Einleitung
Im Herbst 1973 beschwerte sich der deutsche Botschafter in London bei einem Presseempfang inoffiziell über die Masse an alten Kriegsfilmen und die damit verbundene Darstellung der Deutschen im britischen Fernsehen (vgl. Wocker 1976: 3). In Deutschland herrschte zu dieser Zeit eine rege Diskussion über die Wahrnehmung der Bundesrepublik in den britischen Medien. „Die BBC hält sich die Nazis warm“ (zitiert nach Wocker 1976: 5) titelte damals Die Welt. Bemängelt wurde vor allem, daß BBC und ITV neben diesen „Zweckproduktionen der 40er Jahre […], die sich über die Propagandastücke der Nazis kaum merklich erhoben“ (ebd. 1976: 9) auch noch Eigenproduktionen herstellten, die das Dritte Reich zum Thema hatten. In den Nachrichtenredaktionen der Sender hingegen erschienen nur verhältnismäßig wenige Berichte über Westdeutschland. Obwohl sich Teile der deutschen Öffentlichkeit schon in den 1970er Jahren über die Darstellung ihrer Nation in den britischen Medien erregten, hat sich bis zum heutigen Tag an der Art der Darstellung nicht viel geändert. Die Häufigkeit, mit der alte Kriegsfilme aus den 1940er Jahren gezeigt werden, dürfte abgenommen haben, die Zahl der Eigenproduktionen, in denen der „häßliche Deutsche“ dargestellt wird oder zumindest Anspielungen auf die NS-Zeit gemacht werden, hat eher zugenommen.
Die Darstellung des Deutschlandbildes in den Printmedien weist ähnliche Tendenzen auf. Auch wenn es sehr wohl differenzierte Berichterstattung gibt, wird auch hier auf Bilder aus der Zeit der kriegerischen Auseinandersetzung der beiden Länder gerne zurückgegriffen. Als die deutsche Wiedervereinigung auf politischer Ebene diskutiert wurde, bediente sich die britische Presse erneut verstärkt einer Metaphorik, die von der Zeit des Zweiten Weltkrieges geprägt war (vgl. Moritz 1998: 56). Dies mag einerseits die Angst der Engländer vor einem Wiedererstarken der Deutschen auf dem Kontinent reflektieren (vielleicht weniger als militärische Hegemonialmacht, sehr wohl aber als Wirtschaftsmacht); andererseits erfreut sich dieses Bild des häßlichen Deutschen auch in trivialeren Zusammenhängen der Alltagskultur gerade in der Boulevardpresse einer besonderen Beliebtheit: Als Beispiel sei hier die Fußball- Europameisterschaft 1996 genannt; anläßlich des Spiels England gegen Deutschland titelte der Daily Mirror „Achtung! Surrender“ (vgl. ohne Autor, 24.6.1996) und konfrontierte seine Leser mit Kampfparolen aus dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Moritz 1998: 15)...
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Theoretische Grundlagen
2.1 Das Bild vom anderen Land in der Wissenschaft
2.1.1 Interdisziplinarität und Forschungsgegenstände in der komparatistischen Imagologie
2.1.2 Konstanz oder Variabilität ? - Stereotype, Vorurteile, Images, Klischees
2.1.3 Die Interdependenz von Selbst- und Fremdbild
2.1.4 Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität
2.2 Englisches Selbstbild und englische Fremdbilder
2.2.1 Englishness - zwischen Empire und ‚Cool Britain’
2.2.2 Amerikabilder - zwischen Verehrung und Ablehnung
2.2.3 Deutschlandbilder - zwischen ‚ h äß lichen Deutschen ’ und Wirtschaftswunder
2.3 Relevante narrative Analysekriterien
III. Out of the Shelter
3.1 Der „ Blitz “ als individuelle und kollektive Traumatisierung
3.2 Abschied und Reise als Vorzeichen der Revidierung nationaler Vorurteile
3.3 Die Grenzüberschreitung als Grenzerfahrung - Reaktivierung nationaler Vorurteile
3.4 Semantisierung des Raumes und Kulturvergleich als Möglichkeiten der narrativen Inszenierung von Selbst- und Fremdbildern
3.5 Kontrast- und Korrespondenzrelationen: Die Projektion nationaler Selbst- und Fremdbilder auf das Personal
3.6 Die Interferenz von nationalem Selbst- und Fremdbild
3.7 Zusammenfassung
IV. Changing Places: A Tale of Two Campuses
4.1 Das Personal: Figuren als Vertreter ihrer Nationen
4.2 Die Bedeutung von Raum- und Zeitdarstellung für den Nationenvergleich
4.3 Die Universitätsthematik als Metonymie für die Gesellschaft
4.4 Die Form als zusätzliche Bedeutungsebene: Implizite Orchestrierung von nationalen Selbst- und Fremdbildern
4.5 Multiperspektivität als Mittel der Kontrastierung von Nationen
4.6 Explizite Inszenierung der Interferenz zwischen nationalem Selbst- und Fremdbild
4.7 Zusammenfassung
V. England, England
5.1 Formale Kriterien: Die Darstellung individueller Erlebnisse in Form der
Historiographie
5.2 Das Personal - zwischen kritischer Hinterfragung und unreflektiertem Patriotismus ..
5.3 Die explizite Thematisierung von Englishness anhand der ‚The Fifty Quintessences of Englishness’
5.4 Dekonstruktion englischer Landschaft, Institutionen und Mythen
5.5 „Baby, your tits have dropped“- die Kommerzialisierung und Personifizierung Englands
5.6 Die Interferenz zwischen nationalem Selbst- und Fremdbild
5.7 Zusammenfassung
6. Schlußbetrachtung und Ausblick
Literatur
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Fernsehserien, Spielfilme und andere audiovisuelle Medien
Zeitungsartikel
Internetquellen
I. Einleitung
Im Herbst 1973 beschwerte sich der deutsche Botschafter in London bei einem Presseempfang inoffiziell über die Masse an alten Kriegsfilmen und die damit verbundene Darstellung der Deutschen im britischen Fernsehen (vgl. Wocker 1976: 3). In Deutschland herrschte zu dieser Zeit eine rege Diskussion über die Wahrnehmung der Bundesrepublik in den britischen Medien. „Die BBC hält sich die Nazis warm“ (zitiert nach Wocker 1976: 5) titelte damals Die Welt. Bemängelt wurde vor allem, daß BBC und ITV neben diesen „Zweckproduk- tionen der 40er Jahre […], die sich über die Propagandastücke der Nazis kaum merklich erhoben“ (ebd. 1976: 9) auch noch Eigenproduktionen herstellten, die das Dritte Reich zum Thema hatten. In den Nachrichtenredaktionen der Sender hingegen erschienen nur verhältnismäßig wenige Berichte über Westdeutsch- land. Obwohl sich Teile der deutschen Öffentlichkeit schon in den 1970er Jah- ren über die Darstellung ihrer Nation in den britischen Medien erregten, hat sich bis zum heutigen Tag an der Art der Darstellung nicht viel geändert. Die Häufigkeit, mit der alte Kriegsfilme aus den 1940er Jahren gezeigt werden, dürfte abgenommen haben, die Zahl der Eigenproduktionen, in denen der „häß- liche Deutsche“ dargestellt wird oder zumindest Anspielungen auf die NS-Zeit gemacht werden, hat eher zugenommen.
Die Darstellung des Deutschlandbildes in den Printmedien weist ähnli- che Tendenzen auf. Auch wenn es sehr wohl differenzierte Berichterstattung gibt, wird auch hier auf Bilder aus der Zeit der kriegerischen Auseinanderset- zung der beiden Länder gerne zurückgegriffen. Als die deutsche Wiederverei- nigung auf politischer Ebene diskutiert wurde, bediente sich die britische Pres- se erneut verstärkt einer Metaphorik, die von der Zeit des Zweiten Weltkrieges geprägt war (vgl. Moritz 1998: 56). Dies mag einerseits die Angst der Englän- der vor einem Wiedererstarken der Deutschen auf dem Kontinent reflektieren (vielleicht weniger als militärische Hegemonialmacht, sehr wohl aber als Wirt- schaftsmacht); andererseits erfreut sich dieses Bild des häßlichen Deutschen auch in trivialeren Zusammenhängen der Alltagskultur gerade in der Boule- vardpresse einer besonderen Beliebtheit: Als Beispiel sei hier die Fußball- Europameisterschaft 1996 genannt; anläßlich des Spiels England gegen Deutschland titelte der Daily Mirror „Achtung! Surrender“ (vgl. ohne Autor, 24.6.1996) und konfrontierte seine Leser mit Kampfparolen aus dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Moritz 1998: 15). Neben den tabloids bedienen sich aber auch angesehenere Blätter gern des Dritten Reiches als Aufmacher. „[Nazithemen] sind der Pornographieersatz der seriösen Blätter“, schrieb Gina Thomas (1992), die Großbritannienkorrespondentin der FAZ.
