Eigensicherung der Polizei und Schutz der Bevölkerung. Personelle und materielle Ausstattung der Polizei zur Eigensicherung sowie zum Schutz der Bevölkerung

7., überarbeitete & ergänzte Auflage (2024)


Fachbuch, 2024

706 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Thematische Befragungen o.Ä.

Führungs- und Einsatzmittel sowie Ausstattung/Ausrüstung

Einsatzmehrzweckstock (EMS)

Reizstoffsprühgerät (Pfefferspray)

Elektroschockpistole (Taser)

Body-Cams

Spuckschutz-Masken bzw. -Hauben

Funkgeräte (Digitalfunk)

Interaktive Funkstreifenwagen

Diensthunde und Dienstpferde

Statistische Erfassung

Vorschläge und Forderungen

Autobiografien sowie Fach- und Sachbücher/Broschüren von Ernst Hunsicker

Berufliche Vita des Verfassers in Kurzform

Einleitung

Auffällig ist auch die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte: der „Respekt schwindet, die Hemmschwelle sinkt“ (Robers in WAZ vom 10. Febr. 2009, 1).1 2 In Berlin gibt es nach Angaben der GdP (WAZ aaO) „durchschnittlich neun Angriffe auf Polizisten pro Tag, bei denen drei Beamte mehr oder weniger schwer verletzt werden“. Die „Beamten würden oft nicht mehr ernst genommen“ betont Andreas Zick vom Bielefelder Institut für Gewaltforschung (WAZ aaO). Manche Täter würden sich sagen: „Ich kann mir viel erlauben, mir passiert eh nichts“. So ist auch zu erklären, daß vermummte Gewalttäter mit Eisen- oder Holzstangen auf Polizeibeamte einprügeln und angreifen, um Festgenommene z.B. aus dem Zugriff der Polizei zu befreien“ (Deutsche Polizei 7/2009, 7). Die Polizei selbst beklagt die mangelnde Solidarität der Bevölkerung (NOZ vom 4. Sept. 2010, 5).

Vor diesem Hintergrund hat die IMK das KFN mit einer Untersuchung der „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamten (bezogen auf die Jahre 1985 bis 2000)“ betraut. Nach den Ergebnissen (Ohlemacher et al. Hannover 2003) finden die Angriffe „weit überwiegend bei Dunkelheit, im öffentlichen Raum und in eher bürgerlichen Vierteln statt. … Die Beamten waren zum Angriffszeitpunkt mehrheitlich als Funkstreife eingesetzt. … Die Täter waren zu großen Teilen alkoholisiert und fast zur Hälfte bereits polizeibekannt. … Schutzwesten helfen entscheidend, Verletzungen zu verringern. … Trotz des hohen Ausbildungs- und Übungsstandes haben die Beamten ein ausgeprägtes Bedürfnis nach mehr psychologischer Schulung und Nachbetreuung“ (dazu auch Rdn. 29g zu § 20). Nach der Anschlußstudie von Ellrich et al. (2012, 91)3 waren die Täter wie folgt motiviert: 37,8% wollten sich der Festnahme entziehen, 30,5% empfinden Feindschaft gegenüber der Polizei bzw. gegenüber dem Staat, bei 19,6% ging es um Befreiungsabsichten, bei 12,5% um Rache/Wut und bei 9,5% spielten politische Motive eine Rolle (…).4

Die Angriffe gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im täglichen Einsatz und bei Sondereinsätzen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Statistisch beurteilt ist das, bezogen auf das Jahr 2013, nicht mehr zu belegen (vgl. Ausführungen unter „Statistische Erfassung“, Seite 77 ff.).

Berichte in den Medien zu den Angriffen bzw. zu den Gewalttaten:

Bund und Beamte wollen mehr Schutz für Polizisten

Köln. Angesichts zehntausender Angriffe und Respektlosigkeiten jedes Jahr pochen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und der Chef des Beamtenbunds (dbb), Klaus Dauderstädt, auf mehr Schutz für die Beschäftigten.

… Unter dem Eindruck der Solidaritätskundgebungen in Frankreich für die Terroropfer forderte de Maizière die Bürger zu mehr Anerkennung für die Polizisten auch hierzulande auf. «Das täte unseren Polizistinnen und Polizisten auch nicht schlecht, wenn man (...) sich einfach Mal bedankt», sagte er.

«Allein im Jahr 2013 sind 60 000 Vollzugsbeamte Opfer von Straftaten geworden», sagte de Maizière. «Diese Zahl ist viel zu hoch.» Gewalt und mangelnder Respekt zeige sich auch gegen Rettungskräfte sowie Mitarbeiter in Hartz-IV- und Ausländerbehörden, Kfz-Zulassungsstellen und Finanzämtern. «Ein Grundmaß von Respekt, Höflichkeit und ganz normales Verhalten auch bei negativen Entscheiden – das kann man schon erwarten.»

Dauderstädt zeigte sich alarmiert. Die Bedrohung Beschäftigter sei präsent und virulent. Es gebe bei weitem nicht nur tödliche Angriffe wie jüngst im Dezember auf einen Jobcenter-Gutachter in Rothenburg ob der Tauber. Feuerwehren würden an ihrer Arbeit gehindert. An den Türen von Gerichtsgebäuden würden hunderte Messer und andere Waffen gesichert. Schüler brächten Messer in den Unterricht mit. Der dbb-Chef forderte Kontrollgeräte, Alarmschaltungen, Deeskalationsschulungen sowie Begleitschutz für Beamte.

De Maizière teilte die Sorgen wegen wachsenden Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst – zumal dort künftig immer mehr Ingenieure, IT-Experten oder auch Soziologen gebraucht würden, «nicht nur Juristen und Verwaltungsfachangestellte». Um in drei, vier Jahren absehbare Lücken schließen zu können, müssten jetzt befristete Stellen für Fachkräfte geschaffen werden, die dann aber weiterbeschäftigt werden sollten. Unterbezahlt aber sei der öffentliche Dienst keineswegs.

Vehement forderte Dauderstädt eine bessere Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei Beamten analog der Mütterrente. Breiten Raum nahm seine strikte Ablehnung des geplanten Gesetzes zur Tarifeinheit ein. Mit ihm will die Koalition die Macht kleiner Gewerkschaften wie der zum dbb gehörenden Lokführer-Organisation GDL einschränken. De Maizière zeigte sich an beiden Punkten kompromisslos. Dauderstädt forderte, das Berufsbeamtentum in Abgrenzung zu anderen Erwerbstätigen zu schützen.

Die rund 750 Delegierten hatten den zweitägigen Kongress mit einer Schweigeminute für Opfer von Gewalt begonnen.5

Die politisch Verantwortlichen sind gefordert. Verbale Bekundungen allein reichen nicht aus. Wirksamer Schutz kostet Geld. Die Polizei muss auch personell verstärkt werden, um die zunehmend neuen Aufgaben bewältigen zu können6 – auch, um sich selbst besser zu schützen (Eigensicherung).

Zahl der Gewalttaten gegen Polizisten steigt deutlich an Polizisten werden bei Einsätzen immer öfter beleidigt und angegriffen. Dabei spielen Alkohol und Respektlosigkeit bei den Tätern eine große Rolle. Bei den Beamten stiegen die psychischen Erkrankungen an.

Hannover. Die Aggressionen gegen Polizisten nehmen zu. Immer mehr Beamte werden Opfer von Gewalt. Beleidigungen und Angriffe gehören bereits zum Alltag. Fast 70 Prozent der Tatverdächtigen bei diesen Straftaten haben Alkohol getrunken, sagte Svenja Böhrk, Sprecherin im Niedersächsischen Innenministerium. Dabei seien 86,9 Prozent der ermittelten Angreifer Männer. Vor allem die Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung sind in Niedersachsen gestiegen.

Erst seit 2011 werden Polizeibeamte als Opfer von Straftaten differenziert erfasst, ein langfristiger Vergleich ist nur eingeschränkt möglich. Bundesweit wurden 2012 knapp 60 300 Polizisten als Opfer erfasst. Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Anzahl der Fälle um 5,4 Prozent, die der Opfer um 9,9 Prozent.

Die Gründe für die steigende Gewalt gegen Polizeibeamte sind vielschichtig. Laut Erhebungen und Befragungen ist das Ansehen der Polizei konstant hoch, sagte Böhrk. Allerdings sei die Hemmschwelle, Polizisten anzugreifen, bei betrunkenen Menschen – vornehmlich sind dies junge Männer – besonders niedrig.

