Warum scheiterte die Sezession in Mali 2012?


Hausarbeit, 2014

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Sezessionskonflikt Malis
2.1 Konfliktverlauf im Untersuchungszeitraum
2.2 Ursachen des Scheiterns
a. Die sezessionistische Bewegung der MNLA
b. Die Regierung und Gesellschaft Malis
c. Die Region Westafrika
d. Die internationale Gemeinschaft
2.3 Faktoren einer erfolgreichen Sezession

3. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der in Mali lebende Stamm der Tuareg strebte im Jahr 2012 nicht zum ersten Mal die Unabhängigkeit an. Seit dem Ende der Kolonialherrschaft 1960 durch Frankreich gab es mehrere Aufstände und Versuche, sich abzuspalten. Insbesondere Anfang der 90er Jahre kam es vonseiten der Tuareg vermehrt zur Forderung nach Sezession1. Die malische Re- gierung kam diesen Bestrebungen innerhalb mehrerer Friedensabkommen2 entgegen, ver- sprach den Tuareg mehr Rechte und vor allem Selbstverwaltung. Die Dezentralisierungs- politik, die Mali daraufhin einschlug, hätte gewiss das Fundament für einen stabilen Frie- den innerhalb des Landes bilden können. An der Implementierung scheiterte jedoch das Vorhaben und die Tuareg sind nach wie vor unzufrieden mit ihrer Situation im Norden des Landes. Auch der erneute Sezessionsversuch vor zwei Jahren ist Ausdruck dieser Unzufriedenheit. Zunächst hatte der sezessionistische Prozess für die Tuareg erfolgver- sprechend begonnen, letztendlich misslang jedoch die endgültige Abspaltung vom Mut- terstaat. Wie es dazu kommen konnte, soll innerhalb dieser Arbeit festgestellt werden. Die zu beantwortende Frage lautet demnach: Warum ist die Sezession in Mali geschei- tert?

Die Forschung schweigt sich zu diesem Thema aus. Während Literatur zu Definitionen und begrifflichen Abgrenzungen (Horowitz 1992, Pavkovic/Radan 2011, Ott 2008, etc.) ebenso vorhanden ist, wie der Diskurs um die Frage nach einem legalen Recht auf Selbst- bestimmung in Form von Sezession (Oeter 1992, Tomuschat 1993, Schaller 2009, etc.) und auch die Analyse von Faktoren, die ursächlich für Sezessionskonflikte sind (Horo- witz 1985, Brown 1997, Wood 1981, Hechter 1992, Toft 2005, etc.), ist die Frage nach dem Scheitern von Sezessionen eher vernachlässigt worden. Generell wird das Fehlen einer Theorie der Sezession bemängelt, was natürlich auch den Fehlschlag sezessionisti- scher Bewegungen einschließt. ÄThere is at present no coherent, systematic way of ana- lyzing the origins of secession, the conditions which make it succeed or fail, or the con- sequences of various secessionist strategies or governmental responses“3. Nichtsdestot- rotz gibt es Bedarf für eine Forschung in diese Richtung. Der Prozesscharakter einer Se- zession offenbart sich in zwei Stufen. Zunächst muss der sezessionistischen Bewegung die Abspaltung vom Mutterstaat gelingen. Das abgespaltene Gebiet befindet sich dann in einem sogenannten ‚De facto‘ Status. Es handelt sich zwar faktisch um einen funktionie- renden Staat, dieser hat jedoch die zweite Phase noch nicht durchlaufen. Der neue Staat muss außerdem vom Patrimonialstaat, ebenso wie von der Internationalen Gemeinschaft anerkannt und damit auch ‚De jure‘ bestätigt werden. Vielen sezessionistischen Gruppen gelingt nicht einmal die Abspaltung. Wenn doch, verharren viele der Defacto-Staaten als ‚frozen conflicts‘ oder werden, mitunter gewaltsam, reintegriert4. So geschehen auch in Mali, dass insbesondere durch seine Aktualität der Vorkommnisse wieder die relevante Frage nach dem Grund des Scheiterns von Sezessionen aufwirft.

