Poetik der Stereotype. Die "böse" Frau in der Literatur des Mittelalters


Studienarbeit, 2014

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in die Thematik

2. Böse Frauen in „Aristoteles und Phyllis“ und „Drei böse Frauen“
2.1 „Aristoteles und Phyllis“ - Bosheit auf den zweiten Blick
2.2 „Drei listige Frauen“ - Die offensichtlich Bösen

3. Erklärungsansätze für das böse Verhalten
3.1 Hoher Stellenwert des christlichen Glaubens
3.2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

4. Fazit und Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

1. Einführung in die Thematik

Heinrich Kaufringer beschreibt in seiner Märe „Drei listige Frauen“ sehr treffend:

Ich gelaub, das niemand werd

ze den zeiten auf der erd

gelaichet und betrogen mer

mit listen und mit gscheider ler

als der man von seinem weib.[1]

Es ist ein prägnantes Motiv, auf welches man bei der Rezeption mittelalterlicher Mären immer wieder stößt: Die böse, betrügerische, hinterlistige Frau. In zahlreichen Werken verschiedenster Autoren betrügen Ehefrauen ihre Männer, belügen sie - um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen oder schlicht aus reiner Bosheit - oder stellen sie in der Öffentlichkeit bloß.[2] Meist einhergehend mit dem Bild der bösen Frau ist das des dummen Mannes, der sich von ihr täuschen oder überreden lässt. Beides sind Stereotypen, sie sich in Mären wiederholt finden lassen.

Das sehr negative Frauenbild hat seinen Ursprung schon in der Bibel: „der erste energielose Eheherr war bereits Adam, nicht allein, daß er Frau Eva so schlecht gezogen hatte, daß sie den lockenden Verführungsworten der Schlange sofort nachkam, sondern er biss auch selbst ohne jede Einwendung in den Apfel, als Eva es so wollte.“[3] Bereits hier wurde die Frau, die ihren Mann zum Begehen einer Sünde überredet, als Ursprung alles Schlechten und Bösen gesehen, „die Neigung zum Ungehorsam ist seit Evas Zeiten tief im weiblichen Wesen eingewurzelt. Anstatt zu gehorchen, trachten die Frauen zu befehlen.“[4]

Ihre Bosheit leben Frauen – bedingt durch ihre physische Unterlegenheit gegen- über den Männern – meist durch List und Tücke aus, „Frauenlist ist immer Sprachlist, List der Überredung.“[5] Hier lassen sich zwei verschiedene Typen erkennen: Zum Einen die körperlich schwachen Frauen, die sich mithilfe ihres Intellekts gegenüber stärkeren Männern, Geliebten oder Machtinhabern behaupten müssen, und zum Anderen jene, die einfach böswillig handeln, um ihre Bedürfnisse nach Geld, Macht oder sexueller Befriedigung zu stillen.[6]

Der Stereotyp der bösen Frau wurde in der bisherigen Forschung schon mehrfach untersucht, erscheint aber in Zeiten, in denen sich Gender-Studies und feministische Betrachtungen großer Beliebtheit erfreuen, nicht weniger interessant. In der folgenden Arbeit sollen die verschiedenen Typen der bösen Frau, die Rahmenbedingungen, unter welchen sie handeln und die Motive ihres Handelns anhand zweier Mären, und zwar „Aristoteles und Phyllis“ sowie Heinrich Kaufringers „Drei listigen Frauen“ näher betrachtet werden.

2. Böse Frauen in „Aristoteles und Phyllis“ und „Drei böse Frauen“

Zunächst interessiert, wie sich die Bosheit der in der Literatur beschriebenen Frauen konkret äußert. Dazu werden im Folgenden die Verhaltensweisen der weiblichen Charaktere in „Aristoteles und Phyllis“ sowie „Drei listigen Frauen“ näher betrachtet.

2.1 „Aristoteles und Phyllis“ - Bosheit auf den zweiten Blick

In „Aristoteles und Phyllis“ erscheint die Figur der Phyllis auf den ersten Blick nicht als die typische, klischeehafte böse Frau. Sie ist das Kammerfräulein der Königin, von edlem Geschlecht und wird als „reine guote“, also edel und rein beschrieben.[7] Dies bleibt auch dem Königssohn, Alexander, nicht unbemerkt, und er verliebt sich in sie. Phyllis erwidert seine Gefühle und die beiden werden ein Liebespaar.