"Alkohol und Respektlosigkeit sind die Hauptgründe für die Zunahme der Gewalt gegen Polizisten", sagte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Dietmar Schilff. Eine normale Ansprache der Beamten werde häufig nicht akzeptiert, vor allem von betrunkenen Jugendlichen oder Feiernden. Es gebe eine erhebliche Aggressivität gegen Polizisten. "Bei einem Einsatz in Hannover wurde sogar ein Feuerlöscher aus einem Hochhaus gezielt auf ein Polizeifahrzeug geworfen, zum Glück wurde niemand verletzt", berichtete Schilff.

Auch hinterhältige Angriffe bei der alltäglichen Arbeit auf der Straße würden stetig zunehmen. Das sei für die Kollegen eine sehr große psychische Belastung. Bedingt dadurch seien auch psychische Erkrankungen gestiegen.

Oft richteten sich die Angriffe gegen den Staat – die Polizei verkörpere die Staatsmacht. "Wir gehen in Schulen und sprechen mit den Schülern, erklären unsere Arbeit und zeigen die Polizisten als Menschen", betonte Schilff. Wichtig sei, die Distanz zur Polizei durch präventive Arbeit zu verringern. Zugleich müsse die Strafe bei Übergriffen schneller erfolgen. Wenn der Angreifer erst ein oder zwei Jahre später zur Verantwortung gezogen werde, mache das wenig Sinn. …7

Politik Angriffe 11.08.13

Polizisten werden häufiger Opfer von Gewalt

Die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Polizisten ist 2012 stark gestiegen. Meist ist der Angreifer männlich und betrunken. Die Spitze der Gewalt bilden Berlin – und eine Stadt in Norddeutschland.

Polizisten werden häufiger Opfer gewalttätiger Übergriffe. Im Jahr 2012 waren insgesamt 60.294 Beamte betroffen. Das geht aus einem internen Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor, das der "Welt" vorliegt. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist dies ein deutlicher Anstieg um 9,9 Prozent.

Auch die Gesamtzahl der Taten hat zugenommen: Sie lag 2012 bei 32.742 Übergriffen gegen Polizisten und stieg damit um 5,4 Prozent. Mehr als zwei Drittel der im gesamten Bundesgebiet ermittelten Tatverdächtigen waren Männer. 67,6 Prozent der Verdächtigten standen unter Alkoholeinfluss. Die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen stieg gegenüber dem Vorjahr um 5,2 Prozent auf 28.580.

Zuletzt hatten vor allem Berichte über Gewaltfälle von Polizisten für Aufsehen gesorgt. In Bremen zum Beispiel erstatteten Beamte Selbstanzeige, nachdem sie in einer Disco auf einen Mann eingeprügelt hatten. Die neuen Zahlen aus dem "Lagebild 2012: Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte" zeigen die andere Seite.

Demnach werden bei vielen Angriffen gleich mehrere Polizisten verletzt. Schwere Folgen kann vor allem die "gefährliche und schwere Körperverletzung" haben. In diesem Bereich verzeichnet die Statistik einen Anstieg um 8,8 Prozent auf 2777 Delikte.

Gefahr für Beamte vor allem in Stadtstaaten hoch

Die Gefahr, Opfer eines Übergriffes zu werden, ist für Polizisten in den Stadtstaaten am höchsten. In Berlin kamen 95,3 Fälle auf 100.000 Einwohner.

Im Länder-Ranking folgen die Stadtstaaten Bremen (75,6 Fälle) und Hamburg (75,2) Fälle. Es folgen Schleswig-Holstein, Saarland, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Am sichersten ist der Dienst für Polizisten im Ländervergleich in Hessen (29,7 Fälle pro 100.000 Einwohner), Brandenburg (31,9) und Sachsen (32,5).

Das häufigste Delikt ist der "Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte" Vergleicht man hierbei die Kreise und kreisfreien Städte, wurden laut der Statistik in Neumünster (102,7), Lübeck (97,4) und Trier (86,1) die meisten Übergriffe pro 100.000 Einwohner registriert.

Zuletzt hatte die Polizei im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen Alarm geschlagen. Mitte Juli kam heraus, dass es im Jahr 2012 fast 6000 Übergriffe gegen Polizisten gegeben hatte. Die Zahl der Opfer war dabei auf einen Höchstwert von über 10.000 gestiegen.

Fast die Hälfte der Taten ereignete sich laut dem Bericht aus NRW am Wochenende, meist in der Öffentlichkeit und seltener in privaten Räumen. Immer häufiger eskaliert die Situation in Vergnügungsvierteln. Vor Kurzem beschäftigte sich auch der nordrhein-westfälische Landtag mit dem Thema.

Rhein fordert Schutzparagraf

Politiker und Polizei-Vertreter fordern einen besseren Schutz der Polizisten. Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) fordert einen sogenannten Schutzparagrafen für Polizisten im Strafgesetzbuch.

"Die Beamten, die täglich ihre Gesundheit für das Allgemeinwohl aufs Spiel setzen, brauchen mehr Schutz", sagte Rhein der "Welt". "Die zunehmende Eskalation der Gewalt muss für die Täter besondere Konsequenzen nach sich ziehen." Hessen wolle, dass eine gesetzliche Regelung ein Hauptthema der nächsten Innenministerkonferenz werde.

"Der Respekt gegenüber Polizisten nimmt immer weiter ab, gleichzeitig steigt die Zahl der Angriffe auf unsere Streifenbesatzungen", sagte Rhein. "Deshalb ist es dringend geboten, dieser besorgniserregenden Entwicklung von Gewalt konsequent entgegenzuwirken."

Gewerkschaft will auch Lehrer schützen

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt, dass der Schutz der Polizei stärker im Strafgesetzbuch verankert und ein eigenständiger Paragraf 115 zum "tätlichen Angriff" geschaffen wird. "Bedrückend ist, dass die Polizei immer häufiger auch ohne Anlass angegriffen wird. Dafür fordern wir einen besonderen Straftatbestand", sagte GdP-Chef Oliver Malchow der "Welt". Der Gesetzgeber müsse jetzt handeln, weil sich Teile der Gesellschaft immer weiter von Recht und Gesetz entfernen würden. "Wenn der Autoritätsverlust der Polizei weiter zunimmt, ist unsere Rechtsordnung in Gefahr. Viele Polizisten haben immer stärker das Gefühl, dass die Politik nicht mehr hinter ihnen steht", sagte Malchow.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert bis zu fünf Jahre Strafe für Gewalttäter. "Die Bundesregierung hat den strafrechtlichen Schutz der Einsatzkräfte verbessert, indem die Strafandrohung von zwei auf drei Jahre wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte erhöht wurde", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt der "Welt".

"Das genügt aber noch nicht, die Strafandrohung muss auf fünf Jahre steigen", erklärte Wendt. Wer Polizisten angreife und verletze, müsse damit rechnen, dass er für längere Zeit ins Gefängnis komme.

Der Deutschen Polizeigewerkschaft reicht ein Sonderparagraf für Polizisten im Strafgesetzbuch nicht aus. "Denn in zunehmendem Maße sind nicht nur Polizisten, sondern auch Lehrer, Staatsanwälte und kommunale Beschäftigte von Gewalt betroffen", sagte Wendt. Er forderte alle politischen Kräfte auf, Gewalt gegen Bedienstete des Staates "klar zu ächten".8

Gewalt gegen Polizisten

„Schützt die, die euch schützen“

Gewalttaten gegen Polizisten und Polizistinnen haben in den letzten Jahren stetig zugenommen. Bernhard Witthaut, ehemaliger Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht über Fakten, Hintergründe und die Forderungen an die Politik, um Polizeibeamte besser zu schützen.

Herr Witthaut, in welchem Rahmen hat die Gewalt gegen Polizeibeamte zugenommen?

Konkrete Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik dazu zu nennen ist schwierig. Prinzipiell zeigt diese Statistik, dass die Gewalt gegen Polizisten in den letzten zehn Jahren um 33 Prozent zugenommen hat. Diese Zahlen geben aber nicht die gesamte Realität wieder, da wir von einer Dunkelziffer ausgehen, weil viele Kolleginnen und Kollegen gar keine Anzeige erstellen. Außerdem wird erst seit dem Jahr 2010 in der Statistik getrennt erfasst, inwieweit tatsächlich Polizeibeamte Opfer einer Straftat geworden sind – vorher fiel alles undifferenziert unter „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ – und das konnte beispielsweise auch ein Gerichtsvollzieher sein. Aufschlussreicher ist daher die Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen „Gewalt gegen Polizeibeamte“ aus dem Jahr 2010, die in zehn Bundesländern durchgeführt wurde. Diese zeigt zum Beispiel, dass im Jahr 2009 rund 82 Prozent der befragten Beamten beschimpft, beleidigt oder verbal bedroht wurden – 90 Prozent von diesen Beamten sogar mehrfach. Besorgniserregend ist, dass die Zahl der schweren Verletzungen, bei denen Polizisten mindestens sieben Tage dienstunfähig waren, zwischen 2005 und 2009 um 60 Prozent zugenommen hat. Leichtere Verletzungen, mit ein- bis sechstägiger Dienstunfähigkeit, haben in diesem Zeitraum sogar um über 90 Prozent zugenommen.

