Die Figur der "Femme Fatale" im Film Noir


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

1) Historisch-soziale Bedingungen für die Entstehung der Figur der “Femme Fatale”
a) Der deutsche Expressionismus und die schwarze Romantik als Vorläufer des Noirs
b) Veränderung der Frauenrolle in den USA
c) Das Frauenbild im amerikanischen Kino vor dem Film Noir

2) Stilistische und inhaltliche Besonderheiten des Film Noir
a) Allgemeine Charakteristiken
b) Besonderheiten in der Frauenfigur des Film Noir

3) Die verschiedenen Typen derFemme Fataleim Film Noir in bezug auf den Plot und ihre Darstellungsweise (Filmbeispiele)
a) Die Urform derFemme Fatalei
I) “The dark Mirror”
II) “The Killers”
III) “Double Indemnity”
b) Mischformen derFemme Fatale
I) "The Postman always rings twice”
II) “Gilda”
c) Der erste und der letzte Film Noir und ihr Frauenbild
I) "The Maltese Falcon"
II) "Touch of Evil"

4) Ausblick: Das Abbild der Frau im amerikanischen Kino nach dem Film Noir

5) Bibliographie

“Maybe I’ll live so long that I’ll forget her. Maybe I’ll die, trying” (Welles in “the Lady from Shanghai”)

“Film Noir is full of appallingly seductive women of deceitfully angelic appearance. The men always buy them a drink, and life suddenly becomes a nightmare” (Jack Shadoian in "Dreams and Dead ends")

1) Historisch-soziale Bedingungen für die Entstehung der Figur der “Femme Fatale”

a) Der deutsche Expressionismus und die schwarze Romantik als Vorläufer des Noir

“Die Klassik ist das Gesunde, die Romantik das Kranke” (Goethe)

Die deutsche Romantik, im speziellen die “schwarze Romantik” (Ende des 19. Jahrhunderts) um den “Geisterhoffmann” (E. T. A. Hoffmann) kann in ihren Themen und Motiven als Inspiration für den deutschen Expressionismus im filmischen Bereich (1919-1924) und somit auch als eine der Grundlagen des Film Noir im amerikanischen Kino (ca. 1941-1958) gesehen werden. Diesen drei Epochen ist historisch gesehen eines gemein: es sind Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, bedingt durch Kriege und soziale Umwälzungen. Es entsteht immer eine gewisse Leere in und nach einem solchen Wertewandel, der nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Lebens, sondern auch die persönlichen Erklärungsmaßstäbe der eigenen privaten Welt zutiefst erschüttert. Es werden neue Erklärungsmasken für das Unberechenbare, Schicksalhafte, was über einen vermeintlich hereinbricht, gesucht. Die Selbstbestimmtheit des Individuums und die Freiheit des eigenen Handelns scheinen nicht mehr gegeben. In solchen Zeiten der Krise ist es v.a. an der Kunst, Erklärungen zu finden und die Ängste der Menschen auszudrücken und zu reflektieren.

Die Romantiker um Novalis, Tieck und Hoffmann wandten sich gegen die heile Welt der Klassik, die hauptsächlich das Edle im Menschen propagierte. Sie behaupteten, dass dies nur die halbe Seite des Wesens und des Lebens wäre, die Tagseite, und setzten dieser in ihren Werken die Nacht, die Schattenseite des Menschen und der Welt entgegen. Sie schrieben über das Unerklärbare, die Abgründe in der Seele des Menschen und fanden ihre romantische Welt in Märchen und Mythengestalten, in Projektionen der Alpträume und Ängste der Menschen. Bei Hoffmann z.B. fällt die Wirklichkeit auseinander, Dämonen brechen unvorhersehbar in den Alltag des Menschen ein. Bei Novalis überwiegt die Sehnsucht nach der Nacht als stiller Raum, in der nur der Tod und die Liebe die Träume der Menschen besuchen. Ihre Helden wandeln unbehaust, meist von Leidenschaft und Todessehnsucht getrieben, durch eine unberechenbare Welt. Frauen sind oft die Gefäße und das Unerreichbare, in welche die irrationalen Sinneserfahrungen hinein projiziert werden.

