Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Großwohnsiedlungen in Deutschland
2.1 Entwicklung in der früheren BRD
2.2 Entwicklung in der DDR
2.3 Entwicklung nach der „Wiedervereinigung“
3 Förderprogramme für die Sanierung von Großwohnsiedlungen
3.1 Maßnahmen nach der „Wiedervereinigung“
3.2 Aktuelle Förderprogramme
3.2.1 Programm „Soziale Stadt“
3.2.2 Programm „Stadtumbau Ost“
3.2.3 Programm „Stadtumbau West“
4 Aktuelle Konzepte der Sanierung
5 Fallbeispiel Märkisches Viertel in Berlin
5.1 Energetische Sanierung des Märkischen Viertels
5.2 Programm Stadtumbau West im Märkischen Viertel
5.3 Stellungnahme
6 Fazit
7 Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tab. 1: Anzahl der Wohnungen in den Großwohnsiedlungen in West und Ost nach Größe der Großwohnsiedlungen
Tab. 2: Anteil der Bevölkerung in Großwohnsiedlungen in West und Ost an der Gesamtbevölkerung
Abbildungen
Abb.1: Große Wohngebiete mit 2.500 und mehr Wohnungen.
Abb. 2: Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept Märkisches Viertel. Maßnahmenplan.
1 Einleitung
Für „Großwohnsiedlungen“ welche u.a. auch „Großsiedlungen“, „Großwohnanlage“, „Trabantenstadt“ und „Plattenbausiedlungen“ genannt werden, existiert bislang keine allgemeingültige Definition (Fuhrich & Mannert 1994: 567). Unter diesem Begriff werden jedoch vornehmlich Neubausiedlungen subsumiert die vor allem in den 1950er und 1960er Jahren geplant und in den 1960er und 1970er Jahren realisiert worden sind bzw. in der ehemaligen DDR wurden diese sogar bis Ende der 1980er Jahre errichtet (Deutscher Bundestag 1988: 7).
Der städtebauliche Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1988 legt für Großwohnsiedlungen folgende Kriterien fest: hauptsächlich aus Mietwohnungen des sozialen Wohnungsbaus bestehend, funktional eigenständige Siedlungseinheit, städtebauliches Gesamtkonzept zur Wohnnutzung, im Allgemeinen einheitlich nach einem Bebauungsplan mit Infrastruktur, Grün- und Verkehrsflächen gebaut sowie von einer vielgeschossigen Bebauung geprägt (Deutscher Bundestag 1988: 7; Fuhrich & Mannert 1994: 567).
Der Großsiedlungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1994 hingegen, definiert Großwohnsiedlungen als Wohngebiete mit 2.500 und mehr Wohnungen (Deutscher Bundestag 1994). Andere Autoren gehen jedoch von mindestens 1.000 bis 2.000 Wohnungen pro Siedlung aus. Breuer z.B. definiert Großwohnsiedlungen als Teilräume, die eine Größe von mehr als 1.000 Wohnungen haben, nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut worden sind und auf einheitlichen Städtebaukonzepten basieren (Breuer 1997: 593).
Die demographische Entwicklung in Deutschland erhöhte insgesamt den Wohnraumbedarf. Das Bevölkerungswachstum setzte sich dabei nicht nur aus der erhöhten Geburtenrate zusammen, sondern auch durch Zuwanderung, wie etwa Flüchtlingsströme. Ferner ergab sich in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg ein enormer Nachholbedarf aufgrund von Kriegsschäden am Wohnungsbestand. Des Weiteren war der Massenwohnungsbau für das wirtschaftliche Wachstum eine wesentliche Voraussetzung (Fuhrich & Mannert 1994: 573f.). Der Wohnungsbedarf wurde daraufhin hauptsächlich mit dem „Typus“ der Großwohnsiedlungen befriedigt (Hannemann 1998: 91). Dabei sind Großwohnsiedlungen kein rein deutsches bzw. ostdeutsches Phänomen wie oftmals suggeriert wird. Vielmehr lässt sich konstatieren, dass der Bau von Großsiedlungen zur Bewältigung der Wohnungsnachfrage in den Ballungsräumen ein europaweites Phänomen der Nachkriegszeit ist und unabhängig vom wirtschaftlichen oder politischen System entstanden ist (Jessen 1998: 104; Hannemann 1998: 91).
