Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Rechtsextremismus
2.2 Werte
2.3 Besonderheit des Jugendalters
3 Jugendliche und Rechtsextremismus
3.1 Einstiegshintergründe und Entwicklung rechtsextremer Gruppierungen
3.2 Werte rechtsorientierter Jugendlicher
4 Pädagogische Herausforderungen
4.1 Pädagogische Anforderungen im Allgemeinen
4.2 Hands Across the Campus
4.2.1 Kooperative Lernformen
4.2.2 Service Learning
4.2.3 Hands-Curriculum
4.2.4 Youth Leadership Program
5 Schlussbetrachtung
6 Literaturangaben
1 Einleitung
Die persönlichen Werte geben einen Erklärungsansatz für das eigene Verhalten, da die Handlungsmotivation unter anderem durch Wertvorstellungen geprägt ist. Das, was für wertvoll erachtet wird, wird getan. Mittels Werten kann man sich definieren und sich auch an diesen orientieren. Gerade im Jugendalter, auf der Suche nach dem eigenen Ich in Loslösung vom Elternhaus, können Gruppierungen mit festen Regeln und Werten einen scheinbar einfachen Weg geben:
„Mir gefiel die neue Welt, die ich entdeckt hatte, sehr gut und ich war beeindruckt über den kameradschaftlichen Umgang miteinander, den Zusammenhalt in der Gruppe und das enorme Machtgefühl, das die Gruppe ausstrahlte. Auch wurde mir sofort ein Zugehörigkeitsgefühl gegeben und Hilfe angeboten.“ [Poleck 2002, S. 39]
So beschreibt rückblickend ein Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene seine Faszination, die diese Gemeinschaft im Jugendalter auf ihn ausübte. Das Wissen über die Bedeutung von Wertvorstellungen kann in der pädagogischen Arbeit sehr von Nutzen sein, wenn beispielsweise ein sich delinquent verhaltender Jugendlicher/eine sich delinquent verhaltende Jugendliche1 wieder zurück in die Gesellschaft geholt werden soll. Statt Belehrungen wie „Du musst…“ und „Du sollst…“ bietet die Werteerziehung eine solide Basis für ein konformes Leben in der Gesellschaft. Diese Arbeit beschäftigt sich folglich mit der Frage, welche pädagogischen Herausforderungen sich bezüglich rechtsextremer Jugendlicher im Hinblick auf ihre Wertvorstellungen ergeben. Hierfür werden zunächst die Begriffe Rechtsextremismus und Werte bestimmt sowie die eben schon angesprochene Besonderheit des Jugendalters herausgestellt. Auf Basis dessen wird ein Überblick über die Einstiegshintergründe Jugendlicher gegeben und die Entwicklung von rechtsorientierten Gruppierungen beschrieben. Hinsichtlich Heitmeyers Definition werden mögliche Wertvorstellungen solcher Gruppen abgeleitet. Im darauffolgenden Abschnitt befasse ich mich zunächst mit den allgemeinen Herausforderungen, die sich in der pädagogischen Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen stellen, um daraufhin das demokratiebildende Programm Hands Across the Campus vorzustellen. Dieses bewerte ich in der Schlussbetrachtung im Hinblick auf meine Fragestellung.
2 Begriffsbestimmungen
Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden im Folgenden die Begriffe Rechtsextremismus und Werte bestimmt. Die einzelnen Definitionen erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da sie lediglich dem Verständnis von Werten rechtsextremer Jugendlicher dienen sollen. Als letzter Punkt wird kurz die Besonderheit des Jugendalters in Verknüpfung mit der Wertebildung erläutert.
2.1 Rechtsextremismus
In der einschlägigen Literatur existieren verschiedene Definitionen zum Begriff Rechtsextremismus. Je nach wissenschaftlicher Disziplin findet man in den verschiedenen Ausführungen Ansätze und Umschreibungen, die sich ähneln, ergänzen oder sogar widersprechen. Winkler bezeichnet ihn treffend als einen der „amorphesten Begriffe[n] der Sozialwissenschaften“ [Winkler 2001, S. 39]. Druwe folgert aus seiner Metazusammenstellung ausgewählter Studien zum Begriff Rechtsextremismus, dass die Rechtsextremismusforschung ohne eine einheitliche Arbeitsdefinition arbeitet [vgl. Druwe 1996, S. 77 f.].
