Die deutsche Musikindustrie im digitalen Zeitalter

Eine Studie zum musikkulturellen Wandel im Spannungsfeld von Akteuren, Formaten und Geschäftsmodellen


Thèse de Master, 2013

108 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Einführung
1.2 Eingrenzung des Feldes und Methodik
1.3 Untersuchungshypothesen
1.4 Vorgehensweise

2 Theoretisches Fundament
2.1 Feldtheorie von Bourdieu
2.2 Production-of-Culture Ansatz nach Peterson

3 Grundlagen
3.1 Die Beschaffenheit der Musik als Gut
3.2 Ausdifferenzierung der Musikindustrie
3.3 Die Tonträgerindustrie
3.3.1 Die Major-Labels
3.3.2 Independent-Labels
3.3.3 Klassische Wertschöpfungskette der Tonträgerindustrie
3.4 Das digitale Zeitalter

4 Der musikkulturelle Wandel
4.1 Kultureller Paradigmen wechsel
4.1.1 Jazz-Revolution
4.1.2 Rock’n’Roll-Revolution
4.1.3 Digitale Revolution
4.2 Kosten- und Wertschöpfungsstrukturen digitaler Musik
4.3 Online Distributoren
4.3.1 Download to Own
4.3.2 Download to Rent
4.3.3 Music as a Service
4.3.4 Internetradios und webradioähnliche Streaming-Dienste

5 SOZIOKULTURELLER WANDEL
5.1 Verändertes Werte- und Normensystem der Konsumenten
5.1.1 Mobilität und Flexibilität
5.1.2 Pluralität und Individualismus
5.1.3 Datenklau als Kavaliersdelikt
5.1.4 Wertschätzung für digitale Musik
5.2 Retromanie

6 Paradigma 4: Das Zeitalter des Digitalen
6.1 Strukturwandel des Musikmarktes
6.2 Strategieansätze neuer Akteure im digitalen Paradigma
6.3 Eigenständige Erhaltungsstrategien der Tonträgerkonzerne
6.4 Ausbildung einer neuen Musikästhetik? ! - Mashup

7 Fazit

8 Anhang

9 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Physischer Absatz von Tonträgern in Deutschland von 2001 bis 2012 Beliebteste Geräte bei der mobilen Musiknutzung 2012 Meinung zu einem Leben ohne Handy

Meistverkaufte Alben der Musikgeschichte in Millionen Stück

GfK-Konsumstudie des Veranstaltungsmarktes 2011 - Übersicht über die Entertainment-Märkte

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Einführung

Mit der Digitalisierung verhält es sich wie mit dem Wasser: sie sucht sich ihren Weg. Auch wenn man ver­sucht, die Nutzung zu verhindern oder zu erschweren. Egal, ob mit preislichen oder rechtlichen Instrumenten, man wird den Fortschritt in der Kommunikation und Dist­ribution durch Digitalisierung nicht stoppen können

(Tim Renner 2006).

Fortschreitende Digitalisierungsprozesse lassen sich in nahezu allen Bereichen der Un­terhaltungsindustrie wiederfinden. Besonders stark wirkt sich diese Entwicklung auf die Musikindustrie aus, was sich anhand neuer Geschäftsmodelle sowie veränderter Pro­duktions- und Distributionsbedingungen erkennen lässt.

Im Verlauf ihrer Geschichte hat sich die Musik als kulturelles und ökonomisches Gut immer wieder Modifikationen unterzogen und technologische Entwicklungen durchlebt. Mit dem Aufkommen des Internets und dem Beginn des “Digitalen Zeitalters“, das ein Set neuer Technologien hervorbrachte, ist die Musikpraxis und -wirtschaft vor bis dato unvergleichliche Herausforderungen gestellt worden. Die Loslösung der Musik von ihrem physischen Trägermedium stellt in diesem Kontext eine der innovativsten Ent­wicklungen dar und bewirkt seitdem weitreichende Umgestaltungen entlang der gesam­ten Wertschöpfungskette der Branche. Als Reaktion auf diese Genese konnte lange Zeit, insbesondere bei den Major Labels, ein konservatives Festhalten an der gängigen Praxis der Musikindustrie beobachtet werden. Versuche rechtlicher Restriktionen etwa sollten das Aufkommen neuer Implikationen und Konkurrenten weitestgehend unterbinden. Die strategische Marschroute, eine Abwehrhaltung gegenüber brancheninnovativen Prozessen aufzubauen, offenbarte sich jedoch als nicht ertragsbringendes Kalkül, was sich in starken Umsatzeinbußen ausdrückte.

Es stellt sich daher die Frage, welcher neuen Strategien es seitens der Musikindustrie bedarf, um der Vielschichtigkeit an Möglichkeiten, die mit der Digitalisierung im Mu­sikmarkt einhergehen, gerecht zu werden, und trotz des einfachen und meist kostenfrei­en Zugangs zur Musik im Internet, Erlöse erzielen zu können.

Die Ablösung der Musik von dem Trägermedium reformierte jedoch nicht alleinig die Industrie, sondern führte auch zu einer Emanzipation des Musikkonsumenten. Durch die Digitalisierung der Musik und den globalen Vernetzungsstrukturen die das Web 2.0 bietet, ist der Rezipient[1] nicht mehr auf das begrenzte Warenangebot diverser Einzel­händler angewiesen. Stattdessen ermöglichen die neu entstandenen Vertriebs- und Ge­schäftsmodelle im World Wide Web dem Konsumenten, seine Auswahl aus einem na­hezu unbegrenzten Angebot treffen zu können.

Da die Werte- und Normenvorstellungen der Anspruchsgruppen den Erfolg der unter­nehmerischen Tätigkeit maßgeblich bestimmen, ist es „zum Verständnis der Musikin­dustrie [...] unerlässlich, die Präferenzen der Hörer und Hörerinnen selbst zum Gegens­tand einer kritischen Analyse zu machen“ (Gebesmair 2008: 9). Dabei werden aus einer sozial- und kulturwissenschaftlichen Sichtweise heraus grundsätzliche Veränderungen hinsichtlich des Umganges mit und Verständnisses von Musik im digitalen Zeitalter untersucht.

Die Erforschung des musikkulturellen Wandels für das digitale Zeitalter steht daher auch im Fokus der Arbeit. Unter Berücksichtigung der wechselseitig bedingten Bezie- hungs- und Abhängigkeitskonstrukte relevanter Akteure, Formate und Geschäftsmodel­le, macht es sich der Autor zur Aufgabe das digitale Zeitalter der Musikindustrie bis zum heutigen Zeitpunkt zu untersuchen.

1.2 Eingrenzung des Feldes und Methodik

Wie in den einführenden Worten bereits angedeutet, zielt diese Arbeit darauf ab, die Untersuchung des Gegenstandsbereiches aus einer interdisziplinären Sichtweise durch­zuführen. Da die Anforderungsbereiche der verschiedenen Disziplinen (Wirtschafts-,Kultur-, Sozialwissenschaften etc.) unterschiedlich ausgelegt sind, bedarf es eines For-schungsansatzes, dessen Fokus dem interdisziplinären Charakter von Kulturbetrieben[2] gerecht wird. Das wissenschaftliche Verständnis der Kulturbetriebslehre[3] und des Kul­turmanagements[4] setzten an dieser Schnittestelle an. Die Musikindustrie wird in diesem Kontext als Institution verstanden, in der kulturelle Symbole (Musik) zum Gegenstand von Tauschakten gemacht werden, wobei es zur ökonomischen Aufladung der symbolischen Entitäten kommt (Tschmuk 2003: 18).

Das Forschungsfeld der Kulturbetriebslehre verleugnet dabei keineswegs die Tatsache, dass Untersuchungen aus einer rein ökonomischen Betrachtungsweise wichtige Erkenn­tnisse bezüglich der Produktions-, Distributions- und Rezeptionsweisen von kulturellen Gütern und Dienstleistungen hervorgebracht haben, jedoch wird der besonderen Be­schaffenheit und Vielfalt des kulturellen Sektors vermehrt unzureichende Aufmerksam­keit geschenkt (vgl. Hasitschka/ Tschmuck/ Zembylas 2005: 1). Dem Anspruch der Kulturbetriebslehre folgend, beabsichtigt die Arbeit, in ihrer Analyse sowohl die öko­nomische als auch die sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektive einzubeziehen.

