Süditalien und die Mafia sind zwei Begriffe, die oftmals in Kombination auftreten. Die Mafia entstand in Sizilien und prägte eine ganze Region. Als ich letzten Sommer in England einen Sprachaufenthalt machte, lernte ich den Sizilianer Angelo kennen. Er war ein fröhlicher, aufgeschlossener Typ. Seine Herkunft brachte uns öfters auf die Mafia zu sprechen. Jedesmal wenn er neue Bekanntschaften machte und erzählte er sei von Sizilien, fielen unzählige Male die Begriff Mafia und Mafioso. Der Begriff Mafia wurde somit – meistens nicht im Ernst – von den Leuten aus aller Welt mit Sizilien gleichgesetzt. Die Mafia sei der bekannteste Export Siziliens, könnte man, etwas provokativ formuliert, meinen.
Eine Gleichsetzung von Mafia und Sizilien ist meiner Meinung nach unhaltbar und entspricht einem Stereotyp, das mit dem Schweizer „Käse-Schokoladen-Uhren-Bild“ einhergeht. Dennoch ist die Mafia aus historischen und sozialen Gründen in Sizilien gewachsen. Man kann sagen, dass in Sizilien die sozialen und historischen Gegebenheiten vorhanden waren, damit sich ein gesellschaftliches Phänomen grossen Gewaltpotentials herausbilden konnte. Diesen historischen und sozialen Gegebenheiten möchte ich in meinem ersten Teil der Arbeit nachgehen. Ich behandle dabei das Entstehen und Wirken der traditionellen Mafia. Zuerst erscheint es mir wichtig, unterschiedliche Definitionen zum Begriff Mafia aufzuzeigen. In einem zweiten Abschnitt setze ich mich mit der historischen Vergangenheit Siziliens auseinander, die prägend für die Herausbildung einer Subkultur innerhalb eines Staates war. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass Sizilien, verglichen mit Gesamteuropa, ausserordentlich lange unter einem Feudalsystem lebte. Das Feudalsystem ermöglichte es denn auch, das Mittel der Gewalt als legitim weiterleben zu lassen.
Die traditionelle Mafia lebte von der Ehrbarkeit. Die Ehre spielt in der mediterranen Kultur eine wichtige Rolle. In meinem zweiten Teil der Arbeit beschäftige ich mich deshalb mit der Bedeutung der Ehre. Zum einen erläutere ich die traditionelle inhaltliche Bedeutung der Ehre in Sizilien, zum anderen möchte ich den Wandel dieser Bedeutung betonen. Meine Hypothese geht dahin, dass sich die inhaltliche Bedeutung der Ehre mit der Ausbreitung der Industrie im süditalienischen Raum zusehends veränderte. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Traditionelle Mafia in Sizilien
2. 1 Definition der Mafia
2. 2 Historischer Hintergrund zur Entstehung der Mafia
2. 3 Mafiose Macht
3. Bedeutung der Ehre in der sizilianischen Gesellschaft
3. 1 Hypothese
3. 2 Ehre als Ressource
3. 3 Wandel
4. Fazit
5. Bibliographie
1. Einleitung
Süditalien und die Mafia sind zwei Begriffe, die oftmals in Kombination auftreten. Die Mafia entstand in Sizilien und prägte eine ganze Region. Als ich letzten Sommer in England einen Sprachaufenthalt machte, lernte ich den Sizilianer Angelo kennen. Er war ein fröhlicher, aufgeschlossener Typ. Seine Herkunft brachte uns öfters auf die Mafia zu sprechen. Jedesmal wenn er neue Bekanntschaften machte und erzählte er sei von Sizilien, fielen unzählige Male die Begriff Mafia und Mafioso. Der Begriff Mafia wurde somit – meistens nicht im Ernst – von den Leuten aus aller Welt mit Sizilien gleichgesetzt. Die Mafia sei der bekannteste Export Siziliens, könnte man, etwas provokativ formuliert, meinen.
Eine Gleichsetzung von Mafia und Sizilien ist meiner Meinung nach unhaltbar und entspricht einem Stereotyp, das mit dem Schweizer „Käse-Schokoladen-Uhren-Bild“ einhergeht. Dennoch ist die Mafia aus historischen und sozialen Gründen in Sizilien gewachsen. Man kann sagen, dass in Sizilien die sozialen und historischen Gegebenheiten vorhanden waren, damit sich ein gesellschaftliches Phänomen grossen Gewaltpotentials herausbilden konnte.
