Zum Gegenstand dieser Arbeit
Im Rahmen einer Untersuchung deutsch-jüdischer Selbstbilder und der Entfaltung jüdischer Identität muß notwendigerweise die Frage nach dem Empfinden der eigenen Identität unter deutschen Juden gestellt werden.
Wie die Zusammensetzung des Wortes „Selbstbild“ bereits ausdrückt, zieht die Ermittlung eines solchen eine Analyse der Turnvereine, Jugendgruppen und Studentenverbindungen von innen heraus nach sich. Das bedeutet, daß sich die Untersuchung hinsichtlich des Quellenmaterials vor allem auf das von den jüdischen Vereinen selbst produzierte Material stützt. Würden beispielsweise Zeugnisse der „Deutschen Turnerschaft“, des „Wandervogels“ oder des „Vereins Deutscher Studenten“ in gleichem Maße berücksichtigt, ergäbe sich kein ausdrückliches Selbstbild. Das bedeutet jedoch nicht, daß diese Materialien grundsätzlich unberücksichtigt bleiben können. Es besteht die Notwendigkeit, deutsch-jüdische Selbstbilder im Kontext ihrer Umwelt zu betrachten.
Gegenstand der Untersuchung bilden drei Arten von Organisationen: Turnvereine, Jugendgruppen und Studentenverbindungen. Der begrenzte Umfang dieser Arbeit macht es notwendig, sich teilweise auf eine exemplarische Untersuchung der genannten Gruppen zu beschränken. Innerhalb der Turnerschaft, der Jugendorganisationen und der Studentenschaft konzentriere ich mich daher auf jeweils einen Verein. Wie sich zeigen wird, ist dies jedoch nicht für alle genannten Gruppen in gleichem Maße möglich.
Innerhalb der „Jüdischen Turnerschaft“ wird der Berliner Turnverein „Bar Kochba“ genauer betrachtet. Da sich die einzelnen Vereine der „Jüdischen Turnerschaft“ ideologisch jedoch nicht stark voneinander unterschieden – alle waren national-jüdisch bzw. zionistisch orientiert –, wird die Untersuchung zum Teil auf die „Jüdische Turnerschaft“ in ihrer Gesamtheit ausgeweitet. Anders stellt sich die Situation für die jüdische Jugend dar. Unter die Bezeichnung „Jüdische Jugendbewegung“ fielen zahlreiche Gruppen, die in ihrer ideologischen Ausrichtung völlig verschieden waren. Das Spektrum der sogenannten „Jugendbewegung“ umfaßte deutsch-nationale, religiöse und zionistische Gruppen. In der vorliegenden Arbeit beschränke ich mich daher auf die Untersuchung einer einzigen Gruppe, nämlich des zionistisch orientierten „Jüdischen Wanderbundes Blau-Weiss“.
...
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Zum Gegenstand dieser Arbeit
- 1.2 Quellen- und Literaturlage
- 1.2.1 Quellenlage
- 1.2.2 Literaturlage
- 1.3 Erläuterungen zur Schreib- und Zitierweise
- 2. Definitionen
- 2.1 „Identität“
- 2.2 „Nationaljudentum“ und „Zionismus“
- 2.3 „Assimilation“
- 3. Juden im wilhelminischen Deutschland – Probleme der Integration
- 3.1 Die „Judenfrage“ als Frage der Emanzipation
- 3.2 Die „Judenfrage“ als Frage der Diskriminierung
- 4. Der „Jüdische Turnverein Bar Kochba“
- 4.1 Gründe für die Entstehung jüdischer Turnvereine
- 4.1.1 Antisemitismus in der „Deutschen Turnerschaft“
- 4.1.2 Das neue jüdische Menschenbild
- 4.2 Die Entwicklung des „Bar Kochba“
- 4.3 Ziele jüdischen Turnens und Mittel zur Umsetzung dieser Ziele
- 4.3.1 Ziele des „Bar Kochba“
- 4.3.2 Mittel zur Umsetzung der Ziele des „Bar Kochba“
- 4.4 Selbstbild und Identität der jüdischen Turner
- 5. Der „Jüdische Wanderbund Blau-Weiss“
- 5.1 Gründe für die Entstehung des „Blau-Weiss“
- 5.1.1 Die Identitätskrise der jüdischen Jugend
- 5.1.2 Der Antisemitismus im deutschen „Wandervogel“
- 5.2 Die Entwicklung des „Blau-Weiss“
- 5.3 Ziele des „Blau-Weiss“ und Mittel zur Umsetzung dieser Ziele
- 5.3.1 Die Ziele des „Blau-Weiss“
- 5.3.2 Mittel zur Umsetzung der Ziele des „Blau-Weiss“
- 5.4 Selbstbild und Identität der jüdischen Jugend
- 6. Das „Kartell Jüdischer Verbindungen“ und seine Vorgänger
- 6.1 Gründe für die Entstehung jüdischer Studentenverbindungen
- 6.1.1 Der studentische Antisemitismus
- 6.1.2 Der jüdische Nationalismus
- 6.2 Die Entwicklung der ersten jüdischen Studentenverbindungen zum „Kartell Jüdischer Verbindungen“
- 6.3 Ziele jüdischer Studentenverbindungen und Mittel zur Umsetzung dieser Ziele
- 6.3.1 Ziele jüdischer Studentenverbindungen
- 6.3.2 Mittel zur Umsetzung der Ziele jüdischer Studentenverbindungen
- 6.4 Selbstbild und Identität der jüdischen Studenten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Entwicklung jüdischer Identität im Wilhelminischen Deutschland am Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie analysiert, wie jüdische Turnvereine, Jugendgruppen und Studentenverbindungen zur Entfaltung eines neuen jüdischen Selbstbewusstseins beitrugen. Der Fokus liegt auf der inneren Perspektive dieser Organisationen und deren Reaktion auf den umgebenden Antisemitismus.