Wie sehen denn die Gewalttaten konkret aus?

Die häufigsten Täter sind junge, alkoholisierte Männer. Es fängt bei verbalen Beleidigungen an und geht von Schubsen und Bespucken über Tritte und Faustschläge bis hin zum Bewerfen mit Steinen, Flaschen oder Feuerwerkskörpern. Aber auch Angriffe mit Stich-, Hieb- und Schusswaffen kommen vor. Außerdem sind auch schon an Dienststellen bei privaten Fahrzeugen von Kollegen und Kolleginnen Radmuttern gelöst worden – zum Teil an allen vier Rädern.

Im Rahmen von Demonstrationen werden am häufigsten Waffen eingesetzt. Die ausgeprägte Gewaltbereitschaft vor allem links- und rechtsextremistischer Gruppen ist wirklich besorgniserregend – die Einsatzkräfte sind hier immer öfter Angriffsziel brutaler Attacken beider Gruppierungen. So werden Polizisten etwa gezielt in einen Hinterhalt gelockt und angegriffen.

Findet denn Gewalt gegen Polizisten nur bei Demonstrationen und Großveranstaltungen statt?

Nein. Auch bei Einsätzen im Rahmen von häuslicher Gewalt kommt es immer wieder zu Übergriffen. Das heißt: Die Beamten werden z. B. über die Notrufnummer 110 gerufen. Wenn sie dann am Einsatzort eintreffen, um einen Streit zu schlichten, richtet sich die Gewalt beider Parteien dann manchmal gegen die Beamten. Das ist nicht die Regel, kommt aber durchaus vor.

Was könnten Gründe für die zunehmende Gewalt sein?

Ich denke, dass die individuellen Interessen heutzutage einfach stärker sind, als das, was unser staatliches Regelwerk vorgibt. Man setzt sich heute eher über gesetzte Grenzen hinweg. Polizisten werden nicht respektiert, weil der Staat nicht respektiert wird. Polizeibeamte werden von den Tätern oft nicht als Menschen gesehen, sondern als Vertreter eines verhassten Systems. Ihren Hass setzen diese Menschen anscheinend dann immer häufiger dadurch um, dass sie versuchen, Polizisten und Polizistinnen gezielt zu schaden.

Was ist aus Sicht der GdP nötig, um Polizeibeamte besser zu schützen?

Wir benötigen hier ein ganz deutliches Signal durch die Politik. Wir fordern einen eigenen Paragrafen 115 StGB (Strafgesetzbuch), der ganz klar regelt, dass auch ein völlig unvermittelter Übergriff auf einen Polizisten bestraft wird – auch dann, wenn der Beamte oder die Beamtin dabei nicht verletzt wird. Die bisherige Gesetzesregelung setzt voraus, dass sich der Beamte bei dem Angriff in einer „Vollstreckungssituation“ befinden muss – beispielsweise bei einer Festnahme oder Räumung. Unvermittelte Attacken auf nichtsahnende Polizisten im täglichen Dienst werden von der Strafbarkeit bislang gar nicht erfasst. Wir sind der Meinung: Schon der gezielte Wurf einer Flasche nach einem Polizisten sollte geahndet werden – auch wenn der Beamte nicht getroffen wird. Das gleiche sollte übrigens für Rettungskräfte wie Feuerwehrleute oder Notärzte gelten. Zu oft erleben wir, dass diese an ihrer Arbeit gehindert werden und sich nur mithilfe der Polizei zu Brandherden oder Verletzten durchkämpfen können. Deshalb sagen wir: „Schützt die, die euch schützen“. …9

"Der Respekt schwindet"

Polizisten werden selbst zu Opfern

Die Empörung war groß, als Salafisten im Frühjahr auf einer Demo in Bonn Polizisten mit Messern attackierten. Doch auch im Alltag wächst die Gewalt gegen Uniformierte: So fliegen Steine und Betonplatten, Fingerkuppen werden abgebissen. Meistens sind die Angreifer betrunken oder stehen unter Drogen.

Im Einsatz angepöbelt, angespuckt oder sogar attackiert: Die Zahl der Angriffe auf Polizisten steigt in vielen Bundesländern stark an. In Bayern war 2011 statistisch fast jeder dritte Beamte betroffen, wie Innenminister Joachim Herrmann sagte. "Der Respekt vor der Polizei schwindet." Es werde "beleidigt, bespuckt, bedroht, geschlagen, getreten und mit dem Kopf gestoßen". Die Intensität sei erschreckend, in einigen Fällen hätten die Beamten Todesangst gehabt. Kollegen überall in Deutschland berichten Ähnliches.

Die Zahl der Gewaltakte gegen bayerische Beamte stieg im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent auf rund 6900 Fälle. Rund 1900 Polizisten wurden verletzt. Ein Augsburger Polizist wurde getötet, einem Beamten wurde eine Fingerkuppe abgebissen. Mehr als 70 Prozent der Täter waren betrunken oder unter Drogen, viele waren jünger als 21 Jahre.

In Berlin nahm die Gewalt gegen Polizisten 2011 noch stärker zu: Die Zahl der Fälle von Körperverletzungen stieg laut Statistik um 120 Prozent, die von Widerstand gegen Polizisten um fast 60 Prozent. Rund 800 Beamte wurden verletzt, ein Plus von knapp acht Prozent.

Den Kiez-Polizisten gibt es nicht mehr

Bundesweit wurden nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mehr als 90 Prozent der Beamten bereits angegriffen oder beleidigt. Betroffene zeigten viele Delikte nicht mehr an, weil die Angriffe oft nicht oder nur geringfügig bestraft würden, sagte der Berliner Landeschef Michael Purper. Polizisten klagten zudem zunehmend über Ablehnung: "Das liegt daran, dass die Polizei fast nicht mehr präventiv auf der Straße unterwegs ist. Den Kiez-Polizisten, der mal ein Schwätzchen mit Anwohnern hält, gibt es nicht mehr wirklich."

In Baden-Württemberg zählte das Innenministerium im vergangenen Jahr 3240 tätliche Angriffe auf Beamte, in jedem zweiten Fall wurde ein Polizist verletzt, nach 1300 Fällen im Vorjahr. "Die Leute haben zunehmend den Respekt gegenüber der Polizei verloren", sagte ein Pressesprecher.

In NRW stieg die Zahl der Angriffe um acht Prozent. "Die Hemmschwelle, Gewalt auszuüben, ist gesunken", sagte Ministeriumssprecher Wolfgang Beus. Um die Beamten besser vorzubereiten, sollen Beamte derzeit in einer Online-Befragung Gewalterfahrungen schildern, dann soll der Schutz verbessert werden.

Leicht rückläufig ist die Zahl der Gewaltakte hingegen in Schleswig-Holstein. Hier gab es 2011 insgesamt 705 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte, 100 weniger als 2010. Nach Ansicht von Innenminister Andreas Breitner liegen die Fallzahlen aber auf einem deutlich zu hohen Niveau: Die Schwere der Übergriffe nehme zu, das Aggressionspotenzial sei teilweise sehr groß, so der SPD-Politiker. In manchen Bundesländern wie etwa Brandenburg ist ein Vergleich mit Vorjahren schwierig, erst seit kurzem wird die Zahl der Taten nach bundeseinheitlichen Kriterien erfasst.

Hemmschwelle für Gewalt sinkt

In Sachsen-Anhalt erinnert man sich vor allem an diesen Fall: Im Januar warfen Angehörige der linken Szene in Magdeburg eine 40 mal 20 Zentimeter große Betonplatte aus dem fünften Obergeschoss eines Hauses auf Polizisten - bei einem Treffer hätte es wohl Tote gegeben. "Die Hemmschwelle für körperliche Gewalt als auch die Gewalt mit Worten ist gesunken. Es wird härter", sagte kürzlich Landespolizeipfarrer Michael Bertling.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig will sich wie seine Kollegen gegen die zunehmende Gewalt stemmen: "Diese Entwicklung nehmen wir nicht hin. Wer Polizisten angreift, greift die Gesellschaft an."

