Eine aktivierende Sozialpolitik im schweizerischen Kontext von Welfare zu Workfare


Seminararbeit, 2015

8 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


1. Vorwort

Das Thema der aktivierenden Sozialen Arbeit im Kontext der Diskussion von Welfare und Workfare beschäftigt mich schon seit einiger Zeit. Obwohl wir in unserem Land eine eher stabile Erwerbslosigkeit von ca. 3-4% haben (BFS 2014), widerspiegelt dies nicht die realen gesellschaftlichen Probleme. Im Gegenteil Sie werden meines Erachtens damit gar vertuscht (Erklärung in Kapitel 3).

Dies widerspiegelt sich auch im Umgang mit erwerbslosen Mitmenschen. Arbeitslose und Sozialhilfebeziehende werden vermehrt gesellschaftlich ausgegrenzt. Auf politischer Ebene folgt zusätzlicher Druck.

Genau diesen Punkte möchte ich anhand des Artikels „Die zuständigen Fachstellen scheinen unbelehrbar zu sein“ von Arthur Rutishauser, Chefredaktor der Sonntagszeitung (Rutishauser: 2014: 2) weiter ausführen.

2. Zum Artikel

Rutishauser nimmt in seinem Editorial Stellung zu den hohen Sozialhilfe-Ausgaben, mit welchen die Kantone zum Teil zu kämpfen haben. Obwohl er unserem Sozialsystem eine ausserordentliche soziale Sicherheit und eine niedrige Kriminalität attestiert, sieht Rutishauser genau da das Risiko einer falschen Beurteilung. Es sei deshalb entscheidend, dass man dringendst über die Ausgaben reden müsse.

Konkret spricht er die teilweise Privatisierung unseres Sozialsystems an. Private Sozialfirmen würden kaum einer Kontrolle unterstehen und können deshalb frei nach dem kapitalistischen Grundgedanken gewinnorientiert wirtschaften.

Aus seiner Sicht brauche es regelmässige Überprüfungen der staatlichen Hilfe (Reichen die Gelder? Stehen diese im Verhältnis? Etc.).

3. Der Artikel im Kontext der Schweizer Sozialpolitik

Der Kommentar von Rutishuser schildert in etwa die aktuelle Situation, in der die Sozialhilfe steht. Die Erwerbsarbeit hat sich zu einem Statussymbol entwickelt. Wer keiner Arbeit nachgeht oder nachgehen kann, wird rasch stigmatisiert.

Diese Stigmatisierung wird von bürgerlichen Strömungen„bearbeitet und gepflegt“ um auf dem politischen Parket Vorstösse zur Senkung der Sozialleistungen zu „erzwingen“. (vgl. Wegelin 2014)Mit dem letztendlichen Appell an die Eigenverantwortung jeder Einzelnen und jedes Einzelnen wirkt sich dies für genau diese betroffenen Menschen immer gravierender aus.

Die Schweiz pflegte noch vor wenigen Jahren eine gute Einstellung gegenüber existenziell bedrohten Menschen. Mit der Globalisierung und dem damit wirtschaftlich orientierten Denken des Kapitalismus veränderte sich auch der Anspruch an die Gesellschaft. (vgl. Rechsteiner 2014: 4-6) Mehr und mehr stand und steht die Arbeit im Fokus des gesellschaftlichen Lebens. Die Wirtschaft verlangte und verlangt auch heute noch nach guten aber auch geringer qualifizierten Arbeitskräften(vgl. Domeniconi, Tecklenburg, and Wyer 2013: 253). Die Folgen dieser Spannweite an Arbeitsressourcen sehen wir heute anhand der immer weiter aufgehenden Lohnschere (vgl. SGB Verteilungsbericht 2012).

Wie bereits erwähnt, hat die Schweiz zwar eine Tiefe Arbeitslosenquote, diese widerspeigelt aber weder die prekäre Lage der Tieflohnbezügerinnen und –bezüger noch die zusätzlichen Leistungen des Staates, welche erbracht werden müssen um den existenzbedrohten Mitmenschen ein erträgliches Leben zu ermöglichen.

Diese Tatsachen werden bewusst (oder unbewusst) mit dem Ziel ausgeblendet, dem Wirtschaftsmotor Schweiz keine „Kratzer“ zuzufügen. Im Gegenteil, man tendiert mehr und mehr zu einer rascheren beruflichen Reintegration in die Arbeitswelt mit dem Ziel der Kosteneinsparung.

4. Theoretisch fundierte Stellungnahme

Kommen wir zurück zum Artikel von Rutishauser: Ich werde dabei nicht auf die finanzielle Situation der Sozialhilfe an und für sich eingehen, sondern versuche dabei die Hintergründe und die damit verbundenen politischen Aspekte herauszuziehen.

