Elitenbildung in der Ukraine


Magisterarbeit, 2004

113 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG
1.1 Die Ukraine am Scheideweg?
1.2 ZENTRALE FRAGESTELLUNG UND AUFBAU DER ARBEIT
1.3 Quellenlage

2 THEORETISCHE EINORDNUNG
2.1 ALLGEMEINES
2.2 Transformationstheorien
2.3 Der akteurstheoretische Ansatz
2.3.1 Kriterien für eine konsolidierte Demokratie
2.3.2 Kriterien zur Akteursanalyse
2.3.2.1 Strukturelle Konsolidierung
2.3.2.2 Klientelismus / Partikularismus
2.3.2.3 Institutionelle Autonomie
2.3.2.4 Delegatives Verhalten

3 HINTERGRÜNDE ZUR ELITENBILDUNG IN DER UKRAINE

4 ELITENBILDUNG IM POLITISCHEN SYSTEM
4.1 Die Durchdringung der Verfassungsakteure
4.2 Der Präsident
4.2.1 Verfassungsauftrag
4.2.2 Verfassungswirklichkeit des Präsidentenamtes
4.2.2.1 Leonid Kutschma: Roter Direktor und Machtpolitiker
4.2.2.1.1 Die 1. Amtszeit: Wirtschaftsreformen und der Weg zur Verfassung
4.2.2.1.2 Die 2. Amtszeit: Die Gleichschaltung der Legislative
4.2.2.2 Die Präsidentschaftswahlen 2004
4.2.2.3 Die Präsidialadministration und die Pressefreiheit
4.2.3 Aussage für den Transformationsprozess
4.3 Die Regierung
4.3.1 Verfassungsauftrag
4.3.2 Verfassungswirklichkeit
4.3.2.1 Regierungen der Ära Krawtschuk / Besonderheiten der Wirtschaftstransformation
4.3.2.2 Regierungen der Präsidentschaft Kutschmas bis 1999
4.3.2.3 Regierungen der Präsidentschaft Kutschmas bis 2004
4.3.3 Aussage für den Transformationsprozess
4.4 Das Parlament: Die Werchowna Rada
4.4.1 Verfassungsauftrag
4.4.2 Verfassungswirklichkeit
4.4.2.1 Die Mehrheitsverhältnisse seit dem 31. März 2002
4.4.2.2 Fallbeispiel: Wirtschaftsverflechtungen im Parlament
4.4.2.3 Fallbeispiele: Oligarchen und Clans
4.4.3 Aussage für den Transformationsprozess

5 ZUSAMMENFASSUNG

6 LITERATURVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ANLAGE 1 : VERTRETER DER WIRTSCHAFT IN DER NEUEN WR

1 Einleitung

1.1 Die Ukraine am Scheideweg?

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 ist aus der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) die heute unabhängige Ukraine entstanden. Diese ist nach Russland das größte und bevölkerungsreichste Transformationsland Osteuropas. Durch die Verfassungseinführung hat die Ukraine den wohl wichtigsten Schritt zu einem gefestigten politischen System vollzogen und eine erste demokratische Grundlage geschaffen. Nach mehr als 10 Jahren der Unabhängigkeit steht die Ukraine im Jahr 2004 am Scheideweg zwischen Demokratie und Rückfall in autokratische Strukturen. Die Ukraine hat seit 1996 eine demokratische Verfassung und ein Verfassungsgericht. Doch in der Verfassungswirklichkeit ist die Ukraine weit von dem Status einer konsolidierten Demokratie entfernt, da wesentliche Kriterien, wie zum Beispiel die Pressefreiheit oder Gewaltenteilung, in der Praxis nicht eingehalten oder unterlaufen werden. im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004 versucht der derzeitige Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, die Verfassung zu seinen Gunsten zu verändern, um den drohenden Machtverlust durch die Begrenzung auf zwei Amtsperioden abzuwenden.[1] Bei genauerer Betrachtung des Präsidenten, der Regierung und des Parlaments, lässt sich schnell erkennen, dass die politischen institutionen eng mit den interessen mächtiger Wirtschaftseliten verflochten sind. Es scheint, als hätten diese Wirtschaftseliten, die aus dem alten Sowjetsystem erwachsen sind, die politischen Zügel der Ukraine fest im Griff. So kaufen, verkaufen und finanzieren lokale industrie-Lobbies und nationale Unternehmen sowohl Kandidaten, als auch ganze Parteien, oder lassen sich gleich selbst ins Parlament wählen.

Seit dem Beginn der Wirtschaftsreformen unter Kutschma gleicht das politische System einem undurchschaubaren Geflecht kompetitiver Oligarchengruppen und deren Interessen, was im Zuge dieser Arbeit immer wieder deutlich werden wird. Die Gründe für den derzeitigen Stillstand der politischen Transformation sind vor allem in der Ausgangslage des ukrainischen Unabhängigkeitsprozesses zu finden. Als abhängiger Satellit Moskaus war die Ukraine personell und institutionell mit der Gleichzeitigkeit der wirtschaftlichen und politischen Transformation überfordert. Die aus der Sowjetzeit stammende Elite überstand den Wechsel, ohne auf eine nennenswerte politische Opposition zu treffen. Ein Wechsel der politischen Elite fand nicht statt und die Bildung der „neuen“ politischen Elite erfolgte über die Rekrutierung regionaler Altkader und Vetternwirtschaft im Rahmen des Clan-Zusammenhalts. Diese „Startbedingungen“ haben den Fortlauf der ukrainischen Transition weiterhin bestimmt. Das Versagen des ersten Präsidenten der unabhängigen Ukraine, Leonid Krawtschuk, auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Transformation, findet in der deutsch- und englischsprachigen Fachliteratur keinen Widerspruch[2]. Kutschma hingegen kann in vielen Bereichen seiner Reformpolitik Erfolge vorweisen, ohne die zahlreiche Unterstützungen, beispielsweise durch den IWF, nicht möglich gewesen wären. Die Einführung der Währung „hryvnya“ und die Verfassung von 1996 sind hier beispielhaft zu nennen.

Genauso wenig wie diese Erfolge bestritten werden, zeigt die Realität, dass unter der Präsidentschaft Kutschmas einige wenige Oligarchengruppen zu den bestimmenden Akteuren geworden sind. Anders als der mit politischem Personal lavierende Krawtschuk, bildeten sich aus den sogenannten „Financial-Industrial Groups“[3] (Finanz-Industrie Gruppen) verschiedene Oligarchengruppen die eine „Symbiose von Politik und Wirtschaft“[4] um den Präsidenten herum gebildet haben. Gerade in den letzten Jahren haben diese Gruppen es zu einer breiten Basis in Parlament, Regierung, Präsidialadministration und Bürokratie gebracht. Kurz genannt sei hier der Donezker-Clan aus dem gleichnamigen östlichen Regierungsbezirk. Eng mit der „Partei der Regionen“ verbunden, übt diese Gruppe in politischer Hinsicht erheblichen Einfluss auf die Steuer-, Finanz- und Energiepolitik der Ukraine aus, in dem zahlreiche Ministerien und der Posten des Premierministers mit Personal aus den eigenen Reihen besetzt wurden. Außerdem zählt der Dnipropetrovsker-Clan, dem auch Kutschma angehört, zu den mächtigen Gruppen im Kampf um Einfluss und Geld.[5] Verflochten mit der Partei „Werktätige Ukraine“ sind an der Spitze die mächtigen Oligarchen und Abgeordneten der Werchowna Rada Viktor Pintschuk und Andriy Derkatsch zu finden. Die als Oligarchenpartei bekannten „Vereinigten Sozialdemokraten“ (SDPUu), unter Vorsitz von Viktor Medwedtschuk, gilt als ein weiterer mächtiger Clan. Medwedtschuk ist Leiter der Präsidialadministration Kutschmas und seine Partei verfügt über starken Einfluss in den Medien und Verwaltungsstrukturen.

1.2 Zentrale Fragestellung und Aufbau der Arbeit

Neben den großen strukturellen Debatten der Transformationsforschung, wie zum Beispiel der Frage nach dem geeigneten Regierungs-, Wahl und Parteiensystem, oder den theoretischen Debatten nach dem Bestand und der Stabilität der neu entstandenen Demokratien, ist die Frage nach der Entstehung und dem Verhalten von politischen Eliten und ihren Einfluss auf das politische System besonders wichtig, um den weiteren Prozess der Transformation in der ukraine einzuschätzen. Die Wissenschaftler Higley und Pakulski sehen die Analyse von Eliten als zentrale Variable bei der Analyse des politischen Systems. „Elites are the core of the emphasis on political causation that ist now so prevalent in macro political analysis,...“[6] Unter dem Begriff „Elite“ subsumieren die Autoren alle Formen von Führern, Entscheidungsträgern, machthabenden Gruppen und Netzwerke sowie staatliche Akteure.[7]

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die untersuchung der interaktionen zwischen machthabenden Gruppen, Netzwerken und staatlichen Akteuren. Dabei geht es nicht zuletzt darum, einen Beitrag zu der Fragestellung zu leisten, ob die ukraine auf dem Weg zu einem demokratischen Partner an der Grenze Europas ist, oder ob es einen Rückfall in autokratische Führungsstrukturen mit pseudodemokratischen Elementen zu befürchten gilt.