Sicherlich sind nicht nur die ‚Krauts’, die Deutschen, beliebte Objekte des Spottes in der britischen Öffentlichkeit - auch die ‚Frogs’, ‚Dagos’ oder ‚Whops’ - also Franzosen, Spanier oder Schwarze werden nicht gerade zim- perlich behandelt. Dennoch nehmen die Deutschen in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung ein. ‚Krautbashing’ ist fast schon ein Volkssport in Groß- britannien (vgl. Krönig 1999: 49). Während das britisch-deutsche Verhältnis, wie demoskopische Untersuchungen zeigen, sich bis in die achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene stabilisiert hatte, weisen Umfrageergebnisse aus dem Jahre 1995 auf ei- ne gestiegene Angst vor einer Renaissance des Nationalsozialismus hin (vgl. ebd. 49).
Neben dem Deutschlandbild ist in der vorliegenden Arbeit auch das englische Amerikabild relevant. Im Vergleich zu dem mit negativen Konnota- tionen belasteten Bild von Deutschland erscheint dieses jedoch geradezu farb- los. Die USA werden häufig als Land des Kommerzes betrachtet; dementspre- chend erscheinen die Amerikaner in der Regel als erfolgreiche, manchmal auch zwielichtige Geschäftsleute. Ihnen wird Effizienz und Effektivität nachgesagt, aber auch ein Mangel an ‚hoher’ Kultur. Wenn Amerika im Verhältnis zu Großbritannien betrachtet wird, erscheint es wie der große, mächtige Bruder Gerade in den 1980er Jahren wurde die Unterlegenheit, aber auch eine gewisse Unterwürfigkeit im englischen Fernsehen gerne satirisch überspitzt dargestellt. Ein Beispiel hierfür ist die Fernsehserie Spitting Image. So wird zum Beispiel Margaret Thatcher in dem Sketch „One Man and His Bitch“ als „trusty poodle Maggy“ dargestellt, der sich einem Gehorsamstest unterziehen muß; in einem anderen Sketch schenkt sie Ronald Reagan Großbritannien zu seinem 75. Geburtstag (vgl. Bee 1986: Track 11 und 12). Hier zeigt sich, daß die Kontrastierung mit einem nationalen Fremdbild zur Kritik an der eigenen Nation genutzt werden kann.1
In der englischen Literatur weist die Darstellung fremder Nationen eine lange Tradition auf: Schon im Drama des 18. Jahrhunderts wurden typenhaft gezeichneten Figuren anderer Nationalität häufig eingesetzt. „Wenn […] ein Autor eine seiner Figuren zum Ausländer machte, hatte er den Charakter der Figur bereits in groben Zügen umrissen.“ (Stanzel 1974: 67) Ein Ausländer war, aufgrund der Vorstellungen, die mit ausländischen Figuren bestimmter Nationalität verbunden waren, schon mit einem feststehenden Merkmalssatz bezüglich seiner Grundeigenschaften charakterisiert (vgl. ebd.). Dies äußerte sich schon allein anhand von sprechenden Namen. Susanna Centlivre nannte in ihrem Drama A Bold Stroke for a Wife (1718) den Franzosen ‚Modelove’, den Holländer ‚Tradelove’, während der Engländer gemäß dem englischen Freiheitsideal den Namen ‚Freeman’ trug; der Charakter einer Figur war somit im wesentlichen auf eine dominante, als nationaltypisch angesehene Eigenschaft beschränkt.
Daß diese stereotype Art der Darstellung von Ausländern sich auch heute noch größter Beliebtheit erfreut, beweist die große Anzahl von Sitcoms, die sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Ein Paradebeispiel für die Darstel- lung von Ausländern stellt die Serie Fawlty Towers 2 (1975-1979) dar, die be- reits Kultcharakter aufweist. Da die Handlung der Serie sich in einem Hotel abspielt, mangelt es nicht an Fremdbegegnungen. Eine wichtige Rolle für die Wirkungsweise dieser Sitcom spielt dementsprechend das Auftreten von Figu- ren verschiedenster Nationalität. Stellvertretend genannt werden sollen der wohlhabende amerikanische Geschäftsmann, „throwing about British ‚Mickey Mouse Money’“ (Viol 1999: 113), die sexbesessenen Französin, die es auf ein Stelldichein mit dem Hotelbesitzer Basil Fawlty anlegt sowie der halb-debile spanische Kellner Manuel.
Insbesondere hinsichtlich nationaler Fremdbilder existieren bei den Rezipienten schon gewisse Erwartungen an die Figuren anderer Nationalität. Diesen kommt in Hinblick auf die spezifische Gattung, also die Form der Fernsehserie, eine besondere Bedeutung zu:
The physical restraints of the genre - especially the short time limits and the transitoriness of the broadcast - indeed call for characters conforming to pat- terns of behaviour that are easily recognized and understood. While stereotyp- ing thus guarantees a rapid and successful communication with the audience, it also provides a labour- and thought-saving device for the time-pressed tele- vision author. (Viol 1999: 114)
Schon allein aufgrund zeitlicher Restriktionen der Autor nicht die Möglichkeit einer ausführlichen Figurencharakterisierung hat, dient die Stereotypisierung als Mittel der Vereinfachung der Kommunikation zwischen Autor und Rezi- pienten; es wird auf bekannte Muster zurückgegriffen, die ohne lange Erklä- rung verstanden werden, auf Vorstellungen, die sich im kollektiven Gedächtnis der Gruppe bzw. der Kulturgemeinschaft, an die sich das Werk richtet, befin- den. Stereotypisierung dient also als narrative Strategie, um auf ein Weltwissen der Leser zurückzugreifen.
Grund für die Bekanntheit der Serie dürfte die Folge „The Germans“ sein, die hinsichtlich englischer Vorstellungen vom ‚häßliche Deutschen’ sehr aufschlußreich ist. Das vage Unbehagen über den deutschen Besuch zieht sich durch die gesamte Folge. Um Peinlichkeiten zu vermeiden ermahnt Basil Fawl- ty das Personal beständig: „Don’t mention the war!“ Trotz allem kulminiert das Geschehen in einer mittlerweile legendären Hitler-Parodie, in der Fawlty - mit dem Zeigefinger unter der Nase den Bart Hitlers imitierend - im Stechschritt durch das Restaurant schreitet. Diese Szene zeigt, wie stark das negative Deutschlandbild im kollektiven Gedächtnis der Engländer verankert ist
Obwohl in dieser Arbeit der Roman im Mittelpunkt der Analyse steht, verdeutlichen diese Beispiele, daß die imagologische Untersuchung anderer Gattungen, aber auch intermediale Untersuchungen, hinsichtlich des sich dar- aus ergebenden immensen Fundus von nationalen Selbst- und Fremdbildern, überaus ergiebig sein dürften. Ansgar Nünning (1995: 192) weist darauf hin, daß „[f]ür die Untersuchung nationaler Selbst- und Fremdbilder nicht nur lite- rarische Werke relevant [sind], sondern auch Bildquellen wie satirische Drucke oder Cartoons.“ Dies kann ergänzt werden durch Formate wie Fernsehserien sowie Fernseh- und Kinofilme.
Die Zeitspanne, in der die zu analysierenden Romane erschienen sind, umfaßt eine Spanne von 28 Jahren. David Lodges Roman Out of the Shelter (1970) bildet den chronologischen Anfangspunkt in der Betrachtung. Relevant sind hier Deutschlandbilder und Amerikabilder. Changing Places (1975), eben falls von Lodge, hat seinen Fokus auf englischen Amerikabildern. Als letzter in der Chronologie steht Julian Barnes’ England, England (1998), welcher sich thematisch eher auf das englische Selbstbild konzentriert. Die Auswahl von Deutschlandbildern und Amerikabildern paßt insofern gut zusammen, als daß beide aufgrund der Alliierten Besatzungszeit in Out of the Shelter vorzufinden sind. Zudem wird das englische Deutschlandbild, wie oben angedeutet, durch die Geschehnisse während und nach dem Zweiten Weltkrieg dominiert. Deutschland- und Amerikabilder stehen somit auch thematisch in einem Zu- sammenhang. Um Selbst- und Fremdbilder nicht ausschließlich vor einem Kriegshintergrund zu betrachten, wurde zudem mit Changing Places ein Werk ausgewählt, das nicht in Zusammenhang mit der NS-Zeit oder ihrer Folgen steht.