Es ist natürlich erforderlich, die Multikausalität des Falls zu beachten und nicht von einem einzigen Grund auszugehen, der zum Misslingen der Bewegung geführt hat. Das würde der Komplexität solcher Vorgänge nicht gerecht werden. Aus diesem Grund soll bei der folgenden Betrachtung des Falls Mali insbesondere auf die verschiedenen Analyseebenen eingegangen werden, die jede für sich einige Faktoren aufweisen können, die ihren Teil zum Scheitern der Sezession beigetragen haben. Neben verschiedensten Individuen und Kleingruppen, die mit ihren Strategien, ihrem Handeln und ihren Entscheidungen Ein- fluss auf den Verlauf der Bewegung genommen haben, ist natürlich auch der regionale Komplex zu beachten, in den Mali eingebettet ist. Auch der Druck, der von der internati- onalen Gemeinschaft auf vielfältige Weise ausgeübt wird, spielt eine Rolle bezüglich des Ausgangs des Konflikts. Der Untersuchungszeitraum wird von Ende 2011, als die ersten Proteste im Norden des Landes begannen, bis Juni 2013, als die Konfliktparteien den Ouagadougou Akkord unterzeichneten, festgelegt. Anhand der aufgeführten Ursachen sollen letztendlich Faktoren bestimmt werden, die die Wahrscheinlichkeit einer erfolgrei- chen Sezession erhöhen.

