Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Authentizität und Identifikation in der Medienwissenschaft
2.2 Parasozialen Interaktion
2.3 Identifikation anhand gezielter Marketingstrategien
2.4 Casting-Show als liminale Phase?
2.5 Allgemeine Struktur von Castingshows
2.5.1 Bedeutung der Elemente Jury, Kandidaten und Publikum
2.5.2 Struktur der Castings und Live-Shows
3. Konstruierte Realität- Analyse ausgewählter Filmsequenzen
3.1 Kamera- und Lichtdramaturgie in den Liveshows
3.2 Einsatz und Bedeutung von Musik
3.3 Verhalten und Reaktionen der Kandidaten
4. Schlussbemerkung
5. Literatur- und Quellenverzeichnis
1. Einführung
Das Format der Castingshow hat sich in den letzten Jahren in nahezu allen privaten Fernsehsendern etabliert. Ein besonders populärer Vertreter dieses Formats ist die Show Deutschland sucht den Superstar (DSDS) , die im Jahre 2003 als „Beste Unterhaltungssendung“ mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde1 und durchschnittlich Einschaltquoten von über fünf Millionen Zuschauern erreicht. Dabei besteht das Erfolgskonzept vor allem darin, das meist junge Publikum über einen längeren Zeitraum emotional an die Sendung zu binden.
„Zum einen bietet das Format die Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen des Musikgeschäfts zu werfen und den Casting-Prozess für einen Plattenvertrag mitzuverfolgen, zum anderen gibt es dem Zuschauer Einblick in die Erlebnisse und Gefühle der Menschen, die diesen Prozess durchleben.“2
Der zentrale Aspekt im Hinblick auf die Rezeption von Castingshows ist die Authentizität der Kandidaten, die zu einer Identifikation durch die Zuschauer führt. Damit sich eine Empathie zwischen dem Rezipienten und den Kandidaten entwickelt, bedient sich das Format unterschiedlicher Inszenierungs-und Marketingstrategien. Beispielsweise wird die emotionale Bindung zum Kandidaten zusätzlich dadurch verstärkt, dass das Publikum per Televoting einen vermeintlichen Einfluss auf das Siegen und Scheitern des Favoriten hat3. Bei genauerer Betrachtung setzt sich DSDS aus einem hochkomplexen, cross- medialen Konzept zusammen, bei dem mehrere Medien von dem Produkt Castingshow profitieren4. Somit wird die wöchentliche Sendung am Samstagabend zusätzlich durch ein Magazin ergänzt, das die Kandidaten in privaten Situationen zeigt und dem Rezipienten die Möglichkeit bietet, eine noch intensivere Beziehung zu seinem Favoriten aufzubauen.
„Der langjährige Erfolg der Musikcastingshows hat in den vergangenen Jahren vermehrt die Fachdiskussion über die vermeintlichen Erfolgsfaktoren angeregt und herausgefordert“5. Aufgrund der großen medialen Präsenz sind die wissenschaftlichen Untersuchungen über das Phänomen der Castingshows besonders im Bereich der Medienwissenschaften anzusiedeln. Zahlreiche Diskussionen beschäftigen sich auch mit der Medienrealität und der Weise, wie das Fernsehen Wirklichkeit konstruiert. Dieser Aspekt ist wichtig in Hinblick auf die Authentizität und Glaubhaftigkeit von Castingshows. Ebenfalls lässt sich eine Verbindung zur Kommunikationswissenschaft erkennen, da sie mit ihrer Fachliteratur einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der parasozialen Kommunikation leistet, und somit Erklärungsansätze hinsichtlich der Rezeption und Wirkung der Kandidaten bei Deutschland sucht den Superstar liefert. Doch auch die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte hat sich mit der Inszenierung von Authentizität befasst und wird im theoretischen Teil der Untersuchung eine wichtige Rolle spielen.