Innerhalb des von der Kulturbetriebslehre aufgespannten Forschungsfeldes bewegt sich die Habilitationsschrift “Kreativität und Innovation in der Musikindustrie“ von Peter Tschmuck, in der er ein Modell der kulturellen Paradigmen für die Musikindustrie des 20. Jahrhunderts entwirft. Methodisch stellt dieses Modell die Basis und den Ausgangs­punkt für die Analyse der vorliegenden Arbeit dar.

Tschmucks Werk fußt auf dem von Alfred Smudits entwickelten Schema der Media- morphosen[5]. Darunter fasst dieser „Transformationsprozesse des Kulturschaffens, die auf den Einfluss neuer Kommunikationstechnologien zurückzuführen sind“ (Smudits 2008: 241) zusammen. Nach ihm können dabei bislang fünf Ausprägungen genannt werden:

Die erste grafische Mediamorphose (auch als schriftliche Mediamorphose bezeichnet), welche die Entwicklung der Schrift und - hier besonders relevant - die Notenschrift hervorbrachte. Die zweite grafische Mediamorphose, auch reprografische Mediamor­phose genannt, die sich mit der Erfindung des Buchdrucks bzw. des Notendrucks aus­bildete und erstmals die unabhängige Rezeption ohne Beisein des Schöpfers zusicherte. Die chemisch-mechanische Mediamorphose, die auf der Erfindung des Grammophons gründet sowie die elektronische Mediamorphose, welche die Epoche der Industrialisie­rung der Musikkultur einläutete, beschreiben die dritte bzw. vierte Mediamorphose. Seit den 1980er Jahren wird von der fünften Mediamorphose, der sogenannten digitalen Mediamorphose, gesprochen (vgl. Smudits 2002: 143).

Davon ausgehend attestiert Tschmuck für die Entwicklung der Musikindustrie im 20. Jahrhundert seit der Entstehung des Phonographen drei mit Strukturbrüchen verbundene Paradigmenwechsel (vgl. Grafik 1). Für ihn resultieren die Paradigmenwechsel in der Musikindustrie allerdings nicht alleinig aus den Erzeugnissen technologischer Innova­tionen, sondern sind als „umfassender, kultureller Wandel“ zu verstehen, da jede Indust­rie von einem „kulturellen Paradigma bestimmt“ (Tschmuck 2003: 277) sei. Nach ihm sind unter dem Begriff des kulturellen Paradigmas „sämtliche Werte-, Normen und Handlungsheuristiken, die als Basis für die Akteure dienen“ (ebd.: 277) zu fassen. Ein Paradigmenwechsel stellt aus diesem Verständnis heraus einen „radikalen Umbruch des Werte- und Normensystems“ (ebd.) dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Grafik 1 - Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Tschmuck 2003: 279

Die dargestellten Paradigmenwechsel zeichnen sich nach Tschmuck dabei durch fol­gende Gesetzmäßigkeiten aus:

Paradigma 1, das durch die Produktionslogiken der Musikverlage mit dem Han­del von Notenpapieren bestimmt wurde und im späten 19. Jahrhunderts bis zu den frühen 1920er Jahren zu verorten ist.

Paradigma 2, das durch die Jazz-Revolution ausgelöst wurde und folglich von den Handlungsroutinen der großen Rundfunknetzwerke bis Mitte der 1950er Jahre geprägt wurde.

Paradigma 3, das aus der Rock‘n’Roll-Revolution hervorging und dabei die op­timierten Produktions- und Distributionsprozesse der Tonträgerkonzerne her­vorbrachte. Das bis heute andauernde Paradigma wird seit Ende der 1990er Jah­re verstärkt durch die digitale Revolution beeinflusst (vgl. ebd.: 279-280).

Tschmuck merkt dazu an, dass sein Verständnis des kulturellen Paradigmas keineswegs auf der Prämisse beruht, die Handlungsakteure seien eine homogene Masse. Vielmehr versucht er, mit dieser Auffassung Regelmäßigkeiten der Produktions- und Distributi­onsbedingungen sichtbar zu machen, die als maßgebliche Charakteristika des vorherr­schenden Paradigmas begriffen werden können (vgl. ebd.).

Im Verlauf seiner Arbeit stellt er das Innovations- und Kreativitätspotential der Musik­industrie am Beispiel der verschiedenen Paradigmen unter Berücksichtigung der rele­vanten Akteure der Musikindustrie dar. Tschmuck benennt in diesem Zusammenhang die digitale Revolution als neuen Strukturbruch und weist in seinen Ausführungen auf ein kommendes viertes Paradigma hin. Die damit einhergehenden ersten Entwicklungs­tendenzen, die sich bis zur Veröffentlichung seines Werkes im Jahr 2003 ereigneten, stellt Tschmuck dar, unterlässt allerdings die weiterführende Ausführung aus zweierlei Gründen: Zum einen waren die Entwicklungstendenzen der Digitalisierung für die Mu­sikindustrie zu diesem Zeitpunkt nur äußerst vage und hypothetisch zu erahnen, zum anderen betont Tschmuck bereits zu Beginn seiner Habilitationsschrift, sich mit der Musikindustrie des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen zu wollen.

Der dieser Arbeit zugrunde liegende Forschungsansatz setzt an die von Peter Tschmuck beschriebene Abfolge kultureller Paradigmen der Musikindustrie des 20. Jahrhunderts an und führt zehn Jahre nach Tschmucks Veröffentlichung sein Modell für die Musik­industrie des 21. Jahrhunderts fort. Dabei werden derzeitige Erkenntnisse über die Inno­vationspotentiale der Musikindustrie erschlossen und anhand ausgewählter Beispiele charakteristisch aufgezeigt. Auch wird der soziokulturelle Wandel innerhalb der Gesell­schaft betrachtet, um Aussagen über die Handlungsroutinen der Akteure im neuen vier­ten Paradigma treffen zu können, dass sich derzeit aufzeigt.

Die Untersuchung des Gegenstandsbereiches wird vorrangig für die deutsche Musikin­dustrie erfolgen und widmet sich primär den Bereichen der Tonträgerindustrie und ihrer komplementären bzw. substitutiven Angeboten im Online-Bereich, da hier die derzeit größten Veränderungen bzw. Entwicklungen auszumachen sind. Aufgrund fortschrei­tender Globalisierungsprozesse in nahezu allen Teilmärkten der Musikindustrie können strikte territoriale Abgrenzungen jedoch nicht immer vorgenommen werden. Neben systematischen Abgrenzungsproblemen würde sich zudem die Schwierigkeit ergeben, Implikationen oder Geschäftsmodelle, deren Zugriffsmöglichkeiten weltweit ausgelegt sind (z.B. onlinebasierte Tauschbörsen, Streaming-Dienste etc.), einem bestimmten Markt zuordnen zu müssen, was von der Zielführung der Arbeit abweichen würde.

Weiterhin wird eine Eingrenzung des Feldes vorgenommen, indem sich bei der Prob­lemstellung auf die Darstellung der ,U-Musik‘ (Unterhaltungsmusik) in Abgrenzung zur ,E-Musik‘ (Ernste Musik) konzentriert wird. Als Besonderheit der Unterhaltungsmusik bzw. populären Musik gegenüber der E-Musik ist der enge Bezug zu den elektronischen Medien auszumachen. Die Popularmusik gilt demnach als „einziges musikalisches Gen­re des 20. Jahrhunderts, dessen musikalische Gestaltung mit der Phonographie und der elektronischen Klangerzeugung unauflösbar verbunden ist“ (Bielefeldt/Dahmen, Groß­mann: 2008: 11). Da die Gesetzmäßigkeiten der Produktions-, Distributions-, und Re­zeptionsbedingungen nicht nur bei der E-Musik, sondern auch bei volkstümlicher Musik und Schlagern, die für gewöhnlich der Popularkultur zugeordnet werden, völlig anders verlaufen und analoge Rückschlüsse somit nicht vorgenommen werden können, sollen diese im Rahmen der Arbeit nicht betrachtet werden.

