der Festwiese, parodiert Beckmesser den Wortlaut von Walthers Preislied. Im Sinne eines modifizierten musikalischen Parodieverfahrens verändert aber auch Walther von Stolzing textlich und musikalisch sein in Sachsens Schusterstube erstmals vorgetragenes Preislied.[5]

Weitere szenische Parodien der an Parodieverfahren und –Strukturen in sich bereits überreichen Handlung der Meistersinger von Nürnberg schienen also wenig sinnvoll, wenn nicht ganz ausgeschlossen.

Erst das nachfolgende Jahrhundert wagte sich an Parodien auf Wagners Die Meistersinger von Nürnberg.

Im Ringen um die Gattungsbezeichnung hatte Richard Wagner seine Musikdramen als „eine Handlung“, als „ein Bühnenfestspiel“ oder als „Bühnenweihfestspiel“ benannt, wenn er nicht – wie bei den Meistersingern von Nürnberg – ganz auf eine derartige Bezeichnung verzichtet hatte.

Wagners musikdramatische Nachfolger erwiesen sich zumeist bereits durch die Wahl der Gattungsbezeichnungen ihrer Bühnenwerke als Wagnerianer:

Während Ende des 19. Jahrhunderts noch Wendelin Weißheimer sein dreiaktiges Musikdrama Meister Martin und seine Gesellen, eine Oper nannte und Anton Urspruch seine Literaturoper Das Unmöglichste von Allem als „Komische Oper in drei Akten“ klassifizierte, verzichtete Siegfried Wagner bereits im Jahre 1899, bei seinem Opernerstling Der Bärenhäuter, wie bei den meisten seiner 18 Bühnenwerke, auf eine Klassifizierung. Richard Strauss bezeichnete seine Feuersnot als „ein Singgedicht“, Ludwig Thuille seinen Lobetanz und seine Gugeline als Bühnenspiele, und Max von Schillings’ Pfeifertag wird als „Ein Spielmannsscherz in drei Akten“ bezeichnet.[6] Erst Jan Brandts-Buys nannte Die Schneider von Schönau, als das letzte Nachfolgestück der Meistersinger von Nürnberg, im Jahre 1916 wieder eine „Oper in drei Akten“.

Schon vor Wagners Meistersingern von Nürnberg gab es Nachtwächter auf der Bühne, etwa in Heinrich von Kleists Großem historischem Ritterschauspiel in fünf Akten, Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe (1807–08, Uraufführung 1808) oder pluralis bereits im Titel von Friedrich Karl Danckelmanns komischer Oper in drei Aufzügen, Die Nachtwächter (1814).

Hans Pfitzner übernahm Wagners Figur des Nachtwächters in eine selbst getextete Opernparodie, die ausschließlich aus – zumeist nur unwesentlich veränderten – Zitaten aus Wagners Opern und Musikdramen zusammengestellt ist.[7] Während in Café Lohengrin aus Elsa eine Kellnerin, aus Tristan ein Piccolo und aus Hunding ein Wirt werden, bleibt in Pfitzners Parodie auf Wagner, seine Zeitgenossen und Adepten, der Nachtwächter ein Nachtwächter; allerdings zitiert Pfitzner dabei musikalisch und textlich Wagners Nachtwächterin, nämlich Brangänes Wachgesang, „Bald weicht dem Tag die Nacht!“[8], aus Tristan und Isolde.

Wendelin Weißheimers „Meister Martin und seine Gesellen“

Die Johannis-Nacht im zweiten Aufzug der Meistersinger von Nürnberg ist nichts Anderes als die Mittsommernacht, der aus Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ bekannte Topos, der in Martin Wielands Übersetzung auch „Ein St. Johannes Nachts-Traum“ heißt. Mit dem hilfreichen Kobold, den Hans Sachs im dritten Aufzug der Meistersinger anspricht, könnte also durchaus auch Puck gemeint sein.[9]

Der „tolle Spuk“ des zweiten Aufzugs kulminiert in einem vergeblichen Versuch der Frauen, die Keilerei der Männer auf der Straße zu unterbinden, indem sie ihre Nachttöpfe auf die Straße kippen.[10]

Neben dem Spuk der Mittsommernacht bei Shakespeare, war für Wagner das Jugenderlebnis einer Rauferei in Nürnberg stilbildend, und E. T.A. Hoffmanns Skurrilitäten, wie er sie in der Novelle „Des Vetters Eckfenster“ schildert, haben durchaus auch Pate für Die Meistersinger von Nürnberg gestanden.