Bayern soll nun stärker in den Schutz von Polizisten investieren: Das Land stellt für dieses Jahr eine Million Euro für eine bessere Ausrüstung bereit. Neue Helme und spezielle Westen sollen gekauft werden.10

Thematische Befragungen o.Ä.

Polizeibeamte als Opfer von Gewalt. Ergebnisse einer Befragung von Polizeibeamten in zehn Bundesländern11

6. Zusammenfassung und Folgerungen für die Prävention

6.1. Zusammenfassung der wesentlichen Befunde

Wie in den beiden Kapiteln zur Polizeilichen Kriminalstatistik und zum Forschungsstand ausgeführt, sollte mit der Befragung von Polizeibeamten zu ihren Gewaltopfererfahrungen im Dienst hauptsächlich drei Forschungsfragen nachgegangen werden. Die erste Frage war, ob sich der Anstieg der Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt auch für die Gewalt gegen Polizeibeamte beobachten lässt. Die zweite Frage formulierte, inwieweit die in der Kriminalstatistik sowie in phänomenologisch-orientierten Untersuchungen benannten Merkmale von Tätern, z.T. auch von Opfern und Situationen die Realität von Übergriffen gegen Polizeibeamte in Deutschland im Jahr 2010 beschreiben. Die dritte Frage war schließlich, welche Aussagen bzgl. der Risikofaktoren von Gewaltübergriffen getroffen werden können, wobei von vornherein eingeschränkt werden musste, dass mit den vorhandenen Daten nur der Einfluss sichtbarer Opfer- und Tätermerkmale untersucht werden kann. Die nachfolgende Zusammenfassung der Ergebnisse orientiert sich an diesen drei Forschungsfragen. Daneben wird auf einen weiteren Schwerpunkt der Auswertungen eingegangen: die Folgen von Gewaltübergriffen für die Beamten und die Täter. Im Forschungsüberblick wurde hierauf nicht gesondert eingegangen; im Fragebogen wurden die Folgen aber in sehr detaillierter Weise erfasst.

Haben Gewaltübergriffe auf Polizeibeamte zugenommen?

1. Der Anteil an Polizeibeamten, die Gewaltübergriffe mit nachfolgender Dienstunfähigkeit erlebt haben, ist zwischen 2005 und 2009 gestiegen. Während 2005 noch 2,6 % der Beamten mindestens einen solchen Übergriff erlebten, waren es 2009 bereits 4,5 %. Dabei nehmen aber vor allem jene Übergriffe zu, die zu geringeren Dienstunfähigkeitsdauern geführt haben. Der Anteil an Beamten, die einen Übergriff mit über zweimonatiger Dienstunfähigkeit erleben mussten, liegt über die Jahre hinweg recht stabil bei 0,2 %. Interessant ist, dass es bei den weniger schweren Übergriffen (höchstens achtwöchige Dienstunfähigkeit) auch im Vergleich der Jahre 2008 und 2009 zu einem Anstieg kommt; in der Polizeilichen Kriminalstatistik setzt hier ein Rückgang der Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt ein, der sich auch 2010 fortsetzt. Möglich ist, dass der Anstieg der Gewaltübergriffe gegen Polizeibeamte mit der Befragung überschätzt wird, insofern kürzer zurückliegende Übergriffe besser erinnert und entsprechend berichtet werden und insofern Übergriffe, die sich zu Beginn des Jahres 2010 ereigneten, möglicherweise in das Jahr 2009 ‚verschoben’ wurden.

2. Anstiege von Gewaltübergriffen sind in allen Einsatzsituationen zu beobachten. Unterschieden wurden in den meisten Auswertungen neun verschiedene Einsatzsituationen (von Demonstrationen über Familienstreitigkeiten hin zu Festnahmen/Überprüfungen Verdächtiger). Bei all diesen Einsatzsituationen zeigt sich, dass die Anzahl an Übergriffen zugenommen hat. Besonders ausgeprägt sind die Anstiege bei Veranstaltungen sowie bei Störungen der öffentlichen Ordnung. Es handelt sich hierbei um Einsätze, die einen starken Bezug zum öffentlichen Raum besitzen. Möglicherweise begegnet den Polizisten mittlerweile immer häufiger eine Feindseligkeit, wenn sie entsprechende Situationen aufsuchen. Möglich ist aber auch, dass die Menschen immer häufiger in ihrer Freizeit Veranstaltungen o.ä. besuchen und zugleich der Anteil an die Polizei angreifenden Personen letztlich gleich geblieben ist. Eine Verlagerung der Freizeitaktivitäten in den öffentlichen Raum dürfte keine unplausible Entwicklung der letzten Jahre darstellen (z.B. Public Viewing).

3. Im Vergleich zur Befragung aus dem Jahr 2000 ergibt sich zudem für Familienstreitigkeiten ein deutlicher Anstieg der Gewaltübergriffe. In der Studie des Jahres 2000 erfolgten 5,8 % der Übergriffsfälle bei familiären Streitigkeiten, in der Studie des Jahres 2010 beträgt der Anteil bereits 11,4 %. Erklärbar ist dieser Anstieg damit, dass Polizeibeamte aufgrund des Gewaltschutzgesetzes heute häufiger als früher bei Familienstreitigkeiten einschreiten. Die Beamten treffen bei diesen Einsätzen auf emotional sehr angespannte, aggressive Personen. Die Opferhilfe, die sie in dieser Situation mit den neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen leisten können, hat die Kehrseite, dass sie sich häufiger der Gefahr der Viktimisierung aussetzen.

4. Zusätzlich zum Anstieg der Gewalt gegen Polizeibeamte kann auch eine leichte Veränderung der Struktur der Gewalt festgestellt werden. Es zeigt sich, dass der Anteil unter Alkoholeinfluss verübter Übergriffe zwischen 2005 und 2008 von 67,7 auf 76,8 % gestiegen ist, eine Entwicklung, die sich auch in der Kriminalstatistik abzeichnet. Daraus sollte nicht unbedingt geschlossen werden, dass immer mehr Menschen in Deutschland Alkohol konsumieren würden. Diese Strukturveränderung steht vielmehr dafür, dass sich Konsummuster gewandelt haben (z.B. Rauschtrinken) und dass sich der Alkoholkonsum verstärkt auf Bevölkerungsgruppen konzentriert, die eine geringere Kontrolle über ihren Konsum bzw. ihr alkoholinduziertes Verhalten haben. Zusätzlich zur Veränderung des Anteils an unter Alkohol verübten Übergriffen zeigt sich, dass mittlerweile etwas häufiger erwachsene sowie deutsche Personen als Täter der Polizeigewalt in Erscheinung treten. Dies könnte durch den Anstieg der Übergriffe im Rahmen familiärer Streitigkeiten bedingt sein, da in diesen Situationen häufiger auf entsprechende Personen getroffen wird.

Welche Merkmale charakterisieren die Täter, die Opfer und die Situationen der Gewaltübergriffe auf Polizeibeamte?

1. Die Täter von Gewalt gegen Polizeibeamte handeln meist allein, sie sind in der großen Mehrheit männlich, sie sind durchschnittlich jüngeren Alters und sie handeln häufig unter Alkoholeinfluss. Bei fast drei Viertel aller Übergriffe auf Polizeibeamte, die zu einer Dienstunfähigkeit geführt haben, handelten die Täter allein (74,8 %). Männliche Täter dominieren dabei klar mit 92,9 %. Zudem zeigt sich, dass sechs von zehn Tätern (59,3 %) unter 25 Jahre alt waren. Die Befunde zum Geschlecht stimmen mit den Befunden der Polizeilichen Kriminalstatistik zu den Tatverdächtigen von Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt überein. Zum Alter und zur Täteranzahl ergeben sich aber auffällige Unterschiede: Der Anteil jüngerer Tatverdächtiger (unter 25 Jahre) ist in der PKS geringer, der Anteil an Fällen allein handelnder Täter höher. Diese Widersprüche können möglicherweise dadurch erklärt werden, dass jüngere Täter und Tätergruppen seltener nach einer begangenen Tat polizeilich registriert bzw. ermittelt werden. Insgesamt 71,7 % der Täter standen laut Angaben der Polizeibeamten unter Alkoholeinfluss. Dieser Anteil fällt in der Kriminalstatistik ähnlich hoch aus (2009: 66,1 %).