1.3 Untersuchungshypothesen

Aus der ökonomischen Perspektive gilt es zu untersuchen, inwiefern wirklich von ei­nem Umsatzeinbruch der gesamten Musikindustrie gesprochen werden kann. Um dieses zu ergründen, gilt die Prämisse, die Musikindustrie nicht als Gesamtbetrachtungsobjekt oder lediglich als Abbild der Tonträgerindustrie zu begreifen, sondern die Untersuchung für einzelne Branchensegmente der Musikindustrie gesondert vorzunehmen und die jeweiligen Wachstumspotentiale gegenüberzustellen.

These 1: Die ökonomische Betrachtung der Musikindustrie darf keineswegs als Ge­samtobjekt betrieben werden, sondern muss gesondert für die ausdifferenzierten Bran­chensegmente erfolgen, da das Wachstumspotential innerhalb der verschiedenen Bran­chensegmente der Musikindustrie im digitalen Zeitalter sehr heterogen ist und nicht überall negative Entwicklungstendenzen aufweist.

Von der Annahme ausgehend, dass sich der musikkulturelle Wandel aus einem wech­selseitig bedingten Abhängigkeitsverhältnisses zwischen der Musikindustrie auf der einen und dem Musikrezipienten auf der anderen Seite herausbildet und gleichzeitig die Interessen beider Parteien befriedigt werden müssen, ergibt sich die zweite zentrale These, die im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden soll:

These 2: Das Werte und Normensystem der Konsumenten hat sich mit der Digitalisie­rung und dem Aufkommen neuer Akteure im Web 2.0 verändert. Die Musikindustrie und insbesondere die Tonträgerindustrie hat auf die Veränderung des musikkulturellen Wandels noch keine adäquate Lösung gefunden, welche diesen Wandel hinreichend berücksichtigt.

Der musikkulturelle Wandel sollte allerdings nicht generalisiert werden, da sich sowohl auf der Produzenten- wie auch auf der Rezipientenseite immer Anspruchsgruppen fin­den lassen, die an bestimmten Entwicklungen nicht partizipieren oder gerade Maßnah­men ergreifen, mit denen sie bewusst versuchen, sich von der breiten Masse abzuheben. Dies führt zur Formulierung der dritten Forschungsthese:

These 3: Die Digitalisierung im Musikbusiness bewirkt nicht nur eine steigende Parti­zipation an neuen Geschäftsmodellen, sondern ebenso eine verstärkte Rückwärtsorien­tierung zu Retromedien.

Die Strukturbrüche des vergangenen Jahrhunderts gingen immer mit neuen Musikstilen einher, die als charakteristisch für ein jeweiliges Paradigma ausgemacht werden konn­ten. Somit liegt die Annahme nahe, dass mit dem Einzug des digitalen Zeitalters ein solch ästhetischer Paradigmenwechsel ebenfalls ausgemacht werden kann.

These 4: Das digitale Zeitalter hat eine neue Musikästhetik hervorgebracht, in der sich die Möglichkeiten der digitalen Innovationen widerspiegeln.

1.4 Vorgehensweise

Zur Beantwortung der Fragestellungen, die sich innerhalb des technologischen, sozio- kulturellen und ökonomischen Wandels bewegen, wird mit Literatur aus den verschie­denen Disziplinen gearbeitet. Aufgrund der starken Dynamik der Musikindustrie im digitalen Zeitalter und der damit zusammenhängenden Problematik, dass mitunter selbst aktuellste Literatur direkt nach ihrer Veröffentlichung den bestehenden Branchenbedin­gungen nicht mehr gerecht wird, ist es unerlässlich, Internetquellen heranzuziehen, de­ren Aktualitätsgrad denen von Büchern voraus ist.

Zur Bearbeitung nach kulturbetriebswirtschaftlichen Maßstäben gilt es, ein theoreti­sches Gerüst (2) zu schaffen, das Aufschluss über die Formation kultureller Güter und ihrer sozialen Ordnung liefert. Zu diesem Zweck wird auf zwei Theorien zurückgegrif­fen, deren Verwendung jedoch nicht alleinig als Hilfestellung für ein theoriegeleitetes Gerüst zu verstehen ist, sondern auch methodologische Anknüpfungspunkte liefern soll.

Mit der Feldtheorie nach Pierre Bourdieu (2.1) wird eine Theorie herangezogen, die der Erklärung des Spannungsfeldes, in dem die Produktionsmechanismen der kulturellen Güter der Musikindustrie stattfinden, dienlich ist. Es besteht jedoch nicht der Anspruch, die Theorie in ihrer Vollständigkeit wiederzugeben. Vielmehr werden die Aspekte he­rausgestellt, die zu einem besseren Verständnis beitragen, die Veränderungen des Fel­des der Musikindustrie im weiteren Verlauf der Arbeit besser erläutern zu können. Der Production-of-Culture-Ansatz nach Richard A. Peterson (2.2) stellt ein Instrument zur Analyse von Prozessen bei der materiellen und symbolischen Herstellung kultureller Güter dar. Unter Einbezug mehrerer Perspektiven können mit dem Ansatz die Produkti- ons-und Distributionsprozesse aus einer institutionalisierten Sichtweise heraus bestimmt werden, bei der die Aneignungsprozesse seitens der Rezipienten im wechselseitig be­dingten Zusammenspiel mit einbezogen werden.

Der anknüpfende Grundlagenteil (3) bestimmt zunächst die Eigenschaften, welche der Musik als kulturelles und wirtschaftliches Gut eigen sind (3.1). In 3.2 wird die Ausdif­ferenzierung der Musikindustrie in ihre verschiedenen Bestandteile dargestellt, um ei­nerseits einen Überblick über das Feld zu schaffen und andererseits Begrifflichkeiten voneinander abzugrenzen, die im Fortlauf dieser Arbeit Verwendung finden. Der dritte Teil dieses Kapitels widmet sich der Tonträgerindustrie (3.3) als einem Hauptakteur der Musikindustrie. Mit den Major-Labels (3.3.1) und den Independent-Labels (3.3.2) wer­den die zwei bedeutendsten Vertreter der klassischen Wertschöpfungskette der Tonträ­gerindustrie (3.3.3) vorgestellt. Den Abschluss des Grundlagenkapitels bilden Ausfüh­rungen zu den technischen Transformationen, welche das digitale Zeitalter (3.4) hervor­gebracht hat.

Das vierte Kapitel befasst sich mit dem musikkulturellen Wandel (4), der durch die Di­gitalisierung und den neuen Möglichkeiten im Web 2.0 ausgelöst wurde. Ehe auf die dadurch bedingten veränderten Kosten- und Wertschöpfungsstrukturen der Musikin­dustrie (4.2) und die Ausprägungen der neuen Online-Distributoren (4.3) eingegangen wird, erfolgt eine genauere Vorstellung des Konzeptes der kulturellen Paradigmen­wechsel nach Tschmucks Modell (4.l). Die Erkenntnisse, die durch die vergangenen Paradigmen gewonnen wurden, sollen dazu verhelfen, Analogien herauszubilden, die im weiteren Verlauf der Arbeit auf das vierte Paradigma übertragen werden können.

Im Anschluss setzt sich die Arbeit mit dem soziokulturellen Wandel der Konsumenten und seinem wechselseitigen Einfluss auf die Geschäftsmodelle und Formate der Musik­industrie auseinander (5). Nach einer einführenden Auseinandersetzung mit gesell­schaftlichen Werte- und Normvorstellungen (5.1) werden diesbezügliche Verände­rungsprozesse innerhalb der heutigen Gesellschaft aufgezeigt. Zunehmende Mobilitäts­und Flexibilitätsbestrebungen (5.1.1) werden ebenso betrachtetet wie Pluralität und In­dividualismus-Tendenzen (5.1.2). Weiterhin wird der Frage nachgegangen, welcher Wert der digitalen Musik beigemessen wird, indem einerseits die Netzpiraterie (5.1.3) und andererseits die Wertschätzung für digitale Musik untersucht werden (5.1.4). Da Entwicklungen jedoch auch rückwärtsgerichtete Tendenzen annehmen können, wird der sogenannte „Retromanie“-Effekt ebenfalls beleuchtet (5.2).