Bis zu diesem Zeitpunkt lässt sich noch kein böses oder schlechtes Verhalten bei Phyllis erkennen. Bei genauerem Hinsehen schadet sie ihrem Geliebten Alexander aber sehr wohl:

doch wart er leider gepfant

an witzen unde an sinne;

daz tet dui strenge minne.[8]

Durch die Liebe zu Phyllis vernachlässigt der sonst so gelehrsame Alexander seine schulischen Pflichten, da er nur noch Augen für seine Geliebte hat. Auch sein Lehrer Aristoteles erkennt, daz ime waz misselungen von der juncfrouwen minne,[9] also dass Alexanders Erfolge wegen seiner Liebe zu Phyllis ausbleiben. Bereits in diesem Teil der Geschichte wird also beschrieben, wie sich die Reize des weiblichen Geschlechts negativ auf die Gelehrsamkeit und Strebsamkeit des Mannes auswirken. Aber damit noch nicht genug.

Im weiteren Verlauf der Geschichte zeigt sich Phyllis' böse Ader noch viel deutlicher. Nachdem Aristoteles den Grund für Alexanders schwindende Leistungen herausgefunden hat und des König davon in Kenntnis setzt, wird den beiden Liebenden der Umgang miteinander untersagt. Darunter leiden beide sehr. Doch anstatt wie Alexander nur Trübsal zu blasen, schmiedet Phyllis – ganz dem Stereotyp der bösen Frau entsprechend – Rachepläne gegen den Gelehrten Aristoteles. Sie putzt sich fein heraus, zieht ihre edelsten Kleider und schönsten Schmuck an und macht sich so auf den Weg, Aristoteles, den sie für die Trennung von ihrem Geliebten verantwortlich macht, in eine Falle zu locken. Und als dessen Blick auf die schöne junge Frau fällt, ist selbst dem weisen Gelehrten nicht mehr zu helfen.

swie wîse er sî, swie lôs ein man,

von wîbes listen niemen kan

sîn gemüete enbinden,

wil er sich lâzen vinden

in ir geselleschefte:

sô stark sint minnen krefte.[10]

Auch Aristoteles unterliegt den Reizen der schönen Frau. Als er sie sieht, ist er entzückt von ihrer Erscheinung und bittet sie in sein Gemach. Phyllis folgt dieser Einladung, ganz darauf bedacht, wie si in geschante.[11] Der Gelehrte bietet Phyllis an, sie reich dafür zu entlohnen, wenn sie die Nacht bei ihm verbrächte. Daraufhin reagiert die Schöne zunächst echauffiert, willigt schließlich aber ein, unter der Voraussetzung, sie möchte ihn vorher satteln und im Garten wie ein Pferd reiten. Vor lauter Begierde sagt dieser zu, alles zu tun, um das Bett mit ihr teilen zu dürfen. Und so wird der weise Gelehrte zum gouch gemacht, indem er sich von Phyllis reiten lässt – vor den Augen der Königin und ihrer Kammerfräulein. Aristoteles wird zum Gespött am Hofe und verlässt eine Woche später das Land und Phyllis hat sich so erfolgreich an ihm gerächt.

Aus dieser Episode geht schließlich ganz klar ein böswilliger Ansatz der Phyllis hervor. Anstatt ein Gespräch mit dem König und/oder Aristoteles zu suchen, um die Problematik zu klären und über das Umgangsverbot mit Alexander zu verhandeln, oder einen Weg zu finden, ihren Geliebten heimlich zu treffen – wozu Phyllis, als listige Frau, bestimmt in der Lage wäre – wählt sie den Weg der Vergeltung. Ob ihr Problem, Alexander nicht mehr treffen zu dürfen, mit dieser Tat aus der Welt geschafft wurde, wird in dem Märe nicht thematisiert und erscheint auch recht unwahrscheinlich. Die Figur Phyllis handelt also nicht aus rationalen, vernünftigen Gründen, sondern schlicht hinterlistig und gemein – und kann so durchaus dem Stereotyp der bösen Frau zugeordnet werden.

2.2 „Drei listige Frauen“ - Die offensichtlich Bösen

Ganz anders sieht dies bei Heinrich Kaufringers Märe „Drei listige Frauen“ aus. Hier wird die Bosheit, die Listigkeit der Frauen ganz offensichtlich und ungeschönt dargestellt.