Im Wesentlichen fokussiere ich mich dabei auf das Thema eines aktivierenden Sozialstaates und dem Wandel von Welfare zu Workfare. Dabei versuche ich immer wieder den Link zur Sozialen Arbeit herzustellen.

Mit dem Kapitalismus folgte auch ein neuer Liberalisierungsgedanke (Neoliberalismus) welcher dazu führte, dass der Staat immer weniger Einfluss auf die Gesellschaft hat. Dies mag auch seine Vorteile haben. Geht es aber um Soziale Probleme, sollte man meines Erachtens die Funktion des Staates nicht vernachlässigen. So kann ich mich mit Rutishausers Wunsch, vermehrt Kontrollen im System der aktuellen privaten Sozialfirmen einbauen, durchaus anfreunden. Letztendlich glaube ich aber, dass diese Politik nicht nachhaltig sein kann. Kurzfristig wird man die anfallenden Kosten senken bzw. unter Kontrolle bringen, langfristig werden aber die sozialen Probleme ansteigen und noch höhere Kosten für die Gesellschaft verursachen. Und genau dies führt dann, wie auch Rutishauser beschreibt, dazu, dass das Volk dem gegenüber kaum mehr Akzeptanz zeigen wird.

Nun wie steht der Artikel im Zusammenhang mit dem Wandel von Welfare zu Workfare? Die Botschaft des Artikels ist für mich im Prinzip die Folge von einem Staat, der sich ursprünglich mal um die Klientinnen und Klienten gekümmert hat und heute den Fokus auf eine rasche und günstige Lösung der Reintegration setzt. Ich kann zwar der Forderung von Rutishauser nach Kontrolle, Transparenz etc., durchaus etwas abgewinnen. Gleichzeitig macht es mir aber Sorgen, dass wir mehr und mehr auf das Sparen fokussiert sind, wenn es um die Hilfe für bedürftige Menschen geht. Ja, Sozialleistungen sind teuer, soziale Probleme aber sicher teurer.

Ich möchte hier einen kurzen Abstecher zu Bourdieu’s Kapitaltheorie machen. Mit den vier Kapitalformen (soziale, ökonomische, kulturelle und symbolische Kapital) versucht Bourdieu aufzuzeigen, wie die einzelnen Bereich auf einander Einfluss haben. Dabei versucht er die Menschen einem Sozialen Raum zuzuordnen auf Grund ihrer verfügbaren Kapitalien. (vgl. Jurt 2008: 70ff)

- Das Soziale Kapital: Zugehörigkeit einer Gruppe, Anerkennung, Beziehungen.
- Das Ökonomische Kapital: Materielle Ressourcen
- Das kulturelle Kapital: Bildung, Handlungswissen.
- Übergeordnet das symbolische Kapital: Ehre, Ansehen, Vertrauen

Wenn wir nun Bourdieu’s Kapitaltheorie mit dem Artikel verknüpfen, stellen wir rasch fest, dass das Fehlen eines Einkommens oder aber auch ein Niedriglohn nicht einfach nur Auswirkungen auf die finanziellen Möglichkeiten der Person haben, sondern auch drastische Einschnitte zur Folge hat, was soziale Kontakte oder Bildungsmöglichkeiten anbelangt. Mit dem Resultat der gesellschaftlichen Ausgrenzung / Stigmatisierung.

Bringen wir nun das Thema der aktivierenden Sozialstaates ins Spiel: Mit der Forderung nach einer raschen Integration in die Berufswelt kann man möglicherweise eine temporäre Stabilität für die betroffene Person herstellen. Da aber kaum auf die effektiven Probleme und Bedürfnisse der betroffenen Person eingegangen wird, ist eine wirksame nachhaltige Lösung meines Erachtens kaum möglich.Hinzu kommt ein beträchtlicher gesellschaftlicher Druck, jeder Arbeit nachgehen zu müssen und zudem von der Arbeitgeberseite Überdurchschnittliches erwartet wird. Genau an diesem Punkt scheitern viele Arbeitnehmende und Erwerbslose von Beginn weg. Da Weiterbildung auf Grund der finanziellen Ressourcen kaum möglich ist. So könnte es dann durchaus zu einem Anstieg der von Rutishauser erwähnten Sozialen Probleme kommen. (vgl. Domeniconi, Tecklenburg, und Wyer 2013: 254-255)

Es stellt sich also die Frage, ob man nicht eine grundlegende Systemänderung in Betracht ziehen sollte: Rückkehr zu einem modifizierten Welfare-System, das den Mensch in seiner Ganzheit (vgl. Bourdieu, oben)miteinschliesst. So gibt es aktuell zwei konkrete Überlegungen auf politischer Ebene, welche durchaus dazu führen könnten, dass existenzbedrohte oder erwerbslose Mitmenschen eine grössere Chance der Reintegration erhalten. Einerseits die Forderungen nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), andererseits eine sogenannte Allgemeine Erwerbsversicherung (AEV).