Der folgende Punkt untersucht die neuen Rahmenbedingungen für das vierte Paradigma der Musikindustrie (6), indem die gewonnen Erkenntnisse der vergangenen Gliede­rungspunkte zusammengeführt werden. Inwiefern sich der Strukturwandel auf den Mu­sikmarkt ausgewirkt hat (6.1) wird dabei vorangestellt, um im Folgenden die komplexe Zusammenführung aller vorab bestimmter Faktoren und den daraus resultierenden Stra­tegieausrichtungen der neuen (6.2) und etablierten Akteure (6.3) der Musikindustrie unter Berücksichtigung der Konsumentenbedürfnisse zu betrachten. Ob Mashups (6.3) für das digitale Paradigma als neue charakteristische Musikform verstanden werden können, soll abschließend diskutiert werden.

Resümierend werden im Fazit (7) die verschiedenen Perspektiven, die für den Wand­lungsprozess der Musikindustrie verantwortlich gemacht wurden, dargestellt und ihre wechselseitigen Abhängigkeitsbeziehungen modellhaft gekennzeichnet. Darüber hinaus werden mögliche Entwicklungen der nahen Zukunft betrachtet.

2 Theoretisches Fundament

2.1 Feldtheorie von Bourdieu

Der Begriff des sozialen Feldes ist auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu zurückzuführen und dient der Erklärung von Prozessen innerhalb differenzierter gesell­schaftlicher Bereiche, die über eigene Ressourcen und eigene Spielregeln verfügen. Bourdieu begreift Felder als

Räume [...], die ihre Struktur durch Positionen der Akteure bekommen, deren Eigenschaften wiederrum von ihrer Position in diesen Räumen abhängen und unabhängig von den Merkmalen ihrer Inhaber untersucht werden können (Bour­dieu 1993: 107).

Mit der Verwendung des Begriffes „Feld“ bewegt er sich in der Tradition Émile Durk- heims und des Strukturalismus, weil er damit die „relative Eigenständigkeit sozialer Tatsachen [...] und den Zwang [...], den diese den Handelnden auferlegen“ (Schwingel, 1995: 77), betont. Demnach gebe es

objektive, d.h. vom Willen und Bewußtsein [sic] der Akteure (relativ) unabhän­gige Strukturen - die Strukturen sozialer Felder - die, obgleich sie realiter nur vermittels der Praxis sozialer Akteure existieren, dennoch ein gewisses Eigenle­ben haben (ebd.).

Gesellschaftliche Praxis beobachtet er in verschiedenen Feldern im sozialen Raum. So benennt er beispielsweise das Feld der Religion, das Feld der Philosophie, das Feld der Politik und das Feld der Produktion von kulturellen Gütern. Alle Felder verfügen über eigene charakteristische Merkmale sowie über unterschiedliche Interessen und Interes­sensobjekte. Jedes Feld ist zudem mit einem bestimmten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschema der Akteure verknüpft, dem sogenannten Habitus (vgl. Bourdieu 2005: 31), der die Individuen dazu befähigt, „an der sozialen Praxis teilzunehmen und soziale Praxis hervorzubringen“ (Fuchs-Heinritz/König 2005: 113f.).

Als einen Grundmechanismus, der jedoch allen Feldern gemein ist, bezeichnet Bourdieu den „Kampf zwischen den Herrschenden und den Anwärtern auf die Herrschaft“ (Bour-

dieu 1993: 107). Ein Neuling versuche immer die „Riegel des Zugangsrechts“ (ebd.) zu sprengen, währenddessen der Herrschende darum bemüht sei, sein Monopol zu erhalten und Konkurrenz abzuwehren. Während also diejenigen, die über eine monopolistische Position im Feld verfügen, eine Erhaltungsstrategie verfolgen, versuchen die weniger kapitalkräftigen Akteure mit einer Umsturzstrategie ihre Ziele zu realisieren (vgl. ebd.: 109). Objekt der Kämpfe[6] ist die vorherrschende Stellung im Feld, was sich nach Bour­dieu letztlich „im Erhalt bzw. in der Umwälzung der Verteilungsstruktur des spezifi­schen Kapitals [7] “ (ebd.: 108) ausdrückt. Die Struktur des Feldes ergibt sich daher aus der gegebenen Konstellation der Machtverhältnisse zwischen den am Kampf beteiligten Akteuren. Trotz ihrer unterschiedlichen Ansprüche und den daraus resultierenden Aus­einandersetzungen vereint alle Akteure das Grundinteresse an der Existenz des Feldes. Es besteht folglich eine Übereinkunft über die Bedeutung und den Wert des Feldes, so- dass dessen stetige Reproduktion des Feldes durch den Kampf um dieses geschieht. Als Prämisse für die Teilnahme an dem „Spielakt“ (ebd.: 110) gilt insbesondere für Neulin­ge die Akzeptanz der Werte sowie profunde Kenntnisse über die Vergangenheit des Feldes. Ein Werk und sein Wert sei nur für denjenigen in Gänze zu verstehen, der die Geschichte des Produktionsfeldes kennt (vgl. ebd.: 111).

Im Gegensatz zur Auffassung einiger Vertreter poststrukturalistischer Theorien (vgl. Zembylas 2006: 30) stellen also Akteure bei Bourdieu keine passiven Elemente des Feldes dar. Vielmehr tragen sie zur Konstitution und zum Erhalt des Feldes unter Be­achtung der feldspezifischen Regeln bei.

Der Production-of-Culture-Ansatz entstammt der amerikanischen Kultursoziologie und wurde maßgeblich von den Arbeiten Richard A. Petersons geprägt, auf dessen For­schung sich an dieser Stelle konzentriert wird[8]. Den Ausgangspunkt der seit mehr als drei Jahrzehnten bestehenden Forschungstradition bildet die Erkenntnis, „that the social arrangements used in making symbolic elements of culture affect the nature and content of the elements of culture produced“ (Peterson 1994: 163). Die Forschung konzentriert sich damit auf die Frage, wie Kultursymbole von dem System, in dem sie geschaffen, verteilt, ausgewertet, gelehrt und bewahrt, beeinflusst und geformt werden (vgl. Peter­son/Anand 2004: 311).

Die Herstellung bzw. die Produktion von Kulturprodukten ist für Peterson nie allein dem Resultat eines einsamen schöpferischen Aktes (vgl. ebd.), sondern immer dem Er­gebnis kollektiver Anstrengung geschuldet (vgl. Kirchberg 2005: 157). Kulturelle Um­brüche resultieren aus Sicht des Production-of-Culture-Ansatzes immer aus Verände­rungen der industriellen Produktionsumwelt und der Produktionssysteme (vgl. Peterson 1976: 672). Beeinflusst werden Stile und Inhalte der kulturellen Produkte demgemäß durch die vorherrschenden Verhältnisse und Zustände dieser institutionellen Felder und Umwelten. Der Begriff der „Produktion“ ist jedoch nicht allein auf den Herstellungsakt bezogen. Vielmehr sind daran auch sämtliche Handlungen gebunden, die der reinen Produktion nachgelagert sind wie etwa die Distribution, Konsumption, Rezeption und Evaluierung. Die Rezipienten werden folglich bei diesem Ansatz als Akteure des Pro­duktionsprozesses verstanden.

