ADHS und Diäten. Diätetische Maßnahmen als geeignete Behandlungsmöglichkeit bei ADHS?


Akademische Arbeit, 2008

53 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1.Geschichte der Ernährungsinterventionen bei ADHS
1.1 Diäten bei vermuteten Nahrungsmittelunverträglichkeiten bei ADHS
1.1.1 Die Kaiser-Permanente-Diät nach Feingold
1.1.2 Die phosphatarme Diät nach Hafer
1.1.3 Oligoantigene Diäten
1.1.4 Die Rotationsdiät
1.1.5 Möglicher Zusammenhang der ADHS mit Zöliakie
1.1.6 Gluten- und kaseinfreie Diät
1.1.7 Reduzierung raffinierter Zuckerarten in der Kost

2.Literaturverzeichnis (inklusive weiterführender Literatur)

1. Geschichte der Ernährungsinterventionen bei ADHS

Seit über 30 Jahren wird die Frage, ob und inwiefern diätetische Maßnahmen eine geeignete Behandlungsmöglichkeit der ADHS darstellen, kontrovers diskutiert. Ausgehend von verschiedensten Hypothesen wurden Diäten konzipiert und die Supplementierung verschiedener Nährstoffe auf ihre Wirksamkeit überprüft. Dabei wird von den beiden Grundüberlegungen ausgegangen, dass entweder eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder ein Mangel an einem oder mehreren Nährstoffen vorliegt – aber auch eine Kombination dieser beiden Faktoren ist denkbar, z. B. in Form eines Mangels an bestimmten Fettsäuren, der eine Überempfindlichkeit des Immunsystems bedingen kann. Daraus ergeben sich zwei – sich gegenseitig nicht ausschließende - Grundprinzipien einer entsprechenden Ernährungstherapie: die Elimination bestimmter Lebensmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe oder eine Supplementierung von Nährstoffen.

Bei einer Eliminationsdiät wird auf Lebensmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe, die nicht vertragen werden, verzichtet. Der Begriff Diät bezeichnet unterschiedliche ernährungstherapeutische Maßnahmen; laut Duden wird darunter eine auf die besonderen Bedürfnisse eines Kranken abgestimmte Ernährungsweise verstanden. Diese kann wiederum frei gewählt oder ärztlich verordnet sein. Insbesondere bei der Verordnung einer Diät für Kinder muss im Vorfeld eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse erfolgen. Risiken bestehen vor allem in einer möglichen Unterversorgung mit einem oder mehreren Nährstoffen oder einer starken Imbalanz der Nährstoffzufuhr. Somit spielen die Qualität des Diätplans und die Kompetenz des Beratenden eine entscheidende Rolle für das Nutzen-Risiko-Verhältnis. Risiken können durch ein regelmäßiges Monitoring der Nährstoffversorgung minimiert werden (Daniel 1991).

Die Compliance der Patienten – bei Kindern auch besonders die der Eltern – und der Durchführungszeitraum spielen sowohl im Hinblick auf mögliche Diäterfolge als auch auf die erwähnten Risiken eine wichtige Rolle. Bei einer gezielten Lebensmittelauswahl und Zubereitung ändern sich nicht nur Nährstoffrelation und Inhaltsstoffe, sondern auch die sensorische Qualität der Kost, die wiederum die Regulation der Nahrungsaufnahme und damit möglicherweise die körperliche und psychische Verfassung beeinflusst. Ein durch diätetische Maßnahmen bedingtes verändertes Zuwendungsverhalten der Eltern oder Betreuungspersonen gegenüber dem Kind und eine veränderte Bedeutung der Nahrungsaufnahme können sich ebenfalls auf das Verhalten auswirken, so dass Effekte nicht isoliert vom Umfeld betrachtet werden können (Daniel 1991).

Nicht zuletzt stellt eine Diätverordnung für ein Kind einen Eingriff in die ganze Familie dar, der abhängig von der Ausgangssituation, der alltäglichen Ernährungsweise der Familie, dem Schweregrad der Restriktionen und der Compliance mehr oder weniger schwer umsetzbar ist. Auch eine Supplementierung von Nährstoffen stellt eine diätetische Maßnahme dar und sollte wegen möglicher Risiken niemals leichtfertig erfolgen, sondern in Art, Dosierung und Dauer der Anwendung auf individuell zugeschnittenen und fachlich fundierten Empfehlungen basieren.