Großwohnsiedlungen wurden insbesondere in der alten Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand öffentlicher Kritik und zahlreicher Forschungsarbeiten (Breuer 1994: 1). Diese befassten sich in den 1960er und 1970er Jahren hauptsächlich mit sozialwissenschaftlichen und städtebaulichen Untersuchungen, wie z.B. „Funktionstrennung, Sozialstruktur, Bewohnerverhalten und baulichen Erscheinungsformen“ (Breuer 1994: 1). Zu Beginn der 1980er Jahre wurden Großwohnsiedlungen aufgrund von Wohnungsleerständen, hohen Fluktuationsraten und Mietenrückständen in den Medien zunehmend negativ thematisiert. Auf der Ebene der Politik machten sich dabei erste Forderungen nach Abriss breit.
Der erste städtebauliche Bericht der Bundesregierung „Neubausiedlungen der 60er und 70er Jahre, Probleme und Lösungswege“ aus dem Jahre 1988, thematisierte sowohl Probleme aber auch Entwicklungspotentiale von Großwohnsiedlungen in den alten Bundesländern. Seit dem Ende der 1980er Jahre entspannte sich die Debatte um die Großwohnsiedlungen, da die Wohnungsmarktsituation jener Zeit wieder zur Vollvermietung der Großwohnsiedlungen führte. Die Debatte wurde erneut belebt durch die „Wiedervereinigung“1 Deutschlands, da Großwohnsiedlungen in der ehemaligen DDR über 20 Prozent am gesamten Wohnungsbestand ausmachten (Breuer 1994: 1). Im Jahr 1994 veröffentlichte die Bundesregierung einen Großsiedlungsbericht, welcher insbesondere die ostdeutschen Großwohnsiedlungen behandelte und dabei die Entwicklungsmöglichkeiten und die Problemsituationen in den Vordergrund stellte (Breuer 1994: 2). Bis heute stehen Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Vordergrund der Politik.
Vor diesem Hintergrund, befasst sich die vorliegende Arbeit zunächst mit der geschichtlichen Entwicklung der Großwohnsiedlung in der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland (BRD) sowie der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Darauffolgend wird die Situation seit der „Wiedervereinigung“ näher beleuchtet. Der anschließende Hauptteil dieser Arbeit, beschäftigt sich mit den Förderprogrammen und den aktuellen Konzepten der Sanierungen von Großwohnsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren und wird an einem ausgewählten Beispiel näher gebracht. Schließlich erfolgt eine autonome und kritische Würdigung der Thematik.
2 Großwohnsiedlungen in Deutschland
Mangels einer einheitlichen Definition für Großwohnsiedlungen werden an dieser Stelle die Kriterien von Fuhrich und Mannert für Großwohnsiedlungen übernommen. Die Kriterien lauten dabei wie folgt:
2.500 und mehr Wohnungen eine einheitliche städtebauliche Konzeption sowie nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet (Fuhrich & Mannert 1994: 569).
Der Großsiedlungsbericht der Bundesregierung von 1994 zeigt die Quantität dieser Siedlungen auf dem Gebiet der gesamten Bundesrepublik Deutschland (BRD), einschließlich der neuen Bundesländer auf. Demnach gibt es in der BRD über 1.6 Millionen Wohnungen in über 239 Großwohnsiedlungen mit 2.500 und mehr Wohnungen.
Dabei befinden sich in den westdeutschen Bundesländern 95 und in den ostdeutschen Bundesländern 144 Großwohnsiedlungen (Deutscher Bundestag 1994). Tabelle 1 verdeutlicht hierbei, dass ostdeutsche Großwohnsiedlungen nicht nur in der Quantität sondern auch in der Größe überwiegen.
Tab. 1: Anzahl der Wohnungen in den Großwohnsiedlungen in West und Ost nach Größe der Großwohnsiedlungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Fuhrich & Mannert 1994.
Demnach wurden in der DDR viermal so viele Großwohnsiedlungen mit mehr als 10.000 Wohnungen errichtet als in der ehemaligen BRD. Auch bei den Großwohnsiedlungen mit 5.000 Wohnungen und mehr wurden in der DDR mehr als doppelt so viele Siedlungen errichtet als in der ehemaligen BRD (Tab. 1).
Anhand von Tabelle 2 ist zu erkennen, dass in der ehemaligen DDR der Anteil der Bevölkerung in Großwohnsiedlungen um ein vielfaches höher ist als in der ehemaligen BRD. So lebte in der DDR fast jeder vierte Bewohner in einer Großwohnsiedlung mit 2.500 und mehr Wohnungen. Wohingegen im Westen nur etwa jeder 60ste Bewohner in einer Großwohnsiedlung mit 2.500 und mehr Wohnungen lebte (Fuhrich & Mannert 1994: 570).
Tab. 2: Anteil der Bevölkerung in Großwohnsiedlungen in West und Ost an der Gesamtbevölkerung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Fuhrich & Mannert 1994.