Diesen historischen und sozialen Gegebenheiten möchte ich in meinem ersten Teil der Arbeit nachgehen. Ich behandle dabei das Entstehen und Wirken der traditionellen Mafia. Zuerst erscheint es mir wichtig, unterschiedliche Definitionen zum Begriff Mafia aufzuzeigen. In einem zweiten Abschnitt setze ich mich mit der historischen Vergangenheit Siziliens auseinander, die prägend für die Herausbildung einer Subkultur innerhalb eines Staates war. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass Sizilien, verglichen mit Gesamteuropa, ausserordentlich lange unter einem Feudalsystem lebte. Das Feudalsystem ermöglichte es denn auch, das Mittel der Gewalt als legitim weiterleben zu lassen.
Die traditionelle Mafia lebte von der Ehrbarkeit. Die Ehre spielt in der mediterranen Kultur eine wichtige Rolle. In meinem zweiten Teil der Arbeit beschäftige ich mich deshalb mit der Bedeutung der Ehre. Zum einen erläutere ich die traditionelle inhaltliche Bedeutung der Ehre in Sizilien, zum anderen möchte ich den Wandel dieser Bedeutung betonen. Meine Hypothese geht dahin, dass sich die inhaltliche Bedeutung der Ehre mit der Ausbreitung der Industrie im süditalienischen Raum zusehends veränderte. Die Ehre hat nicht mehr die Bedeutung einer Ressource, eines Fähigkeitszeugnisses sich Respekt verschaffen zu können, sondern sie wurde allmählich von einem wachsenden Materialismus geprägt. Am deutlichsten ist diese Hinwendung zu materiellen Werten bei der Mafia ersichtlich. Ihr gilt daher ein besonderes Augenmerk.
Die Familie ist ein konservatives, erhaltendes Element der Gesellschaft.[1] Deshalb scheint es von Interesse, wie, und ob sich die inhaltliche Bedeutung der Ehre dort veränderte. Die intakte Familienehre war auch für einen traditionellen Mafioso von grosser Wichtigkeit.
Für meinen ersten Teil benutzte ich Literatur von Hess, Blok und Arlacchi. Hess und Blok beschäftigen sich vorallem mit der traditionellen Mafia. Arlacchi setzt sich auch mit der modernen, unternehmerischen Mafia auseinander.
Im zweiten Teil stützte ich mich vorallem auf Giordano, Banfield, Devaux/Halva und wiederum Arlacchi. Zum Ehrbegriff verwendete ich Beiträge einer ethnologischen Diskussion zum Thema Modernität der Ehre.[2]
2. Traditionelle Mafia in Sizilien
2. 1 Definition der Mafia
Wer sich mit der Frage „Was ist die Mafia?“ auseinandersetzt, denkt vorweg möglicherweise an organisiertes Verbrechen; im Falle Italiens wohl auch an familiäre Verbindungen. Insgesamt stellt man sich eine geheim operierende, kriminelle Organisation vor, deren Verhalten durch Hochhaltung der individuellen Ehre geprägt ist. Im Allgemeinen ist eine solche Definition der Mafia nicht falsch, im Speziellen reicht sie allerdings nicht aus ein gesellschaftliches Phänomen Süditaliens zu behandeln. Aus diesem Grunde erscheint es mir sinnvoll auf Definitionen der Fachliteratur einzugehen.
Pino Arlacchi bezeichnet die Mafia als ein Verhalten und nicht eine formale Organisation. „Sich auf mafiose Weise zu verhalten bedeutet, sich ehrenhaft [ onorevole ] zu verhalten, und zwar in einer Weise, die den Regeln von Mut, Schlauheit, Grausamkeit und der Anwendung von Raub und Betrug entspricht (...).“[3] Ehrenhaft bedeutet in diesem Falle „aussergewöhnlich“, „achtbar“ oder „rechthaberisch“. Handlungen dieser Art können auch aggressiver Natur sein. Wichtig ist die Bestätigung überlegener Kraft. Beleidigungen der Persönlichkeit dürfen nicht hingenommen, sondern müssen gerächt werden. Wer sich mafios verhält, wird Mafioso genannt, einer der sich Respekt zu verschaffen weiss – daher auch die Begriffe uomo di rispetto und uomo d‘onore.[4] Das mafiose Verhalten steht für alle der Gesellschaft offen, die Mafia ist kein geschlossener Stand.[5]
Der Begriff Ehre ist bei einer Definition der Mafia unumgänglich. Sie grenzt ihn auch von Brigantentum, Strassenräuberei und camorra[6] ab. Für Henner Hess ist es die psychische Attitüde, die den Mafioso von den oben genannten Gesetzesbrechern trennt. Unter dieser psychischen Attitüde versteht Hess: „ (...) ein stolzes Bewusstsein des eigenen Ich, die Unabhängigkeit in jeder Beziehung, die Fähigkeit, sich selbst zu helfen und die eigene Würde um jeden Preis zu verteidigen, und das Bewusstsein der kavalleresken Gebundenheit an die Mitglieder der eigenen Gruppe.“[7] Ist die Ehre eines Mafioso angegriffen worden, muss er sich selbst dagegen zur Wehr setzen. In Sizilien geht diese Selbstjustiz zum Teil weit über das staatliche Rechtsdenken hinaus, findet aber in der sizilianischen Subkultur Legitimation.[8]
