Führt das Konzept der Work-Life-Balance zur Angleichung der Geschlechter?


Bachelorarbeit, 2014

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Verhältnis von Arbeit und Leben im Wandel
2.1 Entgrenzung von Arbeit
2.1.1 Flexibilisierung von Arbeit
2.1.2 Subjektivierung von Arbeit
2.2 Entgrenzung von Arbeit und Leben
2.3 Entgrenzung der Geschlechterverhältnisse
2.3.1 Bestehende Ungleichheiten

3. Das Konzept der Work-Life-Balance: Angleichung der Geschlechter?
3.1 Entwicklungstendenz: Von der Vereinbarkeit zur Work-Life-Balance
3.2 Definition Work-Life-Balance
3.3 Work-Life-Balance-Maßnahmen

4. Die Realität: Eine kritische Betrachtung

5. Ausblick & Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dem aktuellen Thema der Work-Life-Balance1 auseinander. Die drei Begriffe „Work“, „Life“ und „Balance“ deuten auf ein Spannungsverhältnis zwischen Erwerbsarbeit (bzw. Beruf) und privater Zeit (bzw. Freizeit und Familie) hin, die es in Einklang zu bringen gilt. Die Work-Life-Balance-Thematik umschließt sowohl die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben als auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

In dieser Ausarbeitung geht es um die Work-Life-Balance-Maßnahmen, die besonders die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einschließen, da sie sich mit der Gleichberechtigung der Frau auf dem Arbeitsmarkt auseinandersetzen.

Die Thematik um die WLB kann als Ausdruck eines gesellschaftlichen Grundproblems der heutigen Zeit angesehen werden, das sowohl Männer als auch Frauen betrifft.

Im Fokus der Untersuchung steht jedoch die Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern und somit die erwerbstätige Frau, die schon seit vielen Jahren den Spannungsverhältnissen zwischen Arbeit und Leben ausgesetzt ist und durch wandelnde Prozesse weiter unter Druck gerät.

Die Work-Life-Balance-Problematik ist ebenfalls in Bezug auf Entwicklungen wie der Entgrenzung, im Zusammenhang mit Flexibilisierung und Subjektivierung, von Bedeutung. Denn gerade vor diesem Hintergrund wird eine erfolgreiche Work-Life-Balance verstärkt notwendig.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts (Industrialisierung) entwickelte sich eine klare Trennung der Bereiche „Arbeit und Leben“. Zu diesem Zeitpunkt bildete sich auch eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern heraus, die die Zuweisung von Frauen zum Bereich der Familie und von Männern zum klar von dem privaten Leben getrennten Bereich der Erwerbsarbeit entstehen ließ.

In der Arbeitswelt vollzieht sich seit einigen Jahrzehnten ein Wandel. Wir befinden uns in einer Dienstleistungs-, Wissens- und Informationsgesellschaft, die von einem Ende der Industriegesellschaft ausgeht. Und auch die Grenzen zwischen Arbeit und Leben verwischen zunehmend. Es entstehen neue Arbeitsweisen und Erwerbsformen, neue Modelle von Arbeit, Leben und Zeitverwendung und auch die Geschlechterverhältnisse verändern sich. Frauen und auch Mütter integrieren sich zunehmend in das Erwerbsleben. Trotz dieser Veränderungen bleiben jedoch auch heute noch geschlechterhierarchische Arbeitsteilungen bestehen.

Die Frage die es im Folgenden zu klären bedarf, lautet:

Ist das Konzept der Work-Life-Balance in der Lage, immer noch bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in der Arbeitswelt entgegenzuwirken und verspricht es somit eine Angleichung der Geschlechter?