Betrachtet man die Großwohnsiedlungen in den Agglomerationsräumen, so lässt sich feststellen, dass diese einen einflussreichen Anteil am lokalen Wohnungsbestand darstellen. In Hamburg bspw. machen Großwohnsiedlungen einen Anteil von 12 Prozent am örtlichen Wohnungsbestand aus. In Halle sind es sogar 49 Prozent (Fuhrich & Mannert 1994: 572). Die Mehrheit der Großwohnsiedlungen ist insbesondere in vier östlichen Bundesländern vorzufinden.
Dies verdeutlicht, dass Großwohnsiedlungen in der DDR eine größere Bedeutung zukommt als in der ehemaligen BRD. Weiterhin ist die Verteilung der Großwohnsiedlungen innerhalb der beiden ehemals getrennten Staaten ungleichmäßig. Während im Westen keine Großwohnsiedlungen in den ländlichen Räumen existieren, liegt jede fünfte Großwohnsiedlung in den neuen Bundesländern in einer ländlichen Region bzw. in einer Klein- oder Mittelstadt (Fuhrich & Mannert 1994: 573). Abb. 1 verdeutlicht, dass in den alten Bundesländern Großwohnsiedlungen in ihrer räumlichen Verteilung überwiegend in Agglomerationsräumen konzentriert sind, während in den neuen Bundesländern hingegen Großwohnsiedlungen in Agglomerationsräumen sowie in ländlichen Regionen präsent sind.
Abb.1: Große Wohngebiete mit 2.500 und mehr Wohnungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Deutscher Bundestag, 1994. Unterrichtung durch die Bundesregierung, Großsiedlungsbericht 1994, S.28.
Die folgenden Kapitel zeigen die unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Errichtung sowie die Entstehung der Großwohnsiedlungen in beiden Teilen Deutschlands auf. Der Fokus dieser Arbeit liegt hierbei auf den Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahren und wird daher im Folgenden detailliert vorgestellt.
2.1 Entwicklung in der früheren BRD
Infolge des 2. Weltkrieges war die Wohnungsmarktsituation in Deutschland von Wohnmangel gekennzeichnet. Flüchtlingsströme aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und die später gute wirtschaftliche Lage der BRD, führten zu einem erhöhtem Wohnungsbedarf (Hannemann 1998: 91). Laut Kofner herrschte nach dem 2. Weltkrieg ein Mangel an etwa fünf Millionen Wohnungen im westlichen Deutschland (Kofner 2004: 152). Dieser Wohnraummangel wurde im späteren Verlauf insbesondere durch den sozialen Wohnungsbau beseitigt (Jessen 1998: 107). Aber nicht nur der Wohnraummangel infolge der Kriegszerstörungen, auch die gestiegenen gesellschaftlichen Anforderungen in qualitativer als auch in quantitativer Sicht führten zur Errichtung von Großwohnsiedlungen (Fuhrich & Mannert 1994: 574). Weitere Bedingungen waren dabei der Zuwachs der Verdichtungsräume, sowie die Verdrängung der Wohnbevölkerung aus den Innenstädten, durch die Erweiterung des sekundären Sektors (Heineberg 2006: 238). Im Westen Deutschlands, war das erste bzw. ab 1956 das zweite Wohnungsbaugesetz die Grundlage für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und gilt damit als Basis für die Errichtung von Großwohnsiedlungen (Fuhrich & Mannert 1994: 573).
Entscheidender Entwicklungsträger sowie Bauherrin bei der Errichtung der Großwohnsiedlungen war die gemeinnützige Wohnungswirtschaft sowie genossenschaftliche Wohnungsbauträger, welche eng mit den Kommunen zusammenarbeitete. Heute würde man diese Zusammenarbeit „Public-Private-Partnership“ nennen (Jessen 1998: 107). Die von den Wohnungsbauträger errichteten Siedlungen wurden dabei nach dem Konzept des Leitbildes der „aufgelockerten und nach Funktion gegliederten Stadt“ in Anlehnung der Charta von Athen, welche das Konzept der Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Erholen und Verkehr propagierte, erbaut (Heineberg 2006: 237).
Diese erste Generation neuer Siedlungen, wurde in den 1950er Jahren erbaut. Charakteristisch für solche Siedlungen sind die niedriggeschossige Bebauung, die großen Rasen- und Gartenflächen, die fußläufige Verknüpfung von Wohnen, sozialen und kommerziellen Versorgungseinrichtungen, wie auch die mäßige Bau und Wohndichte. Diese Charakteristika „[...] deuten die Verpflichtung gegenüber der Gartenstadtidee an“ (Deutscher Bundestag 1988: 24). Die Größendimension einer solchen Siedlung orientierte sich am „Gedanken der überschaubaren Nachbarschaft“. Als Beispiele der ersten Generation von Großwohnsiedlungen gelten die Siedlungen Karlsruhe Waldstadt und Mainz-Lerchenberg (Deutscher Bundestag 1988: 24).