Bezüglich der Fragestellung dieser Arbeit stellt der soziologische Aspekt den Schwerpunkt. Welche Werte haben rechtsextreme Jugendliche inne, welcher pädagogische Handlungsbedarf resultiert gegebenenfalls daraus und wie kann dieser aussehen? Eine treffende Formulierung, die alle wichtigen Aspekte aus soziologischer Sicht vereint, findet sich bei Heitmeyer. Er ist der Auffassung, dass „[…] rechtsextreme Orientierungsmuster im Kern als Angriff auf die Gleichheit von Menschen verstanden werden müssen, der mit sozialer, psychischer und physischer Ausgrenzung bzw. Vernichtung anderer Verbunden ist und Gewalt als zentralen Regelungsmechanismus gesellschaftlicher Verhältnisse und Konflikte versteht. Mit anderen Worten: Rechtsextremistische Orientierungsmuster zeichnen sich dadurch aus, da[ss] sie Elemente eines gesellschaftlichen ‚Gegenentwurfes‘ enthalten zu den theoretisch formulierten, aber praktisch keineswegs vollständig eingelösten Verheißungen demokratischer, aufklärerischer Politik mit den Elementen des Vernunftpostulates, der Freiheit des Individuums, vor allem der Gleichheit der Menschen.“ [Heitmeyer 1995, S. 15; Hervorhebungen H. K.] Heitmeyer geht demnach von einem gewissen Gewaltpotential aus, das sich gegen andere Menschen und/oder gegen die Gesellschaft richtet.
2.2 Werte
Ähnlich der Definitionsproblematik von Rechtsextremismus lässt sich auch bei dem Begriff Werte keine einheitliche Definition und Abgrenzung zu Begrifflichkeiten wie Moral oder Norm festhalten [vgl. Stein 2008, S. 18]. Ein allgemeiner Ansatz findet sich bei Frey, der Werte als „[…] die Grundsätze, nach denen eine Gruppe von Menschen ihr Zusammenleben richtet oder richten will“ [Frey et al. 2008, S. 228] sieht. Demnach erfüllen Werte einen regulierenden aber auch orientierenden Zweck. Durch gewisse Wertvorstellungen einer Gruppe kann sich das Individuum in dieser zurechtfinden sowie danach handeln. Werte stehen folglich in einem Bezug zu einer Gruppierung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Wertemodell nach Schwartz [aus: Frey/Graupmann 2011, S. 27]
Der Sozialpsychologe Shalom Schwartz und seine Kollegen haben ein Wertemodell entwickelt, welches unabhängig von Epoche oder Kulturkreis von einem gemeinsamen Wertekanon ausgeht [vgl. Abb. 1 Wertemodell nach Schwartz, S. 3]. Die fünf Wertetypen nach Klages wurden um fünf weitere erweitert. Diese zehn Werte stehen gruppiert unter den Oberbegriffen Offenheit für Veränderung, Selbsttranszendenz, Selbstaufwertung und Bewahrung des Bestehenden. Schwartz geht davon aus, dass das Handeln eines Individuums geprägt ist durch das Streben nach dem eigenen Überleben, dem Überleben der Gemeinschaft sowie die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft. Je nach Motiv gibt es eine andere Schwerpunktsetzung der Werte. Das Motiv des eigenen Vorankommens ist vor allem durch die Werte von Leistung und Macht geprägt. [vgl. Stein 2008, S. 31 ff.]
2.3 Besonderheit des Jugendalters
Die Besonderheit des Jugendalters liegt in der Übergangsphase vom Kind zum Erwachsenen begründet. In dieser Zeit ist der Mensch vor bestimmten Entwicklungsaufgaben gestellt, die es zu bewältigen gilt. Ausgehend von der psychosozialen Entwicklungstheorie nach Erik H. Erikson soll die eigene Identität in Loslösung vom Elternhaus entwickelt werden. Auf der Suche nach eigenen Werten und Idealen können Jugendliche sehr beeinflussbar sein. [vgl. Oerter/Montada 1998, S. 322 f.] Wie das Zitat aus der Einleitung zeigt, kann eine Gruppierung mit festen Regeln und Werten ein zunächst einfacherer Zugang zu dem eigenen Ichsein.
Laut der 16. Shell-Studie sind die Werte und Einstellungen von Jugendlichen weiterhin pragmatisch. Neben dem Fleiß und Ehrgeiz für den persönlichen Erfolg in einer Leistungsgesellschaft will über die Hälfte der Jugendlichen ihr Leben auch genießen. Zudem lässt sich insgesamt ein hoher sozialer Wert feststellen: 70% finden, dass man sich gegen Missstände in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt zur Wehr setzen sollte. Außerdem hat ihr soziales Umfeld einen sehr hohen Stellenwert. [vgl. 16. Shell-Studie]
3 Jugendliche und Rechtsextremismus
Trotz der insgesamt überwiegend positiv konnotierten Jugendkultur in Deutschland ist der Rechtsextremismus nach wie vor ein aktuelles Thema. Im Folgen werden kurz die Ursachen für die Übernahme von rechtsextremem Gedankengut sowie die Entwicklung rechtsextremer Jugendkulturen betrachtet. Im Anschluss daran werden aufbauend auf den Begriffsbestimmungen die Werte der rechten Jugendkultur bestimmt.