Die Bedeutung dieses methodischen Ansatzes zur Analyse sieht Peterson darin beste­hen, dass er „techniques for researching the constructed nature of collective representa­tions, values and the other aspects of culture“ (ebd.: 326f.) bereitstellt. Dem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass jedes Symbolsystem nach dem gleichen Muster untersucht werden könne (vgl. Peterson 1994: 177). Für eine vollständige Analyse der konstituie­renden Elemente kultureller Produkte aus Sicht dieses Ansatzes bedürfe es dementspre-

chend einer Untersuchung von sechs Bereichen, die für die Konstitution verantwortlich gemacht werden: „These include technology, law and regulation, industry structure, organization structure, occupational career, and market“ (Peterson/Anand 2004: 313). Die Ansicht einer wechselseitigen Wirkung und Beeinflussung bei der Produktion eines Kulturgutes aller Handlungsstufen und Felder ist dabei ein wesentlicher Faktor der Ana­lyse im Sinne des Production-of-Culture-Ansatzes.

3 Grundlagen

3.1 Die Beschaffenheit der Musik als Gut

1847 besuchte Ernest Bourget, französischer Komponist, gemeinsam mit seinem Kolle­gen Victor Parizot das Pariser Konzert-Café Ambassadeurs. Nach dem Genuss der Ge­tränke verlangte der Kellner die Begleichung der Rechnung von Bourget. Bourget ver­weigerte die Bezahlung mit der Begründung, das Orchester des Cafés habe vermehrt seine komponierten Stücke ohne Genehmigung gespielt und seinen Besitz damit uner­laubt verwendet, weshalb die Schuld für die Begleichung der Getränke bereits im Vor­feld vollzogen worden sei. Der anschließende Streit zwischen Bourget und dem Wirt der Lokalität wurde in einem Gerichtsprozess fortgeführt, aus dem Bourget als Sieger hervorging (vgl. Kreile/Becker 2003: 595).

Diese Anekdote verdeutlicht den hohen Bedarf an Schutzmechanismen, die der Musik zugesprochen werden müssen, da sie von ihrer Beschaffung her als immaterielles Gut (vgl. Homann 2007: 4) mit zwei Eigenschaften behaftet ist, die grundsätzlich öffentli­chen Gütern zugeschrieben werden: die Nicht-Rivalität sowie die Nicht-

Ausschließbarkeit im Konsum. Erst genanntes kann anhand zweier Dimensionen auftre­ten. Zum einen liegt eine Nicht-Rivalität im Konsum vor, wenn keine Abnahme der Qualität nach Nutzung des Gutes zu beobachten ist und somit von jedem weiteren Nut­zer in Anspruch genommen werden kann. Andererseits wird von Nicht-Rivalität im Konsum gesprochen, wenn das entsprechende Produkt gleichzeitig an mehreren Orten von Personen oder Personengruppen konsumiert werden kann (vgl. Schumann/Hess 2009: 38). Eine Nicht-Ausschließbarkeit im Konsum dagegen bezeichnet die Eigenart, die einem Gut bzw. Produkt zugesprochen wird, wenn der Anbieter eines Gutes nicht in der Lage ist, den Konsum auf bestimmte Nutzer einzuschränken (vgl. ebd.). Nach Beck weist besonders Musik in digitaler Form die beiden Merkmale der Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschließbarkeit im Konsum auf (vgl. Beck 2011: 239). Schumann/Hess führen dazu erklärend an, dass die Ausprägungsstärke der Rivalität im Konsum nach der Me­dienform unterschieden werden muss: Während klassische Trägermedien eine hohe Rivalität aufweisen, nimmt die Stärke für digitale Trägermedien ab und führt bei nicht­physischen Trägermedien zu einer „maximalen ,Nicht-Rivalität(Schumann/Hess 2009: 39).

Problematisch erweisen sich diese Eigenschaften dann, wenn es um die ökonomische Aufladung von kulturellen Symbolen (z.B. Musik) und ihrer Transformation zu Kultur­gütern geht (vgl. Zembylas/Tschmuck 2006: 10). Denn gerade dieser Transformations­prozess in handelbare Güter setzt klare Eigentumsverhältnisse und Knappheit voraus, die jedoch bei der Musik nicht als grundsätzlich gegeben vorliegen (vgl. ebd.). Die Be­sonderheit von Kulturgütern und -leistungen besteht schließlich darin, dass bei ihnen im Gegensatz zu anderen ökonomischen Gütern „die Wechselwirkung und Simultanität von symbolischer und ökonomischer Funktion konstitutiv ist“ (ebd.). Im digitalen Zeit­alter wird diese konstitutive Beschaffenheit zu einem akuten Problem für die Musikin­dustrie. Musikinhalte in digitaler Form sind folgendermaßen nicht nur mit der Eigenart behaftet, eine hohe Nicht-Rivalität im Konsum aufzuweisen, sondern können darüber hinaus auf einfache Art und Weise ohne Qualitätsverlust kopiert oder weitergegeben werden, womit ein Ausschluss nicht zahlender Konsumenten erheblich erschwert wird (vgl. Schumann/Hess 2009: 39).

Wirtschaftspolitische Instrumentarien unterstützen die Erzeugung einer künstlichen Knappheit und die Bewahrung von Eigentumsverhältnissen bei immateriellen Gütern. Die Rechtsgrundlage für den Schutz der Immaterialgüterrechte bzw. dem Schutz von „geistigem Eigentum“ musikalischer Inhalte bietet das Urheberrecht, das seine gesetzli­che Grundlage in Deutschland im Urheberrechtsgesetz vom 9.9.1965 (UrhG) wiederfin­det (vgl. Homann 2007: 3). Dieses sichert den Urhebern von literarischen, wissenschaft­lichen oder künstlerischen Werken den Schutz nach Maßgabe des Gesetzes zu (§1 UhrG), unter denen auch ausdrücklich musikalische Werke (§2 Abs. 1 (2) UrhG) sub- summiert werden. Die Schutzmaßnahmen bestehen darin, dem Urheber durch die ge­setzlichen Reglementierungen des Urheberrechts „umfassende Verbotsrechte in Form von Verwertungsrechten“ (Ventroni 2008: 60) einzuräumen. Die Verwertungsrechte unterscheiden dabei zwischen der Verwertung von körperlichen (§15 Abs. 1. UrhG) und nicht körperlichen Formen (§15 Abs. 2 UrhG). Zu den wichtigsten körperlichen Formen im Musikbereich zählen das Vervielfältigungs- (§16 UrhG) und das Verbreitungsrecht (§17 UrhG), welche dem Urheber die Rechte an der Übertragung des Werkes auf jegli­che Formen physischer Träger und die Verwertung dieser in der Öffentlichkeit, unab­hängig von dem Verfahren oder der Stückzahl, zusichern. Die Verwertungsrechte für unkörperliche Formen, zielen darauf ab, den Urhebern das Recht auf öffentliche Wie­dergabe zu gewähren (§15 Abs. 2 UrhG). Darunter ist auch das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§19 a UrhG) angesiedelt, welches es dem Urheber erlaubt, das Werk über einen drahtgebundenen oder drahtlosen Übertragungsweg der Öffentlichkeit in einer Form bereitzustellen, die es den Nutzern ermöglicht, das Werk zeit- und orts­unabhängig zu nutzen.

Während das Vervielfältigungsrecht ein traditionell verankertes Verwertungsrecht im Urheberrechtsgesetz darstellt, handelt es sich beim §19a UrhG „um eine speziell auf die Nutzung des Internets und anderen elektronischen Netzen zugeschnittene Verwertungs­befugnis“ (Heine 2008: 19). Dieser und weitere Paragraphen des Urheberrechtsgesetzes wurden im Rahmen der beiden Gesetzesnovellen durch das erste und zweite „Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft" im Jahr 2003 und im Jahr 2008 hervorgebracht und reagieren damit auf die fortschreitenden technischen Entwick­lungen der digitalen Medien (vgl. Kuck 2008: 722).