Im Folgenden werden diätetische Maßnahmen bei ADHS im Einzelnen ausführlich erörtert. Dabei werden zunächst die jeweils zugrunde liegenden Hypothesen vorgestellt und daran anschließend die Durchführung der diätetischen Maßnahmen im Rahmen kontrollierter klinischer Studien beschrieben, Ergebnisse dargelegt und bewertet. Abschließend wird jeweils die mögliche Bedeutung der Maßnahme für die therapeutische Praxis und ihre Umsetzbarkeit diskutiert.

1.1 Diäten bei vermuteten Nahrungsmittelunverträglichkeiten bei ADHS

1.1.1 Die Kaiser-Permanente-Diät nach Feingold

Hypothese

Im Jahr 1975 stellte der amerikanische Kinderarzt und Allergologe Benjamin F. Feingold eine Hypothese zur diätetischen Behandlung der ADHS auf. Er ging von einer Unverträglichkeit gegenüber in der Nahrung enthaltenen synthetischen Farb- und Konservierungsstoffen sowie Salicylaten aus.

In seinen Grundüberlegungen ging er von folgenden Voraussetzungen aus: In der Immunologie werden niedermolekulare organische Substanzen, die nach Bindung an ein Carrierprotein als Antigene wirken können und so eine Antikörperbildung auslösen, als Haptene bezeichnet (Feingold 1975: 5, Reuter 2004: 872). Er vermutete einen akkumulativen Effekt, der eine verspätete Hypersensitivität auslöst. Viele Lebensmittelzusatzstoffe sind niedermolekulare Substanzen, die potenziell allergieähnliche Reaktionen hervorrufen können. Das Gleiche gilt für die in einigen Lebensmitteln natürlicherweise vorkommenden Salicylate (Feingold 1975: 5f). Er war der Meinung, dass es sich bei Hyperaktivität nicht um eine klassische allergische Reaktion handeln könne, da diese ein genau gegenteiliges Verhaltensmuster mit Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Antriebslosigkeit hervorrufe (Feingold 1975:70).

Feingold hing der Auffassung an, dass jede Person ihre individuelle biologische Identität innehat, die wiederum eine pharmazeutische Individualität bedingt. Die ererbte, individuelle genetische Struktur mit ihrer Körperzusammensetzung und dem Stoffwechsel reagiere individuell auf jeden äußeren und inneren Einfluss. Kinder mit einer bestimmten genetischen Prädisposition müssten somit auf bestimmte Substanzen advers reagieren (Feingold 1975:140f).

Er kritisierte die damals angewandte Zulassungspraxis für Zusatzstoffe der FDA (Food and Drug Admistration, Zulassungsbehörde in den USA), da er die Überprüfung von Stoffen, die als GRAS (generally regarded as safe, allgemein als sicher angesehen) eingestuft waren, für unzureichend hielt (Feingold 1975:133f).

Durchführung

Auf dieser Basis konzipierte er die K-P-Diät, eine Eliminationsdiät, die alle Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente ausschloss, die künstliche Farb- und/oder Aromastoffe enthalten oder einen natürlich hohen Gehalt am Pflanzenhormon Salicylat aufweisen. Die Bezeichnung K-P steht dabei für Kaiser-Permanente, den Namen des Institutes, in dem Feingold arbeitete, aber auch für „Küchen-Polizei“, wie er in seinem Buch augenzwinkernd preisgibt (Feingold 1975:37).

Auf zwei Gruppen von Lebensmitteln soll bei der K-P-Diät (zunächst) verzichtet werden:

- Gruppe 1: Früchte und Gemüse, die Salicylate enthalten
- Gruppe 2: alle Lebensmittel, die zugesetzte Farb- und Aromastoffe enthalten (Feingold 1975:169f).

Bei einer positiven Reaktion kann die Diät nach 4 - 6 Wochen um Lebensmittel aus Gruppe 1 einzeln, im Abstand von 3 - 4 Tagen, versuchsweise ergänzt werden. Es wird empfohlen, ein Ernährungstagebuch zu führen, in dem jeder Verzehr, jedes Medikament etc. protokolliert wird, um ggf. adverse Reaktionen auf bestimmte Ereignisse zurückführen zu können (Feingold 1975:175).