Nach dem 1.Weltkrieg 1918 bietet sich in den Künsten ein ähnliches Bild. Die Auflösung der Monarchie und der Alptraum des Krieges hinterlassen ein Werte- und Identitätsvakuum, welches sich im Expressionismus niederschlägt. Der Expressionismus richtet sein Augenmerk nicht mehr auf die Abbildung einer rationalen Wirklichkeit, sondern richtet den Blick auf das Innere des Menschen, seine subjektiven Empfindungen. Er externalisiert Seelenzustände und Gefühle, die nichts mit “objektiven” Wahrheiten zu tun haben. Die äußere Welt ist die Negativfolie zu der persönlich erlebten Welt. Im Gegensatz zu den anderen Künsten, gibt es im filmischen Expressionismus (Stroheim, Murnau, Lang) die Utopie der Erneuerung jedoch nicht, er steht der modernen Welt mit mehr Skepsis gegenüber. In den Filmen des deutschen Expressionismus ist das Ich des Menschen gespalten. Irrationale Wahnvorstellungen, verschiedene unerklärbare Bewußtseinsebenen und Figuren, Angstzustände und die Mystik des Schicksals, was unvorhergesehen und unbeeinflußbar über den Menschen hereinbricht, spiegeln sich in ihren Geschichten wider. ("Das Kabinett des Dr. Caligari" (Wiene, 1920), "Nosferatu" (Murnau, 1921/22), "Der Student von Prag" (Stellan Rye, 1913), "Von Morgens bis Mitternachts" (1920), “Schatten” (1923), "Metropolis" (F.Lang, 1925-27) etc.). Die Möglichkeit, Situationen aus einem normativen, rationalen Weltbild zu erklären, schlägt fehl. Die Protagonisten sind Leidenschaften, Versuchungen und einer “bösen” Moderne (der Urbanisierung) unterworfen und scheitern meist an sich selber. Die wieder entdeckten Mythen und ein verändertes Rollenverhältnis Mann-Frau bewirken mehr und mehr ein anderes Frauenbild in den Künsten, die meist von Männerhand geschaffen sind. Die christliche Mythologie der Polarisierung des Frauentypus auf die Mutter Maria, die Heilige und Tugendhafte, und Eva, die Sünderin und Verführerin der Menschheit, gewinnt wieder an Bedeutung. Die Frau kommt entweder als himmelsgleiches Wesen, oder als ultimative Versuchung, faszinierend jedoch unfassbar auf Leinwand und Film. Der Mann ist ihr ausgeliefert, sie wird zu seinem Schicksal. (ähnlich auch in anderen künsten reflektiert: z.B. die Frauenfiguren von Klimt, “Salome” von Lovis Corinth, “Circe” von Franz von Stuck, die Pre-Raffaeliten etc.)

Im Film “Metropolis” von Fritz Lang wird das Dilemma des Mannes, weibliche Tugend und weibliche Sünde auseinanderzuhalten, in Form der Maria und ihrer Doppelgängerin (einer Roboterfrau) materialisiert. Die verführerische Kunstfigur, die Objekt der Begierde einer kollektiven Gemeinschaft wird, ist die Verkörperung der männlichen Angstvorstellung, Sein und Schein nicht mehr auseinanderhalten zu können. Eine sexuell anziehende Wahnvorstellung, derer man mit rationalen Mitteln nicht mehr habhaft werden kann und ihr so zumindest vorerst ausgeliefert ist. Die Verunsicherung und Irritation, die von dieser undurchschaubaren Physis ausgeht, wird erst überwunden, als am Ende das Trugbild vernichtet wird und die “heilige” Frau, Maria, allein zurückbleibt. Ähnlich wie in “Metropolis”, entspricht auch in “Die Straße” 1923, “Erdgeist”, 1923, “Die freudlose Gasse” 1925, die äußerliche Attraktivität einer Frau nicht ihrem inneren Wesen. Schönheit und Begehren wird mit Manipulation und dem Bösen gepaart in diesen Frauen, was sie zu gefährlichen, unberechenbaren Figuren macht, wie später auch die Femme Fatale im Film Noir. Im deutschen Expressionismus haben diese Frauen noch stark überzeichnet geschminkte Gesichter, die maskenhaft versuchen, das wahre Innere zu übertuschen, im Film Noir ist es nur ihre physische Attraktivität und die Art ihrer Darstellung, die ihre Janusköpfigkeit ausdrücken.