3.1 Einstiegshintergründe und Entwicklung rechtsextremer Gruppierungen
Die fortwährende Entwicklung von Industriestaaten sowie die daraus möglicherweise resultierenden Verlust- und Existenzängste der Bürger werden in der Literatur häufig als Ursache für die Zuwendung zu rechtsorientierten Ideen genannt. Gesellschaftliche Randgruppen werden für die eigene Misslage als Schuldige missbraucht. Durch die Angst beeinflusst kann man anfälliger für bestimmte Organisationen werden, die einem Betroffenen einfache Antworten auf komplizierte Sachverhalte geben sowie den ersehnten Halt durch Werte und Orientierung vermitteln können. [vgl. Nohlen/Grotz 2007, S. 465 f.] Ebenso wie bei der Definition sind auch die Gründe, solche Ideologien anzunehmen, facettenreich und reichen von politscher bis zur persönlichen Motivation. Einige suchen gezielt nach solchen Gruppierungen oder gründen gar eine eigene, andere stolpern zufällig hinein. Rommelspacher unterteilt die Gründe in vier Kategorien: „Aktionismus und Gewalt“ beschreibt die Suche nach Spaß und Abenteuern – wie Sensation Seeking – sowie die Rechtfertigung von Gewaltanwendung. Desinteresse in der eigenen Familie, Zurückweisungen und das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, löst eine Suche nach „Gemeinschaft und soziale[r] Anerkennung“ aus. Diese findet man in rechtsorientierten Gruppierungen sehr stark. Das Erfahren von Zugehörigkeit bezahlt man mit der Aufgabe seiner Individualität und der bedingungslosen Unterordnung in der Gruppe. „Protest und Politik“ resultiert im Gegensatz zu den Vorhergenannten weniger aus persönlichen Motivationen, sondern mehr aus dem Gefühl heraus, Widerstand zu leisten, um zu provozieren und aufzufallen. Bei diesen genannten Faktoren kommt der „Rolle der Familie“ in Bezug auf die „Zuwendung und Anerkennung“ sowie die „politische Sozialisation“ eine gravierende Bedeutung zu. [vgl. Rommelspacher 2006, S. 13 ff.] Der Einfluss, der von der Familie als Sozialisationsort ausgeht, dient nur bedingt als Erklärungsansatz. So geht von der Familie in Bezug auf Politik, Identität und Werte durchaus eine Vorprägung aus. Jedoch verfestigt sie sich erst im Jugendalter unter Beeinflussung der Schule und Peer Group. [vgl. Becker 2008, S. 78 f.] Zudem werden Jugendliche bewusst auch von solchen Organisationen als Nachwuchs angeworben. Musik ist dabei das wichtigste Propagandamittel. Für das Jugendalter typisch wird sich vor allem über Musik definiert. Über die Texte wird unter anderem antidemokratisches, antisemitisches, rassistisches, fremdenfeindliches Gedankengut aber auch das Gefühl der Gemeinschaft und Kameradschaftlichkeit vermittelt.2 [vgl. Bundeszentrale für politische Bildung]
Rechtsextremismus bei Jugendlichen ist keine reine Modeerscheinung. Auch hat die Problematik bereits die alten Bundesländer erreicht und ist nicht mehr überwiegend auf die neuen Bundesländer beschränkt. Genaue Zahlen rechtsextrem orientierter Jugendkreise lassen sich nur schwer bestimmen, wenngleich eine Fluktuation festzustellen ist. Diese Tatsache verweist auf die unzureichende Begriffsbestimmung des Rechtsextremismus. Rechtsextremismus lässt sich durch divergierende Operationalisierungen feststellen, beispielsweise mittels der Indikatoren: Grad der Fremdenfeindlichkeit, Zufriedenheit mit der Politik, Mitglied einer rechtsextremen Gruppierung. [vgl. Wagner 2001, S. 158 ff.] Auch wenn laut des DJI-Jugendsurveys die Zahlen der 16- bis 29-jährigen im Vergleich der Jahre 1992 und 1997 bezüglich der Zustimmung zu fremdenfeindlichen Äußerungen und Einstellungen sowie der Nationalstolz annähernd gleich geblieben sind, existiert weiterhin eine nahezu konstante Gruppierung mit rechtsextremer Wertorientierung [vgl. Kleinert/Rijke 2001, S. 173 ff.]. Aktuellere Zahlen aus dem Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Inneren und des KFN belegen diesen Stand [vgl. Baier 2009, S. 113 ff.].
[...]
1 Im weiteren Verlauf schließt eine Geschlechterform alle Formen gleichermaßen ein.
2 Beispielsweise verdeutlicht sich in dem Lied „Auf Den Untergang“ von „Gigi & die braunen Stadtmusikanten“ die massive Kritik an Gesellschaft und der Politik: „[…] Die Besatzermedien lügen rund um die Uhr antideutsche Volksverdummung und Gehirnwäsche pur. Jeder Politiker von heute ist eine große Null und deshalb wissen wir schon lange: Braun is beautiful. […]“ [vgl. Gigi & die braunen Stadtmusikanten, 0:58-1.11]