Nach Feingolds eigener Einschätzung reagierten bis zu 50% der diätetisch behandelten Kinder positiv und 75% immerhin so gut, dass ihre Medikation mit Stimulanzien abgesetzt werden konnte. Feingold beschrieb ein Reaktionsmuster hyperaktiven Verhaltens auf Diätfehler, das jeweils 24 - 72 Stunden anhielte (Feingold 1975:34). Hinter Misserfolgen vermutete er teilweise mangelnde Compliance oder unbewusste Diätfehler; doch räumte er auch ein, dass es offensichtlich Non-Responder gab (Feingold 1975:71ff). Seine Schlussfolgerungen stützen sich allein auf Erfahrungen aus seiner eigenen Praxis, nicht aber auf experimentelle Beweise.

Anhand der Beschreibungen in Feingolds Buch wird deutlich, dass es in den USA der 70-er Jahre nicht einfach war, die Diätvorschrift einzuhalten, da die Lebensmittelkennzeichnung unzureichend war und viele Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel zu meidende Zusatzstoffe enthielten (Feingold 1975:85ff).

Ergebnisse

Nachdem zwei doppelblinde Crossover-Studien, in denen die K-P-Diät an hyperaktiven Kindern getestet wurde, unklare Ergebnisse geliefert hatten, wurden in der Folge Provokationsstudien (DBPCFC) mit Lebensmittelfarbstoffen durchgeführt, die zeigten, dass einige wenige Kinder advers auf diese Substanzen reagieren. Nachdem kritisiert wurde, dass die verabreichten Mengen zu gering gewesen seien, folgte eine Studie, bei der die Aufnahme von Lebensmittelfarbstoffen eher an die zu dieser Zeit in den USA übliche Verzehrsmenge angeglichen wurde. Alle 20 hyperaktiven Kinder reagierten nach Provokation mit einer Farbstoffmischung advers im Vergleich zum Placebo (Schnoll et al. 2003).

Studien, die die Wirkung von Lebensmittelfarbstoffen getestet haben, werden in der Literatur häufig mit Überprüfungen der K-P-Diät gleichgesetzt. Dies ist nicht angebracht, da in der K-P-Diät außer Farbstoffen noch weitere Substanzen eliminiert werden sollen. Da bei der K-P-Diät stark verarbeitete Lebensmittel automatisch gemieden werden, könnten weitere diätetische Variablen, beispielsweise ein verminderter Konsum raffinierter Zuckerarten, bei Effekten eine Rolle spielen (Schnoll et al. 2003).

Zur von Feingold vermuteten Salicylatunverträglichkeit lässt sich aus aktueller Sicht folgendes sagen: Salicylate hemmen im Eicosanoidstoffwechsel die Cyclooxygenase, so dass in der Folge die Prostaglandinsynthese aus der Vorstufe Arachidonsäure inhibiert wird. Bei einer Unverträglichkeit werden dabei basophile und eosinophile Leukozyten, Makrophagen, Mastzellen, Thrombozyten und Lymhozyten aktiviert (Baenkler 2008).

Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung beeinflusst den Eicosanoidstoffwechsel einerseits über einen erhöhten Salicylatserumspiegel; andererseits führt eine vermehrte Zufuhr ungesättigter Fettsäuren zu einer reduzierten Neubildung von Arachidonsäure bei gleichzeitig verminderter Zufuhr über die Nahrung. So wird durch eine immunmodulatorische Wirkung die Entzündungsaktivität gehemmt (Baenkler 2008).

Die Salicylatunverträglichkeit hat zugleich Züge einer PAR wie einer Intoleranz. Salicylathaltige Medikamente müssen gemieden werden. Hochempfindliche Personen sind angehalten, auf Lebensmittel mit hohem Salicylatgehalt zu verzichten. Die Prävalenz einer derart ausgeprägten Unverträglichkeit ist nicht bekannt, wird aber als gering eingeschätzt (Baenkler 2008). Salicylatempfindliche Individuen reagieren wiederum oft empfindlich auf bestimmte Zusatzstoffe.

Schlussfolgerung

Im Vergleich mit der medikamentösen Behandlung ist die Durchführung einer Diät komplizierter und seitens der Eltern immer schwieriger zu kontrollieren, je älter und selbstständiger ein Kind wird. Viele Lebensmittel, die potentiell problematische Zusatzstoffe enthalten, werden intensiv beworben und sind fast überall erhältlich. Da Salicylate eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen, ist es nach dem aktuellen Stand der Forschung nur in Ausnahmefällen nötig, deren Zufuhr über die Nahrung zu beschränken. Ein reiner Verzicht auf genannte Zusatzstoffe scheint nach einer Umstellungsphase mit etwas Erfahrung und gutem Willen unproblematisch in der Durchführung und durchaus sinnvoll. Lässt sich die ganze Familie auf die Umstellung ein, fällt es Kindern erfahrungsgemäß leichter, sich an Restriktionen zu halten.