b) Veränderung der Frauenrolle in den USA

Mit dem Kriegseintritt der USA (1941-Pearl Harbour) veränderten sich die traditionellen sozialen Strukturen in der Gesellschaft. Vor allem das Rollenverhältnis zwischen Mann und Frau, welches primär familienorientiert war, brach zusammen. 1942 waren schon 11 Millionen amerikanische Männer im Krieg. Das bedeutete, dass die Frau nicht nur in einer völlig veränderten privaten Situation lebte, sondern auch mehr und mehr die Aufgaben, die zuvor der Mann erfüllt hatte, übernehmen musste. In der Familie bedeutete dies, eine neue Autorität und Selbstbestimmtheit zu haben. Im gesellschaftlichen Umfeld eines Landes, welches sich im Kriegszustand befand, musste die Frau arbeiten gehen. Sie gingen auch in die traditionellen Männerberufe: ab 1941 waren über 4 Millionen Frauen allein in der Rüstungsindustrie tätig. Dieses neue Leben der Frauen bewirkte nicht nur ein neues Selbstbewusstsein und Selbstverständnis, sondern auch ihre ökonomische, politische und sexuelle Freiheit. Die Frau sieht sich nicht mehr nur in Beziehung zu ihrem Mann und ihrer Familie, sondern auch als individuelles Wesen mit Sehnsüchten, Träumen und einer konkreten Erwartung an das Leben. Sie wird sich ihrer bewusst und erlangt dadurch Macht über sich und ihr Leben.

Die heimkehrenden Männer, verunsichert und gezeichnet von der Kriegserfahrung, verstehen oftmals diese neue Situation nicht, fühlen sich als Fremde im eigenen Land und in der eigenen Familie. Sie haben Angst vor diesen neuen, unkontrollierbaren Frauen, die auf einmal die Forderung nach einem neuen und besseren Leben stellen.

Diese Irritation und Verunsicherung des Mannes, der seine Macht schwinden sieht, wird im Film Noir in die Figur der Femme Fatale projiziert. Mordende, unbegreifliche Verführerinnen werden zum Alptraum des Mannes, ebenso wie die Angst, die eigene Frau nicht mehr wiederzufinden oder zu erkennen. Zu der gesellschaftlichen Krise kommt die private: die vermeintlich all-umfassende Liebe und Loyalität der Ehefrau, die man im festen Schoß der Familie glaubte zerbricht an der Realität.

Dazu kommt die Verunsicherung der politischen und wirtschaftlichen Lage nach dem Krieg: die Depression, hohe Arbeitslosigkeit, die Angst vor dem kalten Krieg, das Fehlen eines normativen Rechtssystems und von moralischen Werten, die Gut und Böse hätte sichtbar machen können. Die Figur der Femme Fatale wird zum Erklärungsversuch der irrationalen Angstvorstellungen der Männer, die in ihrer eigenen Schwäche sich diesem Schicksal hilflos ausgeliefert fühlten. Sie wird zum Sündenbock ihres Scheiterns, auch im realen Leben. Ein gutes Beispiel für 2 typische Nachkriegsfrauenfiguren kann man im Film “Kreuzverhör” (1947) erkennen. Zum Einen tritt in einer Nebenrolle die Frau eines, vom Krieg verunsicherten, Soldaten auf – eine idealisierte Ehefrau, die loyal auf ihren Mann gewartet hat, und trotz seines Ehebruchs ihm treu zur Seite steht und ihn versucht zu retten. Zum Anderen die “arbeitende” Frau, die sich von Männern unabhängig gemacht hat, ihre Sehnsüchte auslebt indem sie wechselnde Männer zu sich nach Hause einlädt. Ihr verrückt gewordener Ehemann, der sie immer noch besucht und liebt, ist ihr zuwider.