3.2 Ausdifferenzierung der Musikindustrie

Über das Verständnis des Begriffes der Musikindustrie herrscht in der wissenschaftli­chen Literatur kein einheitlicher Konsens. Zum einen wird etwa von Friedrichsen et al. oder Stähler die Auffassung vertreten, die Musikindustrie als synonymes Pendant zur Tonträgerindustrie bzw. phonographischen Wirtschaft zu verstehen (siehe hierzu z.B. Friedrichsen et al. 2004: 7ff.; Stähler 2002: 256). Einhergehend mit dieser Gleichstel­lung ergeben sich jedoch Zuordnungs- und Verständnisprobleme, da es sich bei dem Begriff Tonträgerindustrie um einen eng gefassten Terminus handelt, der sich „mit der Einspielung und Festlegung von Musik auf einen Träger beschäftigt und/oder nachfol­gend diese auf Träger festgelegte Aufnahmen vermarktet“ (Kromer 2008: 24). Laut Tschmuck führe eine alleinige Betrachtung der Tonträgerindustrie zu einer unvollstän- digen und verzerrten „Darstellung der Zusammenhänge der industriellen Musikproduk­tion“ (Tschmuck 2003: 11). So sei etwa für die Produktion von Tonträgern das Musik­verlagswesen unerlässlich, da es in Form von Nutzungsrechten das ,kreative‘ Rohmate­rial für die Produktionen liefere (vgl. ebd.). Anhand dieses einen Beispiels wird bereits offensichtlich, dass die Herstellung und Verwertung von Musik wesentlich differenzier­ter betrachtet werden muss, als sie alleinig auf tonträgergebundene Erscheinungsformen zu reduzieren.

Als geeigneter erweisen sich Ansätze, welche die Musikindustrie als einen Oberbegriff verstehen, worunter verschiedene Teilmärkte subsumiert werden. In diesem Verständnis umfasst die Musikindustrie die „Gesamtheit der Unternehmen und Märkte zur organi­sierten Herstellung und Verwertung von Musik“ (Baumgärtel 2011: 421). Tschmuck spricht in diesem Zusammenhang von einem „Netzwerk, in dem Musik arbeitsteilig und unter Zuhilfenahme neuester Technologien so produziert und distribuiert wird, das ein Massenkonsum möglich wird“ (Tschmuck 2003: 12). Ein weiterer Vertreter dieses Ver­ständnisses ist Eberhard Kromer, der in seiner Definition die Musikindustrie „als die Gesamtheit aller Marktteilnehmer, die sich fortlaufend systematisch mit Herstellung, Verkauf und Vermarktung musikalischer Produkte befassen“ (Kromer: 2008: 26) be­greift. Für ihn setzt sich das Feld der Musikindustrie aus sechs relevanten Wirtschafts­bereichen zusammen:

1. die traditionelle Tonträgerindustrie[9]
2. Distributoren, worunter Kromer neben Musiksendern alle Online und Mobile­Musik-Portale fasst, die ihre Einnahmen nicht aus dem Verkauf der Musik son­dern durch indirekte Erlösmodelle wie Werbeflächen generieren
3. die Musikverlage, einschließlich der Verwertungsgesellschaften
4. das musikalische Live-Entertainment (Konzerte, Galas, Musicals usw.)
5. Begleitindustrien, zu denen neben den Vervielfältigungs- und Pressewerken auch die Content-Aggregatoren, Internetprovider sowie Musikinstrumente- und Softwarehersteller zählen
6. sowie die ,Creative Community‘ (Autoren, Musiker, künstlerische Produzenten), die allerdings nur indirekt von den industriellen Strukturen der Musikwirtschaft tangiert werden (vgl. ebd.: 27).

Das weit gefasste Verständnis des Begriffs Musikindustrie schließt somit nicht nur die traditionellen Marktteilnehmer der Tonträgerindustrie mit ein, sondern wird auch neuen Teilnehmern des digitalen Zeitalters gerecht, die eine zentrale Stellung in der vorliegen­den Arbeit beziehen.

3.3 Die Tonträgerindustrie

Für die Musik stellen physische Tonträger seit langer Zeit das Hauptspeichermedium dar. Thomas A. Edisons Erfindung des Phono graphens, der 1888 Marktreife erlangte, ermöglichte erstmalig Musik auf einem physischen Trägermedium (Wachswalze) zu speichern und abzuspielen. Diese Entwicklung gilt als die Geburtsstunde der Tonträger­industrie (vgl. Wicke 1995: 1347). Für den Vertrieb der Phonographen wurde im glei­chen Jahr die selbstständig operierende Columbia Phonograph Company gegründet, die ab 1938 ihre Geschäfte im Verbund mit dem amerikanischen Medienkonzern Columbia Broadcasting System (CBS) und seit 1988 im Rahmen des japanischen Elektronik­Konzerns Sony fortführte. Sie stellt damit die älteste Tonträgerfirma der Welt dar. In den USA erwuchsen mit der 1893 von Emile Berliner gegründeten United States Grammophone Company und der 1901 von Eldridge R. Johnson gegründeten Victor Talking Machine Company zeitnah zwei weitere einflussreiche Tonträgerfirmen, die als Marktführer dieser Zeit angesehen werden. Mit der Gründung von Tochterunternehmen in Europa[10] bauten sie ihre Marktvorherschaft weiter aus (vgl. ebd.).

Der historische Rückgriff auf die Entstehung der Tonträgerindustrie verdeutlicht Struk­turen, die auch heutzutage noch auszumachen sind: Die Vorherrschaft einiger Konzer­ne, die vertikal und horizontal miteinander verflochten sind (vgl. Gebesmair 2008: 17). Diese oligopolistische Struktur mit einigen wenigen dominierenden Unternehmen auf der einen Seite, die sich den Großteil des Marktes teilen, und vielen kleinen Firmen mit geringem Marktanteil auf der anderen Seite, war bis Ende der 1990er Jahre und dem Beginn der Digitalisierung noch zu erkennen (vgl. Wirtz 2013a: 563). Doch dieses bis dahin funktionstüchtige System wurde durch die Digitalisierung in Frage gestellt, was sich anhand ökonomischer Einbußen beobachtet ließ.

Für die Umsatzentwicklung des physischen Musikverkaufes in Deutschland kann in den Jahren zwischen 2003 und 2012 eine negative Veränderungsrate von ungefähr 37% ausgemacht werden. Die Umsätze sanken nach Angaben des Bundesverbandes für Mu­sikindustrie e.V. (BVMI)[11] von 1,816 Milliarden (2003) auf 1,141 Milliarden (2012) (vgl. BVMI 2012a: 9). Für die Absatzentwicklung bedeutet das einen Rückgang von 160 Millionen verkauften physischen Tonträgern (2003) hin zu 103,7 Millionen Stück (2012) in der Bundesrepublik (vgl. Abb. 1).

Obwohl der Verkauf der CD im Betrachtungszeitraum 2011 bis 2012 einen Umsatz­rückgang von 7,2% verzeichnete, nimmt sie mit einem Anteil von etwa 71% an den Gesamtumsätzen der Trägermedien für Musik nach wie vor den ersten Platz ein (vgl. BVMI 2012a: 10). Auch für Musik-DVDs als zweitwichtigste Einnahmequelle kann für diesen Zeitraum ein negativer Prozentsatz von 17,6% beobachtet werden. Für Vinyl­Alben, die derzeit an dritter Stelle der wichtigsten physischen Abspielmedien stehen, konnte hingegen ein deutlicher Positiv-Trend verzeichnet werden. Mit einem Wachstum von knapp 40%, steigerte sich der Vinyl-Verkauf im Vergleich zum Vorjahr, was einen Gesamtumsatz von annähernd 20 Millionen Euro für das Jahr 2012 bedeutet (vgl. ebd.).

Die Grundstruktur der Tonträgerindustrie ist geprägt durch die beiden voneinander ab­zugrenzenden Organisationsformen der Major-Labels und Independent-Labels. Der Be­griff des ,Labels‘ (z. Dt. ,Etikett‘) entspringt früheren Zeiten, in denen es üblich war, die Schallplatte mit dem Firmenaufdruck des Unternehmens oder einer spezifischen Marke des Unternehmens zu versehen (vgl. Gebesmair 2008: 16). Die Differenzierung zwischen Major Labels und Independent Labels wird nachfolgend ausführlicher darges­tellt, indem die Eigenschaften und Besonderheiten der beiden Label-Formen hervorge­hoben werden.