Drei – selbstverständlich wunderschöne – Bäuerinnen, Jüt, Hiltgart und Mächilt, teilen den Erlös ihres Eierverkaufes auf dem Markt zu gleichen Stücken auf. Dabei bleibt ein Heller übrig. Im Streit um den überzähligen Heller fassen sie den Entschluss, dass jene Frau, welche ihren Mann am ärgsten hereinlegen und hinters Licht führen kann, diesen bekommen soll. Schon hier erkennt man, wie tief verwurzelt die Bosheit im weiblichen Naturell scheint – anstatt den Heller zu verlosen, mittels eines normalen, rationalen Wettbewerbs auszuspielen oder einfach für einen späteren Zeitpunkt aufzuheben, machen die Frauen einen Wettkampf daraus, ihre Männer zu belügen und betrügen.

Die erste Bäuerin, fraw Hiltgart, begann mit ihrer List, sobald sie zu Hause eingetroffen war. Sie behauptete, sterben zu müssen, sofern sich ihr Mann nicht seinen faulen Zahn ziehen lassen sollte, der so arg stinke, dass sie wegen des Geruches sterben müsse. In Wahrheit hatte ihr Mann aber gar keinen faulen Zahn. Nach weiterem Jammern, Schmerzgebärden und Überredungskünsten von Hiltgart ließ er sich aber tatsächlich überzeugen. Von seinem Knecht – der wiederum ein Verhältnis mit seiner Frau hat – ließ er sich einen völlig gesunden Zahn ziehen. Der Bauer litt höllische Schmerzen und blutete, doch das weib hett daran kain genüegen.[12] Sie behauptete, es sei der falsche Zahn gewesen, der faule, der ihr solche Probleme bereitet, säße in der anderen Backe. Und so wurde dem Bauern noch ein weiterer Zahn gezogen. Als er daraufhin ohnmächtig wurde, trieb Hiltgart ihre List auf die Spitze und behauptete, er müsse sterben. Ihre Trauer deswegen spielte sie so überzeugend, dass ihr Mann selbst glaubte, zu sterben, beim Pfarrer die Beichte ablegte und sich mit einem Tuch bedecken ließ, als sie ihm weiß machte, er sei nun tot. Nachdem sein Tod schließlich von allen Nachbarn betrauert worden war, betrügt Hiltgart ihren vermeintlich toten Mann noch vor dessen Augen mit dem Knecht, um auch ja sicher zu gehen, dass ihr Betrug der ärgste ist.

An diesem Teil der Geschichte zeigt sich auf sehr ausufernde, fast schon perverse Art, wie skrupellos und böse eine Frau sein kann. Fraw Hiltgart reicht es nicht, ihrem Mann grundlos Schmerzen zu bereiten, auch nicht, ihn für tot zu erklären, nein, erst als sie sich auch noch ganz schamlos vor seinen Augen mit dem Knecht vergnügt, ist sie zufrieden.

[...]


[1] Kaufringer, H. (n. b.). Drei listige Frauen. In: Grublmüller, K. (Hrsg.). Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Berlin: Deutscher Klassiker Verlag. (840).

[2] Beispielsweise in „Der kluge Knecht“, „Der begrabene Ehemann“, „Die halbe Birne“ oder „Die Buhlschaft auf dem Baume“.

[3] Brietzmann, F. (1912). Die böse Frau in der Literatur des Mittelalters. Berlin: Mayer & Müller. (123).

[4] Ebd.

[5] Schnyder, M. (2000). Märenforschung und Geschlechterbeziehungen. In: Hartmann, S. & Müller, U. (2000). Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft. Band 12. Frankfurt am Main. (126).

[6] Vgl. Müller, J. D. (1984). Noch einmal: Maere und Novelle. Zu den Versionen des Maere von den 'Drei listigen Frauen'. In: Ebenbauer, A. (Hrsg.). Philologische Untersuchungen. Wien: Wilhelm Braumüller. (289).

[7] Vgl. N. N. (n. b.). Aristoteles und Phyllis. In: Grublmüller, K. (Hrsg.). Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Berlin: Deutscher Klassiker Verlag. (498).

[8] Ebd. (496).

[9] Aristoteles und Phyllis. (500).

[10] Ebd. (510).

[11] Ebd. (512).

[12] Drei listige Frauen. (848).

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Poetik der Stereotype. Die "böse" Frau in der Literatur des Mittelalters
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Proseminar "Mären"
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
14
Katalognummer
V292656
ISBN (eBook)
9783656897361
ISBN (Buch)
9783656897378
Dateigröße
391 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mären, Stereotyp, Frau, Gender, Klischee, Mittelalter
Arbeit zitieren
Romana Bauer (Autor:in), 2014, Poetik der Stereotype. Die "böse" Frau in der Literatur des Mittelalters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/292656

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