E. T. A. Hoffmanns Novelle Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, in Die Serapionsbrüder[11], bildet die Vorlage für eine Oper der direkten Meistersinger -Nachfolge, Wendelin Weißheimers dreiaktige Oper Meister Martin und seine Gesellen.

Hoffmanns Novelle erzählt von dem fränkischen Ritter Heinrich von Spangenberg, der seinen Sohn Conrad beim Küfermeister Tobias Martin in Nürnberg unerkannt als Gesellen unterbringt. Denn Conrad hat sich in Martins Tochter Rosa verliebt. Aber Martin beruft sich auf eine Prophezeiung aus dem Mund von Rosas sterbender Großmutter, wonach nur ein Küfer Meister Martins Tochter glücklich machen werde.

Zwei weitere Werber um Rosa sind Conrads Mitgesellen Reinhold und Friedrich. Beide haben ebenfalls nur aus Liebe zu Rosa ihren sozialen Stand aufgegeben und erlernen bei Meister Martin das Handwerk des Küfners. So ist Reinhold von Haus aus Maler, Friedrich Goldschmied und Bildgießer. Die drei Werber erkennen, in dem neuen Beruf fehl am Platze zu sein, Conrad gibt als Erster auf und heiratet eine adelige Jungfrau gleichen Vornamens. Reinhold wird sich, nachdem er ein Bild von Rosa vollendet hat, der Diskrepanz von Inspiration und Realität bewusst und gibt sein Werben auf. Auch Friedrich gesteht dem Meister seine wahre berufliche Identität. Aber er bekennt seine Liebe zu Rosa und beendet sein Meisterstück, ein zweifundriges Fass, – um dann doch wieder zur Goldschmiede-Kunst zurückzukehren. Meister Martin deutet das Wort seiner Großmutter um auf einen von Friedrich geschaffenen Pokal und erteilt dem Gesellen sein Einverständnis zur Hochzeit mit Rosa.

In Hoffmanns Novelle sind die Künste Malerei, Musik und Literatur eng mit einander verflochten, sie beeinflussen und bedingen einander, wie denn auch die Anregung Hoffmanns auf ein Gemälde zurückgeht, auf Gemälde Bötticher Werkstatt von Carl Wilhelm Kolbe[12] aus dem Jahre 1568.

Weißheimers eigenes, im 16. Jahrhundert in Nürnberg angesiedeltes Libretto greift stofflich mit dieser Vorlage zurück in die Zeit vor Wagner.

Die umfangreiche, sehr ins Ohr gehende Ouvertüre, D-Dur im Allegro Vivace beginnend und nach einem kurzen Andantino in B-Dur auch rasant in der Ausgangstonart endend, zeigt kompositorische Versiertheit in Kontrapunktik und integriert ein Fugato.

Die Oper ist durchkomponiert, wird aber dem alten Nummernschema gerecht, indem sie die einzelnen Szenen auch als Nummern der Oper durchzählt. Die Szenen integrieren Duette, Terzette, Quartette bis zum Sextett mit vierstimmigem Herrenchor im Finale des ersten Aktes.

Und einen

Ohne Wagners auf Hans Sachs’ Verspraxis zurückzuführende humoristische Reimeschmiede, und dessen skurrile Zuspitzung in der Ausdrucksweise von Sixtus Beckmesser, gebraucht Weißheimer in der Ausdrucksweise des seriösen Handwerksherrn der Zünftekunft, Jacobus Paumgartner, die Formulierung, „Erlaubt, Herr Meister, mit Vergunst“[13].