In dieser Untersuchung steht nicht die Frage im Vordergrund, ob sich in literarischen Texten Vorurteile oder Stereotypen der Autoren niederschlagen,3 was in früheren Untersuchungen oft Merkmal zur Beurteilung der Qualität ei- nes Werkes war.4 Unter der Annahme eines neutralen Stereotypenbegriffs (vgl. Kapitel 2.1.2) wird davon ausgegangen, daß die Autoren nationale Stereotype und Images bewußt einsetzen.
Im Blickpunkt steht also die Art und Weise, wie diese Bilder vom ande- ren Land im Text funktionalisiert und inszeniert werden. Zunächst stellt sich die Frage nach der Form, in der diese im Text - insbesondere auf die Beson- derheiten der Gattung Roman bezogen, die als Untersuchungsgegenstand die- ser Arbeit zugrunde liegt - ersichtlich werden. Anhand gewisser relevanter Ka- tegorien der Erzähltextanalyse (vgl. Kapitel 2.3) soll untersucht werden, mit welchen Mitteln nationale Selbst- und Fremdbilder in Romanen inszeniert werden. Um festzustellen, inwiefern der Autor auf überzeitliche nationale Ste- reotypen zurückgreift, die im kollektiven Gedächtnis einer Nation verankert sind, werden in Kapitel 2.2 gängige Bilder anderer Länder kurz dargestellt, zu- sammen mit einem Blick auf das gegenwärtige englische Selbstbild.
Neben der werkimmanenten Funktion stellt sich auch die Frage nach der außertextuellen Funktion des Bildes vom anderen Land. Auf die jeweiligen Werke bezogen soll die Frage erörtert werden, was der Autor mit stereotypen Darstellungen anderer Nationen, in diesem Fall vorwiegend denen der Deutschen und der Amerikaner, bezwecken will: Setzt er sie affirmativ, mit der Intention der Bestätigung dieser Bilder ein, oder dekonstruiert und revidiert er stereotypisierte Vorstellungen und Vorurteile?
Relevant ist weiterhin die Frage nach der Interferenz nationaler Selbst- und Fremdbilder. Daß zwischen beiden ein Zusammenhang besteht, ist mitt- lerweile auch in der Wissenschaft anerkannt; Pfister (1977: 253) geht darauf in seinem Kapitel zur Figurencharakterisierung im Drama ein; er betont, daß jede explizite Fremdcharakterisierung zugleich eine implizite Selbstcharakterisie- rung darstellt. In bezug auf die vorliegende Arbeit stellt sich somit also die Frage, welche Schlüsse man aus der Darstellung der Deutschen und der Ame- rikaner in Hinblick auf das englische Selbstbild ziehen kann (vgl. Kapitel 2.1.3).
II. Theoretische Grundlagen
2.1 Das Bild vom anderen Land in der Wissenschaft
2.1.1 Interdisziplinarität und Forschungsgegenstände in der komparatistischen Imagologie
Die Erforschung der Bilder vom anderen Lande in einer wissenschaftlichen Disziplin wie der Literatur-Komparatistik, die den Vergleich zweier oder meh- rerer Werke aus verschiedenen Sprachbereichen zum Gegenstand hat, weist Berührungspunkte mit Forschungsbereichen anderer wissenschaftlicher Diszi- plinen auf. Die in literarischer Kommunikation wiedergegebenen Bilder kön- nen nur schwer von der Alltagswirklichkeit des Landes, in dem sie entstehen, getrennt werden; sie stellen „eine komplizierte Verbindung literarischer und gleicherweise nicht-literarischer Kräfte dar“ (Boerner 1975: 316). Gerade der Anspruch der Interdisziplinarität jedoch hat die Entwicklung der komparatisti- schen Imagologie, dem Zweig der Komparatistik, der sich mit der Erforschung nationaler Selbst- und Fremdbilder beschäftigt, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend gehemmt.
In den 1950er Jahren ging von Frankreich ein „literatursoziologisch, ideengeschichtlich und völkerpsychologisch ausgerichtetes Programm“ aus, das die Literaturwissenschaft zu einem „integrierten Bestandteil der Human- wissenschaften“ (Fischer 1987: 59f.) machen sollte. Dieser Ansatz wurde je- doch von René Wellek scharf kritisiert. Damit löste er eine Krise in der Kom- paratistik aus, die letztlich dazu führte, daß die Forschungsansätze in diesem Wissenschaftsbereich zunächst zu einem Stillstand kamen (vgl. Dyserinck 1988: 17). Wellek sprach sich gegen die „überhandnehmende Berücksichti- gung nichtliterarischer Elemente innerhalb der Literaturwissenschaft“ (Boerner 1975: 314) sowie gegen die sich damals abzeichnenden Intentionen, die Kom- paratistik in eine neue Wissenschaft, die „vergleichende Völkerpsychologie“(psychologie compar é e des peuples), einmünden zu lassen (vgl. Fischer 1987: 59 f.), aus. Da Wellek in der Literaturwissenschaft eine immense Autorität be- saß, bewirkten seine „Bannsprüche“ (Fischer 1987: 59) tatsächlich das vorläu fige ‚Aus’ für die weitere Entwicklung der komparatistischen Imagologie als Forschungsdisziplin.
Einzig der belgische Komparatist Hugo von Dyserinck machte inner- halb des folgenden Jahrzehntes den Versuch, die komparatistische Imagologie als legitime wissenschaftliche Disziplin herauszustellen (vgl. Boerner 1975: 314). Zwar kritisierte Dyserinck die fehlende theoretische und methodologi- sche Untermauerung der komparatistischen Imagologie durch die französische Komparatistenschule als Kapitulation vor der „politischen Dimension und Reichweite des Faches“ (Dyserick 1988:17); er verteidigte jedoch deren Be- rechtigung und postulierte sogar die Notwendigkeit derselben als wissenschaft- licher Disziplin (vgl. ebd.: 20). Während sich Wellek strikt für eine werkim- manente Betrachtung von Literatur aussprach, betonte Dyserick in seinem gleichnamigen Artikel die „politische Tragweite einer europäischen Wissen- schaft von der Literatur“ - er plädierte für den Beitrag der Literaturwissen- schaft zur Völkerverständigung.5
Gerade deutsche Wissenschaftler haben sich im Sinne der Ideologie des NS-Systems mit dem ‚Wesen’ anderer Völker auseinandergesetzt (vgl. Moritz 1998: 66). Die Erforschung des Bildes vom anderen Land in einer Disziplin namens Völkerpsychologie zu erforschen trug zudem dazu bei, daß viele Wissenschaftler einer solchen Forschungsrichtung ablehnend gegenüberstanden: Dyserick (1988: 21) betont jedoch, daß es bei der Imagologie sogar um ein Verfahren [geht], das den genauen Gegenpol zu den Verirrungen einer an ‚Volksseelen’, ‚Nationalcharakteren’ und dergleichen glaubenden und von der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts schließlich zurecht ins Reich der Ideologie verwiesenen sogenannten ‚Völker- psychologie’ darstellt.