2. Zwei von fünf Gewalttätern haben eine nichtdeutsche Herkunft. Von allen berichteten Tätern hatten laut Angaben der Polizeibeamten 37,8 % eine eindeutig benennbare nichtdeutsche Herkunft. In großstädtischen Gebieten (mindestens 500.000 Einwohner) liegt der Anteil nichtdeutscher Täter mit 51,5 % noch einmal deutlich höher, was, den größeren Migrantenanteil der großstädtischen Bevölkerung zugrunde gelegt, nicht überrascht. Als besonders auffällig erweisen sich einerseits Täter aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, andererseits Täter aus der Türkei und anderen islamischen Ländern. Insgesamt 283 der 874 benannten nicht-deutschen Täter stammen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion (32,4 %), 351 Täter aus islamischen Ländern (40,2 %), davon 202 türkische Täter (23,1 % aller nichtdeutschen Täter). Täter aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion stellen in ländlichen wie in städtischen Gebieten einen hohen Täteranteil. Türkische Täter sind hingegen in ländlichen Gebieten eher selten zu finden; in der Großstadt stellen sie aber fast jeden dritten nichtdeutschen Täter. Dass der Anteil nichtdeutscher Täter in der Befragung deutlich über dem in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesenen Anteil liegt, kann damit erklärt werden, dass bei der Befragung nichtnach der Staatsangehörigkeit, sondern nach der Herkunft gefragt wurde und so häufig ein Migrationshintergrund der Täter berichtet wurde.

3. Zwei Drittel der Angriffe werden von Personen begangen, die bereits polizeibekannt sind. Die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt ebenso wie die Angaben der Beamten, dass in der Mehrheit der Fälle die Täter in irgendeiner Weise bereits polizeiauffällig waren. Nach der Kriminalstatistik 2009 beträgt die Quote der bereits früher als Tatverdächtige registrierten Personen 69,8 %. Die Beamten, die einen Übergriff mit nachfolgender Dienstunfähigkeit erlebt haben, bestätigten in 64,8 % der Fälle, dass mindestens ein Täter polizeilich bereits in Erscheinung getreten ist. Auffällig ist, dass auch jüngere Täter häufig zuvor schon polizeilich in Erscheinung getreten sind. Für weibliche Täter wird dies hingegen deutlich seltener berichtet als für männliche Täter. Nichtdeutsche Täter sind etwas häufiger bereits polizeilich in Erscheinung getreten als deutsche Täter.

4. Das zweithäufigste Motiv für Angriffe auf Polizeibeamte ist aus Sicht der Beamten eine Feindschaft gegenüber der Polizei bzw. dem Staat. Die Beamten gaben an, dass sie in 37,8 % der Fälle beim Täter bzw. bei den Tätern vermuteten, dass sie den Übergriff ausgeführt haben, um sich der Festnahme zu entziehen. In 30,5 % der Fälle, und damit als zweithäufigstes Motiv, wurde eine Feindschaft gegenüber der Polizei bzw. dem Staat genannt. Gerade für dieses Motiv zeigen sich auffällige Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen: Bei ausschließlich von türkischen Personen ausgeführten Taten wird mit 35,4 % der Fälle eien Feindschaft am häufigsten berichtet, bei Übergriffen von Tätern aus anderen islamischen Ländern beträgt der Anteil 33,3 % (deutsche Täter: 25,6 %; Täter aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion: 29,9 %). Bei der Feindschaft gegenüber Polizei und Staat ist zudem ein Anstieg zu beobachten: Während 2005 noch in 24,9 % der Fälle dieses Motiv eine Rolle gespielt hat, beträgt der Anteil im Jahr 2009 bereits 32,2 %. Das Motiv wird dabei zunehmend bei Störungen der öffentlichen Ordnung sowie bei Veranstaltungen genannt. Bei diesen Routineeinsätzen im öffentlichen Raum nehmen die Beamten also immer häufiger eine derartige Einstellung wahr.

5. Zu den situativen Gegebenheiten und der Tatausführung ergeben sich zu bisherigen Studien vergleichbare Befunde. Bei den Angriffen auf die Beamten handelte es sich zu 84,0 % um körperliche Angriffe; nur bei einem vergleichsweise kleinen Teil der Angriffe wurden Waffen eingesetzt (19,3 %). Am häufigsten kam es bei Festnahmen/Überprüfungen Verdächtiger

Zu einem Übergriff mit nachfolgender Dienstunfähigkeit, gefolgt von innerfamiliären und außerfamiliären Streitigkeiten. Seltener wurden Demonstrationen oder verkehrsbezogene Einsätze genannt. Fast zwei Drittel der Übergriffe ereigneten sich an Wochenenden. Über die Hälfte der Übergriffe fand zudem in den Abend- und Nachtstunden statt (zwischen 20 und 4 Uhr). Straßen und öffentliche Plätze werden in fast der Hälfte aller Fälle als Übergriffsorte genannt; zu einem Viertel fand der Übergriff in der Wohnung/dem Haus des Täters statt. Polizeiliche Maßnahmen, die besonders häufig im Vorfeld des Übergriffs ausgeführt wurden, waren die Kontaktaufnahme, die Festnahme, der Schlichtungsversuch und die Fluchtverhinderung. Umfassende Informationen zum Einsatz standen den Beamten im Vorfeld weitestgehend nicht zur Verfügung. Nur bei etwa der Hälfte der Einsätze gab es Informationen zu den situativen Gegebenheiten, nur bei jedem achten Einsatz personenbezogene Informationen.

6. Personen, die im Rahmen von Demonstrationen Übergriffe ausführen, stellen eine besondere Tätergruppe dar. Übergriffe während Demonstrationen unterscheiden sich von Übergriffen in anderen Situationen erheblich, wie u. a. folgende Befunde belegen: 1. Der Anteil an Gruppentaten ist hier am höchsten; 2. Im Rahmen von Demonstrationen werden von den Tätern am häufigsten Waffen eingesetzt; 3. Ein zentrales Übergriffsmotiv ist die Feindschaft gegenüber Polizei und Staat; 4. Die Täter locken die Beamten am häufigsten in Hinterhaltsituationen; 5. Bei jedem vierten Übergriff im Rahmen von Demonstrationen wird den Tätern Tötungsabsicht unterstellt. Dass die Beamten trotz dieser Umstände nicht häufiger als bei anderen Übergriffssituationen länger dienstunfähig sind, dürfte mit der vorhandenen Schutzausstattung und der gezielten Vorbereitung auf solche Einsatzsituationen zu erklären sein.

7. Bei Einsätzen wegen Familienstreitigkeiten bzw. häuslicher Gewalt handelt es sich um einen schwierigen Einsatztypus. Dies wird durch folgende Befunde belegt: 1. Wenn Zweier-Teams in solche Einsätze gehen, kommt es am häufigsten zur Verletzung beider Beamten. 2. Zu solchen Verletzungen kommt es im Rahmen dieser Einsätze trotz der Tatsache, dass sich die Beamten laut eigener Aussage mental häufiger als bei anderen Einsätzen auf das Geschehen vorbereitet haben und besonders häufig mit dem späteren Täter kommuniziert haben. Auch waren die Beamten häufiger darauf gefasst, dass es am Einsatzort gefährlich werden könnte. All dies konnte aber letztlich nicht verhindern, dass es zum Übergriff kam. 3. Die Täter stehen sehr häufig unter Alkoholeinfluss. 4. Die Einsätze ereignen sich häufiger als andere Einsätze in als eher bürgerlich eingestuften Stadtgebieten. Alltagsannahmen, nach denen möglicherweise auch Beamte gefährliche von ungefährlichen Einsätzen unterscheiden und dabei auf die Struktur von Stadtgebieten zurückgreifen, treffen bei Familienstreitigkeiten also häufig nicht zu. 5. Über die Hälfte der Übergriffe fand während eines Schlichtungsversuchs statt. Dies bedeutet, dass die Beamten während einer Aktivität vom Angriff überrascht werden, die gerade der Deeskalation dient.

8. Polizeibeamte, die ihrer Arbeit in Großstädten ab 500.000 Einwohnern nachgehen, berichten von einem schwierigeren Arbeitsalltag. Wenn Polizeibeamte in Großstädten Opfer von Gewaltübergriffen mit Dienstunfähigkeit geworden sind, dann betrug der Anteil an mindestens siebentägig dienstunfähigen Beamten 47,5 %; bei Beamten aus ländlichen Gebieten liegt dieser Anteil bei 36,0 %. Anhand der Einsätze bei häuslicher Gewalt konnte gezeigt werden, dass es in Großstädten bei entsprechenden Einsätzen in 11,0 % der Fälle zu Gewaltübergriffen kommt, in ländlichen Gebieten in 7,6 % der Fälle. Die Beamten aus Großstädten äußern auch häufiger Kritik an der Ausstattung und Fortbildung. Sie beklagen häufiger das Fehlen von Schutzausstattung und Bekleidung. Sie stufen den Leitfaden zur Eigensicherung als weniger praxistauglich ein und sie fühlten sich hinsichtlich verschiedener Aspekte auf den Übergriff schlechter vorbereitet.