Vorrangiges Ziel der Arbeit ist es, zu zeigen, dass die eigentliche politische Interessenrepräsentation- und -Artikulation nicht über die in der Verfassung vorgesehenen politischen Gewalten erfolgt, sondern durch Eliten, die sich in Schlüsselpositionen des gesamten politischen Systems der Ukraine etabliert haben. Es wird deshalb die These aufgestellt, dass im politischen System der ukraine eine Trennung zwischen politischen und wirtschaftlichen Eliten kaum möglich ist. Ist das politische System der Ukraine mit Oligarchen und damit Wirtschaftseliten „durchsetzt“, die ihre eigenen Interessen über Schlüsselpositionen im System durchsetzen wollen, dann ist die Ukraine im Konsolidierungsprozess steckengeblieben, und zwar deshalb, weil wesentliche Kriterien für die Konsolidierung der Verfassungsinstitutionen verletzt sind. Diese Kriterien werden im theoretischen Teil dieser Arbeit herausgearbeitet[8].

Die Durchsetzung des politischen Systems mit Wirtschaftseliten und Oligarchen wird anhand der Akteursanalyse der verfassungsmäßigen institutionen gezeigt. Dabei werden vor allem die aktuellen Akteure der Verfassungsinstitutionen berücksichtigt. Anhand dieser Verknüpfung wird verdeutlicht, dass die eigentlich bestimmende Determinante der ukrainischen Politik einige wenige Oligarchen und politische Eliten im engeren Umfeld des Staatspräsidenten Leonid Kutschma sind.

Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich auf die Amtszeit des Präsidenten Leonid Kutschma seit 1994, da unter seiner Präsidentschaft der Einfluss der informellen Akteure deutlich angewachsen ist[9] und berücksichtigt im Besonderen die Akteure der derzeitigen Exekutive und Legislative der Ukraine auf der Grundlage der Parlamentswahlen des Jahres 2002. Bei der Analyse der Regierung wird der Zeitraum auf die Regierungszeit Krawtschuks von 1991 bis 1994 erweitert.

Die zu umfangreiche Frage, ob sich die Ukraine noch auf dem Weg zu einer Demokratie befindet, muss unbeantwortet bleiben, da der Demokratisierungsprozess als solcher hier nicht ausreichend genug erfasst werden kann, um eine valide Aussage zu ermöglichen.[10] Ergeben die folgenden Untersuchungen jedoch, dass Oligarchen und Wirtschaffseliten das politische System der Ukraine interpenetrieren und für ihre Zwecke ausnutzen, lässt sich daraus zweifelsfrei schließen, dass eine solche Durchsetzung des politischen Systems mit Oligarchen einer Demokratiekonsolidierung nicht zuträglich ist.

Um zu zeigen, dass die eigentliche politische Interessenrepräsentation und -artikulation in der Ukraine nicht über die verfassungsmäßigen politischen Gewalten erfolgt, sondern durch Eliten, die sich in Schlüsselpositionen im gesamten politischen System etabliert haben, werden zunächst allgemeine theoretische Grundlagen der Transformationsforschung vorgestellt. Des Weiteren werden theoretische Grundlagen und Kategorien erarbeitet, anhand derer die Verflechtung der Akteure innerhalb des politischen Systems der Ukraine analysiert werden können. Unter Verwendung des akteurstheoretischen Ansatzes wird eine systematische Analyse der zentralen Verfassungsinstitutionen Präsident, Parlament und Regierung anhand von Fallbeispielen vorgenommen. Die im theoretischen Teil erarbeiteten Kriterien zur Eliteanalyse werden in diesen Fallstudien angewandt und es kann in einem festen Rahmen der Fragestellung nachgegangen werden, inwiefern die Verfassungsakteure die Kriterien für eine strukturelle Konsolidierung erfüllen. Dabei wird zunächst die Rolle Kutschmas und seiner Präsidialadministration untersucht. Durch die nachfolgenden Betrachtungen zum Parlament und zur Regierung wird verdeutlicht, dass beide Akteure über vergleichsweise wenig Macht verfügen und stattdessen die Präsidialadministration die eigentliche Exekutive des Landes ist. So kann durch die sich an den theoretischen Teil der Arbeit anschließende Untersuchung gezeigt werden, dass der „Partei der Macht“ und den Oligarchenparteien eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung politischer interessen zukommt.

Die zentralen Fallbeispiele zur Untersuchung der Verfassungsinstitution „Präsident“ umfassen die geplanten Gesetzesänderungen im Hinblick auf die „Präsidentschaftswahlen 2004“ und die Stellung der „Pressefreiheit“ in der Ukraine. An beiden Fallbeispielen kann das autokratische Verhalten Kutschmas und seiner Administration verdeutlicht werden.

Für die Untersuchung der „Regierung“ wird dann die Wirtschaftspolitik entlang der Premierminister seit Krawtschuk untersucht. Dadurch werden die Verflechtung der Regierung mit verschiedenen interessengruppen und ihre Abhängigkeit von anderen politischen und wirtschaftlichen Akteuren sichtbar. Die Präsidentschaftswahlen und die Kräfteverteilung in der Werchowna Rada dienen abschließend als Grundlage, um einzelne Oligarchen und Abgeordnete auf ihren wirtschaftlichen Verflechtungsgrad hin zu untersuchen. Dadurch kann gezeigt werden, dass auch das Parlament in einem hohen Maße von Einzelinteressen verschiedener Eliten gelenkt wird.

1.3 Quellenlage

Als Basis der vorliegenden Betrachtungen zur Elitenbildung ist es sinnvoll, bei der politischen Elite, sprich den Verfassungsakteuren, anzusetzen. Hierfür gibt es zwei Gründe: Erstens sind Verfassungsakteure eine greifbare Elitenformation. Sie sind im Gegensatz zu anderen, sich situativ in Parlamentsgruppierungen oder Regionen zusammenfindenden Eliten, die nicht genau einzugrenzen sind, von der Verfassung fest vorgegeben. Materialien und Bewertungen über die Verfassungsakteure sind zudem vergleichsweise gut zu beschaffen und zum Teil veröffentlicht. Daher lässt sich durch eine Analyse dieser Akteure die Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft besonders gut aufzeigen.

Einschränkend muss hier angemerkt werden, dass einige Informationen aufgrund fehlender Übersetzungen nicht berücksichtigt werden konnten. Auf ukrainische oder russische Primärquellen wurde in der vorliegenden Arbeit weitgehend verzichtet. Die Magisterarbeit stützt sich somit vor allem auf westliche Forschungsliteratur und Berichte, wie zum Beispiel die Länderberichte der Konrad-Adenauer Stiftung. Um innenpolitische Entwicklungen besser nachzuvollziehen, waren deshalb umfangreiche Internetrecherchen erforderlich. Verwendung fanden somit insbesondere die englischsprachigen Ausgaben der Intemetzeitung „Ukrajins’ka Pravda“ und die Hintergrundinformationen der

Intemetwochenzeitung „Serkalo Nedeli“. Aus den Veröffentlichungen des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOst), den Länderberichten der Konrad-Adenauer Stiftung und verschiedenen Tageszeitungen konnten gute Überblicke und Einschätzungen zu komplexen Zusammenhängen, zum Beispiel in Bezug auf Motive, Einstellungen und Strategien der verschiedenen Akteure, gewonnen werden.

Bei der Recherche für die Untersuchung der sogenannten „Oligarchen“ und der Verflechtung des Parlaments mit informellen Akteuren konnten viele „Spuren“ nicht weiterverfolgt werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass informelle Akteure, wie zum Beispiel Oligarchen oder Clans, ihre Machenschaften möglichst verschleiern. In den diesbezüglichen Analysen musste deshalb teilweise auf der Grundlage von Annahmen über mögliche Szenarien gearbeitet werden. Diese sind jedoch auch als solche gekennzeichnet. Ukrainische Institutionen sehen oft nur ein reduziertes Informationsangebot für die Nutzer des englischsprachigen Internetangebotes vor. So stellt das Parlament der Ukraine, die Werchowna Rada, zwar englische Gesetzentwürfe online zur Verfügung, die jedoch für die vorliegende Untersuchung von zweitrangiger Bedeutung sind.