Wenn auch die Feingold-Hypothese lediglich auf Beobachtungen beruht, hat sie der Forschung zu adversen Effekten von Lebensmittelzusatzstoffen Vorschub geleistet und damit einen wertvollen Beitrag zum heutigen Kenntnisstand geleistet.

1.1.2 Die phosphatarme Diät nach Hafer

Hypothese

Mitte der 1970er Jahre stellte die Apothekerin Hertha Hafer die Phosphat-Hypothese zur Ernährung bei ADHS auf. Sie verdächtigte Phosphate in Lebensmitteln als Auslöser von Hyperaktivität bei ihrem Adoptivsohn und entwickelte die Theorie, dass empfindliche Personen auf eine zu hohe Phosphatzufuhr mit einer überkompensierten Entsäuerung reagieren. So verschiebe sich der Säure-Basen-Stoffwechsel in den alkalischen Bereich, das basische Milieu hemme die Funktion von Noradrenalin und beeinträchtige so die Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Steige der pH-Wert des Speichels Betroffener über den „Normalwert“ von 7,0 an, sei dies ein Anzeichen einer solchen Alkalose, da der Speichel-pH angeblich dem pH-Wert des Blutes entspreche. Mit Wasser verdünnter Speiseessig könne die Alkalose aufheben (Hafer 1986: 30f). Die Wirksamkeit der Behandlung mit Stimulanzien erkläre sich durch eine Rückverschiebung der Stoffwechsellage in den Normalbereich (Hafer 1986:70). Die Gabe von Aluminiumhydrochlorid leite Phosphat aus und stelle so eine Alternative zu Stimulanzien dar (Hafer 1986: 31).

Sie vermutete eine genetische Prädisposition für eine Phosphatempfindlichkeit, die sie an bestimmten Konstitutionstypen, die Unterschiede im Energiestoffwechsel aufwiesen, festmachte, und schloss daraus, dass der überwiegende Teil der Menschen phosphatgefährdet sei (Hafer 1986: 63ff). Eine bestimmte Triggerdosis verursache innerhalb von 20 - 40 min. nach jeder Diätsünde Rückfälle in hyperaktives Verhalten, die für 3 Tage anhielten (Hafer 1986: 29).

Durchführung

Phosphat kommt in Lebensmitteln in Verbindung mit Proteinen, DNA, als Bestandteil von Lecithinen und als Zusatzstoff vor. Hafer entwickelte eine Diät, bei der phosphatreiche Lebensmittel und Lebensmittel mit Phosphatzusatz gemieden werden sollten. Verbotene Lebensmittel bei dieser phosphatarmen Diät sind:

- Backwaren aus Vollkorn,
- alle Backwaren, die phosphathaltiges Backpulver, Lecithin, Milch oder Milchpulver enthalten,
- Fleisch- und Wurstwaren mit Phosphatzusatz wie Frischwurst, Kochschinken und Fleischkäse,
- Milch und fast alle Milchprodukte,
- Innereien,
- Fischstäbchen, Fischkonserven und Räucherfisch,
- Eigelb (maximal eines pro Tag),
- Margarine, Speiseeis,
- Pilze,
- Gemüsemais, Popcorn,
- Hülsenfrüchte, Soja/-produkte,
- Zitrusfrüchte,
- Hafer, alle Getreideflocken und Müsli, Parboiled-Reis, modifizierte Stärken, Traubenzucker,
- Fertiggetränke auf Fruchtsaftbasis, Cola, Instantgetränke, Malzkaffee, Malzbier, alkoholische Getränke,
- Nüsse und Nusszubereitungen, Kastanien,
- Kakao, Schokolade,
- Mayonnaise, Fertigsaucen und –suppen, Hefeextrakt (Hafer 1986:95ff).

Unter den Milchprodukten ist Butter unbegrenzt, süße und saure Sahne (nur wenn unbehandelt), Hartkäse und Speisequark sind in kleinen Mengen erlaubt. Als Milchersatz wird ein Wasser-Sahne-Gemisch empfohlen (Hafer 1986:95ff). Die meisten proteinreichen Lebensmittel sind gleichzeitig reich an Phosphor (EFSA 2005).