3.3.1 Die Major-Labels

Als Major-Labels werden die dominierenden, international organisierten Tonträgerge­sellschaften bezeichnet (vgl. Schmidt 2003: 209). Neben den internationalen Zentralen der jeweiligen Majors agieren die Ländergesellschaften als zuständige Einheiten für die nationalen Musikmärkte (vgl. Kulle 1998:135f.). Infolge des Joint Ventures zwischen Sony und BMG im Jahr 2004 und dem späteren Ausstieg von Bertelsmann aus diesem Zusammenschluss (vgl. Süddeutsche.de 2010: Online) sowie der Übernahme des ehe­maligen Majors EMI durch die Universal Music Group im Jahr 2012, beherrschen der­zeit drei Major-Labels den Tonträgermarkt: Universal Music Group, Sony Music Enter­tainment und die Warner Music Group (vgl. Zeit.de 2012a: Online). Die kumulierten Marktanteile der Major-Labels werden derweil auf ungefähr 72% geschätzt (vgl. Wirtz 2013a: 562), wobei die Universal Music Group durch die Übernahme von EMI mit knapp 40% den Branchenprimus darstellt (vgl. Focus.de 2012: Online).

Charakteristisch für diese global agierenden Unternehmen ist ihre Zugehörigkeit zu transnationalen Multimediakonzernen sowie einer Grundstruktur, die „durch wachsende Konzentrations- und Zentralisationsprozesse, Produktintegration [...] und Produktdiver­sifikation auch über Branchengrenzen hinweg gekennzeichnet ist“ (Wicke 1995: 1345). Für die Geschäftstätigkeit der Majors bewirken diese Prozesse eine vollständige vertika­le Integration aller Vermarktungsstufen. Eigene Musikverlage sowie CD- Herstellungsbetriebe bis hin zum Vertrieb dienen ihnen zu einer vollständigen Abschöp­fung aller nachgelagerten Wertschöpfungsstufen (vgl. Wirtz 2013a: 591f.). Aufgrund der hohen Bedeutung des Urheber- und Vervielfältigungsrechts für die kommerzielle Verwertung von Musik, nimmt besonders die Implementierung eigener Musikverlage für die Majors eine relevante Stellung ein, um somit zusätzliche Erträge zu erwirtschaf­ten, die andernfalls Wettbewerbern zufließen würden (vgl. ebd.: 563).

Darüber hinaus können bei den Major-Labels horizontale Integrationsstrategien beo­bachtet werden, die sich in der Übernahme kleinerer unabhängiger Labels, sogenannter „Sub-Labels“, offenbaren (vgl. ebd.: 591f.). Sub-Labels sind für die Majors von hoher Bedeutung, wenn es um die Besetzung von Bereichen geht, bei denen die Organisati­onsstrukturen sowie der wirtschaftliche Zwang der Majors nur einen schweren Zugang ermöglichen würde (vgl. Bramböck 2010: 95). Die Ausgestaltung der Sub-Labels er­folgt nach Repertoiresegmenten, Musikstilen oder einer speziellen produktpolitischen

Ausrichtung, die als Markenzeichen der Sub-Labels aufgefasst werden können (vgl. Kulle 1998: 137). Rechtlich betrachtet treten die Sub-Labels als Unter- bzw. Schwester­firmen der Majors auf, üben jedoch eigenständige Funktionen aus, insbesondere im Be­reich der Musikselektion oder der Künstlerakquise sowie deren Betreuung und Erhalt (vgl. Friedrichsen et al. 2004: 25).

3.3.2 Independent-Labels

Als Independent-Labels (auch „Independents“ genannt) werden in der Tonträgerindust­rie Firmen aufgefasst, deren Anliegen darin bestehen, „musikalisch und kulturell ei­genständige Wege zu gehen, unter Umständen auch Musik am Markt vorbei zu produ­zieren“ (Vormehr 2003: 223). Independent-Labels zeichnen sich einerseits durch die Bearbeitung bereits vorhandener Marktnischen, aber auch durch das Eindringen in neue Trendmärkte aus (vgl. Kulle 1998: 138). Daher werden sie häufig nur als indirekte Konkurrenten zu den hitorientierten Major-Labels und ihrem profitorientierten Streben im Tonträgermarkt betrachtet. Das Innovationspotential der Indies machen sich die Ma­jor-Labels zu Nutze, indem sie die Independents als Markterprober für noch nicht er­forschte Musiksparten betrachten (vgl. Schulze 1996: 138ff.).

Über die Größenordnung eines Independent-Labels kann keine einheitliche Aussage getroffen werden: „An Independent Label can be a small label owned by a garage band or solo musician, or one with multi-millions of dollars behind it” (Knab/Day 2007: 129). Als die derzeit umsatzstärksten Independent-Labels in Deutschland benennt der BVMI Alive, Cargo Records, Edel, Groove Attack, Indigo, Kiddinx, MCP, Rough Tra­de, Soulfood und Tonpool (vgl. BVMI 2012a: 21). Den Independent-Labels gemein ist ihr Verlangen nach einem unabhängigen Status gegenüber den international agierenden Major-Labels (vgl. Friedrichsen et al. 2004: 25). Das Anspruchsdenken, eine vollstän­dige wirtschaftliche Unabhängigkeit gegenüber den Major-Labels genießen zu können, muss allerdings für die meisten Independents in der Tonträgerindustrie relativiert wer­den. Zwar arbeiten die Independent-Labels in der Regel selbstständig, besonders im kaufmännischen Bereich, betreiben eigene Marketing- und Artists and Repertoire- Aktivitäten (A;R)[12] und greifen für die Distribution ihrer Produkte auf wirtschaftlich und rechtlich selbstständige Unternehmen zurück (vgl. ebd.: 26). Nur selten aber verfü­gen sie über eigene Herstellungs services, sodass für die Fertigungsprozesse vermehrt auf die Tonträger-Pressewerke der Majors zurückgegriffen werden muss (vgl. Kulle 1998: 138; Wirtz 2013a: 563).

Mischformen, deren Organisationsstrukturen zwischen denen der Majors und Indepen­dents anzusiedeln sind, werden als Major-Independents bezeichnet. Hinsichtlich Be­schäftigungszahl und Finanzausstattung können diese Major-Independents mittelständi­sche Dimensionen annehmen. Als wichtigstes Abgrenzungskriterium gegenüber den Majors gilt für die Major-Independents die Distanzierung zu den internationalen Multi­mediakonzernen. Im Unterschied zu den Indie Labels ist für die Major-Independents jedoch die Implementierung eigener Vertriebskanäle auszumachen (vgl. Friedrichsen 2008: 22).

3.3.3 Klassische Wertschöpfungskette der Tonträgerindustrie

Die klassische Wertschöpfungskette der Tonträgerindustrie, wie sie bis Mitte der 1990er Jahre vorherrschend war, ist als linearer Prozess zu verstehen und stellt die Abfolge der ökonomischen Aufladung des Musikgutes in einer vereinfachten Form dar. Trotz fort­schreitender technologischer Entwicklung der Tonträgerindustrie vom Grammophon über Vinylplatte bis hin zu CDs und DVDs ist die Struktur der Wertschöpfungskette in der Tonträgerindustrie weitestgehend gleich geblieben (vgl. Emes 2004: 32). Nach Schusser definiert sich die Wertschöpfungskette

als eine Kette miteinander verbundener Aktionen bzw. Organisationsabläufe [...], die zusammenwirken müssen um ein Produkt vom Produzenten zum Kunden zu bewegen, und zeigt somit die verschiedenen Produktionsstufen, die zur Herstel­lung eines Produktes oder einer Dienstleistung durchlaufen werden (Schusser 1999, 43).[12]

In der Fachliteratur lassen sich unterschiedliche Darstellungsformen sowie differenzier­te Standpunkte bezüglich der Anzahl der Wertschöpfungsstufen für die klassische Wert­schöpfungskette der Tonträgerindustrie ausmachen. Während Wirtz von einer fünf stu­figen Wertschöpfungskette (Komposition, Rechtehandel, Aufnahme, Tonträgerproduk­tion, Distribution) ausgeht (vgl. Wirtz 2013a: 582), stellen Zerdick et al. eine erweiterte Wertschöpfungskette auf, die sieben Stufen umfasst (vgl. Zerdick et al. 2001: 64) und für die folgenden Ausführungen als zweckdienliche Veranschaulichung des Wertschöp­fungsprozesses fungieren soll.[13]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Grafik 2 - Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Zerdick et al. 2001: 52