2. Der Sezessionskonflikt Malis

2.1 Konfliktverlauf im Untersuchungszeitraum

Um verstehen zu können, wie es zum Scheitern der Sezessionsbewegung kam, soll zu- nächst der Verlauf des Konflikts grob skizziert werden. Die Situation der Tuareg führte Ende des Jahres 2012 zu erneuten Protesten, Demonstrationen und gelegentlich auch Kampfhandlungen im Norden des Landes. Die instabile Lage Malis und insbesondere die immer wiederkehrenden Konflikte bezüglich der Tuareg äußerten sich auch im Unmut der restlichen Bevölkerung Malis. Im März 2012 kam es zu einem Militärputsch, bei dem eine Gruppe rangniedriger Offiziere den Präsidenten Malis, Amadou Toumani Touré, stürzte. Die Tuareg Rebellen der MNLA sowie Ansar Dine nutzten das politische Durch- einander im Süden und die militärische Schwäche im Norden und eroberten daraufhin die Städte Nordmalis. Am 06.April erklärte die MNLA einseitig die Unabhängigkeit des neuen Staates Azawad, der nun den gesamten Norden Malis umfasst. Ansar Dine erkannte die Unabhängigkeitserklärung der MNLA nicht an. ÄWir sind gegen Revolutionen, die nicht im Namen des Islam sind“, veröffentlichte ein Sprecher der Ansar Dine die Ent- scheidung5. Derweil drängte die afrikanische Wirtschaftsunion ECOWAS die derzeitige Militärregierung durch Androhung und Verhängung von Sanktionen zur Übergabe der Macht an eine zivile Übergangsregierung. Präsident Touré trat offiziell zurück und gab damit den Weg für eine solche frei. Im Norden des Landes waren nicht mehr allein MNLA und Ansar Dine die ausschlaggebenden Akteure. Al Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM) und die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) haben sich in den Konflikt eingebracht und eroberten nun ihrerseits die nordmalischen Städte Timbuktu und Gao. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Emirates bezie- hungsweise die Ausdehnung des Dschihad. Ende Mai konnten sich MNLA und Ansar Dine auf die Errichtung eines islamischen Staates im Norden des Landes Mali einigen. Die MNLA verkündete, Ä[d]ie islamische Republik Azawad ist nun ein unabhängiger, souveräner Staat“6. Es dauerte jedoch kaum einen Monat bis Unstimmigkeiten zwischen den Gruppen auftauchten, nachdem Ansar Dine und MUJAO die Scharia zwangsweise in den eroberten Gebieten einführen wollten. Sie vertrieben die MNLA, die diesem Vorge- hen nicht zustimmte, aus allen bedeutenden Städten und riefen die Unabhängigkeit zu- rück. Ende des Jahres stimmte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig für die Entsendung von Truppen nach Mali zur Rückeroberung des Nordens. Außerdem rief die Resolution des Sicherheitsrates die Übergangsregierung dazu auf, die verfassungsmä- ßige Ordnung wiederherzustellen und noch vor April 2013 Parlaments- und Präsident- schaftswahlen abzuhalten7. Im Januar 2013 lief die ‚Operation Serval‘ an, bei der Solda- ten aus Frankreich, Nigeria und Senegal die malischen Regierungstruppen unterstützten. Frankreichs Luftwaffe drängte die Islamisten im Norden Malis nach und nach zurück. Zeitgleich wurde vonseiten der Übergangsregierung eine Roadmap erarbeitet, die insbe- sondere die territoriale Integrität Malis sowie die Organisation der bevorstehenden Wah- len fokussiert und im Dialog mit Zivilgesellschaft und politischen Akteuren entstanden ist8. Im Juni 2013 unterzeichneten die Konfliktparteien ein Friedensabkommen - das ‚Preliminary Agreement to the Presidential Election and the Inclusive Peace Talks in Mali‘ - kurz ‚Ouagadougou Akkord‘. Damit stimmten die beteiligten Akteure einem Waffenstillstand zu, um Wahlen in ganz Mali zu ermöglichen9. Die Präsidentschaftswahl fand am 28.Juli statt und der ehemalige Ministerpräsident Ibrahim Boubacar Keita wurde zum neuen Präsidenten Malis gewählt. Außer einigen kleinen Zwischenfällen liefen die Wahlen friedlich ab. Im November 2013 kam es kurzzeitig zu einer Aufkündigung des Waffenstillstandsabkommens durch die MNLA. Auslöser war ein Besuch des Premier- ministers in der nördlichen Stadt Kidal, bei dem einige Tuareg durch malische Regie- rungstruppen verletzt wurden. Die Aufkündigung wurde jedoch kurze Zeit später wieder zurückgenommen. Bis heute sind die ausländischen Truppen im Norden Malis präsent, die MNLA hält weiterhin Kidal. Seit der Vertreibung durch französische und malische Truppen versuchen die Islamisten von AQIM und MUJAO immer wieder strategisch wichtige Punkte zurückzuerobern und gehen dabei mit äußerster Gewalt vor. Ihre Selbst- mordanschläge treffen selbst ehemalige Verbündete von Ansar Dine und MNLA. Wie sowohl in der Roadmap als auch im Friedensabkommen von Ouagadougou festgehalten, sollte nach den Wahlen ein inklusiver Dialog folgen. Wie dem Bericht des Generalsekre- tärs bezüglich der Situation in Mali zu entnehmen ist, konnten hinsichtlich der Wieder- herstellung der staatlichen Autorität und sozialer Dienste im Norden Malis, sowie bei der Implementierung des Abkommens noch keine großen Fortschritte erzielt werden10.

2.2 Ursachen des Scheiterns

a. Die sezessionistische Bewegung der MNLA

Die ‚Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad‘ - kurz MNLA, ist eine politi- sche und militärische Organisation im Norden von Mali. Sie versteht sich als Vertreter der Tuareg und ebenso als Vertreter alle Völker des Azawad. Die MNLA kämpft, u.a. aus Gründen der Marginalisierung und Diskriminierung, für die Unabhängigkeit des Azawad von Mali. Der Konflikt von 2012/2013 ist nicht der erste seiner Art. Insbesondere deshalb ist es interessant zu sehen, welche Strategie die MNLA verfolgt, um Akzeptanz zu ge- winnen und wie sie die politischen Spannungen im Land für ihre Zwecke ausnutzt.