Praktisch heißt das, daß man die Existenz nationaler Eigenheiten zwar einräumt, diese jedoch nicht auf genetischer, sondern auf kultureller Vorprägung beruhen. „Es gibt lediglich nationale Charakteristika, die aufgrund wirtschaftlicher und organisatorischer Gegebenheiten unterscheidbar werden können und keine psychologischen Ursachen haben, wohl aber kollektivpsychologische Wirkung zeitigen können.“ (Fischer 1987, 57)6
Aber auch wenn Vorbehalte dieser Art durch die Negierung der Exi- stenz eines gewissermaßen genetisch verankerten Nationalcharakters entkräftet werden, divergieren hinsichtlich des Forschungsbereiches die Meinungen. Manche Forscher, so zum Beispiel Peter Boerner (1975: 315), sind der Ansicht, „daß die Bilder anderer Länder nicht nur textexegetische Bedeutung haben, sondern verdienen, um ihrer selbst willen behandelt zu werden.“ Andere, wie Manfred S. Fischer (1979: 30f.) sprechen sich zwar für die Zusammenarbeit benachbarter Wissenschaftsdisziplinen aus, fordern aber stets eine „Rückkopp- lung der Ergebnisse zum literarischen Bereich“ (ebd. 1987:67). Fischer prägte die Metapher der „komparatistischen Imagologie am Scheideweg“: Einer der Wege führe zu den „reizvollen Gestaden der Mentalitätsgeschichte, der Kul- turwissenschaft, der Kulturanthropologie“, der andere bedeute das Verharren auf dem „Heimatboden“ der Literaturwissenschaft (ebd. 1987: 66). Ansgar Nünning (1995: 180) spricht sich hingegen dafür aus, in einer anglistischen Kulturwissenschaft „neben Texten auch Sinnkonstruktionen, Vorstellungen, Ideen und Werte“ zu berücksichtigen, betont jedoch, daß die Zielsetzungen und Methoden der Kulturwissenschaft nicht mit denen der Mentalitätsgeschichte identisch seien (ebd. 1995: 184). Eine mentalitätsgeschichtlich orientierte in- terdisziplinäre Ausprägung der Untersuchung des Bildes vom anderen Land wird heute nicht mehr prinzipiell abgelehnt; sie „ist aber nur sinnvoll, wenn sich die Komparatisten auf ihre lit[eratur]wissenschaftlichen Kompetenzen be- sinnen“ (Schwarze 2001: 276).
Der permanente Rechtfertigungsdruck der komparatistischen Imagolo- gie scheint sich mit der wachsenden Bedeutung der Globalisierung und der damit in gesteigertem Maße notwendig gewordenen interkulturellen Kommu- nikation und der damit verbundenen zunehmenden Bedeutung des Fremdver- stehens abgeschwächt zu haben. „Die Annäherung von Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft“, welche „sich in erster Linie als eine Öffnung und Erweiterung der Wissenschaft von Sprache und Literatur gegenüber den kul- turwissenschaftlichen Nachbardisziplinen [vollzieht]“ ( Voßkamp 2003: 73), dürfte dazu beitragen, daß sich die Forschung des Bildes vom anderen Lande im Rahmen einer literaturwissenschaftlich orientierten Kulturwissenschaft eta- blieren wird.
Wissenschaftliche Disziplinen, deren Forschungsbereiche sich mit de- nen der komparatistischen Imagologie überschneiden, sind vor allem die Ste- reotypenforschung, und die Vorurteilsforschung, die mittlerweile in beinahe al- len Humanwissenschaften betrieben wird (vgl. Schwarze 2001: 275) sowie die noch junge Forschungsrichtung der Xenologie, der interkulturell und interdis- ziplinär ausgerichteten Fremdheitsforschung (vgl. Wierlacher/Albrecht 2003: 280f.).
Als Forschungsaufgaben der komparatistischen Imagologie nennt Fi- scher (1987: 56) die „Untersuchung nationenbezogener Auto- und Hetero- Images in der Literatur selbst und in allen Bereichen der Literaturwissenschaft und -kritik.“ Weiterhin sollen „Genese und Wirkung dieser Images im literari- schen und […] im extraliterarischen Bereich“ erforscht werden (vgl. ebd.: 56). Der Wahrheitsgehalt solcher Bilder (der ohnehin schwer nachzuweisen ist) nimmt bei der Untersuchung dieser Auto- und Heteroimages keine Bedeutung ein (vgl. Fischer 1987: 56). Es geht darum, „das Wie und Warum seines Funk- tionierens im Rahmen literarischer und transliterarischer Kommunikationspro- zesse und Bedingungen“ (ebd. 1987: 56f.) zu untersuchen. Gerade hinsichtlich der Ähnlichkeit des Begriffes ‚Selbstbild’ zu dem Begriff Stereotyp auf natio- naler Ebene stellt sich nicht die Frage ob Stereotypisierungen in einem Text vorkommen (bei einer Voraussetzung eines neutralen Stereotypenbegriffs ist dies zwangsläufig der Fall), sondern vor allem, welche Funktion diese Stereo- typen und Bilder haben. O’Sullivan (1989: 7) spricht in diesem Zusammen- hang von dem „ästhetischen Potential“ nationaler Stereotypen.
2.1.2 Konstanz oder Variabilität ? - Stereotype, Vorurteile, Images, Kli- schees
Die Abgrenzung zwischen zentralen Begriffen der Terminologie, die bei der Erforschung des Bildes vom anderen Lande im Vordergrund steht, ist häufig unzureichend. Probleme bereiten hier insbesondere die Begriffe ‚Stereotyp’, ‚Vorurteil’, ‚Image’ und ‚Klischee’, die in der Literaturwissenschaft oft syn- onym verwendet werden (vgl. O’Sullivan 1989: 23). Während der Begriff ‚Kli- schee’ überwiegend sprachliche Phänomene7 bezeichnet und sich somit deut- lich von den anderen abgrenzen läßt, bedarf es hinsichtlich der drei anderen Begriffe einer näheren Erklärung:
Der Begriff ‚Stereotyp’ wurde geprägt von dem Journalisten Walter Lippmann. Grundlage hierfür bildet sein einflußreiches Buch Public Opinion (1922), das „die von den Massenmedien konstruierten Bilder für die öffentliche Meinung“ (A. Nünning 2001: 602) behandelt. Der Begriff selbst stammt aus dem Druckwesen und bedeutet „mit feststehenden Typen gedruckt“ (ebd.). Auch wenn der Begriff meist pejorative Konnotationen ausweist, wird er in der Stereotypenforschung mittlerweile auch unter neutralen Gesichtspunkten be- trachtet (vgl. O’Sullivan 20). Stereotype sind „eine Art schematischer Denk- und Wahrnehmungshilfen“ (ebd.: 17) - sie stellen eine „(zumeist unbewußte) kognitive Strategie der selektiven Wahrnehmung und Komplexitätsreduktion“ (A. Nünning 2001: 602) dar. Dies ist notwendig, „da wir weder Zeit noch Ge- legenheit haben, uns intensiv mit Details aus anderen Teilen der Welt ausein- anderzusetzen“ (Kleinsteuber 1991: 62). Neben dieser Form der Bildung von Heterostereotypen, also Vorstellungen, die gesellschaftliche Gruppen oder Na- tionen von anderen Gruppen (oder Nationen) haben, sind auch die Autostereo- type, als die Selbstbilder dieser Gruppen von Bedeutung (vgl. auch Kapitel 2.1.3). „Auch neuere Forschungsergebnisse unterstreichen, daß Stereotype sich durch Konstanz und Universalität auszeichnen. Sie sind schwer beeinflußbar und veränderbar und durchziehen alle Lebens- und Themenbereiche“ (Klein- steuber 1991: 63).8
Nationenbezogene ‚Images’ verweisen „auf eine mit Historizität beleg- te, strukturierte Gesamtheit von Einzel- und Kollektivaussagen, auf ein äußerst komplexes Zusammenwirken von Vorstellungen über Andersnationales“ (Fi- scher 1987: 57).
Das Bild oder Image eines Landes in der Literatur kann […] u.a. durch Stereotype bestimmt sein, zum Bild oder Image können aber darüberhinaus auch lediglich individuell gültige Zuschreibungen und Erkenntnisse von einzelnen Autoren gehören und/oder Elemente, die nur zu einer bestimmten Zeit Gültigkeit hatten. (O’Sullivan 1989: 43)
Images zeichnen sich - ebenso wie Stereotype - zumindest punktuell durch ei- nen Realitätsbezug aus. Wie O’Sullivan betont, ist das Image ein weiter gefaß- tes Konzept als der Stereotyp; aus (individuellen) Images, wenn diese trotz hi- storischer Veränderung über einen langen Zeitraum konstant geblieben sind, können jedoch auch Stereotype werden (vgl. Bleicher 1980: 15). Im Unter- schied zu Stereotypen sind Images variabel und veränderbar (vgl. Kleinsteuber 1991: 63). Dies wird dadurch verdeutlicht, daß die Wurzeln des Begriffs ‚Image’ im Bereich der Werbepsychologie und der Public Relations zu suchen sind (vgl. ebd. 1991: 64). Ähnlich wie bei den Stereotypen unterscheidet man zwischen Auto-Image (Selbstbild) und Hetero-Image (Fremdbild).