In der Arbeit soll gezielt auf die Frage eingegangen werden, inwieweit man von einer Authentizität der Kandidaten sprechen kann oder inwiefern sie ein Konstrukt der Medien darstellen. Bei der Untersuchung werden die verschiedenen Elemente und Phänomene der Castingshow stets unter dem Aspekt der Authentizität sowie der Identifikation beleuchtet. Zunächst soll eine theoretische Grundlage geschaffen werden, in der die oben erwähnten zentralen Begriffe anhand mehrerer Theorien aufgegriffen werden. Folgend wird es um den Aspekt der parasozialen Interaktion zwischen Rezipient und Kandidaten gehen. Dieses mediale Phänomen ist neben der Authentizität die Grundvoraussetzung, die gegeben sein muss, damit sich der Zuschauer in die Person im Fernsehen einfühlen kann. Daraufhin werden die unterschiedlichen Marketingstrategien thematisiert, die zur Identifikation des Rezipienten führen. Desweiteren stellt sich die Frage nach der Liminalität einer Castingshow. Es soll untersucht werden, inwiefern die Show für den Kandidaten ein Transformationsprozess und somit eine liminale Übergangsphase darstellt. Ausgehend von der Theorie Victor Turners werden diese zwei Aspekte in Relation zueinander gestellt. Schließlich wird auf die Struktur von Castingshows eingegangen, zu der beispielsweise die Bausteine Jury und Kandidaten zählen. Es wird thematisiert, inwiefern diese Elemente dazu beitragen, dass sich das Publikum mit den Kandidaten identifiziert und Empathie entwickelt. Folgend soll zwischen den Castings und der Live-Show differenziert werden, da in den Live- Shows erstmals das Publikum integriert wird und somit durch Nahaufnahmen unmittelbarer Reaktionen eine stärkere Rezeption hervorgerufen wird.
Im analytischen Teil der Arbeit werden unterschiedliche Aspekte hinsichtlich der Entstehung von Authentizität und Empathie untersucht und an ausgewählten Videosequenzen deutlich gemacht. Es gilt zu analysieren, welchen Einfluss die spezielle Licht- und Kameradramaturgie in den Shows auf den Prozess der Identifikation mit den Kandidaten hat und anhand welcher Strategien der Eindruck von Echtheit und Authentizität verstärkt wird. Danach wird die Bedeutung von Musik behandelt, deren Einsatz besonders in den Castings eine tragende Rolle spielt. Durch sie gelingt es, ein erstes emotionales Band zwischen Rezipient und Kandidat herzustellen. Abschließend wird es um das Verhalten und die Reaktionen der Kandidaten gehen. Es soll untersucht werden, wie dem Zuschauer Authentizität vermittelt wird, zum Beispiel durch Gefühlsausbrüche auf der Bühne oder Texthänger.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Authentizität und Identifikation in der Medienwissenschaft
Der Begriff der Authentizität tritt in der medienwissenschaftlichen Literatur oft im Zusammenhang mit der Medienrealität auf. Ein medialer Sachverhalt wird nur dann als authentisch angesehen, wenn er dem so genannten Glaubwürdigkeitsprinzip entspricht: „Glaubwürdigkeit bezieht sich auf die Relation Realität-Medienrealität und drückt die Rezipienteneinschätzung dieser Relation bezüglich bestimmter Kommunikatoren und Medien aus“6. In einer Castingshow muss dieser Glaubwürdigkeitsfaktor gegeben sein, damit sie als authentisch rezipiert wird. Beispielsweise sollten die Handlungen und Motivationen der einzelnen Kandidaten innerhalb der Staffel kohärent sein und nicht allzu sehr von ihrem Ausgangspunkt abweichen. Diverse Unstimmigkeiten im Verhalten einer medialen Persönlichkeit können sich auch auf die Identifikation mit ihr auswirken. Eine weitere Möglichkeit zur Verstärkung des Eindrucks von