Weißheimer integriert auch die von Wagner in für die Meistersinger gewählte Bar-Form: Meister Martin hat in der sechsten Szene des ersten Aktes vom „Chor der Meister“[14] die Würde der Kerzenmeisterschaft verliehen bekommen. Im Finale wird dazu mit Wein ein Lied „Das schöne Brünnelein“ gesungen, über dessen zweite Strophe es heißt: „Wir sind beim zweiten Stollen stehen geblieben, der ist Euch nicht geschenkt.“[15]

Ein Pendant zu Wagners rhythmischen Hammerschlägen bei Sachs’ Schusterlied und Dialog mit Beckmesser im zweiten Aufzug, sind bei Weißheimer im zweiten Akt die zweistimmigen Hammerschläge der Gesellen auf große und kleine Fässer.

Conrad, der sich als Geselle vorstellt, muss ein Probestück abliefern, zunächst eine Kröse fertigen und dann auf der Tafel den Aufriss eines Fasses zeichnen. Als dritten Teil der Probe zeigt er ungefragt seine Stärke und „schlägt mit einem Schlag die Daube entzwei“[16].

Als viertes, freiwilliges Probestück stellt Conrad seine Sangeskünste unter Beweis. Er tanzt zu seinem Lied über das Heer des Wilden Jägers, das er nicht auf Bitten Martins, sondern erst beim Anblick Roses unterbricht, um sogleich kniefällig um sie zu werben.

Die eintretende Martha, Roses Freudnin, berichtet vom Fest auf der Hallerwiese: zu „Spiele[n] mancherlei [...] in hellen Haufen zieht das Volk hinaus“[17].

Auf der Festwiese, der sechsten Szene des zweiten Aktes, siegt Conrad im Schwerterkampf gegen einen Junker Christian. Vor Beigeisterung singt Martin sein Lob als Koloratur, „“Ihr gefallt mir sehr“[18], und Conrad greift diese Koloraturen parodierend auf. Die Rose, um die er Rosa ritterlich bittet, reicht sie ihm jedoch erst auf Bitten des Volkes.

Sie tanzt mit Reinhold und gesteht anschließend Martha, dass sie Conrad als Spangenberg überführt habe. Friedrich belauscht das im Gebüsch Gespräch der Mädchen. Aber Meister Martin geleitet die Tochter nach Hause.

Die Nr. 17 vereinigt Vorspiel und erste Szene des dritten Aktes mit Harfen-Arpeggien; Ein Choral von St. Sebald, auf dem Theater geblasen, ist der Weckruf im morgendlichen Nürnberg: „Giebel und Dächer, sowie der Sebaldsthurm und die entferntere Burg erscheinen von der frühen Morgensonne vergoldet.“[19].

Reinhold malt an seiner Staffelei[20] und singt dann zur Laute an seinem Bild Rosas, das der eintretende Friedrich bewundert und Reinhold den Preis zuspricht. Reinhold aber sehnt sich nach Italien; sein Geständnis, kein Küfer zu sein, hört der eintretende Meister Martin und entlässt ihn verärgert. Auf Martins Nachfrage gesteht Friedrich, dass er Rosa liebe, aber kein Küfer sei; er wolle jedoch das Meisterstück noch vollenden. Auch er wird von Martin entlassen. Für die vieret Szene des dritten Aktes verwandelt sich die Bühne in eine „sogenannte ‚offene Werkstatt’“[21], mit zentraler Linde unter freiem Himmel.

Nach dem sonntäglichen fest fällt Lehrbuben die Arbeit schwer, ein Altgeselle klagt über Kopfschmerzen. Der Erzgießer Johannes Holzschuher bemüht sich vergeblich, ein gutes Wort für Friedrich einzulegen. Als Martin an Conrad Kritik übt, zerschlägt dieser in Wut ein Fass und wird von Martin geschlagen. Conrad will den Meister erschlagen, aber Rosa stellt sich (wie weiland Elisabeth in Wagners Tannhäuser) zwischen die Kämpfer.