Welche sichtbaren Opfer- und Tätereigenschaften beeinflussen die Viktimisierung?

1. Weibliche Polizeibeamte weisen ein geringeres Viktimisierungsrisiko auf als männliche Beamte. Dies findet sich sowohl bei Betrachtung der Gewaltviktimisierung im Jahr 2009 als auch der Gewaltviktimisierung mit nachfolgender Dienstunfähigkeit in den Jahren 2005 bis 2009. Zudem kann eine Art Ausstrahlungseffekt weiblicher Beamter festgestellt werden: Bei Einsätzen bei häuslicher Gewalt wirkt sich in Zweier-Teams die Anwesenheit einer Frau ebenfalls verletzungsvorbeugend aus, d.h. in solchen Teams haben auch Männer ein niedrigeres Verletzungsrisiko. Wenn es aber zu einem Übergriff kommt, sind die Folgen für beide Geschlechter weitestgehend gleich, d.h. die Dauer der Dienstunfähigkeit unterscheidet sich nicht zwischen den Geschlechtern. Welche der Erklärungen (Angriffshemmung, Aufgabenverteilung, Persönlichkeit) den Geschlechterunterschied bedingen, kann mit den Daten nicht abschließend geklärt werden. Einzig die These, dass sich männliche Polizeibeamte schützend vor weibliche Beamte stellen, wird durch die Auswertungen zur häuslichen Gewalt widerlegt.

2. Die Zugehörigkeit zum Einsatz- und Streifendienst sowie zu besonderen Einsatzeinheiten geht mit einem höheren Verletzungsrisiko einher. Auch dieser Befund hat über die verschiedenen Viktimisierungsformen hinweg Bestand. Mittels der Auswertungen zu Einsätzen bei häuslicher Gewalt kann aufgezeigt werden, dass das höhere Verletzungsrisiko ein Expositions-Effekt ist. Wenn bspw. Beamte aus dem Kriminal- und Ermittlungsdienst einen solchen Einsatz haben, dann ist ihr Viktimisierungsrisiko gleich hoch; d.h. weil Einsatz- und Streifendienstbeamte bzw. Beamte aus besonderen Einsatzeinheiten häufiger potenziell eskalierenden Situationen ausgesetzt sind, sind sie häufiger Gewaltopfer.

3. Auf Seiten der sichtbaren Merkmale der Opfer finden sich sonst keine weiteren konsistenten Befunde. Bezüglich der körperlichen Statur ergeben sich Hinweise darauf, dass größere und schwerere Beamte etwas häufiger angegriffen werden. Gleiches gilt für Polizeibeamte mit Migrationshintergrund. Gerade bei Einsätzen bei häuslicher Gewalt in deutschen Familien sowie bei Einsätzen mit einem männlichen Kollegen scheint es ein erhöhtes Viktimisierungsrisiko für Einsatzteams mit mindestens einem Beamten mit Migrationshintergrund zu geben. Letztlich sind die Fallzahlen aber noch zu gering, als dass die Befunde zum Migrationshintergrund als gesichert eingestuft werden können.

4. Im Vergleich zu Opfermerkmalen spielen sichtbare Tätermerkmale eine bedeutendere Rolle für die Erklärung der Gewaltviktimisierung. Dies lässt sich auf Basis der Auswertungen zu Einsätzen bei häuslicher Gewalt zeigen, in die sowohl Opfer- als auch Tätermerkmale einbezogen werden konnten. Ein besonders hohes Risiko geht von alkoholisierten Tätern aus. Täter, die unter anderem Drogeneinfluss stehen, treten ebenfalls häufiger als Angreifer in Erscheinung. Zudem erweist sich ein Migrationshintergrund auf Seiten der Täter als Risikofaktor. Lässt sich der Einfluss der Drogen recht gut theoretisch begründen (Enthemmung, Emoti-onsverstärkung), ist dies für den Einfluss des Migrationshintergrunds deutlich schwieriger. Zu berücksichtigen ist hier u.a., dass für Migranten gewöhnlich eine höhere Zustimmung zu Gewalteinstellungen berichtet wird (vgl. Baier/Pfeiffer 2007), dass einige Migrantengruppen zudem negativere Einstellungen der Polizei gegenüber aufrecht erhalten (u.a. Baier et al. 2010, S. 135ff), aber sicherlich auch, dass auf Seiten der Polizeibeamten nicht immer ein interkulturell kompetentes Einsatzverhalten vorliegt, so dass Einsätze in Migrantenfamilien schneller eskalieren können. Die Befunde zu den Tätern zeigen zudem, dass das Geschlecht weniger relevant ist. Von männlichen Tätern geht kein erhöhtes Viktimisierungsrisiko aus, zumindest nicht bei Einsätzen bei häuslicher Gewalt.

Welche Folgen haben Gewaltübergriffe auf Polizeibeamte für die Opfer und die Täter?

1. Körperliche Verletzungen und psychische Beschwerden im Zuge des Gewaltübergriffs werden von vielen Beamten berichtet. Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, dass mindestens zwei Körperbereiche verletzt wurden. Am häufigsten kam es zu Verletzungen der Hände und Arme bzw. des Gesichts und des Kopfbereiches. Infolge des Übergriffs musste jeder zehnte Beamte stationär behandelt werden. Über ein Viertel der Beamten gab an, dass sie nach dem Übergriff Probleme mit dem Schlafen hatten; bei jedem siebten Beamten zeigten sich diese auch noch vier Wochen nach dem Übergriff. Ein Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung besteht bei jedem zwanzigsten Beamten, der einen Übergriff erlebt hat. Die psychischen Belastungen hängen dabei vor allem mit der Dauer der Dienstunfähigkeit zusammen. Fast jedes fünfte Gewaltopfer, das über zwei Monate dienstunfähig war, weist einen Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung auf.

2. Gewaltübergriffe beeinflussen auch die Wahrnehmungen und Einstellungen von Beamten. Beamte, die einen Übergriff mit nachfolgender Dienstunfähigkeit erlebt haben, weisen eine höhere Furcht vor einer zukünftigen Viktimisierung auf als Beamte ohne Gewalterfahrungen. Die Unterschiede sind dabei recht groß: Nichtopfer erachten es zu 4,1 % als eher oder sehr wahrscheinlich, in den nächsten zwölf Monaten einen Übergriff mit nachfolgender Dienstunfähigkeit zu erleben, Beamte, die einen Gewaltübergriff erlebt haben, der zu mindestens siebentägiger Dienstunfähigkeit führte, zu 30,7 %. Daneben sind die Gewaltopfer strafhärter eingestellt, was möglicherweise zur Folge hat, dass sie in direkten Interaktionen mit Ruhestörern, Straftäter usw. rigider auftreten und damit auch zur Eskalation einer Situation beitragen können. Nicht zu vernachlässigen ist, dass das professionelle Selbstbild der Beamten leidet: Gewaltopfer stimmen deutlich häufiger der Aussage zu, dass Polizisten Prügelknaben einer verfehlten Politik (73,3 zu 89,5 %) und Müllmänner einer kranken Gesellschaft (57,1 zu 78,3 %) seien. Eine Distanzierung vom Arbeitsalltag, an dessen Ende berufsbezogene Burnout-Erscheinungen stehen, könnte eine mögliche Folge sein. Diese Veränderungen von Wahrnehmungen und Einstellungen sind daher sehr ernst zu nehmen.

3. Bislang ist die Nachbereitung eines Einsatzes, der zur Verletzung eines Beamten mit nachfolgender Dienstunfähigkeit geführt hat, noch nicht die Regel. 55,6 % der Beamten, die einen Übergriff mit Dienstunfähigkeit erlebt haben, berichteten von einer Einsatznachbereitung Diese war häufiger informell im Dienst als informell außerhalb des Dienstes. Dass Vorgesetzte eine solche Nachbereitung einleiten, kommt in jedem dritten Fall, in dem es eine Einsatznachbereitung gab, vor. Als besonders hilfreich werden die Nachbereitungen mit Kollegen außerhalb des Dienstes wahrgenommen, die ebenfalls nur in einem Drittel der Fälle stattgefunden haben. Drei von fünf Beamten, die von keiner Nachbereitung berichteten, hätten sich eine solche gewünscht, bestenfalls informell im Dienst oder auf Initiative des Vorgesetzten hin. Die Hilfe des Kriseninterventionsdienstes nehmen nur 5,3 % der Beamten mit Übergriffserfahrungen in Anspruch, nur 3,9 % suchen einen Therapeuten oder Seelsorger auf.