2 Theoretische Einordnung

2.1 Allgemeines

Um der allgemeinen Fragestellung nach der Bildung politischer Eliten und ihrer Rolle im Prozess des Systemwechsels in der Ukraine nachzugehen, erfolgt in dieser Arbeit zunächst eine theoretische Einordnung des Zusammenhangs zwischen der Transformation eines politischen Systems und der Rolle von Eliten. Dabei werden Kategorien operationalisiert, anhand derer die Beeinflussung der Verfassungsinstitutionen durch oligarchen und Wirtschaftsakteure analysiert werden können.

Es wird davon ausgegangen, dass politische Akteure den Transformationsverlauf in der Ukraine maßgeblich beeinflussen. Deshalb wird in einer allgemeinen Darstellung der theoretischen Grundlagen zur Erläuterung von Transitionsprozessen der akteurstheoretische Ansatz eine prominente Rolle spielen. Auf der Grundlage dieses Ansatzes wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wann ein Übergangsregime als demokratisch konsolidiert bezeichnet werden kann und welche Kriterien eine konsolidierte Demokratie kennzeichnen. Anhand dieser Kriterien werden daraufhin Problemfelder der Elitenbildung erarbeitet, die als Grundlage für die Untersuchung der Verfassungsakteure des politischen Systems der Ukraine dienen. Dabei werden die Ansätze der Konsolidierungsforschung von Juan Linz, Alfred Stepan, Guillermo O’Donnell und Friedbert Rüb verwendet. In den letzten vier Kapiteln der theoretischen Einordnung wird der methodische Rahmen für die Fallanalyse aufgrund der vorher gewonnenen Erkenntnisse in der jeweiligen Kategorie festgelegt.

2.2 Transformationstheorien

Im „Nation in Transit Country Report 2003” ordnet die Organisation „Freedom House“[11] die Ukraine als „transitional government“, bzw. „hybrid regime“[12] ein und bezeichnet das System als “partly free”. Eine Einstufung als demokratisches System erfolgt nicht, obwohl nach den „Freedom House“-Kriterien eine Demokratie noch nicht konsolidiert sein muss, um als solche bezeichnet zu werden. So sagt die vergleichende Einstufung der politischen systeme letztlich wenig über den tatsächlichen stand des ukrainischen Transitionsprozesses und die Chancen zur Konsolidierung aus. Zur genaueren Untersuchung der Entwicklung des ukrainischen politischen Systems bildet daher die Erläuterung folgender Fragen eine wichtige Voraussetzung: Wie kann ein Systemwechsel gestaltet werden, damit Rahmenbedingungen für die Etablierung eines demokratischen Systems gegeben werden? Warum funktionieren einige Demokratien und warum bleiben andere Systeme im Transitionsprozess stecken? Warum ist das Ergebnis einer Transformation statt demokratischer Konsolidierung ein „hybrides Regime“, eine „halbierte Demokratie“ oder eine „Nomenklaturdemokratie“[13] ? Diesen Fragestellungen geht die politikwissenschaftliche Transformationsforschung nach, deren Definitionen und Prämissen in den folgenden Abschnitten skizziert werden.

Wichtig für die genaue Definition der relevanten Begrifflichkeiten ist die Tatsache, dass die Begriffe Transformation, Transition und Systemwechsel in der Literatur häufig als Synonyme verwendet werden.[14] Unter „demokratischer Transition“ wird hier ein Prozess verstanden, an dessen Ende die Demokratie steht[15]. In der vorliegenden Untersuchung des ukrainischen Systemwechsels wird der Begriff „demokratische Transition“ verwendet, da davon ausgegangen wird, dass die Ukraine zwar ein demokratisches System anstrebt, es aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie sich als automatisches System konsolidiert.

Der Transitionsprozess beinhaltet am Anfang den Regimewechsel, also den Zusammenbruch des autokratischen Systems sowie die Verabschiedung einer neuen Verfassung und geht weiter über eine Einführung demokratischer Strukturen, innerhalb derer die politische Elite ihr Verhalten demokratischen und liberalen Normen anpasst und diese akzeptiert.[16] Daran schließt sich die demokratische Konsolidierung an. Auf den exakten Verlauf dieses komplexen Prozesses wird später noch detaillierter eingegangen.

Die Transformationsforschung geht der Frage nach, wann aus einer Übergangsdemokratie eine konsolidierte Demokratie wird und welche Rahmenbedingungen dafür notwendig sind.

Für die vorliegende Arbeit muss zunächst geklärt werden, ob es theoretische Grundlagen gibt, die deutlich machen, warum aus einem System eine konsolidierte Demokratie wird oder warum nicht und ob sich diese Herangehensweise auf die ukraine übertragen lässt? Deshalb werden nachfolgend Überlegungen zur Entwicklung einer Transformationstheorie und den damit verbunden Problemfeldern verschiedener Autoren dargestellt. Aus dieser Entwicklungsgeschichte ergibt sich für die vorliegende Arbeit eine klare Eingrenzung auf den akteurstheoretischen Ansatz, nicht zuletzt um die am Ende des theoretischen Teils zu erarbeitenden Kategorien für die durchzuführenden untersuchungen überhaupt operationalisieren zu können.

Nachfolgend werden einige Überlegungen zur Entwicklung eines Analyseansatzes zur Erklärung von Transitionsverläufen gemacht. Dadurch wird deutlich, dass diese Forschungsrichtung über keine umfassende Theorie zur Erklärung des Phänomens des Systemwechsels und seines weiteren Verlaufs verfügt, sondern nur durch eine Analyse, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzt zu allgemeingültigen Aussagen kommt.

Der Systemtheoretiker Eberhard Sandschneider hält fest, dass es „aufgrund der gegenwärtigen Forschungslage keine Theorie gibt, die allein in der Lage wäre, die ungeheure Komplexität von Transformationsvorgängen adäquat zu erfassen.“[17] Um Elemente für eine valide Transformationstheorie zu gewinnen, unterscheidet Sandschneider drei Ebenen der Transformationsforschung. Durch die Integration der Erklärungsansätze jeder Analyseebene könne man so einzelne Elemente für eine aussagefähige Transformationstheorie gewinnen[18]. Er unterscheidet zwischen einer Makroebene, Mesoebene und Mikroebene. Durch die Analyse der ersten Ebene könne man „Strukturmodelle zur Erfassung und vergleichenden Analyse unterschiedlicher Transformationsprozesse“ entwickeln. Neben dieser systemischen Betrachtung sieht Sandschneider auf der Mesoebene die Analyse des Zusammenhangs zwischen „institutionen- und elitentheoretischen Ansätzen“[19]. Auf der Mikroebene wird das mit der Transformation in Zusammenhang stehende Individualverhalten der Akteure analysiert. Sandschneiders Anspruch ist aus der Integration der Ansätze nicht nur „ex-post“ sondern auch „ex-ante“ Beschreibungen machen zu können.

Der Transformationsforscher Wolfgang Merkel sieht ebenfalls keine Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Ansätzen, sondern vielmehr die Möglichkeit, verschiedene Konzepte zu einem synthetischen Ansatz zu vernetzen, um die Ergebnisse von Systemwechseln zu erklären: „System- oder Akteurstheoretische Ansätze allein können weder Einleitung und Verlauf, noch das Ergebnis von Systemwechseln hinreichend erklären!“[20] Zur Erläuterung benötigt man nach Merkel „Theoriebrücken“[21], die auf unterschiedlichen Ebenen Verbindungen zwischen den Ansätzen schaffen.

Nach Merkel, Sandschneider und Segert[22] können Institutionen ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Analyseebenen sein. innerhalb des akteurstheoretischen Ansatzes sind für die Beurteilung von erfolgreichen Konsolidierungsprozessen tragfähige politische Institutionen, die von Akteuren hergestellt werden, ein wichtiges Kriterium. Die Bedeutung von Institutionen für die Konsolidierung gründet sich nach Merkel, Sandschneider und Segert auf zwei Überlegungen.[23] Zum einen bedeutet Systemwechsel unsicherheit und zum anderen führt das Ende der autokratischen Herrschaft und die noch nicht vollzogene Konstituierung demokratischer Verhaltensweisen zu einem institutionellen Vakuum bei den Transformationsakteuren. Daraus folgern die Autoren, dass nur Institutionen bei den Akteuren wieder für Handlungssicherheit sorgen. Merkel bezeichnet daher das Fehlen stabilisierender politischer Institutionen als den „missing link“ zwischen der systemischen Makroebene und der handlungstheoretischen Mikroebene.