Holzschuher zeigt Martin einen Pokal, den Friedrich geschaffen hat. Martin trinkt daraus – und erkennt, dass sich die Prophezeiung der Großmutter auch auf dieses Gefäß und damit auf Friedrich bezogen haben könne. Spangenberg lüftet das Incognito seines Sohnes Conrad, und Reinhold schenkt dem Haus Martin zum Abschied sein Gemälde Rosas. Alle preisen das Glück des jungen Paares, und unter den Solostimmen als Fundament der gemischte Chor :

„Heil Jungfrau Rosa, Heil dem Bräutigam,

„Heil Meister Martin, Martin Heil,

unserm Kerzenmeister Heil!“[22]

Dass in Weißheimers Oper – im Gegensatz zu Albert Lotzings Handwerker-Opern Zar und Zimmermann, Hans Sachs und Der Waffenschmied – im Schlussensemble kein Fürst, sondern ein Handwerker gepriesen wird, hat Walter Keller[23] bereits trefflich konstatiert.

Als anlässlich der Zentenarfeier des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Sommer 2000 in Berlin Weißheimers Ouvertüre „Meister Martin und seine Gesellen“ ihre Wiederaufführung erlebte, stellte Walter Keller Weißheimers „freundschaftlichen Verkehr mit Wagner“ in direkten Zusammenhang mit Weißheimers politischer Betätigung: Weißheimer „trat mit August Bebel in brieflichen Kontakt und hatte großen Einfluss auf die Arbeitersängerschaft, die kulturellen Bestrebungen und die Bildungsarbeit der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei, deren Massenchöre er auf Parteitagen leitete. Nach Weißheimers Tod am 10. Juni 1910 in Nürnberg gaben ihm 40.000 gewerkschaftlich organisierte Sozialdemokraten das letzte Geleit.“[24]

Die 1879 in Karlsruhe uraufgeführte Oper des mit Richard Wagner[25] und Ferdinand Lassalle persönlich befreundeten Komponisten und Dirigenten Wendelin Weißheimer, rückt E. T. A. Hoffmanns Novelle in die Funktion des Vorläufer-Modells aller musikdramatischen Wettkämpfe um eine Braut.

Anton Urspruchs „Das Unmöglichste von Allem“ nach Lope de Vega

Im Spannungsfeld von Liszt und Wagner bewegte sich der am 17. Februar 1850 in Frankfurt am Main in einer Theaterfamilie geborene Anton Urspruch. Nach dem Gymnasium genoss er seine musikalische Ausbildung bei M. Wallenstein, Ignatz Lachner, Joachim Raff, und – ab 1871 – in Weimar bei Franz Liszt. Liszt nannte seinen Lieblingsschüler „Antonio“ und titulierte ihn als „Vortrefflicher, lieber Freund“. [26]

Als Urspruchs „Meisterwerk“ gilt die Oper Das Unmöglichste von Allem, für die sich Urspruch, nach Lope de Vegas Lustspiel El major imposible, das Libretto selbst verfasst hat.

Tochter Theodora Urspruch-Kircher, die Tochter der Komponisten, nennt sie:

„eine komische Oper im feinsten kunstvollen Sinne, deren Aufbau, Sanglichkeit und Grazie immer großen Beifall fand bei allen Aufführungen. Die Uraufführung in Karlsruhe [am 5. November] 1897 leitete Felix Mottl, danach folgte[n] Darmstadt“ – am 25. November 1897 unter Hofkapellmeister de Haan – „Weimar, Leipzig, Köln [20. Oktober] 1898 [Musikalische Leitung: Arno Kleffel; Regie: Alois Hofmann], Elberfeld und Frankfurt 1899 und Prag unter Leo Blech. Letztere war wohl die glänzendste Aufführung, die der damals bekannte Kritiker Dr. Batka hervorragend beurteilte. Führende Musiker und Kritiker begrüßten es lebhaft, dass nun endlich eine komische Oper erschienen sei von kultiviertem Geschmack und geistreichem Witz, so meisterhaft im Aufbau und sinnvoller Kunst in der thematischen Verarbeitung, dass man seit den Mozart-Opern nichts ähnliches kenne.“[27]

Verglichen mit „andere[n] zeitgenössische[n] Richtungen [...], z. B. Reger und Richard Strauss“, habe Urspruch sich „als fortschreitender ‚Moderner’“ gefühlt, „der tief verantwortlich weiterbauen, nicht umstürzen wollte“. So habe der Komponist im letzten Lebensabschnitt „mit dem Gefühl der Berufung an sich und seinem eigenen Stil weiter“ gearbeitet.[28]