Im Folgenden beschäftigt sich Kapitel 2 mit dem oben knapp dargestellten Entwicklungsverlauf. Abschnitt 2.1 stellt die Entgrenzung von Arbeit vor. In diesem Kapitel wird die Dynamisierung gesellschaftlicher Arbeitsstrukturen beschrieben; die veränderten Arbeitsweisen und die neuen Modelle werden vorgestellt. Mit der Entgrenzung der Arbeit geht eine Flexibilisierung (Abschnitt 2.1.1) und Subjektivierung (Abschnitt 2.1.2) einher. Die Flexibilisierung beschreibt die neuen Arbeitszeitmodelle, die neuen Beschäftigungsformen und die neuen Formen der Arbeitsorganisation. Die Subjektivierung von Arbeit bezeichnet die Reorganisation betrieblicher Arbeitsabläufe; den neuen Zugriff der Betriebe auf das subjektive Potenzial der Individuen und die Subjektivität die von den Individuen selbst hineingetragen wird. Weiterhin wird in Abschnitt 2.2 die Trennung von Arbeit und Leben im Fordismus vorgestellt und wie sich das Verhältnis der beiden Bereiche im Zuge der Entgrenzung entwickelt hat. In diesem Kapitel wird auch aufgezeigt mit welchen neuen Anforderungen Erwerbstätige konfrontiert werden. Im Anschluss daran wird die Veränderung der Geschlechterverhältnisse dargestellt (Abschnitt 2.3). Die bestehenden Unterschiede der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt werden in Abschnitt 2.3.1 vorgestellt. Im dritten Kapitel liegt das Augenmerk auf dem Konzept der Work-Life-Balance. Hierfür wird zunächst die Entwicklung des Themas von dem Konzept der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ zum Konzept der „Work-Life-Balance“ vorgestellt (Abschnitt 3.1), gefolgt von der Definition (Abschnitt 3.2) und den betrieblichen Maßnahmen (Abschnitt 3.3). Es folgt eine kritische Betrachtung der Maßnahmen (Kapitel 4), um abschließend die obige Frage zu beantworten.

2. Das Verhältnis von Arbeit und Leben im Wandel

In dem vorliegenden Kapitel werden die sich wandelnden Strukturen der Arbeit vorgestellt. Es soll verdeutlicht werden, warum die Entgrenzung von Arbeit eine Herausforderung für das Verhältnis von Arbeit und Leben darstellt, sodass man als Folge von einer Entgrenzung der beiden Bereiche sprechen kann. Da der Rolle der Frau in dieser Arbeit eine besondere Bedeutung beigemessen wird, werden in diesem Zusammenhang auch die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse illustriert, bevor schließlich die bestehenden Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in der Arbeitswelt vorgestellt werden.

Zunächst erscheint es allerdings notwendig die Begriffe Arbeit und Leben zu definieren, zumal das Zusammenspiel dieser einen großen Interpretationsspielraum in sich birgt. Oft wird von einer dichotomen Vorstellung von „Arbeit und Leben“ gesprochen, da die beiden Bereiche als voneinander getrennte und sich gegenüberstehende Handlungskontexte betrachtet werden. So stellt man oft, neben dem Begriffspaar „Arbeit und Leben“, auch die Begriffe Beruf und Familie, privat und öffentlich, sowie Produktion und Reproduktion gegenüber. Diese Bezeichnungen können auch, je nach Situation, als Synonyme für den jeweiligen Begriff verwendet werden. Unter Leben versteht man alle reproduktiven Tätigkeiten des privaten Lebens, die jenseits von Arbeit -als produzierende, marktvermittelnde Tätigkeit- stattfinden. In der Soziologie wird zwischen Arbeit unterschieden, die einerseits in der Erwerbssphäre gegen Bezahlung stattfindet und andererseits Arbeit, die im Privatleben unentgeltlich geleistet und nicht per Arbeitsvertrag reguliert wird. Unter letzterer würde beispielsweise Hausarbeit, Sorgearbeit für Kranke und Kinder oder ehrenamtliches Engagement in der Freizeit fallen (vgl. Jürgens 2010: 484).

Somit kann man sehen, dass im Leben auch gearbeitet wird und in der Arbeit auch gelebt wird. Die Bereiche Arbeit und Leben haben sich historisch als strukturell divergente Bereiche entwickelt, besitzen jedoch einen hohen Vermittlungszusammenhang. Gegenwärtig deuten sich diesbezüglich immer mehr Vermischungen an, die im Folgenden verdeutlicht werden sollen (vgl. ebd.).