Im Rahmen seiner Ausführungen zur Methodik der wissenschaftlichen Transformationsforschung stellt Klaus von Beyme[24] zwei theoretische Ansätze gegenüber: den Akteursansatz und die Systemansätze. Zur Erklärung der Systemwechsel nach 1989 hält er den systemansatz für nicht geeignet, weil dieser systemwechselfrequenzen in zu langen Zeiträumen untersucht und deshalb die Einmaligkeit und Gleichzeitigkeit[25] der Transformationsprozesse nicht erfasse. Deshalb überwiege in der Transformationstheorie der auf der Mikroebene angesiedelte deskriptiv-empirische Ansatz.[26] Akteurstheorien betonen die unbestimmtheit und unsicherheit politischen Handelns im Hinblick auf den Systemwechsel. Die Entscheidung für oder gegen eine Demokratie wird von ihnen als Ergebnis einer situationsgebundenen, kontinuierlichen Neudefinition wahrgenommener Präferenzen, Strategien und Handlungsmöglichkeiten durch die relevanten Akteure angesehen. Akteurshandeln wird dabei in erster Linie als Elitenhandeln verstanden. „Die Eliten sind die beherrschenden Akteure.“[27]

Dabei wird nach Einschätzung der Osteuropaexpertin Ellen Bos die „Bedeutung struktureller Faktoren wie Wirtschaft, politische Kultur etc. von der akteursorientierten Transitionsforschung nicht bestritten, aber sie werden als Kontext begriffen.“[28] Die Akteurstheorie begreift die Demokratisierung als systematisch zu erfassenden Prozess. Durch den Vergleich zu anderen politischen Systemen werden allgemeingültige Probleme der Demokratisierung abgeleitet. Ziel der Untersuchung ist es, ein in Transition begriffenes System hinsichtlich seines Demokratisierungsgrades und seiner Stabilität einzuordnen.

Die Autoren von Beyme und Merkel streben für die Untersuchung politischer Systemtransformationen hinsichtlich ihres Demokratisierungsgrades und Stabilität eine Verbindung von System-, Struktur- und Akteurstheorien an. Auch Linz und Stepan plädieren in ihrer Definition von demokratischer Konsolidierung für die Verbindung von System- und Akteurstheorien, indem sie Verhaltens-, Einstellungs- und Verfassungsdimensionen miteinander verbinden. O’Donnell und Dahl konzentrieren sich auf die Analyse bürgerlicher Rechte, freie Wahlen und Wettbewerb anhand der von Dahl entwickelten Polyarchie-Kriterien, um eine Unterscheidung zwischen Demokratie und Nicht-Demokratie abzuleiten. O’Donnell erweitert dieses Konzept und analysiert den Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit zur Institutionalisierung und der Rolle der einzelnen Akteure im System. Die Gemeinsamkeit der Autoren besteht darin, dass der akteurstheoretische Ansatz der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist und die weiteren Ansätze im Kontext der Handlungen der Akteure gesehen werden. Die Systemanalyse der Transitionsforschung konzentriert sich deshalb auf das strategische Handeln der Akteure innerhalb des Übergangsprozesses.

2.3 Der akteurstheoretische Ansatz

Da, wie bereits angemerkt, der akteurstheoretische Ansatz für die vorliegende Untersuchung eine fundamentale Rolle spielt, wird dieser nachfolgend dargestellt und erläutert.

Der akteurstheoretische Ansatz wurde in den siebziger und achtziger Jahren im Zusammenhang mit der sogenannten „Dritten Demokratisierungswelle“ in Lateinamerika und Südeuropa entwickelt. Dem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass die Ablösung eines autoritären Systems durch eine demokratische Ordnung maßgeblich durch das Verhalten der daran beteiligten Akteure bestimmt wird. Ellen Bos zeigt einen Gegensatz zwischen Modernisierungstheorie und Akteurstheorie auf und verdeutlicht dadurch anschaulich den Kern des Unterschiedes zwischen beiden Ansätzen. Die Modernisierungstheorie sei makrosoziologisch und deterministisch orientiert und der akteurstheoretische Ansatz mikroanalytisch und deskriptiv.[29] Akteurstheorien führen die Demokratisierung nicht auf wirtschaftliche und soziale Bedingungen zurück, sondern gehen davon aus, dass diese „von politischen Akteuren in wahrsten Sinne des Wortes hergestellt [werden].“[30]

Der Ansatz sieht die Entwicklung des politischen Prozesses als Folge von interaktivem Handeln der Akteure, die ihre Entscheidungen vor dem Hintergrund politischer Kosten­Nutzen-Rechnungen treffen. So werden subjektive Interessen, Entscheidungen und Verhaltensweisen der herrschenden und oppositionellen Elite untersucht.

Der Ausgang solcher Prozesse der politischen Systemtransformation ist offen. Dass aus dem Übergangsregime eine konsolidierte Demokratie hervorgeht, ist nur eine unter mehreren Möglichkeiten.

Um die Entwicklungen von einem autoritären zu einem demokratischen System nachzeichnen zu können, hat sich ein in drei Phasen unterteiltes Modell[31] durchgesetzt. „Liberalisierung“, „Demokratisierung“ und „Konsolidierung“ sind die möglichen Stufen auf dem Weg zu einer demokratischen ordnung. Diesem Konzept zufolge kennzeichnet sich die Liberalisierungsphase in den betreffenden Systemen zunächst durch eine Spaltung der herrschenden Elite in einen reformwilligen und einen konservativen, an der ordnung festhaltenden, Flügel. Die zu Veränderungen bereiten Akteure, auch „Softliner“ genannt, führen eine „kontrollierte Öffnung des autoritären Systems“ durch, „ohne die realen Machtverhältnisse zu verändern“.[32] Es werden bürgerliche Rechte implementiert, ohne dass zum Beispiel die im Zentrum der Dahl’schen Demokratiedefinition stehenden Kriterien der Partizipation oder des politischen Wettbewerbs erfüllt wären. Dies wird jedoch erst unter „Demokratisierung“ verstanden. In dieser zweiten Phase werden institutionen geschaffen, die genau das gewährleisten sollen. institutionen werden durch die Vertreter des akteurstheoretischen Ansatzes meist als unabhängige Variable verstanden. Das heißt, dass nur durch die Konsolidierung der institutionen die Fortführung der Konsolidierungssequenz möglich ist. Die Entstehung einer demokratisch-politischen Kultur oder einer florierenden Wirtschaft ist nicht die Prämisse dieser Entwicklung, sondern das Ergebnis. Die Demokratisierung bedeutet auch einen Wechsel in der politischen Führung. Da die Akteure von persönlichen Kosten-Nutzen-Kalkülen gelenkt werden, ist der Motor für diese Entwicklung nach theoretischem Erklärungsmuster die Annahme, dass die herrschende Elite glaubt, innerhalb einer demokratischen ordnung ihre Privilegien zu behalten und deshalb den Prozess unterstützt. Die Demokratisierungsphase gilt als abgeschlossen, wenn eine demokratische Verfassung verabschiedet wird und Gründungswahlen stattfinden[33].

Die abschließende Konsolidierungsphase setzt nach der akteurstheoretischen Schule ein, wenn es zur Legitimation der Politik durch die neu geschaffenen institutionellen Rahmenbedingungen kommt. Das heißt, dass geheime, freie und unmittelbare Wahlen durchgeführt werden, und es zu einer Bestätigung der Verfassung und ihrer Institutionen kommt und sich diese verfestigen. Die eigentliche Konsolidierungsphase wird in der Literatur nicht klar operationalisiert. Es gibt keine theoretische Grundlage, die im Lakatosch’en[34] Sinne einen „harten Kern“ bildet, um zu erklären, welche Variablen eine konsolidierte Demokratie kennzeichnen. Hier ist insbesondere Kritik an der Anwendbarkeit der unterteilung in verschiedene Phasen zu üben. Gerade für das Fallbeispiel der ukraine kann eine adäquate Übertragung der Phasen nicht vorgenommen werden. Sicherlich können einzelne Bereiche als demokratisiert bezeichnet werden. Eine generelle Übertragbarkeit dieser Phasen auf das politische System der Ukraine ist nicht möglich. Darum wird die These aufgestellt, dass sich die Ukraine in der „Structural Consolidation“ befindet. Dies wird bei der späteren Operationalisierung der Kategorien näher erläutert. Da zunächst eine operationalisierung der Konsolidierungsphase für die nachfolgende Fallstudie und Erarbeitung der Untersuchungskategorien über die Eliten in der Ukraine unerlässlich ist, widmet sich das nachfolgende Kapitel den Kriterien für eine konsolidierte Demokratie.