c) Das Frauenbild im amerikanischen Kino vor dem Film Noir

Der Filmmarkt in den USA industrialisierte sich schnell in den 1920er Jahren. Die Produktionsstrukturen und das Aufkommen des Studiosystems bedingte die Favorisierung bestimmter Filmgenres und eine relativ eingeschränkte Freiheit der Filmschaffenden. In Europa war das Gegenteil der Fall, hier galt der Film noch lange als Kunstform, der eng mit den anderen Künsten zusammenarbeitete und die sich gegenseitig beeinflussten. Da man nicht nur Genre-spezifisch für den kommerziellen Erfolg arbeitete, gab es eine andere künstlerische Freiheit, welche die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themata erlaubte und verantwortlich für den deutschen Expressionismus, wie oben beschrieben, war. In den USA wurde das Kino zur Ablenkung vom Leben. Filme sollten hauptsächlich unterhalten und träumen lassen. So kam nach den eher komödiantischen Filmen um Charlie Chaplin und Buster Keaton eine starke romantische Filmwelle, deren zentrale Frauengestalt wohl Greta Garbo war (ab 1925). Die Frauenfiguren im amerikanischen Kino vor der Noir-Zeit waren, wie die Filme auch, von einem naiven Wunschdenken der Filmemacher geprägt und blieben den traditionellen Mustern und Wertvorstellungen Amerikas treu. Sie waren meist Nebenfiguren in den Filmen, in der Opferrolle oder als Hauptgewinn des Helden am Ende des Filmes, nachdem er seine Abenteuer durchgestanden hatte. ("Stella Dallas", 1925 / "La Bohême", 1925 / "The Torrent", 1925 / "The Garden of Allah", 1927 / "The Road to Romance", 1927./ "Dream of Love",.1928). Die Frauen hatten meist Objektstatus, Männer durften um sie kämpfen, sie selber durften selten ein handelndes Subjekt werden.

Ansonsten gab es die ersten filmischen Umsetzungen des Musicals, welches die Frauen auch eher in der Rolle der verklärten, liebenden Ehefrau sah, und natürlich die Western (Ford/Hawks), in denen der einsame Cowboy letztendlich doch eher sein Pferd und seine Freiheit mehr liebte, als die Frau. In den 1930ern war es dann Sternheim, der durch seine Romanzen Menschen zum Weinen brachte. Die Frauenrollen wurden jedoch stärker ("Gone with the Wind", 1938 / "Jezebel", 1938) und waren nicht mehr so naiv-schulmädchenhaft wie zuvor. Eine weitere Figur der 1920er Jahre, die später mit in die Femme Fatale einfließt, ist der “Vamp”. Der “Vamp” benutzt sein Selbstbewußtsein, seine Stärke und Erotik allerdings zum Selbstzweck, nicht wie die Femme Fatale später als ein Mittel zu einem übergeordneten Ziel.

Das Erscheinen starker Schauspielerinnen (Marlene Dietrich, Bette Davies, Joan Crawford, Aann Sheridan, Barbara Stanwyck, Greer Garson, Katherine Hepburn, Ava Gardner, Rita Hayworth) und das Bedürfnis des Publikums, auch ihre weiblichen Stars zu haben, ebneten so den Weg für den Film Noir und ermöglichte, die Frau vom Beiwerk zum starken Antagonisten, also mitten in das Zentrum der filmischen Handlung zu bringen.

2) Stilistische und inhaltliche Besonderheiten des Film Noir

a) Allgemeine Charakteristiken

Der Film Noir (1941-1958) ist kein filmisches Genre, eher eine Stimmung, die auf den sozial-historischen Begebenheiten der Epoche beruhte und sich in verschiedenen Formen auf das filmische Schaffen in den USA auswirkte. Er trägt seine Wurzeln in der “schwarzen Romantik” und im deutschen Expressionismus, dessen Emigranten in dieser Epoche ihre Handschrift deutlich im Film Noir hinterließen.

Der Film Noir zeichnet sich v.a. dadurch aus, dass er mit den alten Hollywood Konventionen in Inhalt und Form bricht. Er zerstört die illusionäre Harmonie der früheren Filme und weigert sich dem Gut-Böse-Schemata des klassischen Dramas zu folgen. Der Film Noir geht, wie schon davor die schwarze Romantik und der Expressionismus auf die Schattenseiten des Lebens, eine Reise auf die schwarze Seite des Menschen. Die Welt versucht man darzustellen, wie man sie tatsächlich erlebt: ein Chaos aus Eindrücken und Erfahrungen, ohne Leuchtturm, an dem man sich orientieren könnte. Haltlos wird der Mensch im Vakuum moralischer Normen, in einer instabilen und unberechenbaren Welt von Versuchungen und Verbrechen hin und her gerissen.