2.1 Entgrenzung von Arbeit

Der Begriff der Entgrenzung steht, spätestens seit dem Freiburger Kongress für Soziologie 1998, für wichtige Wandlungstendenzen vielfältiger sozialer Erscheinungen und deutet somit auf eine Modernisierung der Gesellschaft hin (vgl. Gottschall/Voß 2005: 11). Verstand man früher unter Entgrenzung fast ausschließlich die Fragilität nationalstaatlicher Grenzen im Zuge der Globalisierung, so kann man heute feststellen, dass diese durch die Internationalisierung von Produkt-, Dienstleistungs- und Finanzmärkten und der Vermarktlichung unternehmensinterner Beziehungen, noch viele weitere Bereiche der Gesellschaft betrifft, wie beispielsweise Grenzen zwischen Betrieb und Markt, Grenzen innerhalb nationaler Ökonomien und Grenzen innerhalb der betrieblichen Arbeitsorganisation (vgl. Jürgens/Voß 2007: 5). Zeitlich lässt sich die Entgrenzung in Ost- und Westdeutschland auf den Zeitraum ab ca. den 1970er Jahren lokalisieren. Eindeutig lässt sich dies jedoch nicht sagen, da es in der Vormoderne im sozialen Wandel ebenfalls Strukturveränderungen gab, die als „entgrenzt“ bezeichnet werden könnten (vgl. Jurczyk et al. 2009: 28).

Unter Entgrenzung versteht man, einfach ausgedrückt, die Auflösung bzw. Verschiebung von Grenzen (von und zwischen Sphären) im strukturellen Gefüge moderner Gesellschaften. Die Sphäre der Arbeit kann als zentrale Ebene des Entgrenzungsthemas angesehen werden, da sie auch angrenzende gesellschaftliche Sphären, und vor allem die privaten Lebensformen, mit verändert und wiederum durch diese verändert wird (vgl. Jurczyk et al. 2009: 31). Für den weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung ist dieser Aspekt von großer Bedeutung.

Mit Entgrenzung von Arbeit wird die systematische Rückführung bzw. Dynamisierung regulierender (und insoweit begrenzender) Strukturen von Arbeit bezeichnet, wie sie sich mit der tayloristisch-fordistischen Arbeits- und Sozialorganisation2 etabliert haben (vgl. Kleemann/Voß 2010: 432).

Die Entgrenzung von Arbeit beschreibt neue Formen der Arbeits- und Betriebsorganisation, die seit Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre zu beobachten sind, und wird als leitende Tendenz der derzeitigen Veränderung der Arbeitsverhältnisse insgesamt (d.h. aller Ebenen der Verfassung von Arbeit und Erwerb3 ) verstanden (vgl. Gottschall/Voß 2005: 18). Zu berücksichtigen ist, dass Entgrenzung ein Nebeneinander von Neuem und Altem meint und somit das Fortwirken fordistischer Prinzipien nicht ausschließt (vgl. Jürgens 2006: 9).

Nun fragt man sich, wie diese Veränderungen in der Arbeitswelt aussehen, die so weitreichend sind, dass man von einer Modernisierung und gar von gesellschaftlichen Folgen sprechen kann. Die Entgrenzung von Arbeit ist, wie bereits oben angedeutet, durch ein Ende der fordistischen Regulation des modernen Kapitalismus gekennzeichnet. Die Abkehr von bisher vorherrschenden tayloristisch-fordistischen Prinzipien der Steuerungslogik, d.h. einer strikten Aufteilung und Fremdkontrolle von Arbeitsvorgängen und Betriebsabläufen, weist auf das Ende der Arbeitsteilung im Betrieb hin. Weiterhin wird die Entgrenzung der Arbeit durch das Ende des Normalarbeitsverhältnisses und der Erosion des männlichen Familienernährermodells charakterisiert (vgl. Gottschall/Voß 2005: 16).

Es wird deutlich, dass sich die Entgrenzung innerhalb des Feldes der Arbeit als multidimensionale Erscheinung zeigt. Die oben angeführten Veränderungen zeigen lediglich einen Teil des Wandels auf, machen aber die Dynamik der Entgrenzung deutlich. Im Folgenden sollen die Entgrenzungstendenzen der Arbeit, die sich innerhalb der letzten Jahrzehnte abgezeichnet haben, vorgestellt werden.

Die räumliche Entgrenzung von Arbeit und Beschäftigung beschreibt die wachsende Zahl von Mobilarbeitern, Beschäftigten mit wechselnden Arbeitsorten, Multiple-job-holders, etc. Ein wichtiger Begriff, der in diesem Zusammenhang zu nennen ist, ist die „Telearbeit“ bzw. „Teleheimarbeit“. Hierbei verrichten die Beschäftigten in der Regel ihre Arbeit von zu Hause aus. Das Phänomen der räumlichen Entgrenzung ist weit verbreitet und gehört schon fast zum Alltag eines Arbeitnehmers (vgl. Gottschall/Voß 2005: 17).