Authentizität ist die Live-Übertragung. Das Phänomen der Live- Übertragung vermittelt dem Zuschauer das Gefühl, bei einem Medienereignis selbst präsent zu sein. Dieser Eindruck wird vor allem durch die scheinbare Überwindung der zeitlichen und räumlichen Distanz gewonnen7. Live- Übertragungen implizieren auch eine Unmittelbarkeit des Ereignisses. Die Echtheit bei Deutschland sucht den Superstar wird beispielsweise dadurch verstärkt, dass das Verhalten und die Reaktionen der Kandidaten bei einer Live- Sendung unmittelbar sind und sich plötzlich ändern können. Gefühlsausbrüche auf der Bühne werden vom Rezipienten direkt erlebt, da sie nicht herausgeschnitten werden können. Dadurch „entsteht der […] unterschwellige Eindruck von der Erreichbarkeit der medialen Akteure, mit denen der Rezipient scheinbar interagieren kann“8. Diese parasoziale Interaktion ist essentiell für die Entstehung einer emotionalen Bindung zwischen Zuschauern und Kandidaten. Verbunden mit dem Aspekt der Authentizität stellt eine Live-Sendung im Allgemeinen den „Versuch einer Inszenierung des ‚unwiederbringlichen‘ Augenblicks“9 dar. Mit verschiedenen Kameraeinstellungen und Perspektiven wird versucht, diesen Augenblick so präzise wie möglich für den Zuschauer darzustellen. Diese Kameradramaturgie muss bis ins Detail geplant werden und spielt vor allem bei der Identifikation eine große Rolle. „Erst die Kamera macht es durch die Regulierung von Distanz und Nähe zu den Figuren und Akteuren möglich, dass sich die Zuschauer mit ihnen in spezifischen Handlungskontexten identifizieren können“10. Gerade bei Deutschland sucht den Superstar ist dieses Phänomen oft zu beobachten. In entscheidenden Momenten werden die Kandidaten in Großaufnahme gezeigt, um ihre gelebten Emotionen bestmöglich zu vermitteln. Allerdings ist hier festzuhalten, dass die medial konstruierte Realität nur begrenzt als authentisch gelten kann, da der Rezipient lediglich anhand der Kamera einen Zugang zum Geschehen bekommt und nicht jedes Material gesendet wird: „Jede überindividuelle Vorauswahl des zur Wahrnehmung zur Verfügung stehenden Materials stellt eine Beschränkung derselben und eine Lenkung dar“11.
Es lässt sich erkennen, dass der Eindruck von Authentizität in den Medien nicht nur durch technische Bearbeitung oder einer besonderen Dramaturgie entsteht, sondern dass auch die individuelle Wahrnehmung des Rezipienten von Bedeutung ist. Dabei ruft das Medium Fernsehen die größte Wirkung hervor, da es mit Hilfe von audiovisuellen Signalen mehrere Sinne des Publikums erreichen kann. Die Authentizität eines Medienereignisses hängt ebenfalls davon ab, ob sich der Zuschauer in die Situation einfühlen kann und sich mit den Akteuren identifiziert. „Eine Identifikation findet […] erst dann statt, wenn man diese andere Person mit der eigenen Person vergleicht und Übereinstimmungen feststellt“12. Um diesen Prozess zu beschleunigen, stützt sich das Medium Fernsehen auf den Aspekt der Emotionalisierung und Dramatisierung13. Bei DSDS wird dies besonders daran deutlich, dass die Kandidaten oftmals dazu aufgefordert werden, über schwere Schicksalsschläge aus ihrer Vergangenheit zu sprechen, um eine Art Betroffenheit und Mitgefühl bei den Zuschauern auszulösen. Somit werden nicht nur die Sinne des Rezipienten stimuliert, sondern auch seine Gefühle passen sich der Dramaturgie des Formates an. Diese Taktik, das Publikum in ihrem Unterbewusstsein anzusprechen und zu lenken, ist in der heutigen Fernsehlandschaft weit verbreitet. „Authentizitätskonstruktion und Affektfernsehen schließen sich […] keineswegs aus“14.
Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Darstellung von Authentizität ist die Personalisierung. Viele Menschen des öffentlichen Interesses nehmen eine andere Rolle an, wenn Medien auf sie gerichtet sind. Beispiel hierfür sind Politiker oder Schauspieler. Sie versuchen, sich damit weniger angreifbar zu machen. Das hat allerdings zur Folge, dass sie bei den Rezipienten als unnahbar gelten und weniger als Identifikationsfiguren angesehen werden. Gleichzeitig gelingt es den Medien, immer wieder Schlagzeilen über private Details zu veröffentlichen. Prominente Menschen „haben kaum mehr die Möglichkeit, den Einbruch der Öffentlichkeit in ihr Privatleben zu verhindern“15. Es kommt zu einer Verschmelzung von Privatem und Öffentlichem. Die öffentliche Person wird demnach interessanter, wenn sie ehrlich mit ihren Empfindungen umgeht und ihr Inneres nach außen trägt. Sie hebt somit die Distanz zwischen ihr und den Rezipienten auf und gewinnt an Authentizität. Damit eine bestmögliche Identifikation erreicht werden kann, liefert Deutschland sucht den Superstar neben dem wöchentlichen Auftritt in der Sendung zahlreiche Beiträge über das Privatleben der Kandidaten. Die Zuschauer erhalten einen umfassenden Einblick in das Alltagsleben dieser zunächst noch unbekannten Personen und können sich auf diesem Weg mit ihnen identifizieren.
Das Buch „Inszenierung von Authentizität“16 greift den Begriff der Authentizität in verschiedenen Lebensbereichen auf. Es stellt eine Aufsatzsammlung dar, die auch unter anderem die Authentizität in den Medien thematisiert. In einem Kapitel geht es um den Akt der Selbstinszenierung, bzw. der eigenen Autobiographie. Die Untersuchung ist zwar im Bereich der Performance angesiedelt, doch es lassen sich auch Parallelen zu Castingshows ziehen. Es wird beschrieben, dass der Performer vor ein Publikum tritt und seine Autobiographie vorträgt. „Der Akt der Konstitution eines Selbst wird hier ausdrücklich 1) als ein performativer Akt und 2) als ein öffentlicher Akt vollzogen und definiert“17. Nach der Analyse der Performance von Rachel Rosenthal gelangt Erika Fischer-Lichte jedoch zu der Einsicht, dass, zumindest in diesem Fall, Identität und Selbst nur für die Dauer der Performance bestehen und sich in einem ständigen Wandel befinden. Folgend wird der Gedanke geäußert „dass es hier […] überhaupt nicht um die Konstitution eines Selbst geht, sondern um den Vorgang einer Inszenierung eines Selbst“18. Die Performerin liefere vielmehr einen Entwurf eines Selbstbildes, das sie anhand gestischer und sprachlicher Mittel inszeniert. „Die jeweilige Konstitution eines Selbst erscheint insofern als Produkt und Resultat eines Inszenierungsprozesses“19. Auch bei DSDS spielt der Akt der Selbstinszenierung immer wieder eine Rolle. Besonders in den Beiträgen, die zusätzlich zur Sendung gemacht werden und die Kandidaten in einer privaten Atmosphäre filmen, stellt sich die Frage, inwieweit die dargestellte Medienfigur inszeniert und konstruiert ist. Die Kandidaten erzählen aus ihrem Leben vor der Sendung und richten sich an ein bestimmtes Publikum. Sie kreieren insofern eine neue Identität, als dass sie nur ausgewählte Phasen ihres Lebens thematisieren, die sich dann zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Auch die Performativität dieses Aktes ist nicht zu unterschätzen. Oft steigern sich die Kandidaten so sehr in die Situation hinein, dass sie anfangen zu weinen. Desweiteren lassen sich paralinguistische und teils theatralische Elemente erkennen.
„Die Kehrseite des Erfolgsfaktors ‚Emotionalisierung‘ ist jedoch, dass die Kandidaten dieses Erfolgsrezept durchschauen und auch explizit von den Produzenten animiert werden, es anzuwenden, so dass […] weder das musikalische noch das emotionale Potential der Kandidaten authentisch vermittelt wird“20.