Vorurteile sind oft unmittelbar mit sozialpsychologischen Faktoren wie Frustration, Haß, Aggression, ungelöster Sexualität verbunden (vgl. Kleinsteu- ber 1991: 66); das Vorurteil „immunisiert gegen die Realität“, indem es „be- stimmten Bevölkerungsgruppen spezifische Eigenschaften zuspricht, die mit der Wirklichkeit nichts mehr gemein haben, ja sie verdrehen müssen“ (ebd.: 65). O’Sullivan (1989: 22) sieht den Unterschied zwischen Stereotyp und Vor- urteil darin, daß letzteres viel weiter gefaßt ist und affektive und konative Komponenten einschließt, während das Stereotyp heute als eine eher kognitive Entität gese- hen wird, die auf eine von der Vorurteilsforschung überlagerte Vergangenheit zurückblicken kann.9
Sie ist weiterhin der Überzeugung, daß das Vorurteil eine persönlichkeitsbezogene Kategorie ist, die zwar in Literatur thematisiert werden kann, aber nicht Bestandteil des Textes ist (vgl. ebd.: 25).
Die Unterscheidung dieser Begriffe ist in sofern von Bedeutung, als daß der Begriff Stereotyp (wohl auch durch die Gleichsetzung mit dem Begriff ‚Vorurteil’) lange Zeit negative Konnotationen mit sich brachte und in der Li- teratur als ästhetischer Mangel eines Werkes gesehen wurde. Mittlerweile geht man davon aus, daß Stereotype in der Literatur bewußt verwendet werden (vgl. O’Sullivan 1989: 26) und eine ästhetische Funktion übernehmen. Das Vorurteil zeichnet sich durch einen fehlenden Realitätsbezug aus, während sich bei Ste- reotypen und Images in der Regel ein gewisser Realitätsbezug feststellen läßt. Prinzipiell ist in dieser Arbeit die Rede von Fremd- und Selbstbildern; nur wenn eindeutig erkennbar ist, daß es sich bei geschilderten Phänomen tatsäch- lich um nationale Auto- und Heterostereotypen handelt, also Phänomene, die sich im britischen kollektiven Gedächtnis manifestiert haben (was bei einer Analyse der englischen Literatur durch einen Deutschen aus der Außenper spektive nicht immer eindeutig zu beantworten sein könnte), werden diese im Text auch so bezeichnet.
2.1.3 Die Interdependenz von Selbst- und Fremdbild
Neben der Abgrenzung verschiedener Begriffe aus Zwecken der terminologi- schen Präzision muß auch auf den Zusammenhang zwischen (nationalem) Selbst- und Fremdbild eingegangen werden. Uffe Østergård (1991: 145) bringt beschreibt dies kurz und bündig: „Wenn man über andere spricht, spricht man in Wirklichkeit nur über sich selbst“. Diese Erkenntnis, die in der Sozialpsy- chologie allgemein anerkannt ist (vgl. Six 1987: 49f.), verdeutlicht einen Punkt, der bei der Betrachtung des Bildes vom anderen Land besondere Beach- tung verdient. Eine Analyse nationaler Fremdbilder allein auf deren Wahr- heitsgehalt hin dürfte kaum ergiebig sein: Weil die Bilder vielfach auf grober Vereinfachung beruhen, lassen sich lediglich punktuelle Wirklichkeitsüber- schneidungen nachweisen lassen. Da jedoch „Selbst- und Fremdbilder von Na- tionen unausweichlich miteinander verknüpft sind, […] ist jede explizite Fremdcharakterisierung einer anderen Nation immer auch eine implizite (oft- mals unbewußte) Selbstcharakterisierung der eigenen“ (A. Nünning 1999: 326).
Die Berücksichtigung der Interferenz nationaler Selbst- und Fremdbilder ist in der komparatistischen Imagologie als relevantes Kriterium bei der Analyse von Texten allgemein anerkannt (vgl. Moritz 1998: 65). Wenn man also die Möglichkeiten der ästhetischen Funktionalisierung, die sich aus dieser Verschränkung nationaler Selbst- und Fremdbilder ergibt, berücksichtigt, so ergeben sich daraus folgende Grundkonstellationen:
[E]ntweder stellt man ein Eigenideal auf und setzt ihm die Fremdkritik entgegen, oder man geht von der Kritik am Eigenen aus und sucht das Ideal im Fremden. Doch sind auch negative und positive Parallelen zwischen Eigenbild und Fremdbild möglich (Bleicher 1980:18)
Auch wenn prinzipiell die implizite Eigenkritik durch die Möglichkeit der Fremderhöhung gegeben ist, geht die Darstellung von nationalen Fremdbildern in der Regel „damit einher, die eigene Nation durchaus positiv darzustellen“ (A. Nünning 1999: 326). Aus diesem Zusammenhang ergibt sich auch der Schluß, „daß die Eigenbilder eines Volkes und die Bilder, die von ihm im Be- wußtsein anderer Völker existieren, gewöhnlich nicht nur voneinander ver schieden sind, sondern sich sogar widersprechen“ (Boerner 1975: 317). Ansgar Nünning (1999: 326) nennt als wichtigste Funktionen, die sich aus dem Wech- selverhältnis von Selbst- und Fremdbild ergeben, „die Bewußtmachung ver- meintlicher kultureller Eigentümlichkeiten und Verschiedenheiten, die Ab- grenzung von anderen Nationen“ sowie die daraus resultierende nationale Iden- titätsstabilisierung.
2.1.4 Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität
Die Langlebigkeit von nationalen Stereotypen läßt sich schon allein anhand der verschiedenen Ausprägungen überzeitlicher Stereotypen von Deutschland und den Deutschen in der englischen Literatur belegen (vgl. Kapitel 2.2.3). Neben dem Vorkommen in der Literatur sind solche Bilder aber auch im Bewußtsein der verschiedenen Individuen einer Gesellschaft präsent. Dieses Phänomen läßt sich mit dem Modell des ‚kulturellen Gedächtnisses’ erfassen, das Jan Ass- mann (1988: 9ff.) aus den Ansätzen von dem Soziologen Maurice Halbwachs und dem Kunsthistoriker Aby Warburg und aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Prinzipiell unterscheidet er zwischen dem kommunikativen Gedächtnis und dem ‚kulturellen Gedächtnis’. Das kommunikative Gedächtnis (oder All- tagsgedächtnis), in welchem „jene Spielarten des kollektiven Gedächtnisses zusammen[gefaßt werden], die ausschließlich auf Alltagskommunikation beru- hen“ (Assmann 1988: 10), zeichnet sich „durch ein hohes Maß an Unspeziali- siertheit, Rollenreziprozität, thematische Ungefestigtheit und Unorganisiert- heit“ (ebd.) aus, zudem ist es sich auf einen Horizont von ungefähr drei bis vier Generationen beschränkt; dieser Horizont wandert mit dem gegenwärtigen Zeitpunkt mit (vgl. ebd.: 11).
Während sich das kommunikative Gedächtnis durch seine Alltagsnähe auszeichnet, ist für das kulturelle Gedächtnis eine Alltagsferne (hinsichtlich des Zeithorizontes) charakteristisch (vgl. ebd.: 12). Konstitutive Merkmale (nach Assmann 1988: 13ff.) sind folgende:
- ‚Identitätskonkretheit’ oder ‚Gruppenbezogenheit’: Im kulturellen Ge- dächtnis wird der Wissensvorrat einer Gruppe bewahrt, der zur Identi- tätsfestigung im positiven („das sind wir“) und zur Abgrenzung von an- deren Gruppen im negativen Sinne („das ist unser Gegenteil“) dient (vgl. ebd.: 13).
- ‚Rekonstruktivität’: Die Vergangenheit wird nicht wie auf einem Spei- chermedium bewahrt. „Das kulturelle Gedächtnis verfährt rekonstruk- tiv, d.h. es bezieht sein Wissen immer auf eine aktuell gegenwärtige Si- tuation“ (ebd.: 13). A. Nünning (1995: 186) faßt dies folgendermaßen zusammen: „[D]ie Gesellschaft [konstruiert] von ihrer jeweils gegen- wärtigen Situation aus ihre Geschichte(n) unter wechselnden Bezugs- rahmen neu.“
- ‚Geformtheit’: Die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses manifestieren sich in Form von Schriften, Bildern und Riten (vgl. Assmann 1988: 14), „um kulturell überliefert zu werden“ (A. Nünning 1999: 328).
- ‚Organisiertheit’: steht a) „für die institutionelle Absicherung von Kommunikation“ sowie b) „für die Spezialisierung der Träger des kul- turellen Gedächtnisses“ (Assmann 1988: 14). Im Gegensatz zum kom- munikativen Gedächtnis, bei dem „Verteilung und Partizipationsstruk- tur [diffus] sind“ ist das kulturelle Gedächtnis durch die Autorität gewisser Institutionen „auf eine Art ‚Pflege’ angewiesen“ (ebd.: 14).