Die technische Entgrenzung weist auf neue Informations- und Kommunikations-Technologien am Arbeitsplatz hin. Fast kein Unternehmen kommt heutzutage ohne diese technologische Ausstattung aus, die auch zur internen Rationalisierung und Effektivierung genutzt wird (ebd.).

Weiterhin ist die fachliche bzw. qualifikatorische Entgrenzung zu nennen. Durch die steigende Dynamik von Marktökonomie sowie Produktionsorganisation kommt es zu einer ständigen Umstellung der inhaltlichen Anlagen von Tätigkeiten. Von den Beschäftigten wird nun eine kontinuierliche (Weiter-)Qualifizierung verlangt. Durch diesen Aspekt werden die Lebensverläufe der Beschäftigten immer „brüchiger“ und weniger planbar. Auch die Sozialbezüge entgrenzen sich zunehmend. Gruppen- und Teamarbeit sowie projektorganisierte Arbeitsabläufe tangieren die Sozialorganisation von Arbeit, Betrieb und Beschäftigung und verändern diese kontinuierlich. Dauerhafte Verortungen in Abteilungen oder feste Kollegenkreise gehören immer mehr zu Seltenheit (vgl. ebd.).

Die zeitliche Entgrenzung („Flexibilisierung“) sowie die rechtliche bzw. vertragliche Form der Entgrenzung („Deregulierung“), wie sie nach Voß und Gottschall abgegrenzt bzw. unterschieden werden, sind besonders hervorzuheben (vgl. ebd.). Aus diesem Grund möchte ich nun direkt zum nächsten Kapitel übergehen und näher auf die genannten Aspekte eingehen.

2.1.1 Flexibilisierung von Arbeit

Die Bestimmung des Begriffs der Flexibilisierung stellt eine Herausforderung dar, insbesondere die Abgrenzung zum Entgrenzungsbegriff bereitet Schwierigkeiten. Auch in der Literatur findet man diesbezüglich unterschiedliche Interpretationen. Es kann festgestellt werden, dass Entgrenzung mit der Flexibilisierung einhergeht und diese in einer Wechselwirkung zueinander stehen. Aus diesem Grund ist es kein Zufall, dass auch im Folgenden einige Überschneidungen zu den oben angeführten Wandlungen zu erkennen sind.

Da die Bereiche Flexibilisierung und Deregulierung ebenfalls interferieren, werden sie hier nicht als voneinander getrennte Bereiche betrachtet, sondern gleichsam unter den Flexibilisierungsbegriff gefasst.

Nach Schmiede und Schilcher werden zwei Dimensionen von Flexibilisierung unterschieden. Während die interne Flexibilisierung über die Veränderungen der zeitlichen Dimension und der Art der Beschäftigung Aussagen trifft, spielen bei der externen Flexibilisierung auch räumliche Dimensionen und die damit zusammenhängenden Arbeitstätigkeiten eine Rolle (vgl. Schmiede/ Schilcher 2010: 20f). Im Folgenden sollen nun die Veränderungen, die sich in Deutschland in diesem Feld vollzogen haben, vorgestellt werden.

In Deutschland hat sich ca. seit den 1980er Jahren eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten abgezeichnet (vgl. Jürgens/Voß 2007: 7). Gleitzeitarbeit, wie auch Teilzeit-, Schicht- und Wochenendarbeit, gehören zu den „traditionellen“ Formen flexibler Arbeitszeit, da diese mittlerweile seit Jahrzehnten in Deutschland die Arbeitswelt prägen. Seit den 1990er Jahren hat sich eine Steigerung flexibler Arbeitszeiten vollzogen, die eine noch höhere zeitliche Flexibilität der Beschäftigten fordert. In diesen „neuen“ Arbeitszeitmodellen variiert nun nicht mehr nur die Lage der Arbeitszeit (s.o.), sondern auch die Dauer (z.B. flexible Mehrarbeit und zunehmende Wochenarbeitszeit) und Verteilung (z.B. Blockfreizeiten). Standardisierte Massenherstellungen werden durch einen kundenorientierten, just-in-time orientierten Produkt- und Dienstleistungsservice abgelöst. Charakteristisch für das „neue“ Arbeitszeitmodell sind unter anderem Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszeitmodelle, projektförmige Arbeitszeiten und Vertrauensarbeitszeit (vgl. Jürgens 2005: 39f).