In einem anderen Kapitel wird die Struktur von Soaps charakterisiert. Da Deutschland sucht den Superstar ähnliche Elemente aufweist, lassen sich die Aspekte gut auf die Castingshow übertragen. Beide Fernsehformate bedienen sich „Mittel der Personalisierung, Privatisierung und Intimisierung“21. In den Interviews der Kandidaten wird deutlich, dass das Gespräch meist in eine private Richtung gelenkt wird. Durch die Enthüllung persönlicher Details soll ein Identifikationsprozess in Gang gesetzt sowie die Bindung zwischen Rezipient und Kandidat verstärkt werden. Der Eindruck, dass der Kandidat dem Publikum offen und ehrlich gegenübertritt, verhilft ihm zu Authentizität und Glaubwürdigkeit. Er ist somit in der Lage, unterbewusste Bedürfnisse und Wünsche im Rezipienten zu wecken. Der Aspekt der Emotionalität dient in solchen Formaten nicht nur der Empathie, sondern vor allem auch der Spannung. Versetzt man die Kandidaten in einen künstlich herbeigeführten Spannungszustand, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit unerwarteter Gefühlsausbrüche und Wendungen innerhalb der Sendung. Dies soll die Aufmerksamkeit des Zuschauers erhalten. Außerdem sei die Erweiterung der populärkulturellen Räume erwähnt. Hierbei handelt es sich um die Tatsache, dass sowohl Soap-Stars als auch Casting-Teilnehmer manchmal ihren gewöhnlichen Inszenierungsraum verlassen und in einem anderen medialen Kontext auftreten. Beispielsweise werden DSDS-Kandidaten zu Talkshows oder Events wie dem Neujahrsspringen eingeladen22, um sich gezielt in den Medien platzieren zu können. Diese Strategie wirkt sich nebenbei positiv auf die Authentizität der Kandidaten aus. Dadurch, dass sie in verschiedensten Situationen präsentiert werden, ergibt sich ein komplexeres Persönlichkeitsbild. Dieser Reichtum an Facetten verleiht dem Kandidaten Glaubwürdigkeit.
Bezüglich der Theatralität in den Medien stellt sich folgende Problematik dar: Soaps und Castingshows bieten den meist jugendlichen Rezipienten mit ihren Alltagsgeschichten einen Orientierungspunkt, den sie für ihr eigenes Leben anwenden können. Die Medienakteure haben in dem Fall eine symbolische Funktion, da sie für bestimmte Lebens-und Modestile stehen, die durch das jeweilige Fernsehformat inszeniert werden. Allerdings „zeigt sich eine Entwicklung, die nicht auf eine Inszenierung von Authentizität der Lebenswelt, sondern auf eine Authentizitätssteigerung der Warenwelt zielt“23. Die Theatralität der Sendung entsteht somit weitgehend aus Strategien der Kommerzialisierung. Dieser Fokus auf die Produktvermarktung hat zur Folge, dass die vermittelte Authentizität dem Eindruck der Manipulation weicht. Dadurch wird die Skepsis des Rezipienten zunehmend verstärkt.