2.3.1 Kriterien für eine konsolidierte Demokratie

Nachdem die Grundlagen und Phasen der akteurstheoretischen Schule dargestellt und festgestellt wurde, dass die Forschungsrichtung keine allgemeingültige Transformationstheorie entwickelt hat, sollen im Folgenden die Voraussetzungen und möglichen Variablen einer konsolidierten Demokratie erläutert werden. Dazu werden die akteurstheoretischen Ansätze von Dahl[35], Linz, Stepan, Rüb und O’Donnell herangezogen[36]. Die Ansätze der genannten Autoren bieten sich besonders gut für die Analyse der politischen Akteure innerhalb der politischen institutionen an, da sich daraus insbesondere die Entstehung von Korruption, informellen Institutionen und Täuschungen für die Ukraine ableiten lassen. Daran anschließend werden aus diesen Theorieansätzen der akteurstheoretischen Schule Kategorien zur Elitenanalyse erarbeitet.

Nach Dahl sind regelmäßige freie und geheime Wahlen, sowie die soziale und politische Freiheit des Einzelnen die Grundvoraussetzung und das Minimalkriterium für eine Demokratie[37].

Linz und Stepan haben Kriterien innerhalb einer Abfolge von vier ineinandergreifenden Phasen herausgearbeitet und dadurch Voraussetzungen definiert, die von einer konsolidierten Demokratie erfüllt werden müssen.[38] Sind alle vier Phasen abgeschlossen, könne man von einer konsolidierten Demokratie sprechen. Nach Linz und Stepan beginnt die Konsolidierungsphase mit der „Structural Consolidation“[39], in der sich zentrale Verfassungsorgane und die wichtigsten politischen institutionen (Staatsoberhaupt, Parlament, Regierung, Judikative) verfestigen. Es folgt eine Verankerung der Interessenvermittlung durch Parteien und kollektive Akteure („representational consolidation“[40] ). Parallel oder auch nachfolgend kommt es zur „behavioural consolidation“[41] was bedeutet, dass kein relevanter Akteur, wie zum Beispiel das Militär, Ressourcen gegen die Demokratie mobilisiert. Mit der „attitudinal consolidation“[42] gilt die Konsolidierung als abgeschlossen. Hier kommt es in einem längeren Prozess, der zeitlich nicht fixiert werden kann, zur Entwicklung einer „demokratiegestützen Staatsbürgerkultur“. In der Folge vernachlässigen die Autoren das Konzept der „Structural Consolidation“ und verbinden die Verhaltens-, Einstellungs- und Verfassungsdimensionen zu einer Demokratiedefinition:

„Essentially, by a „consolidated democracy” we mean a political regime in which democracy as a complex system of institutions, rules, and patterned incentives and discentives has become, in a phrase, the only game in town. ”[43]

Die Konsolidierung der zentralen Verfassungsorgane und politischen Institutionen werden so zur unmittelbaren Voraussetzung des weiteren demokratischen Transitionsverlaufs. Auf der Verhaltensebene wird die Demokratie zum „only game in town“, wenn keine maßgebliche Gruppe mehr ernsthaft versucht, das demokratische Regime zu stürzen oder versucht, nationale oder internationale Gewalt anzuwenden, um sich vom Staat zu trennen. Die Gefahr vor restaurativen Bestrebungen ist damit für den Transitionsprozess gebannt. Auf der Einstellungsebene muss auch bei einer politischen oder wirtschaftlichen Krise die überwiegende Mehrheit der Menschen glauben, dass politische Veränderungen nur innerhalb demokratischer Prozesse zu lösen sind. Auf der Verfassungsebene wird die Demokratie zum „only game in town“, wenn alle Akteure innerhalb etablierter Normen ihre politischen Konflikte austragen und begreifen, dass eine Verletzung dieser Normen zu ineffizienz und höheren Kosten führt. Damit auf den einzelnen Ebenen eine Konsolidierung möglich ist, müssen weitere Rahmenbedingungen feststehen. Linz sieht hier die Notwendigkeit eines Rechtsstaats, der die Entwicklung einer zivilen, politischen und ökonomischen Gesellschaft durch eine funktionierende Bürokratie und Gesetze garantiert. Die Demokratiedefinition vom „only game in town“ kann demnach als Folge eines interagierenden Systemzusammenhangs verstanden werden, in dessen Zentrum institutionen stehen.

Eine Analyse dieser Ebenen am Beispiel der ukraine lässt sich nicht mit einem aussagefähigen Ergebnis durchführen. Verhaltens- und Einstellungsebenen lassen sich allenfalls per Meinungsumfrage messen. Allein durch die Tatsache, dass die Pressefreiheit in der Ukraine stark eingeschränkt ist, wäre selbst die Durchführung einer Umfrage in ihren Ergebnissen nicht valide. Auf der Ebene der Verfassungsdimensionen würde sich das „Begreifen höherer Kosten“ ebenfalls schwer analysieren lassen. Einzig auf der Ebene der „Structural Consolidation“ können durch die Analyse der Akteure aussagefähige Ergebnisse produziert werden. Eine nähere Beschreibung dazu erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.

Diese sehr auf den „Institutionalismus“ fokussierte theoretische Betrachtung durch Linz und Stepan, wird ebenfalls durch O’Donnell kritisiert[44]. Sein Hauptargument besteht darin, dass es den meisten „Polyarchien“[45] nicht an Institutionalisierung fehle, sondern die Fixierung auf hoch formalisierte und komplexe Organisationen den Blick auf einflussreiche, informelle und verborgene Institutionen versperre und „Wahlen“ überhaupt nicht berücksichtigt werden. O’Donnell stellt eine Lücke zwischen formalen Regeln und dem tatsächlichen Verhalten der Akteure fest. so kommt es zu Handlungen, die unter dem Oberbegriff „korrupt“ summiert werden. Den Begriff „konsolidierte Demokratie“ sieht O’Donnell als enge Verbindung zwischen den formalen Regeln der Polyarchie und dem tatsächlichen Verhalten der Akteure. Seine Argumentation basiert auf dem Polyarchie- Konzept von Dahl, welches die formalen Regeln einer Demokratie definiert. Wahlen sind institutionen, weil diese genauso wie formale institutionen zu einem hohen Grad institutionalisiert, vernormt und verregelt sind. Er erweitert Dahl’s Indikatoren um vier weitere Punkte, die zu einer Institutionalisierung der Polyarchie notwendig sind[46]. Wenn der Autor von Polyarchien spricht, sind damit Demokratien gemeint, die die Kriterien Dahl’s und die erweiterten Kriterien „formal“ erfüllen. Die erweiterten Kriterien[47] O’Donnell’s beinhalten a) keine willkürliche Absetzung von Mandatsträgern, b) keine Manipulation von gewählten Mandatsträgern durch nicht gewählte Personen, c) ein klares Nationalterritorium durch das die Wahlberechtigung definiert ist und d) die Erwartung, dass ein fairer Wahlprozess und Freiheit auf unbestimmte Zeit anhalten.

Im Verlauf der weiteren Ausführungen legt O’Donnell dar, dass in jüngeren Polyarchien diese Kriterien tatsächlich nur formal erfüllt sind, aber durch abweichendes informelles Verhalten sich andere informelle Institutionen bilden.

O’Donnell’s Konzept basiert auf zwei Annahmen. Erstens bestehen Polyarchien seiner Meinung nach aus einem „set of rules and institutions that is explicitly formalized in constitutions and auxiliary legislation“.[48] Zweitens legen Polyarchien Regeln fest, wie sich Individuen in Institutionen und wie sich Individuen untereinander innerhalb von Institutionen verhalten sollen.

Besteht eine enge Verbindung zwischen dem „set of rules and institutions“ und den Akteuren, seien die meisten „formal rules“ und Institutionen der Polyarchie gänzlich oder fast institutionalisiert. Halten sich die Akteure nicht an die Regeln, dann ist die Verbindung nur lose oder nicht existent. In diesem Fall muss das aktuelle Verhalten der Akteure und die informellen Regeln („informal rules“) untersucht werden. Sind diese informellen Regeln weit verbreitet, dann sind diese ebenfalls hoch institutionalisiert. Zusammengefasst kann man sagen, dass informelle Regeln aus einer Abweichung zwischen formalen Regeln und beobachtetem tatsächlichen Verhalten entstehen und sich selbst institutionalisieren[49]. informelle Regeln steuern so das Verhalten der Akteure und führen zu informellen Institutionen. Diese Tatsache bezeichnet O’Donnell als „Clientelism“, bzw. „Particularism“[50]. Darunter versteht er die Gesamtheit aller Beziehungen die man in einer Polyarchie aus formalen Regeln unter dem Begriff „Korruption“ subsumieren würde. Dieser Partikularismus ist gegensätzlich zum Polyarchie-Konzept, das einen Unterschied zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich vorsieht. Diese Unterscheidung sei wichtig für die formale institutionalisierung der Polyarchie, da die Akteure von universalistischen Motiven und nicht partikularistischen Interessen gelenkt sein sollten. O’Donnell schreibt dem Partikularismus eine Eigendynamik zu. Die Kriterien der Polyarchie werden dann, entgegen den formalen Regeln, vom Partikularismus dominiert und es kommt zu einer Art Tarnung, indem sich Machthaber den Anschein geben, dass sie formale Regeln befolgen und das öffentliche Interesse Motivation ihrer Handlungen ist: „In congress, the judicary, and some actions of executive, rituals and discourses are performed as if the formal rules were the main guides of behaviour.“[51] Da die Akteure so nach formal scheinenden Regeln handeln, wird deren Verhalten nicht hinterfragt und hält an. Diese Täuschung stellt die Institutionen der Polyarchie und deren Akteure an sich in Frage. Der Partikularismus wird so zum Teil des systems und zum Instrument politischer Macht.[52]

Partikularismus ist in jeder Polyarchie omnipräsent. Private und öffentliche Interessen sind nie zu trennen. Deshalb führt O’Donnell einen weiteren Begriff ein: „Accountability“[53]. Damit ist Machtkontrolle im sinne der Zurechenbarkeit horizontaler Verantwortlichkeit der Institutionen untereinander gemeint. Für die Institutionalisierung von Wahlen ist diese Machtkontrolle, in Form einer freien Presse und einer aktiven Bürgerschicht eine Voraussetzung, um ungesetzliches Handeln der Regierung aufdecken zu können.