Der Rezensent des Kölner Tageblatts betont: „Was man aber insbesondere als das Unmöglichste von Allem gehalten hatte, dass jemand eine Oper schriebe ohne wesentliche Wagner’sche Einflüsse darin zu verrathen, hat Urspruch möglich zu machen gewusst.“ Kurz darauf konstatiert dieser Rezensent allerdings, man höre

„ beim Erscheinen des als Edelmann verkleideten Ramon mit einigem Erstaunen, dass hier das bekannte Stolzingmotiv aus den ‚Meistersingern’ hat charakterisiren [!] geholfen, das echteste Ritterthema für den Gefälschten.“

Und auch im Liebesduett, welches „uns zum zweiten Mal in dieser sonst völlig unverwagnerten Oper an den von Urspruch Gemiedenen erinnert; wir meinen in den begleitenden Sextolen des Es-Dur-Satzes an die Szene im Bautgemach in ‚Lohengrin’“[29].

Der Rheinische Kourier vom 20. Oktober 1989 formuliert in diesem Zusammenhang:

„Wagner hat unserer Zeit das Zeichen aufgedrückt. Niemand darf sich seinem Einfluss entziehen, niemand die ungeheuren Ideen dieses größten Musikdramatikers ignorieren. Das hat Urspruch am allerwenigsten beabsichtigt und getan. Selbstredend verzichtet Urspruch auf die antiquierten Formen der Arie. Etc. Die Einheit seines Kunstwerkes bildet die Scene, welche in der Dichtung so angelegt ist, dass sie in natürlich symphonisch musikalischer Ausdrucksart aufgehen muss.“[30]

Aufschlussreich für Urspruchs Bezugnahme auf Richard Wagner sind theoretische Überlegungen des Komponisten zur Vereinigung von Wort und Ton, im Zusammenhang mit seinem Opus „Frühlingsfeier“:

„Wollen nun solche Gedanken und Bilder zu Musik werden, so betrachte man es als besonders glückliche Fügung, wenn die ihnen vom Dichter gegebene Wortfassung die technische Möglichkeit zur Musikbildung in sich schließt. Dies ist, seitdem die wahre große Dichtkunst sich von ihrer natürlichsten Genossin, der Musik, entfernt und zur Literatur herabgestimmt hat, weit seltener der Fall, als man gemeinhin annehmen sollte. Die Musik hat andere Gesetze der Form und der Ausdrucksmittel als die Poesie. Ist diese nicht mit Rücksicht auf jene von vornherein entworfen, oder waltet nicht eine glückliche zufällige Übereinstimmung, so kann selten, namentlich bei Sprachkunstwerken von größerer Ausdehnung, ein glücklicher Musenbund geschlossen werden.“[31]

Im nachfolgenden Absatz beruft sich Urspruch sogar ausdrücklich auf Wagner, dessen theoretische Kunstschriften er offenbar durchaus verinnerlicht hat:

„Beide stehen nun in diesem zweiten Teil im Banne der ‚Welt im Kleinen’, die musikalische Malerei, ja die Detailmalerei tritt in ihr Recht, die Farbe verdrängt die Linie, ja, um die Wagnersche geistvolle Deutung einer von Schiller auf die Poesie angewandten Bestimmung zu gebrauchen – dem ‚naiven’ Stil wird der ‚sentimentalische’ entgegengesetzt. Ausgehend von dieser nun mikrokosmischen Welt, folgend dem in der Natur sich offenbarenden Gott, wird die Dichtung jetzt selbst zur Offenbarung und Predigt einer wahren Naturreligion.“[32] Dies knüpft deutlich an Wagners Idee der Kunstreligion an.

Die Nähe des Theoretikers Urspruch zu Richard Wagners Theorien äußert sich auch in seinem Aufsatz zur Gregorianik. Urspruchs Gedanken zur „Moderne“ sind geradezu eine Paraphrase auf Wagners Ausführungen zu Schiller im Zusammenhang mit Beethovens Neunter und auf Wagners dialektisch-linguistische Spielerei mit den Worten „Mode“, „modern“ und „[ver]modern“ im Gedicht „Modern“ (1880).