- Jüdische Selbstbilder im Kontext des Wilhelminischen Deutschlands
- Der Einfluss des Antisemitismus auf die Bildung jüdischer Organisationen
- Die Rolle von Sportvereinen (Turnvereine), Jugendgruppen und Studentenverbindungen in der jüdischen Identitätsbildung
- Ziele und Strategien dieser Organisationen zur Bewältigung von Antisemitismus und zur Stärkung der jüdischen Identität
- Der Vergleich zwischen den Organisationsstrukturen jüdischer und nicht-jüdischer Vereine
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in das Thema der deutsch-jüdischen Selbstbilder zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein und erläutert den Fokus der Arbeit auf jüdische Turnvereine, Jugendgruppen und Studentenverbindungen. Sie beschreibt die Entstehung eines neuen jüdischen Selbstbewusstseins und die Bedeutung der Gründung rein jüdischer Vereine in diesem Kontext. Die Einleitung betont den Einfluss des damaligen Nationalismus und des Strebens nach einem neuen Bild der Männlichkeit auf die Entwicklung dieser Organisationen, sowie den wichtigen Kontext des aufkeimenden Antisemitismus.
3. Juden im wilhelminischen Deutschland – Probleme der Integration: Dieses Kapitel beleuchtet die „Judenfrage“ als ein Problem der Emanzipation und der Diskriminierung. Es analysiert die Integrationsbemühungen der Juden und den gleichzeitig aufflammenden Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich. Die Ambivalenz zwischen Assimilationsbestrebungen und dem wachsenden Bewusstsein für eine eigenständige jüdische Identität wird herausgestellt, was die Grundlage für die zionistische Bewegung bildete.
4. Der „Jüdische Turnverein Bar Kochba“: Dieses Kapitel befasst sich mit der Entstehung und Entwicklung des „Jüdischen Turnverein Bar Kochba“. Es untersucht die Gründe für die Gründung eines jüdischen Turnvereins, vor allem im Kontext des Antisemitismus innerhalb der „Deutschen Turnerschaft“ und dem Wunsch nach einem neuen jüdischen Menschenbild. Das Kapitel analysiert die Ziele des Vereins, die Methoden zur Umsetzung dieser Ziele und das Selbstbild der jüdischen Turner im Kontext der damaligen Gesellschaft.
5. Der „Jüdische Wanderbund Blau-Weiss“: Dieses Kapitel analysiert die Entstehung und Entwicklung des „Jüdischen Wanderbundes Blau-Weiss“ als Reaktion auf die Identitätskrise der jüdischen Jugend und den Antisemitismus innerhalb der deutschen „Wandervogel“-Bewegung. Es untersucht die Ziele des „Blau-Weiss“, die Strategien zu ihrer Verwirklichung, und das Selbstbild der Mitglieder. Das Kapitel beleuchtet den Versuch der jüdischen Jugend, eine eigene Identität zu schaffen, die sowohl jüdische als auch moderne, deutsche Elemente integriert.