Den psychischen Hintergrund zur Mafia und die Abwendung von der Justiz betonte schon Pitré, 1889: „Die mafia ist das Bewusstsein des eigenen Seins, die übertriebene Vorstellung von der Macht des Individuums, einzige Entscheidungsgewalt jeden Konfliktes, jeder Auseinandersetzung von Interessen; daher die Unfähigkeit, die Überlegenheit und, schlimmer noch, die Anmassung anderer zu ertragen. Der mafioso will respektiert sein und erweist auch selbst fast immer Respekt. Wenn er beleidigt wird, wendet er sich nicht an die Justiz, verlässt er sich nicht auf das Gesetz. Täte er das, bewiese er damit Schwäche und verstiesse gegen die omertà, die jenen als widerlich und schändlich abstempelt, der sich an den Beamten wendet, um zu seinem Recht zu kommen.“[9]
Die Abneigung oder vielleicht treffender, der Hass des Mafioso gegenüber der staatlichen Gewalt, ist historisch bedingt. Bis zur Bildung des Nationalstaates Italien, war Sizilien unter fremder Herrschaft – auch Italiens zentraler Machtapparat wurde später als solche empfunden. Diese historische Bedingung berücksichtigt Anton Blok in seiner Definition von Mafia. Des Weiteren weist er ebenfalls auf eine Trennung des Mafioso gegenüber Flüchtigen und Banditen hin, wie dies Hess schon tat. In seiner Definition möchte er einen Begriffsrahmen festsetzen, „... indem ich „Mafia“ unter dem Gesichtspunkt der privaten Anwendung von Gewalt als Mittel der Kontrolle betrachte. Mafia ist eine Form unerlaubter Gewalt; diejenigen, die an ihr Anteil haben, nennt man Mafiosi. Mafiosi treffen Entscheidungen, die die Gemeinschaft tangieren. Ihr Wirkungsfeld ist die Öffentlichkeit, und damit unterscheiden sie sich von jenen, die in anderen Bereichen, z. B. der Privatwohnung, zum Mittel der Gewalttätigkeit greifen. Das Verhältnis zwischen Mafiosi und der formellen Obrigkeit ist von ausgesprochener Ambivalenz gekennzeichnet. Auf der einen Seite missachten Mafiosi das formelle Gesetz und wissen sich dem Zugriff der Justiz- und Verwaltungsmaschinerie zu entziehen. Auf der anderen Seite agieren Mafiosi mit stillschweigender Duldung der formellen Obrigkeit und „legalisieren“ die von ihnen ausgeübte Kontrolle durch geheime und pragmatische Beziehungen zu den formellen Amtsinhabern. Diese Symbiose unterscheidet Mafiosi von Flüchtigen (Outlaws) und Banditen, deren Machtsphären zwar ebenfalls durch physische Gewalt abgestützt werden, sich dafür aber in offenem Gegensatz zu den Machtsphären des Staates befinden.“[10] Blok erwähnt das interdependente Verhältnis eines Mafioso zwischen eigener und staatlicher Gewalt, in welchem sich dieser geschickt bewegt. Um das Verhältnis des Mafioso zum Staat besser zu verstehen, ist es allerdings notwendig, einen kurzen Exkurs in die Geschichte Siziliens zu machen.
[...]
[1] Devaux, Katia / Halva, Hans-Jörg: Die ehrbare Familie. Veränderungen im Zentrum sizilianischen Selbstverständnisses. in: Sizilien – die Menschen, das Land und der Staat. Hg von Christian Giordano u. Ina-Maria Greverus. Frankfurt/Main: 1986. S. 243.
[2] Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur. Heft 3. Hg. V. Frank Benseler, Bettina Blanck, Rainer Greshoff, Reinhard Keil-Slawik, Werner Loh. Opladen / Wiesbaden: 1999.
[3] Arlacchi, Pino: Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus. Frankfurt/Main: 1989. S. 29.
[4] Arlacchi: S. 29f.
[5] Hess: S. 63.
[6] camorra: illegaler Gewinn aus ökonomischen Transaktionen
[7] Hess, Henner: Mafia. Zentrale Herrschaft und lokale Gegenmacht. Tübingen: 1970. S. 10f.
[8] Hess: S. 11f.
[9] zit. aus Hess: S. 11.
[10] Blok, Anton: Die Mafia in einem sizilianischen Dorf 1860 – 1960. Eine Studie über gewalttätige bäuerliche Unternehmer. Frankfurt/Main: 1981. S. 22.
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