Die Kriegsheimkehrerproblematik in Joseph Roths Romanen


Hausarbeit, 2004

15 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Innere Kampfhandlungen
1. 1. Die zerrüttete Wahrnehmung

2. Die zerrüttete Wahrnehmung als formales Prinzip in Hotel Savoy
2. 1. Gabriel Dan
2. 2. Erinnerungssplitter
2. 3. Paranoia

3. Formale Gestaltung

4. Flucht ohne Ende
4. 1. "Ich finde mich hier nicht mehr zurecht, es ist eine fremde Welt."
4. 2. Formale Gestaltung

5. Schluss

Literaturverzeichnis

Das Dröhnen der Zeit Joseph Roths ist unzweifelhaft der erste Weltkrieg. Dieser erste "moderne Krieg" stellt sowohl historisch wie auch gesellschaftlich eine Zäsur im Leben von Millionen dar.

Ein wichtiges Leitthema der Prosa Joseph Roths, zumindest der ersten "Schaffensphase", ist der Erste Weltkrieg. Selbst Kriegsteilnehmer, und wie viele Schriftsteller seiner Generation durch den Ersten Weltkrieg mit einer völlig neuen Lebensrealität konfrontiert, scheint die Auseinandersetzung mit dem Krieg für Roths Werk essentiell. Allerdings, und das verrät auch das vorangestellte Zitat, zeigt sich der Krieg in Roths Werk nicht in seinem offensichtlichen Schrecken, hier werden keine Frontberichte abgeliefert, sondern ein subtilerer Umgang mit den Wunden gepflegt, die der Erste Weltkrieg geschlagen hat. Der "Große Krieg" bleibt das hintergründige "Dröhnen der Zeit", das sich als "Grundrauschen", als immer präsentes Geräusch durch Roths frühe Romane zieht.

Roths Werke Flucht ohne Ende, Die Rebellion und Hotel Savoy, die sich explizit auf den Krieg beziehen, sind Erzählungen der Nachkriegszeit, ihre Protagonisten sind keine Soldaten mehr, sie sind Kriegsheimkehrer.

Roths Heimkehrer sind Gestalten eines ganz bestimmten Typus. Sie sind literarische Repräsentationen der "verlorenen Generation", jener Generation von jungen Soldaten, der auch Roth und viele seiner Kollegen angehören. Der Leser hat es hier mit Figuren zu tun, die nicht einfach Überlebende sind. Sie sind nicht die Glücklichen, die den Gräueln des Krieges entkommen sind. Unabhängig ob man von Tunda, Dan oder Pum spricht, spricht man über literarische Figuren, deren Gehalt vor allem in dem Bruch liegt, der wie ein tiefer Graben durch ihren Charakter zu laufen scheint. Die innerliche Zerrissenheit, die charakterliche Inkonsistenz der Figuren äußert sich auf völlig verschiedene Weise, abhängig davon, inwiefern sie dazu in der Lage sind, die Verstörungen und Eindrücke des Kriegs zu verarbeiten. Während Gabriel Dan aus Hotel Savoy der Kriegserfahrung intellektuell beizukommen trachtet, schlägt sie sich im Falle Franz Tundas aus Flucht ohne Ende in dessen Unfähigkeit nieder, eine erneute Verbindung zu seiner Umwelt aufzubauen, wie es vor dem Krieg der Fall war.

In der vorliegenden Arbeit sollen psychologische und psychosomatische Folgen des Ersten Weltkriegs und deren literarische Bearbeitung durch Joseph Roth und andere Künstler seiner Zeit untersucht werden. Dabei werde ich mich vor allem auf "Hotel Savoy" und weiterführend auch auf "Flucht ohne Ende" beziehen. Im Grundgedanken folgt die Arbeit Thomas Düllos Beobachtung, dass "Hotel Savoy" typische "Kriegsheimkehrerthemen" bis in die formale Gestaltung hinein verarbeitet.

1. Innere Kampfhandlungen

Aus "Im Westen nichts Neues":

"Es wird überhaupt schwer werden mit uns allen. Ob die sich in der

Heimat eigentlich nicht manchmal Sorgen machen deswegen?

Zwei Jahre Schießen und Handgranaten- das kann man doch nicht

ausziehen wie einen Strumpf nachher."[1]

Die Frage, die sich Remarques Soldat Kropp noch im Feld stellt ist berechtigt und wird für Joseph Roths Auseinandersetzung mit dem Problem der Kriegsgeneration zur zentralen Frage. Weder ist geklärt, was mit den kämpfenden Soldaten nach Kriegsende geschehen soll - und das ganz unabhängig von Sieg oder Niederlage- noch ist zu erwarten, dass sie die Erlebnisse aus der Kriegszeit einfach hinter sich lassen können, geschweige denn vergessen. Die Heimkehr wird für die Protagonisten zu einem ewigen Dilemma, weil die Heimat, die den Grund für Heimkehr erst liefern würde, nicht mehr existiert. Stattdessen finden sich Roths literarische Figuren in einer realen Entsprechung zu Nietzsches Ausspruch von "transzendentaler Heimatlosigkeit"[2] wieder. Nach dem Krieg ist nicht nur "Gott tot"[3], sondern auch die meisten Freunde und Bekannten, die Heimat ist verschwunden, der Begriff von Moral und Gesellschaft, der den Figuren vor ihren Erlebnissen innewohnte, überholt.