Das Hauptproblem sieht O’Donnell auf horizontaler Ebene, wo sich formale Institutionen bewegen. Auf dieser Ebene muss es kontrollierte Grenzen geben, damit sichergestellt ist, dass die Akteure nach universalistischen und nicht nach partikularen Interessen handeln.

In neuen Polyarchien ist die beschriebene Kontrolle innerhalb kontrollierter Grenzen wenig ausgeprägt. Die Folge ist die institutionalisierung des Partikularismus in diesen systemen. Machthaber unterwandern so alle Bereiche des politischen Systems. Es kommt zu delegativem- statt repräsentativem Verhalten, wodurch ein Nährboden für Korruption entsteht. Andere Konzepte, Gewalten und Behörden werden von der Exekutive als Behinderung des Wählerwillens betrachtet und man versucht diese Institutionen zu schwächen. Die aus der Verbindung von Partikularismus, delegativem Verhalten und schwacher horizontaler Kontrolle entstehenden Nachteile ermöglichen es, alte autoritäre Verhaltensweisen fortzuführen, die eine unausgewogene Politik zugunsten von hoch organisierten und ökonomisch mächtigen Interessengruppen begünstigen. Politik ist dann nicht mehr eigenständig, sondern von außen gelenkt.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der Transformationstheoretiker Friedbert W. Rüb[54] Im Zentrum seiner Überlegungen zur Konsolidierung von Demokratien steht die institutionelle Autonomie. Wie O’Donnell folgert Rüb aus einem Defekt nach seinen Definitionskriterien die Entwicklung von Korruption und fehlender Autonomie der Politik.[55] Zum Verständnis werden im Folgenden die Kriterien für einen konsolidierte Demokratie nach Rüb dargestellt und der Begriff der „institutionellen Autonomie“ eingeführt, der bei der späteren Erarbeitung der Analysekategorien eine wichtige Rolle spielt.

Rüb geht bei seiner Definition einer konsolidierten Demokratie davon aus, dass dieser Zustand durch Institutionen geschaffen wird und fragt deshalb zunächst danach, wann eine institutionelle Struktur konsolidiert ist.

„Ein institutionelles Gefüge ist dann konsolidiert, wenn sichere Verfahren bestehen, innerhalb derer unsichere politische Ergebnisse produziert werden können, die es einem politischen Gemeinwesen ermöglichen, erfolgreich auf unsere Umwelten zu reagieren. Die entscheidende Voraussetzung hierfür ist institutionelle Autonomie. “[56]

Rüb’s akteurstheoretischen Überlegungen liegen zwei Annahmen zu Grunde. Es gibt erstens eine funktionale Teilung von politischer Macht (Gewaltenteilung) und zweitens die territoriale Delegation von politischer Macht. Er folgert daraus, dass es dadurch nicht zum Verlust von politischer Macht kommt. In nicht-demokratischen Regimen wird Macht nicht zur Machtsteigerung geteilt und delegiert, sondern strukturell bedingt konsumptiv eingesetzt, um keine Macht zu verlieren. So kommt es situativ zu Ad-hoc-Lösungen auf der Akteursebene, da man nicht auf Institutionen zurückgreifen kann. Macht wird so nicht gesichert eingesetzt. Er beschreibt einen Zustand, in dem die Unsicherheit aufgrund fehlender institutioneller Autonomie durch die Fusion verschiedener institutioneller Sphären noch verstärkt wird. Das Ad-hoc-Management der Unsicherheit führt dazu, dass Krisen oder Funktionsdefizite von einem Feld auf das andere überspringen. In der Praxis bedeutet dies, dass einzelne Krisen das gesamte institutionelle Gefüge treffen, was wiederum von einer Person, Clique oder Partei repräsentiert wird. Im Umkehrschluss muss es hier zwangsläufig wieder zum Einsatz konsumptiver Macht kommen. Konsumptiver Einsatz von Macht, Ad-hoc-Management und Krisen des institutionellen Gefüges entspringen nicht-konsolidierten Institutionen. Demokratien sind deshalb erst dann konsolidiert, „wenn die politische Handlungsfähigkeit eines Gemeinwesens vollständig institutionalisiert ist.“[57] Kurz: Institutionelle Autonomie stellt die Handlungsfähigkeit eines Gemeinwesens sicher. Besteht diese, dann ist eine Demokratie konsolidiert.

Rüb stellt anhand einer Unterteilung in eine vertikale und eine horizontale Ebene der institutionellen Autonomie Indikatoren für institutionelle Autonomie auf. Auf der vertikalen Ebene unterteilt er den Autonomiestatus in eine Kontingenz- und eine Zeitdimension. Mit Kontingenz ist der Fortlauf von wenig institutioneller Autonomie bei der Staatsbildung, über die Institutionalisierung der Demokratie und Verfassung, bis zum kompletten Erreichen der institutionellen Autonomie gemeint. Hier intervenieren unterschiedliche Zeitrhythmen. Treten Veränderungen auf der Kontingenzebene in wenigen Jahren auf, so führt das zum Verlust der institutionellen Autonomie. Je länger eine Institution besteht, desto höher ist also ihre Autonomie. Kriterien sind das chronologische und generationelle Alter einer Institution, die Abwesenheit von autoritären Diskursen und Parteienkonkurrenz. Die horizontale Ebene muss Grenzen zwischen den Institutionen aufweisen. Die jeweils eigene „Funktionslogik“ einer Institution darf sich nicht mit anderen Institutionen vermischen und dadurch Effizienz und Legitimität beeinträchtigen. Im Unterpunkt „Institutionelle Autonomie“ des nachfolgenden Kapitels werden die Kriterien von Rüb für die Untersuchung der ukrainischen Regierung operationalisiert.

2.3.2 Kriterien zur Akteursanalyse.

Wenn man die Kriterien der Transformationsforschung aus akteurstheoretischer Sicht anlegt, ist die Phase der Demokratisierung in der Ukraine abgeschlossen. Die Verfassung der Ukraine wurde nach langem Ringen am 28. Juni 1996 von der Werchowna Rada, dem Parlament der Ukraine, verabschiedet. Ausgehend von diesem Stichtag zeigt sich jedoch, dass die Ukraine ein Übergangsregime geblieben ist und demokratische Grundlagen nicht bewahrt hat. Vom Zustand einer konsolidierten Demokratie ist die Ukraine weit entfernt.

Der politischen Elite in der Ukraine, und damit den Akteuren nach der ukrainischen Verfassung. liegt ein „undurchsichtiges Netzwerk aus informellen Strukturen zugrunde.“[58]. Motiv ihres Handelns sind machtpolitische und finanzielle Interessen.[59]. Programmatisch haben politische ideen nur eine chance, wenn sie den Zielen der machthabenden Elite nicht im Wege stehen. Ein aussagefähiges Konzept zur Erklärung von interessen von Eliten hat Andreas Witkowsky[60] entwickelt. Er unterstellt den Akteuren sogenannte „rent- seeking“ Interessen. Das Konzept des „rent-seeking“[61] wird später mit den Ansätzen von Rüb und O’Donnell verbunden, um so aussagefähige Kriterien zu gewinnen, anhand derer die Akteure analysiert werden können.