4. Beamte, die Opfer von Gewaltübergriffen geworden sind, müssen damit rechnen, dass ihnen mit dem Vorwurf eines eigenen Fehlverhaltens rechtliche Sanktionen angedroht werden; dadurch können weitere psychische Belastungen entstehen. 12,6 % der Beamten mit Opfererfahrung gaben an, dass gegen sie eine Beschwerde geführt wurde, 12,0 % berichteten von einer Strafanzeige, die in vier Fünftel der Fälle auch zu einem Ermittlungsverfahren geführt hat. Dass tatsächlich Anklage erhoben wurde oder dass ein Disziplinarverfahren stattgefunden hat, ist hingegen die Ausnahme (1,3 bzw. 3,3 %). Mit zunehmender Intensität der rechtlichen Konsequenz steigt der Anteil an Beamten, die einen Verdacht auf eine Posttraumatische Be-lastungsstörung aufweisen. Solch ein Verdacht ergibt sich zu 4,1 % bei Beamten ohne rechtliche Konsequenzen. Bei Beamten gegen die ein Ermittlungsverfahren geführt oder sogar Anklage erhoben wird, liegt dieser Anteil bereits bei 11,2 %. Wenn dann zusätzlich noch ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, steigt er auf 19,6 %. Hierfür können verschiedene Er-klärungen angeführt werden: Möglicherweise muss der Beamte tatsächlich begangene Verhaltensfehler verarbeiten, möglicherweise handelt es sich aber auch um falsche Anschuldigungen, mit denen der Beamte konfrontiert wird und die ihn belasten.

5. In fast neun von zehn Fällen wird gegen die Täter ein Strafverfahren geführt. Allerdings wird fast jedes dritte Strafverfahren gegen die Täter später eingestellt. Wenn die Täter festgenommen bzw. ermittelt worden sind, findet gegen sie in 86,7 % der Fälle auch ein Strafverfahren statt. Die Durchführung von Strafverfahren ist unabhängig von verschiedenen Merkmalen der Täter, irgendwelche Formen der Diskriminierung lassen sich nicht erkennen. Es zeigt sich aber, dass 30,8 % der Strafverfahren eingestellt werden. Selbst bei Übergriffen, bei denen es zumindestens sieben Tagen Dienstunfähigkeit gekommen ist, finden sich zu 27,1 % Verfahrenseinstellungen. Dass es zu einer Einstellung des Verfahrens kam, bewerten 85,5 % der Beamten als falsch. In den Fällen, in denen die Täter verurteilt wurden, kam in 71,6 % das Allgemeine Strafrecht und in 28,4 % das Jugendstrafrecht zur Anwendung. Bei Urteilen nach dem Allgemeinem Strafrecht wurden am häufigsten Geldstrafen verhängt (50,0 %), bei Urteilen nach Jugendstrafrecht Bewährungsstrafen (34,6 %). Wenn es zu einer Verurteilung des Täters gekommen ist, waren 61,6 % der Beamten der Meinung, dass die Strafe zu milde ausgefallen ist. Die Beamten sind mit den rechtlichen Konsequenzen für die Täter, auch wenn es zu einer Verurteilung gekommen ist, also meist nicht zufrieden.

6. Die Beamten üben z.T. deutliche Kritik an ihrem Ausbildungsstand und dem Dienstherrn, aber kaum Kritik am eigenen Verhalten bzw. dem Verhalten der Kollegen. Die Kritik am Ausbildungsstand und am Dienstherrn schlägt sich darin nieder, dass mehr als die Hälfte der Beamten angab, dass in der konkreten Situation des Übergriffs die Richtlinien zur Eigensiche-rung nicht einzuhalten waren. Zugleich sind es mindestens 38,9 % der Beamten, die dem Leitfaden generell eine eher schlechte Praxistauglichkeit attestieren. Mindestens ein Viertel der Beamten sah sich schlecht auf den Übergriff hinsichtlich der psychologischen Beurteilung, der körperlichen Abwehr und der Konflikthandhabung vorbereitet. Eine fehlende Schutzausstattung bemängelten hingegen nur 14,6 %. Auffällig ist zudem, dass über die Hälfte der Beamten dem Dienstherrn eine schlechte Fürsorge bei der Bewältigung der Gewalttat und der Vorbereitung auf zukünftige Gewalttaten attestiert. Dass ein Kollege beim Übergriff Verhaltensfehler begangen hat, berichteten hingegen 7,6 % der Befragten. Auf eigene Verhaltensfeh-ler wies in etwa jeder siebente Befragte hin (15,1 %). Der wesentliche Kritikpunkt hier war, dass man selbst die Situation nicht als gefährlich genug eingeschätzt hat.

6.2. Folgerungen für die Prävention

Auf Basis der hier vorgestellten Erkenntnisse der Befragung von Polizeibeamten lassen sich verschiedene Folgerungen für die Prävention von Gewalt gegen Polizeibeamte ableiten, die abschließend vorgestellt werden sollen. Bei diesen Folgerungen handelt es sich allerdings nicht um konkrete Verhaltensanweisungen für Beamte differenziert für spezifische Einsatzsituationen oder um klare Verbesserungshinweise für das taktische bzw. strategische Vorgehen der Polizei. Eine Befragungsstudie wie die vorliegende erlaubt nur recht allgemeine Präventionsvorschläge; diese sollen die Diskussion um die Prävention von Gewalt innerhalb und außerhalb der Polizei anstoßen. Im Rahmen dieser Diskussion müssten dann konkretere Präven-tionsvorschläge erarbeitet werden. Hierfür wäre es sicherlich sinnvoll, wenn sich innerhalb der Polizei ein Gremium konstituiert, dass sich mit der Vorbeugung von Gewalt gegen Polizeibeamte beschäftigt und entsprechende Vorschläge entwickelt. Diese könnten dann anhand einiger Modellregionen auf ihre Wirkung hin geprüft werden. Wenn sie sich bewähren, würde das für ihre weitere Verbreitung sprechen. Die vorzustellenden Präventionsvorschläge gliedern sich in drei Bereiche: Vorschläge für den einzelnen Beamten, Vorschläge für den Dienstherrn bzw. Vorgesetzten und allgemein gesellschaftliche Vorschläge.

Präventionsvorschläge bezüglich des einzelnen Polizeibeamten

1. Das Risiko eines Gewaltübergriffs steht mit personenbezogenen Eigenschaften in Zusammenhang. Dieses Risikos sollte sich im Rahmen der Aus-und Fortbildung bewusst gemacht werden. Männliche Polizeibeamte erleben häufiger Gewaltübergriffe als weibliche Beamte, jüngere Beamte z.T. häufiger als ältere Beamte, größere und schwerere Beamte z.T. häufiger als kleinere und leichtere Beamte. Zudem werden Beamte aus dem Einsatz-und Streifendienst sowie aus besonderen Einsatzeinheiten deutlich häufiger Opfer von Übergriffen. Die Faktoren, die für diese Unterschiede verantwortlich sind, sind bislang noch nicht ausreichend untersucht. Es ist davon auszugehen, dass täter- und opferbezogene Merkmale ebenso eine Rolle spielen wie die Tatgelegenheiten, denen die eine Beamtengruppe seltener oder häufiger als die andere Beamtengruppe ausgesetzt ist. Bei den opferbezogenen Faktoren könnte es sich um bestimmte Kompetenzen handeln, die bei Beamten unterschiedlich stark ausgeprägt sein können, um Persönlichkeitseigenschaften (wie ein aufbrausendes Temperament oder ein aus-gleichendes Wesen) oder um Erfahrungen und Wissensbestände. Unabhängig davon, ob es der wissenschaftlichen Forschung ermöglicht wird, hier stärker Licht ins Dunkel zu bringen, sollte es ein Ziel der Aus- und Fortbildung sein, für die unterschiedlichen Opferrisiken bestimmter Gruppen von Polizeibeamten zu sensibilisieren.

2. Gefahren gehen auch von anscheinend ungefährlichen Situationen aus. Es sind nicht die häufig öffentlich diskutierten Einsätze im Rahmen von Demonstrationen oder Sportveranstaltungen, in denen die meisten Beamten derart verletzt werden, dass sie dienstunfähig werden. Stattdessen sind es die alltäglichen Aktivitäten wie Festnahmen, Einsätze bei Streitigkeiten oder bei Störungen der öffentlichen Ordnung, bei denen am häufigsten Verletzungen mit nachfolgender Dienstunfähigkeit festzustellen sind. Zudem belegen die Auswertungen, dass der Angriff für viele Beamte überraschend kam. Es gilt deshalb, auch in jenen Situationen und Momenten achtsam zu sein, die auf den ersten Blick keine Gefährdung erkennen lassen. Dies bedeutet u.a., dass Einsätze in bürgerlichen Wohngebieten ebenso riskant sein können wie Einsätze in eher problematischen Stadtteilen, Verkehrskontrollen können gefährlicher sein als Einsätze im Rotlichtmilieu; weibliche Täter können ebenso zuschlagen wie männliche Täter; in der eigenen Dienststelle ist mit Übergriffen genauso zu rechnen wie an anderen Orten, auch wenn der Konflikt zu diesem Zeitpunkt schon längst beendet scheint.