- ‚Verbindlichkeit’ - Das kulturelle Gedächtnis „etabliert eine klare Werthierarchie“ (Sommer 2003: 137), „welche den kulturellen Wissensvorrat und Symbolhaushalt strukturiert“ (Assmann 1988: 14).
- ‚Reflexivität’: Die Reflexivität des kulturellen Gedächtnisses macht sich in drei Ausprägungen bemerkbar: Durch seine ‚Praxisreflexivität’ deutet es die gängige Praxis in Form von Sprichwörtern, Lebensregeln und Riten; durch seine ‚Selbstreflexivität’, mit der es im Sinne der Aus- legung, Ausgrenzung, Umdeutung, Kritik etc. aus sich selbst Bezug nimmt. Weiterhin ist es „Selbstbild-reflexiv“, denn es reflektiert das Selbstbild der jeweiligen Gruppe (vgl. Assmann 1988:15).
Das kollektive Gedächtnis übernimmt also eine wesentliche Funktion bei der Ausbildung einer Gruppenidentität; es stellt „ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenheit stützt“ (Assmann 1988: 15).
Die Erkenntnisse hinsichtlich des kollektiven Gedächtnisses sind vor al- lem für die Analyse des Romans England, England (Kapitel 5) relevant, da hier die Möglichkeiten des kollektiven Erinnerns einer Nation explizit thematisiert werden; auf die anderen Romane kann das Prinzip jedoch auch angewandt werden, da nationale Auto- und Heterostereotype in einer unmittelbaren Ver bindung mit dem Konzept des kollektiven Gedächtnisses stehen:
Aufgrund ihrer direkten Bezogenheit auf ein kollektives Selbstbild können [sie] als zentrale Bestandteile des kulturellen Gedächtnisses konzeptualisiert werden. Dies läßt sich […] funktional begründen, denn ebenso wie das kulturelle Gedächtnis als Ganzes tragen Nationalstereotypen maßgeblich zur Ausbildung eines Nationalbewußtseins bei.“(A. Nünning 1999: 329)
2.2 Englisches Selbstbild und englische Fremdbilder
2.2.1 Englishness - zwischen Empire und ‚ Cool Britain ’
Once upon a time the English knew who they were. There was such a ready list of adjectives at hand. They were polite, unexcitable, reserved and had hot- water bottles instead of a sex life: how they reproduced was one of the myster- ies of the western world. They were doers rather than thinkers, writers rather than painters, gardeners rather than cooks. They were class-bound, hidebound and incapable of expressing their emotions. They did their duty. (Paxman 1998: 1)
Jeremy Paxmans Beschreibung der Engländer bezieht sich auf eine Vergangenheit, in der das englische Selbstbild so selbstverständlich definiert war, daß kaum jemand auf den Gedanken gekommen wäre, dieses zu hinterfra- gen. Gerade in der Zeit des britischen Empires war die Weltmachtstellung Eng- lands ein integraler Teil des nationalen Selbstbildes (vgl. Nünning/Nünning 1996: 13). Eine zentrale Rolle spielte diesbezüglich die Literatur; einerseits be- zog sie sich thematisch auf das Empire und spiegelte somit die politische und gesellschaftliche Realität der damaligen Zeit wieder; andererseits leistete sie einen wesentlichen Beitrag zur Konstruktion und Propagierung dieser Bilder (vgl. ebd.: 11f.).
Die Auswirkungen des britischen Weltreiches sind bis heute in der eng- lischen Gesellschaft zu spüren. „[C]olonialism and imperialism have left be- hind many social and political problems, and many of the values, preconcep- tions and cultural stereotypes associated with the imperial world-view have been bequeathed to us” (ebd.: 7). Das britische Empire ist in das kulturelle Ge- dächtnis Englands eingegangen und wirkt dort weit über dessen Zusammen- bruch hinaus im englischen Selbstbild fort. Im England der 1970er Jahre (aus dieser Dekade stammen zwei der in dieser Arbeit analysierten Romane) sind die Auswirkungen des Kolonialismus noch stärker zu spüren als heute. Bill Bryson (1995: 11ff.) beschreibt im Prolog seines Reiseberichts seine erste Be gegnung mit England im Jahre 1973, die nicht von Gastfreundschaft und Welt- offenheit, sondern von der Dominanz antiquiert wirkender Werte und Normen der Kolonialzeit gekennzeichnet war. - der berühmt-berüchtigte englische Verhaltenskodex, die stiff upper lip sowie eine gewisse Selbstfixiertheit, die in Zusammenhang mit der britischen Inselmentalität gesehen werden muß, domi- nieren seine Eindrücke.
In der Zeitspanne zwischen 1970 und 1998 die zwischen dem ersten und dem letzten der hier analysierten Romanen liegt, haben sich gesellschaftli- che Vorzeichen in Großbritannien entscheidend verändert. Die Thatcher- Jahre verwandelten das Vereinigte Königreich in eine konsumorientierte Gesell- schaft, und auch die bei Erscheinen von England, England noch junge Labour- Regierung bemühte sich - u.a. mit ihrer ‚ Cool Britain ’ -Kampage - um eine Umdeutung dieses alten Images; sie wollte das Bild eines dynamischen, mo- dernen und zukunftsorientierten Großbritannien evozieren. Trotz der Inversion wirtschaftlicher Koordinaten und den mannigfaltigen modernen Aspekten der englischen Gesellschaft sind jedoch die Anzeichen der sprichwörtlichen Insel- mentalität noch ersichtlich:10 Der Beschluß der Beibehaltung der englischen Währung ebenso wie die Entscheidung, dem Schengener Abkommen nicht bei- zutreten, waren wohl zumindest teilweise das Ergebnis der Angst vor der Auf- gabe der nationalen Souveränität. Insgesamt macht sich in England gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Europhobie bemerkbar, für die oft mit Deutschland verbundene Nationalstereotype funktionalisiert wurden (vgl. Nünning/Nünning 2003: 135).
Auch innerhalb des Vereinigten Königreiches macht sich die Heteroge- nität des Konstruktes Großbritanniens bemerkbar: Der Prozeß der devolution, der durch die Labour-Regierung der späten 1990er Jahre entscheidend voran- getrieben wurde, verursacht Ängste vor einem inneren Zerfall.11 England, wel ches früher oft mit Großbritannien gleichgesetzt wurde,12 sieht weiteren gesell schaftlichen Umwälzungen entgegen. Sein Selbstbild kann auf Dauer kein Bri- tisches mehr sein, sondern muß sich auf England reduzieren. Da das englische Selbstbild aber lange Zeit durch den Kolonialismus dominiert wurde, bedarf es gewissermaßen einer Umdeutung der Vergangenheit sowie der Erfindung neu- er kultureller Traditionen13. Paxman (1988: 21) beschreibt diesbezüglich die wachsende Bedeutung des früher weitgehend unbeachteten ‚ St. George ’ s Day ’ in England, die sich seit Mitte der 1990er Jahre anhand der kommerziellen Vermarktung von Postkarten sowie der Thematisierung in der Presse bemerk- bar macht. In diesem Zusammenhang ist auch die Betonung englischer Symbo- le zu erwähnen. Die englische Flagge (das rote Kreuz auf weißem Grund) wird zunehmend aus dem Union Jack herausgelöst. So verwendete die Zeitung The Sun auf ihrer Internetpräsenz anläßlich der Berichterstattung zum St. Georges Day 2004 vermehrt die englische Fahne (vgl. <http://www.thesun.co.uk>, Stand: 23.04.2004).
Eine wichtige Bedeutung für das Selbstverständnis einer Nation kom- men neben Symbolen auch nationalen Auto-Stereotypen zu. Als essentiell für das englische Selbstbild hebt Gelfert (2002: 11f.) vor allem das Stereotyp des Gentleman sowie „John Bull“. Der Gentleman „beeindruckt, ohne beeindruk- ken zu wollen“ (ebd.: 15). Die Entstehungsgeschichte dieses Ideals war unmit- telbar mit dem Empire verbunden und für dieses von großer Bedeutung, „denn dadurch wurde ein gleichsam genormter Führungskader erschaffen, der das Mutterland in den Kolonien äußerst effektvoll vertreten konnte“ (ebd.). Das Bild des John Bull geht zurück auf die Schicht der Freibauern oder yeomen, die bis ins 17. Jahrhundert als „unbeugsames Rückgrat der Nation“ (Gelfert 2002: 17) galten; er stellt in der Empire-Metaphorik die männliche Seite des briti- schen Weltreichs in personifizierter Form dar (vg. Nünning 1996: 96). Auch heute weist dieses Stereotyp insbesondere unterhalb der oberen Mittelschicht ein enormes Identifikationspotential auf (vgl. Gelfert 2002: 18).