Bei Urspruch heißt es: „Moderner Mensch, moderner Künstler — ein fast traurig klingendes Wort! Es gemahnt so sehr an das Vergängliche. Denn »modern« ist nur, was in der Mode — dieser mit Recht von Schiller als frech gegeißelten Mode — seine Ursache hat, und Mode ist nur darum heute Mode, weil sie gestern keine war und morgen keine mehr sein wird. Modernd, nicht modern, müsste darum alles heißen, was sich in ihr gründet.“ [33]

Im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes wendet Urspruch eine Analogie auf die Handlung von Wagners Bühnenweihfestspiel „ Parsifal“ an:

„Ein unberührter, rein bewahrter Juwel bleibe darum der große gregorianische Choral, dass er, ein heiliger Gral, einem anderen, halb todten Titurel noch das Leben friste, jeden sündig-kranken Amfortas noch heile, vielleicht in Zukunft einem reinen Parsifal noch die Krone spende.“[34]

[...]


[1] So etwa mit „Tristanderl und Süßholde“, vgl. Theaterzettel vom 8. Juni 1865, in: Herbert Barth/ Dietrich Mack/ Egon Voss: Wagner. Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten. Wien 1975, Abb. 150.

[2] Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg.

[3] Vgl. Richard Wagner: Eine Mitteilung an meine Freunde. In: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Leipzig o. J. (1911), Bd. 4, S. 284 f.

[4] Alfred Lorenz: Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner. Bd. 3: Der musikalische Aufbau von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“. Tutzing (2) 1966.

Neben seiner umfassenden musiklogischen Arbeit auch knapp und populärwissenschaftlich im Bayreuther Festspielführer 1925. Bayreuth 1925, S. 131 ff.

[5] Vgl. Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg. Partitur. In: Sämtliche Werke, Bd. 9. Mainz 1979: Bd. 9, III. S. 62 ff., S. 277 ff. und S. 305 ff.

[6] Es lässt sich nicht genau nachweisen, wo diese Klassifizierung, die bei der Wiederaufführung der Oper in Plauen geäht wurde herrührt. Die Suche Schillings’ nach der korrekten Klassifizierung äußert sich im Erstdruck des Klavierauszuges, wo auf dem Schutzumschlag nur der Titel, auf dem Titelblatt die Bezeichnung „Heitere Oper in drei Aufzügen“ und auf S. 3 die Klassifizierung „Oper in drei Akten“ zu finden sind. Max von Schillings: Der Pfeifertag. Heitere Oper in drei Aufzügen. Dichtung von Ferdinand Graf Sporck. Klavierauszug. Berlin 1899. Hartmut Wecker gibt in Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters ebenfalls die Klassifizierung „Ein Spielmannsscherz in drei Akten“ an. Vgl.: Carl Dahlhaus (Hg.): Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters. München 1994, Bd. 5, S. 584.

[7] Vgl.: Peter P. Pachl: „Im Lohengrin drangen wir ein“. Hans Pfitzners Minutenoper Café Lohengrin. In: Mitteilungen der Hans Pfitzner Gesellschaft. Neue Folge Heft 70, Tutzing 2010, S. 65 ff.

[8] Richard Wagner: Tristan und Isolde. Partitur. In: Sämtliche Werke, Bd. 8. Mainz 1992: Bd. 8, II, S. 158 ff.

[9] So die Lesart in der Nürnberger Neuinszenierung des Jahres 2011 durch David Muchtar- Shakespeare blinzelt durch die Mittsommernacht: David Mouchtar-Samorai inszeniert, Marcus Bosch dirigiert Wagners „Meistersinger“ in Nürnberg. nmz online 2011. http://www.nmz.de/online/shakespeare-blinzelt-durch-die-mittsommernacht-david-mouchtar-samourai-inszeniert-marcus-bosc (Letzter Zugriff: 10. 07. 2012).

[10] Auf der Bühne überdeutlich zu sehen war Wagners drastisches Spiel mit Flüssen (Jordan-Pegnitz) und Körperflüssigkeiten in der Meistersinger- Inszenierung von Christoph Nel am Musiktheater im Revier. Vgl.: Christoph Nel: Was steht in den Meistersingern. Wege durch einen Text. In: Programmheft Die Meistersinger von Nürnberg. Gelsenkirchen, 17. 06. 1987.