Eine quantitative Angabe, welche Phosphatzufuhr genau unterschritten werden soll, erfolgt bei den Empfehlungen Hafers nicht.

Ergebnisse

Die Theorie Hafers konnte wissenschaftlichen Überprüfungen nicht standhalten, da zahlreiche Studien keine signifikanten Effekte der phosphatarmen Diät nachweisen konnten (Preis 1999). Der von Hafer vorgeschlagene Speichel-pH als diagnostischer Parameter einer Alkalose ist nicht valide, da dieser weder die tatsächliche metabolische Situation widerspiegelt, noch dem des Blutes entspricht (Garten 2001). Anorganisches Phosphat wirkt selbst als Puffersystem an der Aufrechterhaltung des physiologischen pH-Wertes mit (DGE 2000:165). Die phosphatarme Diät ist im Alltag nur schwer durchführbar, da der Mineralstoff, wie oben ersichtlich, in vielen Grundnahrungsmitteln enthalten ist.

Ärzte und betroffene Eltern hatten 1980 die so genannte „Phosphatliga“ als Selbsthilfeorganisation gegründet. Mit der Zeit zeigte sich jedoch, dass Nahrungsphosphate nicht ursächlich für ADHS verantwortlich gemacht werden konnten. Einzelne verzeichnete Diäterfolge wurden auf ein im Rahmen der diätetischen Intervention verändertes Zuwendungsverhalten der Eltern zurückgeführt. Damit erfolgte eine allgemeine Neuorientierung hinsichtlich der Ursachenforschung, in deren Konsequenz die Organisation 1987 in Bundesverband Arbeitskreis Überaktives Kind e.V. umbenannt wurde (BV AÜK o.J.).

Die European Food Security Agency (EFSA) äußert sich hinsichtlich allgemeiner Empfehlungen für ein Tolerable Upper Intake Level (UL) für Phosphor wie folgt: Nach derzeitigem Wissensstand gilt als erwiesen, dass eine Phosphorzufuhr von bis zu 3000 mg pro Tag keine adversen Effekte hervorbringt (dies bezieht sich auf Erwachsene). Bei einzelnen Individuen kann eine Supplementierung von 750 mg und mehr pro Tag zu gastrointestinalen Symptomen wie Übelkeit, Diarrhö und Erbrechen führen (EFSA 2005). Phosphorzufuhren von 1,5 - 2,5 g bewirken einen Anstieg von Parathormon im Serum, ohne dass dies zu adversen Effekten führt. Lebensmitteln zugesetzte Ortho- und Polyphosphate gelten in dem vom Gesetzgeber zugelassenen Rahmen als unbedenklich (DGE 2000: 167).

Der DACH-Referenzwert für Kinder zwischen 7 und 10 Jahren empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 800 mg. In Pubertät und Adoleszenz steigt der Bedarf, so dass für diesen Zeitraum 1250 mg pro Tag empfohlen werden (DGE 2000:165ff). Die durchschnittliche tägliche Phosphorzufuhr 7- bis 9-jähriger Jungen liegt in Deutschland derzeit bei 1053 mg, die der Mädchen bei 1001 mg. Hauptquellen sind Milchprodukte und Brot (Mensink et al. 2007).

Schlussfolgerung

Sowohl die Phosphat- als auch die Calciumresorption werden humoral über Vitamin D reguliert. So kann eine reduzierte Phosphatzufuhr über eine veränderte Lebensmittelauswahl auch eine veränderte Calciumzufuhr und –verfügbarkeit zur Folge haben und damit unerwünschte Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel haben. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass bei verminderter Zufuhr die Phosphatresorption kompensatorisch erhöht wird, so dass vermutlich nicht unbedingt weniger Phosphat resorbiert wird als bei normaler Mischkost (Daniel 1991).

Die phosphatarme Diät ist als kohlenhydratarm (etwa 4% der Energiezufuhr), ballaststoffarm (etwa 5 g/Tag), arm an den Vitaminen C, B1 und B2, sowie als cholesterinreich (> 500 mg/Tag) einzustufen und stellt damit keine ausgewogene Ernährungsweise dar (Daniel 1991).