Bezüglich der Arbeitszeit ist zu beobachten, dass sich zwei unterschiedliche Trends herausgebildet haben: Einerseits die Verkürzung der Arbeitszeit, z.B. durch Teilzeitarbeit und andererseits die Verlängerung der Arbeitszeiten.

Neben der „Abkehr von der Normalarbeitszeit“ ist auch die „Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis“ in der Arbeitswelt in Deutschland zu beobachten. Letzteres wird auch als Ausbreitung atypischer Beschäftigung bezeichnet. Unter diese neuen Beschäftigungsformen fallen die geringfügige Beschäftigung, die befristete Beschäftigung, Zeitarbeitsverhältnisse und ebenfalls die Teilzeitbeschäftigung. Die genannten Beschäftigungsformen sind für die heutige Arbeitswelt nicht vollkommen neu, können aber im Kontext der weitergehenden Flexibilisierung der gesamten Betriebsabläufe effektiver genutzt werden. Zudem entstehen neue Formen abhängiger Beschäftigung. Hierbei versuchen Unternehmen abhängig Beschäftigte in Selbständige oder freie Mitarbeiter/innen umzudefinieren (vgl. Geissler 2002: 7). Neben diesen „Scheinselbständigen“ haben sich auch die „Neuen Selbständigen“ als neue Kategorie von Erwerbstätigen durchgesetzt, für die die Arbeitszeiten ohne jede Bedeutung sind (vgl. ebd.).

Durch die Flexibilisierung von räumlichen Dimensionen, wie der Auslagerungen von Aufgaben aus dem Betrieb oder Unternehmen, haben sich ebenfalls in den letzten Jahrzehnten Veränderungen in der Arbeitsorganisation abgezeichnet. Projekt- Gruppen- und Teamarbeit, Kooperation mit Externen, Arbeit in Fremdbetrieben und der Wegfall bestimmter Tätigkeiten machen dies deutlich.

Die Ursachen der Flexibilisierung sind demnach unternehmerische Strategien, beispielsweise zur Anpassung der Produktion durch die Erbringung von Dienstleistungen, Reaktionen des verschärften Wettbewerbs im Zuge der Globalisierung, aber auch die neuen Zeitpräferenzen der Beschäftigten.

Betrachtet man bis hierhin die zahlreichen Veränderungen, so stellt man fest, dass sich eine Lockerung der rigiden Modelle der Industriegesellschaft vollzogen hat. Die Betriebsorganisationen sowie die Arbeitszeiten und Beschäftigungsverhältnisse sind flexibler und dezentraler geworden und neue Arbeitskonzepte sind entstanden (vgl. Jürgens 2006: 59). Was bedeutet dies aber für die betroffenen Individuen?

„Entgrenzungen setzen Strukturen kontingent und lassen sie damit reflexiv werden; die Strukturen erweisen sich dabei als das, was sie sind (nämlich hergestellt und damit historisch) und verweisen damit darauf, dass sie von den Handelnden aktiv ergriffen und gestaltet werden müssen.“ (Gottschall/Voß 2005: 19)

Genau wie bei der Flexibilisierung ist es daher nur konsequent, dass die Entgrenzungsdiskussion mit der Subjektivierung von Arbeit einhergeht. Diese soll nun im Folgenden dargestellt werden.

2.1.2 Subjektivierung von Arbeit

Bevor man zur Subjektivierung von Arbeit übergehen kann, ist es zunächst sinnvoll bei dem Begriff der Subjektivität anzusetzen. Subjektivität wird als Ensemble der individuellen Eigenschaften, Ressourcen und Dispositionen des Menschen verstanden, der aber zugleich immer auch ein sozial eingebundenes Wesen ist (vgl. Kleemann/Voß 2010: 416).

„Subjektivität ist somit ein (wandelbares) Produkt der Verbindung zwischen Person und Gesellschaft, das die Person in ihrer sozialen Umwelt positioniert.“ (vgl. Kleemann/Matuschek/Voß 2002: 57)

Wird Subjektivität als jeweilige Ausstattung mit bestimmten Ressourcen bzw. Dispositionen verstanden, so kann man sagen, dass sie handlungsbefähigend und handlungsleitend zugleich wirkt. Somit kann der Begriff der Subjektivität entweder die Selbstbestimmung oder die Bestimmung durch die Gesellschaft in den Blick nehmen (vgl. ebd.).