5. Kritische Fragen

Für mich stellen sich zwei grundlegende aber auch klientenInnen-nahe Fragen:

- Kann die Sozialhilfe einer mehr und mehr „verindividualsierenden“ Gesellschaft überhaupt noch ihrer Grundidee der Deckung der Notlage gerecht werden (Kontext der Spargesellschaft) bzw. des aktivierenden Staates?
- Braucht es einen kompletten Systemwechsel im Hinblick auf einen lebenswerten Sozialen Raum/Bourdieu (z.B. die erwähnte AEV oder ein BGE)?

6. Begründete Gegenthese

Aus persönlicher Sicht nehme ich hier kein Blatt vor den Mund. Die Sozialhilfe kann meines Erachtens in diesem gesellschaftlichen Kontext des Workfare kaum mehr seiner ursprünglich wirksamen Grundüberlegung der Überwindung einer Notlage einer betroffenen Person nachgehen. Die Belastung auf das Individuum in einer solchen Situation steigt deutlich an. Mit dem gesellschaftlichen Wunsch, heute Steuern zu sparen, kommen neue Ideen, wie gespart werden kann (aktivierende Sozialarbeit, Sozialfirmen etc.). Effektiv verursacht aber genau dieses Sparen noch mehr Kosten, da eine bereits betroffene oder existenzbedrohte Person durch die steigende Belastung, kaum mehr Fuss fassen kann und somit auf eine längere Sozialhilfezahlung angewiesen ist. Sparen ist nicht immer die beste Lösung.

7. Weiterführung der Argumentation

Ich sehe also durchaus Potential in einem komplett neuen System. Die Betroffenen sollten nicht mehr einer steigenden psychischen und gesellschaftlichen Belastung ausgesetzt sein. So können sich diese auf die wesentlichen Probleme fokussieren und müssen sich nicht Tag für Tag für ihre Situation rechtfertigen. Ob nun ein BGE oder eine AEV das richtige Model ist, spielt nur bedingt eine Rolle. Wichtig ist, dass die Gesellschaft wieder verstehen sollte, dass Sparen, wenn es um Sozialschwache geht, keine Lösung darstellt. Viel mehr sollten wir lernen, diese sozialen Probleme zu thematisieren und uns nicht scheuen, diese auch mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, damit wir nicht eines Tages aufwachen und feststellen, dass es mich auch treffen könnte.

8. Literaturverzeichnis

BFS. (2014). Arbeitslosigkeit 1998-2012. Von Arbeitslosigkeit 1998-2012: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/regionen/03/key/00/ind27.indicator.270501.2705.html abgerufen

Domeniconi, S., Tecklenburg, U., & Wyer, B. (2013). Der aktivierende Sozialstaat: zwischen Arbeitszwang und Hilfe. Zürich.

Jurt, J. (2008). Bourdieu. Stuttgart: Reclam.

Rechsteiner, P. (1. Mai 2014). 1. Mai 2014 Nürnberg (D); 12:00. Abgerufen am 22. November 2014 von Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB): http://www.sgb.ch/fileadmin/user_upload/Diverses/paul_rechsteiner.pdf

Rutishauser, A. (21. September 2014). Die zuständige Fachstellen scheinen unbelehrbar zu sein. SonntagsZeitung (Nr. 38).

SGB. (2012). Verteilungsbericht.ch. Von Verteilungsbericht 2012: http://www.verteilungsbericht.ch abgerufen

Wegelin, Y. (20. Februar 2014). Der bürgerliche Pakt mit dem Nationalismus. WOZ - Die Wochenzeitung (Nr. 8).

9. Anhang

Rutishauser, A. (21.09.2014: 2). Die zuständige Fachstellen scheinen unbelehrbar zu sein. SonntagsZeitung (Nr. 38).

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Eine aktivierende Sozialpolitik im schweizerischen Kontext von Welfare zu Workfare
Hochschule
Fachhochschule Nordwestschweiz
Note
1.0
Autor
Jahr
2015
Seiten
8
Katalognummer
V292958
ISBN (eBook)
9783656902157
ISBN (Buch)
9783656902164
Dateigröße
789 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, sozialpolitik, kontext, welfare, workfare
Arbeit zitieren
Paco Krummenacher (Autor:in), 2015, Eine aktivierende Sozialpolitik im schweizerischen Kontext von Welfare zu Workfare, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/292958

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