Die Art der Beweisführung, die Hafer in ihrem Buch „Phosphat – die heimliche Nahrungsdroge“ betreibt, ist insgesamt eigenwillig, nicht ausreichend reflektiert und führt wissenschaftliche Standards ad absurdum, indem jeder, der ihre Ansichten nicht teilt, diskreditiert wird. Diese Fakten wurden hier, obwohl die Hypothese schon seit langer Zeit als widerlegt gilt, deshalb so detailliert diskutiert, da es nach wie vor Anhänger gibt, die die phosphatarme Diät zur Therapie der ADHS postulieren. Noch 1997 erschien Hafers Buch in einer 6., neu bearbeiteten Auflage im Karl F. Haug Fachbuchverlag (da diese Ausgabe nicht mehr erhältlich war, wurde hier eine ältere Auflage zitiert).

1.1.3 Oligoantigene Diäten

Hypothese

Während in den USA insgesamt 15 - 20 % der Bevölkerung an Allergien leiden, die Haut oder Atemwege betreffen, liegt die Prävalenz allergischer Erkrankungen bei Personen mit ADHS laut Schnoll et al. (2003) bei etwa 70%. Im Vergleich zu Kontrollgruppen treten Asthma, Magenschmerzen und Ohrinfektionen bei von ADHS Betroffenen signifikant häufiger in Erscheinung. Dieser Umstand deutet auf mögliche Zusammenhänge zwischen ADHS und Allergien hin. Einige Ärzte und Umweltmediziner konnten aufzeigen, dass Verhaltens- und Lernschwierigkeiten durch bestimmte Allergien ausgelöst werden können. So wurde in Studien die Hypothese überprüft, ob Lebensmittelallergien Verhaltenssymptome verursachen können. Die Forschung im Bereich der Lebensmittelallergien ist nicht auf bestimmte Substanzen festgelegt, sondern arbeitet individuell mit betroffenen Kindern, um Substanzen oder Lebensmittel, auf die ein einzelnes Kind empfindlich reagiert, zu identifizieren (Schnoll et al. 2003).

In diesem Zusammenhang wurde beschrieben, dass Kinder häufig geradezu süchtig nach genau den Lebensmitteln sind, die bei ihnen unerwünschte Symptome auslösen. Ähnlich wie bei einer echten Suchterkrankung können sich im Sinne von Entzugserscheinungen Symptome bei Elimination des betreffenden Lebensmittels temporär verschlimmern. Wird ein Lebensmittel verdächtigt, Symptome auszulösen, kann es versuchsweise aus der täglichen Kost eliminiert werden, um zu überprüfen, ob Symptome mit der Zeit nachlassen oder verschwinden. Ist dies der Fall, kann das Lebensmittel danach versuchsweise wieder eingeführt werden, um zu sehen, ob sich der Verdacht bestätigt und Symptome erneut auftreten (Schnoll et al. 2003).

Nach der Theorie des Mediziners Joseph Eggert kann jedes Nahrungsmittel bei entsprechender Veranlagung eine Verhaltensstörung auslösen, der eine Allergie oder Unverträglichkeit zugrunde liegt. Neue Allergien können ggf. im Zusammenhang mit viralen Infekten oder einem exzessiven Verzehr eines bisher gut verträglichen Lebensmittels entstehen. Diese Hypothese stützt sich auf praktische Beobachtungen während seiner Tätigkeit am Haunerschen Kinderspital der Universität München. Davon ausgehend entwickelte er die so genannte oligoantigene Diät, bei der zunächst nur eine geringe Auswahl von Lebensmitteln verzehrt wird, die erfahrungsgemäß kaum Allergien und Unverträglichkeiten auslösen (Egger et al. 1992).

Laut Egger haben ADHS-Kinder häufig eine auffällige Ernährungsanamnese: In der Regel sind sie sehr durstig und können täglich mehrere Liter an Limonaden und Kuhmilch trinken. Oft sind sie „schlechte Esser“, ernähren sich einseitig mit vielen Süßigkeiten und Fast Food. Deshalb könne die aufwändige oligoantigene Diät manchmal umgangen werden, wenn Kinder zu einer ausgewogenen Ernährungsweise motiviert werden könnten, da provozierende Lebensmittel von ihnen meist übermäßig verzehrt werden (Egger 1991).