Im Folgenden soll die Verwendungs- und Wirkungsweise der Subjektivität in der (Erwerbs- )Arbeit betrachtet werden. An dieser Stelle kann nun der Begriff der Subjektivierung ins Auge gefasst werden, da dieser verdeutlicht, dass historisch konkrete subjektive Leistungen bzw. Handlungen im Zuge der Modernisierungstendenzen gesellschaftlich zunehmend funktional werden. Dies impliziert, dass Subjektivität als Reaktion auf diese zunehmend kontingenten Umweltsituationen abgerufen wird (vgl. ebd.).

Unter Subjektivierung von Arbeit wird somit in der Arbeitssoziologie eine Intensivierung von Subjektivität involvierenden Wechselwirkungen zwischen Person und Betrieb bzw. betrieblich organisierten Arbeitsprozessen verstanden (vgl. ebd. 57f). Hier können die Begriffe Selbstbestimmung und Bestimmung durch die Gesellschaft erneut aufgegriffen werden. Die Erwerbsarbeit unterliegt demnach einem doppelten Subjektivierungsprozess: Einerseits erhöhen die veränderten betrieblichen Strukturen den funktionalen Bedarf der Betriebe nach subjektiven Leistungen, andererseits sind es die Individuen selbst, die eine Subjektivierung der Arbeit betreiben, indem sie verstärkt subjektive Ansprüche herantragen. In diesem Prozess geht es demnach um die Relation zwischen der arbeitenden Person mit ihren subjektiven Leistungen, Fähigkeiten, Sinndeutungen, Ansprüchen, etc. und der betrieblichen Arbeitssituation mit deren Anforderungen an die Arbeitskraft und deren Möglichkeiten für Handlungsspielräume (vgl. ebd. 58).

Die im Taylorismus bzw. Fordismus 4 vorherrschende rigide Detailsteuerung und starre Kontrolle von Arbeitstätigkeiten wird im Zuge der Entgrenzung durch neue Strategien der Arbeitskraftnutzung abgelöst. Post-fordistische5 Formen der Arbeitsorganisation werden vermehrt eingesetzt und finden sich besonders in der Dienstleistungsbranche sowie in qualifizierten Dienstleistungstätigkeiten wieder (vgl. ebd. 65). Die Entgrenzungstendenzen, die sich zu Beginn abgezeichnet haben, wie der erweiterte internationale Wettbewerb und der wachsende Konkurrenzdruck, zwingen zu einer Steigerung der Produktivität und Qualität. Aus diesem Grund wird die Dynamik einer verstärkten betrieblichen Nutzung von Subjektivität ökonomisch bzw. betriebsorganisatorisch erklärt und auch ihr Ursprung wird darin gesehen.

[...]


1 Im Folgenden mit WLB abgekürzt.

2 Nach Frederick Winslow Taylor (1856–1915) und Henry Ford (1863-1947) benannte Arbeits- und Sozialorganisation.

3 Gesamtgesellschaftliche Strukturen, Betriebsorganisation (innen und außen), Arbeitsplatzstrukturen, Marktpositionen, unmittelbares Arbeitshandeln und Arbeitssubjekte (vgl. Gottschall/Voß 2005: 18).

4 Nach Henry Ford benannte historische Phase in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich durch Massenproduktion und -konsum sowie starke staatliche Sozialsysteme auszeichnete (vgl. Jürgens/Voß 2007: 3).

5 Historische Phase, in der gegenwärtig die bislang prägenden Strukturen von Arbeit, Sozialpolitik und Privatleben „dereguliert“ und „flexibilisiert“ werden (vgl. ebd.).

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Führt das Konzept der Work-Life-Balance zur Angleichung der Geschlechter?
Hochschule
Universität Bielefeld  (Universität)
Veranstaltung
Arbeitssoziologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
38
Katalognummer
V293145
ISBN (eBook)
9783656905134
ISBN (Buch)
9783656905141
Dateigröße
647 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeit und Leben, Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt, Flexibilität der Arbeitswelt, Subjektivieung in der Arbeitswelt, Entgrenzung von Arbeit und Leben
Arbeit zitieren
Joanna Gouzioti (Autor:in), 2014, Führt das Konzept der Work-Life-Balance zur Angleichung der Geschlechter?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293145

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