Eine Nation als komplexes, heterogenes Gebilde auf zwei stereotype Ausprägungen zu reduzieren, kann ihr nicht gerecht werden. Da diese Stereo typen aber mit den Eigenschaften, die ihnen zugeordnet werden, den Englän- dern als Identifikationspotential dienen, müssen sie bei der Analyse der Romane berücksichtigt werden; gerade auch hinsichtlich der Vergangenheitsbezogenheit des englischen Selbstbildes kommt ihnen eine Bedeutung zu.
Das englische Selbstbild nimmt im Laufe der1980er und 1990er Jahre auch im englischen Roman dieser Zeit eine dominante Rolle ein: „Eng verknüpft mit dem wiedererwachten Interesse für die Geschichte und der kritischen Auseinandersetzung mit Problemen der Gegenwart ist die Reflexion über Englands kulturelles Erbe und über Englishness “(A. Nünning 2000: 191). Diese Vergangenheitsgerichtetheit wird vor allem bei der Analyse von England, England einen großen Stellenwert einnehmen.
2.2.2 Amerikabilder - zwischen Verehrung und Ablehnung
Während das Interesse der Deutschen daran, wie sie im Ausland wahrgenom- men werden, durchaus groß zu sein scheint14, nimmt die Erforschung der Au- ßenwahrnehmung bei anderen Nationen offenbar einen deutlich geringeren Raum ein. Wissenschaftliche Literatur bezüglich der Wahrnehmung Amerikas in englischer Literatur zu finden erweist sich als schwierig. Unter dem Überbe- griff Transatlantic Relations sind vor allem zwei Wissenschafter aufgefallen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben: Malcolm Bradbury (1995) und Christopher Mulvey (1990). Letzter beschreibt in einer Monographie die ame- rikanische Gesellschaft aus Sicht der Engländer (und umgekehrt). Als Grund- lage seiner Forschungen dient anglo-amerikanische Reiseliteratur des neun- zehnten Jahrhunderts. Auch anhand von nichtfiktionalen Reiseberichten ist es möglich, einige Grundzüge hinsichtlich britischer Amerikastereotype zu ma- chen15 ; gerade aufgrund des überzeitlichen Charakters und der betonten Lang lebigkeit von Stereotypen besteht die Wahrscheinlichkeit, einige davon in zeit genössischer Literatur vorzufinden.
Aus den oben aufgeführten Kategorien geht die Betonung der kommer- ziellen Mentalität der Amerikaner hervor; die ‚ merchant society ’ zeichnet sich einerseits durch ihren angeblich klassenlosen Charakter (zumindest in den nördlichen Staaten) sowie durch die Betonung des individuellen ökonomischen Erfolgs aus. Dies steht im Kontrast zum englischen Gentleman-Ideal, welches durch „Haltung, nicht durch Handeln“ (Gelfert 1995: 15) charakterisiert wird. Gerade die nördlichen Staaten, insbesondere jedoch die New Yorker Gesell- schaft „was seen by the British traveller to be a merchant society“ (Mulvey 1990: 22). Den Amerikanern wurde weiterhin nachgesagt, eine geradezu reli- giöse Verehrung vor dem Dollar an den Tag zu legen (vgl. ebd.: 25).
Eine Kategorisierung stereotyper Vorstellungen in bezug auf die Be- wohner einzelner Bundesstaaten (the Vermonter, the Ohioian etc.) wurde zwar angestrebt; letzlich etablierte sich jedoch eine grobe Zweiteilung (der ‚Yankee’ für den nördlichen, der ‚ planter ’ für den südlichen Teil der USA). Der Norden war verbunden mit der Handelsethik, der Süden mit Sklavenhaltung und Agrarstaatlichkeit (vgl. ebd. 33). Zu diesem Nord-Süd-Kontrast gesellte sich Mitte des 19. Jahrhunderts die Vorstellung vom ‚ Western man ’, der sich durch eine gewisse Abneigung gegenüber Arbeit auszeichnete, von der Jagd lebte und gerne unglaubwürdige Geschichten erzählte (vgl. ebd.: 49). Der Mythos des amerikanischen Westens fungierte gewissermaßen als Gegenentwurf zur Stadt; er wurde in der Regel mit „gunlaw, violence [and] excitement of men ready at any moment to fight to the death“ (ebd. 52) assoziiert.
Das Amerikabild Englands nach den beiden Weltkriegen ist aus einer Reihe von historischem Gründen nur schwer mit dem Deutschlandbild zu ver- gleichen. Einerseits kann schon allein aufgrund des militärischen Bündnisver- hältnisses der beiden Nationen vermutet werden, daß das Amerikabild sich in der englischen Literatur in einem sehr viel positiveren Licht niederschlägt als das der Deutschen. Andererseits muß das Verhältnis der einstigen Kolonial- macht England zu den ehemaligen Kolonien berücksichtigt werden, welches sich nach dem Ende des britischen Empires und dem Aufstieg der USA zur un- umstrittenen Weltmacht grundlegend verändert bzw. sogar ins Gegenteil ver- kehrt hat.
It was not easy for everyone in Britain to accept the shift in power relations and what followed it - the massive impact of America not just on Europe in general, but on the mythic role of a Britain that saw itself as the mother of democracy, the land of freedom, the longest-lasting European nation state. (Bradbury 1995: 414f)
Trotz allem ist in der englischen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg keine einheitliche Tendenz in der Amerikadarstellung auszumachen; das Bild teilt sich entweder in eine vorwiegend positive oder eine überwiegend negative Zeichnung Amerikas auf (vgl. Spiering 1992: 43 ff.).
Dabei weist die sogenannte ‚ anti-American novel ’ eine lange literari- sche Tradition auf; die negative Amerikawahrnehmung dominiert Romane wie Charles Dickens’ Martin Chuzzewit (1844), Anthony Trollopes The American Senator (1877) sowie Aldous Huxleys Brave New World (1932) (vgl. Spiering 1992: 47). „Just like Mrs. Trollope or Charles Dickens, modern British writers […] seemed to condescend from high over their American contemporaries“ (Bradbury 1995: 405). Sowohl Spiering als auch Bradbury führen als Parade- beispiel für die anti-American novel nach dem Zweiten Weltkrieg Evelyn Waughs The Loved Ones (1948) an: „Waugh’s impression of the American utopia/dystopia was shared by other British writers in his generation“ (Badbury 1995: 447).
Die pro-American novel, die sich durch ihre positive Wertschätzung Amerikas auszeichnet, ist sehr viel jünger als der antiamerikanische Roman. Obwohl es für eine positive Zeichnung Amerikas in der englischen Gesell- schaft durchaus Vorläufer gibt16, erreichte der proamerikanische Roman seine Blütezeit in der Zeit während und nach dem zweiten Weltkrieg (vgl. Bradbury 1995: 405). „It is only in the postwar period that the pro- and anti-American novel exist side by side, giving rise to texts defining Englishness in relation to two opposing counter images of Americanness” (Spiering 1992: 42). Als Bei- spiele für proamerikanische Romane nennt Spiering Kingsley Amis’ One Fat Englishman (1963), Malcolm Bradburys Stepping Westward (1965) und vor al- lem David Lodges Changing Places (1975), anhand dessen Beispiel die Züge des proamerikanischen Romans und die Zwei-Amerika-These erläutert werden (1992: 41ff).
The reason why the pro-American Anglo-American novel only began to flo- wer after the Second World War is not difficult to fathom. The authors con- cerned were young and belonged to a generation which, unlike Waugh’s, has no recollection of pre-war days of strawberries and wine. The formative years of these war-babies were the years of greyness and austerity in which the Eu- ropean mainland represented destruction and fear, whereas America, through the GIs stationed in Britain, supplied sweets and glossy magazines (Spiering 1992: 54f.).
Die parallele Existenz zweier dermaßen konträrer Bilder einer Nation mag An- laß zur Verwunderung geben, beweist aber aufs Neue den arbiträren Charakter nationaler Stereotypen und Images; weiterhin ist dies auch kein Einzelfall; ein ähnliches Phänomen kommt in Hinsicht auf englische Deutschlandbilder zum Tragen.