Durchführung

Prinzip der oligoantigenen Diät ist, die Lebensmittelauswahl zunächst auf ein Minimum zu beschränken und dabei nur solche Lebensmittel zu verwenden, die erfahrungsgemäß selten zu adversen Reaktionen führen. Der Einsatz schmackhafter und abwechslungsreicher Zubereitungsarten ist hier besonders wichtig, um die Compliance des Kindes zu gewährleisten. Die sehr eingeschränkte klassische oligoantigene Diät ist heute nurmehr von historischer Bedeutung. Seit Mitte der 1980-er Jahre wird nur noch fast ausschließlich die erweiterte Version durchgeführt (s. Tab. 1) (Hiedl 2004).

Die diätetische Behandlung gliedert sich in mehrere Phasen: Nach 3 - 4 Wochen strikter oligoantigener Diät sollte das Kind symptomfrei sein. Da währenddessen einige Nährstoffe, insbesondere Calcium und einige Vitamine, nicht in den empfohlenen Mengen aufgenommen werden, darf diese Diät nur unter ärztlicher Aufsicht und/oder Begleitung einer Ernährungsfachkraft mit eventueller Supplementierung erfolgen (Egger et al. 1992).

Danach wird die Diät im Abstand von jeweils einer Woche um einzelne, weitere Lebensmittel ergänzt. Mögliche Unverträglichkeits- und/oder Verhaltensreaktionen werden beobachtet. Führt ein Lebensmittel zu unerwünschten Effekten, wird es zukünftig gemieden bzw. durch andere Lebensmittel ersetzt. Deswegen wird diese Art von Diät auch als Suchdiät bezeichnet. Diese Phase der Vervollständigung der alltäglichen Kost zieht sich über 3 - 6 Monate (Egger et al. 1992).

Tab. 1: Die klassische und die erweiterte oligoantigene Diät (Quelle: Hiedl 2004)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein Vorteil der von Egger entwickelten oligoantigenen Diät gegenüber vorangegangenen Ansätzen wie der K-P-Diät oder der phosphatarmen Diät liegt darin, dass ein Patient nach wenigen Wochen genau weiß, welche Lebensmittel er nicht verträgt und lernen kann, diese durch andere zu ersetzen. Er betont ausdrücklich, dass die Behandlung der ADHS immer mehrdimensional in Form einer multimodalen Therapie erfolgen sollte (Egger 1991).

Ergebnisse

Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit der oligoantigenen Diät wurden mit Kindern durchgeführt, die neben ADHS auch typische allergische Symptome hatten und/oder von neurologischen Störungen betroffen waren, aber nicht mit Psychopharmaka behandelt wurden. Sie praktizierten über 4 Wochen die oligoantigene Diät. Sie wurden zusätzlich angehalten, Lebensmittel, die bei ihnen im Verdacht standen, allergische Reaktionen oder Verhaltensänderungen zu bewirken ebenso zu meiden wie solche, die entweder ein heftiges Verlangen oder eine besondere Abneigung bei ihnen verursachten. Eggerts These konnte durch mehrere Studien untermauert werden, in denen knapp insgesamt 70% der Patienten mit ADHS von der oligoantigenen Diät profitieren konnten. Motorische Unruhe und Impulsivität wurden gemindert, Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnisleistung und Sozialverhalten verbesserten sich (Schnoll et al. 2003).

In einer ersten offenen Studie von Eggerts Arbeitsgruppe reagierten 82% der Kinder positiv auf die Diät. Bei nachfolgenden einzelnen verblindeten Provokationen mit 48 verschiedenen Lebensmitteln riefen die folgenden am häufigsten Verhaltensprobleme hervor: Kuhmilch, Schokolade, Weizen, Käse und Eier. Weiterhin wurden der Lebensmittelfarbstoff Tartrazin (E102) und der Konservierungsstoff Benzoesäure (E210) als Auslöser adverser Reaktionen identifiziert (Schnoll et al. 2003).

[...]

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
ADHS und Diäten. Diätetische Maßnahmen als geeignete Behandlungsmöglichkeit bei ADHS?
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Ernährungswissenschaft)
Veranstaltung
Methoden in der Ernährungsforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
53
Katalognummer
V293031
ISBN (eBook)
9783656901709
ISBN (Buch)
9783656906858
Dateigröße
686 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
adhs, diäten, diätetische, maßnahmen, behandlungsmöglichkeit
Arbeit zitieren
M. Sc. troph. Kristina Bergmann (Autor:in), 2008, ADHS und Diäten. Diätetische Maßnahmen als geeignete Behandlungsmöglichkeit bei ADHS?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293031

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