Die Kriterien zur Eliteanalyse ergeben sich aus den Kategorien „Structural Consolidation“ (Strukturelle Konsolidierung), „Clientelism“ / „Particularism“ (Klientelismus / Partikularismus), „Institutionelle Autonomie“ und „delegatives Verhalten“ der Akteure, die im Folgenden aus den bisher erarbeiteten Ansätzen im Kapitel „Kriterien für eine konsolidierte Demokratie“ erarbeitet werden. Nachfolgend werden die einzelnen Kategorien erläutert. Die Kategorien sind bei der praktischen Analyse der Verfassungsakteure nicht voneinander zu trennen, werden aber hier aus methodischen

Gründen separat dargestellt und im späteren Verlauf der Analyse weitestgehend einzeln auf die entsprechende Verfassungsinstitution übertragen. im später folgenden empirischen Teil wird jeder Verfassungsinstitution eine zentrale Kategorie zugeordnet und anhand eines Fallbeispiels nachgewiesen, inwiefern die jeweilige Verfassungsinstitution die Kriterien für eine konsolidierte Demokratie innerhalb dieser Kategorie erfüllt.

Tabelle 1: Forschungsaufbau

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.3.2.1 Strukturelle Konsolidierung

um die Konsolidierung in der ukraine abschließen zu können, werden vor allem Akteure gebraucht, die die Demokratie zum „only game in town“ werden lassen. Dies bedeutet, dass alle Akteure innerhalb der etablierten Normen ihre politischen Konflikte austragen und begreifen, dass eine Verletzung dieser Normen zu ineffizienz und höheren Kosten führt. Die schwierigkeiten für die operationalisierung der Kriterien nach Linz und stepan wurden bereits im Kapitel „Kriterien für eine konsolidierte Demokratie“ beschrieben. Um die untersuchung auf einen sich zu konsolidierenden Bereich einzugrenzen, ist die erste Phase der Konsolidierung nach den gezeigten Kriterien von Linz und stepan für die ukraine anwendbar, da die ukraine die Kriterien hierfür erfüllt. Nach den beiden Autoren verfestigen sich in der „Strukturellen Konsolidierung“ die zentralen Verfassungsorgane und politischen Institutionen. Die Kategorie „Strukturelle Konsolidierung“ hat somit für die vorliegende Arbeit eine wichtige Bedeutung: sie ist ein oberbegriff, der sich aus der Fragestellung nach dem Konsolidierungsstatus der ukraine ergibt. Da in allen nachfolgenden Kategorien Verfassungsinstitutionen untersucht werden, können alle verwendeten Kategorien unter dem Begriff „Strukturelle Konsolidierung“ subsummiert werden.

Die hier behandelte Kategorie beinhaltet jedoch auch eigene Implikationen, die später im Zusammenhang mit der politischen Institution „Präsidialadministration“ verdeutlicht werden. Da die Präsidialadministration Kutschma unterstellt ist, lassen sich aus diesem Beispiel ebenfalls Rückschlüsse auf das Demokratieverständnis des Präsidenten ableiten[62]. um innerhalb dieser Kategorie eine Aussage über die Konsolidierung der zentralen Verfassungsinstitutionen zu machen, bietet sich eine Einordnung der Pressefreiheit an. Dies ist deshalb sinnvoll, weil der stellenwert der Pressefreiheit Rückschlüsse auf die Legitimität der institutionen zulässt. Die Präsidialadministration schränkt die Pressefreiheit ein, weshalb Wahlen nicht nach demokratischen spielregeln durchgeführt werden und in der Folge die daraus gebildeten institutionen nicht legitimiert sind. ist die Presse in ihrer Berichterstattung frei und unabhängig, dann ist dies ein indikator dafür, dass sich politische institutionen über demokratische Wahlen legitimieren, die eine

Grundvoraussetzung für die Konsolidierung eines Transitionssystem sind[63]. Schränkt eine politische institution die Pressefreiheit und informationsfreiheit ein, dann sind keine gerechten Wahlen möglich. Dies wäre ein indikator dafür, dass die Verfassungsinstitutionen in der ukraine noch nicht konsolidiert sind.

Bei der Beurteilung der Pressefreiheit am Beispiel der Präsidialadministration werden folgende Fragestellungen berücksichtigt:

Sind die Medien der Ukraine frei und bestehen alternative Informationsmöglichkeiten für die Bürger der ukraine? Auf welche Weise werden die Medien eingeschränkt und welche Akteure stehen dahinter?

2.3.2.2 Klientelismus / Partikularismus

„Klientelismus“, bzw. „Partikularismus“ gilt nach O’Donnell als Indikator für die Entstehung von Korruption[64]. „Klientelismus“ und „Partikularismus“ entstehen dann, wenn eine Lücke zwischen formalen Regeln und dem tatsächlichen Verhalten der Akteure auftritt. Halten sich die Akteure nicht an die formalen Regeln, sondern täuschen dieses Verhalten nur vor, dann werden die institutionen durch informelle institutionen, wie zum Beispiel mächtige interessengruppen oder oligarchen, die maßgeblich Einfluss auf die Politik durch informelle Regeln nehmen, unterwandert.

Formale Regeln sind, wie bereits ausgeführt wurde, dazu da, das Verhalten der Akteure in Institutionen und untereinander zu regeln.[65] Das Ausmaß, in dem das Verhalten und die Erwartungen von „formal rules“ bestimmt oder nicht bestimmt werden, lässt sich empirisch nur schwer nachweisen.[66] O’Donnell strebt deshalb die Untersuchung informeller Regeln an: Handeln die Akteure vermehrt nach informellen Regeln, dann führt das zu informellen Institutionen. Für den Nachweis der Kategorie „Klientelismus“ und „Partikularismus“ bietet sich die Untersuchung des Verhaltens von Akteuren im Parlament an[67]. Deshalb wird in dieser Arbeit anhand der Untersuchung des Parlaments (formale institution) nachgeprüft, ob sich informelle institutionen (clans, oligarchen, informelle Netzwerke) gebildet haben und welchen Einfluss diese nehmen. ist das Parlament mit informellen Institutionen durchsetzt, dann kann für diese Institution „Klientelismus“, bzw. „Partikularismus“ nachgewiesen werden.

Bei der Analyse informeller institutionen am Beispiel des Parlamentes werden in der Kategorie „Klientelismus“ / „Partikularismus“ folgende Fragestellungen berücksichtigt: Haben sich informelle institutionen in Form von mächtigen interessengruppen im Parlament etabliert und nehmen Einfluss auf die Politik? Woher kommen diese interessengruppen und wie haben sie sich entwickelt? inwieweit ist die Politik in der Ukraine von „außen“ gelenkt? Ist der Partikularismus in der Ukraine gegenwärtig und ist er ein Weg um politische Macht anzuwenden?

[...]


[1] Im Kapitel „Die Präsidentschaftswahlen 2004“ wird dieser Fall eingehend untersucht.

[2] Vgl. Wittkowsky, Andreas, 1997: Fünf Jahre ohne Plan: Die Ukraine 1991 - 1996, Bremen / Kravchuk, Robert S., 2002: Ukrainian Political Economy - The First Ten Years, New York

[3] Vgl. D’Anieri Paul / Kravchuk, Robert / Kuzio, Taras, 1999: Politics and society in Ukraine, Oxford: S. 196 - 197; Die Entstehung von Financial Industrial Groups (FIG’s) wurde im Jahr 1995 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und bilden ein Konglomerat aus Banken und Industrieunternehmen, das unter einer gemeinsamen Organisationsstruktur auftritt.

[4] Vgl. Kowall, Tina, 2002: Der politische Einfluss von Wirtschaftseliten in der Ukraine, in: Arbeitspapiere und Materialien - Forschungsstelle Osteuropa, Bremen Nr. 42: S. 5 - 22

[5] „Who owns Ukraine?“, in: Eastern Economist, 04.-10. Januar 2002

[6] Vgl. Higley, J; Pakulski, J, 2000: Elites after State Socialism, Theories and analysis, Oxford: S. 238

[7] ebd.

[8] Vgl. „Theoretische Einordnung“

[9] Vgl. Kowall, 2002: S. 11

[10] Für eine weitere Bewertung des Transitionsprozesses bietet sich zum Beispiel ein Vorgehen entlang des von Merkel entwickelten „Mehrebenenmodell der demokratischen Konsolidierungsforschung“ an. Vgl. auch: Merkel, Wolfgang, 1999: Systemtransformation, Opladen: S. 147

[11] Freedom House ist eine nichtkommerzielle, überparteiliche Organisation. Nach eigenen Angaben ist sie eine laute Stimme für Demokratie und Freiheit in der Welt. Die Organisation veröffentlicht jährlich die „Freedom in the world country ratings“, wonach Länder hinsichtlich ihres Demokratisierungsgrades kategorisiert werden. Vgl. http://www.freedomhouse.org

[12] Vgl. Nations in Transit 2003 : Democratization in East Central Europe and Eurasia, Lanham 2003 : S.18

[13] Vgl. Mommsen, Margarete, 1997: „Delegative“, „halbierte“ und „Nomenklatura“-Demokratien. Zu den Entstehungs- und Entfaltungsbedingungen demokratischer Gemeinwesen in Osteuropa, in: Glaeßner, Gert / Reiman, Michael (Hrsg.), Systemwechsel und Demokratisierung. Russland und Mittel- Osteuropa nach dem Zerfall der Sowjetunion, Opladen: S. 233-273

[14] Merkel unterscheidet auch inhaltlich zwischen Systemwandel, Systemwechsel und Transition. Den Begriff Transformation verwendet er als Oberbegriff für alle Formen, Zeitstrukturen und Aspekte des Systemwandels und Systemwechsels.