Schließlich sind ein paar Fakten zu nennen, die in den Medien immer wieder zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit angewandt werden. In dem entsprechenden Kapitel des Buches werden diese Einflussfaktoren in Bezug auf die Werbung behandelt. Sie sind jedoch auch in Castingshows wie Deutschland sucht den Superstar anwendbar. Ein Aspekt ist beispielsweise die „Dramatisierung von quantitativer Verbreitung“24. Dabei handelt es sich um Aussagen oder Slogans, die den Erfolg des Produkts anhand von signifikanten Zahlen verifizieren sollen. Bei DSDS wird auch immer wieder auf das Millionenpublikum hingewiesen, das zeitgleich die Sendung verfolgt. Durch die fortwährende Anspielung auf die millionenstarke Resonanz wird dem Zuschauer suggeriert, dass er etwas verpasst, wenn er die Sendung nicht weiter verfolgt. Zudem spielen auch Experten zur Vermarktung eines Produkts eine große Rolle. Sie verstärken den Eindruck von Glaubwürdigkeit. Hinsichtlich der Castingshow DSDS ist zu verzeichnen, dass Dieter Bohlen, der in den Medien stets als „Poptitan“ tituliert wird, eine starke Autorität ausstrahlt, besonders wegen seiner langjährigen und erfolgreichen Tätigkeit als Musikproduzent. 2.2 Parasoziale Interaktion
Die parasoziale Interaktion steht mit der Identifikation in engem Zusammenhang. Im Grunde handelt es sich dabei um die unterschiedlichen „Rezipientenreaktionen auf fiktionale und nonfiktionale Charaktere in den Medien“25. Sie laufen meist unbewusst ab und implizieren sowohl die Bewertung der Medienfigur, auch Persona genannt, als auch das In-Beziehung-Setzen mit ihr. Charakteristisch für die Identifikation ist die Imagination, dass man sich selbst für die Medienfigur hält. Jonathan Cohen differenziert außerdem zwischen Identifikation und parasozialer Interaktion.26 Wenn man sich mit einem Charakter identifiziert, ist man sich dessen nicht bewusst und verlässt seine eigene Identität. Bei einer Interaktion werden Faktoren wie Sympathie oder Mitgefühl zur Bewertung einer Situation eingesetzt. Doch um etwas bewerten zu können, muss eine gewisse Distanz vorhanden sein. Desweiteren werden einige Einflussfaktoren genannt, die eine Identifikation begünstigen. Dazu gehören vor allem eine vorhandene Ähnlichkeit in sozialem Status und charakteristischen Eigenschaften und die Präsentation der Medienperson über einen längeren Zeitraum hinweg. Dies ist bei Deutschland sucht den Superstar besonders ausgeprägt, da sich jede Staffel über mehrere Wochen hinweg erstreckt27 und somit die Bindung zwischen Publikum
und Kandidaten intensiviert wird. Als Folgen der Identifikation werden das Experimentieren mit neuen Rollen und Haltungen sowie die Entwicklung starker Gefühle genannt. Zu erwähnen sei hier, dass Castingshows wie DSDS eine starke Vorbildfunktion gegenüber dem meist jungen Publikum darstellen28 und dadurch neue Trends gesetzt werden können, beispielsweise aufgrund diverser Modestile, die die Kandidaten innerhalb der Sendung repräsentieren. Zudem befinden sich jugendliche Rezipienten noch in der Entwicklung und sind daher stärker beeinflussbar.
Ebenfalls zu beachten ist die Tatsache, dass sowohl parasoziale Interaktion als auch Identifikation stets mit affektiven, emotionalen und kognitiven Prozessen in Verbindung stehen. Diese Reaktionen sind auf den Mediencharakter gerichtet bzw. werden durch ihn verursacht. Zwei besonders relevante affektive Reaktionen sind Empathie und emotionale Ansteckung. Empathie beschreibt den emotionalen Zustand, dass sich der Rezipient in eine Medienfigur einfühlen und ihr Handeln und Erleben nachvollziehen kann. Gefördert wird diese Emotion vor allem durch Sympathie und Ähnlichkeit. Bei der emotionalen Ansteckung handelt es sich um eine unbewusste Nachahmung, die nicht das Hineinversetzen in den Medienakteur voraussetzt. Relevant sind in diesem Zusammenhang auch so genannte konative Reaktionen. Zu diesen zählen Verhaltensweisen, die durch Zurufen oder durch Gesten des Rezipienten zum Ausdruck gebracht werden29. Sie können vom Körper ausgehen oder verbal erfolgen. Besonders effektiv ist dieses Phänomen bei der Anwesenheit eines Studiopublikums wie bei Deutschland sucht den Superstar, das stellvertretend für die Zuschauer reagiert und in Nahaufnahmen gezeigt wird30. Somit kann die Atmosphäre im Studio besser nach außen getragen und der Rezipient stärker an die Sendung gebunden werden.