Ab den 1960er Jahren rückte man bei der Errichtung von Großwohnsiedlungen von dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ ab. Die Siedlungen der ersten Generation wurden aufgrund des Fehlens städtischer Qualitäten kritisiert, dabei wurde insbesondere die geringe Dichte und die Dominanz der Natur als ländlich empfunden, weshalb das neue Leitbild der „Urbanität durch Dichte“ in den Vordergrund trat (Deutscher Bundestag 1988: 24). Die nun zweite Generation von Großwohnsiedlungen wurden häufig in Randlagen der Ballungsgebiete gebaut, denn insbesondere durch den Wirtschaftsboom der 1960er Jahre, der steigenden Geburtenraten sowie der Zuwanderung sahen sich die Großstädte gezwungen die Wohnungsmärkte der Kernstädte mittels der Großwohnsiedlungen zu entlasten. Die Entlastung vollzog sich dabei innerhalb der administrativen Stadtgrenzen wie z.B. die „Entlastungsstadt Neu-Perlach“ in München oder auch „Neu-Allermöhe“ in Hamburg (Jessen 1998: 104f.) Aufgrund einer dichteren Bebauung innerhalb der Großwohnsiedlung, entstand das Gefühl von Urbanität welches zuvor in den Siedlungen der ersten Generation vermisst wurde. Wie bereits erwähnt, ist dabei zu beobachten, dass Großwohnsiedlungen in der ehemaligen BRD ausschließlich in Agglomerationsräumen entstanden (Abb. 1).
Die zweite Generation der Großwohnsiedlungen in der ehemaligen BRD, welche von den großen Wachstumserwartungen der 1960er Jahre geprägt ist, weist eine überdimensionierte Planung hinsichtlich ihrer Größe und ihrer Anzahl an Wohnungen auf, was auf die optimistischen Annahmen über die Entwicklung der Wirtschafts- und Bevölkerungszahlen zurückzuführen ist. Denn im Gegensatz zur ersten Generation zeigt sich bei den Großwohnsiedlungen der zweiten Generation „eine außerordentliche horizontale und vertikale Verdichtung, bis zur einheitlichen städtebaulichen Großform“ (Sieverts 2006: 163). Die Großwohnsiedlungen waren dabei für eine Größenordnung von etwa 15.000 bis 25.000 Einwohnern geplant, welche aber auch in zahlreichen Großwohnsiedlungen deutlich höher ausfielen (Sieverts 2006: 163). So ist die Großwohnsiedlung in München-Perlach mit ihren 60.000 Einwohnern deutlich über der ansonsten angestrebten Größenordnung (Jessen 1998: 105). Die gewaltigen Siedlungen wurden dabei mit Hilfe industrieller Vorfertigung im Wohnungsbau errichtet (Sieverts 2006: 164).
Die neuen „modernen“ Wohnungen wurden von der Bevölkerung zwar angenommen und als Verbesserung gegenüber der alten Wohnsituation empfunden, dennoch wurde kritisiert, dass öffentliche sowie private Infrastruktureinrichtungen in nicht ausreichenden Mengen oder erst verspätet errichtet wurden (Jessen 1998: 110). So kann es vorkommen, dass viele Großwohnsiedlungen bis heute noch keine zentrale Mitte haben oder noch nicht in das Stadtgefüge integriert sind (Deutscher Bundestag 1988: 9). Des Weiteren wurde die standardisierte und rationalisierte Bebauung von vielen Menschen als monoton wahrgenommen wodurch auch die Medien Großwohnsiedlungen zunehmend kritisierten und in ihnen das Symbol für „inhumanen Städtebaus“ sahen (Deutscher Bundestag 1988: 80; Jessen 1988: 111).