Der amerikanische Traum von der Selbstbestimmtheit des Individuums, welches in Freiheit handelt und nach seinem individuellen Glück strebt, wird in den Alptraum einer ewig dauernden Nacht im Dschungel der urbanen Stadt verwandelt, in dem der sozial ungebundene Protagonist willkürlich agierenden Schicksalskräften unterworfen ist. Der Film Noir versucht so die reale, verunsicherte und sich im Wandel befindende Welt nach dem 2. Weltkrieg in eine Filmische umzusetzen, ohne eine moralische Stellungnahme abzugeben. Die Figuren des Film Noir sind Durchschnittsmenschen, Charakterstudien der Realität. Kein Charakter ist moralisch integer, sie sind immer ambivalent. Als Hauptmerkmal ist allen das bedrohte Ich gemein, ein Verlust der Einheit der Persönlichkeit, ein Dilemma der Existenz von Gut und Böse zur selben Zeit. Der Glaube an staatliche Institutionen oder an wahre, andauernde Liebe ist verschwunden.

Die Geschichten des Film Noir sind genauso gebrochen und unberechenbar wie seine Charaktere. Meist geht es um ein Verbrechen (Mord), welches nicht immer begangen werden muss. Die Planung reicht schon aus, um fortan die Handlungen und Gefühle der Protagonisten zu bestimmen und ihr Leben zu vernichten. Nicht die Handlung ist wichtig, sondern der Charakter. Es sind keine klassischen “whodunit” Erzählungen, es ist nicht wichtig, wer gehandelt hat, sondern das Warum und wie sich der Protagonist im weiteren Verlauf verhalten wird. Die psychische Struktur des Todes ist wichtiger als die Tat an sich.

Die filmischen Orte sind von Dunkelheit geprägt, die Handlung spielt vorwiegend nachts oder in geschlossenen Räumen, die meist von Licht-/Schattenspielen (oft Gitterstrukturen) durchzogen sind, um die Gefühle der Protagonisten widerzuspiegeln: das Gefangensein in sich selber. Kamerapositionen und Lichtführung sind somit stark expressionistisch geprägt und wie die Symbolik der Requisiten dazu da, innere Brüche und Seelenzustände zu visualisieren.

b) Besonderheiten in der Frauenfigur des Film Noir

Fatal: lateinisch von fatum = Schicksal, fatal = verhängnisvoll

In dieser neuen filmischen Welt verändert sich auch die Figur der Frau, als Femme Fatale wird sie in vielen Film Noir zum Zentrum des filmischen Geschehens, zum handlungsauslösenden Moment. Sie gewinnt Bewusstsein und Macht über sich selber und wird so vom “Objektstatus” der früheren Filme in ein handelndes Subjekt gehoben.

Wie schon in der christlichen Mythologie Eva, die Sünderin, das Verhängnis der Menschheit wurde, oder die schöne Helena den trojanischen Krieg auslöste, weil Paris sie nur für sich haben wollte, ist die Femme Fatale ein moderner amerikanischer Mythos, die Projektion der männlichen Ängste und Lüste vor dem Unvorhersehbaren, Unbegreifbaren. Die Femme s im Film Noir beherrschen das Universum des Protagonisten, sie werden zu seinem Antagonisten, bekommen Macht über ihn, ohne dass der “Held” sie durchschauen kann. Die Figur der Femme Fatale wird für den Protagonisten zum oft tödlichen Verhängnis.

Die Femme s sind selten sozial gebunden, Familie und Ehemann sind eher ein Gefängnis für sie und ihre Intelligenz (dies steht im Gegensatz zu früheren amerikanischen Filmen, in denen die Familie immer das Mittel der sozialen Wiedereingliederung der Frau war), ein “Muss”, da in den traditionellen amerikanischen Werten es am wichtigsten ist, eine “Funktion” in der Gesellschaft zu haben. Die typische Ich-Spaltung aller Figuren des Film Noir ist bei der Femme Fatale nicht charakterlich inhärent. Sie zeigt sich also nicht unbedingt in einer Gut-Böse-Ambiguität innerhalb ihrer inneren Wesenszüge, wie es oft bei dem Protagonisten auftritt. Ihre Ambivalenz liegt in ihrer weiblichen, äußerlichen Attraktivität, die im krassen Gegensatz zu ihren “männlichen” Charaktereigenschaften steht. Die Frauen sind hier den Männern ebenbürtig, was Kraft, Ausdauer und Mut angeht, ihnen sogar zum Teil überlegen. Die Femme Fatale weiß ihre Reize genau und geschickt einzusetzen und, schauspielerisch geschickt und manipulativ, bekommt sie auch meistens, was sie will. Ihre eigentliche Maske ist ihre sexuelle Anziehungskraft und physische Attraktivität, unter der sie ihr habgieriges Sein verbirgt.