Eine stärkere und über einen längeren Zeitraum hinweg bestehende Form der parasozialen Interaktion ist die parasoziale Beziehung. Sie tritt in einem extramedialen Kontext auf und äußert sich in den Aktivitäten des Rezipienten. Es können verschiedene Dimensionen der parasozialen Beziehung unterschieden werden. Zum einen gibt es die aktive Unterstützung, die der Zuschauer der Medienfigur zukommen lässt, indem er ihre Auftritte und Interviews verfolgt, sich mit anderen darüber austauscht und das Bedürfnis verspürt, sie gerne einmal persönlich kennenzulernen. Auf dieses Bedürfnis der aktiven Unterstützung geht eine Castingshow wie DSDS ganz gezielt ein. Sie gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, interaktiv mitzuwirken und durch Telefonabstimmung die mediale Präsenz seines Favoriten zu sichern31. Eine etwas weniger intensive Art der parasozialen Beziehung ist die kognitive Anregung32. Das bedeutet, dass sich die Medienperson zu einer Inspirationsquelle für den Rezipienten entwickelt und ihn möglicherweise zu neuen Ideen verleitet. Der Zuschauer kann sich dazu animiert fühlen, Dinge in seinem Leben zu ändern, sei es der Kleidungsstil oder gewisse charakterliche Eigenschaften, die ihn an der Medienperson faszinieren. Die weiteren Beziehungsdimensionen lassen sich in die Kategorie der Emotionalität einordnen. Die Kontaktfreude beispielsweise beschreibt den Zustand des Entgegenfieberns und der Vorfreude auf den Auftritt. Im Falle der medialen Abwesenheit verspürt der Rezipient oftmals Sehnsucht. Eine leidenschaftlichere Dimension der parasozialen Beziehung ist die Intimität. „Affektive extramediale Reaktionen sind im vergleichsweise großen Vertrauen zur Persona sowie in der Bewunderung ihrer persönlichen Qualitäten beobachtbar“33. Diese emotionalen Reaktionen sind ebenfalls der fünften und sechsten Dimension zugehörig, die als Empathie und Charakter bezeichnet werden. Die siebte Dimension beschreibt die Toleranz, mit der man der Medienperson aufgrund des subjektiven Empfindens gegenübertritt. Ähnlich wie in einer Verliebtheitsphase werden die Fehler der Medienfigur leichter verziehen und gute Taten umso mehr anerkannt.
[...]
1 Vgl. Schramm, Holger: Musikcastingshows, in: Musik im Fernsehen. Sendeformen im Fernsehen. 1. Aufl., Moormann, Peter (Hg.), VS Verl. für Sozialwiss., 2010, S. 47.
2 Döveling, Katrin (Hg.): DSDS- Hintergr ü nde einer Erfolgsgeschichte, in: Im Namen des Fernsehvolkes, UKV Verlagsges., Konstanz, S. 104.
3 Vgl. Mitzlaff, Sabine: „ We have a dream “ - Kulturanalytische Gedanken zum Medienspektakel „ Deutschland sucht den Superstar “ in: Doku-Soap, Reality-TV, Affekt-Talkshow, Fantasy- Rollenspiele - Neue Sozialisationsagenturen im Jugendalter, Ulrike Prokop [Hrsg.], Tectum Verl., Marburg, S. 72.
4 Vgl. Köhler, Lutz (Hg.): Produktinnovation in der Medienindustrie, Deutscher UniversitätsVerlag, Wiesbaden, 2005, S. 159.
5 Schramm, Holger: Musikcastingshows, S. 59.
6 Bentele, Günter: Fernsehen und Realität. In: Fernsehtheorien. Dokumentation der GFF-Tagung 1990, Hicketier, Knut (Hg.) , Ed. Sigma, Berlin, 1992, S. 66.