3. Weibliche Polizeibeamte wirken sich in spezifischen Situationen deeskalierend aus. Möglicherweise vertreten derzeit manche männliche Polizeibeamte noch die Ansicht, dass Frauen für den Polizeidienst nicht oder nur eingeschränkt geeignet wären. Diesem Vorurteil kann mit den Ergebnissen der Befragung entgegen getreten werden. Jedenfalls für Einsätze bei häusli-cher Gewalt zeigt sich, dass ein weiblicher Beamter das Risiko eines Zweier-Teams, verletzt zu werden, reduziert. Dies bedeutet nicht, dass Frauen im Einsatzteam ein Garant für einen Nicht-Angriff wären; andere Merkmale der Situation (z.B. alkoholisierter Täter) sind für einen Übergriff relevanter. Zudem wissen wir bislang nicht, wie weibliche Beamte in anderen Einsatzsituationen wirken. Aufgrund der Befunde kann aber gefolgert werden, dass weibliche Beamte eine Bereicherung und keine Belastung für die Polizei darstellen.

4. Vor dem Einsatz sollte versucht werden, alle verfügbaren Informationen zu den beteiligten Personen, wegen denen ein Einsatz erfolgt, einzuholen. Bislang stehen den Beamten nur selten personenbezogene Informationen vor dem Einsatz zur Verfügung. Gleichzeitig ist dann eine geringere Dienstunfähigkeit zu konstatieren, wenn solche Informationen vorlagen. Es kann daher gefolgert werden, dass diese Informationen für die Beamten besonders hilfreich sind. Hierzu gehört, ob die Personen eine kriminelle Vorgeschichte haben, ob sie unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen, ob psychische Störungen vorliegen, Bewaffnung zu erwarten ist usw. Da ein Großteil der Täter der Gewalt gegen Polizeibeamte vor dem Übergriff bereits polizeilich in Erscheinung getreten ist, dürften entsprechende Informationen vorhanden sein. Vor dem Einsatz sollten daher möglichst umfangreiche Informationen zu den Personen vor Ort vorliegen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass entsprechende Datenbanken existieren und beständig aktualisiert werden, was nicht allein Aufgabe des einzelnen Beamten ist.

5. Verbale Kommunikation ist eine wichtige Strategie, die hilft, die Folgen eines Übergriffs abzumildern. Beamte, die im Vorfeld mit dem Täter kommuniziert haben, berichten seltener davon, länger dienstunfähig gewesen zu sein als Beamte, die dies nicht taten. Möglicherweise lässt sich dieser Befund damit erklären, dass die Beamten, die mit den Tätern kommunizieren, zunächst in Distanz zu diesen bleiben und es dem Täter damit schwerer machen, sie sofort gezielt anzugreifen. Zudem können die Beamten durch eine vorherige Kommunikation einen Eindruck von dem aktuellen Zustand des Bürgers erhalten, wodurch sie die Situation besser einschätzen können. Denkbar ist, dass Kommunikation auch in jenen Einsätzen noch stärker eingesetzt wird, in denen dies bislang noch eher selten geschieht, bspw. bei Demonstrationen. Im Einklang damit steht auch der Einsatz sog. Anti-Konflikt-Teams bei Großveranstaltungen, die das Gespräch mit den Bürgern suchen, um Konflikten vorzubeugen. Zugleich dürfte Kommunikation aber auch an ihre Grenzen stoßen, nämlich dann, wenn der Gegenüber hierzu nicht bereit oder fähig ist. Auf solche Einsätze könnten verstärkt durchgeführte Trainings, die sich auf spezifische Personengruppen richten, vorbereiten.

[...]


1 Besserer Schutz für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen „In den vergangenen Jahren haben Respektlosigkeit und Aggressivität gegenüber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten bundesweit ein Ausmaß erreicht, das Anlass zu großer Sorge bietet“, so der Stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Peter Biesenbach. Egal ob bei Demonstrationen, bei Volksfesten, im Umfeld von sportlichen Großveranstaltungen oder im Alltag: „Die Spirale der Gewalt gegen unsere Ordnungshüter dreht sich ungehindert weiter. Wir haben es mit einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung zu tun, die die Politik vor besondere Herausforderungen stellt“, so der Innen- und Rechtsexperte der Fraktion. …, unter: http://www.cdu-nrw-fraktion.de/besserer-schutz-fuer-polizeibeamtinnen-und-polizeibeamte-nordrhein-westfalen.html (17.08.2010 | Peter Biesenbach)

2 "Die Gefahrenabwehr darf nur der Polizei obliegen" – Hoheitliche Maßnahmen wie die Gefahrenabwehr müssen der Polizei vorbehalten bleiben und dürfen nicht in die Befugnis privater Sicherheitsdienste fallen: Mit diesen Worten kritisiert Michael Hartmann die Tendenz in manchen Bundesländern, solche Unternehmen mit Polizeiaufgaben zu betrauen. Der SPD-Obmann im Innenausschuss fordert im Interview eine "echte Zertifizierung" von Wachfirmen, um zu erreichen, dass sich deren Personal gegenüber den Bürgern legal verhält. …, Deutscher Bundestag, unter: Der SPD-Obmann im Innenausschuss fordert im Interview eine "echte Zertifizierung" von Wachfirmen, um zu erreichen, dass sich deren Personal gegenüber den Bürgern legal verhält (14.03.2013).

3 Näher dazu nachfolgend unter „Thematische Befragungen o.Ä.“, S. 17

4 Vgl. Schwind, Hans-Dieter, Kriminologie – Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen, Kriminalistik, 22. Auflage 2013, § 2 Rdnr 28a, 28 b, S. 35 f.

5 Neue Osnabrücker Zeitung vom 12.01.2015, unter: http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/537057/bund-und-beamte-wollen-mehr-schutz-fur-polizisten (Ein Artikel von dpa)

6 - Hunsicker, Ernst, Defizite im Polizeivollzug – Mangel an Personal und/oder Material in der Verbrechensbekämpfung nicht akzeptabel, in: der kriminalist 6/2014, S. 23 ff. und

- Hunsicker, Ernst, Verschleierungspolitik – Unseriöse Zahlenspielereien im Bereich der Polizei, in: Kriminalistik 7/2014, S. 448 ff.

7 http://www.abendblatt.de/region/niedersachsen/article131072369/Zahl-der-Gewalttaten-gegen-Polizisten-steigt-deutlich-an.html (Von Martina Steffen, 10.08.14 Statistik)

8 http://www.welt.de/politik/deutschland/article118899473/Polizisten-werden-haeufiger-Opfer-von-Gewalt.html (11.08.13)

9 http://www.polizei-dein-partner.de/nc/themen/gewalt/gesellschaft/detailansicht-gesellschaft/artikel/gewalt-gegen-polizisten.html

10 http://www.n-tv.de/politik/Polizisten-werden-selbst-zu-Opfern-article6912011.html (07. August 2012, Quelle: n-tv.de , dpa)

11 Ellrich, Karoline/Baier, Dirk/Pfeiffer, Christian, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN), 2012

Ende der Leseprobe aus 706 Seiten

Details

Titel
Eigensicherung der Polizei und Schutz der Bevölkerung. Personelle und materielle Ausstattung der Polizei zur Eigensicherung sowie zum Schutz der Bevölkerung
Untertitel
7., überarbeitete & ergänzte Auflage (2024)
Autor
Jahr
2024
Seiten
706
Katalognummer
V288276
ISBN (eBook)
9783656884279
ISBN (Buch)
9783656884286
Dateigröße
9061 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
7., überarbeitete & ergänzte Auflage (2024)
Schlagworte
deutschland, polizei, angriffen, störern, möglichkeiten, grenzen, forderungen, Topic_Polizei
Arbeit zitieren
Ernst Hunsicker (Autor:in), 2024, Eigensicherung der Polizei und Schutz der Bevölkerung. Personelle und materielle Ausstattung der Polizei zur Eigensicherung sowie zum Schutz der Bevölkerung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288276

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