2.2.3 Deutschlandbilder - zwischen ‚häßlichen Deutschen’ und Wirtschaftswunder
Neben der Frage nach der Wirkung von Nationalstereotypen oder nationalen Images ist auch die Beschreibung deren Genese ein Anliegen der komparatisti- schen Imagologie (vgl. Kapitel 2.1.1). Günther Blaicher (1992: 13-43) be- schreibt „[ü]berzeitliche Klischees und Stereotype in der englischen Wahrneh- mung Deutschlands“. Da Stereotype gewissermaßen einen Fundus an Versatz- stücken bilden, die dem englischen Lesepublikum hinreichend bekannt sind und die daher auch von einem englischen Autor in seinen Werken aus ver- schiedenen Beweggründen verwendet werden können, sollen diese verschiede- nen Stereotypen näher betrachtet werden.
Der Begriff ‚ furor teutonicus ’ wurde zum Inbegriff für den ungezügel- ten Kampfesmut der Teutonen, die das alte Rom in Angst und Schrecken ver- setzten. Schon im mittelalterlichen England stand die Bezeichnung für die „un- christliche Kampfeslust der Deutschen“ und deren Aggressivität (ebd.: 14), war jedoch situationsabhängig sowohl positiv als auch negativ belegt.
Das Bild des ‚ cloudy metaphysician ’ beinhaltet die Vorstellung von der „Welt- und Wirklichkeitsfremdheit der Deutschen, die sich lieber in metaphyischen Spekulationen ergehen als in der konkreten Wirklichkeit zu leben und diese zu gestalten“ (ebd.: 14). Es geht zurück auf Mme de Staël, die mit ihrem Werk De l ’ Allmagne (1813) das Bild der Deutschen als Volk der Dichter und Denker maßgeblich geprägt hat. Obwohl die Vorstellung vom ‚ cloudy metaphysician ’ eher negative Konnotationen aufweist (vgl. ebd.: 15), gibt es doch in der engli schen Literatur Kritik an diesem Stereotyp. In ihrem Essay „A Word for the Germans“ zeichnet George Eliot (1911) ein ambivalentes Deutschlandbild. Einerseits lobt sie die Gründlichkeit und Präzision, mit der die Deutschen Forschung betreiben; andererseits übt sie Kritik an deren Theorielastigkeit und an deren umständlichen Schreibstil.17
Die Vorstellung der Cousins German ist ein Paradebeispiel für die (wenn auch langsame) Wandelbarkeit von Stereotypen und verweist auch auf die Rolle, die die Historiographie bei der Konstruktion und Dekonstruktion na- tionaler Bilder spielt. Wie der Begriff schon impliziert, basiert dieses Stereotyp auf der Betonung einer stammesmäßigen Verwandtschaft mit den Deutschen. Aufgrund politischer Ereignisse ab der Mitte des 19. Jahrhunderts (der Sieg bei Sedan, die deutsche Reichsgründung u.a.) war dieses positive Deutschlandbild schließlich nicht mehr haltbar. Deutschland erschien jetzt als Bedrohung (vgl. ebd.: 21), „der Hinweis auf die Verwandtschaft mit dem ‚Cousin German’ [wurde] zu einer Peinlichkeit“ (ebd.: 22). Auf dem Gebiet der englischen Ge- schichtsschreibung wurde daher eine wachsende Differenz der beiden Nationen hervorgehoben mit dem Zweck der Abgrenzung (vgl. ebd.: 22).18
Mittlerweile existiert eine Reihe von abwertenden Bezeichnungen für die Deutschen. Die wohl Bekanntesten sind huns, krauts und jerries. Diese Be- zeichnungen entstanden in den beiden Weltkriegen und wurden vor allem durch englische Kriegspropaganda verbreitet (vgl. ebd.: 24). Die Bezeichnung „Krauts“ ist ein Beispiel für die begriffliche Reduktion einer Nation auf ein vermeintliches Nationalgericht; dies hat eine abwertende Wirkungstendenz.19 Mit welchen unangenehmen Konnotationen das Sauerkraut in der englischen Kultur verbunden sein kann, zeigt Katherine Mansfield (1911/1964: 10) in ih- rer Kurzgeschichte „Germans at Meat“:
[...]
1 Die vermutlich häufiger verwandte Variante ist jedoch die Selbsterhöhung der eigenen Nation bei gleichzeitiger Abwertung der Fremden.
2 Von dieser BBC-Serie existieren 2 Staffeln mit jeweils 6 Folgen. Die erste Staffel wurde ab September 1975 wöchentlich ausgestrahlt, die zweite Staffel ab Februar 1979. Die Serie ist mittlerweile als DVD erhältlich. Das komplette Skript der Serie wurde in Buchform veröffent- licht: Cleese, John und Connie Booth. 1988. The Complete Fawlty Towers. New York: Panthe- on Books.
3 O’Sullivan (1989: 59f.) spricht diesbezüglich von der „nicht immer ganz freiwilligen Verwendung von nationalen Stereotypen“.
4 Dies beruhte auf der negativen Bewertung des Stereotypenbegriffs und der Gleichsetzung mit dem Begriff ‚Vorurteil’.
5 vgl. auch Bleicher 1980: 12.
6 vgl. hierzu Kapitel 2.1.4
7 Vgl. Zijderfeld 1987:28.
8 Die Langlebigkeit literarischer Stereotype wird auch in Günther Blaichers Monographie Das Deutschlandbild in der englischen Literatur (1992) ersichtlich, in der er unter anderem die Entwicklung überzeitlicher Deutschlandstereotype in der englischen Literatur darstellt (13f.). In dieser Arbeit werden diese in Kapitel 2.2.3 vorgestellt.
9 Zum Verhältnis der Stereotypenforschung zur Vorurteilsforschung vgl. Six 1989: 50f.
10 Paxman (1998:29) zitiert die berühmte Überschrift aus der Times: „FOG IN CHANNEL - CONTINENT CUT OFF“, die er als bezeichnend ist für das Verhältnis der Engländer zu Euro- pa ansieht.
11 In England, England (1998: 38) wird dieses Problem auch explizit thematisiert: „[W]ould England ever lose her strong and unique individuality established over so many centuries if [...] Wales and Scotland and Northern Ireland decided to bugger off?”
12 „The dominant role of the English is recognized implicitly in the numerous histories of Britain and the British Empire that are called ‚A History of England’.” In: „England.” Britannica 2001, CD-Rom-Ausgabe.
13 Wie dies in der Literatur umgesetzt wird, beschreibt Vera Nünning (2001) in ihrem Artikel „The Invention of Cultural Traditions“.
14 Das Ausmaß dieses Interesses wird deutlich, wenn man sich die Anzahl der Erscheinungen auf wissenschaftlicher Ebene ansieht. Bezüglich des Themas ‚Deutschlandbilder’ anderer Länder sind bereits mehrere Sammelbände erschienen. Zu nennen sind hier vor allem Trautmann (1991) sowie Stierstorfer (2003). Erhellend ist auch Blaichers Monographie Das Deutschland bild in der englischen Literatur (1992).
15 Stanzel (1974: 74ff.) beschreibt „die diffizile Problematik des Verhältnisses von Realität zu Fiktion“ bei Reise- und Völkerbeschreibungen: Durch die Kriterien der Präformierung (Erwar- tungen des Reisenden vor Reisebeginn), Selektion während der Reise und der Abfassung nach Ende der Reise sind Reiseberichte nach Stanzels Auffassung mit fiktionalen Elementen durch- setzt.
16 Spiering (1992: 49) erwähnt in ihren Ausführungen diesbezüglich das Bild des ‚ noble sava ge ’ . „[America] has been seen as […] a place where, as opposed to the decadent Old World, purity and simplicity still survive.“
17 „It is true that the German rarely writes well, rarely arranges his matter well or manages it with economy, and therefore seldom produces a good book in the fullest sense of the word” (Eliot 1963: 389).
18 Im Modell des kulturellen Gedächtnisses von Assmann (vgl. Kapitel 2.1.4) würde dies durch ‚Rekonstruktivität’ des kollektiven Gedächtnisses verdeutlichen; es zeigt weiterhin, wie wenig Historiographie mit ‚Wahrheit’ gleichzusetzen ist und macht deren konstrukthaften Charakter deutlich. Dies ist relevant für die Analyse von England, England (vgl. Kapitel 5).
19 In der englischen Literatur gibt es weitere Beispiele für diese Art des kulinarischen Chauvinismus. Sehr gebräuchlich war die Bezeichnung frogs für die Franzosen, denen man auch heute in England noch nachsagt, sie würden die unmöglichsten Dinge essen.
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