[11] Ernst Theodor Amadeus Hoffmann: Meister Martin und seine Gesellen. In: Die Serapionsbrüder. In: Sämmtliche Werke. Paris 1841.

[12] Carl Wilhelm Kolbe d. J.: Bötticher Werkstatt. Altdeutsch 1568.

[13] Wendelin Weißheimer: Meister Martin und seine Gesellen. Oper in drei Akten nach E. T. A. Hoffmann. Klavierauszug. Leipzig 1880, S. 19. Auch Meister Martin wählt im dritten Akt die Formulierung „Ei Reinhold, sagt mir mit Vergunst“ (a. a. O., S. 237)

[14] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 60 ff.

[15] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 90 f.

[16] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 149, Regiebemerkung.

[17] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 161.

[18] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 177.

[19] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 216, Regiebemerkung.

[20] Dieser szenische Topos gemahnt an die Bayreuther Meistersinger -Inszenierung im Jahre 2009 durch Katharina Wagner, die als ein Mittel des V-Effekts alle sichtbaren Vorgänge der Musik durch Taten der bildenden Künste, Gesang durch Malerei ersetzt und visualisiert hat.

[21] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 247, Szenenanweisung.

[22] Weißheimer, Meister Martin, a. a. O., S. 300 ff.

[23] Walter Keller: Anmerkungen zur Handwerkeroper des 19. Jahrhunderts. In: Programmheft zur Zentenarfeier des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Berlin 2000.

[24] Ebenda.

[25] Wendelin Weißheimer: Erlebnisse mit Richard Wagner, Franz Liszt und vielen anderen Zeitgenossen nebst deren Briefen. Stuttgart (3) 1898.

[26] Theodora Kircher-Urspruch: Gedenkschrift zum 125. Geburtstag von Anton Urspruch. (17. 2. 1850 – 11. 1. 1907). Lebens- und Werkskizze eines Komponisten um die Jahrhundertwende. Typoskript im Nachlass der Familie.

[27] Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[28] Theodora Kircher-Urspruch, a. a. O.

[29] Kölner Tageblatt, zitiert nach: N.N. (Hg.: August Cranz): Urtheile der Presse. Leipzig o. J. (1897), S. 3.

[30] Rheinischer Kourier, zitiert nach: N.N. (Hg.: August Cranz): Urtheile, a. a. O., S. 4.

[31] Anton Urspruch: Zur Aufführung meiner Komposition der Klopstockschen „Frühlingsfeier“, a. a. O.

[32] Anton Urspruch: Zur Aufführung meiner Komposition der Klopstockschen „Frühlingsfeier“, a. a. O.

[33] Anton Urspruch: „Der Gregorianische Choral“. Hg.: P. Ambrosius Kienle. Beuron 1901. [Allgemeine Musik-Zeitung, Berlin August 1901]

[34] Anton Urspruch: Der Gregorianische Choral, a. a. O.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Frühe Meistersinger-Rezeption und ihre Auswirkungen auf die komische Oper in der Wagner-Nachfolge
Autor
Jahr
2012
Seiten
31
Katalognummer
V287765
ISBN (eBook)
9783656883050
ISBN (Buch)
9783656883067
Dateigröße
656 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Von Wendelin "Weißheimers Meister Martin und seine Gesellen "und Anton Urspruchs "Das Unmöglichste von Allem", über Max von Schillings’ "Der Pfeifertag", Ludwig Thuilles "Lobetanz" und "Gugeline", Siegfried Wagners "Herzog Wildfang" und Richard Strauss’ "Feuersnot" bis hin zu Jan Brandt‐Buys’ "Die Schneider von Schönau".
Schlagworte
frühe, meistersinger-rezeption, auswirkungen, oper, wagner-nachfolge
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Peter P. Pachl (Autor:in), 2012, Frühe Meistersinger-Rezeption und ihre Auswirkungen auf die komische Oper in der Wagner-Nachfolge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287765

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