Zu Beginn der 1980er Jahre machten Großwohnsiedlungen erneut negative Schlagzeilen. Insbesondere die Vermietungssituation verschlechterte sich deutlich. Das lag vor allem an den Maßnahmen der Stadterneuerung in den Altbauquartieren, welche aufgewertet und zu begehrten Wohnstandorten wurden und damit in Konkurrenz zu den Großwohnsiedlungen traten (Deutscher Bundestag 1988: 10). Die Folge war, dass es zu zunehmenden Wohnungsleerständen in Großwohnsiedlungen kam. Erste bauliche Mängel führten darüber hinaus zu einer hohen Fluktuationsrate der Bewohner, welche insbesondere durch das schlechte Image der Großwohnsiedlungen entstanden. Durch die Erneuerung des Altbaubestandes rutschte der Wohnungsbestand in den Großwohnsiedlungen binnen kurzer Zeit in das „unterste Segment des regionalen Wohnungsmarktes hinab“ (Jessen 1998: 112). Die Folge war eine sozialräumliche Polarisierung, die durch die kommunale Belegungspolitik, die Haushalte in sozialen Notlagen in den Großwohnsiedlungen konzentrierte, um ein weiteres verstärkte (Jessen 1998: 112). Aufgrund der zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung sprach man bei Großwohnsiedlungen bald von „sozialen Brennpunkten“ in denen nur blieb wer musste und keine andere Wahl hatte (Jessen 1998: 112). Obgleich nur ein Teil der Großwohnsiedlungen von dieser Polarisierung betroffen war, so wurde jedoch die Wahrnehmung und damit der gesamte Typus Großwohnsiedlung von diesem schlechten Ansehen beeinflusst (Fuhrich & Mannert 1994: 576). Aus diesen Gründen kam in den 1980er Jahren der Bau der Großwohnsiedlungen auf dem Territorium der BRD nahezu zum Erliegen (Jessen 1998: 104). Hinzu kam die Einschätzung, dass die Wohnungsnot in der früheren BRD behoben sei, weshalb keine neuen Großwohnsiedlungen benötigt wurden und bereits geplante Bauvorhaben nicht vollendet oder ihre Planzahlen nach unten korrigiert wurden (Fuhrich & Mannert 1994: 574).
Aus den zuvor genannten Gründen wurden die Großwohnsiedlungen in den 1980er Jahren zum Gegenstand der baulichen und städtebaulichen Erneuerung. Dafür wurden von 1983 bis 1994 20 Modellvorhaben des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus (ExWoSt) zur „Nachbesserung von Großwohnsiedlungen“ gefördert, mit dem Ziel die Wohn- und Lebensbedingungen in eben diesen Siedlungen durch städtebauliche Konzepte und Maßnahmen zu verbessern (BBSR 2013). Zum Ende der 1980er Jahre wurde es aufgrund der entspannteren Wohnungsmarksituation, die wieder zur Vollvermietung in den Großwohnsiedlungen führte, ruhiger (Breuer 1994: 1). Dies sollte sich jedoch mit der „Wiedervereinigung“ ändern.
2.2 Entwicklung in der DDR
Auf dem Gebiet der späteren DDR mussten nach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt 18.4 Mio. Einwohner mit Wohnraum versorgt werden. Aufgrund von Flucht und Vertreibung waren dies 1.7 Mio. Einwohner mehr als noch vor dem Krieg (Schretzenmayr 1998: 40). Von den eingangs etwa fünf Mio. Wohnungen waren nach Kriegsende rund 60 Prozent unbeschädigt geblieben. Damit war die Lage nicht so dramatisch wie im Westen, jedoch war ein Viertel der Wohnungen völlig zerstört worden und weitere 16 Prozent waren stark beschädigt und somit nicht bewohnbar (Schretzenmayr 1998: 40). Auch in der ehemaligen DDR wurden Großwohnsiedlungen nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet um den Wohnungsbedarf zu befriedigen. Ähnlich wie im Westen wurde dieser zunächst anhand des Leitbildes der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ erfüllt. Dabei konzentrierte sich der Wohnungsbau auf neu erschlossene Großstandorte in städtischen Randlagen (Hannemann 1998: 91). Mitte der 1950er Jahre wurde in der DDR wie in fast allen sozialistischen Ländern, der „sozialistische Wohnkomplex“ zum führenden städtebaulichen Leitbild. Die Charta von Athen wurde von der DDR-Führung bewusst abgelehnt, um sich von den westlichen Leitbildern abzugrenzen (Diercke 2005: 135; Schretzenmayr 1998: 41). Ähnlich wie in der ehemaligen BRD wurden in der DDR ab den 1950er Jahren Großwohnsiedlungen errichtet. Während man im Westen ab den 1980er Jahren von den Großwohnsiedlungen abrückte, gab es in der DDR ab den 1970er Jahren keine Alternative zu den Großwohnsiedlungen (Hannemann 1998: 93). Daher wurden diese anders als im Westen bis zur „Wiedervereinigung“ errichtet (Sieverts 2006: 164).
[...]
1 Genau genommen war es keine Wiedervereinigung, sondern ein Beitritt der DDR in die BRD.