Vgl. Merkel, Wolfgang, 1999: Systemtransformation, Opladen

[15] O’Donnell und Schmitter verstehen den Ausgang einer Transition als ungewiss. Am Ende des Transitionsprozesses kann eine Demokratie oder auch eine erneute autoritäre Herrschaftsform stehen.

[16] Vgl. O’Donnell, Guillermo/Schmitter, Philippe C., 1986: Transitions from Authoritarian Rule. Tentative Conclusions about Uncertain Democracies, in: O’Donnell, Guillermo / Schmitter, Philippe C. / Whitehead, Lawrence (Hrsg.): Transitions from Authoritarian Rule, Prospects for Democracy, Vol. 4 , Baltimore.

[17] Pridham, Geoffrey / Vanhanen Tatu, 1994: Democratization in Eastern Europe, London: S. 2

[18] Sandschneider, Eberhard, 1994: Systemtheoretische Perspektiven politikwissenschaftlicher Transformationsforschung, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1, Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Opladen: S.25

[19] ebd. S.25f

[20] ebd. S.25

[21] Merkel, Wolfgang: Systemtransformation, Opladen 1999: S.107

[22] ebd.: S.108

[23] Merkel, Wolfgang / Sandschneider, Eberhard / Segert, Dieter (Hrsg.), 1996: Die Institutionalisierung der Demokratie, in: Systemwechsel 2. Die Institutionalisierung der Demokratie, Opladen: S. 9ff

[24] ebd.

[25] Beyme, Klaus von, 1994: Systemwechsel in Osteuropa, Suhrkamp: S. 88f

[26] Einmaligkeit und Gleichzeitigkeit meint die Vielzahl der Systemwechsel ab 1989 in sowohl wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht.

[27] ebd. S.88ff

[28] Merkel, Wolfgang, 1999: Systemtransformation, Opladen: S.102

[29] Bos, Ellen, 1996: Die Rolle von Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.): Systemwechsel 1, Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Opladen: S. 81- 109: S.81

[30] Vgl. Bos, Ellen, 1996: S. 82

[31] ebd.

[32] Vgl. Merkel, 1999: S.119ff

[33] ebd.: S. 85

[34] Vgl. Merkel, Wolfgang / Sandschneider, Eberhard / Segert, Dieter (Hrsg.), 1996: S. 13 - Die Unterteilung der Phasen wird in der Literatur häufig unterschiedlich getroffen. Das Ende der Demokratisierungsphase mit der Verabschiedung einer Verfassung und Gründungswahlen zu verbinden ist eine Art der operationalisierung. Durch die Unterschiedlichkeit der Fälle muss die Demokratisierungsphase nicht zwangsläufig damit abgeschlossen sein.

[35] Vgl. Chalmers, Alan F., 1999: Wege der Wissenschaft - Eine Einführung in die Wissenschaftstheorie, Heidelberg: S. 125ff

[36] Dahl, Robert A, 1971: Polyarchy, Yale; 1998: On Democracy, Yale

[37] siehe auch Merkels „Mehrebenenmodell der demokratischen Konsolidierungsforschung“ in: Merkel, Wolfgang, 1999: Systemtransformation, Opladen: S. 147 - Das Mehrebenemodell wird in diesem Zusammenhang als zu umfassend betrachtet um in dieser Arbeit in seiner Gänze Eingang zu finden. Wesentliche Merkmale der hier dargestellten Kriterien anderer Autoren sind in diesem Modell mit berücksichtigt worden.

[38] Vgl. Dahl, Robert A.: Polyarchie, Yale 1971: S. 2ff

[39] zitiert nach: Merkel, Wolfgang / Sandschneider, Eberhard / Segert, Dieter (Hrsg.), 1996:: S. 12, Die Autoren berufen sich auf ein unveröffentlichtes Skript von Linz / Stepan

[40] ebd.

[41] ebd.

[42] Vgl. Linz, Juan / Stepan, Alfred, 1997: Toward Consolidated Democracies: S.15, in: Consolidating the third wave democracies - Themes and Perspectives, London: S. 14 - 33

[43] ebd.: S.16

[44] ebd.

[45] Vgl. O’Donnell, Guillermo, 1996: Illusions about Consolidation, in: Journal of Democracy, 1996, Vol. 7: S. 34-51

[46] Mit „Polyarchy“ meinen Dahl / O’Donnell eine Demokratie. Der Begriff Polyarchy wird hier weiterhin verwendet um zu verdeutlichen, dass dem Konzept O’Donnell’s der Polyarchiebegriff Dahl’s zugrunde liegt.

[47] Vgl. O’Donnell, Guillermo, 1996: Illusions about Consolidation, in: Journal of Democracy: S. 34ff, O’Donnell erweitert Dahl’s Indikatoren um vier weitere Punkte die zur Definition einer Polyarchie notwendig sind. Demnach müssen, damit man von einer Polyarchy sprechen kann folgende Eigenschaften erfüllt sein: elected officials, free and fair elections, inclusive suffrage, the right to run for office, freedom of expression, alternative information, associational autonomy und die Indikatoren von O’Donnell.

[48] Vgl. O’Donnell, Guillermo, 1996: S. 35

[49] O’Donnell, 1996: S. 39

[50] ebd.

[51] Vgl. O’Donnell, 1996: S. 39f

[52] O’Donnell, 1996: S. 41ff

[53] ebd.

[54] ebd.

[55] Vgl. für die nachfolgenden Ausführungen zum Ansatz von Rüb: Rüb, Friedbert W, 1996: Zur Funktion und Bedeutung politischer Institutionen in Systemwechselprozessen. Eine vergleichende Betrachtung, in: Merkel, Wolfgang / Sandschneider, Eberhard / Segert, Dieter: Systemwechsel 2, Die Institutionalisierung der Demokratie, Opladen: S. 37-72

[56] Vgl. Rüb, 1996: S. 37f

[57] ebd.: S. 39

[58] Rüb, 1996: S.61

[59] Kowall, Tina, 2002: Der politische Einfluss von Wirtschaftseliten in der Ukraine, in: Arbeitspapiere und Materialien - Forschungsstelle Osteuropa, Bremen Nr. 42: S.5

[60] Vgl. ebd.

[61] Vgl. Wittkowsky, Andreas, 1997: Fünf Jahre ohne Plan: Die Ukraine 1991 - 1996, Bremen

[62] Wittkowsky, Andreas, 2000: The Ukrainian Disease: Rent seeking, the Dept Economy, and Changes to Harden Budget constraints, GDi, Berlin

[63] Die eigentliche Untersuchung des Präsidentenamtes als Verfassungsinstitution fällt in die Kategorie “Delegatives Verhalten” und wird später untersucht.

[64] Vgl. Linz / Stepan, 1997: S.14: Die Autoren definieren Dahl’s Polyarchie Kriterien als Grundlage zur Konsolidierung. Demnach sind notwendige freie und geheime Wahlen nach den Kriterien Dahl’s eine notwendige Voraussetzung für die Konsolidierung. Nach Dahl’s Polyarchie - Kriterien ist wie bereits gezeigt wurde ohne Pressefreiheit keine gerechte Wahl möglich.

[65] Vgl. O’Donnell, 1997: S. 49

[66] Vgl. O’Donnell, 1997: S. 45

[67] Vgl. O’Donnell, 1997: S. 46

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Elitenbildung in der Ukraine
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister Scholl Institut für Politische Wissenschaften)
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
113
Katalognummer
V28818
ISBN (eBook)
9783638304986
Dateigröße
1176 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vorrangiges Ziel der Arbeit ist es, zu zeigen, dass die eigentliche politische Interessenrepräsentation- und -Artikulation nicht über die in der Verfassung vorgesehenen politischen Gewalten erfolgt, sondern durch Eliten, die sich in Schlüsselpositionen des gesamten politischen Systems der Ukraine etabliert haben. Hierzu wurden aus der klassichen Transformationstheorie vier theoretische Kategorien abgeleitet, die für die Ukraine angewendet werden.
Schlagworte
Elitenbildung, Ukraine
Arbeit zitieren
Sebastian Worm (Autor:in), 2004, Elitenbildung in der Ukraine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28818

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