Die persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Folgen des Ersten Weltkriegs sind weitreichend und radikal. Die bisherigen politischen Machtstrukturen in Europa finden mit dem Zusammenbruch der Großmächte Preußen, Österreich und der kommunistischen Revolution im Zarentum Russland ein Ende. Klaus Bohnen weist darauf hin, dass "die Frage nach der Heimat" in Joseph Roths Romanen auch zu einer Frage "nach einer Ordnung"[4] wird. Und so zeigen sich die Kriegsheimkehrer Roths vor allem unfähig, eine neue Ordnung anzunehmen und sich in ihr zurecht zu finden.

"Roths Werk zeugt von einer elementaren Heimatlosigkeit

und Fremderfahrung, das betrifft auch die nationale und

kulturelle Identität."[5]

1. 1. Die zerrüttete Wahrnehmung

Im Vergleich zu bisherigen, "herkömmlichen" Kriegen erfahren die kämpfenden Soldaten des ersten Weltkriegs eine besondere Veränderung. Die Industrialisierung der Kampfhandlung hebt die Dimension der bis dahin bekannten Kriege auf und verwischte die Grenze zwischen Individuum und Kriegsmaschinerie. Einheitlich wird eine fast paradoxe Wahrnehmung -pendelnd zwischen direkt erfahrener äußerster Grausamkeit und dem völligen Fehlen von "Feindkontakt"- beschrieben. Die fortgeschrittene Technisierung der Kriegsabläufe, die erstmals U- Boote, Luftwaffe, Panzer und Giftgas einbezieht, entrückt die Individuelle Wahrnehmung vom Schauplatz der Konfrontation in eine übergeordnete Position. Der Kampf "Mann gegen Mann" findet in einem neuen, durch die weiterentwickelte Kriegstechnik umorganisierten Schlachtfeld statt. An seine Stelle tritt die ständige paranoide Bedrohung eines imaginierten Fadenkreuzes, das von einem unsichtbaren Punkt aus dem Soldaten auf die Brust geheftet ist.

Im Gegensatz dazu stehen die mit äußerster Brutalität ausgetragenen Grabenkämpfe, in denen die Kämpfer beider Parteien teilweise wochenlang nur zwanzig Meter voneinander entfernt liegen und sich trotzdem erst im letzten Moment -wenn überhaupt- als greifbare Individuen gegenüberstehen.

"Die durch die indirekte Sicht bewirkte unerwartete Phasenverschiebung

gab dem Soldaten das Gefühl, weniger zerstört als vielmehr

entwirklicht, entmaterialisiert zuwerden."[6] (Virilio, S. 26)

Die Wirklichkeit des Krieges ist mit den erlernten Wahrnehmungsmöglichkeiten nicht zu meistern. Der Soldat findet sich nicht mehr als Herr seiner selbst, sondern als funktionierendes oder auszutauschendes Zahnrädchen der Kriegsmaschinerie. Die Wahrnehmung ist diffus und ungerichtet und nicht mehr als kausal zusammenhängende Kette aufzuarbeiten, es bleiben nur "unverbundene Erfahrungssplitter"[7]. Remarque beschreibt in "Im Westen nichts Neues" diese Erfahrung:

[...]


[1] Remarque, Erich Maria : "Im Westen nichts Neues", Berlin, 1929. S.91 weiter zitiert als "Remarque"

[2] Der Ausdruck der "transzendentalen Heimatlosigkeit" stammt von Georg Lukasz. Er wird im Zusammenhang mit seiner Analyse der Nihilismuskritik von Nietzsche verwendet.

[3] Nietzsche, Friedrich : "Die fröhliche Wissenschaft", Leipzig, 1906. S.649

[4] Bohnen, Klaus: "Flucht in die >Heimat<; Zu den Erzählungen Joseph Roths" in: Joseph Roth: Werk und Wirkung/ Bernd M. Kraske (Hrsg.), Bonn, 1988. S. 59

[5] Wolfgang Müller-Funk: "Joseph Roth". München, 1989. S. 14.

[6] Virilio, Paul: "Krieg und Kino- Logistik der Warnehmung". München, Wien, 1991. S. 26 im folgenden als "Virilio" zitiert

[7] Düllo, Thomas: "Zufall und Melancholie: Untersuchungen zur Kontingenzsemantik in Texten von Joseph Roth". Münster, Hamburg, 1994. S. 24

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Kriegsheimkehrerproblematik in Joseph Roths Romanen
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Deutsche und Niederländische Philologie)
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
15
Katalognummer
V29028
ISBN (eBook)
9783638306560
ISBN (Buch)
9783640631650
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hausarbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Romane "Hotel Savoy" und "Flucht ohne Ende".
Schlagworte
Kriegsheimkehrerproblematik, Joseph, Roths, Romanen
Arbeit zitieren
Timo Richard (Autor:in), 2004, Die Kriegsheimkehrerproblematik in Joseph Roths Romanen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29028

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