Zu Beginn der Wertschöpfungskette steht der kreative Schaffungsprozess. Das Musik­stück wird von einem Komponisten, Textdichter oder Songwriter entworfen, bei dem nach Maßgabe des Gesetzes auch alle Urheberrechte liegen (siehe Kapitel 3.1). Zuwei­len können Urheber und Interpret eines Musikstückes auch ein und dieselbe Person dar­stellen. Die komponierten Stücke werden im Anschluss von einem Musiker oder einer Band interpretiert, in ein Audiostück übertragen und in Form eines Demotapes fixiert. Mit diesem Demotape erfolgt die Bewerbung der Künstler bei Musikverlagen bzw. Plat- ten-Labels (vgl. Wirtz 2013a: 582). Neben diesen Initiativbewerbungen seitens der Künstler betreiben Plattenfirmen eigenständige A&R-Aktivitäten, um neue, noch nicht gesignte Talente aufzuspüren, die kommerziell verwertbar sind.

[...]


[1] Um die Lesbarkeit des Textes zu erleichtern, wird bei personenbezogenen Begriffen stets nur die männ­liche Sprachform verwendet; sie schließt die entsprechende weibliche Sprachform selbstverständlich mit ein.

[2] Unter der Terminologie des Kulturbetriebes wird die institutionalisierte Form kulturellen Lebens als eine „Einheit von zusammenwirkenden Personen und Produktionsmitteln, die Güter und Dienstleistun­gen in verschiedenster künstlerischer Form hervorbringen und einem Publikum zur Verfügung stellen“ (Heinrichs 2006: 9) verstanden.

[3] Der interdisziplinäre Ansatz der Kulturbetriebslehre als Ausdifferenzierung des Kulturmanagements ist auf Werner Hasitschka (1997) zurückzuführen (vgl. Konrad 2009: 202; Tschmuck 2003: 16).

[4] Die Begrifflichkeiten der Kulturbetriebslehre und des Kulturmanagements sind in ihrer Bedeutung nicht als synonym zu begreifen. Während die Kulturbetriebslehre auf die „Erforschung des Entwick- lungs- und Veränderungsprozesses von spezifischen Kulturgütern [...], die im Kulturbetrieb produ­ziert, distribuiert und vermittelt werden“ (Zembylas/Tschmuck 2006: 9), ausgerichtet ist, zeichnet sich das Kulturmanagement durch seine Anwendungsorientiertheit aus. Nach Heinrichs und Klein umfasst dieses „alle Steuerungen zur Erstellung und Sicherung von Leistungen in arbeitsteiligen Kulturbetrie­ben, die sich in einer komplexen und veränderbaren Umwelt abspielen und die auf Austauschbezie­hungen zwischen Anbietern und Nutzern ausgerichtet sind“ (Heinrichs/Klein 2001: 193).

[5] Der Begriff Mediamorphose entspringt einem Konzept von Kurt Blaukopf, der diesen Terminus in seinem Buch „Beethovens Erben in der Mediamorphose - Kultur- und Medienpolitik für die elektro­nische Ära“ prägte (siehe dazu Blaukopf 1989: 5-6).

[6] Für die Bezeichnung „Kampf“ verwendet Bourdieu teilweise auch den weniger martialischen Begriff des „Spiels“. So spricht er synonym von „Kampffeldern“ und „Spielräumen“ (vgl. Bourdieu 1993: 107ff.).

[7] Bourdieu differenziert zwischen vier verschiedenen Kapitalformen: ökonomisches, kulturelles, symboli­sches und soziales Kapital (vgl. Bourdieu 2005: 49ff.). Unter spezifischem Kapital versteht er das Kapi­tal, welches in Verbindung mit einem bestimmten Feld steht, dort seinen Wert hat und nur unter be­stimmten Bedingungen in eine andere Art von Kapital umgewandelt werden kann (vgl. Bourdieu 1993: 108). Somit definieren sich die Begriffe „Kapital“ und „Feld“ gewissermaßen wechselseitig und gehö­ren zusammen: „Die verschiedenen, analytisch und begrifflich unterscheidbaren Kapitalformen [...] stel­len nämlich das theoretische Kriterium zur Differenzierung der spezifischen Felder dar“ (Schwingel 1995: 80).

[8] Der Production-of-Culture-Ansatz stellte nicht eine von Beginn an bewusst konzipierte Kulturtheorie dar, vielmehr entwickelte er sich aus einer Reihe von unterschiedlichen Forschungsarbeiten heraus. Ei­nen Überblick über die verschiedenen Ansätze bieten etwa Peterson (1976, 1994) oder Peterson/Anand (2004).

[9] Eine ausführlichere Darstellung der Tonträgerindustrie findet sich in Kapitel 3.3.

[10] In England wurde 1898 mit der London Grammophone Company ein Ableger der United States Gram­mophone Company gegründet. Ebenso baute die Columbia Phonograph Company ab 1900 mit der Co­lumbia Graphophone Company eine Tochterfirma in London auf, die 1931 in der Electrical and Musi­cal Industries (EMI) aufging. Die Victor Talking Machine Company eröffnete 1903 unter der Firmie- rung Odeon eine eigene Filiale in Berlin (vgl. Wicke 1995: 1347).

[11] Der Bundesverband Musikindustrie e.V. (BVMI), hervorgegangen aus der Verschmelzung der deut­schen Sektion der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) und des Bundesver­bandes der Phonographischen Wirtschaft e.V. im Jahr 2007, ist ein Interessensvertreter von rund 350 Musiklabels und Musikunternehmen, die ungefähr 90% des deutschen Musikmarktes repräsentieren. Aktuelles Zahlenmaterial wird von dem BVMI im Rahmen eines jährlich erscheinenden Abschlussbe­richtes publiziert. Die veröffentlichten Zahlen stellen somit zwar kein vollends unabhängiges Datenma­terial dar (vgl. Friedrichsen et al. 2004: 27), gelten jedoch als größte und repräsentativste Studien in Deutschland.

[12] Der Aufgabenbereich des A&R Managers umfasst die Suche nach neuen Talenten und die Betreuung von Künstlern, mit denen er über das Label in einem vertraglichen Verhältnis steht. Zu seinen weiter­führenden Funktionen gehören beratende Tätigkeiten, wenn es beispielsweise um die Auswahl von Mu­siktiteln für ein Album geht oder die Suche nach einem Produzenten oder Aufnahmestudio. Der A&R Manager übernimmt die Aufgabe eines Marktanalysten, indem er als Spezialist für seinen Zuständig­keitsbereich neue Trends erkennt oder setzt und gemeinsam mit den Künstlern an der Produktion eines nachfrageorientierten Produktes interessiert ist (vgl. Meyer 2013: 105).

[13] Aufgrund ausgelassener Beschreibungen der einzelnen Wertschöpfungsstufen von Zerdick et al. wer­den andere Autoren zur Erklärung herangezogen.

Fin de l'extrait de 108 pages

Résumé des informations

Titre
Die deutsche Musikindustrie im digitalen Zeitalter
Sous-titre
Eine Studie zum musikkulturellen Wandel im Spannungsfeld von Akteuren, Formaten und Geschäftsmodellen
Université
University of Siegen
Cours
Medienmanagement
Note
1,7
Auteur
Année
2013
Pages
108
N° de catalogue
V292930
ISBN (ebook)
9783656902355
ISBN (Livre)
9783656902362
Taille d'un fichier
1133 KB
Langue
allemand
Mots clés
Musikindustrie, Musik, Major, Independent, Label, Wertschöpfung, Tonträger, Revolution, Datenklau, Piraterie, Wertschätzung, Musik als Gut
Citation du texte
Julian Gilbert (Auteur), 2013, Die deutsche Musikindustrie im digitalen Zeitalter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/292930

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