6. Das „Kartell Jüdischer Verbindungen“ und seine Vorgänger: Das Kapitel konzentriert sich auf die Entstehung jüdischer Studentenverbindungen als Reaktion auf den studentischen Antisemitismus und den wachsenden jüdischen Nationalismus. Es beschreibt die Entwicklung der ersten jüdischen Studentenverbindungen bis hin zum „Kartell Jüdischer Verbindungen“, analysiert die Ziele dieser Organisationen und die Mittel, die sie zur Umsetzung ihrer Ziele einsetzten. Das Selbstbild der jüdischen Studenten und deren Verhältnis zum deutschen akademischen Umfeld werden beleuchtet.
Schlüsselwörter
Deutsch-jüdische Identität, Wilhelminisches Deutschland, Antisemitismus, Assimilation, Zionismus, Turnvereine, Jugendgruppen, Studentenverbindungen, Selbstbild, Integration, Nationalismus, Emanzipation, „Jüdischer Turnverein Bar Kochba“, „Jüdischer Wanderbund Blau-Weiss“, „Kartell Jüdischer Verbindungen“.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Jüdische Identität im Wilhelminischen Deutschland
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Entwicklung jüdischer Identität im Wilhelminischen Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Fokus liegt auf der Analyse jüdischer Turnvereine, Jugendgruppen und Studentenverbindungen und deren Beitrag zur Entfaltung eines neuen jüdischen Selbstbewusstseins. Besonders die innere Perspektive dieser Organisationen und ihre Reaktion auf den umgebenden Antisemitismus stehen im Mittelpunkt.
Welche Organisationen werden untersucht?
Die Arbeit analysiert den „Jüdischen Turnverein Bar Kochba“, den „Jüdischen Wanderbund Blau-Weiss“ und das „Kartell Jüdischer Verbindungen“ sowie deren Vorgängerorganisationen. Es wird untersucht, wie diese Organisationen auf den Antisemitismus reagierten und zur Stärkung der jüdischen Identität beitrugen.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit befasst sich mit jüdischen Selbstbildern im Kontext des Wilhelminischen Deutschlands, dem Einfluss des Antisemitismus auf die Bildung jüdischer Organisationen, der Rolle von Sportvereinen, Jugendgruppen und Studentenverbindungen in der jüdischen Identitätsbildung, den Zielen und Strategien dieser Organisationen zur Bewältigung von Antisemitismus und zur Stärkung der jüdischen Identität sowie einem Vergleich zwischen den Organisationsstrukturen jüdischer und nicht-jüdischer Vereine.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in mehrere Kapitel: Einleitung, Definitionen relevanter Begriffe, Juden im wilhelminischen Deutschland (Integrationsprobleme), eine detaillierte Betrachtung des „Jüdischen Turnverein Bar Kochba“, des „Jüdischen Wanderbundes Blau-Weiss“ und des „Kartell Jüdischer Verbindungen“ inklusive deren Entstehungsgeschichte, Zielen und Selbstverständnis.
Wie wird der Antisemitismus in der Arbeit behandelt?
Der Antisemitismus wird als zentraler Faktor für die Entstehung und Entwicklung der untersuchten jüdischen Organisationen betrachtet. Die Arbeit analysiert, wie dieser Antisemitismus – in der „Deutschen Turnerschaft“, der „Wandervogel“-Bewegung und im studentischen Umfeld – die Gründung rein jüdischer Vereine begünstigte und die jüdische Identität prägte.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt?
Schlüsselwörter sind: Deutsch-jüdische Identität, Wilhelminisches Deutschland, Antisemitismus, Assimilation, Zionismus, Turnvereine, Jugendgruppen, Studentenverbindungen, Selbstbild, Integration, Nationalismus, Emanzipation, „Jüdischer Turnverein Bar Kochba“, „Jüdischer Wanderbund Blau-Weiss“, „Kartell Jüdischer Verbindungen“.
Welche Quellen wurden verwendet?
Die Arbeit benennt die genutzten Quellen und Literatur im Kapitel 1.2 Quellen- und Literaturlage, unterteilt in Quellenlage und Literaturlage.
Was ist die Zielsetzung der Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die Entwicklung jüdischer Identität im Wilhelminischen Deutschland zu verstehen und die Rolle jüdischer Organisationen bei der Bewältigung von Antisemitismus und der Stärkung des jüdischen Selbstbewusstseins aufzuzeigen.
Wie werden die Kapitel zusammengefasst?
Die Zusammenfassung der Kapitel bietet einen Überblick über den Inhalt jedes Kapitels und hebt die zentralen Ergebnisse und Argumente hervor. Sie beschreibt die jeweilige Thematik und den Fokus jedes Kapitels in prägnanter Form.
- Quote paper
- Astrid Kayser (Author), 2001, Deutsch-jüdische Selbstbilder am Beginn des 20. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28925