Diese “unsichtbare” Maske, das sorgsam bedachte Äußere, wird jedoch oft in dem Akt des Schminkens, des sich im Spiegelbetrachtens thematisiert. Die Femme Fatale betrachtet sich häufig vor oder in Schlüsselszenen mit dem Protagonisten im Spiegel, bzw. schminkt sich, “zeichnet” ihre Maske nach. (“The Killers”, “Double Indemnity”, “The Postman always rings twice”).

Der Blick auf das vermeintliche Ich, unter dem das wahre Ich um jeden Preis verborgen bleiben muss, ist genauso wichtig wie der Blick des Protagonisten (und des Zuschauers) auf ihre äußere Hülle. Ihr Blick, als Öffnung zu ihrer Seele, kann die Femme Fatale aber auch verraten, deshalb muss sie ihn auch manchmal verstecken (Sonnenbrille in “Double Indemnity”, Augenmaske in “Gilda”) wobei die “Maske” materialisiert wird.

Oft sind die Orte, an denen sie sich bewegt, auch die Orte, wo eine gesellschaftliche Verstellung praktiziert wird: Casino, Variété, Jahrmarkt, Maskenball ("Gilda", "Dead Reckoning", "Nora prentiss", "Lady from Shanghai").

In manchen Filmen (“The Lady from Shanghai”, “The Killers”, “Out of the Past”) werden die Motivationen der Handlungen der Frauen größtenteils im Unklaren gelassen und sind logisch oft nicht nachvollziehbar. Sie bleiben trotzdem unwiderstehlich. Sie bekommen ihre Macht und ihren faszinierenden Mythos gerade deshalb, weil sie nicht erklärbar und nicht berechenbar sind. Schuld und Unschuld, Sex und Reinheit können nebeneinander bestehen ohne Widerspruch, wenn sie nicht klar ausgesprochen, sondern nur erahnt werden können. Der Tod kommt auf schönen Füßen.

In Filmen wie “Double Indemnity”, “The Postman always rings twice” oder “Woman in the Window” sind die Frauen klar motiviert und in ihrer sexuellen Mobilität von ihrer Gier nach mehr getrieben. Sie sind sich ihrer selbst voll bewusst und verlieren ihr Ziel nie aus den Augen. So benutzen sie in ihrer berechnenden Art jeden, der ihnen über den Weg läuft, um ihren Plan durchzuführen. Die Femme benutzt die sexuellen Obsessionen der Männer, um sich ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Ihr Ziel ist meist die Unabhängigkeit von ehelichen Fesseln oder finanziellen Beschränkungen. Sie lehnt klar die traditionelle Frauenrolle als Hausfrau oder Mutter ab und sucht, wie die Männer, nach sexueller Erfüllung außerhalb der Ehe. Dazu muss sie meistens ihren Ehemann aus dem Weg räumen. Sie täuscht Liebe vor für die Zeit, in der sie den Liebhaber braucht, um den Mord/das Verbrechen auszuüben. Wenn dieser dann seine Funktion erfüllt hat, braucht sie ihn nicht mehr. Meist wird das Verbrechen, das die vermeintliche Basis für das neue Leben des “Paares” sein sollte, zur Basis des Misstrauens, welches zur Erkenntnis des Mannes über das wahre Ich der Frau führt und die vermeintliche Liebe zerstört. Die Femme braucht den jungen Stellvertreter, der nun an die Stelle des Mannes treten will, nicht mehr und versucht, auch diesen aus dem Weg zu räumen. Der vermeintliche Unterschied zwischen Ehemann und jungem Liebhaber verliert mehr und mehr an Bedeutung, sowohl in ihrer Beziehung als auch für die Femme, bis schließlich der Verfolger zum Verfolgten wird, da er versucht, denselben Platz einzunehmen wie sein Vorgänger. Dies kann man auch als eine besondere Art des gerne im Film Noir benutzten Doppelgängermotivs sehen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Figur der "Femme Fatale" im Film Noir
Hochschule
Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe  (Fachbereich: Medienkunst / Film)
Veranstaltung
Film Noir
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V29072
ISBN (eBook)
9783638306911
ISBN (Buch)
9783638650113
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
mit Szenenanalyse von "the killers", "double indemnity", "Gilda"
Schlagworte
Figur, Femme, Fatale, Film, Noir
Arbeit zitieren
Kerstin Polte (Autor:in), 2003, Die Figur der "Femme Fatale" im Film Noir, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29072

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