Mali hatte als demokratischer Staat lange Zeit eine Vorbildfunktion in Afrika inne. Die Demokratie Malis war jedoch weitaus brüchiger und instabiler, als es von außen schien, denn die unsichere Lage im Land schwächte den Staat und gab damit erst den Putschisten die Möglichkeit, den Präsidenten zu stürzen. Die Tuareg haben diese Gelegenheit zu ih- rem Vorteil genutzt und während des Durcheinanders im Süden den Norden von Mali erobert11. Aufgrund der unklaren Verhältnisse war zu jenem Zeitpunkt nur wenig mali- sches Militär in dieser Region anwesend, ein Großteil desertierte und gab der MNLA damit die Chance, ungehindert vorzurücken. Aber nicht nur dieser politische bzw. mili- tärische Faktor war für die Tuareg von Nutzen, sondern auch die geographischen Gege- benheiten. Der Azawad umfasst ursprünglich ein viel größeres Gebiet als jenes, das von den Tuareg als unabhängig ausgerufen wurde. Inbegriffen sind nördliche Areale von Ni- ger und südliche Bereiche Algeriens. Bezogen auf Mali liegt die Grenze des Azawad an der engsten Stelle des Landes, was den Tuareg eine gute Verteidigungsmöglichkeit ihrer zuvor eroberten Städte bietet.

[...]


1 Definition von Sezession nach Horowitz: ÄSecession is an attempt by a […] group claiming a homeland to withdraw with its territory from the authority of a larger state of which it is a part“, in: Horowitz, Donald L. (1992), Irredentas and Secessions: Adjacent Phenomena, Neglected Connections, in: International Journal of Comparative Sociology 33:1-2, S.119.

2 Vor allem im Friedensabkommen von Tamanrasset 1991 und im National Pact von 1992.

3 Wood, John R. (1981), Secession: A Comparative Analytical Framework, in: Canadian Journal of Political Science 14:1, S.107, Hervorhebung durch Autor.

4 Vgl. Kubo, Keiichi (2011), Secession and Ethnic Conflict, in: Pavkovic, Aleksandr / Radan, Peter (Hrsg.), The Ashgate Research Companion to Secession, Aldershot: Ashgate, S.217.

5 Vgl. Süddeutsche.de, Tuareg rufen eigenen Staat Azawad aus, < http://www.sueddeutsche.de/politik/aufstand-in-mali-tuareg-rufen-eigenen-staat-azawad-aus-1.1327191 >, aufgerufen am 09.03.2014.

6 Vgl. Zeit.de, Tuareg und Islamisten rufen Scharia-Staat aus, < http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-05/mali-republik-azawad >, aufgerufen am 09.03.2014.

7 Vgl. Vereinte Nationen Sicherheitsrat, Resolution 2085 (2012), S/RES/2085 (2012), S.3.

8 Vgl. Republique du Mali. Un Peuple - Un But - Une Foi, Feuille de route pour la transition, Januar 2013, S.2.

9 Vgl. Accord preliminaire aux elections Presidentielles et aux pourparlers inclusifs de paix au Mali, chapitre II - creation de conditions favorable a la tenue des elections presidentielles, S.5.

10 Vgl. United Nations Security Council, Report of the Secretary-General on the situation in Mali, S/2014/1, S.1.

11 Vgl. African Arguments, Lecocq, Baz, Mali: the hot season is coming, < http://africanarguments.org/2012/03/30/mali-the-hot-season-is-coming-by-baz-lecocq/ >, aufgerufen am 04.03.2014.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Warum scheiterte die Sezession in Mali 2012?
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Sezession und internationale Ordnung
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
20
Katalognummer
V293727
ISBN (eBook)
9783656913283
ISBN (Buch)
9783656913290
Dateigröße
719 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mali, Sezession, Unabhängigkeit, Tuareg
Arbeit zitieren
Ulrike Leupold (Autor:in), 2014, Warum scheiterte die Sezession in Mali 2012?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/293727

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