7 Vgl. Pöttker, Horst: Entfremdung und Illusion. Soziales Handeln in der Moderne, Mohr Siebeck, Tübingen, 1997, S. 233.
8 Ebd., S. 233.
9 Kammer, Manfred: Vom ‚ Live ‘ zur Interaktion. In: Live is life. Mediale Inszenierungen des Authentischen, Hallenberger, Gerd (Hg.), Nomos-Verl.- Ges., Baden-Baden, 2000, S. 123.
10 Mikos, Lothar: Film-und Fernsehanalyse, UVK-Verl.-Ges., Konstanz, 2008, S. 167.
11 Kramp, Leif: Gedächtnismaschine Fernsehen, Akad. Verl., Berlin, 2010, S. 266.
12 Mikos, Lothar: Film-und Fernsehanalyse, S. 166.
13 Vgl. Herbert, Eva-Maria: Zwischen Macht, Freiheit und Moral. Massenmedien im Zeitalter der Globalisierung, Tectum Verl., Marburg, 2008, S. 90.
14 Tröhler, Margit: Eine Kamera mit Händen und F ü ssen. Die Faszination der Authentizität, die (Un-)lust des Affiziertseins und der pragmatische Status der (Unterhaltungs-)Bilder von Wirklichkeit. In: Unterhaltung. Konzepte-Formen-Wirkungen, Frizzoni, Brigitte (Hg.), Chronos, Zürich, 2006, S. 158.
15 Wegener, Claudia: Reality-TV. Fernsehen zwischen Emotion und Information?, Leske+Budrich, Opladen, 1994, S. 53.
16 Fischer-Lichte, Erika: Inszenierung von Authentizität, Francke, Tübingen, 2007.
17 Ebd., S. 61.
18 Ebd., S. 65.
19 Fischer-Lichte, Erika: Inszenierung von Authentizität, S. 65.
20 Schramm, Holger: Musikcastingshows, S. 62.
21 Fischer-Lichte, Erika: Inszenierung von Authentizität, S. 172.
22 Fassihi, Floria Fee: Werbebotschaften aus der Redaktion?. Journalismus im Spannungsfeld zwischen Instrumentalisierung und Informationsauftrag, UVG-Verl.-Ges., Konstanz, 2008, S. 269.
23 Fischer-Lichte, Erika: Inszenierung von Authentizität, S. 178.
24 Ebd., S. 217.
25 Baeßler, Berit: Medienpersonen als parasoziale Beziehungspartner. Ein theoretischer und empirischer Beitrag zu personazentrierter Rezeption, Nomos, Ed. Fischer, Baden-Baden, 2009, S. 101.
26 Vgl. Ebd., S. 103.
27 Vgl. Hicketier, Knut: „‘ Bild ‘ erklärt den Daniel “ oder „ Wo ist K ü blböcks Brille? “ - Medienkritik zur Fernsehshow „ Deutschland sucht den Superstar “ . In: Zur Kritik der Medienkritik. Wie Zeitungen das Fernsehen beobachten. Weiß, Ralph (Hg.), Vistas, Berlin, 2005, S. 339.
28 Vgl. Prokop, Dieter: Das fast unmögliche Kunstst ü ck der Kritik. Erkenntnistheoretische Probleme beim kritischen Umgang mit Kulturindustrie, Tectum, Marburg, 2007, S. 161.
29 Vgl., Baeßler, Berit. Medienpersonen als parasoziale Beziehungspartner, S. 106.
30 Vgl., Döveling, Katrin: Im Namen des Fernsehvolkes, S. 113.
31 Vgl.,Stavenhagen, Iris: Der gute Ton, oder: Die Funktion Daniel K ü blböcks im Star-System von Deutschland sucht den Superstarund imöffentlichen Diskurs. In: Keiner wird gewinnen, Helms, Dietrich (Hg.), Transcript, Bielefeld, 2005, S. 155.
32 Vgl., Baeßler, Berit: Medienpersonen als parasoziale Beziehungspartner, S. 282.
33 Ebd., S. 282.